Barbara Stambolis

Töchter ohne Väter

Frauen der Kriegsgeneration und ihre lebenslange Sehnsucht

Mit einem Nachwort von Jürgen Reulecke

Impressum

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Klett-Cotta

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Printausgabe: ISBN 978-3-608-94724-3

E-Book: ISBN 978-3-608-10301-4

 

Für Bärbel Ingeborg und Werner Schultz.

 

Sie hat über ihr Aufwachsen ohne Vater, er hat über seine
Erziehung sowie seine Erfahrungen als Sanitätsstudent im
Zweiten Weltkrieg nicht sprechen können. Ihrer beider Traum
war, eine Familie zu gründen und ihre Tochter in einer heilen
Welt aufwachsen zu lassen, doch sie sind beide nicht alt geworden.

VORWORT

Als ich begann, mich intensiv mit Kindheiten im Zweiten Weltkrieg und ihren Folgen zu beschäftigen, stieß ich auf ein Foto aus dem Jahre 1946, das ein etwa fünf oder sechs Jahre altes Kind mit seiner Mutter zeigt. Allein und gleichsam verloren stehen beide auf einer Straße – das greisenhafte Gesicht des Kriegskindes lässt erahnen, dass es eigentlich kein Kind mehr ist. Viele Menschen fühlten sich von diesem Foto angerührt. Die Frage nach dem Schicksal dieses einen Kindes – es ist ein kleiner Junge – lässt sich zwar nicht beantworten, aber sie enthält eine mehr oder weniger versteckte Aufforderung: nämlich herauszufinden, was aus den Kindern von damals geworden ist. An diesem Beispiel eines »Motivs« lässt sich veranschaulichen, wie sich Forschungsfragen entwickeln können. Ein anderer Anstoß, ebenfalls mit einer Frage verbunden, ergab sich aus folgender Beobachtung: Mir fiel auf, dass in Filmen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit Jungen offenbar deutlicher »im Bild« waren als Mädchen. Warum? Zunehmend begannen nicht nur Bilder von Mädchen aus der Kriegs- und Nachkriegszeit mein Interesse zu fesseln, sondern es hat sich ein Forschungsthema entwickelt, in dessen Mittelpunkt die Lebensläufe von Frauen stehen, die im Zweiten Weltkrieg und in der Nachkriegszeit aufwuchsen.

 

In dem 2004 erschienenen und mittlerweile in dritter Auflage vorliegenden Buch »Söhne ohne Väter. Erfahrungen der Kriegsgeneration« heißt es: »Zu den einen Lebenslauf bestimmenden Belastungen […] gehört auch die kriegsbedingte Vaterlosigkeit, die oft die Art und Weise des Heranwachsens der Söhne (und selbstverständlich in spezifischer Weise auch der Töchter) entscheidend beeinflusst hat« (S. 151). Die Klammer in diesem Satz macht den Forschungsbedarf bezüglich der Frauen ebenso deutlich wie der Hinweis Hartmut Radebolds, der mit Hermann Schulz und Jürgen Reulecke das »Söhne-Buch« herausgegeben hat, das weibliche Parallelbuch könne »nur von betroffenen Töchtern geschrieben werden«. Das Wörtchen »nur« in diesem Satz mag nicht in der Weise gemeint gewesen sein, dass eine kriegsbedingt vaterlos aufgewachsene Tochter wohl am geeignetsten sei, ein solches »Töchter-Buch« zu schreiben. Dieses Buch könne und solle jedoch, so deutete ich die Formulierung, von einer Frau geschrieben werden, die zwar nicht der Altersgruppe der Kriegskinder im strengen Sinne zugehörig sein muss, deren professionelle Arbeit aber von Empathie gegenüber den Empfindungen, Verletzungen und lebenslangen Belastungen vaterloser Töchter gekennzeichnet sein sollte. Aber es gab zu dem Zeitpunkt, als mich die vaterlosen Töchter zu faszinieren begannen, noch keinen Versuch einer Zeithistorikerin sich des Themas mit den Methoden der Geschichtswissenschaft anzunehmen. Den Regeln dieser Disziplin zufolge können persönliche Bezüge allenfalls eine nebensächliche, wenngleich nicht ganz zu leugnende Rolle spielen. Zentral ist vielmehr die Herausforderung, den Erfahrungen, Wahrnehmungen und subjektiven Rückblicken vaterloser Töchter einerseits eine Stimme zu geben, sie aber andererseits auch zeitgeschichtlich zu deuten, einzuordnen und »Exemplarisches« zu beschreiben. Dass Facetten meiner eigenen Familiengeschichte einen Hintergrund für mein intensives Interesse an dem Thema darstellen, sei an dieser Stelle nur angedeutet. Bekanntlich sprechen Historiker und Historikerinnen, um ihre Professionalität zu betonen, nicht von sich selber, aber sie können vielleicht zugestehen, dass sie manchmal aufgrund eigener Erfahrungen in einer besonderen Weise beobachten, Zeitzeugen zuhören oder ein Gespür dafür entwickeln, was es z. B. heißt, dass Frauen eine lebenslange Sehnsucht nach einem ihnen liebevoll zugewandten Vater haben. Diese Sehnsucht haben sicher auch Frauen, die erst nach dem Krieg geboren wurden und aus anderen als unmittelbar kriegsbedingten Umständen vaterfern oder vaterlos aufwuchsen.

 

Etwa 120 Betroffene, Frauen, die zwischen 1930 und 1945 geboren wurden, die ihre Väter kaum oder gar nicht kennengelernt hatten, haben zwischen 2007 und 2010 ähnlich wie die 44 an dem »Söhne-Buch« beteiligten Männer einen Fragebogen beantwortet, in dem es um ihre abwesenden Väter, ihre Mütter, weitere Erinnerungen an lebensprägende Erfahrungen, Reflexionen über Auswirkungen ihres vaterlosen Aufwachsens auf Partnerschaften und den Umgang mit den eigenen Kindern ging. Von vornherein stand fest: Die Fragen an die Frauen können nicht mit denen an die Männer identisch sein. Sie wurden unter anderem im Hinblick darauf, dass weibliche Lebensentwürfe sich zweifellos von männlichen unterscheiden, modifiziert. Zu vermuten war nicht zuletzt, dass sich ein »gelungenes Leben« aus weiblicher Sicht anders darstellt als aus stärker berufs- und karriereorientiertem männlichen Blickwinkel.

Die vaterlosen Töchter der Kriegskindergeneration, um die es in diesem Buch geht, fragen sich mittlerweile, inwieweit der fehlende Vater ein grundlegendes Element ihrer eigenen Familiengeschichte über Generationen sein könnte. Eine erhebliche Zahl ihrer Mütter war infolge des Ersten Weltkriegs auch ohne Vater aufgewachsen. Ihren Kindern wird er vielleicht ebenfalls fehlen – aus ganz anderen Gründen als ihnen in ihrer Kindheit. Es können sich deshalb von der vorliegenden Studie auch jüngere Menschen und aus anderen als kriegsbedingten Gründen vaterlos Aufwachsende angesprochen fühlen.

 

Den vaterlosen Töchtern, von denen ich manchen im Laufe der vergangenen Jahre wiederholt begegnet bin, die sich immer wieder meldeten und Informationen und Überlegungen nachtrugen, die nicht zuletzt zu langen Gesprächen bereit waren, sei an erster Stelle gedankt. Ohne diese Art der Kommunikation und ständigen Anregung wäre das Buch nicht entstanden. Ich hoffe, dass sie sich mit ihren Stärken ebenso darin wiederfinden wie mit ihren Zweifeln, Sehnsüchten und Unsicherheiten.

Dass die Gerda-Henkel-Stiftung mir dankenswerterweise ein Forschungsstipendium gewährte, hat maßgeblich die Voraussetzung für die Auswertung des Materials, für die notwendigen Literaturrecherchen und die Arbeit an der Erstellung des Buchmanuskripts geschaffen. Dem Klett-Cotta Verlag schließlich sei für die gute Zusammenarbeit gedankt.

1 DIE SCHATTEN DER VÄTER

1.1 Töchter ohne Väter melden sich zu Wort

»Mein Vater hat durch eine sofort nach meiner Geburt am 7. 11. 1942 abgesandte Postkarte gerade noch von seiner zweiten Tochter erfahren. […] Ich war also noch nicht einmal zwei Monate alt, als meine Mutter die letzte Nachricht von ihm erhielt. So hat mein Vater mich und ich ihn leider niemals gesehen, dann er blieb als Soldat der 6. Armee in Stalingrad vermisst. Das ist etwas, was mich heute noch sehr berührt, den eigenen Vater nie kennengelernt zu haben, ihn mir nie zu eigen machen zu können, ihn nie erlebt zu haben, weil ich nie das Leben mit ihm teilen konnte, auch nicht wenigstens für eine kurze Zeit, so dass ich eine eigene Erinnerung an ihn haben könnte. Meine Schwester und ich würden auch heute noch ein paar Jahre unseres Lebens dafür geben, wenn wir unseren Vater sehen, sprechen und umarmen könnten, um zu erfahren, welch ein Mensch er war und wie er als Vater gewesen wäre.«

 

Mit diesen Worten beginnt eine Frau, die kriegsbedingt vaterlos aufwuchs, eine für ihr Leben grundlegende Verlusterfahrung und eine daraus erwachsene lebenslange Sehnsucht zu beschreiben. Sie hat mit etwa 120 weiteren vaterlosen Töchtern, alle zwischen 1930 und 1945 geboren, Auskunft über ihren Vater, die Beziehung zu ihrer Mutter und weitere wichtige Prägungen gegeben. Vor allem teilen viele Betroffene das Gefühl, es habe sie bis heute, und d. h. ihr gesamtes bisheriges Leben lang, ein grundlegendes Empfinden tiefer Unsicherheit begleitet, verbunden mit einer ebenfalls lebenslangen tiefen Sehnsucht nach väterlichem Halt.

Schriftliche Antworten auf einen Fragebogen, längere persönliche Gespräche, viele mündliche Mitteilungen bei Veranstaltungen und teilweise ausführlichere Korrespondenzen sind Grundlage des nun vorliegenden Buches, in dem es um Erfahrungen, Wahrnehmungen und subjektive, rückblickende Lebensdeutungen vaterloser Töchter der Altersgruppe geht, die seit einigen Jahren als »Kriegskindergeneration des Zweiten Weltkriegs« bezeichnet wird. Wenn von der »Generation der Kriegskinder« gesprochen wird, so umfasst diese zunächst einmal ganz allgemein jene Menschen, die als Kinder oder Heranwachsende entscheidend vom Krieg geprägt wurden. Zwar nicht alle, aber doch ein großer Teil Angehöriger der in Frage kommenden Jahrgänge hat nachhaltig Belastendes erlebt, den Verlust des Vaters und weiterer Angehöriger, Bombenangriffe, Evakuierung, Flucht und Vertreibung. Diese wenigen Hinweise auf ihre Erlebnis- und Erfahrungswelt lassen bereits ahnen, dass es kaum möglich ist, pauschal von Kriegskindern als Generation oder auch von »den« kriegsbedingt vaterlos Aufgewachsenen zu sprechen. Es ist beispielsweise zu differenzieren, ob vaterlose Töchter (und natürlich auch Söhne) ihren Vater noch kennengelernt haben oder nicht, ob sie mit behütenden Großvätern oder Großmüttern aufwuchsen, ob sie zusätzlich zu ihren Vätern weitere Angehörige verloren haben, ob sie zudem Bombenangriffe erlebt haben und evakuiert wurden, ob sie im Zuge der Kinderlandverschickung zeitweise ohne ihre Angehörigen lebten, oder ob sie sich mit ihren Müttern und Geschwistern über Monate oder sogar einige Jahre auf der Flucht befunden haben.

Die vaterlosen Töchter, die im Mittelpunkt dieses Buches stehen, gehören zu jenem Viertel aller damaligen Kinder und Jugendlichen in Deutschland, deren Väter im Krieg »gefallen«, ihren Kriegsverletzungen erlegen, in Gefangenschaft umgekommen oder unter bis heute ungeklärten Umständen verschollen sind. Ihre Zahl lässt sich auf etwa 2,5 Millionen beziffern.1 – In Europa dürfte es infolge des Zweiten Weltkriegs insgesamt rund 20 Millionen Halbwaisen gegeben haben. – Die Frauen (und auch die Männer) beginnen, oft erst seit einigen Jahren, sich intensiv mit ihren nicht oder kaum gekannten Vätern und den Folgen ihres vaterlosen Aufwachsens für sich, ihre Partnerschaften und auch ihre eigenen Kinder zu beschäftigen. Ihr Leben sei lange »mit Arbeit ausgefüllt« gewesen, schreibt eine Betroffene; sie habe bislang keine Zeit gehabt, sich mit ihrer Kindheit und Jugend, d. h. ihrem vaterlosen Aufwachsen und mit daraus möglicherweise entstandenen lebenslangen Folgen zu befassen; seit Kurzem nun habe sie begonnen, sich intensiv mit ihrem kaum gekannten, fremd gebliebenen und doch intensiv, wenngleich nur schattenhaft gegenwärtigen Vater auseinanderzusetzen. Gemeinsam sei ihnen möglicherweise, so vermuten die Befragten, dass sie lange Zeit nur selten über ihre Verlusterfahrungen gesprochen haben. In folgender Äußerung dürften sich wohl einige wiedererkennen:

 

»Heute weiß ich – dass die Zeit unausweichlich kommt – wo nach einem arbeitsreichen Leben – im Zur-Ruhe-Kommen – spätestens dann – die alten Bilder […] hochsteigen. Ich begreife im Nachhinein seltsame Verhaltensweisen von mir. Mir ist im Austausch mit langjährigen Freundinnen, die in ›heiler Familie‹ aufwuchsen, klar geworden: Ich spreche eine andere Sprache, wenn es zum Beispiel um Gefühle und Verhaltensweisen geht. […] So steigt auch heute manchmal das Gefühl auf: Ich gehöre nicht ganz dazu.«

 

Mehr oder weniger überrascht stellten viele der Frauen fest, nachdem sie ins Gespräch gekommen waren, dass sie mit ihren Befindlichkeiten nicht allein waren bzw. sind und dass auch andere vaterlose Töchter glauben, die Tatsache, dass sie ohne Vater aufgewachsen waren, sei – vielleicht schon lange un- oder halbbewusst – hochbedeutsam in ihrem Leben. Sie beobachteten, dass sie ihr wachsendes Bedürfnis – oft nach dem Tod ihrer Mütter –, die Gräber ihrer Väter ausfindig zu machen und aufzusuchen, mit anderen kriegsbedingt vaterlos aufgewachsenen Frauen teilen. Sie möchten verspätet, trauernd von ihrem Vater Abschied nehmen, was ihnen ja als Kinder nicht möglich gewesen war.

Das Bedürfnis, sich mit ihren Vätern auseinanderzusetzen – von einigen Frauen inzwischen sogar ausdrücklich als Lebens- oder vielleicht besser Daseinsthema bezeichnet – hatte viele neugierig auf Veranstaltungen gemacht, die sich mit kriegsbedingter Vaterlosigkeit beschäftigten. Es ging bei entsprechenden Angeboten für Interessierte und Betroffene nicht nur um persönliche Erlebnisse, Erfahrungen, rückblickende Wahrnehmungen sowie gegenwärtige Beunruhigungen. Es ging auch um erste Versuche, zeithistorische und psychologische Hintergründe zu klären. Die Beschäftigung mit dem Alltagsleben im Krieg und in der Nachkriegszeit, mit zeittypischen Bildungswegen von Mädchen oder weiblichen Lebensentwürfen beispielsweise macht deutlich, dass individuelle Lebenswege nicht losgelöst von allgemeinen gesellschaftlichen Situationen und kulturellen Entwicklungen gesehen werden können.

Davon, dass das Interesse an den Erfahrungen kriegsbedingt vaterlos aufgewachsener Töchter in den letzten Jahren allgemein, auch aus journalistischer Sicht, zunahm, zeugten dann unter anderem auch eine TV-Dokumentation (2008) über die Reise einer Tochter ans Grab ihres fast unbekannten Kriegsvaters2 und eine vierteilige facettenreiche Fernsehproduktion über Kriegskindheiten (2009), in der auch die fehlenden Väter Berücksichtigung fanden, wenngleich diese Verlusterfahrung fast ausnahmslos von Menschen geschildert wurde, die vor 1939 geboren waren, also noch deutliche Erinnerungen an ihre Väter »im Frieden« hatten.3 Die zuletzt genannten Beispiele fügten sich in die seit einigen Jahren zu beobachtende breite mediale Beschäftigung mit Kriegskindheiten im Zweiten Weltkrieg ein, auf die noch einzugehen sein wird.

Die Beschäftigung mit ihrer Kindheit bzw. Jugend im und nach dem Zweiten Weltkrieg und vor allem mit dem »Vater-Thema« erwies sich insgesamt gesehen für viele vaterlose Töchter als ausgesprochen anstrengend, wie eine Beteiligte schriftlich mitteilte:

 

»Ich hätte nie für möglich gehalten, dass sich eine Wunde öffnet, die bisweilen so schmerzte, dass ich nicht weiterschreiben konnte und einige Tage pausieren musste […]. Ich glaube, ich habe nie so viel um einen Menschen oder besser gesagt, um diesen Verlust für mein Leben weinen müssen wie jetzt.«

 

Eine weitere teilte mit: »Dass die Seele bis heute noch leidet, habe ich beim Verfassen dieses Berichts gespürt.« Und einem ausgefüllten Fragebogen waren folgende Sätze vorangestellt: »Es ist Mitte Oktober, ein ungewöhnlich warmer Tag. In die äußerste Ecke des Gartens habe ich mich zurückgezogen – wie damals, wenn ich Zuflucht suchte. Es ist der Schauplatz meiner Kindheit, an den ich zurückkehre!«

Manche Frauen hatten weitreichende Bedenken: Durften sie sich überhaupt gestatten, sich mit ihrer Kindheit und d. h. der eigenen Geschichte zu befassen? Wörtlich: »Zwischendurch beim Nachdenken haben mich Zweifel ergriffen, ob es nicht sehr selbstsüchtig ist, sich so sehr mit sich selbst zu beschäftigen.« Einige meinten, sie könnten gleichsam ihre Mütter verraten, wenn sie auszusprechen wagten, dass sie ihre Mutter-Tochter-Beziehungen als ambivalent erlebt hatten und nun auch den Zwiespalt ihrer Gefühle beschreiben wollten. Gleichwohl haben lediglich einige wenige mitgeteilt, das Vaterthema sei für sie derart aufwühlend, dass sie davon Abstand nehmen wollten, sich zu intensiv darauf einzulassen, und dann auch meinten, es tue ihnen leid, sie könnten den Fragebogen nicht beantworten. Bei den meisten Frauen hatte sich das Bedürfnis, sich noch einmal oder erstmals tiefgreifend mit ihrer Kindheit und Jugend sowie damit verbundenen bilanzierenden Lebensrückblicken zu befassen, in den letzten Jahren gleichsam aufgeschichtet. Sie erlebten es als befreiend, ihre Wahrnehmungen in Worte zu fassen, obwohl nicht selten ausgesprochen schmerzlich war, sich auf die »Reise in die Vergangenheit« zu begeben.4

Oft hatten die Veranstaltungsteilnehmerinnen ebenfalls betroffene Freundinnen und Bekannte, denen sie den – erstmals 2007 verteilten – Fragebogen weiterreichten und die sich dann auch bereiterklärten, ihn zu beantworten. Es gab nach offenbar neuerlichem Nachdenken über weitere Facetten des Vater-Themas in der eigenen Lebensgeschichte immer wieder Nachträge zu dem bereits Mitgeteilten. Vor allem erwies sich die Erinnerung gewissermaßen als Puzzle, in dem sich erst langsam einzelne Teile zu einem Bild zusammenfügten. Die Frauen entdeckten Fotos und schriftliche Dokumente und legten diesen Briefe bei, in denen sie sich auch nach dem Fortgang der Arbeit an dem Buch erkundigten. Viele Beteiligte hofften ausdrücklich darauf, sich in diesem »wiederfinden« zu können, ein Vertrauen, das zweifellos eine Verpflichtung und eine besondere Aufgabe darstellt: Es handelt sich zum einen um individuelle Lebensgeschichten, die aber zum anderen – darin besteht ja die Anforderung an Auswertung und Deutung – exemplarische Züge tragen und den Anspruch erheben, bis zu einem gewissen Grad und bei aller gebotenen Vorsicht verallgemeinerbar für eine Erfahrungsgruppe zu sein, eben für kriegsbedingt vaterlos aufgewachsene Frauen.

1.2 Erste Annäherungen

Wenn sich in den vergangenen circa zehn bis 15 Jahren Frauen aus der Kriegskindergeneration des Zweiten Weltkriegs mit ihren Müttern und auch Vätern befassten, hatten sie zunächst vor allem nach der Schuld ihrer Eltern oder zumindest deren Verstrickungen, besonders der ihrer Väter in den Jahren zwischen 1933 und 1945 gefragt.5 Es war zweifellos einfacher, sich mit einem Vater auseinanderzusetzen, der keine Schuld auf sich geladen hatte. Es überrascht daher nicht, dass mit Wibke Bruns’ »Meines Vaters Land« 2004 das Buch einer vaterlosen Tochter erschien, die den Spuren eines Mannes folgte, dessen Leben nicht von Verstrickungen in das nationalsozialistische Unrechtsregime, sondern durch seinen aktiven Anteil am Widerstand gegen dasselbe bestimmt war. Bezeichnenderweise hatte Bruns’ Spurensuche nach dem Vater erst begonnen, nachdem die Mutter fast 90-jährig gestorben war. Impulsgebend für vaterlose Töchter scheinen in dem aus Bruns’ Recherchen hervorgegangenen Buch nachdenklich rückblickende Betrachtungen des eigenen Lebens während des Älterwerdens zu sein, die von der »Entdeckung« mit ausgelöst werden, eigentlich wenig über den Vater zu wissen und bislang auch nicht wirklich nach ihm gefragt zu haben. Bruns wörtlich:

 

»Nicht den Schatten einer Erinnerung gibt es in mir. Ich war ein knappes Jahr alt, als der Krieg begann. Von da an war der Vater so gut wie nie zu Hause. Aber ich erkenne mich in ihm – seine Augen sind meine Augen, ich weiß, dass ich ihm ähnlich sehe. Ich kneife mich in den Unterarm: Diese Haut gäbe es nicht ohne ihn. Ich wäre nicht ohne ihn. Und was weiß ich über ihn? Nichts weiß ich. Warum weiß ich nichts?«6

 

Ebenfalls 2004, fast zeitgleich mit Wibke Bruns’ Veröffentlichung, erschien das Buch »Söhne ohne Väter. Erfahrungen der Kriegsgeneration«.7 Die Herausgeber Hermann Schulz, Hartmut Radebold und Jürgen Reulecke, selbst Betroffene, hatten Fragebogenantworten von 44 vaterlos oder vaterfern aufgewachsenen Männern, (bis auf zwei Ausnahmen) zwischen 1930 und 1945 geboren, dokumentiert und diese in psychoanalytische, gerontologische und zeithistorische Forschungszusammenhänge eingebunden.8

Bis zum Jahr 2005 dann, als öffentlich breit und facettenreich an die 60. Wiederkehr des Kriegsendes 1945 erinnert wurde, steuerte das wissenschaftliche und mediale Interesse an Kriegskindheiten im Zweiten Weltkrieg und ihren Folgen einem Höhepunkt zu. Mit Hilke Lorenz’ Buch »Kriegskinder. Das Schicksal einer Generation« (2003)9 und Sabine Bodes Publikation »Die vergessene Generation« (2004)10 ist ein Laienpublikum angesprochen. Auf einem stark beachteten internationalen Kongress wurden 2005 bereits geleistete Forschungen öffentlich sichtbar, nicht zuletzt Arbeiten aus der seit 2002 bestehenden interdisziplinär arbeitenden Forschungsgruppe »weltkriegs2kindheiten« (w2k). Zugleich zeichneten sich weitere offene Fragen ab, nicht zuletzt die nach den spezifischen Erfahrungen vaterloser Töchter.11 Die Journalistin Cornelia Staudacher hat 2006 in ihrem Buch »Vaterlose Töchter« einige Interviews mit vaterlos aufgewachsenen Frauen nacherzählt und mit diesem »Lesebuch« das Thema zwar aufgegriffen, aber ohne auf Hintergründe und Zusammenhänge der erzählten Lebens einzugehen.12 Ein weibliches Parallelbuch zu »Söhne ohne Väter« war also bis jetzt noch nicht geschrieben. Trotz Margarete Dörrs eindrucksvoller Dokumentation zu Kriegskindheiten, 2007 erschienen, welche auch zu vaterlosen Töchtern facettenreiches Material bot,13 blieb diese Herausforderung bestehen.14 Sie wurde mit dem Dokumentarfilm von Andreas Fischer »Söhne ohne Väter«, im Mai 2007 erstmals ausgestrahlt, in dem u. a. einige der an dem »Söhne-Buch« Beteiligten zu Wort kommen, noch einmal deutlich. Dies auch im Sinne einer konkreten Aufforderung, unter anderem von Seiten einiger Schwestern der gefilmten vaterlosen Söhne, doch nun endlich auch betroffene Frauen zu befragen.15

Was zwar nicht allen, aber zumindest doch einigen besonders anregenden unter den zahlreichen und oft auch recht umfangreichen Publikationen über die Kinder des Zweiten Weltkriegs gemeinsam ist, hat Nicholas Stargardt in einer knappen Formulierung auf den Punkt gebracht: Er befasse sich »mit der Suche nach historischer Einfühlung und historischem Verstehen« und den damit verbundenen Schwierigkeiten. Die Zeitzeugen seien eben »nicht nur einfach da«, um die »liebsten Argumente der Historiker zu illustrieren, sondern, damit wir noch einmal die Frage stellen, was wir zu wissen glauben.«16 Es geht mit anderen Worten um die Aussagekraft subjektiver Erfahrungen und – nicht zuletzt – erinnerter Lebensgeschichten. Ohne hier auf die diffizilen Probleme rückblickender Erinnerungen im Detail eingehen zu wollen: Die Frage der Differenz zwischen tatsächlich Erlebtem und Erinnertem17 war einer Reihe von beteiligten Frauen ausgesprochen bewusst. Eine vaterlose Tochter überlegte etwa, ob das Bild, das in ihrem Gedächtnis »eingebrannt« sei, überhaupt stimmen könne, und fragte sich: »Bin ich wirklich auf seinem Arm oder stelle ich es mir nur vor?« Sie war vier Jahre alt, als sie ihren Vater zum letzten Mal sah, der dann in einem von ihr nicht näher bezeichneten Lager an Tuberkulose starb. Sie stellt sich ihren Vater bis heute als einen freundlich lächelnden Mann im Sonnenschein hinter Stacheldraht vor, der ihr sehr nahe ist, obwohl sie weiß, dass sie ihn so nicht gesehen haben kann. Offenbar sind dies innere Bilder, um die es hier geht: Das Kind auf dem Arm des Vaters und der lächelnde, hinter dem Stacheldraht unerreichbare Vater versinnbildlichen Vaterverlust und Vatersehnsucht. Beide Bilder müssen nicht realen Fotos entsprechen, um »wirklich« zu sein.

1.3 Lebenslang auf unsicherem Grund

Sicher teilen vaterlose Söhne und Töchter zahlreiche Erfahrungen: beispielsweise das Aufwachsen mit oft in hohem Maße engagierten und pflichtbewussten, doch auch erschöpften und überforderten, also zugleich starken und schwachen Müttern. Oft lebten Jungen wie Mädchen mit ihren Müttern gleichermaßen in wenig gesicherten materiellen Verhältnissen und mussten früh Verantwortung übernehmen. Doch scheinen vaterlose Töchter noch mit anderen Belastungen und Erwartungen konfrontiert gewesen zu sein als ihre ebenfalls vaterlos aufgewachsenen Brüder und andere vaterlose Jungen ihrer Altersgruppe.18 In dem »Söhne-Buch« heißt es einleitend: »Der Verlust des Vaters ist ein brutaler Einschnitt, der den Sohn […] lebenslang begleitet – und beschädigt […] Lebensgefühl und Selbstverständnis stehen […] für immer auf wackligem Boden und prägen das Leben der Betroffenen entscheidend.«19 Gilt das auch für die Frauen? Wie denken sie, wäre ihr Leben mit ihrem Vater verlaufen? Was wäre gewesen, wenn er wiedergekommen wäre? Wäre er während der Schulzeit stärkend und schützend im Hintergrund gewesen? Hätte sich seine Tochter bei ihm, wenn sie Kummer hatte, anlehnen können? Hätte er sie ermuntert, ermutigt oder zum Lachen gebracht, wenn sie bekümmert oder unsicher war? In einem Zeitungsinterview antwortete eine vaterlose Tochter auf die Frage, was ihr gefehlt habe, pointiert: »Es hat mich niemand ins Leben geführt.«20 Eine andere meinte in einer Fragebogenantwort: »Es hat mir niemand die Welt erklärt.« Mit diesen Formulierungen stehen die beiden nicht allein. Eine vom Tenor her ähnliche Äußerung einer anderen Betroffenen lautet: »Als ich dreizehn Jahre war, gab es mal einen Spaziergang mit einem Großonkel, der mir Sternbilder erklärte. Da kam wieder die große Sehnsucht nach jemandem, der einen an die Hand nahm und Dinge erklärte.« Diese intensive Vater-Kind-Bindung im Sinne von »auf Vaters sicherem Arm die Welt anschauen«, »zusammen mit ihm Hand in Hand gehen« oder später mit dem Vater »gemeinsam die Welt erkunden« hatte es für die vaterlosen Töchter (und natürlich auch die Söhne) nicht gegeben;21 aus entwicklungspsychologischer Sicht fehlte ihnen sowohl in ihrer Kindheit als auch in ihrer Jugend die notwendige väterliche Unterstützung.22

Die Vorstellung, ihr Leben mit ihrem Vater wäre anders verlaufen, sie hätten dann mehr Selbstsicherheit erlangt und vielleicht nicht lebenslang mit einem Mangel an Selbstgewissheit zu kämpfen gehabt, äußern vaterlose Töchter aus der Kriegskindergeneration immer wieder. Und sie betonen, innerlich sei zeitlebens – aufgrund des fehlenden Vaters, wie sie annehmen – viel von ihrer bereits in der Kindheit und Jugend empfundenen »Unsicherheit und Einsamkeit« geblieben. Aus dieser grundlegend scheinenden Selbstwahrnehmung ergeben sich Fragen, die nicht leicht zu beantworten sind: Was verbirgt sich hinter dieser Selbsteinschätzung? Die Töchter waren doch bereits sehr früh selbständig und haben ebenfalls schon früh ganz selbstverständlich Verantwortung übernommen; sie haben ihre Mütter entlastet, Geschwister versorgt und als Heranwachsende bereits klaglos harte Arbeit verrichtet. Sie haben sich als junge Frauen pragmatisch in ihren Berufswünschen eingeschränkt, sie haben unter materiell schwierigen Bedingungen um eine gute Ausbildung gekämpft, Prüfungen bestanden und Ausbildungsziele erreicht, deren Verwirklichung mit großen Anstrengungen verbunden war. Als Ehefrauen und Mütter waren sie pflichtbewusst, verantwortungsvoll und verlässlich. Sie haben den größten Teil ihres Lebens wenig an sich selbst gedacht; die Bedürfnisse ihrer Männer und Kinder standen in der Regel für sie im Vordergrund. Mehrheitlich waren die Befragten beruflich stark engagiert und erfolgreich, manche sind es immer noch, oder sie engagieren sich ehrenamtlich. Sie haben Krisen, Umbrüche und Neuanfänge in ihrem Leben gemeistert. Sie benennen ausdrücklich eigene Stärken. Warum also glauben sie dennoch, ihnen fehle Sicherheit und Selbstgewissheit? Es scheint ein Widerspruch zwischen dem unsicheren Selbstgefühl, dem Eindruck eines Defizits an Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit und den tatsächlich in der Regel doch so stark wirkenden Frauen und ihren ebenfalls starken Müttern zu bestehen. Letztere waren ebenfalls pflichtbewusst und diszipliniert und haben ein hohes Maß an Verantwortung getragen. Konnten sie trotzdem die Aufgabe nicht übernehmen, ihre Töchter »ins Leben zu führen«? Sie haben viel geleistet, indem sie in den Kriegs- und Nachkriegsjahren das Überleben der Familien sicherten und Doppel- sowie Mehrfachbelastungen in Beruf und Familie standhielten. Haben ihre Stärken, zu denen Bescheidenheit, Fleiß, Sparsamkeit und »Tapferkeit« gehörten, und die die Töchter auch fast immer besonders betonen, die imaginierten (!) väterlichen Eigenschaften – welche auch immer es im einzelnen waren – nicht ersetzen können?

Eine Betroffene schrieb, frühe Kindheitserinnerungen gebe es zwar nur spärlich, aber eine der wenigen bestehe darin, dass ihr Vater am Klavier sitze und ein Kinderlied spiele, das sie nachsinge. Eine andere interpretierte ein Foto, auf dem sie zu ihrem Vater aufschaut, so, dass sie noch heute in seiner Haltung »Wärme und Schutz« fühle, sie stelle sich vor, sie gehe an seiner Hand (siehe Foto unten). Wieder eine anderemeinte, nicht so sehr als Kind, sondern erst später als Erwachsene, in einer Lebenskrise, habe sie um ihren Vater geweint: »Ich hatte Sehnsucht nach ihm und dachte: ›Hätte ich meinen Vater, er könnte mich in den Arm nehmen und mir sicher helfen‹. Noch heute sehne ich mich nach ihm und trauere um ihn.« Trauer und darüber hinaus eine grundlegende Traurigkeit scheinen wie Schatten auf dem Leben der vaterlosen Töchter zu liegen. Nicht nur die Trauer um seinen Verlust, sondern eine nur schwer zu bestimmende Traurigkeit hat zumindest eine prominente Tochter einer vaterlosen Tochter aus der Kriegsgeneration bereits einfühlsam beschrieben: Alexandra Senfft (Jahrgang 1961), die Enkelin Hanns Ludins, der 1941 bis April 1945 Gesandter und Bevollmächtigter Hitlers in der Slowakei gewesen und 1947 wegen Beteiligung an der Deportation slowakischer Juden als Kriegsverbrecher hingerichtet worden war. Alexandra Senffts Wahrnehmung ihrer vaterlos aufgewachsenen Mutter in ihrem Buch »Schweigen tut weh« aus dem Jahre 2007 bezieht sich ausdrücklich auf den soeben angedeuteten Widerspruch: Ihre Mutter habe zwar selbständig und selbstsicher gewirkt, sei es aber nicht wirklich gewesen; sie hatte, so Senfft wörtlich, »lebhafte Augen, hinter denen sich eine tiefe Sehnsucht und Traurigkeit« verbargen.23

Wann wurde und wird, so wäre zu fragen, bei den befragten vaterlosen Töchtern die Sehnsucht nach einem Vater, der sie »im Arm hält«, lebendig? Zu vermuten ist, dass der Eindruck fehlender Väterlichkeit in ihrem Leben sich immer dann verstärkte, wenn sie in Auf-, Umbruch- und Entscheidungssituationen standen oder Krisen durchlebten. Im Rückblick sehen die Befragten das zumindest mehrheitlich so, oft gepaart mit der Sehnsucht, wenigstens etwas von der vermissten väterlichen Nähe und Stärke beim Lesen seiner Briefe oder durch den Besuch seines Grabes stillen zu können.24

1.4 Viele Fragen

Wären die Töchter enttäuscht gewesen, wenn ihre Väter zurückgekehrt wären und nicht dem Bild entsprochen hätten, das sie sich von ihnen gemacht hatten? Einen Vater, an dem sie ihre Idealvorstellungen von Väterlichkeit hätten überprüfen können, gab es in ihrem Leben ja nicht. Gab es Menschen, die ihnen Halt gaben und Umgebungen, die ihnen Orientierungen ermöglichten? Fragen, die auch geschlechtergeschichtlich interessant sein dürften, sind etwa folgende: Haben die Mütter ihre Töchter gefördert? Haben vaterlose Töchter früh geheiratet? Wie stabil waren ihre Partnerschaften? Wie deuten diejenigen, deren Ehemänner ebenfalls vaterlos aufgewachsen waren, die Schwierigkeiten, die sie in ihren Partnerschaften hatten? Wie gestalteten sich die Beziehungen vaterloser Töchter zu ihren Söhnen? Welche Mutter-Tochter-Erfahrungen wollten sie ihren Töchtern ersparen?

Um eine möglichst facettenreiche Grundlage für fundierte Aussagen zu schaffen, wurden bei der Auswertung der Fragebogenantworten unterschiedliche Sichtweisen beispielsweise von älteren oder jüngeren Schwestern berücksichtigt. Der Rolle von Großeltern und von Stief- bzw. »Ersatz«vätern für die Befragten galt ebenso das Augenmerk wie zusätzlich zur Vaterlosigkeit hinzukommenden belastenden Kindheitserfahrungen, wie beispielsweise Flucht und Vertreibung oder Evakuierung.25 Angesichts des Ausmaßes materieller wie ideeller Verluste und der tiefen Verunsicherungen in den Kriegs- und Nachkriegsjahren war Selbstgewissheit bei den unter diesen Umständen Aufgewachsenen wohl insgesamt gesehen eher nicht zu erwarten. Eine objektive Gewichtung, welche Erfahrungen von Bedrohung, Angst, Entwurzelung und Verlassenheit die schwerwiegendsten waren, ist jedoch wohl kaum oder allenfalls im Einzelfall möglich.

Vielversprechend erschien es, unter vergleichender Perspektive auf die weiblichen und die männlichen Erinnerungen und Wahrnehmungen zu blicken: Haben vaterlose Töchter andere Erinnerungen an die Kriegs- und Nachkriegszeit als vaterlos aufgewachsene Söhne? Wenn den Jungen männliche Vorbilder fehlten, was fehlte dann den Mädchen? Nähe und Zärtlichkeit, die vielleicht ein positives Männerbild in Bezug auf Partnerschaft hätte bedeuten können? Waren Mädchen nach 1945 ähnlich wie die Jungen in altershomogenen Gruppen organisiert, in denen letztere manch »Männliches« kompensatorisch und spielerisch einüben konnten? Wie unterschieden sich damals überhaupt die gesellschaftlichen Bedingungen des Aufwachsens für vaterlose Mädchen und Jungen? Dementsprechend sind die Frauen darauf angesprochen worden, ob es aus ihrer Sicht deutliche Unterschiede zwischen Erfahrungen und Belastungen vaterloser Söhne und vaterloser Töchter gegeben habe.

 

Besondere Aufmerksamkeit galt nicht zuletzt den Müttern. Es geht ja, wie zum Beispiel Hartmut Radebold betont hat, nicht nur um »abwesende Väter«, sondern auch um »anwesende Mütter«; letztere sind sowohl in der therapeutischen Praxis als auch in der psychoanalytischen Forschung im Zusammenhang mit spezifischen Problemen vaterloser Kriegskinder bislang allerdings noch nicht hinreichend berücksichtigt worden. Die Mütter hätten oft lebenslang »Hilfe und Unterstützung als Ausdruck notwendiger Wiedergutmachung« für ihren zweifellos intensiven und aufopfernden Einsatz für ihre Kinder »eingefordert.« Eine »konfliktorientierte aggressive Auseinandersetzung mit den Müttern« sei ja nicht möglich gewesen: »Wie hätte man sich als Kind mit der einzig noch vorhandenen Bezugsperson auseinandersetzen können, die Schutz, Versorgung (und möglicherweise auch Geborgenheit) versprach?«26 In unserer »Töchter-Studie« werden zudem Fragen danach aufgegriffen, welche Konflikte es unter den weiblichen Familienmitgliedern in den überwiegend aus Frauen bestehenden Haushalten gab, wie die Töchter heute über ihre Mütter sprechen und ob sie ihre Mütter tendenziell anders sehen als dies die Männer in dem »Söhne-Buch« getan haben.

Aus zeithistorischer Sicht ist Vorsicht gegenüber der häufig vertretenen Annahme angebracht, vaterlose Söhne hätten es während ihres Aufwachsens in der deutschen Nachkriegsgesellschaft schwerer gehabt als vaterlose Töchter.27 Auch die These, dass in der Nachkriegsgesellschaft »in den Familien Jungen eine stärkere Betroffenheit durch den Verlust des Vaters zugestanden« worden sei als Mädchen, wäre sicherlich noch einmal genauer zu belegen.28 Auf jeden Fall wurden vaterlosen Töchtern zeitnah in Studien der 50er Jahre schlechtere Entwicklungschancen prognostiziert als vaterlosen Söhnen: Bereits die Mütter seien ja überfordert, und die Töchter könnten deshalb wohl kein positives Mutterbild entwickeln …

Aus den vaterlosen Söhnen sind vielfach erfolgreiche Männer geworden. Dies belegen die Berufsbiografien von Beteiligten des Buches »Söhne ohne Väter« ebenso wie die Interviews mit Wissenschaftlern aus der Altersgruppe der Kriegskinder.29 Gilt das auch für vaterlose Töchter? Die Frage müsste jedoch wohl modifiziert werden: Heißt »erfolgreich sein« für Frauen dieser Generation nicht möglicherweise etwas anderes als für Männer? Hatten die Frauen andere Träume und andere Selbstbilder als Männer? Wollten etwa viele Frauen aus verständlichen Gründen – angesichts der Erfahrungen ihrer Mütter und unter dem Einfluss verbreiteter Familienleitbilder – in erster Linie ihren eigenen Kindern stabile Verhältnisse und Rahmenbedingungen bieten: »heile« Familien, ein Ideal, für das sie auf beruflichen Erfolg und Karriere verzichteten?

Vaterlose Töchter zu Wort kommen zu lassen bedeutet dementsprechend, empathisch und zugleich kritisch den Blick auf bislang unzureichend berücksichtigte Lebensgeschichten einer großen Gruppe von Frauen zu richten, deren subjektive Erfahrungen Teil der bundesdeutschen Geschichte sind, die aber in verbreiteten Geschichts-Darstellungen kaum vorkommen, zumindest nicht in solchen, in denen es in erster Linie um strukturelle Veränderungen und Prozesse geht. Der Erfahrungshorizont und rückblickend bilanzierende Wahrnehmungen der befragten Frauen könnten auf diese Weise verbreitete Geschichtsbilder um so manche Facette bereichern, sie vielleicht sogar korrigieren sowie Fragen zu beantworten helfen, auf die es bislang kaum Antworten gab. Haben vaterlose Töchter von positiven Entwicklungen, etwa auf dem Bildungssektor, profitiert? Hat die Zweite Frauenbewegung für sie eine Rolle gespielt? Wie blicken sie auf ihr Leben als Beobachterinnen und/oder Teilhaberinnen gesellschaftlicher (Geschlechter-)Umbrüche zurück?

 

Eine Anmerkung noch zu den Kapiteleinteilungen und möglichen Lesarten des Buches: Manchen Fragen war unter verschiedenen Aspekten nachzugehen. Deshalb findet sich im Text hin und wieder in einem Kapitel ein Verweis auf ein anderes. Dass – wie bereits erwähnt – nicht nur die Väter, sondern auch die Mütter mehrfach im Mittelpunkt der Untersuchung stehen, liegt auf der Hand: Ihre gesellschaftliche Situation, ihre Überforderung, ihre Rolle während des Heranwachsens der Töchter oder zum Beispiel die konfliktreichen Beziehungen zwischen Müttern und Töchtern werden in verschiedenen Zusammenhängen thematisiert. Zum Beispiel lassen sich auch einige Abschnitte, in denen es um Abschied und Trauer geht, im Zusammenhang lesen. Einige Leserinnen und Leser werden sich besonders für die Geschwisterkonstellationen interessieren und finden Überlegungen dazu nicht nur in einem, sondern in mehreren Kapiteln. Andere sind möglicherweise besonders auf die Abschnitte gespannt, in denen sich Reflexionen über die Weitergabe von Erfahrungen finden; auch sie können in dem Buch »blättern«. D. h., Leserinnen und Leser können es unterschiedlichen Lektüren unterziehen; mit anderen Worten: Das Buch ist ausschnitthaft oder mehrfach lesbar.

2 DER FEHLENDE VATER ALS LEBENSTHEMA

2.1 Erinnerungen an den Vater

Vaterlose Töchter haben oft nur wenige »Herzensobjekte« aufbewahren können, die sie an ihre Väter erinnern; die Befragten legten, wie bereits erwähnt, ihren Antworten einige ihrer spärlichen »materiellen« Erinnerungen an ihre Väter bei: Fotos, Briefe und andere persönliche Dokumente. Die Fotografien zeigen junge Männer in Uniform (siehe Foto unten), auf Heimaturlaub, zuweilen Hochzeitsbilder, auf denen Vater und Mutter abgebildet sind, nicht selten der Vater auch hier wieder in Uniform. Die Erinnerungen vieler Frauen stützen sich (abgesehen von Fotos) auf Briefe, die der Vater aus dem Krieg an seine Ehefrau, seltener wohl ausdrücklich an seine Tochter geschrieben hat. Einige Frauen haben Gegenstände aufbewahrt, die sie mit ihrem Vater verbinden, Bücher beispielsweise, einen Löffel, einen Knopf oder ein Taschentuch, das ihm gehörte. Die Objekte haben für die meisten ihren ideellen Wert über die Jahre in keiner Weise eingebüßt, sie scheinen für manche vielmehr im Laufe der Zeit immer wertvoller geworden zu sein.

Einige Frauen empfanden es als sehr schmerzlich, überhaupt nichts in Händen halten zu können, was von ihrem Vater stammte oder ganz unmittelbar dazu beitragen konnte, sich ihn zu vergegenwärtigen. Sie hätten keine »Erinnerungskiste« gestalten können, wie sie eine Reihe von Kriegskindern des Zweiten Weltkriegs im Jahre 2005 für eine eindrucksvolle Wanderausstellung zusammengestellt hat. Die an diesem Erinnerungsprojekt Beteiligten erzählten eine Geschichte zu oft wenigen, in Munitionskisten arrangierten Relikten, die von ihrer Kindheit zeugen und bei denen auch der Verlust des Vaters eine Rolle spielt. Sie konnten ihren Erinnerungen in einer Weise »Raum geben«, wie es den Frauen, die ausschließlich über Erzählungen etwas von ihrem Vater wissen, nicht möglich ist.30

Nicht selten erwies sich die gedankliche Reise in die Vergangenheit auf der Suche nach Spuren des Vaters »wie eine Fahrt durch Nebelbänke, während der man nur schemenhaft auftauchende Bilder wahrnimmt.«31 Innere Bilder hatten bei Weitem eine größere Bedeutung als die wenigen handfesten materiellen Zeugnisse, die sich erhalten haben. Ein letztes Weihnachtsfest mit Vater und Mutter und manchmal auch mit Geschwistern prägte sich eben nicht nur über Fotos, auf denen die Familie beispielsweise an einer Krippe oder unterm Lichterbaum abgebildet ist, sondern auch als Sehnsuchts- und Wunschbild bei den Vaterlosen tief ein. In Erinnerungen der vaterlosen Töchter an gemeinsame Weihnachtsfeste mit beiden Elternteilen und teilweise mit Geschwistern, noch vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs oder in den Kriegsjahren, erschien die »heile«, fast schon als »heilig« stilisierte Familie ausgesprochen zentral.32 In diesem inneren Bild verdichten sich Vorstellungen von Frieden und Geborgenheit in einem von Nähe und Wärme bestimmten familiären Miteinander, das die Vaterlosen in ihrer weiteren Kindheit in einer umfassenden Weise schmerzlich vermisst haben.

Diese subjektiven Wahrnehmungen decken sich weitgehend mit dem Bild einer heilen Familienwelt als Schutzraum der Geborgenheit, das auch in Kinderbüchern aus der Kriegszeit gezeichnet wird, beispielsweise in einem »Weihnachtsliederbuch für die deutsche Familie«, das gegen Kriegsende erschien und das der Herausgeber »den Kindern seiner gefallenen Kameraden« widmete. Kinder werden hier in Gruppen mit ihrer Mutter oder etwa auch mit einer großen Schwester gezeigt, die sich mütterlich ihren kleinen Geschwistern zuwendet.33 In Liedern wie »Hohe Nacht der klaren Sterne«, einem der bekanntesten nationalsozialistischen Weihnachtslieder, wurde das Bild von Mutter und Kind als Kern der Familie ebenso beschworen wie in einer »Stille-Nacht«-Variante aus dem Zweiten Weltkrieg, der zufolge Frauen und Kinder von den Männern »im Felde« beschützt werden.34 Das war zweifellos Propaganda, die mit dem länger als erwartet andauernden und die Zivilbevölkerung allmählich immer stärker belastenden Krieg als hohl erkannt worden sein dürfte, ohne dass dadurch die Sehnsucht nach einer friedvollen Familienweihnacht gemindert worden wäre.

Das Weihnachtsfest wie auch andere religiöse Feiertage haben, wie die damals deutlich steigende Teilnahme an kirchlichen Feiern zeigt, während und vor allem gegen Ende des Krieges für viele Menschen erheblich an Bedeutung gewonnen. Zumindest hatte die Ideologie des Nationalsozialismus immer weniger Antworten auf die existenziellen Bedrohungen der Menschen zu bieten, wie nicht nur aus Lebenserinnerungen, sondern auch aus parteiamtlichen Beobachtungen, u. a. aus Lageberichten der allgegenwärtigen Geheimen Staatspolizei, hervorgeht.35 Der innige kindliche Wunsch jedenfalls, der Vater möge doch zu Weihnachten wiederkommen, findet auf der Postkarte eines siebenjährigen Mädchens zum Jahrswechsel 1941 /42 seinen Ausdruck, auf der es heißt: »Lieber Papi, viele tausend Weihnachtsgrüße […]. Ich habe die Karte extra für Dich gebastelt. Es war die schönste in der ganzen Klasse. Wir haben lange auf Deinen Besuch gewartet. Wann kommst Du wieder zu uns?«36

Wenn vaterlos aufgewachsene Töchter heute zurückblicken, beschreiben sie also fast ausnahmslos ihre Sehnsucht nach der soeben skizzierten behüteten Welt, die natürlich nicht nur mit Weihnachten verknüpft ist. Zu ihrer Vorstellung des Aufwachsens in Geborgenheit gehörte und gehört bis heute vor allem ein seiner Tochter zärtlich zugewandter Vater: Er hob sie aus dem Kinderwagen, sie saß bei ihm auf dem Schoß, er ließ sie auf seinen Knien reiten oder in sein Butterbrot beißen, er trug sie auf seinen Schultern oder hielt sie im Arm. Während eines Interviews etwa breiteten drei Schwestern Fotographien aus, auf denen sie mit ihrem Vater zu sehen waren – und hatten genau solche Motive herausgesucht.

Den Erinnerungen vieler Töchter zufolge war der Vater immer fröhlich und unterhaltsam; er konnte singen oder Klavier spielen und wurde – so legt die große Zahl ähnlicher Äußerungen nahe – als außerordentlich gefühlvoller Mann erinnert. Im Wortlaut heißt es zum Beispiel in einer Fragebogenantwort:

 

»Eingezogen wurde mein Vater kurz vor meiner Einschulung. Jährlich kam er einmal auf Urlaub. In dieser Zeit hat er viel mit mir unternommen. Er war ein fröhlicher Mensch, sang fast immer bei seiner Arbeit. Hauptsächlich Hans-Albers-Lieder. Bis zum heutigen Tag habe ich sehr wehmütige Gefühle, wenn ich diese Lieder oder nur die Melodien höre, lasse sogar Tränen zu.«

 

Andere Frauen teilten mit, ihr Vater habe sie zur Schule gebracht, bei seinem letzten Abschied versprochen, ihr das Schwimmen beizubringen, sie auf dem Motorrad mitgenommen, sie auf schwierigen und beängstigenden Wegen, beispielsweise ins Krankenhaus, begleitet.

 

»Knapp acht Jahre war ich, als Vater gefallen ist. Da Vater als Landesbauernführer viel unterwegs war, bevor er Soldat wurde, hatte er wenig Zeit für uns. Aber wenn er da war, war er ganz Vater. Bei Glatteis nahm er mich auf seine Schultern und brachte mich zur Schule (gut vier Kilometer im Nachbarort); bei seinen Besorgungen und Besuchen nahm er mich auf dem Motorrad mit.«

 

Auch an folgendem Ausschnitt einer Antwort lässt sich die Intensität des Wunsches nach einem solchen liebevollen Vater ablesen:

 

»Ich habe keinerlei Erinnerungen. Aber es wurde mir erzählt (ich weiß nicht wann), dass er bei meiner Geburt gesagt habe: ›Ich höre das schönste Mädchen aus Westfalen‹. Das hat sehr positive Gefühle zu meinem Vater bewirkt, und ich erinnere das Bild, dass ich im Bett liege und das Gefühl habe, dass mein Vater von oben auf mich schaut und für mich sorgt.«

 

Bilder herzlicher Zugewandtheit bestimmen also offenbar die Erinnerungen vieler vaterloser Töchter, die ihren Vater als Kind zwar nur kurz, aber doch immerhin kennengelernt hatten. Besonders eine Erinnerung kehrt in den Aufzeichnungen der Frauen immer wieder und scheint mehr als nur ein Hinweis auf eine bestimmte Situation zu sein – es handelt sich fast schon um einen Erinnerungs- oder Sehnsuchts-Topos: Der Vater habe die Tochter auf dem Arm oder an der Hand gehalten und ihr dabei »die Sterne gezeigt«. Im Wortlaut:

 

»Ich war fünf Jahre alt, als ich erfuhr, dass mein Vater an den Verletzungen des Russlandfeldzuges gestorben war. […] Ein Bild habe ich immer noch vor mir, als er mich auf dem Arm hielt und mir den Nachthimmel mit Mond und Sternen zeigte.«

 

 

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Briefe der Väter und Korrespondenzen zwischen den Eltern aus den Kriegsjahren gelangten nicht selten erst spät in den Besitz der Töchter, auf Umwegen über Verwandte oder nach dem Tod der Mütter. Eine Frau, die ihren Vater im Alter von einem Jahr das letzte Mal gesehen hatte und sich somit nicht bewusst an ihn erinnern konnte, schreibt, es habe sie »sehr getröstet«, als sie von einer Tante ein Foto erhielt, das ihr Vater »im Feld immer bei sich getragen hatte«, und etwas später einen Brief an die Mutter, in dem er seine Bewunderung darüber ausdrückte, dass »sein Kind« für ihn betete. Eine andere vaterlos Aufgewachsene, die geboren wurde, als ihr Vater bereits in Gefangenschaft war, hat mittlerweile die Briefe ihrer Eltern aus den Jahren 1942 /43 transkribiert, durch einen eigenen fiktiven Brief an ihren Vater ergänzt und – mit einer Widmung an ihren Vater – veröffentlicht.40 Darin heißt es:

»Ich habe mich auf den Weg gemacht, Dich als meinen Vater zu suchen, den ich persönlich nie kennengelernt habe, und habe angefangen, den Spuren Deines viel zu kurzen Lebens nachzugehen. Du bist mir inzwischen vertraut geworden, und ich habe Dich lieben gelernt.«

Letzteres konnten auch zwei Schwestern bestätigen, die sich anhand der umfangreichen Briefsammlung ihres Vaters eine Vorstellung davon verschaffen konnten, wie er gefühlt und gedacht haben mochte. Allerdings stellte die Möglichkeit, auf diese Weise den Spuren des nicht oder kaum gekannten Vaters zu folgen, eher eine Ausnahme dar.