Der Autor
Hilmar Pickartz, Jahrgang 1947, leitet zwei eigene Rechtsanwaltskanzleien in Berlin und Augsburg. Er ist spezialisiert auf Schrott- und Problem-Immobilien und hat in über 30 Jahren schon Hunderte von schlecht beratenen Neueigentümern vor dem Ruin bewahrt.
Originalausgabe 05/2014
Copyright © 2014 by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Redaktion: Johann Lankes
Umschlaggestaltung:
Hauptmann und Kompanie Werbeagentur, Zürich
Satz: Schaber Datentechnik, Wels
ISBN 978-3-641-13418-1
www.heyne.de
Inhalt
Vorwort
Hilflos im Netz der Fallensteller – legal, illegal, ganz egal
Die Besonderheiten der Immo-Falle
Jeder will einmal zu den Gewinnern gehören
Die Sympathiefalle und die Autoritätsfalle
Cold Call – der unerwartete Anruf
Eine facettenreiche Geschichte
Die Geben-und-Nehmen-Falle
Angebot und Annahme – so funktioniert ein Kaufvertrag
Kaufvertrag einer Eigentumswohnung
Die Rolle des Notars
Haben Sie Geldsorgen?
Das schnelle Geld
Die falsche Adresse
Ein Selbstbedienungsladen für Bankberater
Auf solche Freunde soll man nicht bauen
Viel nützt auch viel – nicht kleckern, sondern klotzen
Wenn Kollegen als Vermittler auftreten
Am Ende ist nichts geblieben
Betrüger suchen leichte Beute
Alleinstehende sind bevorzugte Opfer
Das machen alle Deutschen
In der Falle – die rechtliche Situation eines Immobilienkäufers, der hereingelegt wurde
Mündige Bürger brauchen Vertragsfreiheit
Die Rechte und Pflichten eines Immobilienkäufers
Auch Vater Staat hält die Hand auf
Die Banken wollen nur Ihr Bestes
Straf- und zivilrechtliche Aspekte des Immobilienbetrugs
Die zivilrechtlichen Aspekte der Immo-Falle
Positive Urteile für geschädigte Schrott-Immobilienkäufer
Resignieren Sie nicht – lassen Sie sich helfen
Gerettet – wie man mit einem blauen Auge davonkommt
Die Immo-Falle lauert auf jeden
Umdenken der Banken
Auch ein Schlussstrich hat seinen Preis
Man hätte es wissen können – mit dem Ruhestand ändert sich vieles
Hoffen, dass man es doch noch packt
Der doppelte Schicksalsschlag
Ein knallharter Betrug
Wenn die Bank auf Zeit spielt
Eine ganz knappe Lösung
Ohne Anwalt geht es nicht
Was geht, wenn nichts mehr geht
Das Kartell aus Maklern, Bankern und Notaren
Warum es so schwer ist, den Vertrieben das Handwerk zu legen
Nachwort
Danksagung
Anhang
Die wichtigsten Experten-Tipps in Kürze
Gesetzliche Pfändungstabelle
Vorwort
Mit der Immo-Falle wird eine wertvolle Beute gejagt – nämlich Sie, lieber Leser. Wie jede Falle ist auch die Immo-Falle für die Gejagten nur schwer zu erkennen. Umso verführerischer ist der am häufigsten ausgelegte Köder, die Schrott-Immobilie.
Mit »Schrott-Immobilie« bezeichnet man in der Umgangssprache nicht oder schlecht sanierte Immobilienobjekte, für deren Renovierung jeder Neueigentümer in der Regel mit erheblichen Zusatzkosten rechnen muss. Aber auch gut sanierte Immobilien zählen zu den »Schrott-Immos«, wenn ihr Kaufpreis deutlich überteuert ist und sie weder beim Weiterverkauf noch beim Mietertrag der investierten Summe entsprechen.
Was nun seit Beginn der 1990er-Jahre mit diesen Schrott-Immobilien passiert, ist ein sich immer weiter fortsetzender Skandal, bei dem ein Happy End noch nicht zu erkennen ist. Die für uns Bürger verantwortlichen Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft, Finanzen und Justiz verschließen ihre Augen oder sehen tatenlos zu, wie ehrliche Menschen in den Ruin getrieben werden. Inzwischen sind rund drei Millionen Bürger in Deutschland Opfer oder unmittelbar Betroffene dieser betrügerischen Machenschaften, das sind drei Mal so viele Menschen, wie im Saarland leben, oder doppelt so viele, wie Mecklenburg-Vorpommern Einwohner hat.
Bei der Immo-Falle treffen wir auf eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Die Besserverdiener werden hauptsächlich von Banken mit dem Versprechen von steuerlichen Vorteilen oft mit faulen Immo-Fonds über den Tisch gezogen. Für die Normalverdiener, Rentner und »kleinen Leute« schnappt die Immo-Falle mit dem Angebot von »Schrott-Immobilien« zu.
Gäbe es nicht die Presse und eine wirklich nur ganz kleine Gruppe von engagierten Rechtsanwälten, die immer wieder mahnend den Finger heben und auf spektakuläre Einzelfälle hinweisen, würde die Öffentlichkeit geräuschlos zur Tagesordnung übergehen und Millionen Schicksale vergessen. Deutschland ist eben wegen mangelhafter Verbraucherschutzgesetze und überwiegend verbraucherfeindlicher Rechtsprechung des XI. BGH-Senats ein Paradies für Kapitalanlagebetrüger und deren gewissenlose Helfer, die sich leider auch in den Reihen der Makler, Banken und Notare finden.
Dieses Buch ist ein Hilferuf an die breite Öffentlichkeit. Es soll das Gewissen der Entscheidungsträger wachrütteln und ein radikales Umdenken einleiten, um die Fortsetzung der üblen Machenschaften zukünftig zu unterbinden und allen, die bereits in der wirtschaftlichen Schuldenfalle sitzen, auf anständige Weise weiterzuhelfen. Dies kann nur dadurch erreicht werden, dass die Banken und Inkassofirmen ihren Kunden Lösungen anbieten, die ihnen den tiefen Fall in die Insolvenz oder Sozialhilfe ersparen.
Doch Mitarbeiter von Banken und Inkassofirmen, die Herz und Mut beweisen wollen, fürchten sich vor juristischen Konsequenzen, weil die Gefahr besteht, dass ihnen die Anteilseigner ihrer Arbeitgeber vorwerfen, angeblich werthaltige Sicherheiten aus der Hand zu geben. Es kann nicht das Ziel unserer sozialen Marktwirtschaft sein, Menschen, die bereits wirtschaftlich und oft auch seelisch und gesundheitlich am Boden liegen, weiterhin zuzusetzen, um noch das letzte Quäntchen an Erspartem aus ihnen herauszupressen.
Hilflos im Netz der Fallensteller – legal, illegal, ganz egal
Wir alle haben uns inzwischen daran gewöhnt, dass Unternehmen und Händler, die etwas verkaufen wollen, in den meisten Fällen ihren Kunden auch eine Finanzierung anbieten. Ob es sich nun um Autos, Unterhaltungselektronik, Möbel oder Küchen handelt, immer ist nach dem Motto »Kaufe jetzt, zahle später« eine Finanzierung auf Kredit ein Teil des Produktangebots.
Der größte Teil aller Autokäufe wird heute finanziert, von der Bank des Autoherstellers, von speziellen Kreditbanken oder auch von der Hausbank des Kunden. Elektromärkte werben damit, Weihnachtsgeschenke bequem schon ab November zu kaufen und sie mit kleinen Raten im Laufe des kommenden Jahres zu bezahlen, manchmal sogar mit einer sogenannten Null-Prozent-Finanzierung. Auch der Kauf einer neuen Küche soll per Ratenzahlung ebenso attraktiv und leicht gemacht werden wie der Erwerb einer neuen Wohnzimmereinrichtung.
Dass wir uns so sehr an das Kaufen auf Kredit gewöhnt haben, macht sich auch das Kartell aus Maklern, Bankern und Notaren zunutze, die Schrott-Immobilien verkaufen. Dabei unterscheidet sich der Kauf einer Schrott-Immobilie ganz erheblich von allen anderen Finanzierungsgeschäften. Das erkennt man schon am Ablauf.
Wenn jemand ein Auto, einen Fernseher oder eine neue Küche kaufen möchte, dann geht die Initiative in so gut wie allen Fällen vom Käufer aus. Bei Fernsehern und Küchen ist das kaum anders. Der Kunde informiert sich, lässt sich beraten, entscheidet sich für den Kauf und fragt dann, falls er eine Ratenzahlung wünscht, nach den Finanzierungsmöglichkeiten.
Der jeweilige Händler wird prüfen, wie solvent der Kunde ist, und das Risiko abschätzen, das er mit dem Kauf auf Raten eingeht. Dann wird er versuchen, ein Finanzierungsmodell zu ermitteln, das es ihm und dem Kunden ermöglicht, das Geschäft zum Abschluss zu bringen.
Aber solche Modelle haben in der Praxis immer ihre Grenzen. Wenn jemand, der 1200 Euro netto im Monat verdient, einen Fernseher für 600 Euro kaufen möchte und in der Lage ist, 200 Euro anzuzahlen, dann sehen die meisten Händler keine Probleme, die übrigen 400 Euro auf zehn Monatsraten à 40 Euro zu verteilen.
Will dieselbe Person jedoch eine Luxuslimousine für 120000 Euro kaufen und ebenfalls dafür nur 200 Euro anzahlen und später Monatsraten in Höhe von 40 Euro bezahlen, dann wird der Händler mit Sicherheit ablehnen und dem Kunden einen günstigen Gebrauchtwagen anbieten, der besser zu dessen finanziellen Möglichkeiten passt. Beim Verkauf von Schrott-Immobilien ist das ganz anders.
Die Besonderheiten der Immo-Falle
Dass die Immo-Falle nach eigenen Regeln funktioniert, können wir deutlich daran erkennen, wenn wir den Kauf eines Gebrauchtwagens als Beispiel nehmen. Die meisten Leute, die sich ein gebrauchtes Auto kaufen wollen, haben ganz bestimmte Vorstellungen von der Automarke und von der Typenklasse und was der Wagen ungefähr kosten darf.
Sie gehen also zu einem Autohändler, der Ihnen einen Gebrauchtwagen anbietet, dessen Preis doppelt so hoch ist wie der Neuwagenpreis. Wahrscheinlich werden Sie den Händler für verrückt erklären und sofort wieder den Verkaufsraum verlassen. Nun macht Ihnen der Autohändler jedoch ein tolles Angebot.
Er erklärt sich bereit, den Wagen zehn Jahre lang zu finanzieren. Er sagt, in zehn Jahren könnten Sie den Wagen als sogenannten Youngtimer wieder verkaufen und den Kredit zurückzahlen. Außerdem versucht er Sie auch glauben zu machen, dass der Preis, den Sie für dieses Modell dann erzielen, höher sein wird als der doppelte Neuwagenpreis heute. Halten Sie das für wahr? Wahrscheinlich nicht.
Kunden, die in die Immo-Falle gehen, sind jedoch bereit, sich auf solche Versprechen einzulassen. Das liegt daran, dass die Immo-Falle eben ganz anders funktioniert als jedes normale Verkaufsgespräch. Denn Schrott-Immobilienkäufer haben zunächst gar nicht die Absicht, eine vermietete Wohnung zu kaufen, sondern ganz andere Interessen. Auch von Immobilienpreisen haben sie in der Regel keine oder nur eine höchst ungenaue Vorstellung, weil es für sie auch bis dahin keine Veranlassung gab, sich darüber zu informieren.
Der Verkäufer sucht den Kunden und nicht umgekehrt
Die Immo-Falle funktioniert immer so, dass die Verkäufer oder Vermittler nach Kunden suchen und nicht umgekehrt. Sie suchen aber nicht einfach nur irgendwelche Kunden, sondern solche, die sich betrügen lassen, solche, bei denen sich der Betrug lohnt, oder solche, die sich in schwierigen Situationen befinden und deshalb auch bereit sind, nach dem letzten Strohhalm zu greifen.
Speziell diese Kunden finden sie in der Regel über Anzeigen oder Internetseiten, die finanzielle Hilfe versprechen und denen nicht zu entnehmen ist, dass es sich in Wahrheit um den Verkauf einer Schrott-Immobilie handelt.
Kein Vermittler oder Verkäufer einer Schrott-Immobilie wird seinem potenziellen Kunden von Anfang an sagen, worum es ihm wirklich geht. Stattdessen tarnt er sich als hilfsbereiter Fachmann, Berater oder selbstloser Samariter, der anderen Menschen in schwierigen Situationen beistehen will. Er will ihnen helfen, Steuern zu sparen oder Schulden loszuwerden, die ihnen über den Kopf gewachsen sind.
Einerseits nutzt der Schrott-Immobilienverkäufer die Ängste der Menschen aus, andererseits schürt er ihre Gier. Wer zu viele Schulden hat, hat auch Existenzängste und fürchtet, sein Leben nicht mehr in den Griff zu bekommen. Jede Hilfe wird dankbar angenommen. Wer Ersparnisse oder ein regelmäßiges Einkommen hat, fürchtet immer höhere Steuern und den Wertverlust seines Ersparten durch Inflation oder Wirtschaftskrisen. Gleichzeitig wird neben der Angst auch die Gier geschürt, indem behauptet wird, man könne ohne Arbeit und ohne Risiko auf legale Weise nebenher etwas dazuverdienen.
Sobald sich der betrügerische Verkäufer an seinen Kunden angeschlichen hat, wird er ihn in der nächsten Phase ausspionieren, um festzustellen, wie viel auf welchem Wege zu holen ist. Nach dem Anschleichen und dem Ausspionieren kommt der dritte entscheidende Schritt, das Abzocken. Angst und Gier haben den Kunden blind gemacht, und jetzt wird Druck ausgeübt. Das Opfer muss sich plötzlich ganz schnell entscheiden, schnell handeln und einen Vertrag unterschreiben.
Die meisten Menschen können unter Druck nicht mehr klar denken, sondern reagieren nur noch automatisch. Und genau das ist im Sinne eines betrügerischen Verkäufers. Der letzte Schritt besteht dann darin, dass der Verkäufer sich absetzt und für seine Kunden nicht mehr zu sprechen ist.
Jeder will einmal zu den Gewinnern gehören
Hendrik M. hat es im Leben nie leicht gehabt. Als er Anfang 30 war, erlitt er eine schwere Schädelverletzung, und die Ärzte prognostizierten ihm ein Leben im Rollstuhl. Doch Hendrik war ein Kämpfertyp und schaffte es zurück in ein ganz normales Leben. Freunde unterstützten ihn und halfen ihm, einen Arbeitsplatz bei einem großen Industrieunternehmen in Berlin zu finden, wo er bis zu seinem Eintritt in den Vorruhestand blieb.
Auch die zwischenzeitlich auftretenden Probleme mit einer Alkoholerkrankung bekam er schon vor Jahrzehnten in den Griff. Dabei half ihm auch die Mitgliedschaft in einer Selbsthilfegruppe für anonyme Alkoholiker. Zu den Prinzipien dieser Gruppe gehörten neben der Solidarität auch Offenheit und Ehrlichkeit gegenüber sich selbst und anderen.
Einer der Männer in dieser Gruppe war Frank. Er sprach Hendrik vor rund acht Jahren an, ob er nicht eine Eigentumswohnung kaufen wolle, die vermietet wird. So könne er sich für den Ruhestand eine zusätzliche Einnahmequelle verschaffen. Hendrik war interessiert und besichtigte gemeinsam mit Frank die Wohnung in Spandau. Die ca. 43 Quadratmeter große Wohnung war frisch renoviert und gut instand gesetzt, auch einen potenziellen Mieter hatte Frank schon an der Hand. Frank würde alles regeln. Die Commerzbank war bereit, die Wohnung, die rund 100000 Euro kosten sollte, zu 100 Prozent zu finanzieren, und die mit dem Kredit verbundenen Kosten in Höhe von monatlich 659 Euro würden aus der Miete gedeckt werden.
Hendrik überlegte nicht lange, sondern ging mit Frank zu einem Notar, wo er die notwendigen Papiere unterschrieb. Wenn man mit jemandem in einer Selbsthilfegruppe zusammenarbeitet, die nach den Prinzipien des Vertrauens, der Ehrlichkeit und Offenheit funktioniert, kann man schließlich auch Geschäfte mit ihm machen. Doch dann verschwand Frank plötzlich aus der Gruppe. Niemand weiß bis heute, wo er abgeblieben ist. Da Hendrik weder etwas von seinem Mieter noch von der Bank hörte, war er trotzdem nicht beunruhigt. Das Wohnungskaufmodell schien zu funktionieren.
Es dauerte relativ lange, bis sich der Mieter bei ihm meldete, weil die Gastherme in der Wohnung defekt war. Als Hendrik zu ihm fuhr, um sich den Schaden anzusehen, stellte er fest, dass es sich gar nicht um die Wohnung handelte, die er damals mit Frank besichtigt hatte. Die Wohnung, die ihm jetzt offensichtlich gehörte, lag zwar in derselben Straße, aber ein paar Hausnummern weiter und war in einem ziemlich schlechten Zustand.
Bei dem Notartermin hatte Hendrik nicht bemerkt, dass er mit der Unterzeichnung des Vertrags nicht die Wohnung im Haus Nummer 48, sondern im Haus Nummer 42 gekauft hatte. Diesen Fehler schrieb er sich selbst zu und sah auch keine Möglichkeit, ihn zu korrigieren.
Ihm war klar, dass er von Frank reingelegt worden war. Doch er akzeptierte es. »Es ist im Leben, wie es ist«, war sein Motto. Deshalb bemühte er sich, das Beste aus der Situation zu machen. Hendrik hatte durchaus Verständnis für die Wünsche seines Mieters, dem es unterm Strich noch schlechter ging als ihm selbst, und setzte ihm die Wohnung, soweit er es konnte, instand.
Ein paar Jahre später meldete sich jemand von einer Immobiliengesellschaft bei Hendrik und bot ihm die Möglichkeit an, in Zukunft auf einfache Weise Steuern zu sparen. Wie die meisten Menschen ärgerte sich Hendrik darüber, dass ihm als einfachem Arbeitnehmer jeden Monat die Steuern vom Lohn abgezogen werden, ohne dass er sich dagegen wehren kann, während Reiche und Prominente mit immer neuen Tricks ihre Steuern mindern. Das wollte er auch. Schließlich hatte er durch die vermietete Wohnung ohnehin schon finanzielle Sorgen. Warum sollten immer nur die anderen ein Stück vom großen Kuchen abbekommen?
Also nahm Hendrik das Beratungsangebot des Anrufers an. Man machte einen Termin im Büro der Immobiliengesellschaft aus. Hendrik erinnert sich noch heute gut daran. Die Räume der Firma lagen im obersten Stockwerk eines Bürohauses und konnten nur mit einem speziellen Fahrstuhl erreicht werden. Zutritt hatte nur, wer vorher die Eingangskontrolle per Video bestanden hatte. Hendrik durfte nach oben fahren. Er gehörte zu den auserwählten Kunden. Dies schmeichelte ihm.
Er war von der teuren Büroausstattung schwer beeindruckt. »Ja, das alles haben wir mit Immobilien verdient, und Sie können das auch.« Die beiden Chefs der Firma erklärten ihm wortreich, wie das Immobiliengeschäft, das sie Hendrik vorschlugen, abgewickelt werden würde und wie hoch die Steuerersparnis für Hendrik sein könnte, wenn er sich richtig entschied. Das meiste von dem, was man ihm erklärte und vorrechnete, verstand er gar nicht. Was zählte, war nur, dass er schnell zusagen würde. Das tat er auch.
Dann fuhr man mit dem Fahrstuhl in die Tiefgarage, wo ihm seine neuen »Geschäftsfreunde« ihre Autos, einen Bentley und einen Hummer, zeigten. Hendrik durfte in einen großen Mercedes steigen und wurde damit umgehend zum Notar gefahren, um den Kaufvertrag für eine Wohnung, die, wie seine andere Wohnung auch, ebenfalls rund 100000 Euro kosten sollte, zu unterschreiben. Dieser Notartermin dauerte, wie sich Hendrik erinnert, nur wenige Minuten. Dann war das Geschäft perfekt.
Im Mercedes ging es zurück zum Büro der Immobilienfirma, die ihm ein Rundum-Sorglos-Paket verkauft hatte. Sie würde in Zukunft alles für ihn regeln, die Finanzierung, die Vermietung der Wohnung und deren Verwaltung. Eigentlich brauchte er nur darauf zu warten, dass die Mieten und die Immobilienpreise steigen, damit er die Wohnung in ein paar Jahren mit Gewinn verkaufen kann.
Als dann nach kurzer Zeit die Immobilienfirma, bei der er die zweite Wohnung gekauft hatte, insolvent wurde, suchte sich Hendrik einen Steuerberater, der sich sämtliche Unterlagen genau durchsah. Das Ergebnis war erschütternd. Der Steuerberater riet ihm, einen in solchen Fällen versierten Anwalt zu nehmen. So kam Hendrik M. zu mir.
Abschließende Beurteilung
Der Fall von Hendrik M. hat sowohl juristische als auch psychologische Komponenten. Beginnen wir mit den juristischen. Jeder Laie wird sofort sagen, dass Hendrik betrogen wurde, als ihm Frank die falsche Wohnung zeigte. Und jeder Laie wird jetzt eine strafrechtliche Verfolgung fordern und Schadenersatz.
Aber lässt sich das auch beweisen? Zeugen gab es ganz offensichtlich nicht, und der Vertrag war bei einem Notar ordentlich beurkundet worden. Die Beweislage ist also schwierig. Außerdem ist Frank verschwunden. Auch die Immobilienfirma, die Hendrik die zweite Wohnung verkauft hat, gibt es nicht mehr.
Betrachten wir also die Ist-Situation. Hendrik ist über 60 Jahre alt, ledig, schwerbeschädigt und im Vorruhestand. Sein monatliches Einkommen liegt bei 1500 Euro. Der Wert der Wohnungen beträgt weniger als die Hälfte dessen, was er damals dafür bezahlt hat. Der Vertrag mit der Commerzbank sah nur eine Verzinsung des Darlehens vor, aber keine Tilgung.
Deutlich spektakulärer als der Vertrag mit der Commerzbank ist allerdings der Kreditvertrag mit der DKB Deutsche Kreditbank für die zweite Wohnung. Aus der Finanzierungsanfrage ging eindeutig hervor, dass bereits monatliche Verpflichtungen bei der Commerzbank für eine Schrott-Immobilie in Höhe von circa 659 Euro bestanden.
Eigentlich hätte sich schon zu diesem Zeitpunkt die Bank fragen müssen, warum sie einem einfachen Arbeitnehmer, der schon eine Schrott-Immobilie hat, auch noch eine zweite finanzieren sollte. Obgleich man wusste, wie die finanzielle Lage von Hendrik war, mutete man ihm eine weitere Finanzierung mit monatlichen Zahlungen von ca. 600 Euro inklusive Tilgung für ein etwa 55 Quadratmeter großes Objekt für unglaubliche 107000 Euro zu. Das könnte man als grob fahrlässig bezeichnen.
Es schien mir durchaus interessant, den genaueren Werdegang dieses Kredits der DKB Deutsche Kreditbank in Erfahrung zu bringen. Die Überweisungen, die dort eingingen, waren für mich jedenfalls nicht nachvollziehbar. Das Einzige, was klar war, ist, dass der Nominalzins in Höhe von 4,10 Prozent bis zum 31. März 2016 vereinbart wurde. Die wirtschaftliche Perspektive von Hendrik war also höchst problematisch, besonders deshalb, weil die bei der Finanzierungsanfrage festgelegte Tilgung von 2,5 Prozent der Kreditsumme pro Jahr wirtschaftlich überhaupt nicht verständlich und machbar war.
Mein Lösungsvorschlag lief nun darauf hinaus, dass beide Wohnungen verkauft und der erzielte Preis den Banken zur Deckung ihrer Forderungen zur Verfügung gestellt wird, um die Vertragsverhältnisse zu beenden. Außerdem sollten die Banken von Hendrik noch eine zu verhandelnde Schlusszahlung erhalten, die er über einen Verbraucherkredit bei seiner Hausbank finanzieren würde. Bisher hat aber nur eine Einigung mit der Commerzbank stattgefunden, während sich die DKB weiterhin stur stellt und Hendrik damit wohl in die Insolvenz treiben wird.
Die psychologische Komponente dieses Falls entspricht genau dem Muster, das man immer wieder vorfindet, wie Andrea Reiser von der Schutzgemeinschaft für Immobiliengeschädigte e. V. (SfI) erläutert. Hendrik M. ist zunächst bei Frank in die Sympathiefalle getappt. Frank war zumindest augenscheinlich in einer ähnlichen Situation wie Hendrik und deshalb eben auch in der Selbsthilfegruppe. Hendrik vertraute ihm, doch es handelte sich um eine typische Freundschaft mit Hintergedanken. Niemand, der einem anderen vertraut, wird ohne Anlass dieses Vertrauen infrage stellen. Das geschieht erst, wenn der Betrug stattgefunden hat und das Vertrauen gebrochen worden ist.
Dass Hendrik M. dann noch eine zweite Wohnung gekauft hat, liegt an dem Prinzip »Mehr-von-demselben«. Es ist in unserer Gesellschaft ganz selbstverständlich, dass wir Probleme dadurch zu lösen versuchen, dass wir bestimmte Vorgehensweisen einfach nur verstärken, um dadurch doch noch zu den gewünschten Ergebnissen zu kommen. Wenn die Steuerersparnisse nicht ausreichen, um die Kosten zu decken, versuchen wir eben, noch mehr Steuern zu sparen. So ist es auch Hendrik M. ergangen. Ihm wurde weisgemacht, dass er erst mit der zweiten Wohnung die gewünschten Ergebnisse erzielen und die Defizite, die durch den Kauf der ersten Wohnung entstanden sind, ausgleichen könnte.
Dabei tappte er außerdem noch in die Autoritätsfalle. Die betrügerischen Immobilienvermittler und -verkäufer residieren nicht nur deshalb in luxuriösen Büros und fahren teure geleaste Fahrzeuge, weil sie es sich leisten können, sondern weil sie damit ihre Kompetenz gegenüber ihren Opfern untermauern wollen. Jemandem zu widersprechen, der offensichtlich so viel erfolgreicher ist als man selbst, fällt gerade einfachen Leuten schwer.
Die Sympathiefalle und die Autoritätsfalle
Wir finden einen Menschen sympathisch, wenn er uns ähnlich ist, wenn wir Gemeinsamkeiten mit ihm haben, aber auch wenn er über eine äußerliche Attraktivität verfügt oder uns Komplimente macht. Das wissen alle Verkäufer und versuchen deshalb, zu ihren Kunden ein Band der Sympathie aufzubauen. Besonders die Verkäufer von Schrott-Immobilien verlassen sich auf die Sympathiemethode, weil sie weder attraktive Produkte noch günstige Preise anbieten können. Natürlich ist die Sympathie innerhalb der eigenen Familie, im Freundeskreis, unter Arbeitskollegen und unter Vereins- oder Kirchenmitgliedern am größten. Aber auch wenn eine Person von einem Mitglied dieser Gruppen empfohlen wird, entsteht Vertrauen.
In vielen der in diesem Buch geschilderten Fälle werden Sie lesen, dass die Betrogenen durch Menschen, die sie kannten, die sie schätzten und die ihnen sympathisch waren, den Kontakt zum Vermittler oder Verkäufer einer Schrott-Immobilie fanden. Häufig werden solche Empfehlungen von Freunden, Bekannten oder Verwandten ziemlich leichtfertig ausgesprochen, da sie die weiterempfohlene Person nur höchst oberflächlich kennen.
Eine andere Methode, Ähnlichkeit und damit Sympathie herzustellen, besteht besonders bei Telefonanrufen darin, dass derjenige, der anruft, vorgibt, einen ähnlichen Namen wie der Angerufene zu haben. Oft reicht es, wenn nur die Anfangsbuchstaben gleich sind. »Guten Tag Herr Schulz, hier ist Schmidt.« Schon wird man den Anrufer sympathischer finden, als wenn er sich mit Müller gemeldet hätte. Oder: »Guten Tag, Herr Schwarz, das ist ja lustig, mein Name ist Weiß.« Auch hier entsteht Sympathie durch Ähnlichkeit.
Eine ganz wichtige Rolle, um Sympathie durch Ähnlichkeit zu schaffen, spielt auch die Herkunft. »Was, Sie kommen aus Norddeutschland? Ich auch.« Das funktioniert natürlich nur, wenn man den Dialekt beherrscht. Aber selbst das ist nicht unbedingt notwendig. Es reicht häufig schon, zu sagen: »Sie kommen aus Norddeutschland. Das finde ich ja toll. Ich habe fünf Jahre in Hamburg gelebt. Das war die schönste Stadt, die ich je kennengelernt habe.« Wobei natürlich Hamburg durch jede andere Stadt ersetzbar ist.
Aber man kann auch noch über ein paar Umwege Sympathie erzeugen. »Sie kommen aus Leipzig? Das ist ja großartig. Meine Schwester ist mit jemandem aus Leipzig verheiratet und vergangenes Jahr dort hingezogen. Sie fühlt sich da so wohl wie noch nirgendwo zuvor.«
Auf Gemeinsamkeiten hinzuweisen ist ein besonders gutes Mittel, um Wohlwollen zu erzeugen. Deshalb besuchen Verkäufer von Schrott-Immobilien auch anfangs gern ihre Opfer zu Hause. Der Verkäufer oder sein »Spürhund« kann sich auf diese Weise einen Eindruck vom potenziellen Kunden verschaffen, der sich zudem zu Hause sicherer fühlt als in einer fremden Umgebung. Welche Hobbys hat der mögliche Kunde? Ist er Sportler, Musikliebhaber, Angler oder Jäger? Sammelt er etwas Bestimmtes? All das kann man in der Wohnung des Opfers wunderbar erkennen und bei späteren Verkaufsgesprächen einsetzen. Gemeinsame Interessen fördern auch gemeinsame Geschäfte.
Die äußerliche Attraktivität der Verkäufer spielt in vielen der geschilderten Fälle ebenfalls eine Rolle. Gebräuntes Gesicht, gepflegte Kleidung, sicheres Auftreten und gute Umgangsformen haben bei potenziellen Kunden noch nie ihre Wirkung verfehlt. Selbst junge Frauen, die offen zugeben, dass sie von Immobiliengeschäften eigentlich keine Ahnung haben, erhalten bei männlichen Kaufinteressenten einen Bonus. Ihre angebliche Unkenntnis wird als Ehrlichkeit interpretiert, was diese Frauen nur noch sympathischer macht.
Ein besonders wichtiges Mittel, um Sympathie zu erzeugen, sind Komplimente: »Was, Sie haben dieses schöne Einfamilienhaus selbst renoviert? Eine tolle Leistung. Und jetzt ist es auch noch schuldenfrei. Alle Achtung.« – »Sie arbeiten schon seit 30 Jahren bei dieser Firma? Dann sind Sie ja einer ihrer wertvollsten Mitarbeiter.« Oder ein Verkäufer beim Hausbesuch, wenn im Regal mehr als fünf Bücher stehen: »Was, die haben Sie alle gelesen? Ich käme gar nicht dazu.«
Wie können Sie sich nun dagegen wehren, auf solche Sympathiefallen hereinzufallen? Am besten dadurch, dass Sie zwischen dem Menschen und dem, was er Ihnen anbietet, trennen. Nichts gegen Small Talk und eine gute zwischenmenschliche Atmosphäre, aber deshalb müssen Sie noch lange nicht auch das, was man Ihnen verkaufen will, für gut befinden.
Die Autoritätsfalle besteht darin, dass jemand vorgibt, Experte zu sein, und/oder einen Titel führt, elegant und teuer gekleidet ist und sich mit Luxusgütern umgibt. Viele Menschen, vor allem ältere, sind beeindruckt, wenn sie mit einem Adeligen sprechen.
Ähnlich verhält es sich mit Doktortiteln. Wenn einem jemand mit einem »Dr.« vor seinem Nachnamen zum Kauf einer Schrott-Immobilie rät, hat das natürlich ein ganz anderes Gewicht, als wenn dies jemand ohne Doktortitel tut. Denn wer einen solchen Titel führt, gilt von vornherein als kompetenter als jemand ohne diesen akademischen Grad – unabhängig davon, ob er sich den Doktor erschwindelt oder ihn tatsächlich erworben hat. Um ihr Expertentum zu betonen, hängen Verkäufer von Schrott-Immobilien gerne pompöse Urkunden in ihren Büros auf, die ihre Kompetenz unterstreichen sollen. »Herr Meier hat an einem Lehrgang für Verkaufen an Senioren teilgenommen und mit der Gesamtnote Sehr gut bestanden.« Eine lächerliche Urkunde, die dennoch auf den unbedarften Käufer Eindruck macht.
Dass auch die Kleidung entsprechende Autorität ausstrahlt, wissen wir spätestens seit dem Hauptmann von Köpenick, der in einer gebrauchten Uniform die Stadtkasse des Städtchens geplündert hat. Natürlich tragen Schrott-Immobilienverkäufer keine Uniform, aber so etwas Ähnliches: hochseriöse, gut sitzende, oft maßgeschneiderte Anzüge und Hemden, teure Schuhe und Manschettenknöpfe, edle Krawatten und natürlich wertvolle Uhren.
Auch eine erlesene Ausstattung des Büros sowie luxuriöse Autos sind hilfreiche Instrumente, um Autorität zu suggerieren. Wer sich einen derartigen Luxus leisten kann, muss ja schließlich etwas können. Das kann er auch, nämlich unbedarften Mitmenschen das letzte Geld abschwatzen.
Was sollten Sie tun, um der Autoritätsfalle zu entgehen? Schieben Sie Ihre Entscheidung unbedingt auf, lassen Sie sich nicht zu einem Notartermin drängen, und holen Sie auf jeden Fall eine zweite Meinung ein. Bedenken Sie immer: Nichts ist so wichtig, dass Sie heute noch unterschreiben müssen, und manche Dinge erledigen sich von selbst, wenn man sie aufschiebt.
Sie können sicher sein, jemand, der Ihnen abends um 20.00 Uhr eine Wohnung verkaufen will, versucht es auch am nächsten Morgen um 9.00 Uhr noch einmal. Lassen Sie sich nicht von einmaligen Angeboten täuschen. Egal, was Sie kaufen wollen, nichts ist so einmalig, dass nicht auch noch eine zweite Chance kommen würde.
Was sind »Schrott-Immobilien«?
Ein zentrales Element der Immo-Falle ist die Schrott-Immobilie. Das Wort »Schrott-Immobilie« ist kein juristischer Begriff. Es hat sich seit dem Beginn der 1990er-Jahre in der Umgangssprache eingebürgert für Immobilienobjekte, die sich in einem nicht oder schlecht sanierten, also mehr oder weniger desolaten, Zustand befinden. Jeder Neueigentümer muss deshalb in der Regel mit erheblichen Zusatzkosten rechnen. Inzwischen zählt man aber auch gut sanierte Immobilien dazu, wenn diese deutlich überteuert den Besitzer wechseln und weder beim Weiterverkauf noch beim Mietertrag der investierten Summe entsprechen.
Meine ganz persönliche Definition für »Schrott-Immobilie« lautet:
»Schrott-Immobilie ist ein in den letzten Jahrzehnten herausgebildeter umgangssprachlicher Begriff für eine Immobilie, die vor allem von Drückergruppen oder Strukturvertrieben an zumeist durchschnittliche bis unterdurchschnittliche Einkommensgruppen einschließlich des dazugehörigen Bankenkredits vermittelt wird.«
Der echte Verkehrswert, der dem Zustand der Immobilie entspricht, wird durch gravierende Aufschläge, an denen Vertriebe, Vermittler, Banken und Verkäufer entscheidend mitverdienen, um mehr als 100 Prozent überschritten.
Die im Wesentlichen nur mündlich erteilten Versprechungen wie Steuerersparnis, Wertsteigerung oder Altersvorsorge werden nicht annähernd erfüllt und führen deshalb zu nachhaltiger Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Anlegers.