Kapitel 1
Zehn Sekunden saß Daemon Black auf seinem Platz, als er mir auch schon zuverlässig den Stift in den Rücken bohrte. Gerade einmal zehn Sekunden hatte es gedauert. Ich drehte mich um und sofort stieg mir der frische, herbe Naturgeruch in die Nase, der so typisch für ihn war.
Daemon zog die Hand zurück und klopfte sich mit der blauen Kappe des Stifts an die Lippen. Lippen, die mir ziemlich vertraut waren. »Guten Morgen, Kätzchen.«
Ich zwang mich ihm in die Augen zu sehen. Augen, die so grün leuchteten wie der Stiel einer frisch geschnittenen Rose. »Guten Morgen, Daemon.«
Er neigte den Kopf und das zerzauste dunkle Haar fiel ihm ins Gesicht. »Vergiss nicht, dass wir heute Abend noch was vorhaben.«
»Ja, ich weiß. Ich kann es kaum erwarten«, erwiderte ich trocken.
Sein dunkler Pullover spannte über breiten Schultern, als er den Tisch wieder einmal nach vorne kippte, um sich zu mir vorzubeugen. Meine Freundinnen Carissa und Lesa holten hörbar Luft und ich spürte die Blicke der anderen in der Klasse. Einer von Daemons Mundwinkeln wanderte nach oben, als würde er insgeheim lachen.
Sein Schweigen wurde unerträglich. »Was ist?«
»Wir müssen deine Lichtspur abarbeiten«, antwortete er so leise, dass nur ich es hören konnte. Zum Glück, denn ich war nicht unbedingt scharf darauf, der Allgemeinheit zu erläutern, was eine Lichtspur war. Ach, das ist nur überschüssige Energie von Außerirdischen, die sich auf Menschen überträgt und sie zum Leuchten bringt wie einen Weihnachtsbaum, was wiederum eine andere, bösartige außerirdische Rasse anlockt. Wollt ihr was abhaben?
Sicher.
Ich griff nach meinem Stift und war kurz davor, zum Gegenangriff überzugehen. »Das habe ich mir schon gedacht.«
»Und ich habe die perfekte Idee, wie wir es anstellen können.«
Mir war klar, was er unter einer »perfekten Idee« verstand: knutschen. Er und ich. Ich lächelte und das Grün seiner Augen leuchtete noch intensiver als zuvor.
»Gefällt dir die Idee?«, murmelte er und senkte den Blick auf meine Lippen.
Eine vermutlich gesundheitsschädliche Dosis an Erregung durchströmte meinen Körper und ich musste mich daran erinnern, dass seine plötzliche Kehrtwende hauptsächlich auf diesen verfluchten Alien-Zauber zurückzuführen war und weniger mit mir als Person zu tun hatte. Seit mich Daemon nach dem Kampf mit dem Arum geheilt hatte, waren wir miteinander verbunden, was für ihn Grund genug zu sein schien, sich in eine Beziehung zu stürzen. Ich hingegen sah das anders.
Es war nicht echt.
Ich wollte eine Beziehung, wie meine Eltern sie gehabt hatten. Unsterbliche Liebe. Gewaltige, wahre Liebe. Eine vollkommen durchgeknallte Verbindung mit einem Alien erfüllte diese Kriterien sicher nicht.
»Nur über meine Leiche«, antwortete ich deshalb schließlich.
»Widerstand ist zwecklos, Kätzchen.«
»Genau wie dein Charme.«
»Das werden wir ja sehen.«
Ich verdrehte die Augen und wandte den Blick wieder nach vorn. Daemon war echt umwerfend, manchmal wurde das Umwerfende allerdings von meinem Bedürfnis übertroffen, ihn abzustechen. Manchmal aber auch nicht.
Unser steinalter Mathelehrer schlurfte mit einem dicken Papierstapel in den Raum und wartete darauf, dass es klingelte.
Erneut stach mich Daemon mit dem Stift.
Ich ballte die Hände zu Fäusten und überlegte, ob ich ihn einfach nicht beachten sollte. Doch ich wusste, dass er mich immer weiter piesacken würde. Deshalb fuhr ich herum und funkelte ihn wütend an.
»Was ist, Daemon?«
Er bewegte sich schnell wie eine Kobra. Mit einem Grinsen, das ein unkontrollierbares Flattern in meinem Magen verursachte, strich er mir mit den Fingern über die Wange und zog mir einen winzigen Fussel aus dem Haar.
Ich starrte ihn an.
»Nach der Schule …«
Ich kam auf die verrücktesten Gedanken, als sein Grinsen einen teuflischen Zug bekam, doch ich war nicht mehr bereit auf dieses Spiel einzugehen. Ruckartig drehte ich mich zurück. Ich musste lernen meinen Hormonen … und dieser einzigartigen Art, mit der er immer wieder einen Nerv traf, zu widerstehen.
Den Rest des Morgens spürte ich ein leichtes Pochen auf der Rückseite meines linken Auges, wofür ich natürlich Daemon verantwortlich machte.
Bis zum Mittag waren die Kopfschmerzen so schlimm geworden, dass ich das Gefühl hatte, mir wäre mit voller Wucht auf den Kopf eingeschlagen worden. Am liebsten wäre ich aus der Kantine gerannt, weil ich den Lärm und die Mischung der Gerüche aus Desinfektionsmittel und angebranntem Essen kaum ertragen konnte.
»Willst du den noch?« Dee Black deutete auf die unberührte Portion Hüttenkäse mit Ananas vor mir.
Kopfschüttelnd schob ich ihr das Tablett hin und mir drehte sich fast der Magen um, als sie mit Appetit darüber herfiel.
»Du kannst echt ein Footballteam unter den Tisch essen.« Mit unverhülltem Neid sah Lesa Dee aus ihren dunklen Augen an, was ihr nicht zu verdenken war. Einmal hatte ich Dee eine ganze Packung Oreo-Kekse auf einmal essen sehen. »Wie machst du das nur?«
Dee zuckte mit den zierlichen Schultern. »Ich habe anscheinend einen guten Stoffwechsel.«
»Was habt ihr am Wochenende gemacht?«, erkundigte sich Carissa stirnrunzelnd, während sie mit dem Ärmel ihre Brillengläser sauber machte. »Ich habe College-Bewerbungen geschrieben.«
»Ich habe die ganze Zeit mit Chad rumgeknutscht«, sagte Lesa grinsend.
Dann sahen die beiden Dee und mich erwartungsvoll an. Zu verkünden, dass ich einen wahnsinnig gewordenen Alien getötet und dabei fast selbst draufgegangen wäre, war wohl nicht unbedingt angebracht.
»Wir haben abgehangen und alberne Filme geguckt«, antwortete Dee schließlich und lächelte mich kaum merklich an, während sie sich eine glänzende schwarze Locke hinters Ohr klemmte. »Nichts Besonderes.«
Lesa schnaubte. »Bei euch passiert nie etwas Besonderes.«
Ich musste lächeln, doch als ich im nächsten Moment ein warmes Prickeln im Nacken wahrnahm, geriet das Gespräch in den Hintergrund. Wenige Sekunden später ließ sich Daemon schwungvoll auf dem Stuhl zu meiner Linken nieder und ein Erdbeer-Smoothie – meine Lieblingssorte – wurde vor mir abgestellt. Ich war mehr als nur ein bisschen überrascht, auch nur irgendetwas von Daemon geschenkt zu bekommen, von so einem Volltreffer ganz zu schweigen. Als ich nach dem Becher griff und meine Finger seine streiften, durchfuhr mich ein leichter Stromschlag.
Sofort zog ich die Hand zurück und trank einen kleinen Schluck. Köstlich. Vielleicht würde es meinem verstimmten Magen guttun. Und an einen großzügig schenkenden Daemon könnte ich mich wahrscheinlich auch gewöhnen. So gefiel er mir deutlich besser, als wenn er seine Idiotenseite raushängen ließ. »Danke.«
Darauf lächelte er.
»Wo sind unsere?«, witzelte Lesa.
Daemon lachte. »Ich stehe nur im Dienst einer bestimmten Person.«
Sofort errötete ich und rückte den Stuhl ab. »Du bedienst mich rein gar nicht.«
Er beugte sich zu mir herüber und schloss den neu gewonnenen Abstand wieder. »Noch nicht.«
»Daemon, bitte. Ich bin direkt vor deiner Nase.« Dee sah ihn verärgert an. »Du verdirbst mir noch den Appetit.«
»Als ob das möglich wäre«, kommentierte Lesa augenrollend.
Daemon zog ein belegtes Baguette aus der Tasche. Nur ihm gelang es, eher aus der vierten Stunde rauszukommen, ohne in Schwierigkeiten zu geraten. Er war einfach etwas … Besonderes. Alle Mädchen am Tisch, abgesehen von seiner Schwester, klebten mit den Augen an ihm. Einige Jungs ebenfalls.
Er bot seiner Schwester einen Haferkeks an.
»Wollten wir nicht noch etwas besprechen?«, fragte Carissa und auf ihren Wangen leuchteten rote Flecken.
»Stimmt«, pflichtete Dee ihr bei und grinste Lesa an. »Etwas sehr Wichtiges.«
Ich fuhr mir mit der Hand über die feuchte Stirn. »Was gibt es denn zu besprechen?«
»Dee und ich haben uns in Englisch überlegt übernächste Woche eine Party zu schmeißen«, erklärte Carissa. »Etwas –«
»Ganz Großes«, ergänzte Lesa.
»Kleines«, verbesserte Carissa und warf ihrer Freundin einen warnenden Blick zu. »Nur ein paar ausgewählte Leute.«
Dee nickte und ihre grünen Augen funkelten aufgeregt. »Unsere Eltern fahren Freitag weg, das würde also super passen.«
Ich schaute Daemon an. Er zwinkerte mir zu und sofort schlug mein kleines dummes Herz schneller.
»Ich finde es total cool, dass eure Eltern euch zu Hause eine Party feiern lassen«, sagte Carissa. »Meine würden sofort austicken, wenn ich damit ankäme.«
Dee zuckte mit einer Schulter und wandte den Blick ab. »Unsere Eltern sind da ziemlich locker.«
Ich spürte einen Stich, zwang mich aber, mir nichts anmerken zu lassen. Wahrscheinlich wünschte Dee sich nichts so sehr, als dass ihre Eltern noch am Leben wären. Vielleicht ging es Daemon sogar genauso. Dann würde er nicht mehr die Last tragen müssen, für die Familie verantwortlich zu sein.
Immer mehr war ich zu dem Schluss gekommen, dass der Großteil seines unmöglichen Verhaltens auf Stress zurückzuführen war. Außerdem war da der Tod seines Zwillingsbruders …
Der Rest der Mittagspause war von Diskussionen über die Party beherrscht. Der Zeitpunkt war super, da ich an dem darauffolgenden Samstag Geburtstag haben würde. Doch die Nachricht von einer Party würde sich wie ein Lauffeuer verbreiten. In einer Kleinstadt, in der ein Trinkgelage auf einem Stoppelfeld die Attraktion an einem Freitagabend war, würde die Party auf keinen Fall »klein« bleiben können. War Dee das klar?
»Ist das für dich denn in Ordnung?«, flüsterte ich Daemon zu.
Er zuckte mit den Schultern. »Ich kann sie sowieso nicht daran hindern.«
Mir war klar, dass er es gekonnt hätte, wenn er wollte, also war es für ihn offenbar in Ordnung.
»Keks?«, fragte er und bot mir einen großen Cookie mit dicken, fetten Schokostückchen an.
Magenverstimmung hin oder her, den konnte ich einfach nicht ablehnen. »Gern.«
Sein Mundwinkel ging leicht nach oben und er rückte noch näher an mich heran. »Komm, hol ihn dir.«
Komm, hol…? Daemon schob sich den Cookie zur Hälfte zwischen die vollen, zum Küssen einladenden Lippen.
Ach, du heiliger Alien-Charme …
Mir blieb der Mund offen stehen. Mehrere Mädchen am Tisch gaben Laute von sich, die darauf hindeuteten, dass sie kurz davor waren, unter dem Tisch zu Pfützen zusammenzuschmelzen. Doch ich war nicht dazu in der Lage, den Blick abzuwenden, um nachzusehen.
Dieser Keks – diese Lippen – waren einfach zu verlockend.
Meine Wangen begannen zu glühen und ich spürte nicht nur die Blicke der anderen, sondern … oh Gott, auch Daemons. Mit erhobenen Brauen sah er mich herausfordernd an.
Dee ließ ein theatralisches Würgen hören. »Ich glaub, ich muss kotzen.« Ich war wie versteinert und wäre am liebsten im Erdboden versunken. Was glaubte er eigentlich, was ich tun würde? Ihm den Cookie aus dem Mund essen wie in einer nicht jugendfreien Version von Susi und Strolch? In gewisser Weise hätte ich es sogar gerne getan und ich war mir nicht sicher, was das über mich aussagte.
In dem Moment nahm Daemon den Cookie selbst heraus. Seine Augen blitzten, als hätte er gerade eine Auseinandersetzung gewonnen. »Zu spät, Kätzchen.«
Ich konnte ihn nur anstarren.
Unterdessen brach er den Cookie in zwei Hälften und reichte mir die größere. Ich riss sie ihm aus der Hand und die Versuchung war groß, sie ihm postwendend ins Gesicht zu feuern … aber bei so dicken Schokostückchen ging das einfach nicht. Deshalb genoss ich lieber schweigend.
Als ich danach einen weiteren Schluck von dem Smoothie trank, lief mir auf einmal ein kalter Schauer über den Rücken und mich beschlich das ungute Gefühl, beobachtet zu werden. In der festen Annahme, Daemons Ex-Alien-Freundin würde mich mal wieder von irgendwoher mit ihrem typischen Zickenblick beäugen, ließ ich den Blick über die Kantine schweifen, sah dann aber, dass Ash Thompson mit einem anderen Typen ins Gespräch vertieft war. Aha? War er womöglich ein Lux? Viele gab es nicht in ihrem Alter, aber ich konnte mir kaum vorstellen, dass die ach-so-wunderbare Ash einen menschlichen Jungen so anlächeln würde. Ich löste den Blick von ihr und schaute mich weiter in der Kantine um.
An der Flügeltür, die zur Bibliothek führte, entdeckte ich Mr Garrison, doch der war damit beschäftigt, einen Tisch voller Deppen zu beobachten, die aus ihrem Kartoffelpüree raffinierte Kunstwerke kreierten. Niemand schaute auch nur andeutungsweise in unsere Richtung.
Ich schüttelte den Kopf und kam mir blöd vor, weil ich mich grundlos hatte aus der Ruhe bringen lassen. Es war kaum anzunehmen, dass ein Arum mit Gebrüll die Schulkantine entern würde. Vielleicht hatte ich mir etwas eingefangen. Als ich nach der Kette um meinen Hals tastete, zitterten meine Hände ein wenig. Der Obsidian fühlte sich kühl auf meiner Haut an, beruhigend – er verströmte Sicherheit. Ich durfte nicht immer gleich ausflippen. Vielleicht war mir deshalb so schwindelig.
An dem Typen, der neben mir saß, lag es auf jeden Fall nicht.
Auf der Post lagen mehrere Päckchen für mich, was mir aber nur ein verhaltenes Kieksen entlocken konnte. Sie enthielten Vorabexemplare, die andere Blogger zum Rezensieren weitergeschickt hatten. Dass mich der Anblick eher kaltließ, war der eindeutige Beweis dafür, dass ich mir den Rinderwahnsinn eingefangen haben musste.
Die Fahrt nach Hause war die Hölle. Meine Hände fühlten sich kraftlos an und ich konnte mich nicht konzentrieren. Als ich auf dem Weg die Stufen hinauf zu unserer Eingangstür ein Prickeln in meinem Nacken verspürte, presste ich die Post an mich und beachtete es nicht. Auch den eins neunzig großen Typen, der auf der Veranda am Geländer lehnte, beachtete ich nicht.
»Du bist nicht direkt nach der Schule nach Hause gekommen«, motzte er, als wäre er mein persönlicher, extranerviger, aber superattraktiver Leibwächter, dem ich mich erfolgreich entzogen hätte.
Mit der freien Hand wühlte ich nach meinem Schlüssel. »Wie du siehst, musste ich noch zur Post.« Ich stieß die Tür auf und legte den Stapel auf dem Tischchen im Flur ab. Natürlich stand er im nächsten Moment hinter mir, ohne auf eine Einladung zu warten.
»Die Post hättest du auch später holen können.« Daemon folgte mir in die Küche. »Was ist das überhaupt? Nur Bücher?«
Seufzend nahm ich den O-Saft aus dem Kühlschrank. Leute, die für Bücher nichts übrighatten, konnten es einfach nicht begreifen. »Ja, nur Bücher.«
»Wahrscheinlich sind gerade keine Arum in der Nähe, aber man kann nie vorsichtig genug sein und du trägst eine Lichtspur an dir, die sie direkt zu uns führen wird. Das ist im Moment wichtiger als deine Bücher.«
O nein, Bücher waren wichtiger als Arum. Ich goss mir ein Glas Saft ein. Mir fehlte die Energie, mich mit Daemon auseinanderzusetzen. Die Kunst des höflichen Small Talks beherrschten wir leider noch nicht. »Willst du was trinken?«
Er seufzte. »Okay. Milch?«
Ich machte eine Geste in Richtung Kühlschrank. »Bedien dich.«
»Du hast es mir angeboten. Solltest du sie mir dann nicht holen?«
»Ich habe dir O-Saft angeboten«, erwiderte ich und trug mein Glas zum Tisch, »aber du wolltest ja unbedingt Milch. Und bitte nicht so laut. Meine Mom schläft.«
Leise brummelnd schenkte er sich ein Glas Milch ein. Als er sich mir gegenüber niederließ, fiel mir auf, dass er eine schwarze Jogginghose trug. Sofort musste ich an das letzte Mal denken, als er in diesem Outfit bei mir zu Hause aufgekreuzt war. Es war ziemlich heiß hergegangen. Die anfängliche Auseinandersetzung war in eine ernsthafte Knutscherei abgedriftet, die aus einem meiner kitschigen Liebesromane hätte stammen können. Noch immer hielt mich diese Erinnerung abends wach. Auch wenn ich es nie zugeben würde.
Es war so heiß hergegangen, dass Daemon mit seinem Alien-Zauber die meisten Lampen in meinem Haus zum Zerbersten gebracht und meinen Laptop gekillt hatte. Der Laptop und damit mein Blog fehlten mir sehr. Zu meinem Geburtstag hatte Mom mir einen neuen Laptop versprochen. Noch zwei Wochen …
Ohne ihn anzusehen, fummelte ich an meinem Glas herum. »Kann ich dich was fragen?«
»Kommt drauf an«, erwiderte er ruhig.
»Wenn wir zusammen sind … spürst du dann etwas?«
»Abgesehen davon, was ich heute Morgen gespürt habe, als ich dich in dieser Jeans gesehen habe?«
»Daemon«, seufzte ich und versuchte den Teil in mir zu ignorieren, der insgeheim kreischte: ER HAT MICH BEMERKT! »Ich meine es ernst.«
Mit seinen langen Fingern malte er beiläufig Kreise auf den Tisch. »Dieses warme Prickeln im Nacken. Meinst du das?«
Ich blickte auf und sah das Zucken in seinem Mundwinkel. »Ja, du spürst es auch?«
»Immer, wenn du in der Nähe bist.«
»Stört es dich nicht?«
»Dich etwa?«
Ich war mir nicht sicher, wie ich darauf antworten sollte. Das Prickeln tat nicht weh, es war nur ein seltsames Gefühl. Aber was dahinterstand, störte mich tatsächlich – diese verdammte Verbindung, über die wir nichts wussten. Selbst unsere Herzen schlugen im Gleichtakt.
»Es könnte … eine Nebenwirkung des Heilens sein.« Daemon sah mich über den Rand seines Glases hinweg an. Wahrscheinlich sah er selbst mit einem Milchbart noch gut aus. »Geht es dir gut?«, fragte er.
Nicht wirklich. »Warum?«
»Du siehst beschissen aus.«
Zu jeder anderen Zeit wäre ich nach so einer Antwort ausgerastet, doch jetzt stellte ich nur mein halb leeres Glas ab. »Ich glaube, ich habe mir etwas eingefangen.«
Er zog die Brauen zusammen. Mit dem Konzept »Kranksein« konnte Daemon wohl nichts anfangen. Die Lux wurden nicht krank. Nie. »Was ist los?«
»Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich habe ich Alienitis.«
Daemon schnaubte. »Das bezweifele ich. Ich kann nicht zulassen, dass du jetzt krank wirst. Du musst raus und deine Lichtspur abarbeiten. Solange du das nicht tust, bist du –«
»Wenn du jetzt sagst, ich sei eine Schwachstelle, kannst du dich auf etwas gefasst machen.« Wut verdrängte das flaue Gefühl in meinem Magen. »Ich glaube, ich habe bewiesen, dass ich das nicht bin. Immerhin habe ich Baruck fortgelockt und getötet.« Nur mit Mühe gelang es mir, leise zu sprechen. »Ich mag zwar ein Mensch sein, aber das heißt nicht, dass ich schwach bin.«
Er setzte sich zurück und hob die Brauen. »Ich wollte sagen, dass du bis dahin in Gefahr bist.«
»Oh.« Die Röte schoss mir ins Gesicht. Hups. »Okay, aber ich bin trotzdem nicht schwach.«
Gerade noch hatte Daemon mir gegenübergesessen, aber ehe ich mich’s versah, kniete er vor mir auf dem Boden. Um mir ins Gesicht sehen zu können, musste er leicht nach oben schauen. »Ich weiß, dass du nicht schwach bist. Das hast du bewiesen. Auch wenn ich immer noch nicht weiß, wie du unsere Kräfte angezapft hast, wie es dazu kommen konnte. Aber eine Schwachstelle bist du auf keinen Fall. Niemals.«
Wow. Es war schwer, hart zu bleiben und mir nichts Lächerliches einzubilden, was unsere Beziehung anging, nur weil er gerade … nett war und mich ansah, als wäre ich das letzte Stück Schokolade auf der Welt.
Was mich an den verdammten Schoko-Cookie in seinem Mund erinnerte.
Seine Mundwinkel zuckten, als wüsste er, was ich dachte, und versuchte ein Lächeln zu unterdrücken. Nicht sein schiefes Grinsen, sondern ein echtes Lächeln. Doch dann richtete er sich unvermittelt auf und blickte von oben auf mich herab. »Jetzt musst du mir noch mal beweisen, dass du nicht schwach bist. Beweg deinen Hintern und lass uns endlich diese Lichtspur abarbeiten.«
Ich stöhnte. »Ich fühl mich wirklich nicht gut, Daemon.«
»Kat …«
»Ich jammere nicht, weil ich dir Probleme bereiten will. Mir ist kotzübel.«
Er verschränkte die muskulösen Arme und das eng anliegende Shirt spannte über seiner Brust. »Es ist zu gefährlich, wenn du wie ein Leuchtturm herumläufst. Solange du die Spur mit dir herumträgst, kannst du nichts tun. Nirgends hingehen.«
Ich erhob mich, ohne auf mein Magengrummeln zu achten. »Ich geh mich umziehen.«
Mit großen Augen trat er überrascht zurück. »So leicht gibst du auf?«
»Aufgeben?« Ich lachte hölzern. »Ich will dich nur loswerden.«
»Red dir das ruhig weiter ein, Kätzchen«, konterte Daemon glucksend.
»Und du benutz nur weiter deine Egobooster.«
Im nächsten Augenblick stand er in der Tür und versperrte mir den Weg, bevor er langsam und mit gesenktem Kopf, die Augen auf mich gerichtet, näher kam. Ich wich zurück, bis ich hinter mir den Küchentisch ertastete.
»Was ist?«
Er legte die Hände an meine Hüften und lehnte sich nach vorne. Ich spürte seinen warmen Atem auf der Wange und unsere Blicke trafen sich. Als er noch ein winziges Stück näher kam, berührten seine Lippen mein Kinn. Ein erstickter Laut entwich meiner Kehle und ließ mich gegen ihn sinken.
Doch im nächsten Moment wich Daemon zurück und lachte selbstzufrieden. »Jep … hier geht es nicht um mein Ego, Kätzchen. Sieh zu, dass du fertig wirst.«
Verdammter Mist!
Auf dem Weg nach oben zeigte ich ihm noch den Mittelfinger. Meine Haut fühlte sich klamm und eklig an, was nichts damit zu tun hatte, was gerade geschehen war. Dennoch zog ich mir eine Trainingshose und ein Fleece-Shirt über. Laufen war das Letzte, wonach ich mich fühlte. Allerdings ging ich nicht davon aus, dass Daemon sich darum scherte, wie unwohl mir war.
Für ihn zählte lediglich, wie es ihm und seiner Schwester ging.
Das stimmt nicht, flüsterte eine beharrliche Stimme in meinem Kopf. Doch vielleicht lag sie sogar richtig. Er hatte mich geheilt, als er mich auch hätte sterben lassen können, und ich hatte seine Gedanken gehört, ihn mich anflehen gehört ihn nicht zu verlassen.
Doch egal wie es um seine Gefühle stand, ich musste den Würgereiz hinunterschlucken und joggen gehen. Mein sechster Sinn sagte mir, dass dies kein gutes Ende nehmen konnte.