© für die Originalausgabe und das eBook: 2012 nymphenburger in der
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Schutzumschlag: atelier-sanna.com, München
Schutzumschlagmotiv: Janine Guldener, Berlin
eBook-Produktion: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger & Karl Schaumann GmbH, Heimstetten
ISBN 978-3-485-06052-3
www.nymphenburger-verlag.de
Inhalt
Prolog
Komm hinter meine Hecke
Sui generis – Von eigener Art
Lust auf reife Weiblichkeit
Carpe diem – Pflücke den Tag
Kochen, bis die Seele baumelt
Rap-Zap-Crime Kills Caribbean Dinner
Komm hinter meine Hecke
Panta rhei – Alles im Fluss, Samson
Rat und Tat
Sauer macht frustig, nicht lustig
Komm hinter meine Hecke
Wieder so ein Deva-vu
Rat und Tat
»Gehe hin in Frieden« – Die Übung des Loslassens
Lust auf reife Weiblichkeit
Cast as cast can
Rat und Tat
Vergebung heilt Körper und Seele
Komm hinter meine Hecke
So Gott will!
Wenn einer eine Reise tut
Des Schicksals verborgenes Band
Rat und Tat
»Media vita in morte sumus« – Mitten im Leben vom Tod umfangen
Wenn einer eine Reise tut
Kurze Besuche verlängern die Freundschaft
Lust auf reife Weiblichkeit
Coras Tagwerk
Komm hinter meine Hecke
Im Kräutergarten meines Altweibersommers
Zukunftsmusik
Natur und Geist
Zukunftsmusik
Nix denaturi – Condo survivo
Epilog
Ein großes Dankeschön
Lesetipp
Prolog
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Klimakterium, Menopause, Wechseljahre, Wandeljahre.
Darf ich Sie auf eine Entdeckungsreise in mein Gedankenreich und in das existenzielle Basiscamp meiner dritten, erfüllten Lebensphase einladen? Als aktuell initiierte Wechseljährige habe ich mich nach dem Tod meiner Mutter, die Menopause im Rucksack, tapfer durch klimakterische Feuer geschlagen, reißende Flüsse überquert, um den Altersruhesitz meiner seelischen Heimat nach und nach bewohnbar zu machen. Mein inneres Auge kann sich seit Jahrzehnten an einem immer wieder auftauchenden Atoll nicht sattsehen: ein Lebensterrain, von Wasser umrandet, von Regenwald bekränzt, von Menschen bevölkert, die mir artverwandt sind. Ich bin mir sicher, der Fluss des Lebens wird mich eines Tages dort an Land spülen.
Nach dem Abschied von meiner Fruchtbarkeit gestalteten sich die folgenden Wanderjahre sehr bewusst und frohgesinnt. Einer wunderbaren Tochter durfte ich Leben schenken, seit Jahrzehnten bin ich erleichtert, aus dem monatlichen Reglement von Ebbe- und Flut-Gezeiten der Gebärmutter entlassen worden zu sein. Mutig und neugierig machte ich mich in der Menopause, den Jahren der hormonellen Umstellung ab fünfzig, auf zu neuen Ufern, um meine Wechseljahre anzutreten und durch bejahendes angewandtes Leben zu heiligen. Auch ich wurde des Nachts von heißem Klimax-Wallerich überfallen und ergab mich, ohne lange Überlegung, kurz und bündig. Nach sieben Jahren schlug er sich in die Büsche und wieder stand ein Wechsel um die sechzig hinter dem Gartentor. An diesem Wendepunkt taten sich neue Dimensionen und Lebensqualitäten auf, die mehr und mehr in eine innere Gelassenheit mündeten, aber immer Raum für Zukunftspläne und Visionen ließen. Ein schöpferisches Landleben, Zusammenleben mit Freunden, Tieren und Pflanzen – diese Visionen stehen seit einigen Jahren Schlange bei mir, rufen nach Einlösung.
Noch bestreite ich mein Landleben alleine, zusammen mit meinen Tieren. Wenn es zur salomonischen Zeitenwende kommt, werden flugs die bisherigen Zelte abgebrochen und einer neuen Lebensform steht nichts im Wege, verspreche ich mir bei einem Glas feinstem Kräuterelixier, selbst gebraut auf der tröstlichen Basis von Minze, Zitrone und Ingwer, während das Thema Wechseljahre auf dem Fernsehschirm mit Häme und Ignoranz durch den ungezuckerten Kakao gezogen wird: das rohe Ablachen über das Hüftgold einer reifen Rapunzel, Wasserrinnsale aus schwitzenden Leibern im herbstlichen Zonengebiet eines Frauseins, die ehemals wallende Mähne stumpf und ausgelichtet, flirrende Hitze in seelischen Wüstenoasen und Launen von Circen, die so manche Achterbahn um ihre Kundschaft fürchten lassen. »Die Hitze von Millionen Frauen lässt in einigen Jahren den Südpol schmelzen«, argwöhnt eine bekannte Entertainerin und empfiehlt nebenbei eine Botox-Kur für gebeutelte männliche Hängetäschchen, wie sie es benennt. Eine Satire-Serie, die dem Thema Wechseljahre frönt, pfeift frauenverachtend aus dem letzten Löchlein, in das ein Sport- und Yoga-Lehrer seinen Allerheiligsten nicht mehr eintunken möchte, »weil zu weit«, wie er seiner klimakterischen Geliebten rigoros klarzumachen versucht. Osteoporose und Harninkontinenz werfen sich Beleidigungen an den Kopf. Auf der angepriesenen Liste der menopausalen Beratung warten Anti-Aging-Tipps für Hormone in Hülle und Fülle, um die biologische Uhr einfach mal zurückzudrehen. Giftiges Botox lockt, zockt und zofft sich mit eiskalten chirurgischen Instrumenten über Wenn und Aber einer radikalen Verjüngungsprozedur.
Jugendwahn, Schadenfreude und negative Nachstellungen, die versuchen, die Zeit der fraulichen Wechseljahre in Misskredit zu bringen, schufen für mich mehr und mehr gedanklichen Nährboden, ein Brevier über den Themenkreis des Klimakteriums zu verfassen, das sich, aufgrund eigener positiver Erfahrungen, umsichtig und bejahend, aber auch humorvoll und selbstkritisch mit dieser reifen Lebensphase befassen will.
Kommen Sie doch einfach mit mir, liebe Leserinnen, auch die Herren der Schöpfung sind eingeladen. Kommen Sie mit! Hinter meine Zauberhecke, hinter die Zauberhecke eines alten Dornröschens, das sich unbemannt und lebensbejahend in den Strahlen einer herbstlich warmen Altweibersonne nützlich zu machen versteht.
Ich nehme Sie mit in meinen Lebensablauf, verführe Sie zu mutigen Gedankensprüngen, ich lasse Sie teilhaben, weihe Sie ein. Sinnhaftig, ganzheitlich und risikoreich. Dramaturgisch aufbereitete Hotspots, Essenz eines Tagesprofils, die, Ihnen zuliebe, liebe Leser, auf einen Eintrag in mein Tagebuch verzichtet haben.
Es erwarten Sie einmalige Ratschläge aus Geheimfach-Pflanzenkunde meines Großvaters, verbündet mit ungeahntem Wissen meines weisen Mentors, Ausbilders und Ganzheitsmediziners. Aber auch Frau Holle und die alte Fee Morgane haben einige Schätze und Rezepte aus der Kräuterapotheke Gottes für Sie auf Lager. Schenken Sie uns einige Quäntchen Ihrer kostbaren Zeit, die wir gerne mit Ihnen teilen. Lassen Sie uns neue Ufer ins Visier nehmen, lassen Sie uns ›Leben fassen statt Leiden erleiden‹, eingebettet in die furchtlose Entdeckung der wesentlichen Merkmale und ungeahnten Freiräume einer einmaligen Zeit der ›letzten Reifeprüfung‹!
Auf einen glückhaften, lebendigen ›Indian Summer‹,
Ihre Marianne Sägebrecht
Komm hinter meine Hecke
Sui generis – Von eigener Art
»Ein Ast erfriert im Winter, jedoch im Frühjahr wächst daraus eine wunderschöne, rote Rose.« Dieser Ausspruch aus meinem Lieblingssong The Rose von Bette Midler, unvergesslich in meinem Erinnerungs-Urgrund gespeichert, geistert durch meinen Kopf und meine bibbernden Nasenflügel tauchen sich wonnig in den duftenden Blütenkelch einer letzten Essigrose, die noch trotzig meine raubereifte Dornröschen-Altmädchenhecke veredelt. Ein beflügeltes Sonnenstrahlbündel tanzt frech auf meiner Stirne und meine besockten Füße räkeln sich, trotz kaltem Windhauch, wohlig warm in meinen geräumigen Stiefeln Marke Landleben. So lässt es sich, eingetaucht in einen tiefen Gedankenteich, im winterlichen, geliebten Refugium verweilen. Aus frohen Kindheitstagen dringt die liebevolle Stimme meines Großvaters, Gärtner und Kräuterkundiger aus Leidenschaft, durch Zeit und Raum.
»Ein wachsender Baum, eine reifende Frucht kann und will sich nicht beeilen, alles Wachsen und Werden läuft nach einer vorbestimmten inneren Zeiteinteilung ab. Lass uns auf dieses Wunder mit unserem feinen Holundersaft anstoßen, meine kleine Zauberprinzessin.«
»Ich weiß, Opa, einen kahlen Ast im Winter muss man genauso loben wie einen starken Zweig mit vielen Früchten. Und ein kleines Büschel Löwenzahn hat ein genauso großes Fest verdient wie eine große Wiese voll blühender Blumen.« Ein kühler, trauriger Hauch voll Sehnsucht nach Mutter und Großvater, die beide schon das Zeitliche gesegnet haben, durchweht meine Herzenskammer, nicht ohne die seelische Anwesenheit der Verschiedenen tröstlich wahrzunehmen.
Nicht zum ersten Mal, mehr schleichend als gehend, umkreisen zwei dubiose Herren mein Gartengrundstück. Jetzt bin ich anscheinend gerade aus ihrem Blickfeld entschwunden, die Herrschaften aber nicht aus meinem. An der Carport-Ecke ist man gerade dabei, sich unter dem Knöterich-Strauch auf ein Pläuschchen einzunisten.
»Stell dir mal vor, dass Kredite und Zahlungsverpflichtungen in den USA ein Niveau erreicht haben, das gar ein dutzendmal so hoch ist wie das gesamte Bruttoinlandsprodukt der ganzen Nation«, vernehme ich eine etwas blecherne Stimme aus dem Busch, über die sich sogleich ein sonorer Kontrabass stülpt. »Keep cool, man, das Ganze sind doch sowieso nur Computertransaktionen. Je mehr Schulden, desto mehr Zinsen, also mehr Geld und mehr und mehr Profit bis zum totalen Kollaps«, ironisiert jetzt der Begleiter. »Soll ich dir mal ausmalen, wie man mit Schulden Zaster en masse anhäufelt?«, fährt Blechi weiter fort, während sein Gesprächspartner den Rückweg anzugehen versucht. »No go, stop, mein Freundchen, du hörst jetzt hin!«, schwadroniert der selbst ernannte Aufklärer unbeirrt weiter. »Liquide bist du ja wohl, Alter.«
Ich für meine Person habe jetzt mein heißes Ohr an einer morschen Holztrennwand geparkt, um ja keine der gesprochenen Silben verloren gehen zu lassen.
»Höre und staune, mein Junge. Ich startete mit ersten neunzigtausend Euro, durch Prämien angehäuft, deklarierte mich per Internet als Bank und verlieh dieses Geld flott und zinsgünstig an meinen Kumpel Eric, der ein Haus erwerben wollte. Eric kaufte damit sein lang ersehntes Häuschen von unserer gemeinsamen Freundin Lea, den heißen Tipp gab ich. Lea wiederum parkte das erzielte Geld bei ihrer Bank, das war ich, zu einem höheren Zinssatz als üblich, versteht sich. Diese Neunzigtausend plus zwei Vermittlungsprovisionen zählten sich nun als bare Bankeinlage. Meine eigenen Neunzigtausend wusste ich in Erics Haus verzinst und gesichert. Nach einer Zwangsversteigerung, verursacht durch anliegende, hohe bauliche Auflagenkosten, die Lea und ich wohl vergessen hatten offenzulegen, wenn du weißt, was ich meine, hatte Eric schon nach einem Jahr Adieu zu seinem geliebten Refugium zu sagen. Heute gehört das Haus mir, für Vierzigtausend wieder an Land gezogen! Tja, Leas Einlage schrie förmlich nach Gymnastik! Game gecheckt, Alter? Hier hast du meine Karte, just in case«, überstrapaziert die notorische Blechstimme seit Minuten die Nervenstränge seines stummen Gegenübers. Mein Hustenanfall, den die Wut über das Gehörte nach oben zu befördern versucht, bekommt Auftrittsverbot, mein Herz sendet ein Bündel gute Gedanken an poor Eric.
»Der ärgste Fluch des Menschen ist das Geld, das sagte schon der gute alte Sophokles, du Schweinebacke«, hefte ich dem zynischen Mister Monetas stumm an sein Revers. Sein Partner ist wohl nicht gewillt, aus offengelegter List und Tücke einen Nutzen zu ziehen, besteht dafür mit grimmiger Miene auf dem Heimweg.
Mein Auge entdeckt auf männlicher Brust ein um Eindruck ringendes Teleobjektiv. Schon tauche ich auf leisen Sohlen in das Schattenlicht meiner Linde ab. »Vielleicht zwei Vertreter der pulsierenden Immobilienbranche auf Streifzug durch die begehrte Südregion unseres Landes, um erwerbbare Gefilde aufzustöbern und ›one after the other‹ amoralisch einzutüten«, rumpelt es in meinem Kopf. Wieder eingekehrt in meine heimeligen vier Wände, nimmt mein aufgezogenes Stimmungstief vor meinem wirbelndem Mixer Reißaus. Aus saftigen Birnen, Limetten, Kokosmilch, einem Schuss feinstem Kokoslikör, frischen Kokosraspeln, einer Prise Chili, einer Prise Zimt beschert er einer Dame im Wechselbad der Jahreszeiten einen sinnbetörenden Longdrink, der locker einem verunglückten Quickie aus meinen Tagebuchnotizen der Siebzigerjahre die Stirne bieten könnte.
Meine Vertraute, Surinam Sehnsucht, deren sechzigjährigen Geburtstag wir noch gemeinsam im Spätherbst dieses Jahres im surinamischen Regenwald zelebrieren werden, psst, bleibt unter uns, nimmt flugs mit auf meinem gemütlichen Sofa Platz.
Eine geruhsame Meditation erweckt süße Düfte von blühenden tropischen Blumen aus tiefen Urgründen. Satte türkisblaue Farben schweben durch den Raum, Trommelwirbel verbrüdern sich mit dem Geräusch von brechenden Wellen. Ein Konglomerat von Antlitzen aus den Regionen der ganzen Welt reitet auf gischenden Wasserfontänen. Selbst mein in die ewigen Jagdgründe eingegangenes Kapuzineräffchen Pixie schwingt sich von Liane zu Liane durch den Raum. Wohltuende Wärme breitet sich in meinem Herzen aus.
»Ich komm aus Surinam, Mama, aus Surinam«, schlängelt sich die Stimme der siebenjährigen Marianne melodisch zur Hängelampe hinauf und landet zielsicher in Mutters warmem Schoß. »Ich weiß, ich weiß, von so weit bist du zu mir geflogen. Du bist so anders als die anderen Kinder, ich hab dich lieb, mein kleiner Wildfang«, gleitet eine unvergessliche Stimme zärtlich über mein Haar.
Mein Sehnsuchtsland Surinam, eine ehemalige holländische Kolonie in Guyana, ist Kulturerbe geworden. Eine weitere Ausbeutung des Regenwaldes ist dort damit passé, eine Versklavung der Bevölkerung schon seit dem 18. Jahrhundert abgeschafft. Da schnappen eure gierigen Rachen jetzt wohl kalt, ihr globalen Häscher, braust mir durch den Sinn. ›Landgrabbing‹ nennt man euer Gebaren. Der brasilianische Regenwald wird nicht geschützt. Ihr holzt rigoros ab, gefährdet die Artenvielfalt der Tierwelt und ihr ruiniert die biologische Balance des globalen Wasserhaushalts. Ihr kauft weltweit freie Areale zu Billigpreisen, hortet diese hinterhältig oder gebt sie dem Zuckerrohranbau zur Benzingewinnung anheim. Ein Großteil der gesamten Weizenernte wird an der Weltbörse als Spekulationsanlage verschachert. Lebenserhaltende Nahrungsmittel über Börsenhaie in den Handel transferiert! Geht vom Acker, ihr ackernden Männer, meine aufgebrachten Gedanken kommen nicht zur Ruhe. Unsere europäische Hähnchenbrust-Obsession verstößt das auflaufende Hühnerklein, um es per Luftfracht tonnenweise den afrikanischen Märkten unterzujubeln und dort für einen Schnäppchenpreis zu veräußern. Das einheimische, gut genährte Huhn kann da preislich nicht mehr mithalten …
Ein kräftiger letzter Schluck meines schon eingenickten Drinks versucht erfolglos all die Gedanken zu übertönen. Aua, da zwickt’s am großen Zeh! Kater Herkules moniert seine Abendmahlzeit und die seiner anbefohlenen Geschwister. Hahn und Huhn werden in Zukunft ausschließlich unzerlegt erworben, so gelobe ich, um hinfort mein Scherflein als verantwortungsbewusster Konsument an der Wirtschaftsfront beizutragen. »Auf eine permanent materielle Steigerung des Wirtschaftswachstums müssen wir wohl in Zukunft zugunsten einer Gleichgewichtswirtschaft verzichten, solidarische Arbeitsteilung und ehrenamtlicher Dienst am Nächsten mit eingeschlossen, aber keine Begrenzung für eine Steigerung der geistigen und humanen Werte, ist doch selbstredend«, versuche ich meine hungrigen Kätzlein in einen Diskurs einzubinden, der auf keinerlei Gegenliebe stößt. Das tägliche Ritual der Fütterung lässt meine Tierfamilie zufrieden schnurrend und sich putzend zurück. Ein paar Stunden später sind anstehende Telefonate abgewickelt, der Haushalt wieder auf Vordermann gebracht.
Nach delikatem Brunch, Red Snapper in kreolischer Ingwersauce, erwartet mich Rupert Sheldrake zu einem ›Text à tee‹.
Versunken in meine momentane Lieblingslektüre, begegne ich wieder und wieder dem Literaten Sheldrake, um immer tiefer in seine physikalischen Thesen der ›morphogenetischen Felder‹ einzutauchen.
In eine kuschelige, selbst gestrickte Merinojacke gehüllt, setze ich mich an das raubereifte Fenster, umgeben von einer hungrigen Spatzensippe bei ihrem Wettpicken um ausgestreute Sonnenblumenkerne. Bald wird sich das Tageslicht hinter einer vollmondigen weißen Scheibe in den wohlverdienten Schlaf stürzen. Still breitet sich eine große Ehrfurcht vor allem Lebendigen in mir aus. Mein verehrter großer Denker Albert Schweitzer gab zu Lebzeiten zu verstehen: »Ethisch ist der Mensch nur, wenn ihm das Leben als solches, auch das der Pflanze und das des Tieres, heilig ist und der Mensch sich dem Leben, das in Not ist, helfend hingibt.«
»Ich bin Paparazzo«, gesteht eine Zeit später der von mir ins Visier genommene Heckenschleicher. Da war er ja wieder, samt Fotoapparat im Anschlag, als ich ihn auf dem Weg zum Einkauf an einer Ampel bei Rot mutig zum Halten bringe. »Wo sind Sie in den letzten Monaten abgeblieben, Frau Sägebrecht? Keine Interviews, kein Auftritt auf einem Roten Teppich! Drei Tage habe ich Ihr Haus rund um die Uhr beobachtet. Kein Mann ging ein und aus, der Postbote ausgenommen. Schnee schippen Sie wie ein Kerl, fahren Auto wie eine Junge, Ihre Einkäufe erledigen Sie ja selbst, bravo! Unsere Leser und Redakteure machten sich schon Sorgen, ob es Sie überhaupt noch gibt unterm Firmament«, versucht sich der Journalist nach einer unrühmlichen Verfolgungsjagd, die er mir angedeihen ließ, aus dem Schlamassel zu manövrieren.
»Alles im Lot, Herr Kundschafter! Mein neues kreatives Gespann, Klasse-Film Omamamia und erfrischendes Buch Auf ein prima Klimakterium!, wird ab Herbst versuchen, die Herzen der Menschen zu erobern. Das alte Dornröschen ist mit sich im Reinen, atmet, fühlt, redet, läuft, speist, arbeitet, schläft, schreibt, spielt, lacht und weint, hinter seiner selbst erwählten Hecke.«
»Foto?«, fragt er kleinlaut.
»Na klar«, sage ich und stelle mein Antlitz, ungeschminkt und fern der Heimat, für ein aktuelles Foto zur Verfügung!
Wieder zurück in meinem sicheren, grünbewachsenen Refugium, nahm ich zuerst eine Messerspitze der getrockneten und pulverisierten Rosen- und Salbeiblätter aus einer liebevoll bemalten Dose, um meinem gelben Zorn auf den unseriösen Paparazzo die Stirn zu bieten, und ließ mir gleichzeitig ein Badewasser ein, das ich mit sieben – meine Lieblingszahl – getrockneten Lorbeerblättern, fünf Minztee-Beuteln (frische Minze hielt noch ihren Winterschlaf), einem Teelöffel Kokosöl und einem Teelöffel Mandelöl veredelte. Das war Entspannung pur und ein mundendes Avocado-Gazpacho besänftigte meinen aufgeregten Magen.
Avocado-Gurken-Gazpacho mit Estragon, Chili und Shrimps
Für 4 bis 6 Personen
2 Avocados
1 Knoblauchzehe
1 kleine Salatgurke
1 Prise Zucker
250 g Joghurt
700 ml Geflügelbrühe
1 Zitrone
1 TL Chilipulver
200 g Shrimps
1 EL Estragon
50 g Sahne
1 Prise Kreuzkümmel
1 Prise Sesam
Salz und Pfeffer
Die Avocados werden geschält, in kleine Stücke geschnitten, mit der Knoblauchzehe, der geschälten, geteilten Gurke, einer Prise Zucker in den Mixer gegeben und sämig püriert. Jetzt in eine große Suppenschüssel geben, den Joghurt unterziehen, mit der Geflügelbrühe auffüllen, mit dem Saft der Zitrone und dem Chilipulver vermengen, die Shrimps in Butter und geschnittenem Estragon dünsten, pfeffern und salzen und kurz vor dem Servieren auf die Suppe geben. Einen größeren Dip geschlagene Sahne in die Tellermitte, eine Prise Kreuzkümmel, eine Prise geröstete Sesamkörner, ein paar gehackte Estragonblätter darauf verteilen, eine kleine Käsestange beilegen. Bon appétit!
Lust auf reife Weiblichkeit
Carpe diem – Pflücke den Tag
»›Liebe ist schrecklich rau‹, sagte ich, während ich mich dämlich auf dem Bärenfell vor dem Kamin räkelte. ›Zieh dich an, Kleines‹, brüllte er aus der Dusche, ›ich kann dich sonst nicht länger verleumden‹. ›Ach sag an‹, seufzte ich in mich hinein und zog meinen frierenden Wintermantel über meine nackte Orangenhaut.«
Bei brasilianischem Kaffee, mit Zimt und Sahnehäubchen, resümiert eine alte Freundin, aus Miami angedüst, in respekteinflößenden Schlangenlederstiefeln und mit sechzigjährigen Dreadlocks, auf meiner kleinen Landhaus-Chaiselongue über ihren zeitgenössischen Miami-Lover jüngeren Jahrgangs, ihren Sexy-Hengsto, wie sie ihn mir mit sattem Gelächter an meine Zimmertapete imaginiert.
»Ja, ja«, antworte ich, »wenn die gute alte Lust in ihre Jahre kommt, da ist Kuscheln angesagt, keine Verhüterlis mehr im Suitcase, die sich nach ihren Einsatzbefehlen sehnen, keine Eisprung-Temperatur-Bestimmungen, kein Monatspillen-Futter, sondern freie zärtliche Vereinigung, vertrauensvolle tantrische Hingabe. Diese Zeit ist doch die Krönung für uns Frauen«, lege ich nun meine Essenz mit wissendem Lächeln auf das blaue Tablett, das noch die letzten Scheiben eines himmlischen Zitronenkuchens beherbergt.
»Alte Fabuliererin«, kontert nun Sexy-Hexy, »du hast dich doch seit Jahren nicht mehr in unseren sexuellen Dschungelcamps fündig gemacht und wie Dornröschen hinter deiner Hecke versteckt. Bei uns modernen Frauen ist Polarität angesagt. Anziehung und Abstoßung im Wechselspiel der Geh-und-Komm-Zeiten. Geile Alpha-Männchen werden mit Fessel-Ritualen domestiziert, dass ihnen Hören und Sehen vergeht. Dazu benötigen wir einen schneidenden Ton in der Stimme, strafende Knute, Augenbinde, auch bei jüngeren Schnittchen mit straffem Popo, capito, meine dornige Rose?«, wirft mir die Gefährtin aus freudigen Jugendtagen an den Kopf und kippt sich einen kräftigen Schluck meines selbst gebrauten Ingwer-Zitronen-Minze-Cocktails in ihren aufgespritzten Kirschenmund Marke XXL.
»Die angewandte Augenbinde versperrt wohl den Blick auf die Cellulite-Plantagen? Sehr clever von euch«, rutscht mir da verschmitzt aus dem Mund, der sich gleich danach von einem kräftigen Löffel würziger Kokosmilch-Hühnersuppe, mit Koriandergrün veredelt, verwöhnen lässt. Dieses delikate Süppchen hatte ich in den letzten Stunden liebevoll für meine Besucherin komponiert, die nun mitsamt Erfahrungs-Katalog forsch im ersten Gang Berggetriebe weiterfährt.
»Ja, ja, unsere ungeliebte Menopause mit ihrer trockenen Problemzone im Gepäck. Gleitgels, -cremes und -zäpfchen in allen Variationen, wenn du weißt, was ich meine, meine Liebe! Was für ein Stressfaktor neben der monatlichen Botox-Schiene. Die jüngeren männlichen Kaliber verlangen doch hie und da nach der horizontalen Position und die Konkurrenz schläft beileibe nicht«, wahrsagt sie und stürzt sich eilig in ihren Zottel-Nerz, um das schon angekündigte vierteljährliche Date mit ihrem leibhaftigen Ehegespons in der bayerischen Metropole anzuvisieren.
Jetzt versuche ich meine Wortkaskaden an die Frau zu bringen: »Du musst jetzt in deinen herbstlichen Gezeiten genügend Kalzium zu dir nehmen, mindestens 1500 mg pro Tag, aber nur wenn dein Vitamin-D-Spiegel damit übereinstimmt, also viel frische Luft und viel Fisch essen. Und mein Geheimtipp! Der Mönchspfeffer setzt peu à peu die Wassereinlagerungen der Cellulite frei. Gönn dir das natürliche Hormon der Cimicifuga-Silberkerze, dann klappt’s auch wieder mit den feuchten Zonen. Was macht deine Familie? Meine Enkeltochter hat Abitur geschafft und …« Da ist sie auch schon weg und ich rede nur noch mit dem offenen Fenster eines schicken, schwarzen Cabriolets, das sich mit einem Raubkatzensprung aus dem Staub zu machen beginnt.
»Gott schütze dich, meine jung gebliebene Prinzessin aus frohen Kindertagen, und vergiss dein altes Dornröschen nicht«, schicke ich der rasanten Lenkerin liebevoll mit auf den Weg. Gleich werden all meine Gedanken in einem Milch-und-Honig-Bad ertränkt und meine Gehirn- und Gedankengänge mit blauen Lichtbündeln ausgekleidet.
›Brainless diving‹ nenne ich diese meditative Übung, die mich schon so oft mit tiefer innerer Ruhe und geistiger Frische belohnt hat.
Neben dem randvollen Aschenbecher meiner Freundin dümpelt ein vergessener Notizzettel vor sich hin: »Mein Telefon klingelt. Jemand lispelt etwas über ein Happy-End in den Hörer. Jemand empfiehlt, des Alters Weisheit im Kaffeesatz zu suchen. Jemand spielt ein Spiel, doch keiner darf über Los gehen. Jemand preist die Bigamisten und alle ahnungslosen Ehefrauen.«
»Mensch, Prinzessin, lass mich mehr von dir wissen, lass uns wiederschauen«, tigert es durch meinen müden Kopf, als ich rituell die Schlafplätze meiner Katzenfamilie bereite und ein romantisches Date mit meinem Traum-Prinzen arrangiere. Zufrieden kuschele ich mich in mein gemütliches Bett, Kater Samson inbegriffen. Ein verdächtiges Gluckern wandelt Träume in Schäume.
Badewasser über Bord! SOS!
Da hilft nur ein basischer Reinigungstag, am besten mit Karotten:
Karottensalat für Schluckspechte
Als Hauptgericht für 4 oder als Beilage für 8 Personen
600 g Karotten
1 EL brauner Zucker
20 g Erdnussbutter
400 g frische Datteln
Saft von 1 Zitrone
1 EL Korianderblätter, gehackt
1 EL Basilikumblätter
200 ml frisch gepresster Orangensaft
150 g Sonnenblumenkerne, geröstet, zum Garnieren
Salz, Pfeffer