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Doris Knecht

HURRA

Kolumnen zwischen Zürich und Wien

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Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

Knecht, Doris: Hurra – Kolumnen zwischen Zürich und Wien /

Doris Knecht

Wien: Czernin Verlag 2004

ISBN 3-7076-0186-2

© by Czernin Verlags GmbH, Wien

Herstellung: Elisabeth Natz

Druck: Druckerei Theiss GmbH, St. Stefan

ISBN 3-7076-0186-2

eISBN 978-3-7076-0415-3

Alle Rechte vorbehalten, auch der auszugsweisen Wiedergabe in Print- oder elektronischen Medien.

Inhalt

Vorwort: Der Alltag nach Knecht

Wien

Küche mit Litschi

Menasse verkauft den Toaster

Unter Narren

Gut sein lohnt sich nicht

Zürich

Große Busen schön

Weiber!!!

Meine Lippe nicht

Mizzi und der Prinz

Im Bett mit Haemmerli

Runder! Weicher!

Blutiger Mittwoch

What Women Want

Ticktackticktack

Wo Frauen winseln

Und zack aufgehört

Wien im Sommer

Schwanzwedeln

Zurück in die Zukunft

So lebe ich

Dirty old vorgestern

Im Irrentrakt

Chickflick

Madonna im Slip

Vorsicht: Schmerz!

Williams Vs. Geldof

Unrecht in Graubünden

Jetzt neu mit Franzerl

Angriff der Witzmörder

Nie, Fipsi. Nie.

Eins zu null für Bier

Große Brüste blöd

Lob der Faulheit

Wien

Der Fluch des Grillers

Grüsse vom Resthirn

Haemmerli lernt Lesbisch

Ich komme, um mich zu beschweren

Bei den Außerirdischen

What a difference a day makes

Ende der Schonzeit

Reine Theorie

Konfektionsgröße 12

You’re a big girl now

Der pure Luxus

Wo ist mein Masseur?

Don’t try this at home

Haemmerli B. Goode

Supermummys Rise and Fall

My Back shoes

In meiner Gegend

Nie wieder Almodóvar

Blöde Weiber

Nur 48 Stunden

Gulligulli

Das Beste aus meinem Leben

Always on my mind

Hangover

Im Mütterrudel

Bitte nicht stören!

Titten

Titten II

Das Fräuleinwunder

Im Trauerspiel

Meiers Liste

Nein. Nein!

Ruf. Mich. Nicht. An.

Knietief im Aua

Gestatten, Vollpfeife

Es geht voran

Auf die Knie!

Forever Young

Wir sind dagegen!

Im Guten wie im Schlechten

Männer in roten Hosen

Auf dem Spielplatz

Frauen-Schicksal

AUAAAAA!

Alles zugewachsen

Biedermanns Erholung

Happy Birthday to you

Alles bleibt anders

Ich bin alt

Knecht Live aus der Hölle

Wie weiland die Oskars

Der Proll-Ausweis

Vielleicht auch gleich bessere Nasen?

Guten Tag, guten Tag

Große Mädchen allein zuhaus

Schau mal, wer da spricht

Nicht einschlafen!

Jetzt gibts Haue.

Moooorgen!

Der absolute Stiefel

Es wird schon wieder.

Sitzen lernen

Hauch der Freiheit

Alles so platt hier

Feigheit vor dem Freund

Kommt zurück, Borers!

Der Künstler als Mensch

Im Dschungel

Punk’s Not Dead

Mizzi wird Millionär

Mizzi wird nicht Millionär

Schöne Schuhe!

Maul halten

Die neue Weltordnung

Byebye Wauwau

Vorwort

Der Alltag nach Knecht

Von Robert Menasse

Eines Tages hatte ich einen Traum. Es war vor kurzem. Aber es wird ewig „eines Tages“ bleiben. Ich hatte gerade eine Kolumne von Doris Knecht gelesen, anschließend etwas anderes, sehr ähnliches, nur viel längeres, ich glaube Doderer – worauf ich einschlief. Ich träumte, dass ich mit Doris Knecht eine Affaire hatte. Haben wollte. Jedenfalls mit ihr beschloss, eine zu haben. Vielleicht ist das aber schon die Interpretation des Traums. Geträumt habe ich, dass wir uns in einem Hotel verabredeten. Das Hotel hieß „Alltag“ – da hätte ich schon stutzig werden müssen. Man verabredet sich nicht zu Affären im Alltag, auch wenn sie dort jederzeit in jeder erdenklichen Form geschehen können. Es passierte nämlich folgendes: Ich trat ein. Der Teppich, ein roter Läufer, der vom Eingang zur Rezeption führte, quatschte, schlürfte, schmatzte, grunzte bei jedem Schritt, den ich machte. Ich ging langsamer, fast in Zeitlupe, hatte den rätselhaften Eindruck, plötzlich Wasser in den Schuhen zu haben. Ich blieb stehen, machte im Stand eine abrollende Bewegung mit einem Fuß – da war dieses Geräusch wieder. Ich blickte zu Boden. Zunächst fiel mir nichts auf. Ein dunkelroter Läufer. Vielleicht zu dunkel rot. Als wäre er nass. Dann erst sah ich sie: die Zierfische, die da auf dem Teppich, in der ganzen Lobby des Hotels lagen, japsend, mit zuckenden Schwanzflossen, elend stolz schimmernd. Ich blickte auf, sah vor mir, wie am Ende eines Tunnels, das professionell erwartungsfrohe Lächeln der Rezeptionistin hinter ihrem Tresen.

Ich zertrat auf den letzten Metern keinen Fisch, unentwegt strahlend beobachtet von der Frau hinter dem Ankunftsdesk. Sie hatte ein Namenschild: „Alltag – Knecht“.

Ich musste meinen Namen sagen. Ich wusste ihn noch. Eine Unterschrift leisten. Sie war schwungvoll und leserlich.

Dann erst fragte mich diese Frau Knecht, ob ich hoffentlich nicht inkommodiert sei von den Fischen auf dem Boden. Ich beeilte mich zu verneinen.

In der Lobby des Hotels habe sich ein riesiges Aquarium befunden, erklärte sie. Sehr stimmungsvoll. Ein Gast, der einem anderen einen Golfschläger vorführen wollte, hat mit diesem Golfschläger die Glaswand des Aquariums zertrümmert, zigtausend Liter Wasser und Dutzende Fische sind in einem Schwall herausgeschwappt.

Golfstrom, sagte ich. Sie lachte. Es ist wie es ist, nur unsere Erwartungen sind anders, sagte sie.

Ich wachte auf. Schweißnass. So kann es einem gehen, wenn man Doris Knecht liest. Aber man sollte nicht träumen. Auch wenn ihre Texte dazu herausfordern zu phantasieren. Augen offen halten! Und sehen: Es ist, wie es ist, so logisch, wie die Konsequenzen eines Zusammentreffens von Golfschläger und Aquarium. Nur unsere Erwartungen sind anders.

Doris Knecht ist eine Literatin unter den Journalisten, eine Alltagssoziologin unter den Literaten. Wenn man ihre Kolumnen sammelt, eine auf die andere legt, dann wird daraus eine Stiege in der immer flacher werdenden Welt. Eine „Strudelhofstiege“, heute.

Wien

Jeder hat ein Hobby

Kürzlich hat Sedlacek brüllend sein Handtelefon auf dem Boden vom „Schwarzen Kameel“ zertreten, weil es einen Moment lang nicht funktioniert hat. Das war, nachdem er seine „Chamäleon“-Performance nicht zeigen konnte, weil im Schwarzen Kameel keine Creme Brulé serviert wird. Das Chamäleon kannte ich noch nicht, und ich hab zu Seidenberg, der mit am Tisch saß, gesagt: „Er braucht Crème Brulé dafür? Um Gottes Willen. Ich kann es mir ungefähr vorstellen.“ Seidenberg, ein durch langjährige Erfahrung abgebrühter Sedlacek-Freund, blickte mir ausdruckslos in die Augen und sagte: „Nein. Das. Kannst. Du. Nicht.“

Die meisten Leute haben ein Hobby: sie sammeln in ihrer Freizeit Platten, sie gehen exzessiv ins Kino, sie lesen Bücher über das Paläozoikum, schreiben einen Krimi, spielen Golf, ackern ihren Garten um. Hobbys sind etwas Schönes, weil sie dem Menschen die Illusion vorgaukeln, sein Leben habe auch abseits seines Arbeitsplatzes einen Sinn. Auch Sedlacek hat ein Hobby: Er benimmt sich schlecht. Er würde sich gern immerzu schlecht zu benehmen, muss sich aber aus wirtschaftlichen Gründen auf sein bisschen Freizeit beschränken. Trifft Sedlacek auf der Straße zufällig einen Geschäftspartner, parliert er mit diesem in aller Höflichkeit, erkundigt sich nach dem Wohlbefinden der Gattin, memoriert mühelos die Namen der Kinderchen, ist taktvoll, aufmerksam, charmant, ein Mann von allerfeinsten Manieren. Kaum ist der Geschäftspartner außer Hörweite, bellt Sedlacek den nächstbesten Passanten nieder. Ich meine „bellen“ im Sinne von „bellen“ wie in „bellen“.

Leute, die Sedlacek nur privat kennen, halten ihn für ein Versuchsobjekt in einem gewagten Experiment der offenen Psychiatrie. Sedlacek wirft im Restaurant mit Essen. Er steckt sich Havannas in die Nase. Er beschimpft seine Socken. Er zeigt seinen Jetzt-zieh-ich-mal-das-Tischtuch-unter-all-diesen-Gläsern-Tellern-und-Flaschen-weg-und-nichts-wird-umfallen-Trick, für den ihm etwa zwei, drei Jahre intensives Training fehlen. Sedlacek genießt seine Freizeit außerordentlich.

Im Idealfall gemeinsam mit dem Schauspieler Paulus Manker, für den schlechtes Benehmen nicht nur ein Hobby ist. Kellner bekreuzigen sich, wenn Manker oder Sedlacek ein Lokal betreten; sie drohen mit Selbstmord, wenn Manker und Sedlacek ein Lokal betreten. Mein letztes gemeinsames Nachtmahl mit Manker und Sedlacek gipfelte darin, dass ich mich brüllend auf Manker warf, um ihn daran zu hindern, eine 100-Euro-Note anzuzünden, während Sedlacek, der Geld zu sehr liebt, um seine sinnlose Vernichtung zu ertragen, mit einem Glas 95er-Tignanello nach dem Hunderter zielte, leider aber daneben und Mankers Skriptbuch traf, was Manker in wütendes Geheul versetzte und für den Geldschein nichts Gutes hieß. Später hat Sedlacek noch das Chamäleon gemacht. Nein, Sie können sich das nicht vorstellen.

Küche mit Litschi

Doch. Ja. Das ist eine schöne Küche. Das ist eine sehr schöne Küche: Diese klaren, japanophilen Formen, diese perfekte Harmonie von schokoladenbraunen Tropenholzoberflächenflächen, sandgestrahltem, poliertem Edelstahl, schimmerndem Glas und einer Handvoll praller Litschis, die dekorativ auf einer der makellose Arbeitsoberfläche liegt. Das ist eine großartige Küche. Die Küche ist neu, hat knapp 30.000 Euro gekostet und gehört meinem Bekannten Sedlacek. Augenblicklich lehnt Sedlacek in lockerer Haltung an etwas, bei dem es sich vermutlich um einen High-Tech-Designer-Herd handelt und versucht, seinen Besitzerstolz zu unterdrücken, um die ideale Balance des Raumes nicht durch schlechte Vibes zu gefährden. „Sedlacek, das ist eine fantastische Küche“, sage ich mit dem angemessenen Respekt, „wofür wirst du sie benutzen?“

Zugegegeben, meine moralische Basis über Leute zu urteilen, die nicht kochen, ist fragil, wenn man bedenkt, dass ich zwei meiner drei Paradegerichte mit der Kurzwahltaste meines Telefons zubereite (# 1 für Hallo Pizza – Sardellen, Kapern, Oliven, Käse; # 2 für Sakura Sushi – einmal gemischt, bitte); und mit dem dritten, chinesischer Instant-Nudelsuppe der Marke „Yum Yum“ mit Hummeraroma, brauche ich auch nicht anzugeben. Sedlacek allerdings kocht ausschließlich japanischen grünen Tee und das nur an Sonntagen, weil er unter der Woche seine 260-Quadratmeter-Maisonette einzig dazu benützt, sich die Zähne zu putzen, vier Stunden zu schlafen, zu duschen und sich die Zähne zu putzen. Sedlacek wohnt nicht. Sedlacek kocht nicht, da er 16 Stunden am Tag mit seinen Werbekunden geschäftsisst, und zwar auf edel, denn, wie Sedlacek zu sagen pflegt: Der Etat geht durch den Magen.

Sedlacek nimmt in seiner Wohnung keinerlei Nahrung zu sich, und ich bin bereit, auf der Stelle meinen Parkettboden darauf zu verwetten, dass die Litschis auf dem Küchentresen einmal in der Woche von Sedlaceks Putzfrau in den Müll geschmissen und durch frische ersetzt werden, so, wie sie einmal in der Woche den Billardtisch absaugt, der sich in Sedlaceks Mega-Wohnzimmer allein zu dem Zweck verliert, einmal in der Woche von der Putzfrau abgesaugt zu werden. Von Sedlaceks Fernseher, einem Design-Trum von der Größe des Donau-Deltas, das Sedlacek nicht bedienen kann, will ich nicht sprechen.

„Wozu brauchst du eine Küche?“ frage ich Sedlacek, aber er ignoriert das, und ausnahmsweise lass ich ihm das durchgehen: Er tut mir ein bisschen leid, wie er da in seiner 30.000 Euro-Küche lehnt und das Dilemma des modernen, urbanen Workaholics repräsentiert: Er kann sich diese Küche nur deshalb leisten, weil er keine Zeit darin verschwendet. „Ist sie nicht wunderschön?“ sagt Sedlacek. Ja, Sedlacek. Sie ist perfekt.

Menasse verkauft den Toaster

Letzte Woche hat mir Robert Menasse erzählt, dass er seinen Toaster verkauft hat. Mit Riesenverlust, weil der Toaster beim Einkauf etwa 600 Euro gekostet hat und beim Verkauf nur noch 150, aber er habe die Spannungen zwischen seinem Haus und seinem Toaster nicht mehr ausgehalten, sagte Menasse, und der Konflikt, ob er das Haus niederreißen und um den Toaster herum ein neues bauen oder den Toaster verstoßen soll, entschied sich letztlich zu Ungunsten des Toasters. Und dann war da noch etwas. Jedenfalls inserierte Menasse den Toaster in einem Anzeigenblatt und gab dem ersten von 130 Interessenten ohne zu feilschen den Zuschlag, unter der Bedingung, dass der Toaster innerhalb von zwei Stunden aus seinem Haus entfernt werde; was geschah.

Robert Menasse ist Schriftsteller, Essayist, Staatspreisträger; ein Mann von Stil und Geschmack und deshalb lässt er sich regelmäßig den „Manufaktum“-Katalog ins Haus schicken. Das Haus steht im Waldviertel, der hantigsten, unnahbarsten Gegend Österreichs: es ist, soviel ich weiß, ein halbverfallener Bauernhof, den seine Besitzer irgendwann verlassen haben, um ihr Glück in fruchtbareren Gegenden und schöneren Häusern zu finden. Jetzt schreibt Menasse dort viele Monate im Jahr an seinem neuen Roman, allein mit seinem Computer, vielen Flaschen Rotwein und ein paar Tomatenstauden, mit denen er sich zwischendurch der Entspannung halber beschäftigt.

Und mit dem „Manufaktum“-Katalog, in dem er blättert, wenn ihn die Sehnsucht nach der Wohlgestalten, urbanen Zivilisation überwältigt. Der „Manufaktum“-Katalog ist ein elegantes, gediegen bebildertes Werk mit ausschließlich perfekten Gegenständen, und unter diesen erspähte Menasse schließlich den Toaster. Seinen Toaster. Den Toaster aller Toaster, so erzählte Menasse, so einer, wie sie seit Jahrhunderten in englischen Pubs benützt werden, riesig, chromglänzend, mit Griffen aus schwarzem Bakelit und Heizdrähten aus gezwirbeltem Vulkan-Gestein. Der Toaster wurde ein paar Wochen später zugestellt, von Menasse in seiner Küche vorteilhaft platziert, bewundert, geliebt und seiner Bestimmung zugeführt. Einmal oder zweimal. Vielleicht dreimal.

Dann hat Menasse festgestellt, dass die Toasts genauso schmecken, wie die aus seinem winzigen, alten Plastiktoaster, und dass das beste an diesem Toaster das Versprechen seiner Unverwüstlichkeit ist. Leider macht sich Unverwüstlichkeit erst bezahlt, wenn sie sich etwa 70, 80 Jahre lang erwiesen hat, also ungefähr, wenn Menasses Enkel den unverwüsteten Toaster mit ehrfürchtig geneigtem Haupt ihren Enkeln übergeben. Menasse musste feststellen, dass er vom der wahren Wert dieses Toasters nie würde profitieren können, niemals, und so wurde ihm der Toaster zum unvergänglichen Fanal seiner eigenen Vergänglichkeit und der seines Hauses. Das kränkte. Da hat er den Toaster verkauft.

Unter Narren

Tom, Fritz, der Lange, Martin Rev, Alan Vega und ich sitzen im Backstage-Raum vom Flex. Alle sind betrunken, vor allem Alan Vega, der ohne Unterlass erzählt, er habe seit kurzem einen Sohn und trinke nicht mehr. Und, falsch: Fritz sitzt nicht, er rutscht auf den Knien zwischen Alan Vega und Martin Rev hin und her, schlägt Kopf und Hände auf den Boden und brüllt unaufhörlich „Thank you, thank you, thankyou, thaaaaankyouuuu!!!!“. Fritz ist 43 Jahre alt und ein nicht gänzlich erfolgloser Radio-Macher. Alan Vega hat einen Blick im Gesicht, als wäre es ihm lieber, Fritz würde sich endlich von seinen Knien erheben und sich neben ihm aufs Sofa setzen, damit er ihm erzählen kann, dass er seit kurzem einen Sohn hat und nicht mehr trinkt, aber Fritz weiß, wie er sich angesichts eines Gottes zu benehmen hat. Thank you. Thankyouthankyou. Jeremy stellt im Zehn-Minuten-Rhythmus Becher mit klaren Flüssigkeiten vor Alan auf, die Alan mit ungebrochener Überzeugung im Zehn-Minuten-Rhythmus als erstaunlich lecker schmeckendes Wasser akzeptiert.

Halt! Stop!! Auszeit. Man muss vielleicht kurz erklären, was hier los ist, weil das die meisten Leute aus gutem Grund nicht verstehen werden. Also: Vor einer Stunde haben Suicide ihr einziges Reunion-Konzert in Europa beendet. Martin Rev hat eine unfassbare Sonnenbrille getragen und auf sein Keyboard eingehackt, während sich Alan Vega auf der Bühne wälzte und „Dream Baby Dream“ ins Mikrophon stöhnte und „Jukebox Baby“ und „Frankie Teardrop“. Unten, im Publikum, standen weitere Männer in Fritzens Alter und weinten vor Glück; Plattenladenbesitzer, Szenewirte, Musikjournalisten, DJs und Filmemacher, Männer, die versucht haben, ihren Traum wenigstens an einer Faser zu erwischen, um ihn nicht ganz zu verlieren. Aber die zwei Männer da auf der Bühne, die haben ihrem Traum ihr Leben geopfert.

Denn Suicide: Suicide sind immer Götter der Popmusik gewesen, die, die schon in den späten Siebzigern elektronische Sounds, heftige Beats und herzzerreißendes Crooning zu verbinden wussten, die, auf die sich alle, alle Elektronik-Musiker beziehen; ja, Depeche Mode auch. Und jetzt sehen sie alt und verlebt aus, weil sie alt und verlebt sind. Aber sie träumen ihren Traum immer noch.

Ich bin dort gestanden und habe gewusst, dass Sedlacek das alles unendlich lachhaft gefunden hätte, wäre er hier gewesen, aber zum Glück war er das nicht. Er hätte es nicht verstanden. Die meisten würden es nicht verstehen, und ausnahmsweise verstehe ich alle: Sedlacek, die meisten und Suicide, weil es natürlich stimmt, dass man nur würdig altern kann, wenn man seine Rock’n’Roll-Träume irgendwann der Vernunft opfert. Aber andererseits berührt es einen in der Seele, wenn jemand den Mut hat, es nicht zu tun. Und außerdem: Alan Vega hat jetzt einen Sohn und trinkt nicht mehr. Das ist nicht nichts.

Gut sein lohnt sich nicht

Einmal hat mir Norbert Gstrein etwas gesagt, das fand ich überaus richtig. Gstrein ist ein Tiroler Schriftsteller, aber er lebt in Zürich, und dort saßen wir im „Wilden Mann“, aßen einen Fisch und Gstrein erzählte, wie er früher geglaubt hatte, wenn er alles richtig macht, wenn er versucht, wirklich gut zu sein, dass er dann dafür belohnt wird. Und er hat versucht alles richtig zu machen und ein ganz Guter zu sein, und er hat gewartet und gewartet, bis er irgendwann draufgekommen ist, dass es fürs gut sein überhaupt keine Belohnung gibt. Nichts. Gar nichts.

So geht es mir nämlich auch immer. Erst letzthin beim Jassen im Adler-Hof zum Beispiel. Ich hatte mir einen Lauf aufgespart. Ich hab gewusst, wenn ich jetzt Ruhe bewahre, wenn Pauli, mein Jasspartner, jetzt kapiert, worauf ich hinauswill, dann wird das ein Matsch, ein virtuoser Matsch, kein Kindergartenmatsch, bei dem alle Stiche von vorherein aufgelegt sind, sondern ein Profi-Matsch, erkämpft mit Geschick, Taktik und Übersicht. Und ich hatte schon den ganzen Abend gespielt wie ein kleiner Gott, nicht einen Fehler hab ich gemacht; nicht einen. Ich spiel also ein kleines Herz aus, und sieh da, der König geht, und genau wie ichs im Gespür hatte, hat Pauli die Sau, und dann bringt er mir das Herz noch einmal und das ist gut, das ist sehr gut, weil jetzt habe ich vier Böcke, kleine unscheinbare, mit weiser Umsicht gesparte Böcke und gerade, als ich den vierten mit einem fiesen Grinser ausspiel und das Wutgeheul unserer Gegner mit unsäglicher Befriedigung zur Kenntnis nehme, düdelt mein Handy, und es ist Sedlacek, und er sagt, er bringt sich jetzt um, er steht schon am Balkon, vier Stockwerke, das müsste hinhauen. Ich sage: Sedlacek, bitte. Jetzt nicht. Das wird ein Matsch.

Das klingt jetzt herzlos, aber Sedlacek will sich drei Mal am das Leben nehmen, und ich weiß, dass er in einer halben Stunde wieder anruft, um mir irgendwas in der Art zu erzählen, dass er noch diese Woche in New York einen Ableger seiner Agentur eröffnen wird, um diesen degenerierten Amis einmal zu zeigen, was richtig gute Werbung ist. Außerdem kann ich hören, dass er gar nicht am Balkon steht, sondern an seinem Fernseher herumzappt. Er verbringt offenbar einen Abend allein zuhause; das macht ihn depressiv.

Jedenfalls bringt mich Sedlaceks Genöhle derart aus der Fassung, dass sich mein Gespür für Paulis Blatt verflüchtigt und ich nach den Böcken genau die falsche meiner letzten beiden Karten ausspiele, genau die, die Pauli nicht parieren kann und der Matsch ist versaut. Einfach versaut. Und danach haben wir das ganze Spiel verloren.

Norbert Gstrein hat mir im „Wilden Mann“, da waren wir schon beim Rahmglacé, erzählt, dass er das Gutsein und Richtigmachen dann gelassen hat. Er war und tat dann einfach nur noch. Und wissen Sie was? Es ist nichts Schlimmes passiert. Er wurde nicht dafür bestraft. Ich denke, das mach ich jetzt auch.

Zürich

Komm und sieh

Gestern hat Sedlacek angerufen; er kommt nächsten Sonntag aus Wien. Das ist gut. Wir werden in die

„Kronenhalle“ essen gehen, was heißt essen: Unmäßig völlern werden wir, exzessiv trinken, brüllend lachen, über Politik und Haider schimpfen, es werden Gläser zu Bruch gestikuliert werden, wofür wir uns barock entschuldigen; und all das tun wir kriminell vorsätzlich. Und ich hege den überaus berechtigten Verdacht, dass Sedlacek ungeniert anzügliche Bemerkungen machen wird; dass er schamlos meine Beine taxieren und ohne Ende meine elendsschicken neuen Stiletto-Stieflettchen bewundern wird, und er wird meinen Gewichtsverlust loben, nicht ohne zu kritisieren, dass er auch Stellen einschließt, an denen das bei Gott nicht notwendig gewesen wäre. Und wissen Sie was? Ich brenne darauf. Denn, nein, das bedeutet keineswegs, dass Sedlacek mich als leicht verfügliches Sexluder betrachtet. Es bedeutet schlicht und einfach, dass Sedlacek am Leben ist. Und das ist weit mehr, als man von den meisten Zürchern behaupten kann.

Im Unterschied zu Sedlacek und allen andern nicht an Beatmungsgeräten angeschlossenen Wienern denkt der männliche Zürcher nämlich nicht 24 Stunden am Tag an Sex. Falls er überhaupt je an Sex denkt, kann er es ausgezeichnet verbergen. Das finde ich beunruhigend, ungesund, sterbenslangweilig. Zum Beispiel betrachtet der lebende Wiener – was sehr nerven kann – eine Frau prinzipiell von unten nach oben. Er heftet seinen Blick auf ihre Schuhe, lässt ihn voller Interesse an ihren Beinen hochwandern, verharrt kurz auf Hintern oder Hüfte, schweift zu ihrer Büste hoch und entscheidet an dieser Stelle, ob es sich lohnt, sich mit dem Gesicht zu beschäftigen. Falls er dort je ankommt, wird er von der gelernten Wienerin mit einem freundlichen Lächeln und einem Hallo-wie-war-die-Anreise?-Blick begrüßt, und wenn das dem Wiener nicht so peinlich ist, dass er rothäuptig abzieht, kann man immer noch einen Diskurs über den Humanismusbegriff bei Hegel führen, denn das eine schließt das andere nicht aus.

In Zürich dagegen schon. Der Zürcher weicht jeder dräuenden Zweideutigkeit großräumig aus. Wird beispielsweise ein Wiener von einer nicht komplett abstoßenden oder unsympathischen Frau überraschend auf ein Bier eingeladen, wird er, auch wenn er jetzt nichts von ihr will, die Einladung mit freudiger Erregung annehmen und in gespannter Erwartung all jener Dinge harren, die nicht zwingend passieren müssen, die man aber nicht ausschließen kann und die der Wiener nie ausschließen wird – er ist ja kein Depp. Während der Zürcher allsogleich ein völlig verschrecktes IchweißnochnichtobichZeithabeichmeldemich ausstößt, zitternd sein Handy ausschaltet und sich unter seiner Bettdecke tot stellt. Denn: Bedrohlichste Unabsehbarkeiten zeichnen sich ab! Das ist dem Zürcher verdächtig, störend und zuwider, weil er Zwischenmenschlichkeiten mit demselben vernunftorientierten Pragmatismus verwaltet wie Bankkonten.

Deshalb sieht der Zürcher einer fremden Frau nie woanders hin als in die Augen, und das wirft eine interessante Henne-oder-Ei-Frage auf: Tut er das, weil in Zürich alle Frauen (selbst die Huren) flache Schuhe, Hosen und kein Make-up tragen? Oder tragen in Zürich alle Frauen (selbst die Huren) flache Schuhe, Hosen und kein Make-up, weil die Zürcher sowieso nicht hinschauen? Es drängt sich allerdings die dritte Möglichkeit auf, dass der Zürcher deshalb nur oberhalb schaut, weil er befürchtet, unterhalb einen Rock oder gar Stöckelschuhe zu entdecken. Um Himmels Willen. Solches sagt dem Zürcher dreierlei:

1. Alarm. 2. Akute erotische Angriffsgefahr droht. 3. Nichts wie weg hier!

Ist es bald Sonntag? Komm und sieh meine Schuhe, Sedlacek. Und tu dir auch sonst keinen Zwang an. Leb einfach drauflos.

Große Busen schön

Manu sitzt in einer Bar hinter einem Martini und hat einen Zorn wegen meiner Kolumne über die Zürcher. Wieder mal dein üblicher postfeministischer Dreck, sagt Manu, ich dachte, davon wärst du allmählich geheilt. Und dieser Sedlacek schon wieder, sagt Manu, reicht das nicht, dass der Narrische am Leben ist, musst du ihm unbedingt auch noch ein Forum verschaffen?? Vor allem aber ist Manu wütend, weil ich die Zürcher dafür kritisiert habe, dass sie im Unterschied zu Sedlacek den Frauen immer nur in die Augen schauen, und das hält Manu für eine vorbildliche Sichtweise, quasi, dass die Zürcher aus den Gender- und Frauenverdinglichungsdebatten gelernt haben, im Unterschied zu Sedlacek, aber der kann wahrscheinlich gar nicht lesen, sagt Manu, ich weiß wirklich nicht, was DU immer mit DEM hast. Ich würde gerne einwenden, dass die Art, wie die Zürcher schauen, weniger mit Aufgeklärtheit als mit totaler Leidenschaftslosigkeit zu tun hat, aber wenn Manu wütet, tut sie das mit wortreicher Konsequenz.

Während Manu zürnt, zeigt sie übrigens reichlich Décolleté, was insofern keine Rolle spielt, als das Décolleté von einem dünnen Fähnchen eingerahmt wird, das knapp unter Manus Arsch endet, und als sie eben ihre Netzstrumpfhaxen auf den Stäbchen ihrer Sergio Rossis zum Zigarettenautomaten dirigierte, zog sie eine Batterie Männerblicke auf sich, die, da sich die Bar nicht in Zürich befindet, an der blitzenden Klugheit in Manus blauen Augen mäßig interessiert waren.

Himmel, Manu, schau dich doch an, sage ich schließlich (auch Manu muss mal Atem holen, und ein Martini trinkt sich nicht von selbst) – so wie du dich herrichtest, willst du doch gesehen und bemerkt werd …, doch Manu hat schon wieder Luft genug, um das bescheuert zu finden: Ich schaue so aus, sagt Manu, weil ich mich schön finde so und nicht, weil ich irgendwelchen Kerlen gefallen will.

Wenn ich mir ein Mal – ein einziges Mal, lieber Gott! – etwas von den gescheiten Sachen, die ich hin und wieder lese, merken würde, dann würde ich Manu jetzt etwas von Walter Benjamin zitieren, und zwar aus „Sprache und Geschichte“, aus dem Kapitel, wo es um Begrifflichkeit geht. Ich glaube jedenfalls, dass es um Begrifflichkeit geht, kann es aber nicht garantieren, weil ich den Benjamin in einem Anfall von pädagogischem Idealismus Sedlacek geschenkt habe, der ihn seither zur Dekoration der Heckablage seines Angeberautos benutzt; und der freundliche Buchhändler von der Stauffacherstraße muss ihn erst bestellen. Käme ich zu Wort, würde ich also sowieso wie immer auf das Einzige, was ich mir merken kann, zurückgreifen müssen, also das Boulevardfernsehen, wo sie letzthin eine 15-jährige Britin interviewt haben, die sich zum 16. Geburtstag einen größeren Busen machen lässt, weil sie, wie sie sagte, große Busen schön findet. Aber warum findet eine 15-Jährige einen großen Busen schön? Weil ihr der Begriff „schön“ in ihren 15 Jahren angefüllt worden ist von Magazinen und vom Fernsehen und von den Buben in ihrer Disco. Ihre Meinung darüber, was „schön“ sei, ist ihr ja schließlich nicht gewachsen wie ihre Niere, genauso wenig wie Manu ihre Vorliebe für Balanceakte auf Rossis Mikadostäbchen.

Zudem ist Manu ja nicht blöd und über 30, und ihr Begriff von „schön“ wurde durchaus auch von Schwarzer und Beauvoir beeinflusst, und darüber würde ich gerne mit ihr diskutieren, aber leider taucht in diesem Augenblick völlig unerwartet Sedlacek auf. Und während Sedlacek seinen Hintern neben mir auf einen Barhocker hievt, richtet er seinen Blick stur gerade aus auf Manus schöne Büste und sagt: Geil schaust aus, Oide, und dann sieht man von Manus blitzgescheiten blauen Augen nur noch das Weiße.

Weiber!!!

Manu sitzt im „Sprüngli“ am Paradeplatz vor einem Café crème und ist sauer über meine letzte Kolumne über Manu. Netzstrümpfe!, sagt Manu mit einer Leidenschaftlichkeit, die ihr, da wir uns in Zürich befinden, eine Familienpackung tadelnder Blicke distinguierter Pelzdamen einträgt, ich besitze überhaupt keine Netzstrümpfe, und ich mag auch keinen Martini, und überhaupt hast du mich dargestellt wie ein Sexhäschen aus einem Siebzigerjahre-Porno, schimpft Manu, so lasziv an eine Bar gegossen, wie von einem läufigen Kerl in einem feuchten Traum fantasiert, ist ja widerlich.

Während Manu beklagt, wie eine Sexfilm-Tussi dargestellt worden zu sein, trägt sie einen tief ausgeschnittenen rosa Pulli, dessen Ärmel nicht fest genäht sind, also ihre schönen, weißen Schultern und zwei ebensolche Oberarme preisge …, aber wenn ich hier fortfahre, spricht Manu nie wieder ein Wort mit mir. Das möchte ich verhindern, denn Manu ist eine gute Freundin, und ich hätte gerne, dass sie es bleibt. Weil: Es stimmt in Wahrheit gar nicht, sie trägt ihren rosa Sexhäschenpulli im „Sprüngli“ nicht. Und ich gestehe, dass das mit den Netzstrümpfen auch nicht gestimmt hat. Manu trägt im Unterschied zu Lotte, Mizzi, Pia und mir tatsächlich nie Netzstrümpfe, aber ich meine, das ist bitte schön eine Kolumne und kein Polizeibericht, es geht hier ums Exemplarische und nicht ums Tatsächliche, und all die anderen Sachen, die Manu in der letzten Kolumne trug, trägt sie wirklich. Genauso wie sie dieses ärmelige Ding tatsächlich besitzt, ich schwöre es bei Dolce & Gabbana.

An unserem Tisch im „Sprüngli“ sitzt außerdem ein langer Mann, der gar nicht zu Wort kommen will. Der Lange gehört zu mir (this one goes out to all the hilfsbereiten Herren, die mir, was Manu überhaupt nicht wundert, nach der Stöckelschuh-Kolumne geschrieben und angeboten haben, ihre Blicke über meinen Körper wandern zu lassen, danke herzlich, aber das war eigentlich als Metapher auf die hiesige, wie Saul Bellow sagen würde „Verachtung der kreatürlichen Bedürfnisse“ gedacht und keineswegs, wie Manu boshaft unterstellt, als schlecht getarnte Kontaktanzeige). Und weiß Gott, der Lange kennt diese Sorte Gespräch, denn Manu und ich führen es nicht zum ersten Mal, ebenso wie es der Mann kennt, der zu Manu gehört und auf den wir im „Sprüngli“ gerade warten.

Für gewöhnlich suchen die jeweils zugehörigen Männer das Weite, wenn Manu, Mizzi, Lotte, Pia und ich uns gepflegt unterhalten oder uns auf meinem Sofa zwölf Folgen „Sex and the City“* hintereinander ansehen. Der Lange ist letztes Mal bei Folge neun hereingeplatzt, als sich die Damen gerade auf hohem Niveau und überaus detailverliebt über Oralverkehr unterhielten. Der Lange sagte daraufhin, das sei total unrealistisch, im richtigen Leben führe kein Mensch je solche Gespräche, die fünf Frauen drehten sich mit verständnislosem Blick zu ihm und sagten „Spinnst?!?“, worauf der Lange blass wurde und das Weite suchte.

Das „Sprüngli“-Gespräch erträgt er gerade noch, außerdem ist er in Zürich ortsunkundig und auf mich angewiesen, und dann kommt eh der Mann, der zu Manu gehört, und wir gehen essen. Immerhin kann sich Manu über eines nicht beklagen: Ich-weiß-nicht-was-du-immer-mit-DEM-hast-Sedlacek kommt diesmal nicht vor. Und das, obwohl er letzte Woche in Zürich war. Aber wir haben ganz unspektakulär und ohne ungut aufzufallen im „Conti“ gespeist, und außer, dass er hinterher in der Bahnhofstraße ein paar unschuldige Passanten zur Ruhe gemahnt hat („RRRRRUHEEEEEEE! HOITS DIE PAPPN ES NUDLAUGN!!“), war nichts.

Meine Lippe nicht

Manu hat gesagt, es ist aus, wenn ich nochmal über sie schreibe. Mit Mizzi verhandle ich noch, ob ich die Geschichte mit dem Prinzen verwenden darf. Im Moment verlangt sie meine Westwood-Börserl für die Rechte an der Prinzengeschichte, was ich unverschämt finde, wenngleich die Geschichte wirklich gut ist. Aber mehr als das süße Gucci-Feuerzeug, das mir Sedlacek zu Weihnachten geschenkt hat, ist nicht drin und fertig, und dafür, dass ich das Feuerzeug in die Schlacht um die Prinzengeschichte werfe, wird mir Sedlacek den Kopf abreißen, obwohl ich selbstverständlich unter Tränen beteuern werde, dass es mir entwendet worden sei. Ich werde also etwas anderes erzählen müssen. Zum Beispiel die Geschichte, wie Sedlacek in Zürich einmal gesungen hat, auch wenn die Zürcher das ziemlich sicher in den falschen Hals kriegen, beziehungsweise: eine Abordnung davon hat das bereits.

Zuerst: Sedlacek ist kein Nazi. Sedlacek ist nicht mal rechts. Er ist politisch völlig indifferent, denn einerseits wäre er gerne ein Konservativer, weil er die Rechten für dumpf und die Grünen für modisch verwahrlost hält, anderseits wählt er stets die Sozialdemokraten, die er eigentlich unsexy findet. Er tut das, wie er einst gestand, im sentimentalen Gedenken an seine große, unvergessliche, litauische Liebe Olga, die er vor etwa 100 Jahren, als Litauen noch zur Sowjetunion gehörte, in einem Bordell kennen lernte, und die ihn vor etwa 99,8 Jahren, als Litauen immer noch zur Sowjetunion gehörte, zum Teufel jagte. Ich mache nach wie vor bei jeder Wahl mein Olga-Gedächtnis-Kreuzerl bei den Roten, seufzte Sedlacek mit feuchten Augen, sie war die Liiiiiebe meines Leeeeebens!, was ich unter keinen Umständen glaube. Sedlacek hat mir schon von zu vielen Lieben seines Lebens vorgeseufzt. Die meisten davon leben auf Kuba.

Die letzte Dame, die die Liebe seines Lebens hätte werden können, traf Sedlacek an der Theke des Wiener „Monte“; sie war jung und liebreizend, es war spät, man unterhielt sich, man trank, man fand sich toll, man küsste sich erst zart, dann heftig, und als Sedlacek die Dame in seinem Angeberauto nach Hause brachte und sich zum Abschied nochmal leidenschaftlich an ihr festsaugte, war der Spross der Liebe in ihm entsprungen. Und er wuchs kräftig bis anderntags um 13.25 Uhr, da traf Sedlacek im Kaffeehaus seinen alten Kumpanen Schöberl, dem er am Vorabend im „Monte“ hinter der schönen Dame hervor nur kurz zugezwinkert hatte. Man unterhielt sich, und Schöberl erzählte Sedlacek, dass die Dame ihm, Schöberl, eine knappe Stunde bevor er sie in Sedlaceks Lippenvakuum wiederfand, in der Toilette des „Monte“ sehr virtuos die Lewinsky gemacht habe, und zwar the full Monty. Als Sedlacek um 13.37 Uhr etwas sehr Hysterisches in mein Telefon würgte, war die Liebe bereits vorüber.