Berlin 2014
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In diesem lebensphilosophischen Essay geht Byung-Chul Han, “einer der radikalsten Denker Deutschlands“ (Peter Schiering, ZDF aspekte), der Frage nach, warum wir heute kein Ende mehr finden. Das Schließen der Augen ist nicht Abschluss des Tages sondern nur noch Symptom der Erschöpfung.
Edgar Morin
FÜR EIN DENKEN DES SÜDENS
Aus dem Französischen von Lilian-Astrid Geese
Aus dem Französischen von Claudia Hamm
Im Schweizer Dorf Davos versammelt sich alljährlich die Führungselite der Welt, um ungestört über den Lauf der Dinge zu entscheiden.
Im Januar 2012 waren Emmanuel Carrére und Hélène Devynck vor Ort, um herauszufinden, wie die Mächtigen dieser Welt sich verhalten, wenn sie unter sich sind. Im »Disneyland der Großen« erscheint die Welt ganz klein - und der Kuchen, von dem jeder ein Stück haben will, lässt sich in beliebig viele Stücke teilen.
Das sind also die Probleme der Menschheit in diesem dritten Jahrtausend. Hier liegt der Weg zum Heil. Da der Norden dies nicht erfüllen kann, wird es Aufgabe des Südens sein, sich der menschlichen Umstände anzunehmen.
Das Raumschiff Erde fliegt durch Nacht und Nebel. Möglicherweise auf Katastrophen zu, den Abgrund… Doch die menschliche Geschichte zeigt zum Glück Stärke, zuweilen ist schon Unwahrscheinliches geschehen. Und vielleicht fand etwas vom Unwahrscheinlichsten, Bewundernswertesten im Süden statt, im Süden Europas, in Griechenland, fünf Jahrhunderte vor unserem Zeitalter. Es gab ein gigantisches Reich, das persische Reich, das bereits alle griechischen Städte Kleinasiens verschluckt hatte, und zuletzt die kleine Stadt Athen erobern wollte. Gegen jede Wahrscheinlichkeit konnte die kleine Armee Athens mithilfe der Spartaner bei Marathon standhalten und die enorme persische Armee zurückschlagen. Das persische Reich hat Athen ein zweites Mal angegriffen und dieses Mal wurde Athen erobert, angezündet, geplündert, alles schien verloren. Doch die griechische Flotte stellte im Golf von Salamis der enormen persischen Flotte eine Falle, die beim Passieren der Engstelle dann Schiff für Schiff zerstört wurde. Nach Salamis musste Athen die persische Gefahr nicht mehr erdulden, und einige Jahrzehnte später entstanden die Demokratie und die Philosophie. Dieser Triumph des Unwahrscheinlichen hat unserer Kultur ihre Wurzeln gegeben.
Auch heute ist es wieder möglich, auf Unwahrscheinliches zu hoffen. Diese Hoffnung liegt in keinerlei wissenschaftlicher Sicherheit begründet, weil die so genannte wissenschaftliche Sicherheit des Fortschritts für die Zukunft nicht mehr gilt. Es ist eine Hoffnung, die keinerlei historischem Versprechen gehorcht, nachdem alle Versprechungen einer besseren Zukunft in sich zusammengefallen sind. Es ist eine Hoffnung, die nichts als Hoffnung, aber eben eine Hoffnung ist. Können wir sie ins Leben rufen?