cover
Hans-Dieter Frauer (Hrsg.) – Signale an der Front – Das geheime Kriegstagebuch von Funker Richard Rommel – SCM Hänssler
Richard Rommel

SCM Stiftung Christliche Medien

Inhalt

Leben zwischen den Fronten – Geleitwort des Verlags

Richard Rommel, ein Zeitzeuge – Vorwort des Herausgebers

Tagebuch von Funker Richard Rommel

Krieg gegen Polen 1939

Westfeldzug 1940

Einfall in die Sowjetunion

Die Jahre 1941 und 1942

Das Jahr 1943

Das Jahr 1944

Das Jahr 1945

Neuheidentum und Kirche – Württemberg im Dritten Reich

Lebensdaten von Richard Rommel

Weitere Bücher des Autors

Karten

Vergangenheit erinnern kann,

ist dazu verdammt,

sie zu wiederholen.«

George de Santayana zugeschrieben

Leben zwischen den Fronten – Geleitwort des Verlags

Was hat mich mit 18 Jahren beschäftigt und herausgefordert – was sind die Ziele eines 18-Jährigen heute?

Diese Frage stellte sich mir, als ich vor wenigen Wochen, meistens nachts, das Kriegstagebuch von Richard Rommel las. In grünes Leinen eingewickelt, erlaubt es einen Blick in unsere deutsche Geschichte und in eine Lebensgeschichte. In Stichworten, Sätzen, mit Fotos, Tag für Tag Krieg, sechs Jahre lang, kein Entrinnen.

Muss man solch ein Buch heute noch in unserem Verlag veröffentlichen? Werden sich Menschen dafür interessieren? Haben wir damit noch etwas zu tun?

Warum lassen mich diese Fragen nicht in Ruhe? Vielleicht weil ich darin einem normalen jungen Erwachsenen begegnet bin, der so Außergewöhnliches erlebt hat und so außergewöhnlich gelebt hat.

Einem jungen Menschen, dem eine unbeschwerte Jugendzeit genommen wurde und der mit einer Wucht an Veränderungen, mit Gewalt, Entbehrungen, Angst und dem Tod konfrontiert wird.

Einem jungen Christen, der in Kaserne und im Krieg nicht seinen Glauben an Jesus Christus versteckt, sondern Verbündete sucht, mit denen er in der Bibel lesen oder einen Gottesdienst (ohne Hakenkreuzfahne auf dem Altar) feiern kann.

Einem jungen CVJMler, der nicht nur an sich denkt, der für andere sorgt und versucht, das Leben anderer zu retten.

Einem jungen Mann, der schwere, letzte Nachrichten an die Eltern seiner gefallenen Freunde zu überbringen hat und daran nicht zerbricht.

Einem jungen Soldaten, der sich über Jahre in Todesgefahr befindet, von dem selbst gefordert wird, zu schießen und zu töten, der dabei mit seiner Angst und mit seinem Gewissen klarkommen muss.

Einem jungen Heimkehrer, der seine Berufspläne nach dem Krieg aufgibt, weil er sich von Gott berufen lässt, Theologie zu studieren, Pfarrer zu werden, um die Botschaft des Lebens zu verkündigen.

Diese Gedanken haben mich nicht mehr losgelassen.

Dann bin ich Richard Rommel und seiner Frau vor wenigen Wochen in ihrer Wohnung begegnet. Wir tauschen uns aus über sein Leben, seine Situation nach dem Krieg, seinen Einsatz für Versöhnung bei Reisen in den Osten und für die Kriegsgräberfürsorge.

Er ist 92 Jahre alt. Die Ärzte geben ihm noch etwa drei Monate wegen seiner schweren Erkrankung, wie er sagt. Einige Wochen später liegt er auf einer Pflegestation, vom Tod gezeichnet. Er und sein Sohn stimmen einer Veröffentlichung seines Kriegstagebuches zu – ob dies unsere letzte Begegnung ist? Eine Generation, die diesen furchtbaren Krieg überlebt hat, stirbt aus. Darum werden, ja müssen wir dieses Buch machen. Von Menschen wie Richard Rommel möchte ich leben lernen.1

Frieder Trommer

Geschäftsführer der Verlage der

Stiftung Christliche Medien (SCM)

Richard Rommel, ein Zeitzeuge – Vorwort des Herausgebers

Richard Rommel hat den Zweiten Weltkrieg vom ersten bis zum letzten Tag mitgemacht. Nach seinem 1939 abgelegten Abitur hatte er den im »Dritten Reich« seit 1935 für die männliche Jugend vorgeschriebenen Arbeitsdienst abzuleisten. Er dauerte sechs Monate und ging dem Wehrdienst voraus. Rommel war in dieser Zeit am Ausbau des »Westwalls« (einer Bunkerlinie gegen Frankreich) beschäftigt; sein Arbeitsdienst sollte am 30. September 1939 enden. Weil jedoch am 1. September der Krieg mit Polen – und damit der Zweite Weltkrieg – begonnen hatte, wurde der damals 19-Jährige nahtlos in die Wehrmacht überführt. Sein Wehrdienst dauerte bis Kriegsende im Mai 1945, dann kam er in amerikanische, später in britische Gefangenschaft. Aus ihr wurde er am 21. August 1945 entlassen. Es folgte – auch aufgrund seiner dort gemachten Erfahrungen – das Theologiestudium mit anschließender Tätigkeit als Gemeindepfarrer.

Seine »militärische Karriere« begann Rommel als einfacher Schütze. Zuletzt war er Oberfähnrich, ausgezeichnet sowohl mit dem Verwundetenabzeichen wie auch mit dem Eisernen Kreuz Erster Klasse. Eingesetzt war er bei der Infanterie und hier wieder häufig als (anfangs berittener) Funker und Kartengeograf. Er leitete oft Beobachtungsstellen. So erhielt er – obwohl unmittelbar an der Front eingesetzt – häufig Einblick in Ereignisse, Zusammenhänge und Hintergründe, die dem einfachen Soldaten verborgen blieben. Außerdem bot sich ihm als Funker die von ihm erwünschte Möglichkeit, ganz insgeheim Tagebuch zu schreiben. Darin hat er den Krieg so festgehalten, wie er ihn im Alltag erlebt und erlitten hat. Seine Notizen hat er später ins Reine gebracht und mit Fotos veranschaulicht. Der Wortlaut dieser Tagebucheinträge wurde um ihrer Authentizität willen – bis auf eindeutige sprachliche Korrekturen (nach neuer Rechtschreibung) – beibehalten. In Klammern gesetzte Einfügungen sind nachträglich eingefügt, sie sollen das Verständnis erleichtern. Ehemalige deutsche Ortsnamen wurden wie von Richard Rommel verwendet belassen.

Rommel wurde am 29. Juli 1927 als viertes Kind einer Weingärtnerfamilie im Remstalort Grunbach geboren. Sein Elternhaus beschreibt er als landeskirchlich und regimekritisch. Er selbst war im örtlichen Kindergottesdienst und später im CVJM aktiv, hin und wieder auch in der örtlichen Gemeinschaft. Der Remstalort Grunbach hatte eine gute evangelische Jugendarbeit: von ihr nennt sich Rommel geprägt und beeinflusst. Über die Jugendarbeit ergaben sich Kontakte zu Arnold Dannenmann, dem späteren Gründer des Christlichen Jugenddorfwerkes Deutschland. Dieser stand dem NS-Regime zunehmend ablehnend gegenüber: Seine Hintergrundinformationen führten dazu, dass der junge Richard Rommel schon früh auf Distanz zum NS-Reich und seiner Ideologie ging. So bewahrte sich der kluge und skeptische Junge eine kritische Einstellung zu den politischen Ereignissen und er kam in seinem Denken und Urteilen zu bemerkenswerter Unabhängigkeit.

Geprägt vom frommen Elternhaus, der CVJM-Jugendarbeit, dem eigenen kirchlichen Engagement und den Informationen und Ratschlägen Dannenmanns, trat Rommels eigene Glaubensüberzeugung immer stärker hervor. So legte er als neu einberufener oder neu versetzter Soldat immer am ersten Abend eine Bibel auf den Tisch und las darin – entsprechende Ratschläge gaben häufig Gemeindepfarrer an ihre zum Wehrdienst eingezogenen Jugendlichen. Wer sich so als Christ zu erkennen gab, fand oft Gleichgesinnte: So bildeten sich – unter stillschweigender Duldung der Vorgesetzten – immer wieder Bibellese- oder Gebetskreise. Das konnte natürlich auch Nachteile mit sich bringen: bei fanatischen NS-Vorgesetzten etwa. Rommel wurde – auch wegen seiner offen zur Schau getragenen christlichen Überzeugung – nicht zu Fort- und Weiterbildungskursen zugelassen und von einer Offizierskarriere, von Beförderungen und oft auch von Kriegsauszeichnungen ausgeschlossen.

Rommels Soldatenleben ist von christlichen Netzwerken begleitet und geleitet. In seinen Aufzeichnungen kommen sie häufig vor: Immer wieder traf er junge Männer aus dem CVJM oder einem Bibellesebund. Das brachte ihn zwar einerseits um die von ihm ohnehin nicht angestrebte militärische Karriere, andererseits fand er dort geistliche Heimat und Geleit auch in schwierigsten Zeiten. Das hat mit dazu geführt, dass der begabte Mathematiker und Physiker dann doch nicht einen technischen Beruf ergriff, sondern nach dem Studium ins evangelische Pfarramt ging.

Über seine Erfahrungen im »Dritten Reich« und über die Machtergreifung Hitlers und ihre Vorgeschichte hat Rommel bereits Bücher veröffentlicht, in denen er selbstkritisch über seine Generation nachdenkt.

Tagebuch von Funker Richard Rommel

Krieg gegen Polen 1939

Polen als Staat entstand neu nach dem Ersten Weltkrieg. Die Siegermächte zogen eine willkürliche Grenze, die umfangreiche deutsche Gebiete einschloss. Der genaue Grenzverlauf wurde erst nach bürgerkriegsähnlichen Aufständen festgelegt; bei Abstimmungen wurden Mehrheiten für einen Verbleib bei Deutschland nicht beachtet. Daher war das Verhältnis zwischen dem Deutschen Reich und Polen von Anfang an belastet. Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten entspannte sich das Verhältnis anfangs, ab 1938 spitzte es sich aber krisenhaft zu, weil das erstarkte Deutschland nun auch eine neue Grenzziehung im Osten anstrebte. Die Siegermächte des Ersten Weltkrieges hatten den Anschluss Österreichs und die Zerschlagung der Tschechoslowakei hingenommen, jetzt garantierten sie den Bestand Polens. Nach dem deutschen Einfall in Polen erklärten England und Frankreich Deutschland den Krieg, beließen es jedoch vorerst bei dieser Drohung und griffen nicht in die Kriegshandlungen ein. Die deutsche Wehrmacht besiegte Polen in nur fünf Wochen.

24. August

Nach dem halbmilitärischen Ordnungsdienst am Vormittag darf ich Post abholen: Mein älterer Bruder schreibt mir auf einer Karte, er habe sich ein gebrauchtes Auto gekauft, um mit seinem Frischobst den Stuttgarter Markt direkt beliefern zu können; er wolle es am Sonntag ausprobieren und mit mir in Baden-Baden zusammentreffen. Ist ja fabelhaft, die Kameraden werden fast neidisch, als ich am Mittagstisch damit herausrücke. Die Freude war kurz: Nach dem Abendessen im Speisesaal wurde bekannt gegeben: Ausgangssperre für alle wegen der politischen Lage! Die Kameraden versuchen zu beschwichtigen: Der Führer wird die Lage schon meistern.

Mobilmachung bedeutete Umstellung auf den Krieg. Angehörige des Reichsarbeitsdienstes wurden eingezogen und marschierten (noch hoffnungsfroh) in Kasernen zum Kriegseinsatz.

Mobilmachung bedeutete Umstellung auf den Krieg. Angehörige des Reichsarbeitsdienstes wurden eingezogen und marschierten (noch hoffnungsfroh) in Kasernen zum Kriegseinsatz.

25. August

Nach dem Abendessen im Speisesaal. Alles bleibt hier. Der Abteilungsleiter kommt und gibt bekannt: Allgemeine Mobilmachung! Auf den Stuben bleiben, weitere Befehle abwarten! Das macht die Kameraden ernst und schweigsam. Man packt seine Zivilsachen zusammen, zum Heimschicken.

26. August

Wir erhalten – als »Bausoldaten der Wehrmacht« neue Uniformen. Dazu Gewehr und Patronentasche – damit können wir ja noch gar nicht umgehen! Und dann fahren die Lastwagen vor: Wir sollen zusammen mit der Truppe den »Westwall« besetzen. Er soll aus kugelsicheren Betonbunkern bestehen, die als uneinnehmbar gelten. Aber wir kommen in ein Barackenlager weiter südlich. Dort erhalten wir Quartier, Verpflegung und Gasmasken. Und außer dem Exerzieren auch Unterricht am »Karabiner 98«. Nachts langweiliges Wacheschieben. Ein Dorf in der Rheinebene wird unser Arbeitsplatz; es soll eine Rundumverteidigung mit Schützenlöchern, Gräben und Drahtverhau erhalten.

1. September

Schon vormittags Arbeitsschluss und Antreten auf dem Lagerplatz: Ein Offizier gibt bekannt, dass unsere Truppen in Polen einmarschieren würden. Später dann Antreten zur Führerrede. Hitler gibt bekannt, dass »seit 5.45 Uhr zurückgeschossen« werde.

 Auch das Banale gehört zum Krieg– etwa das Wacheschieben.

Auch das Banale gehört zum Krieg – etwa das Wacheschieben.

3. September

Schanzarbeiten, trotz Sonntag und schlechtem Wetter. Aber es ist früher Schluss, Lastwagen holen uns ab. Den Grund dafür ruft uns im Vorbeifahren ein ziviler Arbeiter zu: England und Frankreich haben uns den Krieg erklärt! Man rechnet mit unmittelbaren Fliegerangriffen. Niemand von der Führung redet mit der Truppe. Man hat offenbar geglaubt, es bliebe bei einem einseitigen »Einmarsch« – wie im Frühjahr in die Tschechoslowakei! Abends, beim Gasthausbesuch, erfährt man aus dem Radio mehr. Die polnische Kriegsflotte habe man gleich morgens im Hafen erwischt und total vernichtet.

7. September

Erste Probe der Gasmasken in der Turnhalle des Lagers. Schwere Gaskonzentration im geschlossenen Raum: Viele von uns kriegen die Maske nicht passend hin, werfen sich in Hustenanfällen zu Boden.

10. September

Neuer Arbeitsplatz bis vorne an den Rhein: Stellungen und Beobachtungsplätze müssen getarnt werden, damit sie nicht Ziel eines französischen Trommelfeuers werden. Das aber kommt gar nicht; beide Seiten beobachten einander höchst friedlich. Einmal beobachten wir im großen Fernrohr, wie unsere Gegner auf einem Spielplatz Fußball spielen, und erlauben uns den Spaß, nach jedem Tor, das drüben fällt, in die Luft zu schießen. Es sieht so aus, als könnten – oder gar wollten – die Franzosen ihren polnischen Verbündeten nicht zu Hilfe kommen. Für uns eine Erleichterung!

27. September

Wäre der Krieg nicht gekommen, dann wäre ich heute aus dem Arbeitsdienst entlassen! Daraus wird nun nichts, aber manches wird schon wieder friedlicher: mehr Formalausbildung, mehr Wachestehen – und sogar Wochenendurlaube gibt es! Die Polen, denen keiner hilft, sind auf dem Rückzug.

27. Oktober

Mit vier anderen, die Studiumsberechtigung nachweisen konnten, werde ich entlassen, darf nach Hause fahren und die Uniform per Post zurückschicken – ein einmaliges Gefühl!

19. November

Der württembergische Jungmännerbund CVJM feiert sein Jahresfest in der Stuttgarter Kreuzkirche. Die leitenden Männer und Landesbischof Theophil Wurm stellen uns darauf ein, dass hohe Zahlen einberufen werden, dass aber bekennende Christen in Minderheitssituation geraten werden. Empfohlen wird, Zweierkameradschaften zu suchen und zu bilden.

8. Dezember

Die Post bringt mir den Gestellungsbefehl: auf den 14. Dezember zur Ersatzabteilung meines 25. Artillerieregiments in Domaslice (dt. »Taus«) im Protektorat Böhmen. Das muss ich erst auf der Karte suchen: auf der böhmischen Seite des Böhmerwalds, nicht weit von der Reichsgrenze.

14. Dezember

In der damaligen Stuttgarter Liederhalle sammeln sich an die 800 junge Männer, die meisten älter als ich. Warten, bis es am Abend in die beiden Transportzüge geht. Dort ist zu wenig Platz, man schläft in allen Stellungen. Und steigt am Morgen in Taus wieder aus, marschiert in eine neue, ehemals tschechische Kaserne auf der Höhe jenseits der Stadt.

18. Dezember

Werde eingeteilt zur Ausbildung im Heeresnachrichtenwesen (Funken, Telefonieren, Verschlüsseln) und Reiten. Die Kameraden hier sind eine gute Auswahl; im Reiten bin ich ihnen voraus, weil ich schon zivil im Reitunterricht war.

Mit Ausgang wird nicht geknausert: Schon früh kriegen wir eine mit dem Rot der Artillerie verzierte Ausgehuniform und dürfen abends wie sonntags in die Stadt. Dort aber werden wir merklich »geschnitten«. Erst viel später verrät uns eine Deutsch sprechende Bedienung: Beim deutschen »Einmarsch« Ende Februar sei die Waffen-SS mit der Waffe in der Hand in die Geschäfte eingedrungen und habe »ohne Bezahlung eingekauft«.

11. Januar 1940

Im CVJM war der Ratschlag ausgegeben worden: In der Kaserne sollten die jungen Mitglieder ein Neues Testament oder ein entsprechendes kraftgebendes Büchlein offen auf den Nachttisch legen, damit man Freunde im Glauben erkenne. Das bewährte sich jetzt: Ich lernte so einen zwei Jahre älteren Freund aus Esslingen kennen, der mir über die ganze Kriegszeit zur Stütze werden sollte. Er nahm mich auch mit in die Bibelabende, die ein freundlicher Unteroffizier, im Zivilberuf evangelischer Vikar, in der Kaserne halten konnte. Er brachte es zuwege, dass der evangelische Pastor der tschechischen »Brüdergemeinde« uns an einem Sonntagnachmittag in sein Gemeindehaus »Husuv Dum« zur Bibelbesprechung einlud und anschließend einen Kaffeetisch für uns deckte. Entlassen musste er uns allerdings durch eine Hintertür, weil schon die einheimischen Gemeindeglieder zur nächsten Veranstaltung kamen. Sie durften nicht den Eindruck gewinnen, ihr Pastor hielte es mit den Deutschen.

15. Januar

Wir erfahren: Am 1. Januar habe der Führer die unmittelbare Führung der Wehrmacht übernommen, wir müssten uns deshalb auf ihn zum Gehorsam verpflichten. Wenn jemand damit Probleme habe, möge er sich beim Batteriechef, einem Hauptmann der Reserve und im Zivilberuf Studienrat in Stuttgart, melden. Ich fand einen Gesinnungsgenossen aus einer Freikirche und ging am Abend mit ihm zusammen zum Chef. Ihm sagten wir, dass wir auf einen Menschen aus Gründen der Religion nicht schwören könnten, dass wir – zur Feindesliebe verpflichtet – nicht pauschal uns zu allem bereit erklären könnten, was unter Eid von uns verlangt werde. Der Chef hörte uns geduldig an und erwiderte, dass wir auf Hitler nicht als Führer seiner Partei schwören müssten, sondern (nur) als oberster Spitze der Wehrmacht; und die würde sich an das allgemeine Kriegsrecht halten, also keine persönliche Feindseligkeit von uns verlangen. Das klang so beruhigend, dass wir die Brücke betraten, die er uns baute, und am nächsten Morgen die Vereidigung mitmachten.

23. Februar

In der südlichen Pfalz werden wir nach einer Zugfahrt quer durch Süddeutschland unserem »aktiven« Regiment zugeführt. Ich melde meine Funkausbildung, worauf ein schlanker, freundlicher Hauptwachtmeister mich zur Stabsbatterie 25 mitnimmt. Wohnen kann ich, zusammen mit einem älteren Kameraden, in der Dachstube eines Privathauses in Iggelheim. Von der elsässischen Front ist nichts zu bemerken.

Die Truppe wird »geschliffen«: tägliches Striegeln und Bürsten der Pferde, Ausräumen der Ställe, Reinigen der Privatquartiere, der Waffen, der Geräte, dazu Reit-, Funk-, Schieß- und Exerzierstunden.

17. März

Wir werden verlegt nach Westhofen bei Frankenthal. Dort gibt es mehr Platz für Quartiere: die vier Pferde des Funktrupps in einem geräumigen Stall, die beiden Nachrichtenunteroffiziere in den besseren Zimmern des Gasthofs, wir drei vom Funktrupp ebendort in zwei Gerätekammern. So ist die militärische Welt in Ordnung!

Image22

Die Soldaten waren oft bei Familien einquartiert. Dabei entwickelten sich durchaus auch freundschaftliche Bande – vor allem im eigenen Land. Die Teilnahme an Familienfeiern der Gastfamilien war – vor allem zu Kriegsbeginn – durchaus nicht selten. So war Rommel (r.) etwa bei der Konfirmation in einer Gastfamilie gern gesehener Gast.

Westfeldzug 1940

Der Zweite Weltkrieg begann mit dem Einfall in Polen am 1. September 1939. England und Frankreich kamen dem Staat, dessen Bestand sie zuvor feierlich garantiert hatten, nicht zu Hilfe; an der Westfront herrschte auch nach der offiziellen Kriegserklärung im September 1939 lange Ruhe. Sie wurde unvermutet im April 1940 unterbrochen, als der Krieg auf Dänemark und Norwegen übergriff. Engländer und Franzosen hatten die Besetzung norwegischer Hafenstädte vorbereitet; ihnen kamen Wehrmacht und Marine buchstäblich in allerletzter Minute zuvor. Im Westen endete die Waffenruhe am 10. Mai 1940 mit dem Beginn der überaus erfolgreichen deutschen Westoffensive. Sie führte dazu, dass Frankreich schon nach sechs Wochen besiegt war und Waffenstillstand vereinbart wurde. Für die deutsche Besatzung in Frankreich brachen damit relativ ruhige, ja sogar friedliche Zeiten an.

20. April

Die Truppe darf den Sieg in Norwegen öffentlich auf dem Dorfplatz feiern, mit roten Fahnen und den Märschen der Regimentsmusik!

26. April

Großer Nachtmarsch: wir werden in den Westerwald verlegt! Nach drei Nachtmärschen in Oberbieber (am Ausläufer des Westerwalds nahe Rhöndorf) in privatem Quartier gut untergebracht!

8. Mai

Uns Funkern wird ein neuer Geheimschlüssel ausgegeben, sein Gebrauch wird eingeübt.

10. Mai

Um 11 Uhr Abmarsch – es soll gegen Frankreich losgehen. Anfangs dürfen wir viel reiten, das Ahrtal aufwärts, dann müssen wir absitzen, die Pferde schonen. Feindeinwirkung keine – die französische Luftwaffe scheint auf den Flugplätzen vernichtet worden zu sein.

15. Mai

Quer durch Luxemburg kommen wir nach Belgien, streben der belgisch-französischen Grenze zu. Wir haben Pferde verloren, möchten sie durch belgische ersetzen – die geflüchteten Bauern werden doch welche dagelassen haben. Ich begleite den Hauptwachtmeister als Dolmetscher. Gehen weit, finden in den leeren Dörfern weder Bürgermeister noch Pferde. Die Geflohenen haben alles vor ihre hoch beladenen Bauernwägen gespannt! Auf dem Rückweg lernen wir, der Spieß und ich, uns als CVJMler kennen. Auch ein Erfolg.

17. bis 21. Mai

Belgien leistet keinen Widerstand mehr. Auf staubigen Landstraßen dringen wir in Frankreich ein. Massenzüge von Gefangenen aller Hautfarben kommen uns entgegen. Ein Schock für mich: Im Straßenstaub eine von Panzern platt gewalzte Leiche in französischer Uniform! Keiner hat sie weggeräumt, gar bestattet! Der Heerzug wälzt sich daran vorbei.

22. Mai

Ein französischer Panzergegenangriff ist abgeschlagen – man kann ungehindert bis an den Aisne-Oise-Kanal vordringen, die Chefs sogar in motorisierten Fahrzeugen. Auch unsere Pferde lässt man zur Erholung zurück und sucht sich Quartiere nördlich des Kanals – unsere Stäbe in den Schlösschen. Uns Funkern tut so was auch gut.

5. Juni

Die Franzosen haben, um uns aufzuhalten, sich in den Höhen und Hängen des vom letzten Krieges her berühmten »Chemin des Dames« festgesetzt. Sie haben unsere Bereitstellung um den Ort Urcel entdeckt und beschießen sie heftig. Dort erlebe ich meine Feuertaufe mit den ersten Verwundungen. Erst nachdem stärkerer Feuerschutz herangeführt ist, gelingt am nächsten Tag der Übergang über den Aisne-Oise-Kanal.

6. Juni

Auf dem Höhenzug mit den Forts hat sich zahlreicher Feind eingenistet. Es kommt zu zähen Kämpfen, unsere Artillerie muss helfen. Wir bilden eine »vorgeschobene Beobachtungsstelle« in einem Steinbruch. Der Gegner wehrt sich in den Forts und in der vom letzten Krieg her berühmten »La Malmaison (ferme)«. Die aber gerät in Brand und die Forts werden abgeschnitten und ergeben sich.

Die Wehrmacht zog noch mit Tieren in den Krieg. Panzer und motorisierte Verbände gaben ihr zwar die unerwartete Stoßkraft, anfangs waren aber auch noch berittene Einheiten nicht selten. Hier posiert Rommel auf einem Pferd.

Die Wehrmacht zog noch mit Tieren in den Krieg. Panzer und motorisierte Verbände gaben ihr zwar die unerwartete Stoßkraft, anfangs waren aber auch noch berittene Einheiten nicht selten. Hier posiert Rommel auf einem Pferd.

17. Juni

Keiner der aus dem Ersten Weltkrieg bekannten Flussläufe – Aisne, Marne, Aube oder die Seine