DIE BERLINER MAUER IN DER WELT
Hrsg. von Anna Kaminsky
im Auftrag der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Projektleitung: Ruth Gleinig
Erarbeitet von Ronny Heidenreich und Tina Schaller
IN MEMORIAM
Dr. Ulrike Guckes
geb. Gleinig
1978 – 2013
Die Berliner Mauer in der Welt
Herausgegeben im Auftrag der Bundesstiftung
zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Kronenstraße 5
10117 Berlin
www.bundesstiftung-aufarbeitung.de
buero@bundesstiftung-aufarbeitung.de
1. Auflage – Berlin: Berlin Story Verlag 2014
ISBN 978-3-95723-703-3
Alle Rechte vorbehalten.
Redaktionsschluss: 30. März 2014
© Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, 2014
Berlin Story Verlag GmbH
Unter den Linden 40, 10117 Berlin
Tel.: (030) 20 91 17 80
Fax: (030) 69 20 40 059
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E-Mail: Service@BerlinStory-Verlag.de
Cover: Norman Bösch
Coverabbildung:
Simi Valley, Kalifornien, Ronald Reagan Presidential Library and Museum
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GELEIT
Anna Kaminsky
VOM MAUERBAU ZUM MAUERFALL
KURZE GESCHICHTE DER TEILUNG
Maria Nooke
„… ES GIBT EINE GANZE MENGE GUTER GRÜNDE DAFÜR, AUCH DEN AUGUST NICHT AUS DEM 13. AUGE ZU VERLIEREN.“
DIE ERINNERUNG AN DIE BERLINER MAUER SEIT 1990
Anna Kaminsky
DIE BERLINER MAUER IN DER WELT
Europa
Nordamerika
Zentralamerika
Südamerika
Afrika
Asien
Australien und Ozeanien
Mars
ZWISCHEN VERSCHWINDEN UND GEDENKEN
DIE ERINNERUNG AN DIE BERLINER MAUER HEUTE
Rainer E. Klemke
DIE BOTSCHAFT DER MAUERSEGMENTE
Leo Schmidt
BETON ZU GELD
DAS GESCHÄFT MIT DER BERLINER MAUER
Ronny Heidenreich
AUTORENVERZEICHNIS
DANKSAGUNG
Geographisches Verzeichnis
Die ab dem 13. August 1961 von den kommunistischen Machthabern in Ost-Berlin errichtete Mauer teilte nicht nur die einstige deutsche Hauptstadt in Ost und West. Die Mauer wurde auch zum Symbol des menschenverachtenden Regimes hinter dem „Eisernen Vorhang“ und zum Symbol für die Teilung der Welt in den von der Sowjetunion beherrschten Ostblock mit seinen kommunistischen Diktaturen und die demokratischen Staaten der westlichen Hemisphäre.
Noch im Sommer 1989, als es in den kommunistischen Staaten längst gärte und die Menschen ihren Protest immer mutiger zu artikulieren begannen, konnte sich weder in Ost noch West wirklich jemand vorstellen, dass diese Mauer in absehbarer Zeit fallen, die kommunistischen Diktaturen überwunden wären und der Kalte Krieg ein Ende finden würde. Während die SED-Führung in der DDR noch über den dauerhaften Bestand der Mauer schwadronierte, hatte in Polen die unabhängige Gewerkschaft Solidarnosc in halbfreien Wahlen triumphiert. Während das SED-Regime immer noch auf Menschen schießen ließ, die versuchten ihre Vorstellung von einem selbst bestimmten Leben durch Flucht in den Westen zu verwirklichen, begann die ungarische Staats- und Parteiführung den „Eisernen Vorhang“ zu öffnen. Noch am 5. Februar 1989 erschossen ostdeutsche Grenzsoldaten den 20-jährigen Chris Gueffroy bei seinem Versuch, die Mauer nach West-Berlin zu überwinden. Hunderte Menschen wurden an der Mauer in Berlin und an der innerdeutschen Grenze bei ihren Fluchtversuchen von ostdeutschen Grenzern erschossen. Das unmenschliche Grenzregime und die Mauer zerstörten das Leben ungezählter Menschen, die Freunde, Familie oder ihre Heimat verloren.
Die Friedlichen Revolutionen in nahezu allen Ländern des ehemaligen Ostblocks und der Fall der Berliner Mauer gehören zu den großen historischen Ereignissen. Mit diesen Revolutionen überwanden die Menschen in der DDR und in Mittel- und Osteuropa die kommunistischen Diktaturen und schufen so die Voraussetzungen für das Ende der deutschen und europäischen Teilung. In Folge der mittelosteuropäischen Revolutionen von 1989/1991 zerfiel das sowjetische Imperium binnen weniger Monate. Mit den Hunderttausenden, die auf und an der Berliner Mauer tanzten und feierten, wurde die Mauer nunmehr auch zu einem Symbol für den Freiheitswillen und für den erfolgreichen Kampf gegen Unfreiheit und Diktatur.
Binnen weniger Jahre verschwanden in Berlin fast alle Spuren, die die Mauer und die Teilung im Stadtbild hinterlassen hatten. Zu groß schien der Wunsch mit der Erlangung von Freiheit, Demokratie und Einheit alle Spuren, die an die schreckliche Geschichte erinnerten, zu entfernen. Erst etwa 15 Jahre nach dem Fall der Mauer und nachdem fast nichts mehr an die Teilung im Stadtbild erinnerte, besann sich der Berliner Senat auf ein Gesamtkonzept zur Erinnerung an die Berliner Mauer und die Teilung der Stadt. Die wenigen noch vorhandenen Reste der Mauer und Mauerorte sollten nun erhalten und in einem Gesamtkonzept aufeinander bezogen werden.
Während die Berliner begannen, sich der Mauer so schnell wie möglich zu entledigen, gab es außerhalb Deutschlands ein großes Interesse an den Resten der Mauer. Ungezählte der tonnenschweren Betonplatten, mit denen West-Berlin eingemauert worden war, fanden auf unterschiedlichen Wegen einen neuen Standort. Sie sind heute auf allen Kontinenten zu finden, wo sie als geschichtsträchtige Erinnerungsstücke, als Siegestrophäen, als Freiheitssymbole oder auch als Kunstobjekte an die überwundene Teilung der Welt und den Kampf für Freiheit und Demokratie erinnern. Für den vorliegenden Band wurden 146 Orte weltweit ausfindig gemacht, an denen sich heute Mauerteile befinden. Vorgestellt werden 241 komplette Mauersegmente sowie 45 kleinere Teile, die zur Vorder- und auch Hinterlandmauer gehörten, die den Grenzstreifen auf West- bzw. Ost-Berliner Seite markierten. Die heutigen Besitzer der Mauerteile wurden für dieses Buch gebeten, die Geschichte „ihres“ Mauerteils zu erzählen. Entstanden sind spannende, kuriose aber mitunter auch tragische Berichte, in denen sich die vielfältige und komplexe Erinnerung an die Berliner Mauer spiegelt: Dies sind Geschichten von Künstlern, die aus Mauerresten ein Freiheitsdenkmal schaffen wollten, von Politikern, deren politische Karriere durch die Mauer maßgeblich beeinflusst wurde, aber auch von Privatpersonen, deren Schicksal auf die ein oder andere Weise mit dem geteilten Deutschland verbunden war. Kunstmuseen und -sammler stellen die Mauerteile vor allem wegen der mitunter farbenprächtigen Graffiti in ihren Ausstellungen auf; in den Geschichtsmuseen stehen die Mauerteile oftmals stellvertretend für die Epoche der Ost- West-Konfrontation und den Sieg von Freiheit und Demokratie über Unfreiheit und Diktatur. Im portugiesischen Wallfahrtsort Fátima weihte der Papst ein Mauerdenkmal, aber auch in den Vatikanischen Gärten ist ein Mauersegment zu finden. Selbst auf dem Mars hat die Erinnerung an die Mauer dank der NASA ihre Spuren hinterlassen. So entstanden anrührende, pathetische, kunstvolle oder auch witzige und kuriose Darstellungen und Kunstwerke.
Die Reste der Berliner Mauer wurden so als Zeugnis des Kalten Krieges, der Konfrontation zwischen demokratischen und diktatorischen Staaten über den gesamten Erdball verteilt. Unabhängig von der jeweiligen konkreten Interpretation der Mauersegmente vor Ort zeigen sie vor allem eines deutlich: Die Erinnerung an die deutsche Teilung und die Freude über den Fall der Mauer als Symbol für den Zusammenbruch der totalitären kommunistischen Systeme sind in aller Welt bis heute präsent.
Allen, die mit ihren Geschichten, Photos, Recherchen und sonstiger Unterstützung zum Entstehen dieses Buches beigetragen haben, sei an dieser Stelle herzlich und aufrichtig gedankt. Ohne ihre Bereitschaft, ihre eigenen Erlebnisse und Erfahrungen, Bilder und Erinnerungen zur Verfügung zu stellen und selbst in den entlegensten Gegenden auf Spurensuche zu gehen, hätten wir viele der abgebildeten Geschichten nicht erzählen und zeigen können. Vielen Dank!
Berlin, März 2014
Anna Kaminsky
Am 13. August 1961, nachts um 1.00 Uhr, ging am Brandenburger Tor das Licht aus und Angehörige von Polizei und Kampfgruppen zogen an der Sektorengrenze auf. Zehn Minuten später meldete der DDR-Rundfunk, dass an der West-Berliner Grenze eine „Ordnung“ eingeführt würde, die eine „verlässliche Bewachung und Kontrolle“1 gewährleiste. Innerhalb weniger Stunden sperrte die DDR-Führung die Grenze nach West-Berlin durch Stacheldrahtsperren ab. In den folgenden Tagen und Wochen ließ sie eine undurchlässige Grenzanlage, die Berliner Mauer, bauen. Sie trennte die Millionenstadt in zwei Teile. Die Bilder von der Ungeheuerlichkeit dieser Grenzschließung gingen um die ganze Welt. Die Verzweiflung der betroffenen Menschen und die Ansicht vom Brandenburger Tor mit der menschlichen Mauer aus schwer bewaffneten Grenzposten haben sich tief in das kollektive Gedächtnis eingeprägt.
28 Jahre später, am 9. November 1989, stand das Brandenburger Tor wiederum im Mittelpunkt des weltweiten Interesses. Die Mauer war gefallen. Nun sah man Bilder von jubelnden Menschen, die auf der Mauerkrone vor dem Brandenburger Tor tanzten.
Die Euphorie über das Ende der Teilung bewegte nicht nur die Berliner, nicht nur die Deutschen in Ost und West, sondern wiederum die Menschen weltweit.
Mehr als 28 Jahre hat die Mauer Berlin geteilt. Ihr Anfang und ihr Ende markieren wichtige Stationen einer historischen Epoche, die unter dem Begriff „Kalter Krieg“ in die Geschichte eingegangen sind. Die Berliner Mauer offenbarte die Unmenschlichkeit des DDR-Grenzregimes, dessen Menschenverachtung in Todesschüssen auf Flüchtlinge seinen stärksten Ausdruck fand. Mit dem Fall der Mauer am 9. November 1989 wurde sie darüber hinaus zum Symbol für die friedliche Überwindung der Teilung. Mit dem Mauerfall war das Ende der DDR besiegelt und die Wiedervereinigung Deutschlands möglich geworden.
Das Brandenburger Tor nach dem Mauerfall
© Archiv Bundesstiftung Aufarbeitung / Bestand Uwe Gerig Nr. 4563
Die Ursachen der deutschen Teilung lagen in dem von Nazideutschland angezettelten und verlorenen 2. Weltkrieg. Als sich die Niederlage Hitlerdeutschlands abzeichnete, verhandelten die Alliierten über eine territoriale Neuaufteilung des Landes nach dem Sieg der Anti-Hitler-Koalition. Sie legten die Aufteilung des Deutschen Reiches in drei, später vier Besatzungszonen fest und vereinbarten für die Reichshauptstadt Berlin einen Sonderstatus. Die Stadt sollte ebenfalls in vier Sektoren aufgeteilt werden und eine gemeinsame Militärkommandantur bekommen. Bei der Festlegung der Besatzungszonen und Sektoren orientierte man sich an den alten Landes- und Stadtbezirksgrenzen. Mit der Aufteilung des Landes sollte das Machtsystem Hitlers endgültig zerstört werden.
Auf der Konferenz in Jalta im Februar 1945 wurde die Einsetzung eines Alliierten Kontrollrats als oberste Regierungsgewalt beschlossen. Die Alliierten gingen davon aus, dass es keine getrennten Zuständigkeiten in den einzelnen Besatzungszonen geben würde, sondern diese gemeinsam zu verwalten und zu regieren seien.
Im Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 einigten sich die Siegermächte auf die Grundlinien der gesellschaftlichen und politischen Umgestaltung Deutschlands. Dazu gehörten die Demokratisierung der politischen Strukturen, eine umfassende Entmilitarisierung und Entnazifizierung, die Dekartellisierung der Wirtschaft und eine Dezentralisierung in Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Aber schon bei diesen Verhandlungen auf der Potsdamer Konferenz wurde deutlich, dass eine gemeinsame Deutschlandpolitik der früheren Verbündeten wegen der unterschiedlichen machtpolitischen Interessen nicht mehr möglich war.
In der Folgezeit zeigten sich die Auswirkungen der gegensätzlichen Interessen auch durch die Installierung unterschiedlicher politischer und wirtschaftlicher Systeme. In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) wurden sozialökonomische Bedingungen als Grundlage für die Errichtung einer Volksdemokratie nach sowjetischem Vorbild forciert. Innerhalb kurzer Zeit konnte eine kommunistische Einparteienherrschaft errichtet werden und die Wirtschaft durch Vergesellschaftung von Eigentum in eine Planwirtschaft überführt werden. In den westallierten Besatzungszonen entstanden dagegen wirtschaftliche und politische Strukturen, die in der demokratischen Tradition der westlichen Besatzungsmächte und einer privatwirtschaftlichen Eigentumsordnung standen. Die Beziehungen zwischen den Alliierten verschlechterten sich auf Grund dieser unterschiedlichen Positionen stetig. Im März 1948 verließ der sowjetische Vertreter den Alliierten Kontrollrat. Eine gemeinsame Vier-Mächte-Verwaltung für ganz Deutschland war damit gescheitert. Die beiden Teile Deutschlands entwickelten sich immer mehr zu eigenständigen Staaten.
Die deutsche Bevölkerung reagierte auf ganz eigene Weise auf die Situation im besetzten Deutschland. Schon unmittelbar nach Kriegsende strömten Millionen von Menschen über die Demarkationslinien. Sie waren auf der Suche nach Heimat, Familienmitgliedern oder auch nur nach Verpflegung, um das Überleben zu organisieren. Dabei war die Wanderung aus der sowjetisch besetzten Zone in die westlich gelegenen Zonen von Anfang an stets größer als die von Westen nach Osten. Die Mehrzahl der Flüchtlinge waren Vertriebene aus den deutschen Ost-Gebieten, die nun zu Polen gehörten. Mit voranschreitender Sowjetisierung der Verhältnisse in der SBZ waren auch zunehmend politische und wirtschaftliche Gründe Anlass für Fluchten.
Den endgültigen Bruch zwischen den Alliierten löste die einseitig in den Westzonen durchgeführte Währungsreform aus. Um angesichts der schwierigen Versorgungslage und des florierenden Schwarzmarktes eine stabile Finanz- und Wirtschaftspolitik in Gang setzen zu können, und damit auch die Wirtschaftsentwicklung im westeuropäischen Kontext zu stärken, wurde am 20. Juni 1948 in den westlichen Besatzungszonen eine Währungsreform durchgeführt und die Westmark zum offiziellen Zahlungsmittel erklärt. Eine Reaktion von Seiten der Sowjetunion war vorprogrammiert, da sonst die gesamte Wirtschaft in der SBZ zum Erliegen gekommen wäre. Denn das alte Geld floss dorthin, wo es noch Wert hatte – insbesondere nach Ost-Berlin. Am 24. Juni konterte die Sowjetische Militäradministration (SMAD) mit der Einführung der Ostmark in ihrem Machtbereich. Die Anweisung der SMAD an den Berliner Oberbürgermeister, diese Währung auch für die westlichen Berliner Sektoren als verbindlich durchzusetzen, erklärten deren Besatzungsmächte umgehend für unwirksam und legten die D-Mark als Zahlungsmittel für West- Berlin fest. Damit kursierten in Berlin zwei Währungen. Gleichzeitig mit der Währungsumstellung begann die sowjetische Seite mit der Berlin-Blockade. Sämtliche Zugangswege nach West-Berlin wurden unterbrochen. Der westliche Teil der Stadt war damit in seiner Existenz bedroht. Lebenswichtige Versorgungswege waren von einem Tag auf den anderen abgeschnitten. Lieferungen von Kohle, Strom und Lebensmitteln blieben aus. Die Sowjetunion wollte durch den Entzug der Lebensgrundlagen auf die Bevölkerung Druck ausüben und Berlin dem Einfluss der Westmächte entziehen. Aber die West-Alliierten gaben Berlin nicht auf, sondern sorgten für das Überleben der Stadt durch eine Luftbrücke. Über Monate starteten und landeten im Minutentakt Flugzeuge der amerikanischen und britischen Luftwaffe mit den überlebenswichtigen Gütern zur Versorgung der Bevölkerung in der abgeriegelten Teilstadt. Diese Erfahrung, auf die Hilfe der westlichen Siegermächte trauen zu können, führte bei den West-Berlinern zu einem grundsätzlichen Wandel im Verhältnis zu den Alliierten: aus Besatzern wurden Freunde. Sie hatte eine bleibende Wirkung, die sich auch in der Zeit nach dem Mauerbau widerspiegelte, als die Stadt wiederum einer extremen Situation unterworfen war.
Die Gründung der beiden deutschen Staaten im Jahr 1949 und die Eskalation des Kalten Krieges wirkten sich gravierend auf die Absicherungen an den Demarkationslinien zwischen den Besatzungszonen und in Berlin aus.2 Anfangs galten die Grenzen zwischen den Besatzungszonen und den Berliner Sektoren lediglich als Verwaltungsgrenzen. Sie wurden aber im Zuge der Entwicklung zu politischen Einflussgrenzen und auch zu echten Zoll- und Wirtschaftsgrenzen.
Zunächst war das Passieren an der innerdeutschen Demarkationslinie ohne große Probleme möglich, allerdings jenseits der offiziellen Übergänge schon illegal. Bereits 1946 wurde in der SBZ auf Basis einer Kontrollratsdirektive der SMAD die Deutsche Grenzpolizei gegründet, die sowjetischen Dienststellen unterstand. Gleichzeitig wurde die Demarkationslinie zwischen der SBZ und den drei Westzonen für drei Monate gesperrt, um den Abfluss von Gütern und die Abwanderung von Menschen einzudämmen. Ab 1948 wurde von Seiten der SBZ verstärkt nach sogenannten Grenzverletzern gefahndet. Man versuchte, Schiebern und Schmugglern das Handwerk zu legen, aber auch angebliche Saboteure und Spione aufzuspüren. Ab 1950 übertrug die SMAD der Grenzpolizei auch die Kontrollaufgaben an den Übergängen.
Zur Steuerung des Besucherverkehrs zwischen den westlichen Zonen und der SBZ erfolgte 1946 ebenfalls auf Betreiben der sowjetischen Besatzungsmacht die Einführung von Interzonenpässen. Diese hatten eine Gültigkeit von 30 Tagen und wurden für die Erledigung dringender familiärer und geschäftlicher Belange ausgestellt. Noch während der Berlin-Blockade erließ die SMAD eine Verfügung, wonach für Besucher der SBZ neben den Interzonenpässen auch eine Aufenthaltsgenehmigung notwendig wurde. Damit wollte man den Reise- und Besucherverkehr zwischen den Zonen generell einschränken. Ein illegales Überschreiten der „Grünen Grenze“ war zwar weiterhin möglich, viele wählten aber eher den ungefährlichen Weg über Berlin. Denn durch den Sonderstatus der Stadt war West-Berlin relativ frei zugänglich.
Am 1. April 1948 wurde auf Weisung der SMAD um Berlin eine Polizeiformation „Ring um Berlin“ gebildet, die auf einer Strecke von 300 km um die gesamte Stadt, also auch um West-Berlin, Kontrollen durchführte. Dadurch sollte die offene Grenze so gut wie möglich überwacht werden, denn die Abwanderung aus dem sowjetischen Einflussbereich wurde zu einem immer größeren Problem. Bei Gründung der DDR im Oktober 1949 hatten bereits 1,9 Mio. Bürger das Land Richtung Westen verlassen.
Die politisch gegensätzlichen Interessen der Sowjetunion auf der einen Seite und den USA, Großbritannien und Frankreich auf der anderen Seite verhinderten den Abschluss eines Friedensvertrages. 1952 unternahm die Sowjetunion mit der Stalin-Note einen Vorstoß, um die deutsche Frage zur Sicherung der eigenen Einflussinteressen zu lösen. Stalin bot die Wiedervereinigung in einem neutralisierten Gesamtdeutschland an, freie Wahlen sollten unter alliierter Kontrolle stattfinden. Er wollte damit die Einbindung Westdeutschlands in das westliche Verteidigungsbündnis verhindern. Die Westmächte lehnten diesen Vorschlag als unglaubwürdig ab. Sie sahen darin den Versuch der Ausweitung des sowjetischen Einflusses auf Deutschland.
Diese Ablehnung, angebliche Diversionsaktivitäten sowie die andauernde Abwanderung veranlassten die DDR-Behörden unter Einfluss der Sowjetunion, im Mai 1952 zwischen der DDR und der Bundesrepublik die Grenze zu schließen und grenzüberschreitende Bewegungen unter Kontrolle zu bekommen. Damit wurde die Demarkationslinie zu einer wirklichen innerdeutschen Grenze. Zur Absicherung der 1.378 km langen Grenzlinie wurde auf Anweisung der sowjetischen Kontrollkommission auf DDR-Seite eine fünf Kilometer breite Sperrzone mit gestaffelten Sicherheitsbereichen eingerichtet. Nur mit Genehmigung konnte dieser Bereich betreten oder befahren werden. Versammlungen und Veranstaltungen waren ab 22.00 Uhr verboten.
Entlang der Grenzlinie wurde ein zehn Meter breiter Kontrollstreifen umgepflügt. Waldungen in diesem Bereich wurden abgeholzt. Dahinter wurden Wälle, Gräben und Stolperdrähte mit Alarmanlagen installiert. Das Überschreiten des Zehn-Meter-Kontrollstreifens war unter Androhung der Festnahme verboten. Bei Nichtbeachtung der Anordnungen durch die Grenzpolizei wurde geschossen.
An den Zehn-Meter-Streifen schloss sich ein 500 Meter breiter Schutzstreifen an, in dem ca. 110 Ortschaften lagen. Die Bewohner dieser Dörfer wurden besonders harten Bestimmungen unterworfen. Der Aufenthalt im Freien war im 500-Meter-Streifen nur von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang erlaubt, jeglicher Verkehr nach Einbruch der Dunkelheit verboten. Veränderungen an den Grundstücken durften ohne Genehmigung nicht mehr vorgenommen werden. Mit der Einrichtung des Schutzstreifens erfolgte die Schließung zahlreicher Gaststätten, Erholungsheime und Pensionen. Strecken der Brockenbahn, die im landschaftlich reizvollen Harz die Urlaubsorte mit dem höchsten Berg verband, mussten stillgelegt werden. Denn die Bahn durfte nicht mehr durch westliches Gebiet fahren.
Bewohner des Sperrgebiets bekamen keine Interzonenpässe mehr. Ebenso erhielten Personen aus Westdeutschland ab sofort keine Einreisegenehmigung in den 5-km-Streifen. Um die Empörung der Bevölkerung im Keim zu ersticken, wurde in einer gezielten Aktion die Zwangsumsiedlung von sogenannten feindlichen, kriminellen und verdächtigen Elementen aus dem Schutzstreifen veranlasst. Unter dem Namen „Aktion Ungeziefer“ wurden 11.000 Bewohner innerhalb weniger Tage und unter unwürdigen Umständen, teilweise mit Einsatz von Gewalt, aus ihrer dörflichen Heimat vertrieben und in grenzferne Orte gebracht.3 Sie verloren dabei nicht nur ihre Heimat und den sozialen Rückhalt ihrer Dorfgemeinschaft, sondern auch einen großen Teil an Hab und Gut. Etwa 3.000 Personen entzogen sich dieser Zwangsmaßnahme durch Flucht in den Westen.
Die Schließung der Grenze bedeutete auch die Unterbrechung zahlreicher Verkehrsverbindungen. Gesperrt wurden 32 Eisenbahnlinien, drei Autobahnen, 31 Fern- und Bundesstraßen, 80 Landstraßen 1. Ordnung, 60 Landstraßen 2. Ordnung sowie tausende Gemeindewege.4 Im Westen entstand so ein Zonenrandgebiet, das negative Auswirkung auf die wirtschaftliche Lage in den grenznahen Gebieten und auf die Lebenswirklichkeit der Bewohner hatte. Mittels Förderprogrammen versuchte die Bundesregierung, die prekäre Situation der betroffenen Menschen in diesem Gebiet zu mindern. Auf der DDR-Seite wurde die Bevölkerung mit Sondervergünstigungen ruhig gestellt. Die Bewohner des Sperrgebietes erhielten Lohnund Gehaltszuschläge, Steuererleichterungen und Rentenaufbesserungen. Außerdem wurden sie besser mit Konsumgütern versorgt.
Auch um Berlin gab es im Zuge der Grenzschließung 1952 ähnliche Einschnitte: 200 Straßen wurden unterbrochen. Damit waren knapp 75 % der Verkehrsverbindungen zwischen West-Berlin und dem Umland nicht mehr nutzbar. Zwischen dem Bezirk Potsdam und West-Berlin wurde an verschiedenen Stellen ein Kontrollstreifen umgepflügt; zahlreiche private Grundstücke, häufig Eigentum von West-Berlinern, wurden durch die Grenzsicherung vereinnahmt. Entschädigungszahlungen an Grundstückseigentümer und Zwangsumgesiedelte fielen gering aus oder erfolgten überhaupt nicht. Zusätzlich zu den Maßnahmen an den Demarkationslinien wurde eine Unterbrechung der Telefonleitungen und der Stromleitungen zwischen Ost- und West-Berlin vorgenommen. Die DDR strebte eine getrennte Infrastruktur für Ost-Berlin an.
Die Fluchtbewegung ebbte jedoch nicht ab. Die meisten Flüchtlinge suchten ihren Weg über die weiterhin offenen Sektorengrenzen in Berlin. Insbesondere innenpolitisch brisante Situationen wie während der Kollektivierung der Landwirtschaft oder bei dem forcierten Aufbau des Sozialismus im Vorfeld des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 bewegten viele DDR-Bürger zur Flucht. Um den Flüchtlingsstrom zu bewältigen, richtete die Bundesregierung 1953 in West-Berlin das Notaufnahmelager Marienfelde ein. Hier und in weiteren Aufnahmelagern hatten die Flüchtlinge ein Notaufnahmeverfahren zu durchlaufen, das bei Anerkennung als Flüchtling eine Integration in die bundesdeutsche Gesellschaft befördern sollte.5
Im November 1953 beschlossen die Westmächte ihrerseits die Aufhebung des Interzonenpasszwanges und verzichteten auf die Ausstellung von Aufenthaltsgenehmigungen. Damit gab es von westlicher Seite keine Reisebeschränkungen mehr. Das DDR-Passgesetz von 1954 stellt dagegen die so genannte Republikflucht unter Strafe.6 Das Strafmaß umfasste eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren. Ende 1957 erfolgte eine weitere Verschärfung der Bestimmungen, nun waren auch die Vorbereitung oder der Versuch der Republikflucht strafbar.7 Ebenso erfolgte eine Einschränkung bei der Bewilligung von Westreisen durch die DDR-Behörden. Bestimmte Alters- und Berufsgruppen, so z.B. Studenten, bekamen keine Genehmigungen mehr für eine Reise in die Bundesrepublik oder ins westliche Ausland.
Im Herbst 1958 löste der sowjetische Partei- und Staatschef Nikita Chruschtschow mit einem Ultimatum an die West-Alliierten die 2. Berlin-Krise aus. Er forderte die „Umwandlung West-Berlins in eine selbständige politische Einheit – eine Freie Stadt“, die entmilitarisiert sein müsste und in „deren Bestehen sich kein Staat, auch keiner der beiden deutschen Staaten einmischen dürfe“.8 Sollten die Alliierten diesen Forderungen zu einer Übereinkunft nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten nachkommen, würde er die geplanten Maßnahmen mit der DDR verwirklichen und dieser einseitige Souveränität zugestehen. Chruschtschow wollte die Schwachstelle Berlin als Hebel für seine politischen Ziele nutzen und die Anerkennung der durch den 2. Weltkrieg geschaffenen Situation in Europa zementieren. Außerdem zielte sein Vorstoß darauf ab, die atomare Bewaffnung der Bundeswehr zu verhindern und das westdeutsche Militärpotenzial zu reduzieren. Sein Vorschlag, Berlin zu einer „Freien Stadt“ zu machen, bezweckte die Aufhebung des Viermächtestatus und ließ den Westen befürchten, dass die Sowjetunion die Stadt letztlich doch in ihren Machtbereich integrieren würde. Mit dieser angestrebten politischen Lösung zur Schwächung des Westens9 wollte Chruschtschow gleichzeitig das Schlupfloch Berlin schließen und das Flüchtlingsproblem unter Kontrolle bekommen. Die Sowjetunion strebte zu diesem Zeitpunkt keine Wiedervereinigung mehr an. Die West-Alliierten waren aber nicht bereit, ihre Rechte aufzugeben und wiesen den Vorschlag zurück. Der Vorstoß der Sowjetunion führte zu einer Verunsicherung der Bevölkerung und ab 1960 wiederum zum Anwachsen der Fluchtwelle. Viele Bewohner der DDR fürchteten, der Fluchtweg über Berlin würde endgültig verloren gehen.
In diese gespannte Situation fiel das Treffen des neu gewählten amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy mit dem sowjetischen Staatschef Nikita Chruschtschow am 3./4. Juni 1961 in Wien. Chruschtschow drängte auf den Abschluss eines Friedensvertrages und drohte wiederum, diesen einseitig mit der DDR zu vollziehen, wenn die USA nicht bereit wären, auf seinen Vorschlag einzugehen. Auch der Bundesrepublik würde man separat einen Friedensvertrag anbieten. Damit wäre dann der Kriegszustand beendet und alle aus der Kapitulation rührenden Verpflichtungen hinfällig. Dies betreffe sämtliche Besatzungsrechte und auch den Zugang nach Berlin, einschließlich der Luftkorridore. Chruschtschow drohte, jede Verletzung der dann entstandenen Souveränität der DDR würde als Kriegserklärung gewertet.
Kennedy machte dagegen deutlich, dass eine Aufgabe der Verpflichtungen aus dem Ergebnis des Krieges und ein Verlassen Berlins die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen der Partner in die USA erschüttern würden und er aus politischer Verantwortung dem nicht zustimmen könne. Es gehe nicht um Berlin, sondern um ganz Westeuropa und um die Sicherheit der USA, für die Berlin ein wichtiger strategischer Punkt sei. Kennedy wollte das politische Kräftegleichgewicht der Nachkriegsordnung aufrechterhalten, dessen Verschiebung er für gefährlich hielt. Die beiden Vertreter der Großmächte trennten sich in Wien, ohne eine Einigung gefunden zu haben.
Bei einer Rede an die Nation am 25. Juli 1961 benannte Kennedy noch einmal die drei Essentials, die von Seiten der USA für West-Berlin galten und verteidigt würden: das Recht auf die Präsenz der Westmächte in der Stadt, das Recht auf den freien Zugang zur Stadt und die Existenzsicherung von West-Berlin und seiner Bewohner. In einer groß angelegten Informationskampagne wurden diese Essentials weltweit bekannt gemacht. Kennedy formulierte sie ausdrücklich für West- Berlin, jedoch nicht für Gesamtberlin, wie es dem Sonderstatus entsprochen hätte. Diese Position signalisierte der Sowjetunion, ihr originären Siegerrechte in ihrem Sektor zu respektieren und im Interesse der Vermeidung einer militärischen Konfrontation die Grenzschließung zu akzeptieren.10
Mit Beginn der Sommerferien 1961 stieg die Fluchtwelle aus der DDR sprunghaft an. Viele nutzten die Gelegenheit, ihre Flucht als Urlaubsfahrt zu tarnen. Sie reagierten damit sowohl auf die außenpolitische Situation als auch auf die dramatische Wirtschaftslage und die drastischen Versorgungsprobleme, die sich immer weiter zuspitzten.11
In einer Propagandaoffensive stellte die SED die Fluchtbewegung als gezielte Abwerbung aus dem Westen dar. Zur Verhinderung von Fluchten gründeten sie in den Betrieben „Komitees gegen den Menschenhandel“. Angebliche „Menschenhändler“ wurden in inszenierten Prozessen zu hohen Strafen verurteilt. Mit diesem Vorgehen versuchte die SED davon abzulenken, dass die Flüchtlinge aus freiem Willen die DDR verließen. Angegriffen wurden auch sogenannte Grenzgänger; Menschen, die im Ostteil der Stadt oder im Berliner Umland wohnten und ihren Arbeitsplatz in West-Berlin hatten. Sie wurden auf den Bahnhöfen verschärft kontrolliert, teilweise wurde ihnen der Ausweis entzogen, so dass sie nicht mehr ihren Arbeitsort in West-Berlin aufsuchen konnten. Die Anzahl der Grenzgänger war aufgrund des Wirtschaftsgefälles zwischen West- und Ost-Berlin vor dem Mauerbau auf 56.000 angestiegen.12 Die Vergünstigungen der Grenzgänger, die einen Teil ihres Lohns in Westmark ausgezahlt bekamen, wurden propagandistisch genutzt, um Neid und Missgunst unter der Bevölkerung zu schüren und das rigide Vorgehen staatlicher Stellen gegen die Grenzgänger zu rechtfertigen. Der in Westgeld ausgezahlte Lohnanteil sollte einem Zwangsumtausch unterliegen, viele Leistungen in der DDR fortan mit Westmark beglichen werden. Anfang August wurden die Grenzgänger dazu gedrängt, ihre Arbeitsstellen in West-Berlin aufzugeben und sich in DDR-Betrieben arbeitssuchend zu melden.
Die Propaganda der SED zielte darauf, West-Berlin als gefährlichen Krisenherd im Ost-West-Konflikt anzuprangern. Sie unterstellte der Bundesregierung intensive Kriegsvorbereitungen mit dem Ziel, die DDR und Teile Polens erobern zu wollen.
Die zunehmenden Maßnahmen gegen Flüchtlinge und Grenzgänger und die heftige Propagandakampagne in der DDR ließen im Westen die Erkenntnis reifen, dass es nicht bei einzelnen Schikanen bleiben würde. Eine Fernsehrede Nikita Chruschtschows am 7. August 1961 weckte bei Beobachtern die Befürchtung, dass umfassende Sperrmaßnahmen an der Berliner Grenze zu erwarten seien. Man rechnete aber damit, dass die Maßnahmen sich auf den „Ring um Berlin“ beziehen würden. Niemand kam auf die Idee, die Stadt könnte innerstädtisch abgeriegelt werden. Das war eine völlige Fehleinschätzung, wie sich bald zeigen sollte.
Der Vorschlag, durch Berlin eine Stacheldrahtbarriere zu ziehen, wurde von Ulbricht nach Aussagen des tschechoslowakischen Verteidigungsministers, der 1968 in den Westen überlief, bereits auf der Warschauer-Pakt-Tagung im März 1961 vorgetragen.13 Vor diesem Hintergrund wird Ulbrichts Ausspruch auf der Pressekonferenz am 15. Juni 1961 verständlich, niemand habe die Absicht, eine Mauer zu bauen, der sich bald als Lüge entlarven sollte. Auch die Tatsache, dass schon große Mengen an Baumaterialien wie Zaunpfähle und Stacheldraht in Berlin lagerten, um solche Absperrmaßnahmen zu realisieren, deutet auf längerfristige Planungen hin. Dennoch fiel die Entscheidung zur Grenzschließung erst im Juli und Anfang August 1961.14
Ulbricht hatte sich auf Grund der Ergebnisse des Wiener Gipfels und der dramatischen Versorgungskrise in der DDR, die mit einer steigenden Abwanderung der Bevölkerung verbunden war, zu einer propagandistischen Offensive entschlossen, Darin propagierte er die Lösung der Berlinfrage und des Friedensvertrages. Gleichzeitig drängte Ulbricht die sowjetische Führung zur sofortigen Grenzschließung. Chrustschow zog für seine Entscheidung, die am 20. Juli getroffen worden sein soll, Erkenntnisse der Geheimdienste über die militärische Stärke der Westmächte, die amerikanische Politik und geplante Abwehrmaßnahmen mit ein.15 In die Entscheidung wurden auch die Warschauer-Pakt-Staaten eingebunden. Vom 3. bis 5. August 1961 fand in Moskau eine Konferenz ihrer Parteiführer statt, auf der die Probleme des Friedensvertrages und West-Berlins diskutiert wurden. Walter Ulbricht wurde von den Genossen wegen des langsamen Wirtschaftswachstums und der hohen Konsumausgaben in der DDR heftig kritisiert. Ulbricht bekräftigte seine Position, die offene Grenze zu West-Berlin sei als Ursache zu sehen und verlangte eine umgehende Abriegelung. Die Warschauer-Pakt-Staaten befürchteten jedoch unkalkulierbare Wirtschaftssanktionen bei einer Grenzschließung, die sich nicht nur auf die DDR auswirken würde.
Es gab für die Lösung des Problems nur zwei Möglichkeiten: Die vollständige Kontrolle aller Zugangswege nach West-Berlin, auch der Luftkorridore – oder der Mauerbau. Da die komplette Kontrolle der Luftwege nicht realisierbar war, führte Ulbrichts Drängen auf die sofortige Grenzschließung und die inzwischen von Chrustschow übernommene Position zur entsprechenden Unterstützung der vorgesehenen Maßnahmen16.
Ein zentrales Argument für die Entscheidung war die brisante wirtschaftliche Lage der DDR und der täglich anwachsende Flüchtlingsstrom. Nach der Rückkehr Walter Ulbrichts von der Moskauer Konferenz begann das Politbüro der SED mit der Umsetzung des in Moskau bestätigten Beschlusses, der in Abstimmung mit der sowjetischen Seite technisch bereits in Vorbereitung war. Volkskammer, Ministerrat und Ost-Berliner Magistrat verabschiedeten am 10. und 11. August Beschlüsse zur Grenzschließung, die im Wortlaut von der SED vorgegeben wurden. Nur die wichtigsten Genossen an den Schaltstellen der Macht wurden eingeweiht, um die geplanten Maßnahmen so lange wie möglich geheim zu halten.
Parallel zu den logistischen Vorbereitungen lief die Propaganda auf Hochtouren, um die Bürger auf die einschneidenden Maßnahmen vorzubereiten. So beschwor Ulbricht auf einer Großveranstaltung Gefährdungen durch einen Angriff aus dem Westen, gegen den sich die DDR zu schützen habe. Dabei ging es der SED-Führung mit der geplanten Grenzschließung nicht um den Schutz der DDR-Bürger vor dem Westen, sondern um die Unterbindung des freien Zugangs nach West-Berlin. Das Ziel war die Stabilisierung der DDR.
Der Haupteinsatzstab stand unter Leitung des ZK-Sekretärs Erich Honecker. Er koordinierte das komplexe Vorgehen zur Grenzschließung. Beim Ministerium für Nationale Verteidigung wurde eine Operative Gruppe gebildet, in deren Händen die Durchführung der Aktion lag. Zwar waren die sowjetischen Truppen in der DDR und angrenzenden Ostblockstaaten zwischen Mai und Juli 1961 um mehrere Huntertdausend Mann verstärkt worden.17 Für die Abriegelung der Grenze war jedoch der Einsatz von DDR-Grenzpolizei, Bereitschaftspolizei und Betriebskampfgruppen vorgesehen. Einheiten der NVA hatten in der zweiten Linie in Bereitschaft zu stehen, um im Ernstfall einen Angriff aus West-Berlin aufzuhalten. Eine dritte Sicherungsstaffel bildeten die sowjetischen Truppen am Ring von Berlin.
Mit der innenpolitischen Absicherung des Mauerbaus war das Ministerium für Staatssicherheit beauftragt. Die Aktion firmierte unter den Namen „Aktion Rose“ und „Aktion Ring“ und galt flächendeckend für das gesamte Gebiet der DDR. Die Ergebnisse der intensiven Beobachtung der Bevölkerung waren in den ersten beiden Tagen in stündlichen Berichten an das Ministerium weiterzugeben. Sämtliche Post im grenzüberschreitenden Verkehr wurde einer Kontrolle unterworfen, der Telefonverkehr nach Westdeutschland war komplett zu unterbrechen. Es galt, eine totale Überwachungssituation herzustellen.
Am Sonntag, den 13. August um 1.00 Uhr nachts begann die systematische Abriegelung der 160 km langen Grenze um West-Berlin. Mitglieder der Volks- und Grenzpolizei sowie Angehörige von Betriebskampfgruppen der DDR postierten sich entlang der innerstädtischen Demarkationslinie. Die Einsatzkräfte hatten 30 Minuten Zeit, um die 81 Straßenübergänge zu blockieren. Um 1.30 Uhr wurden die Bahnhöfe besetzt und der Nahverkehr zwischen den beiden Stadthälften dauerhaft unterbrochen. Lediglich der Bahnhof Friedrichstraße blieb als Umsteigebahnhof für den Intersektorenverkehr nutzbar. Auch die Reisezüge aus dem Westen endeten ab sofort an dieser Station.
Die pioniertechnische Absperrung der Straßen hatte in drei Stunden zu erfolgen. Das Straßenpflaster wurde aufgerissen, Gleisverbindungen getrennt, Spanische Reiter errichtet, Stacheldraht gezogen. Um 6.00 Uhr morgens, als die Stadt zu erwachen begann, war alles abgeriegelt. Nur zwölf Straßenverbindungen blieben vorerst offen, an denen ein kontrollierter Wechsel zwischen den Stadteilen noch möglich war. In den Tagen danach erfolgte die Schließung des Brandenburger Tores und die Abriegelung von zwei weiteren Straßen, so dass nur noch acht Übergänge verblieben. Hier wurden strenge Kontrollen eingeführt.
Am 15. August, zwei Tage nach der Abriegelung der Sektorengrenzen, beschloss der Nationale Verteidigungsrat der DDR den pioniermäßigen Ausbau der Grenzanlagen. In der Nacht vom 17. auf den 18. August begannen Bautrupps, die Stacheldrahtsperren durch eine Mauer aus Hohlblocksteinen und Betonplatten zu ersetzen. Die Bauarbeiter von Berlin standen nun doch – entgegen der Behauptungen Ulbrichts zwei Monate zuvor – an der Grenze und wurden zur endgültigen Abriegelung der Stadt eingesetzt. Die Mauer wurde von Tag zu Tag unüberwindbarer.
Sonderausgabe der „BZ“ zum Mauerbau
© Archiv Bundesstiftung Aufarbeitung
Die Bewohner in Ost und West nahmen die Situation fassungslos zur Kenntnis. Wütend und ohnmächtig standen sie sich an den Stacheldrahtsperren und der wachsenden Mauer gegenüber. Angehörige der Kampfgruppen und Volkspolizisten hielten die Menschen auf der Ostseite mit Maschinengewehren in Schach. Wer protestierte, wurde verhaftet. Auf der Westseite sammelte sich eine erregte Menge. Um eine Eskalation der Situation und unkalkulierbare Entwicklungen zu verhindern, war die West-Berliner Polizei angehalten, die Menschen von der Grenze abzudrängen.
Von einem Tag auf den anderen änderte sich das Alltagsleben der Stadt und ihrer Bewohner. Zehntausende Berliner Familien wurden durch den Mauerbau auseinander gerissen, Paare entzweit, Eltern von ihren Kindern getrennt, Freundschaften zerstört und Nachbarschaften beendet. Zahllose Menschen verloren ihren Arbeitsplatz, ihre Lebensgrundlage, ihre Perspektive.
Unbeschreibliche menschliche Tragödien spielten sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit ab. Wo es noch möglich war, überwanden die Menschen die Stacheldrahtsperren, durchbrachen mit Fahrzeugen die Sperranlagen oder sprangen aus den Grenzhäusern in die Sprungtücher der West-Berliner Feuerwehr.
Im September und Oktober wurden unmittelbar an der Grenze gelegene Häuser zwangsgeräumt und mehr als 2.000 Bewohner aus ihren Wohnungen vertrieben. Auch an der innerdeutschen Grenze gab es im Rahmen der „Aktion Festigung“ wiederum Zwangsaussiedlungen.
Die Welt hielt den Atem an. Würde sich der Westen das massive Vorgehen an der empfindlichsten Stelle des Eisernen Vorhangs gefallen lassen? Zwar prangerte der Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, die Grenzschließung bereits am 13. August in seiner Erklärung als „empörendes Unrecht“ an, konnte aber nichts anderes tun, als die Schutzmächte anzurufen.19 Auch Bundeskanzler Konrad Adenauer geißelte den offenen Bruch des Viermächteabkommens durch die Machthaber der Sowjetzone und versicherte, am Ziel der deutschen Einheit festzuhalten.20 Adenauer geriet aber wegen seiner Zurückhaltung in die Kritik, zumal er der Sowjetunion zusicherte, keine Schritte zu unternehmen, welche die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der UdSSR erschweren und die internationale Lage verschlechtern könnten. Die Situation war angespannt und Befürchtungen, unmittelbar vor einem Krieg zu stehen, kamen auf.
Am 16. August 1961 versammelten sich nahezu 300.000 Berliner vor dem Schöneberger Rathaus im Westteil der Stadt. Sie forderten energische Reaktionen der Westmächte und Garantien für West-Berlin. Denn die Alliierten reagierten zurückhaltend und beschränkten sich auf verbale Proteste. Auf den Inschriften der Transparente wurde der Unmut der Bevölkerung offensichtlich: „70 Stunden ohne Tat – weiß der Westen keinen Rat?“ oder „Papierne Proteste stoppen keine Tanks“21 verdeutlichten die Befürchtungen, vom Westen aufgegeben worden zu sein. Willy Brandt erhob in einem Brief an den amerikanischen Präsidenten die Forderung: „Berlin erwartet mehr als Worte, Berlin erwartet politische Aktionen.“ An den Osten gerichtet, „an alle Funktionäre des Zonenregimes, an alle Offiziere und Mannschaften“ appellierte Willy Brandt in seiner Rede: „Lasst euch nicht zu Lumpen machen! Zeigt menschliches Verhalten, wo immer es möglich ist, und vor allem, schießt vor allem nicht auf eure eigenen Landsleute!“ Präsident John F. Kennedy schickte zur Beruhigung der West-Berliner Bevölkerung und zur Demonstration seiner Verlässlichkeit für die Insel-Stadt den amerikanischen Vizepräsidenten Lyndon B. Johnson sowie den ehemaligen Organisator der Luftbrücke, General Lucius D. Clay, am 19. August 1961 nach West-Berlin. Einen Tag später wurde die amerikanische Garnison in West- Berlin durch 1.500 Soldaten verstärkt. In seinem Antwortschreiben an Willy Brandt betonte Präsident Kennedy: „Da dieses brutale Schließen der Grenze ein deutliches Bekenntnis des Versagens und der politischen Schwäche darstellt, bedeutet dies offensichtlich eine grundlegende sowjetische Entscheidung, die nur durch Krieg rückgängig gemacht werden könnte.“22 Die Westmächte wollten keinen Krieg riskieren und mussten zwangsläufig die sowjetische Machtsphäre respektieren. Die deutsche Teilung schien nun auf Dauer vollzogen. Mit dem Bau der Mauer war die Krise um Berlin aber noch nicht beendet. Als Ende Oktober 1961 Mitarbeiter der amerikanischen Verwaltung an der Einreise in den Ostsektor gehindert wurden, fuhren am 27. Oktober 1961 an der Grenzübergangsstelle „Checkpoint Charlie“ demonstrativ amerikanische Panzer auf. Wenig später standen ihnen sowjetische Panzer gegenüber. 16 Stunden dauerte die Demonstration der Stärke, dann zogen sich – wie in geheimen Verhandlungen vereinbart – zuerst die russischen Panzer und dann die amerikanischen zurück. Der Weltöffentlichkeit wurde deutlich, dass die Vereinigten Staaten auf ihren Rechten in Berlin bestanden, an der Teilung der Stadt jedoch nichts ändern konnten. Die amerikanische Garantie für die Sicherheit und Freiheit West-Berlins wurde beim Besuch Präsident Kennedys am 26. Juni 1963 in der Stadt bekräftigt. Die Berliner jubelten ihm zu, als er sie in seiner Rede mit dem Ausspruch „Ich bin ein Berliner“ seiner Verbundenheit versicherte.23
Am 15. August 1961 flüchtete der 19-jährige Grenzpolizist Conrad Schumann über den Stacheldraht in den Westen. Der junge Schäfer aus Zschochau in Sachsen war am 12. August mit seiner Polizeieinheit nach Berlin verlegt worden und hatte nun die Sperranlagen an der Bernauer Straße zu bewachen. Zweifel über den Sinn seines Tuns bewegten ihn zum Sprung in die Freiheit. Conrad Schumann war der erste von über 2.500 Grenzsoldaten, die sich durch eine Flucht in den Westen dem Grenzdienst entzogen und den Einsatz der Schusswaffe gegen Landsleute verweigerten.24
Gedenkstein für Günter Litfin in Berlin-Mitte
© Archiv Bundesstiftung Aufarbeitung
Zehn Tage nach dem Mauerbau fielen die ersten tödlichen Schüsse an der Grenze. In den Nachmittagsstunden des 24. August 1961 versuchte der 24-jährige Günter Litfin über die nahe der Charité gelegene S-Bahntrasse nach West-Berlin zu flüchten.25 Wie so oft hatte der junge Schneider, der in West-Berlin lebte und arbeitete, das Wochenende bei seiner Familie im Ostteil verbracht und war von der Grenzschließung überrascht worden. Nun suchte er einen Weg, um an seinen Arbeits- und Lebensort zurückkehren zu können. Als sein Fluchtversuch von Grenzposten entdeckt wurde, sprang er in das Wasser des Humboldthafens und bewegte sich schwimmend auf das West-Berliner Ufer zu. Durch Sperrfeuer versuchten die Grenzposten den wehrlosen Schwimmer von seinem Vorhaben abzubringen und schossen dann gezielt auf seinen Kopf. Von einer Kugel getroffen ging er unter und wurde kurze Zeit später tot aus dem Wasser geborgen. Günter Litfin war der erste Flüchtling, der an der Grenze erschossen wurde. Und er blieb nicht der einzige. Bis zum Fall der Mauer versuchten Flüchtlinge immer wieder, trotz der tödlichen Bedrohung die Sperranlagen zu überwinden.26
In den ersten Tagen nach dem Mauerbau durften Bewohner von West-Berlin noch den Ostteil der Stadt betreten. Diese Möglichkeit nutzten sie spontan, um Freunde, Verwandte oder Bekannte mit West-Berliner Ausweisen durch die Kontrollen an den verbliebenen Übergängen zu schleusen. Am 23. August wurde für West-Berliner ein Passierscheinzwang für Besuche in Ost-Berlin eingeführt. Da die Alliierten aus hoheitlichen Gründen und in Übereinstimmung mit dem West-Berliner Senat einer Einrichtung von DDR-Passierscheinstellen in West-Berlin nicht zustimmten, wurde diese Regelung schon am 25. August hinfällig. Bis zum ersten Passierscheinabkommen im Dezember 1963 gab es nun keine direkten Kontaktmöglichkeiten mehr zwischen den Bewohnern der beiden Stadthälften. Nur noch Besitzer von westdeutschen Pässen oder Ausländer konnten die Grenzübergänge passieren – oder Flüchtlinge, die mit gefälschten oder „geborgten“ Pässen ausgestattet durch die Kontrollen gingen. Andere flüchteten durch die Kanalisation nach West-Berlin – bis auch hier durch den Einbau von Gittern in den begehbaren Kanälen die Grenze unterirdisch abgesperrt war. Die Phantasie für das Finden von Fluchtwegen kannte keine Grenzen.27 Überall wurde nach Schlupflöchern und undichten Stellen gesucht. Mit dem Interzonenzug fuhren Flüchtlinge als getarnte Ausländer zu den Fähren nach Skandinavien. Autos wurden umgebaut, Menschen in Koffern versteckt, Diplomaten als Fluchthelfer gewonnen, Wege über osteuropäische Staaten gesucht oder Ballons gebaut. Spektakulär waren die Grabungen von Fluchttunneln unter den Grenzanlagen.28 Die unterirdische Wühltätigkeit hatte 70 Tunnelprojekte zur Folge, von denen jedoch nur ein Viertel erfolgreich genutzt werden konnte. Es gab Verhaftungen und Todesopfer unter den Fluchthelfern. Jeder Fluchtweg, der bekannt wurde, führte zur Verschärfung der Kontrollen und zur Perfektionierung der Grenzanlagen.
Bis Mitte der 1960er Jahre wurde die Mauer im innerstädtischen Bereich mit Betonquadern und Hohlblocksteinen gebaut, auf denen Y-förmige Abweiser aus Stacheldraht angebracht waren. In den Bereichen zwischen West-Berlin und dem Umland gab es anstelle der Mauer auch Streckmetallzäune. Je nach der örtlichen Lage und Unübersichtlichkeit wurde mit der Zeit ein gestaffelter Grenzstreifen eingerichtet, der mit zwei- oder dreireihigen Stacheldrahtverhauen, Panzersperren, Stolperdrähten, Hundelaufanlagen und Wachtürmen komplettiert war. Im Juni 1963 erfolgte entlang der Grenze auf der Ost-Berliner Seite die Einrichtung eines bis zu mehrere Hundert Meter breiten Grenzgebietes, das von Bewohnern und Besuchern nur mit Passierscheinen betreten werden durfte. Es begann an der sogenannten Hinterlandmauer, die den Todesstreifen nach Osten begrenzte und für die DDR-Bürger die eigentliche Grenze bildete.