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DER ANDERE CHRONIST

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»Hast du dich schon entschieden?«, fragte ich, während ich von dem Felsvorsprung aus den Fluss betrachtete, der sich Hunderte Meter unter mir durch den Canyon schlängelte. Die andere Seite der gewaltigen Schlucht war kilometerweit entfernt und wilde, zerklüftete Felsen ragten auf, so weit ich sehen konnte. Auf der rotbraunen Erde wuchsen nur vereinzelte Sträucher, die sich trotz der widrigen Bedingungen zwischen den Gesteinsschichten die Felswände emporkämpften. Ein sanfter Wind milderte die Hitze der strahlenden Sonne. Die Schlucht war menschenleer.

»Nathaniel?« Ich drehte mich zu meinem geflügelten Begleiter um, der hinter mir an einem Felsen lehnte – halb Dämon, halb Schutzengel, dunkel glitzernd und mit riesigen, schwarzen Schwingen, den Blick aus seinen goldbraunen Augen auf mich gerichtet. »Hörst du mir überhaupt zu?«

Ein Schatten legte sich über sein Gesicht. Er war schön, trotz der dämonischen Narben, die ihn furchterregend aussehen ließen.

»Natürlich«, murmelte er rau. »Habe ich was entschieden?«

»Wem du eine Abfuhr erteilen wirst. Den Erzengeln oder Luzifer?«

Ein freudloses Lächeln zuckte in seinen Mundwinkeln. »Sollten wir damit nicht warten, bis sie mir ein Angebot gemacht haben?«

»Das werden sie«, sagte ich ernst. »Früher oder später wirst du diese Wahl treffen müssen.«

»Ich will nicht, dass du dir so viele Sorgen machst«, erwiderte er. »Ramiel hat einen schlechten Einfluss auf dich.«

»Er hilft mir nur, die Dinge klarer zu sehen. Weder die Erzengel noch Luzifer werden sich die Chance entgehen lassen, dich für ihre Sache zu gewinnen. Du wirst dich zwischen Himmel und Hölle entscheiden müssen.«

»Den Teufel werde ich tun«, knurrte Nathaniel.

Ich runzelte die Stirn. »Du willst dich gar nicht entscheiden?« Und dann begriff ich. »Du willst sie hinhalten!«

»Sobald ich mich für eine Seite entscheide, wird die andere dich jagen. Denn damit ich meinen Schutzengelstatus verliere, musst du …«

»… sterben«, vollendete ich seinen Satz.

Er knurrte und schwarze Flammen flackerten auf seinem Körper wie zur Verdeutlichung auf.

»Ich weiß«, sagte ich. »Aber …«

»Kein Aber! Deine Sicherheit ist alles, was für mich zählt. Ich werde keine Entscheidung treffen, die dich in Gefahr bringt. Ende der Diskussion.«

Das Knurren seiner Stimme und das Knistern der Flammen auf seiner Haut waren bedrohlich. Ich streckte meine Hand nach seiner aus und umfasste sie.

Okay, dachte ich. Wie du willst. Doch irgendwann wirst du die Entscheidung treffen müssen, daran führt kein Weg vorbei. Er ignorierte meine Gedanken und starrte düster vor sich hin.

Ich beschloss, das Thema zu wechseln, und ließ meinen Blick über die weite Schlucht schweifen. »Es ist wunderschön hier. Aber wo sind wir eigentlich?«

»Arizona«, erwiderte er gedankenversunken. »Grand Canyon. Ich dachte, vielleicht gefällt’s dir.«

Ich blinzelte ihn an. »So weit weg von zu Hause? Kriege ich Bonusmeilen?«

Er schmunzelte schwach und spannte seine mächtigen, schwarzen Schwingen auf. Tausende goldene Diamanten funkelten darin im Sonnenlicht. »Willkommen bei Guardian Angel Air.«

Die beängstigende Schönheit seiner Flügel machte mich wieder einmal sprachlos und ich blickte sehnsüchtig auf die glitzernden, tiefschwarzen Federn. Plötzlich wurde ich gepackt und mit Nathaniels Armen um mich stürzte ich in die Tiefe. Ich schrie erschrocken auf und klammerte mich an ihm fest. Unser Fall dauerte nur wenige Augenblicke. Nathaniel schlug seine Flügel auf und plötzlich schwebten wir gemächlich zwischen den hohen Felswänden des Tals entlang. Er grinste.

»Du hast mich zu Tode erschreckt!«, keuchte ich und knuffte ihn in die Schulter. Es fühlte sich an, als würde ich einen Granitfelsen knuffen. Seine Augen funkelten neckend und mein halbherziger Ärger schmolz dahin. Wie immer war er so unwiderstehlich, dass meine Wut keine Chance hatte.

»Du könntest mich das nächste Mal wenigstens vorwarnen, bevor du dich mit mir den Grand Canyon hinunterstürzt!«, brummte ich.

»Und damit die Überraschung verderben?« Plötzlich beschleunigte er wieder und wir rasten in die Tiefe. Ich hielt den Atem an, klammerte mich an ihn und fühlte gleichzeitig den Rausch von Adrenalin. Wir rasten so dicht über den Fluss hinweg, dass ich die Wasseroberfläche mit den Fingern berühren konnte. Schon schoss Nathaniel wieder nach oben, zwischen den Felswänden durch und hinauf, bis wir hoch über der Schlucht schwebten. Die Aussicht war überwältigend.

»Victoria«, flüsterte er.

Ich blinzelte in der Dunkelheit.

»Wach auf …«

»Ich habe schon befürchtet, dass du verschläfst«, sagte Ludwig, als ich kurz darauf in Jeans und Kapuzenweste in der Küche erschien. Es war ungewöhnlich, dass mein Vater noch nicht im Büro war. Er schien auf dem Sprung zu sein, denn er trug wie immer einen maßgeschneiderten Anzug, der ihm zusammen mit seinen graumelierten Haaren und seinem selbstbewussten Auftreten eine unbestreitbare Autorität verlieh. Vermutlich hatte er auf mich gewartet.

»Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte Ludwig und betrachtete mich mit besorgtem Blick.

Ich setzte Wasser auf. »Warum fragst du?«

»Du hast ziemlich viel durchgemacht in der letzten Zeit. Die Sache mit Rita …«

»Du meinst deine Sekretärin - entschuldige, deine Freundin -, die mich in die Klapsmühle stecken wollte?« Mein Tonfall war schärfer als beabsichtigt. Bei der Erwähnung von Ritas Namen loderten Nathaniels Flammen auf. Er hatte mich vor der skrupellosen Frau beschützt und den Dämon in ihr ausgetrieben, was Rita allerdings ins Krankenhaus befördert hatte.

Ludwig sah gekränkt aus und ich fühlte einen Stich schlechten Gewissens.

»Wie, ähm, geht es ihr?«, fragte ich unbehaglich.

»Unverändert«, erwiderte Ludwig. »Sie ist nach wie vor in der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie.«

Mein Blick schoss zu Nathaniel. Er lehnte an der Küchentür, riesengroß und düster. Mein Vater stand direkt neben ihm und ahnte nichts von dem dämonischen Wesen in seiner Nähe. Doch Nathaniels Anwesenheit ließ ihn unruhig von einem Fuß auf den anderen treten. Knurrend zog sich mein Schutzengel auf die andere Seite der Küche zurück, so weit weg von Ludwig wie möglich.

»Rita wollte dir nur helfen«, sagte Ludwig. »Dein Verhalten war sehr beunruhigend, Vicky.«

Was hätte ich denn sagen sollen? dachte ich. ›Tut mir leid, dass ich so schlecht drauf war, aber Luzifer hat meinen Gefühlsengel umgebracht, deswegen haben meine Emotionen verrückt gespielt. Dann haben die Erzengel meinen Schutzengel in die Hölle verdammt, weil er mich dem Tod entrissen hat, nachdem der Dämon Lazarus versucht hat, mich umzubringen. Und dann hat dieser Dämon auch noch alle Inferni der Hölle auf mich gehetzt - das sind verwesende, böse Seelen, die alles Gute vernichten und Verzweiflung und Angst verbreiten – damit ich aufgebe und mich umbringe, während mein Schutzengel in der Hölle von Dämonen zerfetzt wurde. Oh, und habe ich schon erwähnt, dass ich diesen Schutzengel wie verrückt liebe?‹ Ich verdrehte die Augen. Für diese Geschichte hätte Ludwig bestimmt Verständnis gehabt.

Bei meinen letzten Worten huschte ein Ausdruck über Nathaniels Gesicht, der sein beängstigendes Aussehen veränderte. Mein Engel schimmerte für einen Moment hinter den dämonischen Narben hervor.

»Du liebst mich wie verrückt?«

Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Als ob das eine Neuigkeit für dich wäre.

»Ich höre es trotzdem gern.« Ein umwerfendes Lächeln durchbrach seine ernsten Züge. »Wie war das noch mal?«

»Jean-Claude hat mir einen Flug für heute Nachmittag gebucht«, sagte Ludwig plötzlich. Ich wandte mich ihm abgelenkt zu. »Es gibt viel nachzuholen, weil ich in der letzten Zeit nicht so häufig im Büro war.«

Er war nie der Typ Vater gewesen, der sein Leben für sein Kind in irgendeiner Art und Weise eingeschränkt hatte, doch seit meine Mutter vor einem halben Jahr gestorben war, gab es nur noch uns beide. Er musste sich seinen Vaterpflichten stellen, so ungelegen sie ihm auch kamen.

»Wer ist Jean-Claude?«

»Mein neuer Assistent«, sagte Ludwig beiläufig. »Es steht ein Meeting mit den Partnern in Hongkong an, das ich schon mehrmals verschoben habe. Aber wenn du denkst, dass du mich noch brauchst, bleibe ich hier.«

»Kein Problem. Flieg ruhig.«

Das schien genau die Antwort gewesen zu sein, auf die Ludwig gehofft hatte. Er entspannte sich merklich. Vielleicht auch nur, weil Nathaniel auf Abstand gegangen war.

»Ich werde eine Woche weg sein. Wenn du irgendetwas brauchst, dann ruf Jean-Claude an. Hier hast du seine Nummer.«

Eher würde ich mir die Hand abhacken. Ich seufzte innerlich. Jean-Claude. »Okay.«

Ludwig zögerte. »Bist du wirklich sicher, dass du zurechtkommst?«

»Mach dir keine Sorgen.« Mein Blick streifte Nathaniel. »Alles ist wieder in Ordnung.«

Plötzlich läutete es an der Wohnungstür.

»Das ist er«, sagte Ludwig, schon auf dem Weg zur Tür. »Er bringt die Akten zurück in die Firma.« Er deutete mit einer knappen Kopfbewegung auf die Ordner, die sich im Wohnzimmer türmten, seit mein Vater einen Teil seines Büros übergangsweise nach Hause verlegt hatte. Kurz darauf kehrte Ludwig ins Wohnzimmer zurück und erklärte seinem Assistenten, welche Akten er am dringendsten brauchte. Ich schlenderte aus der Küche heraus, um den beiden zuzusehen. Der junge Mann, der gerade damit beschäftigt war, Aktenordner auf seine Arme zu stapeln, hielt überrascht inne, als er mich sah.

»Oh … Bonjour.«

»Jean-Claude, das ist meine Tochter Victoria«, sagte Ludwig. »Vergessen Sie nicht die Bancroft-Papiere.«

Doch Jean-Claude schien ihn gar nicht zu hören. Er schichtete die Akten in seinen Armen um, so dass er mir die Hand reichen konnte.

»Bonjour, mademoiselle. Sehr erfreut!«

Er hatte ein strahlendes Lächeln und einen starken französischen Akzent. Groß, schlank, im dunklen Anzug und mit zurückgekämmten, braunen Locken wirkte er auf den ersten Blick älter, als er vermutlich war. Bei näherer Betrachtung schätzte ich ihn auf Anfang zwanzig.

»Ihr Vater hat eine Menge Arbeit für mich in meiner ersten Woche«, scherzte er und deutete auf die Aktenberge.

Ich stutzte, weil er mich siezte, und nickte vage.

»Und es wartet noch mehr davon im Büro auf uns«, drängte Ludwig. »Vicky, kommst du nicht zu spät zur Schule?«

»Als Ihr Vater mir auftrug, Ihnen in seiner Abwesenheit für Notfälle zur Verfügung zu stehen, hatte ich erwartet, ein Kind anzutreffen«, sagte Jean-Claude. Er klang überhaupt nicht enttäuscht.

»Ich bin achtzehn«, sagte ich. »Abschlussklasse. Ludwig denkt, ich komme nicht allein zurecht.«

»Ich bin sicher, das tun Sie.« Jean-Claude strahlte mich an. »Trotzdem, falls Sie etwas brauchen, egal was, hoffe ich sehr, dass Sie mich anrufen.«

Ludwigs Tonfall war ungeduldig. »Die Bancroft-Akte …!«

Jean-Claudes Blick ruhte noch einen Augenblick auf mir, dann wandte er sich wieder dem Aktenstapel auf dem Wohnzimmertisch zu.

Ich ging ins Vorzimmer und zog mir die Jacke und die Schuhe an. Doch Nathaniel war mir nicht gefolgt, sondern stand noch immer im Wohnzimmer. Breitbeinig und mit verschränkten Armen fixierte er Ludwigs Assistenten mit einem flammenden Gesichtsausdruck.

Kurze Zeit später parkte ich den roten Mini-Cooper auf dem Schulparkplatz und Nathaniel landete neben mir. Dabei setzte er heftiger als gewöhnlich auf dem Boden auf.

»Ich kann ihn nicht ausstehen!«, knurrte er, während er neben mir her in Richtung Schulhaus stapfte.

»Wen?« Ich kramte in meiner Tasche. »Ich hoffe, ich habe alles dabei. Ich kann mich nicht mehr erinnern, welche Bücher ich übers Wochenende in meinem Spind gelassen habe … wo ist nur das verdammte Physikbuch?«

»Diesen Franzosen!«

»Ah, hier ist es.« Ich stopfte das Physikbuch zurück in den Tasche. »Herr Wagner sagte, wir sollten uns das achte Kapitel durchlesen, ich hoffe das schaffe ich noch in der Pause …«

»Victoria.« Nathaniel versperrte mir mit seinem Flügel den Weg, so dass ich vor einer schwarzen Mauer voller glitzernder, goldener Diamanten stand.

Was ist?

»Die Art, wie er dich angesehen hat.« Seine Stimme war ein Knurren.

Ich runzelte die Stirn. Hältst du ihn für gefährlich?

Nathaniel schüttelte ungeduldig den Kopf. »Er ist nicht besessen, wenn du das meinst.«

Denkst du, Ludwig ist in Gefahr? Ist das wieder so eine Rita-Sache? Ich fühlte, wie sich mein Magen nervös zusammenzog. Steckt etwa Lazarus dahinter?

»Victoria, es hat nichts mit Dämonen zu tun«, stieß Nathaniel zwischen den Zähnen hervor. »Es geht allein um dich. Dieser Laufbursche hat ein Auge auf dich geworfen.«

Im nächsten Augenblick wurde mir die Luft aus den Lungen gepresst.

»Vic!« Es war meine beste Freundin Anne, die sich begeistert auf mich gestürzt hatte und mich fast zu Boden riss. Ihre kurzen, blonden Locken hüpften, als wir uns gemeinsam wieder aufrappelten. »Endlich, endlich, endlich bist du da!«

»Zum Glück«, schnaufte Mark, der hinter Anne auftauchte und seinen Arm um Chrissys Schulter gelegt hatte.

»Was ist denn los?«, fragte ich überrumpelt.

Chrissy verdrehte die Augen. Unter ihrer Mütze quollen ihre buschigen, roten Haare hervor. »Anne macht uns verrückt!«

»Tom und ich sind seit gestern fest zusammen!«, sprudelte Anne hervor und strahlte mich an. »Ich wollte es dir nicht am Telefon sagen, aber ich hab’s kaum ausgehalten, und jetzt kann ich endlich alles erzählen!«

»Bitte nicht«, stöhnte Mark. »Wir haben es schon gehört. Auf dem Weg zum Bus, an der Bushaltestelle, während der Fahrt und auf dem Weg von der Haltestelle hierher.«

»Anne, ich finde es klasse, dass du mit meinem Bruder zusammen bist«, sagte Chrissy in ernsthaftem Ton. »Aber wenn ich die Geschichte noch ein einziges Mal hören muss, dann schwöre ich, dass ich …!«

»Ja, schon gut.« Anne ließ enttäuscht den Kopf hängen. Im nächsten Moment schoss ihr verschmitzter Blick jedoch wieder hoch und sie zwinkerte mir zu. »Aber dir erzähle ich alle Einzelheiten!«

Nathaniel eifersüchtige Worte über Jean-Claude lenkten mich noch immer ab. »Ähm … weiß deine Oma schon Bescheid?«, fragte ich Anne, um meinen fehlenden Enthusiasmus zu rechtfertigen. Das Leuchten in ihren Augen verschwand sofort.

»Nein«, murmelte sie kleinlaut. »Das ist das Problem.«

»Sie will immer noch nichts von Tom wissen?« Ich blickte fragend zu Chrissy, die den Kopf schüttelte.

»Mein Bruder ist anscheinend nicht gut genug für das Goldkind.« Zu meinem Erstaunen erschien ein Schmunzeln auf Chrissys Gesicht und sie klopfte Anne auf den Rücken. »Aber Anne hat sich trotzdem über alle Regeln hinweggesetzt. Weiter so, es lebe die Revolution!«

Anne ließ Chrissys Scherze mit einem genervten Gesichtsausdruck über sich ergehen. »Ich weiß, ganz toll. Blöd nur, dass ich bei meiner Oma lebe und mich dauernd heimlich mit Tom treffen muss, und lügen, und Ausreden erfinden …« Sie schüttelte den Kopf. »Ich hasse das!«

»Sei ehrlich zu ihr«, sagte ich. »Irgendwann kriegt sie es sowieso raus. Du wirst Tom nicht ewig geheim halten können und da ist es doch besser, deine Oma erfährt es von dir, oder?«

»Meine Oma würde mich umbringen!« Anne hob den Zeigefinger und zeterte los: »Dieser furchtbare, junge Mann mit der Tätowierung und dem Metallring im Gesicht, so einer kommt mir nicht ins Haus! Das ist mein letztes Wort!« Sie imitierte den Tonfall der alten Frau perfekt und verzog dann gequält das Gesicht.

»Trotzdem«, sagte ich bestimmt. »Steh dazu, dass du mit Tom zusammen bist! Sie muss es einfach akzeptieren.«

Mein Blick streifte Nathaniel. Sein Ärger schien sich gelegt zu haben, jetzt sah er mich mit einer Mischung aus Belustigung und Tadel an.

»Ein ungewöhnlicher Ratschlag von jemandem, der, wenn ich mich recht erinnere, Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hat, um seine Gefühle geheim zu halten«, grinste er.

Er hatte nicht ganz unrecht. Ich hatte meine Gefühle für ihn auch nicht in die Welt hinausposaunt, ganz im Gegenteil. Der Schild meines Gefühlsengels Seraphela hatte meine verbotene Liebe vor Nathaniel und allen anderen Engeln verborgen gehalten, und nachdem Luzifer Seraphela getötet hatte und der Schild gefallen war, hatten die Erzengel Nathaniel in die Hölle verbannt.

Genau, weil der Zorn der Erzengel ja mit dem Ärger von Annes Oma vergleichbar ist!, giftete ich in Gedanken.

Nathaniels Flammen knisterten amüsiert. Plötzlich fiel mir auf, wie unbehaglich Mark auf seinem Kaugummi kaute, wie nervös sich Chrissy immer wieder umblickte und wie sich Annes Unbeschwertheit binnen Minuten zu Entmutigung und Unsicherheit gewandelt hatte.

Ich vergaß ständig, dass Nathaniels dämonische Ausstrahlung auf andere Menschen eine beklemmende Wirkung hatte. Ich selbst war von der Wirkung verschont, doch die kurze Zeit, die meine Freunde in Nathaniels Anwesenheit verbracht hatten, hatte genügt, um ihre Fröhlichkeit im Keim zu ersticken. Ein Schatten legte sich über Nathaniels Gesicht, als er meine Gedanken hörte.

»Vielleicht solltest du dir doch noch ein wenig Zeit damit lassen, es ihr zu erzählen«, sagte ich zögernd zu Anne.

»Macht doch einen Deal«, schlug Chrissy vor, während sie unruhig an ihrer Jacke nestelte. »Wenn Vic uns ihren geheimnisvollen Freund endlich vorstellt, dann erzählt Anne ihrer Oma von Tom!«

Anne wandte sich mir zu und grinste verschmitzt. »Abgemacht?« Sie wusste als einzige meiner Freunde von Nathaniels Existenz und dass es niemals dazu kommen würde, dass ich ihn ihnen vorstellte.

Ich gab auf und zuckte mit den Schultern. »Abgemacht. Sehr clever«, fügte ich leise hinzu, so dass es nur Anne hören konnte. Wie es aussah, würde Annes Großmutter für sehr lange Zeit nichts von Tom erfahren.

In der Pause vor Physik hockte ich auf dem Gang vor den naturwissenschaftlichen Labors, das Physikbuch aufgeschlagen auf meinen Knien, und versuchte, mir irgendetwas aus dem Kapitel einzuprägen, das wir bis zu dieser Stunde hätten lesen sollen.

»Wie geht es voran?«

Ich zuckte überrascht zusammen, als Ramiels tiefe Stimme plötzlich neben mir ertönte. Mein Verstandesengel war aus dem Nichts erschienen, saß neben mir auf dem Fliesenboden, die langen Beine ausgestreckt und lässig übereinandergeschlagen. Er war sehniger und nicht so groß wie Nathaniel, seine Haut schimmerte bronzen und seine weißen Flügel funkelten im Tageslicht.

»Ra!«, keuchte ich erschrocken. »Könntest du dich das nächste Mal bemerkbar machen, bevor ich wegen dir einen Herzinfarkt bekomme?«

»Tut mir leid«, schmunzelte er. »So schreckhaft? Was ist aus der furchtlosen Dämonen-Bändigerin geworden?«

»Sie wird diesen Dämon hier nicht aufhalten können, der dir gleich deine Federn ausreißen wird«, knurrte Nathaniel.

Ramiel zog die Brauen hoch. »Er scheint etwas gereizt zu sein«, raunte er mir zu. »Gibt es einen besonderen Grund, oder ist das nur sein übliches höllisches Temperament?«

»Es gibt einen Grund«, murmelte ich und vertiefte mich wieder ins Physikbuch. »Der Franzose ist schuld.«

Nathaniels Flammen knisterten.

Ra stutzte. »Was soll das heißen, ›der Franzose ist schuld‹?«

»Können wir das später besprechen?«, bat ich genervt. »Wenn Wagner mich gleich aufruft, habe ich nämlich keinen blassen Schimmer, was ich ihm antworten soll.« Ich klopfte demonstrativ auf mein Buch. Ramiel schlug es kurzerhand zu.

»Vergiss das, ich kümmere mich schon darum. Erzähl mir lieber, was es mit diesem Franzosen auf sich hat.«

Nathaniel und ich starrten Ra überrascht an.

»Was?«, fragte Ra. »Soll ich sie etwa durchfallen lassen?«

»Seit wann bist du so kooperativ, wenn es um Hilfe bei Prüfungen geht?«, fragte ich.

Ra zuckte mit den Schultern. »Was das Brechen von Regeln betrifft, sind wir schon längst über das Niveau von Schulnoten hinaus. Also, was ist jetzt mit diesem Typ?«

In diesem Moment kehrten Anne und Chrissy mit riesigen Kaffeebechern vom Kiosk zurück. Sie machten einen verärgerten Eindruck, und neben ihnen schritt Ariana mit Katharina und Sarah durch den Gang wie eine Königin mit ihrem Hofstaat. Ich erhob mich und ließ das Physikbuch in meiner Tasche verschwinden.

»Hey, Winter, ist es wahr, dass das hässliche Schweinchen eine Freund hat?« Arianas gelangweilte Stimme hallte über den gesamten Gang. Annes Finger verkrampften sich um ihren Kaffeebecher.

»Sie haben uns in der Aula belauscht«, flüsterte Chrissy mir zu.

Ariana lächelte kalt und warf ihre blonden Haare über die Schulter. »Bitte! Es war ein bedauerlicher Zufall, ich habe keinerlei Interesse an Miss Piggys halluziniertem Liebesleben.«

»Es ist nicht halluziniert«, erklärte Chrissy zornig. »Sie ist mit Tom zusammen, okay?«

Ariana hob eine perfekt nachgezogene Augenbraue. »Tom? Deinem Bruder Tom?«

»Und ich dachte, der hätte wenigstens einen Funken Geschmack«, sagte Katharina.

»Er wird das kleine Schweinchen abservieren«, erwiderte Ariana.

»Habt ihr kein eigenes Leben?«, fragte ich kalt. Ariana wandte sich mir zu und ich erwartete, dass der Dämon in ihr sich jeden Augenblick zeigen würde. Nathaniels Flammen verstärkten sich, doch Ramiel ging unerwartet dazwischen.

»Warte!« Er deutete mit dem Kopf auf Anne – oder besser gesagt, auf jemanden neben Anne, den ich nicht sehen konnte.

»Palomela?«, flüsterte ich.

»Was?«, fragte Ariana irritiert, doch Anne drängte sie auf die Seite.

»Du blöde, aufgeblasene Kuh! Mit wem ich zusammen bin, geht euch überhaupt nichts an! Nur damit ihr’s wisst, Tom und ich sind glücklich, bestimmt viel glücklicher als du und dein Wie-hieß-er-noch-gleich Studentenfreund!« Annes Wangen glühten, als sie Ariana herausfordernd ins Gesicht sah.

»Sieh an, Schweinchen wird wütend« Arianas Stimme klang gehässig. »Übrigens, sein Name ist Lukas und er holt mich heute von der Schule ab. Ihr könnt ihn nachher sehen, auf eurem Weg zum Bus.« Damit stolzierte sie mit erhobenem Kopf an uns vorbei, gefolgt von ihrer Entourage.

»Nicht schlecht«, murmelte Chrissy Anne anerkennend zu und nippte an ihrem Kaffee.

Ra hatte ein schiefes Grinsen im Gesicht, das den gut aussehenden Engel noch attraktiver machte. »Ist sie nicht großartig?«

Er sprach von Palomela, Annes resolutem Schutzengel. Ich unterdrückte ein Schmunzeln.

Ramiel hielt Wort und sagte mir tatsächlich die Antworten vor, als Herr Wagner mich in der Physikstunde aufforderte, das Kapitel zusammenzufassen. Dabei lehnte der bronzene Engel lässig am Fenster und nahm gleich danach das angeregte Gespräch mit Palomela wieder auf. Nach der Stunde winkte Herr Wagner mich zum Lehrertisch.

»Deine Zusammenfassung war sehr gut, Victoria.«

»Ähm …« Ich senkte verlegen den Kopf. Ich mochte Herrn Wagner und mich plagte das schlechte Gewissen, weil ich gemogelt hatte. Herr Wagner wartete, bis die anderen Schüler den Physiksaal verlassen hatten und sprach dann mit gesenkter Stimme weiter.

»Ich habe mich gefragt, ob du mir bei einem kleinen Experiment helfen würdest?«

»Was denn für ein Experiment?«

Wagner vergewisserte sich, dass wir allein waren, und zog eine Holzschatulle aus seiner Tasche hervor.

»Sieht alt aus«, sagte ich.

»Eine Antiquität«, erwiderte Wagner. »Doch viel interessanter ist, was sich darin befindet.« Er blickte sich verstohlen um. »Sind deine Engel hier?«

Ich sah mich um. Ramiel war mit Palomela hinausgeschlendert, doch Nathaniel lehnte am äußersten Tisch der ersten Reihe. »Nathaniel ist hier. Warum?«

Herr Wagner öffnete die Holzschatulle und ließ mich einen Blick hineinwerfen.

»Ein Kompass?«

»Nein. Ein Engelsdetektor«, erwiderte Wagner. Seine gedämpfte Stimme klang aufgeregt.

»Um Himmels Willen.« Nathaniel verdrehte die Augen.

»Seit Melinda mir von der Existenz der Engel erzählt hat, suche ich nach einer Möglichkeit, sie wahrzunehmen«, fuhr Wagner aufgeregt fort. »Ich habe in meinen alten Unterlagen nachgeforscht und bin auf Hinweise gestoßen, nach denen es ein Gerät geben soll, mit dem man Engel entdecken kann.«

Ich betrachtete das runde, silberne Ding in der Schatulle misstrauisch. In der Mitte drehte sich eine Nadel im Kreis. »Wo in aller Welt haben Sie dieses Detektor-Dings her?«

»Aus der Asservatenkammer der Erzdiözese«, antwortete Wagner ein wenig unbehaglich.

»Sie haben es geklaut?«

»Ausgeliehen«, sagte er schnell. »Außerdem fällt es bestimmt niemandem auf, dass die kleine Schatulle verschwunden ist.«

»Ich wusste gar nicht, dass die Erzdiözese eine Asservatenkammer hat.«

»Tut sie auch nicht.« Wagner hob verschwörerisch die Brauen. »Genauso wenig wie sie Artefakte besitzen, die mit Engeln oder Dämonen in Verbindung gebracht werden. Jeder Kleriker vom Kardinal abwärts wird ihre Existenz leugnen.«

»Okay … und wobei genau brauchen Sie jetzt meine Hilfe?«

»Ich möchte dich um deine Erlaubnis bitten, diesen Engelsdetektor an deinem Schutzengel auszuprobieren.«

Ich starrte Herrn Wagner an.

»Natürlich nur, falls Nathaniel nichts dagegen hat«, fügte Wagner hinzu und sprach dabei in den leeren Raum. Nathaniel, der weit links von ihm am Tisch lehnte, schüttelte mit einem mitleidigen Gesichtsausdruck den Kopf.

»Ich habe nichts dagegen«, sagte er gedehnt. »Aber es wird nicht funktionieren.«

»Er, äh, ist einverstanden«, sagte ich zu Herrn Wagner. Das Gesicht meines Lehrers erhellte sich.

»Wie schön! Dann lass es uns versuchen. Nathaniel soll sich bitte frei im Raum bewegen und sich dann einen Platz suchen, an dem ich ihn nicht erwarten würde.«

Nathaniel verdrehte abermals die Augen und rührte sich nicht vom Fleck. Herr Wagner nahm vorsichtig die silberne Kugel aus der Schatulle und hielt sie in seiner Handfläche. Dann begann er, sich langsam durch den Raum zu bewegen, und hielt dabei seine Hand wie eine Wünschelrute vor sich ausgestreckt.

Nathaniel beobachtete ihn mit einer Mischung aus Mitleid und Belustigung, während der Lehrer sich um die eigene Achse drehte.

»Er zeigt nichts an«, murmelte er stirnrunzelnd. »Die Nadel dreht sich noch immer im Kreis. Bist du sicher, dass Nathaniel hier ist?«

»Ganz sicher.«

Nathaniel blies die Backen auf und ließ die Luft langsam entweichen. »Ich habe doch gesagt, es wird nicht funktionieren. Können wir jetzt gehen?«

»Hören Sie, ich komme zu spät zur nächsten Stunde«, sagte ich und steuerte auf die Tür zu. »Tut mir leid, dass es nicht geklappt hat.«

»Was? Oh ja, natürlich … trotzdem danke«, sagte Herr Wagner abgelenkt und untersuchte das silberne Gerät. »Zu dumm, irgendwie muss das Ding doch zu reparieren sein …«

Ich schlüpfte aus dem Physiksaal, Nathaniel direkt hinter mir.

»Engelsdetektor!«, schnaufte ich draußen auf dem Gang. »Unglaublich, dass Wagner tatsächlich an so einen Quatsch glaubt! Als ob man so etwas erfinden könnte. Jetzt wird er bestimmt eine Ewigkeit damit verbringen, zu versuchen, das Ding zu reparieren.«

»Zeitverschwendung«, stimmte Nathaniel zu. »Der Detektor ist völlig in Ordnung.«

Ich blieb stehen. »Was? Aber du hast doch gesagt, dass er nicht funktionieren würde, und das hat er auch nicht.«

Nathaniel spreizte seinen Flügel und zeigte auf die schwarzen Federn. »Natürlich nicht. Weil es ein Engelsdetektor ist. Ich bin zur Hälfte ein Dämon.«

»Oh«, murmelte ich. »Verstehe.«

»Herr Wagner könnte mich nur dann aufspüren, wenn er einen Detektor für dämonische Schutzengel erfinden sollte.«

Ich grinste. »Diese Wahrscheinlichkeit ist sehr gering. Der Arme wird sich umsonst die Mühe machen, das Teil zu reparieren.«

»Du sagst ihm nicht, dass es in Ordnung ist«, sagte Nathaniel streng, während wir auf das Treppenhaus zusteuerten.

»Ist das nicht gemein?«

Nathaniel hielt mich am Arm fest und drehte mich zu sich um. »Wenn es sich in der Hölle herumspricht, dass Wagner einen intakten Engelsdetektor besitzt, dann könnte er in ernste Schwierigkeiten geraten. Die Asservatenkammer der Erzdiözese ist eine Festung, weiß der Teufel wie er es geschafft hat, den Detektor zu entwenden. Jetzt ist er in seinem Besitz und Wagner verfügt über keinerlei Schutz! Er ist nur so lange sicher, solange er den Detektor für eine Fälschung hält.«

»Schon gut, ich verstehe«, murmelte ich. Bevor wir die Treppen hinaufstiegen, bemerkte ich eine Bewegung hinter der Glastür, die hinter dem Treppenaufgang lag. Es war ein Notausgang, der auf einen kaum benutzten Teil des Schulgeländes führte und der von außen nicht einsehbar war. Kurzerhand ging ich auf die Glastür zu und spähte hinaus. Ich musste mich geirrt haben, das konnte nicht … doch ich hatte mich nicht geirrt. Der weiße Mantel, den ich gesehen hatte, gehörte tatsächlich Ariana. Sie stand draußen mit Katharina und Sarah, zusammengedrängt an der Mauer.

Und rauchte einen Joint.

Unschlüssig, was ich tun sollte, stand ich an der Tür, lange genug, dass Katharina mich entdeckte. Ariana stieß einen unterdrückten Fluch aus, machte hastig den Joint aus und die drei stürzten durch die Tür herein.

»Was hast du hier verloren, Winter?«, zischte Ariana wütend. »Du hast nichts gesehen, kapiert? Gar nichts!«

Nathaniel knurrte und trat auf Ariana zu. Der aggressive Dämon, der jetzt aus ihrer Brust hing, schlug wild mit den stumpfen Flügeln.

»Wollt ihr unbedingt von der Schule fliegen?«, fragte ich. »Hier einen Joint zu rauchen, also ehrlich! Selbst dir hätte ich mehr Hirn zugetraut, Ariana.«

Über das Kreischen des nervösen Dämons konnte ich meine eigenen Worte kaum verstehen. Ariana hörte ihn zwar nicht, kämpfte aber sichtlich darum, nicht vor Nathaniels Ausstrahlung zurückzuweichen. »Ich sag’s nur noch ein Mal, Winter, du hast nichts gesehen!«, fauchte sie. »Sonst mache ich dir das Leben zur Hölle, kapiert?«

»Ihr seid echt armselig, wisst ihr das?« Ich schüttelte den Kopf, drehte mich um und ließ die A-Liga stehen.

Die letzte Unterrichtsstunde verging wie im Flug, weil mir Anne während Frau Gehners Geschichtsvortrag im Flüsterton alle Einzelheiten von Tom erzählte. Ich hatte vorgehabt, ihr von Arianas Joint zu erzählen, aber Annes glückseliger Redeschwall war endlos. Um meine unbefriedigende Reaktion vom Morgen wettzumachen, lächelte und nickte ich an den richtigen Stellen bestätigend, während Anne jedes Gespräch mit Tom Wort für Wort nacherzählte. Sie plapperte noch immer begeistert vor sich hin, als wir nach Schulschluss die Treppen hinunterstiegen und den Schulhof überquerten. Chrissy und Mark folgten uns und schwiegen genervt.

Auf dem Parkplatz stand die A-Liga um den BMW von Arianas Freund herum. Er selbst war ausgestiegen und lehnte mit einem selbstgefälligen Grinsen an der Seite des Wagens. Als Ariana uns kommen sah, schmiegte sie sich an den Typ und deutete auf mich.

»Angeblich auf der Uni, was? Ob sein Vater weiß, dass er Papas Kohle dafür ausgibt, Schülerinnen aufzureißen?«, fragte Chrissy laut genug, dass alle auf dem Parkplatz sie hören konnten.

Das Grinsen auf Lukas‘ Gesicht gefror zu einer Grimasse. Chrissy schnaufte abfällig, doch ich begriff sofort, dass Lukas‘ Reaktion nichts mit Chrissys Bemerkung zu tun hatte. Er starrte mich an.

Ariana musste ihm erzählt haben, dass ich sie mit dem Joint erwischt hatte. Beunruhigt griff ich nach Nathaniels Hand. Die Flammen auf seiner Haut kräuselten sich bedrohlich.

Dann begriff ich etwas, das mich noch mehr beunruhigte. Lukas starrte nicht mich an; er starrte Nathaniel an. Er drehte den Kopf und blickte ihm direkt in die Augen, als wir an der Gruppe vorbeigingen.

»Was für Idioten!«, sagte Chrissy, als wir uns an der Ausfahrt des Parkplatzes verabschiedeten.

»Riesenidioten«, stimmte Mark zu.

»Er kann ihn sehen«, raunte ich Anne zu.

Sie blickte mich erst verständnislos an, dann weiteten sich ihre Augen, als ihr klar wurde, was ich meinte.

»Komm schon, der Bus fährt sonst ohne uns.« Chrissy griff nach Annes Arm und zog sie in Richtung Busstation. »Bis morgen!«

Anne ließ sich widerstrebend von Chrissy fortziehen. Ich wusste, dass sie lieber auf der Stelle erfahren hätte, was hier los war.

Raus damit, dachte ich, während Nathaniel und ich zu meinem Wagen gingen. Warum konnte er dich sehen?

»Er ist ein Erdengänger«, erwiderte Nathaniel. Die Flammen auf seinem Körper knisterten unruhig.

Ich stutzte. »Was? Er war einmal ein Engel?«

»Nein.« Nathaniel öffnete die Wagentür für mich und wartete, bis ich eingestiegen war. Dabei warf er einen prüfenden Blick zurück auf die A-Liga. Lukas Kopf war uns noch immer zugewandt, sein Ausdruck beängstigend berechnend. »Er war einmal ein Dämon.«

»Oh, verdammt«, murmelte ich. »Ariana ist mit ihm zusammen.«

Nathaniel sah nicht so aus, als würde ihn das sonderlich beunruhigen.

Ich biss mir auf die Lippen. »Ich weiß, sie ist nicht gerade meine beste Freundin, aber ehrlich, verknallt in einen Dämon?«

Ein schiefes Grinsen huschte über Nathaniels Gesicht. »Kommt mir bekannt vor.«

»Das ist doch etwas ganz anderes!« Ich beobachtete, wie Ariana und ihre Freundinnen in Lukas‘ Wagen einstiegen und der BMW langsam vom Parkplatz rollte. »Vielleicht steckt er auch hinter dieser Joint-Sache. Sollten wir nicht irgendetwas unternehmen?«

»Er weiß, wer ich bin«, erwiderte Nathaniel grimmig. »Er wird nicht so dumm sein, dir zu nahe zu kommen.«

»Davor fürchte ich mich ja auch nicht, ich mache mir Sorgen um Ariana. Moment mal, was soll das heißen, ›er weiß, wer du bist‹?«

»Ich habe Pläne für heute Nachmittag. Wir sollten gleich losfahren, ich will die Sache durchziehen, solange es noch hell ist.« Ohne meine Frage zu beantworten, schloss er die Wagentür. Ich ließ das Fenster hinunter.

»Worum geht es? Was hast du vor?«

»Du wolltest mehr über Lazarus‘ Zeit als Dämon erfahren«, sagte Nathaniel. »Nachdem Melinda nur über die Schriften der Engelschronisten verfügt …«

»Hast du etwas herausgefunden?«, fragte ich überrascht.

»In der Hölle weiß niemand etwas über Lazarus. Oder, was viel wahrscheinlicher ist, sie fürchten ihn alle zu sehr, um zu reden. Außerdem sind Höllenwesen nicht bekannt dafür, zuverlässige Informationsquellen zu sein.«

»Also?«

»Also müssen wir uns die Informationen bei jemand anderem besorgen. Einem dämonischen Chronisten.«

Ich schnappte nach Luft. »Kennst du so jemanden?«

»Ich habe einen ausfindig gemacht. Es hat seine Vorteile, wenn man plötzlich unter Luzifers Schutz steht.«

»Du stehst nicht unter Luzifers Schutz«, widersprach ich stirnrunzelnd.

»Ich weiß, dass es dir nicht gefällt«, sagte Nathaniel. »Aber bis ich mich für eine Seite entscheide, ist es so. Luzifer will mich für seine Sache haben, also ja, ich schätze, ich stehe unter seinem Schutz.«

»Du stehst unter dem Schutz der Erzengel«, sagte ich bestimmt.

Nathaniel nickte. »Das auch. Und zwar aus genau demselben Grund.«

Es war sinnlos, weiter mit ihm darüber zu diskutieren. »Und wo finden wir diesen dämonischen Chronisten?«

Ein träges Schmunzeln erschien auf Nathaniels Lippen. »Raimundplatz 14. Was hältst du eigentlich von Sportwetten, Victoria?«

»Jetzt ist mir klar, warum wir bei Tageslicht hierherfahren«, murmelte ich, als wir unser Ziel am anderen Ende der Stadt erreicht hatten. Der Raimundplatz war so ziemlich die mieseste, gefährlichste Gegend der Stadt und ich fand die Vorstellung, hier einen dämonischen Chronisten zu treffen, nicht gerade beruhigend. Ich verriegelte den Wagen und prüfte zweimal, ob die Türen wirklich verschlossen waren. »Meinst du, mein Auto ist noch da, wenn wir zurückkommen?«

Nathaniel, der neben mir gelandet war, warf einen prüfenden Blick die Straße hinunter. Ich hatte zwei Querstraßen von der Adresse, die Nathaniel mir genannt hatte, einen Parkplatz gefunden. Mein Mini-Cooper stand zwischen einer Rostschüssel und einem schicken Sportwagen mit Plüschinnenauskleidung, der vor einem Nachtclub parkte.

Die Gegend war sehr heruntergekommen. Die Hauswände waren mit Graffitis beschmiert und Müll lag auf dem Gehsteig, rund um zerstörte Abfalleimer. Viele Lokale standen leer und in den zerbrochenen Fensterscheiben hingen Schilder mit der Aufschrift: ›Zu vermieten‹. In den Hauseingängen standen Typen in Lederjacken und stark geschminkte Frauen, die in Kunstpelze gewickelt an ihren Zigaretten zogen. Junge Männer lungerten an den Straßenecken herum und starrten zu uns herüber, während wir die Straße entlanggingen. Ich fragte mich, was sie in der Kälte auf der Straße zu suchen hatten, doch dann sah ich die grässlichen Kreaturen, die aus ihren Oberkörpern hingen. Ganz wie bei Ariana.

Ich beschleunigte meine Schritte. Eine zerlumpte Gestalt humpelte mir entgegen. Der Mann stank nach Alkohol und Urin, und Nathaniel schob mich an den Rand des Gehsteigs, so weit wie möglich von dem Penner fort. Ich erhaschte einen Blick in eine Seitenstraße, wo ein paar Jugendliche mit blassen, eingefallenen Gesichtern gerade etwas austauschten.

»Da vorn ist es«, sagte Nathaniel und zeigte auf ein Lokal mit blauer Leuchtreklame. ›Kardinal Sportwetten‹ stand in großen Buchstaben über der Straßenfront des Lokals. Die Fensterscheiben waren verdunkelt.

»Wie einladend«, murmelte ich leise. Trotzdem war ich froh, die Straße und ihre unheimlichen Gestalten zu verlassen. »Wie lautet der Plan?«

»Du fragst nach Laszlo«, erwiderte Nathaniel und behielt die Männer im Auge, die uns von der anderen Straßenseite her beobachteten. »Keine Angst, ich bin bei dir.«

»Laszlo«, wiederholte ich leise und holte tief Luft. Dann drückte ich die Tür des Lokals auf.

Zuerst traf mich eine Dunstwolke aus Alkohol und Zigarettenqualm. Ich hustete und die Männer, die an der Bar saßen, drehten sich zu mir um. Die niederen Dämonen in ihren Körpern streckten gierig ihre Arme nach mir aus.

Das Lokal war schmal und schlecht beleuchtet. Große Fernseher übertrugen Pferderennen und Tabellen von Fußballspielen. Außer mir war nur noch eine weitere Frau anwesend. Sie stand hinter dem Tresen, war um die Fünfzig, trug ein zu enges Top, viel goldenen Schmuck und hatte fahle Haut.

In den Nischen mit runden Tischen und Bänken saßen Männer, die in gedämpften Stimmen miteinander sprachen. Ich wollte mir nicht einmal vorstellen, um was für Geschäfte es dabei gehen mochte.

Was das Lokal jedoch am Abstoßendsten machte, waren die Inferni. Verwesende, hagere Kreaturen mit hohlen, schwarzen Augen, die flüsternd in den Ecken kauerten. Ihr süßlicher Gestank mischte sich mit dem Zigarettenrauch und dem Geruch von Alkohol. Ich umklammerte Nathaniels Arm.

Schwarze Flammen begannen auf seiner Haut zu züngeln, eine unmissverständliche Warnung. Die Inferni in meiner Nähe zischten und wichen zurück. Selbst die niederen Dämonen, die von den meisten Gästen Besitz ergriffen hatten, wanden sich unbehaglich in ihren Wirten. Sie drängten nicht mehr gierig in meine Richtung, sondern brachten die Männer dazu, mir Platz zu machen.

»Frag sie nach Laszlo«, forderte mich Nathaniel mit ruhiger Stimme auf und deutete auf die Kellnerin. Ich trat zögernd an die Theke. Die Kellnerin warf mir einen gelangweilten Blick zu.

»Ich suche Laszlo«, sagte ich und schluckte.

Sie betrachtete mich abschätzig. »Hier gibt’s keinen Job für dich.«

»Deswegen bin ich nicht hier.«

Die Kellnerin stellte das Glas, das sie gerade gereinigt hatte, langsam zur Seite. Mir fiel auf, dass sie eine der wenigen im Lokal war, der kein Dämon aus dem Körper hing. »Du siehst nicht aus wie eins von Laszlos Mädchen. Wie heißt du?«

»Er kennt mich nicht«, erwiderte ich unruhig. »Ist er da oder nicht?«

Sie wartete einen Moment und schien zu überlegen. Dann griff sie nach dem Telefon und drehte sich von mir weg. »Da ist jemand für dich«, raunte sie in den Hörer. »Keine Ahnung. Irgend so eine Kleine.« Er schien etwas zu erwidern und sie legte auf. Dann winkte sie mich in den hinteren Teil des Lokals.

»Danke«, murmelte ich und schob mich mit Nathaniel an den anderen Gästen vorbei. Die Männer wichen zur Seite, doch ihre Blicke folgten mir. Es kam mir so vor, als wären alle Augen plötzlich auf mich geheftet. Die Inferni hatten sich in die hintersten Winkel zurückgezogen und die niederen Dämonen zuckten unruhig in den Brustkörben der Männer. Sie glichen einem Rudel nervöser Hyänen.

In der dunkelsten Ecke des Lokals stand ein Mann von einem Tisch auf, als wir uns ihm näherten. Ich nahm an, dass er Laszlo sein musste; nicht nur, weil er frei von Dämonen war, sondern weil sein Blick mit einer Mischung aus Berechnung und Neugier zuerst auf mir lag, um dann unmissverständlich zu Nathaniel rüberzuwandern.

»Ich hörte, ihr wollt zu mir«, sagte er und betrachtete Nathaniel mit unverhohlener Neugier. »Mit wem habe ich das Vergnügen?«

»Victoria«, murmelte ich unbehaglich.

Laszlo war hager und schmal. Seine langen Haare, die er in einem Pferdeschwanz zurückgebunden hatte, waren dunkelblond, und ein ungepflegter Dreitagebart verbarg die Aknenarben auf seinen Wangen. Er bot mir die Bank in der Nische an, von der er gerade aufgestanden war. »Wollt ihr, du und dein dämonischer Begleiter, nicht Platz nehmen?«

Ich warf Nathaniel einen unsicheren Blick zu. Als er nickte, rutschte ich in die Mitte der Nische. Nathaniel setzte sich neben mich und Laszlo nahm uns gegenüber Platz. Er verschränkte die Hände auf dem Tisch und sah uns mit schmalen Augen an.

»Wir brauchen Informationen«, sagte ich. »Wir haben gehört, Sie können sie vielleicht beschaffen.«

»Was für Informationen?« Laszlos Ton war unverfänglich.

»Es geht um … einen Dämon«, sagte ich. »Wir wollen erfahren, was nach seinem Fall geschehen ist. Können Sie uns seine Chronik beschaffen?«

»Ein gewöhnlicher Auftrag von einem ungewöhnlichen Kunden.« sagte Laszlo mit einem Blick auf Nathaniel. »Dein Begleiter ist selbst ein Dämon. Normalerweise nehmen nur Erdengänger meine Dienste in Anspruch.«

»Kannst du diese Informationen für uns beschaffen oder nicht?«, knurrte Nathaniel.

Das ganze Lokal wurde still. Obwohl die Menschen Nathaniels Knurren nicht hören konnten, schienen sie von der angsterfüllten Reaktion der niederen Dämonen und Inferni beeinflusst zu werden.

»Natürlich«, erwiderte Laszlo hastig, dem die plötzliche, bedrohliche Atmosphäre im Lokal offensichtlich nicht entgangen war. »Ich kann alles beschaffen. Ich darf hinzufügen, dass es mir eine Ehre ist, für euch zu arbeiten.«

Ich runzelte die Stirn. »Warum?«

Laszlo lachte. Ein kurzes, hohles Lachen, das seine kalten Augen nicht erreichte. »Ihr seid berühmt. Jeder kennt euch. Seht euch nur um!«

Die Männer an den Tischen und an der Bar starrten uns unaufhörlich an, ebenso wie die unruhigen Dämonen in ihren Körpern und die flüsternden Inferni in den dunklen Winkeln. Nathaniel spürte meine Unsicherheit. Das spielerische Züngeln der Flammen auf seiner Haut, das er wie eine Drohgebärde einsetzte, verstärkte sich. Einige der Männer senkten ihre Blicke und murmelten einander etwas zu.

»Immer mit der Ruhe!« Laszlo hob beschwichtigend die Hände. »Wir alle hier sind eure Freunde. Kein Grund zur Aufregung«, sagte er mit einer ausladenden Geste. »Meine Gäste haben selten die Ehre, einem Dämon zu begegnen, der unserem Meister so nahesteht.«

Ich spürte einen Stich im Innern. War das die Wahrheit? War Luzifer der Meinung, dass Nathaniel ihm nahestand? Die ehrfürchtige Reaktion der niederen Dämonen und Inferni deutete jedenfalls unmissverständlich darauf hin, dass alle hier das dachten.

»Sie alle wissen von deiner besonderen Stellung«, fuhr Laszlo fort und seine Augen begannen zu glänzen. »Ein Dämon mit Zugang zur Welt der Engel. Du bist bereits jetzt eine Legende, Nathaniel

Ein Schauer lief mir über den Rücken bei der Art, wie er seinen Namen aussprach. Ich musste mich zusammenreißen, damit Laszlo nichts davon bemerkte.

»Wie gesagt, es ist mir eine Ehre, euch meine Dienste anzubieten. Um welchen Dämon geht es?«

»Sein Name ist Lazarus«, sagte ich.

Laszlo erstarrte. Dann erschien ein schmieriges Lächeln auf seinem Gesicht und er lehnte sich abwehrend zurück. »Moment, Moment. Ihr habt mir nicht gesagt, dass ihr die Chronik eines Dämons des Zirkels wollt.«

»Ich dachte, Sie können jede Chronik beschaffen«, erwiderte ich kalt.

»Die Chronik jedes gewöhnlichen Dämons«, korrigierte mich Laszlo. »Aber eines Mitglieds von Luzifers Zirkel …« Sein Blick flackerte zu Nathaniel. »Du wirst sicher verstehen, dass das weit über meine Befugnisse geht.« Er schüttelte den Kopf. »Es geht mich ja nichts an, aber wenn es stimmt, was sich erzählt wird, dann gehörst du bald selbst zum innersten Kreis. Es wäre ein Leichtes für dich, dir die Informationen dann selbst zu beschaffen.«

»Es klingt fast so, als ob du mir zu sagen versuchst, was ich zu tun habe«, knurrte Nathaniel. Mit seinen goldbraunen Augen fixierte er Laszlo, mit einem so stechenden Blick, dass Laszlo die Augen niederschlug.

»Versteh doch«, murmelte der unbehaglich. »Ich komme in furchtbare Schwierigkeiten, wenn ich die Chronik eines Zirkelmitglieds weitergebe. Allein sie anzufordern, könnte mich den Kopf kosten!«

Da er über Dämonen sprach, zweifelte ich keinen Augenblick daran, dass er es wörtlich meinte.

»Mir ist gleich, welchen Einschränkungen du normalerweise unterliegst«, knurrte Nathaniel. »Ich will diese Chronik!«

Laszlo wand sich in seinem Sitz. »Du bringst mich in eine schreckliche Lage.«

»Nein.« Nathaniels Stimme wurde gefährlich. »Das ist gar nichts. Du willst nicht, dass ich dich in eine wirklich schreckliche Lage bringe.« Die Flammen auf seinem Körper züngelten bei seinen Worten bedrohlich höher. Laszlo zuckte zurück. Nathaniel erhob sich, streckte seine Hand nach mir aus und zog mich an seine Seite.

»Ich erwarte die Unterlagen. Sonst wird mein nächster Besuch nicht so freundschaftlich sein.«

Wir ließen Laszlo zurück und Nathaniel führte mich aus dem Lokal. Es war ein sehr merkwürdiges Gefühl, dass die Männer alle vor uns zurückwichen, als wir sie passierten. Die meisten von ihnen waren Typen, bei denen ich normalerweise ohne zu zögern die Straßenseite gewechselt hätte.

Zurück auf der Straße atmete ich durch. Auch hier stoben die Inferni von uns fort und verzogen sich flüsternd und zischend in dunkle Seitengassen. Die Männer, die an der Straßenecke gelungert hatten, waren verschwunden. Die Straße war plötzlich wie leer gefegt.

»Das war echt gruselig«, murmelte ich, als wir unbehelligt mein Auto erreicht hatten. Nathaniel blieb an meiner Seite, bis ich eingestiegen war. »Und ich bin wirklich überrascht, dass …«

»Du wolltest nicht wahrhaben, dass ich ein Dämon bin«, unterbrach er mich knurrend, doch seine Stimme klang jetzt viel sanfter. »Jetzt hast du selbst erlebt, wie die Höllenwesen auf mich reagieren. Ich begreife immer noch nicht, dass du nicht schreiend vor mir davonläufst, wie jeder normale Sterbliche.«

»Das meinte ich doch gar nicht. Ich wollte sagen, ich bin wirklich überrascht, dass mein Auto noch da ist.«

Wir waren kaum in die Wohnung zurückgekehrt, als Ramiels bronzener Schimmer erschien.

»Du hast echt was verpasst«, sagte ich, während ich mir die Schuhe abstreifte. »Wir waren in der miesesten Bar in der miesesten Gegend, die man sich vorstellen kann. Alles voller Inferni und besessener Menschen!« Ich schüttelte mich. »Und dann dieser Dämonenchronist, dieser Laszlo, ein wirklich schmieriger Typ!« Ich dachte an Melinda Seemann. Sie würde sich wahrscheinlich nicht einmal dazu herablassen, sich mit Laszlo im selben Gebäude aufzuhalten.

»Wahrscheinlich nicht«, kommentierte Nathaniel meine Gedanken. Ich ging an ihm vorbei ins Wohnzimmer und warf mich auf die Couch. Er setzte sich neben mich auf die Armlehne.

»Ramiel, du hättest es erleben müssen«, fuhr ich fort. »Sie haben uns angegafft wie irgendwelche Superstars, das war echt unheimlich.«

»Das hätte mir gerade noch gefehlt«, erwiderte Ramiel. »Den Nachmittag in einem Lokal voller Höllenwesen zu verbringen.« Er wirkte irgendwie verstört.

»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte ich.

Er fuhr sich durch die dichten, bronzenen Haare. »Es ist wegen Palomela. Wir hatten wieder eine Auseinandersetzung wegen …« Er deutete vage in Nathaniels Richtung. »Ach, vergiss es. Sag mir lieber, dass du ein paar Dämonen in den Hintern getreten hast.«

»Das war gar nicht nötig. Sie hatten einen Riesenrespekt vor Nathaniel«, sagte ich, während ich meine Finger über Nathaniels Federn gleiten ließ. Kleine Flammen züngelten plötzlich um meine Hand. »Warum hast du eigentlich die ganze Zeit über geknistert?«

Nathaniel sah mich fragend an.

»Von dem Moment an, als wir das Lokal betreten haben, hast du in Flammen gestanden«, sagte ich. »Warum?«

Er ließ das schwarze Feuer spielerisch aufflackern. Ramiel wich zurück.