Es wartet eine Welt
Lebensweisheiten
Herausgegeben von
Günter Stolzenberger
Deutscher Taschenbuch Verlag
Originalausgabe 2013
Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
© 2013 Deutscher Taschenbuch Verlag, München
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eBook ISBN 978-3-423-41805-8 (epub)
ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-14245-8
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Sie müßten unbedingt Ferien einschieben, ein Aufatmen, eine wenn auch noch so kleine Sorglosigkeit zwischen den Nöten.
Das Leben ist wunderbar in allen seinen Fügungen
… das Leben hat goldene Gassen
Mach Dirs weit darin. Rühr was Herrliches an.
Im Leben hat alles denselben Wert und ein Ding ist nicht schlechter als ein Wort oder ein Duft oder ein Traum.
Und ob dir auch Dein schönster Traum gefalle,
und alle Träume, die vorübergehn, –
das Leben, wenn wir es nur recht verstehn,
das Leben kommt und übertrifft sie alle.
Das Leben ist recht eigentlich gemacht, uns zu überraschen
… man muß manchmal einhalten und atemholen, so hebt sich Woge um Woge aus diesem Meer des Erlebens …
Ich bin bei euch. Bei Brüdern oder Bäumen
ist man so ruhig, wie in eurem Kreis.
Ich kenne dies Getrostsein kaum aus Träumen:
dies ohne-Angst-sein etwas zu versäumen
und dies Genießen dessen, was man weiß.
Einfaches Sein, den Himmeln hingegeben,
wie Teiche, welche immer offen sind,
schöner erzählend, was die Lüfte leben,
und über allem Abgrund, ewig eben,
die Tage tragend und den Abendwind.
Ich will hier in dieser kleinen Hütte sitzen und barfuß am Wasser gehen und ins Meer hineinlaufen und Meer und Luft mit meinem ganzen müden und durstigen Körper mit jeder Stelle fühlen, der dieser Winter unrecht getan hat.
Das müßte sein von jenen blanken
Lenztagen einer, da die Kranken
man vor die dunklen Türen bringt.
Im Flieder ist ein Spatzenzanken,
weil keinem rechter Sang gelingt.
Der Bach, dem alle Bande sanken,
weiß nicht, was tun vor Glück, und springt
bis aufwärts zu den Bretterplanken,
dahinter Beete, kiesumringt,
und Blumenblühn und Birkenschwanken.
Und vor dem Häuschen, goldbezinkt,
um das der Frühling seine Ranken
wie liebeleise Arme schlingt, –
ein blondes Kind, das in Gedanken das
schönste meiner Lieder singt.
Oft auch, wie man im Gehen durch Sommerwiesen an ein niederes Blühen streift, das antwortet mit freiwerdendem Duft, gerät man an irgendeine unscheinbare Tröstlichkeit im Gemüt, die sich gleich wie aus zurückgehaltenen Überflüssen, mitteilt …
Wenn es Ihnen möglich ist, kehren Sie mit einem Teile Ihres entwöhnten und erwachsenen Gefühls zu irgend einem Ihrer Kinder-Dinge zurück, mit dem Sie viel umgingen. Gedenken Sie, ob es irgend etwas gab, was Ihnen näher, vertrauter und nötiger war, als so ein Ding. Ob nicht alles – außer ihm – imstande war, Ihnen weh oder unrecht zu tun, Sie mit einem Schmerz zu erschrecken oder mit einer Ungewißheit zu verwirren? Wenn Güte unter Ihren ersten Erfahrungen war und Zutraun und Nichtalleinsein – verdanken Sie es nicht ihm? War es nicht ein Ding, mit dem Sie zuerst Ihr kleines Herz geteilt haben wie ein Stück Brot, das reichen mußte für zwei?
Mach, daß er seine Kindheit wieder weiß;
das Unbewußte und das Wunderbare
und seiner ahnungsvollen Anfangsjahre
unendlich dunkelreichen Sagenkreis.
Gott, wenn ich denke, wie flutets herüber über die Ränder der Kindheit –, und kann ich behaupten, daß meine Jugend je irgendwann zu Ende war?
Dies ist Jungsein: dieses gründliche Vertrauen zu den schönsten Überraschungen, diese Lust der täglichen Entdeckung …
Wer weiß denn was wir werden? Daß wir sind,
ist ein Gerücht an das wir wieder glauben
sooft wir fühlen: einmal war ich Kind.
Ach wie war ich in meiner Jugend Eines […] Wie konnte eine Freude, die mir ums Gesicht flog, mir auch gleich die heimlichste Seele umkreisen, empfand ich Morgenluft, so ging sie mir durch und durch, so war des Morgens Leichtheit und Beginnlichkeit in allen Stufungen meiner Natur; schmeckte ich dann und wann eine Frucht, ging sie mir auf auf der Zunge, so wars auch schon wie ein Wort des Geistes, das zergeht, die Erfahrung dessen, was in ihr unzerstörbar-gelungen war, ihr purer Genuß, stieg gleich hoch in allen sichtbaren und unsichtbaren Gefäßen meines Wesens.
Jetzt gilt es alles nachzuleben
was ungelebt blieb in der Zeit,
und alles Künftige zu heben
in eine warme Wirklichkeit,
und jeder Wurzel Grund zu geben
und jedem Stamm das Licht, darin
er steigen kann und aufwärtsstreben –
du weißt: wohin.
… nicht wahr? wie wunderbar, wie einzig, wie unvergleichlich ist ein Mensch!
… soviel fühlt jeder, daß das Leben auf Zuwachs zugeschnitten ist, und daß man schon tüchtig zunehmen darf, eh man es ganz ausfüllt.
Es ist köstliche schwarze Erde in uns und, unser Blut muß nur so gehen wie der Pflug und Furchen machen. Dann geht, während wir am Ernten sind, an einer anderen Stelle schon wieder die Aussaat los – …
Ich wunder mich, wie alles kommt, zu seiner Zeit, und nicht zu zwingen, dann aber auch nicht abzuhalten ist.
Ich bin ja überzeugt, daß Geduld immer gut ist und daß nichts, was zu geschehen im tiefsten Sinne berechtigt ist, ungeschehen bleiben kann.
Längst hab ich mich ja gewöhnt, die gegebenen Dinge nach ihrer Intensität aufzufassen, ohne, soweit das menschlich leistbar ist, um die Dauer besorgt zu sein.
Es gibt unter uns solche, denen das Werden geschieht; sie können nichts dafür, sie müssen sitzen und warten und irgendwohin in den Morgen schauen, und wie die Birken sein, denen der Frühling wehe tut.
Wunderliches Wort: die Zeit vertreiben!
Sie zu halten, wäre das Problem.
Denn, wen ängstigts nicht: wo ist ein Bleiben,
wo ein endlich Sein in alledem?
Wir saßen beisammen, und ich vergaß gern alle Unrast um uns und ruhte mich aus in seinen stillen, klaren Augen. Täglich empfand ich, was ich schon beim ersten Kennenlernen fühlte. Das ist Einer, der sich reifen läßt. Er drängt nichts in sich, er überstürzt nichts, er hat immer ein Heute, das ihn ganz ausfüllt, und ein Morgen, das er erwarten kann. Seine Seele hat ein tiefes Atemholen. Sie grübelt nicht, wünscht nichts Weites, sie hat einfach Sommer, sie reift.
Und da ist mein Leben. Ein wenig als Sekretär Rodins, sehr verwerfliche französische Briefe schreibend, vor allem aber bei seinen erwachsenen Dingen und in seiner großen heiteren Freundschaft dieses lernend, langsam lernend: leben, Geduld haben, arbeiten und keinen Anlaß zur Freude versäumen.
Und da bekenne ich denn,[…] daß ich das Leben für ein Ding von der unantastbarsten Köstlichkeit halte, …
Ach, wir rechnen die Jahre und machen Abschnitte da und dort und hören auf und fangen an und zögern zwischen beidem. Aber wie sehr ist, was uns begegnet, aus einem Stück, in welcher Verwandtschaft steht eines zum andern, hat sich geboren und wächst heran und wird erzogen zu sich selbst, und wir haben im Grunde nur dazusein, aber schlicht, aber inständig, wie die Erde da ist, den Jahreszeiten zustimmend, hell und dunkel und ganz im Raum …
Ich glaube an das Alter, lieber Freund. Arbeiten und Altwerden, das ist es, was das Leben von uns erwartet. Und dann eines Tages alt sein und noch lange nicht alles verstehen, nein, aber anfangen, aber lieben, aber ahnen, aber zusammenhängen mit Fernem und Unsagbarem, bis in die Sterne hinein.
Ich denke es mir gut, alt zu sein.
… das wollte ich Ihnen noch sagen, teurer Mensch: ich liebe das Leben, und ich glaube daran!
Wir sollen nicht wissen,
warum dies und jenes uns meistert;
wirkliches Leben ist stumm
Nur, daß es uns begeistert,
macht uns mit ihm vertraut
Und wenn du eins gewahrst, das dir entgangen,
sei froh, es ganz von vorne anzufangen.
Freue dich der ungezählten Sinne,
welche das Geschehn auf dich beziehn,
täglich hast du neue Anbeginne,
immer suchen neue Melodien
das Gemeinsame in deinen Saiten
mit dem Unverwandten zu begleiten,
das dir gar nicht mehr dein Eigen schien.
Inniger wird dir die Welt gegeben,
die sich nichtmehr aus dir lösen kann,
sanfter schmiegt sich das verliebte Leben
deinen wachsenden Gebärden an.
Deine Einsamfreuden läuten reiner
in den Festen, die du dir erhöhst,
und dein Leid wird immer allgemeiner,
von dem kleinen Anlaß losgelöst.
Und du lernst, in Ebenen zu wohnen,
weil du dort den Himmel größer siehst
und weil dort der Strom beruhigt fließt
zu den Andern, zu den Millionen.
Ohne Berge wird die Erde weit,
allen Wegen siehst du auf den Grund.
Immer größer wird ein Haus, ein Hund
welcher langsam sich von dir entfernt.
Wer die Dinge um sich kennen lernt,
muß sie einmal vor dem Himmel sehn
wo sie wichtig und verlassen stehn,
niemandem gehören, den
du kränken könntest ….
… es ist viel Schönheit hier, weil überall viel Schönheit ist.
Man weiß, wie schlecht man Dinge sieht, unter denen man lebt, und daß oft erst einer kommen muß von fern, um uns zu sagen was uns umgibt.
… die meisten Menschen [wissen] gar nicht, wie schön die Welt ist und wie viel Pracht in den kleinsten Dingen, in irgendeiner Blume, einem Stein, einer Baumrinde oder einem Birkenblatt sich offenbart. Die erwachsenen Menschen, die Geschäfte und Sorgen haben und sich mit lauter Kleinigkeiten quälen, verlieren allmählich ganz den Blick für diese Reichtümer, welche die Kinder, wenn sie aufmerksam und gut sind, bald bemerken und mit dem ganzen Herzen lieben. Und doch wäre es das Schönste, wenn alle Menschen in dieser Beziehung immer wie aufmerksame und gute Kinder bleiben wollten, einfältig und fromm im Gefühl, und wenn sie die Fähigkeit nicht verlieren würden, sich an einem Birkenblatt oder an der Feder eines Pfauen oder an der Schwinge einer Nebelkrähe so innig zu freuen wie an einem großen Gebirge oder einem prächtigen Palast. Das Kleine ist ebenso wenig klein, als das Große – groß ist. Es geht eine große und ewige Schönheit durch die ganze Welt, und diese ist gerecht über den kleinen und großen Dingen verstreut; denn es gibt im Wichtigen und Wesentlichen keine Ungerechtigkeit auf der ganzen Erde.
…es müßte nur unser Auge eine Spur schauender, unser Ohr empfangender sein, der Geschmack einer Frucht müßte uns vollständiger eingehen, wir müßten mehr Geruch aushalten und im Berühren und Angerührtsein geistesgegenwärtiger und weniger vergeßlich sein – : um sofort aus unseren nächsten Erfahrungen Tröstungen aufzunehmen, die überzeugender wären, die überzeugender, überwiegender, wahrer wären als alles Leid, das uns je erschüttern kann.
Die Erde schenkt.
… wir empfangen viele von unsern Reichtümern erst, wenn sie uns, getragen von einer anderen Stimme, entgegenkommen …
Die Fenster waren weitoffen, es kam eine Menge Morgen herein und, ganz allein auf dem Tischtuch der breiten Familientafel, spielte das Silber des Samowars mit der unsichtbaren schwebenden Heiterkeit.
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