Unter dem Kommando von Christopher Pike entdeckt die Enterprise einen Riss im Raum-Zeit-Kontinuum und nimmt Kontakt mit den Calligariern auf. Deren Heimatplanet Calligar liegt Hunderte von Lichtjahren entfernt in einem unerforschten Sektor der Galaxis. Da die Raum-Zeit-Anomalie nur wenige Tage stabil bleibt, muss die Enterprise sich nach einem ersten Austausch wieder zurückziehen.
Dreiunddreißig Jahre später erscheint der Riss erneut, und diesmal ist die Enterprise – unter dem Kommando von James T. Kirk und mit einem Diplomatenteam an Bord – zur Stelle, um offizielle Verhandlungen mit Calligar aufzunehmen. Während die Delegation auf dem Planeten Gespräche führt, besucht Ecma, Baumeisterin der Calligarier, die Enterprise.
Als Ecma um Asyl bittet, gibt Captain Kirk dieser Bitte statt. Doch die Calligarier wollen das nicht hinnehmen. Um Kirk zu zwingen, ihre Baumeisterin auszuliefern, nehmen sie die Delegationsmitglieder als Geiseln.
Über das Buch
Widmung
Vorbemerkung
Erste Begegnung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Zweite Begegnung
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Epilog
PETER DAVID
DER RISS IM KONTINUUM
Star Trek™
Classic
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
www.diezukunft.de
Shana, Guinevere, Emily, Michael
und dem Braten in der Röhre gewidmet,
der wahren ›nächsten Generation‹.
Das Manuskript dieses Buches wurde zu hundert Prozent auf wiederverwertetem Papier ausgedruckt. Falls dies Sie dazu verleiten sollte, Kommentare über wiederverwertete Ideen abzugeben, behalten Sie sie bitte für sich.
BITTE BEACHTEN: Rauchen und Trinken untersagt. Greinende Säuglinge bitte im Foyer abgeben.
Vielen Dank
Die Geschäftsleitung
ERSTE
BEGEGNUNG
»Die meisten Menschen sind auf der Welt, nicht in ihr – sie haben keine bewusste Sympathie für oder Beziehung zu ihrer Umgebung. Sie dringen nicht in sie ein, sie sondern sich ab, sie sind auf dieser Welt allein, wie Murmeln aus poliertem Gestein, die sich zwar berühren, aber für sich bleiben.«
JOHN MUIR
Der Captain der Enterprise schaute zu dem schimmernden Bildschirm hinauf und sagte nachdenklich: »Was meinen Sie, Nummer Eins?«
Nach einem bedächtigen Moment erwiderte die Erste Offizierin: »Ich weiß nicht genau, Captain. Mr. Spock … Was glauben Sie denn?«
Mr. Spock blickte nicht mal von der wissenschaftlichen Station auf. »Es ist schwierig, Lieutenant, ohne vollständige Computeranalyse präzise zu sein. Moment. Da kommt sie gerade.«
Der dünne Papierstreifen glitt lautlos aus dem Drucker und fiel in Spocks Hände. Er studierte ihn eine Weile.
Dann setzte er zu einem Stirnrunzeln an. Zum Glück fiel es ihm vor den anderen auf. Und er ermahnte sich lautlos – seine geistige Disziplin hatte er in letzter Zeit stark vernachlässigt. Wenn er wollte, dass sein Verhalten eines Vulkaniers würdig war, musste er in Zukunft besser darauf achten … Für einen Vulkanier in der höchsten Position der Raumflotte, die je ein Bewohner seines Heimatplaneten erreicht hatte, war es besonders wichtig.
»Die Computeranalyse zeigt eine Vielzahl uns schon bekannter Messungen«, sagte er. »Eine Häufung mehrerer unterschiedlicher Energiemuster.«
Nummer Eins schaute ihn mit ihren dunklen Augen an. »Spezifizieren Sie«, lautete ihre Antwort.
»Sie zeigt die räumlichen Verdrängungscharakteristika eines Wurmloches«, erwiderte Spock, der den Ausdruck noch immer studierte. »Es gibt jedoch einen Subraumfluss, der überraschend dem ähnelt, den die Warpgeneratoren unseres Hypertriebwerkes erzeugen.«
»Warp?«, sagte der Captain.
Nummer Eins beugte sich am Ruder über ihren Arbeitsplatz und musterte das Bild auf dem Schirm. »Faszinierend.«
»Ein äußerst passender Begriff«, erwiderte Spock. »Es ist in der Tat … faszinierend.« Er schien das Wort förmlich zu zerkauen. Ein einfaches, elegantes Wort. Deskriptiv. Es deutete in menschlichen Begriffen auf die Verlockung eines Rätsels hin, ohne in Emotionen zu verfallen. Faszinierend. Er würde es nicht vergessen.
Das faszinierende Objekt, dem ihr Interesse galt, lag genau vor ihnen. Das Raumschiff schwebte mehrere tausend Kilometer von ihm entfernt im All.
Die Mannschaft der Enterprise war schon zuvor vielen anders gearteten Weltraumphänomenen begegnet – Quarks, Quasaren, Schwarzen Löchern, Wurmlöchern sowie allen nur vorstellbaren sonstigen Löchern. Aber hier ging es um etwas … Einmaliges.
Es befand sich in Bezug zu ihrem Raumschiff auf einer vertikalen Achse. Rein äußerlich glich es am meisten einem großen Riss, aber es war nicht stabil. Seine Länge variierte zwischen drei und sieben Kilometern, und so stark es auch zu fluktuieren schien, war seine Länge stets größer als seine Breite. Das Zentrum war schmal und finster – so dunkel, dass es kein Licht abzugeben schien. Die äußeren Ränder waren dünner. Sterne schienen hindurch. Ob der Riss künstlicher Natur war oder sich aufgrund irgendeiner physikalischen Anomalie gebildet hatte, konnte keiner der Beobachter einschätzen.
»Ein Riss«, sagte Spock nach kurzem Nachdenken. »Ein Riss im Raumgefüge. So, wie die Realität rings um ihn verzerrt ist, können unsere Sensoren nicht tiefer in ihn eindringen. Ein Riss oder …«
»Oder was?« Die Worte des Captains kamen mit einer Schärfe, die offenbar von Ungeduld kündete. Für einen Menschen, der das All erforscht, dachte Spock, ist er außerordentlich reizbar, wenn er nicht sofort auf alles eine Antwort erhält.
»Ein Portal«, sagte Spock.
Dies ließ sämtliche Anwesenden auf der Brücke für eine beträchtliche Weile in Schweigen verfallen. Die Warntöne der Alarmstufe Rot erfüllten die Umgebung, und zwar seit dem Moment, in dem die Enterprise dem Riss – oder was es auch sein mochte – begegnet war.
Es ging dem Captain eindeutig auf die Nerven, denn nun fauchte er: »Navigator – schalten Sie den verdammten Lärm ab.«
José Tyler streckte wortlos die Hand aus und schaltete die Sirene aus. Das Rotalarm-Dreieck vor ihm erlosch sofort, und auf der Brücke breitete sich wohltuende Stille aus.
Der Captain lehnte sich in seinen Sessel zurück. Er wirkte nachdenklich. »Ein Portal«, sagte er langsam. »Und wohin?« Er richtete seine durchdringenden blauen Augen auf Spock. »Nun, Wissenschaftsoffizier?«
»Unbekannt«, sagte Spock. »Ungenügende Daten.«
»Spekulieren Sie doch mal.« Bei einem anderen Captain hätte es vielleicht leicht höhnisch geklungen, aber beim Captain der Enterprise hörte es sich ziemlich deutlich als direkter Befehl an.
Spock kämpfte das humane Verlangen nieder, die Achseln zu zucken. Er sagte nur: »Es führt auf die andere Seite.«
Der Captain seufzte und wandte sich Nummer Eins wieder auf eine Weise zu, die Spock so ablehnend erschien, dass er es als persönliche Beleidigung empfunden hätte, wäre er eines solchen Gefühls fähig gewesen. »Nummer Eins, Sie haben von uns allen die meiste Erfahrung. Was meinen Sie dazu?«
Nummer Eins warf Spock einen kurzen Blick zu. Dann trommelte sie mit den Fingernägeln. Schließlich sagte sie: »Mr. Spock hat recht. Es führt auf die andere Seite. Jede weitere Spekulation wäre sinnlos.«
»Es sei denn, wir gehen hindurch«, sagte der Captain.
»Jawohl, Sir.«
»Ist es möglich?«
Spock, der die Anzeigen musterte, meldete sich zu Wort. »Es wäre möglich, Sir. Es wäre jedoch äußerst gewagt. Die physikalische Beschaffenheit des Raumrisses befindet sich im Fluss. Sie reicht in der Breite von drei Kilometern bis zu nur fünf Metern. Wir könnten entzweigeschnitten werden, wenn wir es durchfliegen und ihm zur falschen Zeit zu nahe kommen.«
Der Captain erhob sich aus seinem Sessel und umkreiste ihn gedankenverloren. »Subraum-Funkkanal öffnen.«
»Geöffnet«, sagte Kom-Offizier Vincent.
Der Captain reckte die Schultern noch höher als üblich und sprach mit etwas lauterer Stimme. Spock fragte sich, welcher eigenartige menschliche Charakterzug ihn glauben ließ, man werde, wenn man durch den Subraum lauter sprach, auch besser empfangen.
»Hier ist Captain Christopher Pike von der U.S.S. Enterprise«, sagte der Captain. »Falls irgend jemand diese Botschaft hört: Wir befinden uns genau vor einer Art Riss im Raum-Zeit-Kontinuum. Seine fluktuierende Beschaffenheit macht es uns unmöglich, ihn zu passieren. Wir möchten in Erfahrung bringen, ob auf der anderen Seite der räumlichen Verwerfung intelligentes Leben existiert. Wenn Sie uns hören, antworten Sie bitte.« Er hielt inne, dann fügte er hinzu: »Senden Sie es auf allen Frequenzen, Lieutenant.«
»Jawohl, Sir«, sagte Vincent.
Pike nahm wieder im Kommandosessel Platz und rieb sich nachdenklich das Kinn. »Es waren doch schon vor uns Schiffe in dieser Gegend, oder?«
Spock befragte die Computeraufzeichnungen, aber bevor er Zugang zu den Informationen bekam, meldete sich Nummer Eins zu Wort. »In den letzten drei Jahren waren zwei Forschungsschiffe und die Potemkin in diesem Sektor«, sagte sie. »Sie haben aber nichts von Rissen dieser Art erwähnt.«
Pike musterte sie mit dem unbestimmtesten Anflug von Heiterkeit, den er sich zugestand. »Sie schleppen die Berichte sämtlicher Schiffe aller Sektoren während der letzten drei Jahre mit sich im Kopf herum, Lieutenant?«
»Nein, Sir«, erwiderte Nummer Eins gelassen. »Der letzten fünf Jahre.«
»Ach so«, sagte Pike. Falls er es eigenartig fand, ließ er sich jedenfalls nichts anmerken. »Dann war er also vorher nicht da?«
»Entweder war er nicht da«, sagte Spock, »oder er war zeitlich asynchron mit unserem Universum.«
»Was?«, fragte Pike.
»Im wesentlichen hat er ein paar Sekunden vor oder nach dem natürlichen Zeitverlauf unseres Universums existiert. Deswegen hätten normale Instrumente seine Existenz nie nachweisen können. Aber irgendein Ereignis, ob natürlich oder nicht, hat es möglicherweise verlangsamt oder schneller werden lassen – und deswegen aufspürbar.«
Sie warteten weiter. Sie hingen eine geraume Weile im All herum, aber niemand antwortete ihnen. Dann schüttelte Pike langsam den Kopf. »Na schön«, sagte er. »Fassen wir also zusammen: Hier existiert ein Raum-Zeit-Riss, der eventuell schon früher hier war – oder auch nicht. Es könnte sein, dass auf der anderen Seite jemand existiert – oder auch nicht. Wir könnten es überleben, wenn wir den Riss durchqueren – oder auch nicht. Stimmt das so ungefähr?«
Spock und Nummer Eins drückten nickend ihr Einverständnis aus.
Pike rieb sich mit Daumen und Zeigefinger den Nasenrücken. Dann schaute er seufzend auf. »So spannend die ganze Sache auch ist«, sagte er dann, »wir sind nach Vega IX unterwegs, um unsere Verletzten und Verwundeten abzuliefern. Wir haben schon einen Tag verloren, und da mir diese Sache zu viele Unbekannte enthält, will ich unsere Mission nicht noch einen Tag aufschieben. Nummer Eins, nehmen Sie erneut Kurs nach Vega. Warpfaktor fünf.«
»Kurs berechnet und eingegeben, Sir«, sagte Nummer Eins.
Pike nickte und sagte: »Energie.«
Die Enterprise entfernte sich von dem Riss und schoss Vega IX entgegen.
Pike begab sich zur Tür des Turbolifts und schaute zu, wie der Riss kleiner wurde. Als er die Liftkabine betreten wollte, trat Unteroffizier Colt heraus, und es hätte nicht viel gefehlt, dass Pike sie umgeworfen hätte.
»Colt«, sagte er wütend, »wie oft soll ich Ihnen noch sagen …«
»Treibstoffverbrauchsmeldung, Sir«, erwiderte sie schnell und hielt eine Schreibunterlage vor sich, als sei sie ein Schild. »Sie haben gesagt, Sie möchten …«
»Ja, ja«, fiel er ihr ungeduldig ins Wort. Als er die Unterlagen musterte, schenkte er ihr kaum einen Blick. Er nahm sich vor, mit dem Ingenieur über das Tempo zu reden, mit dem sie ihr Dilithium verbrauchten – er hatte den Eindruck, dass die Energiekurve ein bisschen sehr hoch war. Vielleicht hatte sich irgendwo ein Prallblech verzogen. Wenn dies der Fall war, drohte ihnen eine ernste Gefahr. Pike hatte einst einen Raumfahrer gesehen, der von den ausströmenden Deltastrahlen eines verzogenen Prallblechs in Mitleidenschaft gezogen worden war; er wollte nicht, dass einem Angehörigen seiner Mannschaft ein solch unerfreuliches Schicksal drohte.
Er unterschrieb die Meldung, kreuzte das Kästchen an, in dem ›Dem Captain vorlegen‹ stand, und gab Colt die Unterlage zurück. Sie lächelte ihn kurz an und schaute dann wie verlegen zu Boden. Pike seufzte lautlos.
Starke weibliche Triebe. Der Satz hallte in seinem Kopf wider. Er trat beiseite und ging in den offenen Turbolift. Als die Tür sich zischend schloss, gab er sich alle Mühe, Colt nicht anzusehen.
Doch als die Enterprise in den Weltraum hinausschoss, fing der Riss etwas gleichmäßiger an zu pulsieren …
Als Pike den Punchingball bearbeitete, waren seine Fäuste ein Schauer aus rechten und linken Geraden. Bei jedem Treffer stöhnte er leise, und er dachte an eine Zeit, in der er Salven dieser Art eine halbe Stunde lang ohne Pause hatte abfeuern können. Doch jetzt, nach kaum zehn Minuten, spürte er schon, dass ihm das Atmen schwerer fiel.
In der Sporthalle hielten sich mehrere Angehörige der Besatzung auf. Sie fochten, stemmten Gewichte oder waren anderweitig beschäftigt, sich fit zu halten, aber sie musterten den Captain auch mit verstohlenen Blicken und bewunderten ihn.
Wenn Pike in der Sporthalle war, unterhielt er sich nie mit anderen. Er nickte den Leuten höchstens einmal anerkennend zu, mehr nicht. Er war stets hundertprozentig auf sein Vorhaben konzentriert und machte keine Sache zweimal. Fechten, Schwimmen, Laufen, Selbstverteidigung – was er auch übte, er betrieb es mit einer Intensität, die ihresgleichen suchte.
Und nun, als er auf den Punchingball einschlug und seine Hiebe immer schneller wurden, wirkte er dermaßen auf sein Ziel konzentriert, dass jeder, der zufällig zwischen ihn und den Ball geraten wäre, seine Fäuste zu spüren bekommen hätte.
Drei Minuten später trat Pike zurück. Sein Gesicht war schweißbedeckt, das dünne Hemd klebte an seiner Brust. Er schlug die Boxhandschuhe mehrmals aneinander und schüttelte seine Muskeln aus, aber sein Herz klopfte noch immer heftig.
Er wandte sich um und warf einen Blick in die Runde. Das Adrenalin raste durch seinen Körper. Aber es war niemand da, der Boxhandschuhe trug. Als er sich wieder umdrehen wollte, trat José Tyler ein. Er hielt Boxhandschuhe in der Hand und schaute in Richtung Punchingball. Als er Pike in seiner Nähe stehen sah, hielt er an und warf unwillkürlich einen Blick über seine Schulter. Er fragte sich wohl, ob er eine Chance hatte, den Raum unbemerkt wieder zu verlassen.
»Mr. Tyler«, sagte Pike und winkte ihm mit der behandschuhten Rechten zu, »ich könnte einen Sparringspartner gebrauchen.«
»Nun … äh … hm, Sir«, sagte Tyler und schaute sich schnell bei den anderen Besatzungsmitgliedern nach Unterstützung um. »Ich … äh … Eigentlich wollte ich gar nicht boxen …«
Pike deutete mit dem Kinn auf die Handschuhe, die Tyler in den Händen hielt. »Und warum das da?«
»Ich habe kalte Finger, Sir.«
»Also bitte, Tyler«, sagte Pike und deutete auf die Matten in der Mitte der Sporthalle. Man hatte zwar keinen Boxring aufgebaut, aber in diesem Bereich konnte man gut Zweikämpfe jeder Art austragen. »Es wird uns beiden guttun.«
Tyler seufzte und bemühte sich, das Grinsen der anderen Männer zu übersehen. »Wenn Sie meinen, Sir …«
Sie begaben sich in das Zentrum der Matten. Die restlichen Anwesenden taten nun nicht mehr so, als interessiere sie nicht, was dort vor sich ging. Einer der Männer trat an den Wandschrank und reichte ihnen den Mundschutz. Dann legten sie auch einen Kopfschutz an.
Pikes taxierender Blick huschte über Tyler hinweg und schätzte den jungen, gelenkigen südamerikanischen Navigator ab – nicht als Besatzungsmitglied, sondern als Gegner. Tyler wippte auf den Fußballen leicht auf und ab. Pike sah echte Sorge in seinem Blick.
»Na schön, Tyler«, sagte er, wobei er sich Mühe gab, dass man ihn trotz des Mundschutzes richtig verstand. »Entspannen Sie sich einfach. Achten Sie auf Ihre Beinarbeit. Wir üben doch nur; wir sind nur zwei Jungs in der Sporthalle. So was kommt doch alle Tage vor. Sie haben keinen Grund zur Sorge, es sei denn, Sie vergessen, dass ich … der Captain bin.«
Ob Pike scherzte, war schwer zu sagen, weil er nur selten Spaß machte. Selbst wenn er ulkig wurde, setzte er sehr oft eine todernste Miene auf. Tyler seufzte erneut und ging auf Pike zu. Er bemühte sich, seitlich von ihm zu bleiben und Deckung zu behalten.
Der taktische Computer, aus dem Pikes Bewusstsein bestand, spulte rasch Informationen über Tyler ab: Der Mann war lockerer als er, und natürlich jünger. Er hüpfte schon jetzt viel schneller umher, als es ihm selbst je gelingen würde. Pike neigte dazu, in Stellung zu gehen und dann loszudreschen. Er war Tyler erfahrungsmäßig voraus und hatte außerdem eine gefürchtete Rechte. Er konnte mit ihm fertig werden.
Als Tyler plötzlich zum Angriff überging, ging Pike in Deckung. Tyler versetzte ihm ein paar schnelle Hiebe mit der Rechten und dann einen Schlag mit der Linken. Pike spürte sie kaum. »Also wirklich, Mr. Tyler«, sagte er verärgert und versetzte dem Navigator einen schnellen Haken, der ihn zur Seite fliegen ließ. »Das können Sie doch besser.«
Tyler zog sich aus Pikes Reichweite zurück und tänzelte an der Umgrenzungslinie entlang. Er behielt den Captain sorgfältig im Auge, ging jedoch nicht wieder zum Angriff über. Nach dreißig Sekunden wurde Pike leicht sauer. Er legte los und brachte mehrere schnelle, harte Treffer an, die Tyler spüren musste. Die Schläge klatschten laut. »Es ist wahrlich zum Heulen, Mr. Tyler«, sagte Pike, »wir betreiben hier Boxtraining, keine Tanzveran…«
Er sah den Schwinger nicht einmal, der seinen Kopf nach hinten fliegen ließ. Er bemerkte auch nicht, dass er zu Boden ging. Er wusste nur eins: Die Welt schien zu kippen, dann lag er auf dem Rücken.
Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass ihm die Farbe der Decke nicht gefiel. Dann schaute José Tyler auf ihn hinab, und in seinen Augen war das blanke Entsetzen. Er sagte verblüfft: »Verdammte Sch…«, und Pike fragte sich, was er damit meinte.
Dann wurde die Welt für einen Augenblick neblig, und als sie wieder klar wurde, beugte sich Dr. Philip Boyce über ihn und schüttelte den Kopf. Der Mann in den mittleren Jahren mit dem dünnen blonden Haar schien nicht sonderlich erfreut zu sein, dass Pike die Lippen bewegte, ohne einen Ton zu sagen. Der aufgeregte Tyler stand neben ihm. »Was war's noch mal?«, fragte Boyce.
»Ein linker Haken«, sagte Tyler. »Doktor … Was soll ich denn jetzt machen?«
»Wenn Sie mich so fragen, würde ich sagen: Üben Sie rechte Haken. Ich glaube kaum, dass Ihr linker noch mehr Entwicklung braucht.« Boyce schüttelte den Kopf, dann hob er die Hand und spreizte Daumen, Zeige- und Mittelfinger ab. »Chris … Wie viele Finger sehen Sie?«
»Ich weiß nicht genau«, sagte Pike mit belegter Stimme. »Zählen Daumen als Finger?«
»Das kriegen wir schon wieder hin«, sagte Boyce. Er legte einen Arm unter Pikes Unterarm und hievte den benebelten Captain mit der Hilfe Tylers und eines weiteren Besatzungsmitglieds auf die Beine. Die Kraft des Arztes überraschte Pike.
»Tut mir leid, Captain …«, sagte Tyler.
Pike schüttelte den Kopf, dann ermahnte er sich, dies nicht wieder zu tun, denn die Bewegung machte ihn schwindlig. »Ist schon in Ordnung, Mr. Tyler. Ist schon in Ordnung. Es ist beruhigend, wenn man weiß, dass Sie auf unserer Seite sind.« Pike betastete kurz sein Kinn und bewegte es hin und her. »Es würde mir nicht gefallen, Sie zum Feind zu haben.«
»Jawohl, Sir«, sagte Tyler und atmete sichtlich erleichtert aus.
Pike stützte sich fester auf Boyce, als er wollte, und ließ zu, dass man ihn in den Gang hinaus und zu seiner Kabine brachte. Boyce war so taktvoll, erst dann etwas zu sagen, als sich die Tür der Kapitänskabine hinter ihm geschlossen hatte.
»Können Sie mir mal sagen, wozu das gut sein sollte?«, fragte er dann.
Pike musterte sich im Spiegel. Auf seinem Kinn bildete sich bereits ein blauer Fleck. »Training, Doktor. Eine Methode, um in Form zu bleiben.«
Boyce verschränkte die Arme und schaute Pike skeptisch an. »Die meisten Methoden, die einen in Form bleiben lassen«, sagte er dann, »verlangen aber nicht, dass man die Besinnung verliert.«
»Das war doch nur ein Glückstreffer.«
»Ein Glückstreffer!«, schnaubte Boyce. »Ich werd' verrückt! Nach allem, was ich gehört habe, hat er sie voll erwischt. Sie sind der Glückspilz. Weil Sie nämlich von Glück reden können, dass er Ihnen nicht den Kiefer ausgerenkt hat.«
»Ach …« Pike machte eine nachlässige Handbewegung. »Sie machen sich einfach zu viele Gedanken, Phil. Tyler ist nur zehn Jahre jünger als ich. Er hätte mir nicht allzu viel antun können.«
»Wenn Sie sich beim Nachdenken etwas mehr Mühe geben würden, Chris«, erwiderte Boyce, »müsste Ihnen klar sein, dass Sie von Glück reden können, dass er Ihnen aufgrund dieser zehn Jahre Unterschied nicht den Kopf abgeschlagen hat.« Er schüttelte weiterhin den Kopf, öffnete seine Tasche und entnahm ihr seine Mixturen.
Pike drehte sich um und musterte kommentarlos die schnell ausgepackte Minibar. Boyce schaute ihn nicht einmal an, als er sagte: »Das Übliche?«
»Irgendwann«, sagte Pike, »zücken Sie womöglich eine Spritze, und ich kriege einen Herzanfall.«
»Danken Sie Gott, dass in diesem Fall ein Arzt in Ihrer Nähe ist.« Boyce nahm einen Martini für Pike in Angriff. »Es ist doch gar nicht Ihre Art, Chris. Mit jüngeren Offizieren zu boxen … Sich mit ihnen abzugeben. Sie waren doch sonst immer so …«
»Hochnäsig?«, beendete Pike den Satz für ihn.
»Ich wollte ›reserviert‹ sagen«, erwiderte Boyce und reichte ihm das Getränk.
»Zimmer werden reserviert«, sagte Pike. »Oder Tische in Restaurants. Ich bin hochnäsig. Ich stehe abseits von meinen Leuten. Von ihren Empfindungen. Vielleicht sogar von meinen eigenen.«
»Ach, Quatsch«, sagte Boyce. »Vor ein paar Tagen haben Sie noch auf dem Bett da gesessen und mir erzählt, dass Sie sich mit dem Gedanken tragen, den Dienst zu quittieren. Sie haben gesagt, Sie seien müde, ausgelaugt und hätten es satt, Entscheidungen zu treffen. Jetzt sagen Sie, Sie sind empfindungslos. Vorher haben Sie dann wohl zuviel empfunden, wie? Sie fragen sich, wie Sie mit der Mannschaft umgehen sollen? Jeder Captain hat seine eigene Methode, Chris. Wenn es zwischen Ihnen und Ihrer Mannschaft klappt, liegt das an einer großen Menge Förmlichkeit und ›Hochnäsigkeit‹, falls Sie es unbedingt so nennen wollen. Ist Ihnen aufgefallen, dass Sie, speziell auf der Brücke, dazu neigen, die Angehörigen der Besatzung öfter mit ihrem Dienstgrad als mit ihrem Namen anzusprechen?«
Pike runzelte leicht die Stirn. »Nein. Ist mir nicht aufgefallen.«
»Sie sprechen – mit Ausnahme meiner Wenigkeit – alle als Mister Sowieso an«, fuhr Boyce mit einer leichten, sittsamen Neigung des Kopfes fort. »Aber manche Leute nennen Sie nicht einmal so. Nummer Eins ist der Erste Offizier, also kann man sie natürlich auch so nennen. Aber Sie haben sie noch nie anders genannt. Warum eigentlich nicht?«
»Ich kann ihren Namen nicht aussprechen.«
»Was? Ja, aber …« Boyces Stimme brach ab. Dann runzelte er die Stirn. Er hatte den Namen zwar in den Akten gelesen, aber noch nie versucht, ihn auszusprechen. Die Frau war, wenn eine reguläre Untersuchung anstand, einfach keine von denen, mit denen man tratschen konnte – bei ihr genügte ein einfaches Nicken. Er versuchte, die Silben ihres Namens zu bilden. »Verflixt …«
»Sehen Sie? Nicht alles hat eine tiefere Bedeutung«, sagte Pike. Er musterte seine Stiefel. »Wollen Sie wissen, wie ich zur Mannschaft stehe?«
»Klar.«
»Wir haben gerade über Nummer Eins gesprochen. Nun, sie …« Pike nippte an seinem Martini, als wappne er sich für eine schwere Prüfung. »Sie hat sexuelle Phantasien, in denen ich eine Rolle spiele.«
Boyces Kinnlade fiel herunter. Er brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass der Martini an seinem Kinn herablief. Er wischte ihn schnell ab und sagte: »Darf ich … äh … fragen …, woher Sie davon wissen?«
»Die Talosianer haben es gesagt.«
»Ach. Und wie haben Sie darauf reagiert?«
»Ihr gegenüber? Gar nicht. Die Talosianer habe ich damals gerade bedroht.«
»Haben Sie seit Ihrer Rückkehr mit ihr darüber gesprochen?«
Pike schürzte die Lippen. »Nein.«
»Wie … äh … Was sind Ihre Gefühle in dieser Sache? Haben Sie … äh … in dieser Angelegenheit die gleichen Gefühle wie sie?«
»Ich weiß nicht«, gab Pike zu. »Es hat auch mit dem zu tun, was ich schon gesagt habe. Ich fühle mich von den Gefühlen der Mannschaft entfernt, aber auch von meinen eigenen. Nummer Eins war für mich immer eine kalte, methodische, völlig leidenschaftslose Frau. Die ideale Frau.«
»Ach, wirklich?«, sagte Boyce erheitert.
»Natürlich. Das Problem der meisten Frauen ist, dass sie sich vom Herzen statt vom Verstand regieren lassen. Das Treffen von Entscheidungen ist ein geistiger Prozess. Frauen sind …«
»Eine Ablenkung?«, schlug Boyce vor.
Pike hob triumphierend einen Finger. »Ja! Genau. Sie lenken einen mit ihren gefühlsmäßigen Reaktionen ab. Und auch mit …«
»Mit ihrem Aussehen? Und wie sie riechen?«
»So ist es.«
Boyce lehnte sich nachdenklich zurück. »Der Schwung eines Frauenhalses, wenn sie das Haar hochgesteckt trägt? Wie ihr Haar ihre Schultern umschmeichelt, wenn sie es offen trägt?« Seine Stimme wurde leiser, und er lächelte. »Und die Luft scheint sich aufzuladen, wenn eine Frau nur einen Raum betritt? Wenn man sie seufzen hört, verliert man da nicht geistig den Faden?«
Pike starrte in den Raum hinaus. »Wie ihre Augen glitzerten, wenn sie mich ansah. Sie kam sich so schrecklich im Stich gelassen vor …«
Dann fing er sich jedoch wieder und sah, dass Boyce ihn – nicht ohne Mitgefühl – anschaute. Pike blickte in sein Glas und musterte die darin schwimmende Olive.
»Vina hatte schon etwas, nicht wahr?«, sagte Boyce.
Pike zuckte die Achseln. »Sie haben doch meine Logbucheinträge gelesen.«
»Haben Sie nichts ausgelassen? Steht alles drin, was Sie erlebt haben? Alles, was Sie empfunden haben?«
»Alles, was wichtig war«, sagte Pike fest.
»Ah, und das ist der Teil, über den man diskutieren könnte, nicht wahr?«, erwiderte Boyce. »Ich meine, das, was interessant ist. Und was werden Sie hinsichtlich Nummer Eins unternehmen?«
»Nichts. Würde sie wollen, dass ich von ihren Gefühlen weiß, hätte sie mir davon erzählt. Die Talosianer sind in ihre Intimsphäre eingedrungen. Ich habe nicht vor, davon zu profitieren.« Der kleine Bildschirm auf Pikes Schreibtisch ließ plötzlich ein Piepsen erklingen. Er stand auf, ging zu ihm hin und drückte einen Knopf. Das kleine Bild zeigte Nummer Eins. »Captain«, sagte sie, »jemand nimmt Kontakt mit uns auf.«
»Starfleet?«
»Nein, Sir. Der Riss.«
Pike zuckte zusammen. »Der Riss?«
»Jawohl, Sir. Der Riss im Kontinuum.«
»Ich bin gleich oben.«
Er wandte sich der Tür zu, und Boyce fing an, seine tragbare Bar zu verschließen. »Ruft die Pflicht?«
»Ziemlich laut sogar.«
»Lassen Sie sich nicht allzu sehr von Nummer Eins ablenken.«
»Ich werd' mein Bestes geben.«
Pike verließ sein Quartier, ging zum Turbolift und betrat die Kabine, doch bevor die Tür sich schloss, hörte er jemanden rufen. »Moment, bitte!«
Pike drehte sich um. Der vulkanische Wissenschaftsoffizier eilte durch den Korridor. Auch er war offenbar von Nummer Eins gerufen worden. Er hinkte noch immer leicht – ein Ergebnis der Konfrontationen auf Rigel. Gott im Himmel, wann würden sie endlich Vega erreichen, um die Verletzten abzuladen?
»Brücke«, sagte Pike. Dann, nach kurzem Nachdenken, wandte er sich Spock zu und sagte: »Sagen Sie, mal, Wis… Mr. Spock … Ich habe den Eindruck, Sie machen sich in letzter Zeit ziemlich rar.«
»Sir?«
»Sie sind nicht mehr so oft mit der Mannschaft zusammen wie früher.«
Spock sah ihn an, als sei er Luft. »Es verstößt gegen keine Vorschrift, Sir.«
»Nein. Natürlich nicht. Aber als Ihr Vorgesetzter möchte ich gern darüber informiert sein, falls Sie irgendwelche Probleme haben sollten. Ich bin sehr am Wohlergehen der Mannschaft interessiert.«
»Tatsächlich, Sir?«
»Natürlich«, sagte Pike leicht gereizt. »Solche Dinge interessieren mich immer. Interesse ist sozusagen mein zweiter Vorname.«
»Nein, Sir, Ihr zweiter Vorname ist …«
»Das sagt man nur so, Mr. Spock. Ich war nur … neugierig. Mehr nicht.«
»Neugier«, sagte Spock, als hätte er im Zoo gerade ein interessantes Tier erblickt. »Ach, ja. Eine menschliche Emotion. Vielleicht bin ich von den menschlichen Emotionen nur leicht … überwältigt, Captain. Wenn man mit Menschen zusammen ist, kann die Luft manchmal ziemlich dick werden.«
In diesem Augenblick öffnete sich die Lifttür mit einem Zischen. Pike betrat die Brücke. Er war nun völlig dienstlich.
»In Ordnung«, sagte er munter, als er zu seinem Kommandosessel hinunterging. »Was liegt an?«
»Kontakt, direkt aus dem Riss«, sagte Nummer Eins und drehte sich auf ihrem Sitz, um Pike anzusehen. Sie hielt ein Blatt Papier mit dem Text der Botschaft hoch. »Hier steht: ›Zweiundsiebzig Stunden Kontaktfenster. Was wollt ihr?‹«
»Das ist alles?«
Nummer Eins nickte.
Pike stützte sich mit einem Arm auf dem Kommandosessel ab. »Dann ist jemand auf der anderen Seite.«
»So sieht es aus«, stimmte Spock ihm zu.
»Aber auf der anderen Seite von was? Von einem anderen Teil unserer Galaxis? Einer völlig anderen Galaxis? Vielleicht sogar einem anderen Universum?«
»Das erfahren wir erst, wenn wir versuchen, es herauszukriegen«, sagte Nummer Eins.
»Und wenn wir, wie ursprünglich geplant, nach Vega weiterfliegen, kommen wir innerhalb der zweiundsiebzig Stunden, von denen die Unbekannten auf der anderen Seite des Risses behaupten, dass wir sie haben, nie zurück.« Pike dachte zwar kurz nach, aber er hatte sich längst entschieden. »Bordsprechanlage aktivieren«, sagte er flink.
»Aktiviert, Captain«, erwiderte Nummer Eins.
»Hier spricht der Captain«, gab Pike bekannt. Im ganzen Schiff wurde die Arbeit eingestellt, und man hörte ihm zu. »Bedauerlicherweise müssen wir die Reise noch etwas länger unterbrechen. Die seltene Gelegenheit, derentwegen wir hier sind, hat sich unerwartet präsentiert. Da dies unserer Aufgabe entspricht, erwarte ich, dass Sie in der Lage sind, Ihre persönlichen Bedürfnisse zurückzustellen, solange es nötig ist, um diese Mission zu beenden. Unsere Mission besteht darin, Kontakt mit einer neuen Spezies aufzunehmen, der wir nur durch einen bisher unentdeckten Riss im Raum-Zeit-Kontinuum begegnen können. Sie werden über den Fortschritt des Unternehmens auf dem laufenden gehalten. Brücke – Ende.«
Pike wandte sich Navigator Tyler zu, der – falls er darüber nachdachte, wie er den Captain zuvor k.o. geschlagen hatte – viel zu sehr Profi war, um Einspruch zu erheben. »Mr. Tyler, bringen Sie uns zum Riss zurück. Warpfaktor sieben.«
»Eingeschaltet, Sir.«
»Energie.«
Pike nahm in seinem Sessel Platz, und ihm fiel auf, wie das Haar von Nummer Eins über ihre Schultern fiel. Mit einer Empfindsamkeit, die schon an Hellsehen grenzte, drehte Nummer Eins sich um und schaute ihn neugierig aus hellen Augen an. »Sir?«
Pike runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Ja, Nummer Eins?«
Sie zuckte leicht die Achseln. »Nichts, Sir.« Und sie wandte sich wieder ihrer Tätigkeit zu.
Pike spürte, dass die große Kluft zwischen ihren beiden Positionen sie trennte, aber er weigerte sich, zu lange darüber nachzudenken. Statt dessen schaute er angestrengt auf den Bildschirm. Die Sterne flogen an ihnen vorbei. Und er konnte nichts dagegen machen, als er feststellte, dass die Streifenmuster an Frauentränen erinnerten …
»Er ist offen, Sir.« Spock wandte sich von der wissenschaftlichen Station ab und bemühte sich, nicht allzu überrascht zu klingen. »Die Anzeigen sind unmissverständlich. Der Riss ist nun stabil. Die gefährlichen Fluktuationen, die das Schiff hätten vernichten können, haben aufgehört und machen eine Passage möglich.«
Pike musterte die vor ihnen befindliche Raumanomalie. Sie gab nicht den kleinsten Hinweis auf das, was sie auf der anderen Seite erwartete. Falls sie dort überhaupt etwas erwartete. Er sah nur Tintenschwärze. »Schlagen Sie vor, dass wir hineinfliegen?«
»Nein, Sir«, sagte Spock. »Ich sage nur, dass es möglich ist.«
Pike nickte und stand auf. »Was empfehlen Sie, Nummer Eins?«
»Vorsicht, Sir.«
»Das empfehlen Sie doch immer.«
»Ist auch immer angeraten«, erwiderte sie steif.
»Funkspruch absenden«, sagte Pike. »Sagen Sie ihnen, dass wir hier sind und ihren Rat erwarten.«
Die Antwort kam kurz darauf. Spock las sie überrascht vor. »Hier steht: ›Kommt rein. Das Wasser ist herrlich.‹«
Die Brückenmannschaft tauschte Blicke.
»Tja, was soll man davon halten?«, sagte Pike.
Nummer Eins trommelte kurz mit den Fingern auf ihrer Konsole herum. »Wir können davon ausgehen, dass es sich entweder um ein Volk mit gewissen telepathischen Fähigkeiten handelt, oder sie können … unsere Computerunterlagen anzapfen, ohne einen Alarm auszulösen, der uns sagt, dass wir angezapft werden. Also sind sie uns entweder geistig oder technisch überlegen.«
»Schon wieder ein telepathisches Volk«, sagte Pike säuerlich. »Davon hatte ich in letzter Zeit genug.«
»Sie sind aber wohl ehrlicher als die Talosianer«, bemerkte Spock. »Sie kommen uns nicht mit Illusionen und Ausflüchten. Sie laden uns einfach nur zum Eintreten ein und sagen uns mit einer alten irdischen Redensart, dass das Ambiente unserer Existenz nicht schadet.«
»Sagen Sie ihnen, sie sollen zu uns rauskommen«, sagte Pike nach einer Weile.
Die Botschaft wurde abgesandt. Diesmal kam die Antwort noch schneller als zuvor.
»Sie sagen: ›Es ist nicht unsere Art.‹«
»Perfekt«, sagte Pike. »Wissenschaftsoffizier, eine Sonde bereitmachen, die auf mein Kommando startet.«
Spock nickte und gab die Instruktionen in den Computer ein. Auf Pikes Nicken hin überprüfte er noch einmal die Telemetrie und schoss die Sonde dann in den Riss ab.
Als sie in die temporale Öffnung flog, sah sie nur wie ein Lichtball aus. Sie raste weiter und weiter, bis sie völlig verschwunden war.
Man wartete ab.
»Irgendwelche Anzeigen, Wissenschaftsoffizier?«
Spock studierte sein Telemetriebord und wartete auf irgendeine Antwort der Sonde. »Nichts, Sir«, sagte er. »Sie … Moment! Die Sensoren fangen etwas auf.«
»Spezifizieren Sie.«
»Kehrt aus dem Riss zurück … bei 331 Markierung 20 …«
Pike schwang den Sessel herum und fauchte: »Bildschirm auf volle Vergrößerung. Auf Mr. Spocks Koordinaten.«
Der Bildschirm flackerte kurz, dann fing er am unteren rechten Rand des Risses etwas auf. Irgend etwas schien aus ihm hervorzuschweben … Metallischer Schrott.
»Es ist die Sonde«, meldete Spock. »Sie ist in Stücke zerbrochen.«
»Eingehende Botschaft«, meldete Nummer Eins.
»Wie lautet sie?«
Der Computer brauchte nur eine Sekunde, um die Nachricht auszudrucken. Spock nahm sie an sich und las vier kurze Worte. Aus mehr bestand die Nachricht nicht.
»Hier steht: ›War schon ganz gut.‹«
Als Spock die Bruchstücke der Sonde scheppernd auf dem Tisch im Konferenzraum ausbreitete, umringten Pike und die Offiziere sie. Nummer Eins hob ein kleineres Stück auf, hielt es zwischen den Fingern und musterte es neugierig. »Ist es das, was ich denke?«
»Ja, Nummer Eins«, erwiderte Spock. »Ich habe eine vollständige Spektralanalyse vorgenommen, die meine ursprüngliche und Ihre gegenwärtige Vermutung bestätigt. Das Stück Eisen, das Sie da in der Hand halten, ist ungefähr 33,4 Jahre alt.«
Pike schaute von Nummer Eins zu Spock. »Was? Ich dachte, es ist ein Teil unserer Sonde.«
»Ist es auch«, sagte Spock. Er deutete auf den Rest des auf dem Tisch liegenden Schrotts. »Wie die anderen übrigens auch. Sie weisen ein ähnliches Alter auf. Einige Stücke, die früher auftauchten, sind ein bis zwei Jahre jünger.«
»Wir haben sie aber nicht vor über dreißig Jahren gestartet, verflucht«, sagte Pike.
»Natürlich nicht, Sir. Ich habe jedoch eine Arbeitstheorie.«
»Behalten Sie sie nicht für sich«, sagte Dr. Boyce. »Wenn Sie uns noch weiter hier herumraten lassen, gibt es jedenfalls kein Fleißkärtchen.«
Spock schenkte ihm kaum einen Blick. Er und Boyce waren noch nie besonders gut miteinander ausgekommen. Boyces amateurpsychologische Versuche auf Spocks Kosten waren eine fortwährende Quelle der Ablenkung. Spock machte sich jedoch deswegen nicht allzu viele Sorgen. Boyce würde in ein paar Jahren in den Ruhestand treten, und egal welchen Schiffsärzten er in der Zukunft auch begegnen würde, er war sich ziemlich sicher, dass keiner so störend sein würde wie Boyce.
»Die temporalen Verlagerungen im Inneren der Zusammensetzung des Risses«, sagte Spock, »haben auch rings um die Sonde eine Feldverzerrung erzeugt. Der Riss ist nicht einfach nur ein Loch im Raum. Es ist ein zusammengebrochenes Zeitreisefeld, das um alles, was dort eintritt, zeitliche Wellen knickt. Die Sonde war jahrelanger zeitlicher Beanspruchung unterworfen. Vielleicht ist sie in die Zukunft gereist und auf dem Rückweg gealtert – vielleicht auch in die Vergangenheit. Man kann es unmöglich sagen.«
»Mir tut allmählich der Kopf weh«, murmelte Boyce.
»Im wesentlichen ist die Sonde aufgrund der Belastung der abgelaufenen Jahre auseinandergefallen«, schloss Spock.
»Und uns würde das gleiche passieren, wenn wir durch den Riss fliegen«, sagte Pike.
»Nicht unbedingt«, meldete sich nun Nummer Eins. Sie schaute Spock an, der genau wusste, was sie sagen wollte, und ihr zustimmend zunickte. »Wenn wir mit dem Warpantrieb in den Riss eindringen«, fuhr sie fort, »müsste der Warpfaktor der Generatoren uns vor den Verheerungen des temporalen Wandels schützen.«
»Müsste uns schützen«, sagte Pike.
»Die Wahrscheinlichkeit beträgt achtundneunzig Prozent«, erwiderte Nummer Eins.
Pike umkreiste langsam den Tisch. »Das bedeutet, die Wahrscheinlichkeit, dass wir draufgehen, beträgt zwei Prozent. Stimmt's?«
»Stimmt«, sagte sie und musterte Spock, um zu sehen, ob er anderer Meinung war. Doch auch diesmal nickte er unmerklich.
Pike durchquerte den Raum noch einmal. Er hielt die Hände hinter dem Rücken. »Wenn wir mit dem Warpantrieb hineinfliegen, haben wir nicht mal die Zeit, auf irgendeine Gefahr zu reagieren, die die Sensoren melden. Verlangen Sie von mir, dass ich mit dem Leben unserer Mannschaft Siebzehnundvier spiele?«
»Nun«, mischte Spock sich ein: »Es sieht so aus, als wären die Vorteile eindeutig auf unserer Seite, Captain.«
Pike musterte Spock mit einem kalten Blick. »Aber Sie sind nicht derjenige, der das Gewicht dieser Entscheidung auf seinen Schultern tragen muss, oder doch, Wis… Mr. Spock?«
Falls Spock der abrupte Wechsel der Anrede aufgefallen war, ließ er sich nichts anmerken. »Nein, Sir. Ich bin es nicht. Aber da ist noch etwas, das Sie wissen sollten, Captain.« Er streckte die Hand aus. Auf seiner Handfläche lag etwas, das wie ein kleines dreieckiges Gerät aussah, auf das feine Schaltkreise geprägt waren. Es war nicht größer als sein Fingernagel.
»Was ist das?«, fragte Pike.
»Es befand sich bei den Trümmern«, sagte Spock. »Es wurde, wenn Sie so wollen, dazwischengeschmuggelt.«
»Von denen auf der anderen Seite?«, fragte Nummer Eins.
»Das wäre die logische Annahme.« Spock drehte das kleine Ding in der Hand. »Nach dem, was ich ermittelt habe, handelt es sich wohl um eine Art Energieumwandlungschip. Er ist allerdings weitaus wirkungsvoller als der, der momentan unseren Warpantrieb speist.«
Caitlin Barry, die Chefingenieurin, streckte eine Hand aus, und Spock gab ihr den Chip. Sie untersuchte ihn verwundert. »Sind Sie sich dessen sicher?«
»Es ist nur ein Bestandteil eines unendlich komplizierteren Beschleunigungssystems«, sagte Spock. »Wir könnten das vollständige System nach diesem Stück ebenso wenig nachbauen, wie man einen menschlichen Körper nachbauen kann, wenn man nur eine Niere von ihm hat. Es ist jedoch ein Hinweis auf die fortgeschrittene Natur der Unbekannten auf der anderen Seite des Risses.«
»Mit anderen Worten«, sagte Pike und nahm Barry das Stück aus der Hand, »wir haben es hier mit einem Köder zu tun.«
»Oder ihrer Art, uns zu sagen, dass die Sache jedes Risiko wert ist, Kontakt mit ihnen aufzunehmen«, erläuterte Nummer Eins.
Mehr brauchte nicht gesagt zu werden. Der Kommandostab wusste fast instinktiv, welcher Ausdruck sich auf Pikes Gesicht legen würde, als er alles gehört hatte, was er hören musste, um einen Beschluss zu fassen.
Als er die Möglichkeiten abwägte, breitete sich im Konferenzraum absolute Stille aus.
Dann wurde Pike sich irgendwo im Hinterkopf eines sehr leisen, beständigen Geräuschs bewusst.
Es war Nummer Eins. Ihr Atmen.
Er wandte sich zu Barry um. »Warpantrieb vorbereiten, Ingenieur«, sagte er. »Wir gehen rein.«
Kurz darauf hatte sich der Kommandostab auf der Brücke versammelt. Pike hielt eine weitere Ansprache über das Interkomsystem. Er glaubte fest daran, dass es von Vorteil war, wenn alle wussten, was sie erwartete. Bei einer so großen Mannschaft konnte er keine Gerüchteküche brauchen.
»Wir sind im Begriff, in einen unbekannten Sektor des Alls einzudringen«, sagte er. »Ich möchte, dass alle auf ihrem Posten und auf alles vorbereitet sind. Das Schiff steht momentan unter Alarmstufe Gelb. Ich erwarte zwar keine Kampfhandlungen, aber wir müssen auf alle Umstände vorbereitet sein, denen wir eventuell begegnen. Ich habe vollstes Vertrauen in Sie alle, dass Sie Ihrer Pflicht gerecht werden. Brücke – Ende.« Dann wandte er sich an Nummer Eins und sagte: »In Ordnung, Steuermann. Bringen Sie uns mit Impuls vorwärts. Zweitausend Kilometer an die Anomalie heran.« Dann sagte er in seinen Kommunikator: »Maschinenraum?«
»Bereit, Captain«, erwiderte Barrys Stimme.
»Auf Warpantrieb vorbereiten, Warpfaktor …«
Er hielt inne, unschlüssig, was er in der neuen Lage riskieren konnte. Nummer Eins schaute ihn an und hob zwei Finger.
»Zwei«, sagte Pike.
»Aye, Sir. Wir machen das schon.«
Die Enterprise näherte sich mit Impulsgeschwindigkeit dem Riss. Pike wartete auf die Meldung, dass irgendein Energiestrom an ihnen zerrte, auf den kleinsten Hinweis, dass das Ganze eine Falle war. Doch die Meldung kam nicht. Komm doch ruhig in mein Netz, sagte die Spinne zur Fliege, dachte er finster. »Sensorenmessungen?«
»Unverändert«, sagte Spock. »Noch immer unklar.«
»Entfernung zweitausend Kilometer«, sagte Nummer Eins.
»Alle Maschinen stopp.«
»Alle Maschinen angehalten, Captain«, bestätigte Nummer Eins.
Der Riss war vor ihnen, scheinbar Bestandteil des normalen Raumes und doch Teil von etwas anderem. Seine Oberfläche kräuselte sich und floss wie zäher, gerade aufkochender Haferbrei.
Und er wollte sich, das Schiff und die Mannschaft mitten in das Ding hineinstürzen, weil er hoffte …
Was wollte er dort finden?
Nun ja, standen sie nicht jeden Tag derlei Dingen gegenüber? Stürzten sie sich nicht alle Tage in die Tiefen des Unbekannten? Wer wusste denn schon, was sie finden würden oder welche Risiken sie eingingen.
Es war nur ungewohnt, dem Unbekannten so dicht gegenüberzustehen.
»Wenn man in einen Abgrund schaut, blickt der Abgrund auch in einen selbst«, sagte Pike langsam. Dann holte er tief Luft und sagte: »Volle Kraft voraus. Warpantrieb, Warpfaktor zwei.« Er hielt für den Bruchteil einer Sekunde inne, dann sagte er: »Energie.«
Tyler berechnete den Kurs, und Nummer Eins, die einen leisen Seufzer ausstieß, der Pike nicht verborgen blieb, gab ihn ein.
Die Enterprise schoss mit Warpgeschwindigkeit vorwärts und wurde kurz darauf von dem Riss verschluckt.
In Pikes Kopf heulte das Universum.
Rings um sie flitzten die Sterne vorbei und verschwanden. Das, was übrig blieb, war das mit allem gefüllte Nichts.
Pike schrie lautlos auf. Als Vergangenheit und Gegenwart um ihn herum aufeinanderprallten, schien der Schrei alles zu verschlucken. Er sah Bilder, bizarre und irrsinnige Bilder, die völlig zusammenhanglos waren. Bilder einer Realität, die durchgedreht war, Bilder aus der Zeit, aus dem Bewusstsein.
Er schaute nach links und wurde vor den eigenen Augen jünger. Und er schaute nach rechts. Da befand sich eine bizarre Kreatur; sie starrte ihn an und hockte in einer Art metallenem Sessel. Der Anblick ließ seine Seele erstarren.
Auf dem Bildschirm zeigte sich nur das ausgedehnte Miasma eines wellenförmigen Weltraums, als sei der Kosmos zu einem ungeheuren See geworden, über dessen Oberfläche jemand einen flachen Stein warf.
»Beschleunigung beibehalten!«, schrie Pike, aber er wusste nicht genau, ob jemand ihn gehört hatte. Er wusste nicht einmal genau, ob er den Befehl überhaupt gegeben hatte, ob er ihn erst geben würde oder ob er ihn schon längst gegeben hatte und nur noch einmal wiederholte …
Das Schiff schien unkontrollierbar zu vibrieren, und aus dem Maschinenraum kam ein Schrei. Er kam nicht von Barry, sondern von Lieutenant Scott, der normalerweise mit der Brücke kommunizierte, wenn Barry anderweitig beschäftigt war. »Captain!«, schrie Scott alarmiert. »Die Triebwerke halten das nicht mehr lange aus!« In seiner Stimme lag mehr als nur Besorgnis über das Schicksal der Maschinen – es war, als sei er gezwungen, hilflos dabeizustehen, während seine Kinder gefoltert wurden.
Und dann waren die Streifenmuster der Sterne schlagartig wieder da. Und ebenso das Schiff.
Vor ihnen hing ein ungeheurer weißer Ball im All, den irgend etwas umgab; dann zischte die Enterprise mit Warpgeschwindigkeit daran vorbei.
Pikes Lippen bewegten sich, doch seine Worte kamen erst später. »Geschwindigkeit reduzieren!«, schrie er. »Warpantrieb ausschalten!«
Nummer Eins, am Ruder, war paralysiert. Sie hatte die Augen weit aufgerissen. Tyler, der rechts von ihr saß, verzog das Gesicht. Er murmelte ständig irgend etwas, das wie »Ma-ma, Ma-ma« klang. Großartig. Das Schiff musste angehalten werden, und Tyler rief nach seiner Mutter.
Pike sprang nach vorn, bahnte sich einen Weg ans Ruder, schob Tyler beiseite und ragte vor Nummer Eins auf. Tyler holte mit der Linken aus, doch diesmal sah Pike den Hieb kommen. Er konnte ihn abwehren und im gleichen Augenblick am Ruder den Antrieb des Schiffes abstellen.
Als Nummer Eins den Arm des Captains vor sich sah, erwachte sie kurz aus ihrer Lähmung und schien zum ersten Mal wahrzunehmen, dass Pike ihr eine Anweisung gegeben hatte. Sie wollte nach den Kontrollen greifen, um das Schiff zu verlangsamen, doch dann zögerte sie, denn sie sah, dass der Befehl schon ausgeführt worden war. Sie wandte sich um und schaute Pike überrascht in die Augen.
»Verzeihung, Sir«, sagte sie und leckte sich die Lippen.
Pike, erleichtert darüber, dass auf der Brücke nun wieder ein gewisses Maß an Normalität herrschte, erwiderte: »Ist schon in Ordnung. – Navigator?«
Tyler stierte steif in den Weltraum, als habe er sich auf irgend etwas sehr Spezielles konzentriert. Seine Unterlippe zitterte. »Mr. Tyler«, sagte Pike laut. Noch immer keine Reaktion. Einen Moment lang zog er in Betracht, Boyce auf die Brücke zu rufen, doch dann legte er, ohne groß über die offene Vertraulichkeit nachzudenken, die Hand auf Tylers Schulter und sagte: »José, sind Sie noch da?«
Tyler blinzelte mehrmals, dann schaute er zu Pike auf. »Captain?« Seine Augen brauchten eine Weile, um sich auf ihn zu konzentrieren, dann sagte er, nun etwas fester: »Captain?«
»Sitzen Sie bequem, Mr. Tyler. Sagen Sie uns bitte, wo wir sind.«
Tyler rief schnell seine Navigationskarten ab und nahm eine Analyse der Sterne vor, die auf dem Bildschirm zu sehen waren. Pike brauchte die Meldung gar nicht, um zu wissen, dass er diese Sternenkonstellation noch nie zuvor gesehen hatte. Trotzdem wartete er geduldig ab.
»Soweit ich es bestimmen kann, Sir«, sagte Tyler schließlich, »befinden wir uns irgendwo in den äußeren Bereichen des Gamma-Quadranten.«
Alle verfielen in Schweigen. »Das ist Lichtjahre weit hinter dem erforschten Raum«, sagte Pike. »Sind Sie sicher?«
»Ich kann Mr. Tylers Einschätzung bestätigen«, sagte Spock von der wissenschaftlichen Station her. »Wir sind eine beträchtliche Strecke vom erforschten Weltraum entfernt.«
»Wie beträchtlich?«
Spock wandte sich um und schaute den Captain an. »Bei Warpfaktor sieben – den wir wahrscheinlich nicht lange aufrechterhalten könnten – würden wir 21,3 Jahre brauchen, um den entferntesten Außenposten der Föderation zu erreichen. Bevor wir in eine uns bekannte Umgebung zurückkehren könnten, wären unsere Dilithiumkristalle selbst bei Warpfaktor eins drei Jahre zuvor erschöpft.«
»Was bedeutet«, sagte Pike, »dass wohl auch unser Rückweg durch den Riss führen muss … Wenn nicht, können wir später unseren Kindern und Enkeln erzählen, wie es dazu kam, dass sie an Bord eines Raumschiffes geboren wurden.«
»Das ist korrekt«, sagte Spock.