GREGORY BENFORD
COSM
Roman
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
www.diezukunft.de
Für Alyson und Vanessa,
die beiden Jüngeren
Erster Teil – Technische Störung
Zweiter Teil – Mai 2005
Dritter Teil – Unmögliches
Vierter Teil – Ein König von unermesslichem Gebiet
Fünfter Teil – Das soziale Umfeld
Sechster Teil – Götter mit kleinen Fehlern
Epilog
Nachbemerkung des Autors
Nachwort von Linus Hauser
ERSTER TEIL
Technische Störung
»Wer keine Fehler macht,
hat sich zu einfache Aufgaben gestellt.
Und das ist ein schwerer Fehler.«
– FRANK WILCZEK,
Elementarteilchenphysiker
1
Alicia kochte vor Wut, aber das war bei ihr keine Seltenheit. Empört musterte sie den kleinen Mann hinter seinem Schreibtisch. Legte er es gezielt darauf an, sie in Rage zu bringen, oder war das sogar sein Sonntagsgesicht?
»Sie haben Anweisung, mein Experiment zu stoppen?«, wiederholte sie verächtlich.
»Alle Versuche mit Uran.«
»Dann können sie gleich den ganzen verdammten Collider stilllegen!«
»Es geht um die Abschlussprüfung nach Sicherheitsvorschrift A-3 …«
»Längst durchgeführt!«
»Aber nicht schwarz auf weiß zu den Akten gelegt.«
»Was? Sie wollen das Ganze auch noch schriftlich haben?«
»He, ich will Ihnen nun wirklich nicht die Tour vermasseln …«
Die Tour vermasseln. Hatte er das tatsächlich gesagt? Der Mann gehörte doch ins Museum. »Es sind die Anwälte, richtig?«
Ein Richter auf Long Island hatte eine Verfügung erlassen, wonach sämtliche Laborversuche bis zur Erstellung eines weiteren Umweltverträglichkeitsgutachtens auszusetzen waren. Suffolk County war eine Brutstätte für Schwarzmaler; man hatte hier schon einmal ein Atomkraftwerk im Wert von fünf Milliarden Dollar geschlossen.
Sein Lächeln war so welk wie drei Tage alter Salat. »Ich muss das Gutachten beglaubigen, dann geht es rüber in die Rechtsabteilung, und die stehen dann vor dem Richter dafür gerade.«
»Ich dachte, das ist alles längst erledigt.«
Hugh Alcott griff nach einem dicken Stapel Papier. Das Sicherheitsgutachten, sie erkannte den braunen Schutzumschlag. »Ein paar technische Details fehlen noch.«
»Die Hintergrundinformationen? Ich dachte, die werden vom Labor gestellt.«
»Ich denke, das ist Ihre Aufgabe.« Alcott hatte die undurchdringliche Maske des Sicherheitsbeauftragten aufgesetzt. Im Labor wurde er wegen der Art, wie er sich selbst hinter den banalsten Vorschriften eisern verschanzte, als Sicherheitsnazi bezeichnet. »Aber ich könnte mich erkundigen …«
»Der verdammte Bericht sollte gestern abgesegnet werden.«
Er rutschte auf seinem Schreibtischsessel, dem Standardmodell, unruhig hin und her. Alicia merkte deutlich, dass er nur ungern saß, während sie stand, dabei war sie ohnehin größer als er. Als er sich zerstreut am Ohr kratzte, registrierte sie, dass er sich heute für das schlichte Haarteil Modell Tom Cruise '95 entschieden hatte. Sie hatte mit dem Kerl so oft zu tun, dass sie schon seine Toupets wiedererkannte.
»In diesem Fall muss einfach alles bis aufs i-Tüpfelchen stimmen.«
Alicia wandte sich demonstrativ ab, verschränkte die Arme vor der Brust und schaute aus Alcotts Fenster. Es war Vorfrühling, und hier im Osten von Long Island spitzten eben die ersten Grashalme aus dem braunen Schlamm. Tiefe Reifenspuren störten die Aussicht auf die Kiefern und den zartgrau bewölkten Himmel. Sie hatte längere Zeit im Osten gelebt, und wenn sie jetzt aus Kalifornien zurückkam, drängte sich ihr jedes Mal der gleiche Eindruck auf: in diesem Land hatten sich die Kanten abgeschliffen. Und sie legte Wert auf Ecken und Kanten. Sie war immer noch so wütend, dass sie Alcott am liebsten an die Kehle gefahren wäre, also erlegte sie sich fünf Sekunden Schweigen auf. Hoffentlich half es. Seit sie nach Kalifornien übersiedelt war, hatte sie zunehmend Mühe, mit den Menschen von der Ostküste zurechtzukommen. An ihrer Stammhochschule, der University of California in Irvine, herrschte ein etwas anderes, soziales Klima, und wenn sie beruflich wieder in Brookhaven zu tun hatte, musste sie sich jedes Mal umstellen. Endlich drehte sie sich um, ohne die vor dem blauen Arbeitshemd verschränkten Arme sinken zu lassen, und sagte langsam und deutlich: »Hören Sie, es ist seit Jahren geplant, dass ich – dass wir bei diesem Versuch Uran einsetzen.«
»Das ist mir ja alles bekannt, mir geht es nur um diesen Prozess …«
»Es geht um das Uran! Der Kontrollausschuss sagte mir: ›Sie liefern uns eine genaue Versuchsbeschreibung, dann wird die Sache auch genehmigt.‹ In einem Anlauf, hieß es.«
»Mit Verzögerungen muss immer gerechnet werden.«
»Aber alles ist bereit! Mein Team steht Gewehr bei Fuß …«
»Das war ein organisatorischer Fehler.« Er blinzelte wie eine Eule. »Dafür bin ich nicht zuständig.«
»Sie haben mir versichert, einen Monat vor Versuchsbeginn sei alles geklärt!«
»Aber damals hatten die ›Friends of the Earth‹ ihre Klage noch nicht eingereicht. Auch dafür bin ich nicht zuständig.«
Das hat auch Wernher von Braun gesagt, ging es ihr durch den Kopf. Dafür bin ich nicht zuständig. Ich schieße sie nur hinauf. Wo sie wieder runterkommen, geht mich nichts an.
»Ich muss den Versuch durchführen. Wenn ich den Termin verpasse …«
»Man muss eben auch Verzögerungen einkalkulieren, bevor man einem Terminplan zustimmt«, sagte er, wieder so eine Standardfloskel. »Sie bekommen ein Fenster von einer Woche, in dieser Zeit läuft nur Ihr Experiment, die großen Detektoren sind nicht zugeschaltet, weil sie gewartet werden müssen. Das war von vornherein klar …«
»Verdammt noch mal, es ist Ihr Fehler.« Sie biss sich auf die Unterlippe, um nicht noch mehr zu sagen, aber ihr Tonfall hatte schon genügt.
Alcotts Kiefermuskeln traten so stark hervor, dass Alicia sich nicht gewundert hätte, wenn seine Zähne Stück für Stück wie Popcorn geplatzt wären. »Nur ein schlechter Handwerker gibt seinem Werkzeug die Schuld.«
»Mit Sprichwörtern kommen wir auch nicht weiter.«
Er presste die Lippen zu einem weißen Strich zusammen. »Hören Sie, mir geht es einzig und allein um die Vorschriften und um nichts sonst …«
»Was meinen Sie mit ›nichts sonst‹?«
»Es hat nichts damit zu tun, dass Sie schwarz sind.«
Zwei Herzschläge Schweigen. »Das hatte ich auch nicht angenommen«, sagte sie, und es klang eisiger als sie beabsichtigt hatte.
»Gut. Sie sind an unserer Einrichtung Gast wie alle anderen, ja? Und solange Ihr technischer Bericht nicht vollständig ist …«
»Ich wollte Ihnen wirklich nichts dergleichen unterstellen«, murmelte sie begütigend. Ihr war nicht entgangen, dass er ›Gast‹ gesagt hatte, obwohl der gängige Ausdruck ›Nutzer‹ lautete.
»Sie sind sogar etwas nach vorn gerückt, weil der Antrag Ihrer Gruppe den Minderheitenbonus bekommen hat.«
»Okay, okay!«
Sie stürmte hinaus, bevor sie noch mehr sagen und sich noch mehr Ärger einhandeln konnte. Tick-tick, klapperten ihre Laborschuhe über den Betonboden, jeder Schritt ein Stück verschwendete Zeit.
2
Sie fuhr die ganze Strecke vom Gebäude für Gesundheit, Physik und Sicherheit zum Collider mit dem Fahrrad, um sich den Ärger von der Seele zu strampeln. Vom Dach des Verwaltungsbaus ragte eine gigantische Satellitenschüssel in den Himmel wie der halbe Büstenhalter einer Riesin. Über diese Schüssel wurden die gewonnenen Beschleunigerdaten in alle Welt abgestrahlt. Jeder Physiker konnte die Messungen und Analysen aus dem Archiv des Labors über Internet abrufen, ohne sein bequemes Büro verlassen zu müssen. Das sparte eine Menge Flugkosten.
Ein kühler Windstoß erinnerte sie daran, dass die kalten Luftmassen über Kanada den Vormarsch des Frühlings nach wie vor hemmten. Aus ihrem Knoten lösten sich einzelne Strähnen und wehten ihr ins Gesicht. Sie hatte das Gefühl, mehr als sonst aus dem Rahmen zu fallen. Eine kräftige, schwarze Frau mit der markanten Büste und den ausladenden Hüften der typischen Afrikanerin, die wie ein dicker Kloß auf einem klapprigen Fahrrad auf- und abhüpfte, war auf Long Island nun wirklich fehl am Platz. Die gertenschlanken Vogue-Modelle hatte sie sich ohnehin nie zum Vorbild genommen; das waren Wesen aus einer anderen Welt, Aliens, jeder menschlichen Frau, die etwas auf sich hielt, ein Gräuel.
Nun sauste sie auf ihrem altersschwachen Fahrrad auf einen hohen, fast vier Kilometer langen, tief im steinigen Sandboden von Long Island verankerten Graswall zu. Die Strahlen der Morgensonne fielen flach über das weite Rund, den mächtigen Wulst des ›Relativistic Heavy Ion Collider‹. Alicia verwendete die Abkürzung RHIC (sprich Rick) nun schon so lange, dass sie die Anlage im Unterbewusstsein als männlich ansah. Zwischen den Kiefern, die bereits die ersten, hellgrünen Spitzen zeigten, ließ sie das Rad ausrollen und atmete tief durch.
Hier und dort war der Wall kahl, seit ihn jemand mutwillig mit Benzin besprüht hatte. Als die verseuchten Stellen entdeckt wurden, hatten die aktiveren Umweltschutzverbände laut darüber nachgedacht, ob sie womöglich auf Strahlungsemissionen des Beschleunigers zurückzuführen seien. Die Zeitungen brachten balkendicke Schlagzeilen. Als die Theorie schon eine Woche später durch eine chemische Analyse widerlegt wurde, erschien die Meldung in der New York Times auf Seite achtundzwanzig. Doch das Labor hatte nach wie vor eine Reihe von Umweltschützern gegen sich, die eine endgültige Schließung forderten, obwohl hier viele medizinische Forschungsprojekte mit energiereichen Strahlern durchgeführt wurden.
Der Vorraum zu Alicias Versuchsstation – einer von sechs entlang des Rings verteilten Beobachtungsposten – war eine Zelle aus grauem Beton. In allen diesen Stationen waren Teams aus Laborangestellten und auswärtige Nutzer gemeinsam damit beschäftigt, die zahllosen Auswirkungen von Teilchenkollisionen zu studieren. Auf dem Weg zu ihrer Gruppe musste Alicia an vielen riesigen Apparaten vorbei, unter anderem an den hohen, glatten Zylindern der Northrup Grumman-Magneten. Kein Summen war zu hören, man spürte nur den Hauch der Kryokühlung. RHIC brauchte fast zweitausend von diesen supraleitenden Spulen, und es hatte sich gezeigt, dass diese bekannte Luft- und Raumfahrtgesellschaft am besten imstande war, den Bedarf zu decken. Mit einer Auftragssumme von einer halben Milliarde Dollar hatte das Projekt freilich eine ganze Schar von Freiern aus der Industrie angelockt.
Alicia schlängelte sich durch den Irrgarten der eben laufenden Versuche. Die meisten Laien stellten sich unter einem Labor einen sterilen Raum vor, wo alles seinen Platz hatte und ein einsamer Wissenschaftler in weißem Kittel mit sparsamen, genau abgezirkelten Bewegungen vor sich hin forschte. Doch die großen Experimente in der Kern- und Elementarteilchenphysik waren oft mit Lärm verbunden, und wo es auf Sauberkeit nicht ankam, ging es nicht selten drunter und drüber. Große, mit Instrumenten vollgepackte Metallregale standen zum Teil kreuz und quer im Raum. Es roch nach Öl und Stahlspänen. Unter rohen Holzkästen verbargen sich Bündel armdicker Elektroleitungen. Einige der Kabelstränge waren so voluminös, dass man sie mit kleinen Trittleitern überbrückt hatte, um sie passierbar zu machen. Ein einziges, unvermeidliches Chaos.
Obwohl Alicia ihren Ärger noch nicht überwunden hatte, war ihr klar, dass sie sich glücklich schätzen durfte, überhaupt so weit gekommen zu sein. Es gab genügend begabte Physiker, die sich mit dem Telefonverkauf von Wertpapieren über Wasser hielten oder in einer Vertriebslaufbahn Erfüllung suchten. Sie war von Anfang an dabei gewesen, hatte schon als Doktorandin im Team der UC-Berkeley an einem der Detektoren mitgebaut. Als der Beschleuniger im Jahre 1999 zum ersten Mal in Betrieb ging, hatte sie daher ihre Ansprüche sofort anmelden können, und das zahlte sich jetzt aus.
Natürlich hatte man den Collider 1999 nur ein paar Stunden bei niedriger Leistung gefahren, um den Zeitplan einzuhalten, dann war gleich wieder abgeschaltet worden. Das gab der Verwaltung die Möglichkeit, für die Fertigstellung der Anlage Mittel abzuzweigen, die eigentlich für den Betrieb vorgesehen waren. Nach der Katastrophe mit dem ›Superconducting Supercollider‹ Anfang der neunziger Jahre hätte niemand mehr gewagt, das Budget zu überschreiten.
Den Charakter des Provisorischen hatte sich RHIC seither bewahrt. Die Rohre waren mit Metallfolie und Kabelband umwickelt. Alles funktionierte gerade so weit wie unbedingt nötig. Auf gutes Aussehen legte man keinen Wert. Nur die Ergebnisse zählten – Punktum. Brookhaven war einer der letzten Orte auf der Welt, wo noch physikalische Forschung im großen Stil betrieben wurde.
Man hatte hier so etwas wie Pioniergeist entwickelt. Alle großen Rennbahnsynchrotrone funktionierten im Uhrzeigersinn, nur der ›Feeder‹ von Brookhaven tanzte aus der Reihe; RHIC war als Collider konzipiert, bei dem die Teilchenströme in beide Richtungen geschickt wurden. Als man sich bei Fermilab und CERN dennoch über den ›Rückwärtsläufer‹ mokierte, hatte jemand die Laboruhr umgestellt, so dass sie nun andersherum lief. Nun konnte man sich brüsten, den einzigen im Uhrzeigersinn arbeitenden Beschleunigerring zu haben – nach eigener Uhr.
Zugegeben, das ›Brookhaven National Laboratory‹ stand im entlegensten Winkel von Long Island. Hier draußen, fernab der Großstadt, konnten sich die Leute mit einem Sixpack Coors-Bier und einer Fliegenklatsche noch einen ganzen Abend lang amüsieren. Was nun nicht heißen soll, dass Alicia oder die anderen Physiker große Ansprüche an ihre Umgebung gestellt hätten; im Physik-Gulag wurde ohnehin nur gearbeitet und nichts sonst.
Das beste Beispiel war Zak Nguyen, der als Postdoktorand, kurz Postdoc, für Alicia tätig war. »Die Kalibrierung steht«, sagte er anstelle einer Begrüßung, ohne den Blick von seinem Bildschirm zu wenden.
»Schön, schön«, antwortete sie kleinlaut. Er hob vor Aufregung über seinen ersten Versuch fast ab und hatte auf dem Flug von Kalifornien über nichts anderes geredet. Neben all den alterfahrenen Technikern und Physikern wirkte er wie ein verschüchtertes Küken. Sie musste ihn sanft auf den Boden der Tatsachen zurückholen.
»Die Aufbereitung des Quellmaterials ist fast abgeschlossen, sagen die Ionentypen.«
»Gut, gut.«
Zak grinste. Er zitterte vor Aufregung, bemühte sich aber nach Kräften, Gelassenheit zu zeigen. Alicia fühlte sich an einen Welpen in einem fremden Haushalt erinnert, wo niemand viel Geduld mit jungen Hunden hatte. »Über mangelnde Unterstützung können wir uns nicht beklagen.«
»Die schreien geradezu nach schlichtem Uran, wir müssen schließlich sparen.« Ein müder Witz, aber Zak nickte pflichtschuldigst.
Als einigen Kongressabgeordneten zu Ohren kam, dass hier ein Haufen von hochnäsigen Physikern mit Gold um sich warf, hatte es etliche schlagzeilenträchtige Anhörungen gegeben. Der Sturm legte sich jedoch, als sogar den Anwälten klar wurde, dass alles Gold, das während der gesamten Lebensdauer der Anlage um den Ring geschleudert wurde, zusammen nicht einmal für eine Zahnkrone gereicht hätte.
Alicia hätte die schlechte Nachricht am liebsten für sich behalten, aber sie überwand sich. »Es gibt … eine Verzögerung.«
»Was? Man hat uns doch sowieso nur diese eine Woche genehmigt.«
»Wieder mal die Sicherheitsabteilung.«
»Verdammt, ich dachte, das wäre erledigt. Ich meine, die Strahlung ist doch nicht der Rede wert!«
»Hier geht's nicht um Logik, Zakster, sondern um Bürokratie.«
Er machte ein langes Gesicht. Alicia hätte ihn gern getröstet, wollte sich aber nicht aufdrängen. Zak hieß nach dem Willen seiner vietnamesischen Eltern eigentlich Phat, den ausgefallenen Namen Zak – nicht Zachariah, wie er immer wieder betonte, sondern einfach kurz und knackig Zak – hatte er sich selbst ausgesucht, um sich von seiner Herkunft zu distanzieren. Ein Teil von ihm war bestrebt, ein perfekter Amerikaner zu werden, so fuhr er etwa einen Chevy und registrierte mit wahrem Adlerblick Nuancen der neuesten Mode, die Alicia gar nicht wahrnahm. Ein ganz anderer Zak kam jedoch zum Vorschein, wenn sein Gesicht ernst, ja grüblerisch wurde und seine Augen vor Anstrengung zu schielen begannen. Hinter der amerikanischen Fassade lauerte nämlich der gleiche, brennende Forschungsdrang, der auch sie selbst beseelte. Zak war mit dem Virus der Kern/Elementarteilchenphysik infiziert, und dieses Fieber hatte zwischen ihm und seinen Eltern, die in Garden Grove eine kleine Schneiderei betrieben, eine tiefe, kulturelle Kluft entstehen lassen. Alicia fühlte sich zu ihm hingezogen, weil er ähnlich wie sie zu kämpfen hatte, um seine Identität gegen die Erwartungen von außen zu behaupten. Wobei ihre Zuneigung sie natürlich nicht hinderte, ihn herumzukommandieren; in der Welt der Naturwissenschaften wehte ein rauer Wind.
Zak war ernst geworden. »Aber wieso«, begann er, »hört irgendein Richter nach dieser albernen Benzingeschichte überhaupt noch auf Anwälte und ihre erfundenen …«
»Die Leute fürchten sich vor allem, was nur nach Atom riecht. Und das Labor wappnet sich gegen diese Ängste mit einer dicken Schicht Papier.«
Normalerweise jagte der Collider mit Geschwindigkeiten, die nur minimal unter der Lichtgeschwindigkeit blieben, Goldionen aufeinander. Alicia hatte sich ihren sehnlichsten Wunsch, ein paar Tage an dieser gigantischen Anlage arbeiten dürfen, mit einem raffinierten Versuchsplan erfüllt. Sie wollte einen schwereren Atomkern auf die Rennbahn schicken und hoffte, auf diese Weise mehr nutzbare Energie freizusetzen als je zuvor.
Die Schwierigkeit bestand darin, dass die schwereren Kerne dazu tendierten, in radioaktive Teile zu zerfallen. Die Natur fügte beim Bau ihrer Atomkerne für jedes Proton mehrere ungeladene Neutronen ein, um zu verhindern, dass sich die geladenen Protonen gegenseitig abstießen. Diese Strategie funktionierte bis zum Element Gold, in Bezug auf Stabilität die größte Errungenschaft der Schöpfung. Hier waren 118 Neutronen erforderlich, um 79 Protonen zusammenzuhalten. Mit insgesamt 197 Nukleonen – dem Sammelbegriff für Neutronen und Protonen – gehörte Gold zu den schwersten Elementen überhaupt. Schon unwesentlich schwerere Kerne zerfielen mit der Zeit. Bei einigen, den radioaktiven Elementen war das Sterben ein Dauerzustand.
Auf der Suche nach einem Kompromiss, der dem Bedürfnis nach Masse Rechnung trug, aber die Schwierigkeiten im Umgang mit radioaktiven Elementen vermied, hatte Alicia sich schließlich für Uran entschieden. Die stabilste und häufigste Form von Uran hatte einen Kern aus 238 Nukleonen, der mit den Kernen der schwersten Elemente eine Besonderheit teilte: er war nicht kugel-, sondern zigarrenförmig. Im steten Kampf um Stabilität – den auch U-238 mit einer Zerfallszeit, die dem Alter der Erde nahekam, letztlich verlor – entfernten sich die Protonen voneinander, und die Kerne zogen sich in die Länge.
Das war das wichtigste Argument für Alicias Verfahren. U-238-Kerne trafen nur selten genau frontal aufeinander wie zwei kollidierende Züge, aber wenn man einen solchen Zusammenstoß gezielt herbeiführte, wurde dabei möglicherweise mehr Energie frei. Möglicherweise – sicher waren sich die Theoretiker nicht.
»Was wollen sie denn?«, fragte Zak. Der gleichmütige Tonfall verbarg seinen Ärger. Auch sein schmales Gesicht verriet nichts, nur die Augen unter dem dichten, schwarzen Haarschopf wurden ein wenig schmaler.
»Genauere Angaben über den Anfall von Radioaktivität und die erforderliche Abschirmung.«
Sprühte man hoch angeregte Kerne in eine Kammer, dann bekam man eine Ladung von Zerfallsprodukten, die wild durch die Gegend schossen, gegen die ringsum aufgestellten Detektoren, die Wände, die Fußböden, die Eisenteile prallten – und überall verräterische Spuren von Radioaktivität hinterließen. Die kühlte zwar zum größten Teil innerhalb von Minuten ab, aber je schwerer die verwendeten Kerne waren, desto stärker wurde die Strahlung.
Wie viel stärker? Die ›Friends of the Earth‹ hatten vor Gericht mehr Sicherheit eingefordert, sobald sie hörten, dass ein Versuch mit Uran geplant war. Mit Uran baute man schließlich Bomben, nicht wahr? – so dachten jedenfalls die Massen, für die schon das Wort Atom gleichbedeutend war mit Mord. Nun hatte das Labor den Schwarzen Peter an Alicia weitergegeben, die schließlich den Versuch beantragt hatte. Das bedeutete, neue Berechnungen, eine numerische Simulation, und die Ausarbeitung von zahllosen Kurven und mit Fachbegriffen gespickten Diagrammen …
Alicia schnippte mit den Fingern. »Ich glaube, ich sehe einen Ausweg.«
3
Hugh Alcott saß schweigend da, nur seine Lippen zuckten. Alicia sah ihn und Dave Rucker, der für die Koordination der Experimente verantwortlich war, über die Länge des polierten Nussbaumtisches hinweg unverwandt an. Ihr Magen knurrte, aber nicht allein vor Hunger, auch wenn es jetzt 11 Uhr vormittags war und sie in den letzten vierundzwanzig Stunden nur einmal gegessen und höchstens vier Stunden geschlafen hatte.
Aus Hughs Bürofenster hatte man einen herrlichen Blick auf den riesige Collider-Ring und den hübschen Park mit seinen Kieferngruppen, aber auch die Aussicht löste ihre Spannung nicht. Sie hatte nur einen Trumpf in der Hand, und wenn das Manöver nicht sofort wirkte, war alles vergebens.
Hugh drückte mit dem Zeigefinger so fest auf den Einband ihres fertigen Sicherheitsgutachtens, als wolle er auf diese Weise zum Kern der Dinge vorstoßen. »Das war wirklich schnelle Arbeit.«
»Die einzelnen Teile lagen schon vor. Ich musste nur eine Nachtschicht einlegen.«
»Sie hatten die numerischen Simulationen, die Monte Carlo-Codes bereits fertig?«
»Ja«, log sie.
Dave Rucker lächelte matt. »Großartig. Ich habe Ihre Energie schon immer bewundert. Diese verdammte Klage hat uns einfach kalt erwischt.«
»Nur gut, dass ich die Vorarbeiten so gut wie abgeschlossen hatte.« Ihr schlechtes Gewissen verursachte ihr jetzt regelrechte Magenkrämpfe. Wenn die beiden nun dahinterkamen, dass das Gutachten nur Bluff war? Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Die Bedenken kamen zu spät. Sie zwang ihre inneren Organe zur Ruhe.
Dave nickte. »Das kann man wohl sagen.«
Sie bemühte sich, bescheiden und aufrichtig zu wirken. Die tiefen Falten der Erschöpfung brauchte sie nicht erst vorzutäuschen. Sie hatte viele Stunden damit verbracht, Ergebnisse zu türken, die überzeugend und fundiert wirkten. Ein unschätzbarer Vorteil numerischer Simulationen bestand darin, dass niemand sich die Mühe machte, die Werte im einzelnen nachzuprüfen. Zeitraubende Kontrollen waren ein probates Abschreckungsmittel für Leute, die ohnehin ständig das Gefühl hatten, mit ihrem Arbeitspensum im Rückstand zu sein.
Daves Blick wanderte zu Hugh. »Scheint okay zu sein?«
»Diese Zählraten«, fragte Hugh argwöhnisch, »wurden mit einem optimierten Integral ermittelt?«
»Richtig.« Knappes Nicken. Kurz und bündig war immer das beste. Sie hatte die komplizierten Berechnungen stark vereinfacht. Die Größenordnung stimmte, aber das war auch alles.
»Spallationsrate …«
»Alles mit einbezogen.«
Hugh nickte, zog – sein Standardreflex – skeptisch die Mundwinkel nach unten und ließ die Stille wirken. Endlich sah er betont Dave, nicht Alicia, an, wartete noch zwei Sekunden und sagte dann zögernd: »Ich … gebe es den Anwälten rüber.«
»Großartig! Alicia, Sie können anfangen, sobald wir damit beim Richter waren.«
»Und wann wäre das …?«
Dave griff nach dem Telefon. »Ich schicke das Gutachten per Kurier.«
»Anwälte haben es nie eilig.«
»Richtig, aber dafür kosten sie jede Menge Geld«, knurrte Hugh.
»Diesmal wird es schnell gehen. Tom Ludlam sitzt ihnen schon die ganze Zeit im Nacken.«
Als sie aufstand, wäre ihr fast schwindlig geworden. So schnell und einfach ging das also. Genaugenommen hatte sie nicht einmal gelogen, sondern nur geschickt taktiert. Müdigkeit und Schuldbewusstsein ergaben eine Mischung, die zu Kopf stieg. Sie würde lernen müssen, mit beidem zu leben. Aber zumindest der Müdigkeit war mit Schlaf abzuhelfen.
Dave erteilte, forsch und etwas aggressiv, wie kompetente Führungskräfte sich gerne gaben, einige Anweisungen, dann wandte er sich an sie und sagte liebenswürdig: »Kommen Sie, ich möchte mir Ihren Versuchsaufbau ansehen.«
»Was dagegen, wenn wir vorher auf einen Sprung in die Cafeteria gehen? Ich habe noch nicht gefrühstückt.«
Dave nickte. »Eine schöne Tasse Kaffee wird auch mir nicht schaden.«
Als Hugh gegangen war, fuhren sie mit dem Fahrrad zur Cafeteria. Alicia fühlte sich unförmig wie ein Ballon. Sie war nicht dick, aber kräftig gebaut, und die Fahrt hatte sie ins Schwitzen gebracht. Normalerweise nahm sie sich keine Zeit zum Essen, sondern zog sich nur ein Sandwich aus einem der Münzautomaten; schon die Cafeteria war ein seltener Luxus. Da die Forschungsteams hier rund um die Uhr im Einsatz waren, bekam man jederzeit ein – allerdings sehr gehaltvolles – Frühstück. Sie holte sich brav eine Schüssel Lite Granola mit entrahmter Milch, und leistete sich dafür im Hauptgang eine wahre Kalorienorgie: Eier, Speck und Toast mit Butter.
Die Cafeteria war etwa zur Hälfte besetzt, obwohl es für die Mittagspause noch recht früh war. Wissenschaftliche Forschung findet häufig im Café statt. Zu diesem Zweck lagen an jedem Tisch kleine Notizblöcke bereit.
Die gesellschaftlichen Strukturen schlugen sich in der Sitzordnung nieder. Bibliothekarinnen, Verwaltungsangestellte und Sekretärinnen – durchweg Frauen, die meisten trugen Hosenanzüge, Kleider waren seltene Ausnahmen – bildeten Vierergruppen. Ingenieure und höhere technische Angestellte saßen zu sechst oder zu acht beieinander. Als sich Alicia zu einem kleinen Tisch durchschlängelte, kam ein ganzer Pulk Experimentalphysiker vom großen PHENIX-Detektor anmarschiert und schob gleich mehrere Tische zusammen, um sich nicht trennen zu müssen. Die Theoretikercliquen waren kleiner. Niemand aß allein, und es war üblich, sich umzusehen und zu registrieren, wer seine Mahlzeiten mit wem einnahm – oder auch nicht.
Alicia war lange genug in diesem Milieu, um die Physiker schon an ihrer Garderobe zu erkennen. Individualität war hier nicht gefragt, man kam sich eher vor wie in einer gutbürgerlichen Wohngegend am Wochenende: Jeans oder neutrale Hosen, Hemden aus dem Kaufhaus mit aufgekrempelten Ärmeln, Schuhe mit Fußbett. Alicia selbst wich nur unwesentlich von der Norm ab. Sie trug schwarze Jeans mit einem breiten, schwarzen Gürtel, dazu eine hellgelbe Bluse und Arbeitsstiefel mit Stahlschäften, die den unaufdringlich femininen Eindruck gleich wieder zunichte machten. Die Verwaltungsangestellten kleideten sich wie klassische Geschäftsleute, manche kamen sogar im Anzug, ließen aber die Jacke normalerweise im Büro und trugen sie nur, wenn sie Besucher empfangen mussten.
Dave wollte auf keinen Fall mit der Verwaltung identifiziert werden und signalisierte das mit seinen braunen Hosen und seinem Holzfällerhemd auch ganz deutlich. Außerdem war er nicht weniger ein Arbeitstier als all die kaffeesüchtigen Neurotiker im Labor. Bei Leuten wie ihm lautete der berühmte Stoßseufzer wohl eher: Gottlob, endlich Montag. Während sie sich über ihre Eier hermachte, knabberte er an einem kalorienarmen Keks und nippte an seinem Kaffee.
»Frühstücksflocken zum Schluss?«, fragte er.
»Meine persönliche Note. Ich habe ziemlich perverse Ernährungsgewohnheiten.«
Er sah interessiert zu, wie sie Speck und Toast verdrückte. »Früher habe ich auch so gefrühstückt.«
»Das erste Gesetz der Thermodynamik gilt noch immer: Was man isst und nicht verbrennt, wird angesetzt.«
»Dann sind Sie wohl ein Typ, der viel verbrennt. Treiben Sie Sport?«
»Ich mache mir Sorgen. Das spart Zeit, und man braucht hinterher nicht zu duschen.«
»Ich weiß, Sie sind wegen Ihres Experiments ziemlich nervös, aber dazu besteht kein Anlass.« Er lehnte sich zurück, um endlich wie beiläufig zum Zweck dieses kleinen Treffens zu kommen. »Es ist nur ein erster Probelauf. Kein Mensch wird es Ihnen verübeln, wenn nichts dabei rauskommt.«
»Vielen Dank. Ich glaube Ihnen natürlich kein Wort.«
Er lächelte. »Okay, ich bekenne mich schuldig. Das war die Standardansprache für Neulinge.«
»Mein Vater sagt, es ist immer gut, unterschätzt zu werden.«
»Da hat er recht. Was macht er beruflich?«
»Leitartikler.«
»Wie bitte …?«
»Verzeihung, Familienjargon. Er schreibt Kommentare für die Zeitung. Thomas Butterworth.«
»Ich kann nicht sagen …«
»Seine kleinen Kolumnen erscheinen meistens in den konservativen Blättern.«
»Die hier kein Mensch liest, ja?«
»Nur die Unzufriedenen.«
»Sie sind nicht oft einer Meinung mit ihm.«
»Wie kommen Sie darauf?« Hatte man das so deutlich gehört?
»Von konservativer Seite bekommt die Physik von jeher mehr Unterstützung als von den Liberalen.« Er sah sich um und registrierte dabei automatisch, wer mit wem zusammensaß. »Aber ich wette, Sie finden in diesem Raum keine fünf Personen, die zugeben würden, Republikaner zu sein.«
»Dad ist ein Freigeist.«
»Oh, dann ziehe ich die Wette zurück.« Er beobachtete, wie sie das Lite Granola in Angriff nahm. »Wissen Sie, wir setzen hier in jeden ziemlich hohe Erwartungen. Wir müssen Leistung zeigen, RHIC muss Furore machen.«
Sie nickte, aber der Widerspruch zwischen dieser Bemerkung und seinem beruhigenden ›Es-ist-nur-ein-Probelauf‹ von vorhin war ihr nicht entgangen. »Der Kongress hat fast eine Milliarde investiert und will jetzt ein paar Schlagzeilen sehen?«
»Ganz so ungeschminkt drücken wir uns hier nicht aus.«
»Vielleicht sollten wir das aber tun.«
»Die Ansicht, man könne in der Elementarteilchenphysik längst nicht mehr nur von fallender Profitrate sprechen, ist weit verbreitet, und was die Kernphysik angeht – nun, da denkt jeder gleich an Reaktoren.«
Sie zog spöttisch eine Augenbraue in die Höhe. »Die alten Unkenrufe, dass die Naturwissenschaften auf dem letzten Loch pfeifen?«
Er seufzte. »Ich war letzte Woche mit einem Kongressabgeordneten beim Essen. Er war davon ziemlich überzeugt.«
In Mode gekommen war diese Skepsis gegenüber den Naturwissenschaften um die Jahrhundertwende, als jeder selbsternannte Experte und jeder Amateurphilosoph das Ende irgendeiner Ära verkündete. Freilich hatte der Standpunkt einiges für sich, und so waren die Zweifel auch jetzt, fünf Jahre später, noch immer nicht verstummt.
Was an großen Fragen lösbar sei, so konnte man hören, habe man mehr oder weniger gelöst, und was noch ungelöst sei, könne man eben nicht lösen. Übrig blieben kleinere, überschaubare, aber entsetzlich langweilige Aufgaben wie die Entschlüsselung der menschlichen DNA. Natürlich ließen sich hier Erfolge von ungeheurer Tragweite erzielen, aber mit einem wirklich großen Wurf rechnete niemand mehr. Die Zukunft lag in mühsamer Kleinarbeit. Faszinierend im Detail, gewiss, aber bei weitem nicht mehr auf dem Niveau der goldenen Zeiten kurz nach Crick und Watson.
Einige Beobachter prophezeiten die Entwicklung eines wissenschaftlichen Zynismus – einer Mischung aus Spekulationen, ironisch gebrochenen Standpunkten und ständigen Neuinterpretationen der immergleichen Daten. Die strahlenden Helden dieser neuen Strömung waren Wissenschaftler, die, wie etwa Richard Dawkins, dieser Egoist in Person, zwar nicht imstande waren, neue Daten oder brillante Versuchsideen beizusteuern, dafür aber mit ihrer Arroganz kokettierten und eher durch ihren sarkastischen Scharfblick als durch die Originalität ihrer Überlegungen bestachen.
Viele Vertreter des wissenschaftlichen Zynismus hatten sich bereits aufs Altenteil zurückgezogen oder legten, des immergleichen Alltagstrotts müde, eine ›Philosopause‹ ein, um ihren Grübeleien im Lehnstuhl nachzuhängen. Viele, aber nicht alle. Auch einige Koryphäen aus dem Bereich der Elementarteilchenphysik hielten das Ende der großen Zeiten für gekommen. Die wesentlichen Züge des Universums seien umrissen. Nun müsse sich die Physik damit begnügen, die noch fehlenden Mosaiksteinchen einzusetzen.
Alicia rümpfte die Nase. »Mangel an Phantasie ist kein Argument.«
»Hat aber Einfluss auf den Staatshaushalt.«
»Den haben auch die alten Knacker, die von Sozialhilfe leben.«
»He, wir stehen in Konkurrenz zu jeder Menge sozial Bedürftiger.«
»Das bestreite ich ja gar nicht.« Sie sah ihn fest an. »Ich verlange doch nur so viel Zeit für meinen Versuch, um wenigstens ein paar Ergebnisse zu erzielen.«
»Da Sie als erste Uran verwenden, können Sie keine Vorzugsbehandlung erwarten. Wir haben Sie dazwischengeschoben, solange die anderen Detektoren stillstehen. PHENIX zum Beispiel …«
»Ich weiß ja, es ist nur ein Probelauf. Die richtige Jagd geht erst in einer Woche wieder los.«
Man hatte in diesen Collider große Hoffnungen gesetzt. Vielleicht – nur vielleicht, eine Garantie gab es nicht – ließ sich mit dem Einsatz schwerer Ionen ein entscheidender Durchbruch erzielen. Man schoss ganze Atomkerne aufeinander, um eine neue Materieform zu schaffen, die von den Gesetzen der Quantenchromodynamik – was für ein Zungenbrecher – beherrscht wurde. Die beim Aufprall freigesetzten, hohen Energien sollten zur Entstehung eines brodelnden Elementarteilchennebels namens Quark-Gluon-Plasma führen. Gluonen hießen die Teilchen, von denen die schwerfälligen Protonen und Neutronen zusammengehalten wurden. Bei der Kollision zerplatzte das Ganze dann wie ein aufgeschlagenes Ei, und die Trümmer spritzten nach allen Seiten. Der subnukleare Partikelschauer hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Zustand des Universums in der ersten Millionstel Sekunde nach dem ›Big Bang‹, dem Urknall, und das hatte die Public Relations-Abteilung von Brookhaven auf die Idee gebracht, die Kollisionen im Fokus von RHIC als ›Mini Bang‹ zu verkaufen.
Leider hatten sich die Hoffnungen nicht erfüllt. RHIC war seit fünf Jahren in Betrieb, aber es war bisher nicht gelungen, die gewünschte Materieform eindeutig nachzuweisen.
»Ihre Idee klingt bestechend«, sagte Dave. Er sah sie immer noch forschend an. (Oder hatte sie nur ein schlechtes Gewissen?) »Es bietet sich an, nach den Kernen mit der höchsten Masse zu greifen, um die Gesamtenergieausbeute auf ein Maximum zu bringen.«
»Ich komme nur unwesentlich höher als bei Gold.«
Gold war zwar ein leichteres Element, ließ sich aber so stark beschleunigen, dass die Energie per Nukleon um mehr als ein Prozent höher war als bei Uran. Allerdings hatte Uran 41-Nukleonen mehr als Gold. Das mochte bei der Bildung des Teilchennebels von Bedeutung sein. Einige Theoretiker hielten den Gesamtimpuls eines Kerns für den ausschlaggebenden Faktor. Die Mehrheit freilich nicht.
Sie zuckte die Achseln. »Die Chance ist nicht sehr groß.«
»Aber ein Versuch lohnt sich. Und es gibt noch einen Grund, weshalb ich mich freue, dass Sie den Zuschlag bekommen haben.«
»Weil ich schwarz bin.«
»Weil Sie eine schwarze Frau sind.«
»Hugh hat erwähnt, der Antrag der UC-Irvine habe einen Minderheitenbonus bekommen. Wie stark hat sich das ausgewirkt?«
Sein Mund bekam etwas Verkniffenes. »Nicht allzu stark.«
»Wie stark?«
»Da müsste ich nachsehen.«
»Kommen Sie, Dave, das ist die Standardausrede aller Verwaltungsleute.«
»Jeder hier weiß, dass man Sie wegen Ihrer Fähigkeiten ausgewählt hat, Alicia, und aus keinem anderen Grund.«
»Ich möchte mir aber ganz sicher sein. Diese Förderprogramme für Minderheiten im Bereich der Naturwissenschaften …«
»Sie haben die volle Unterstützung der hiesigen Belegschaft, glauben Sie mir.«
Sie lächelte verlegen, zuckte die Achseln und bereute schon, das Thema überhaupt berührt zu haben. Es war ein diplomatisches Kunststück, die Genehmigung für einen Versuch am RHIC zu bekommen, und Diplomatie war noch nie ihre Stärke gewesen. Außerdem litt sie noch immer unter Selbstzweifeln. »Ich hatte eigentlich gehofft, den ganzen Rummel überstanden zu haben. Schwarze Elementarteilchenphysikerin, einmaliges Exemplar in unserem Zoo …«
»Finden Sie das Quark-Gluon-Plasma, und das spielt alles keine Rolle mehr.«
»Beim letzten Mal haben Ihre Werbestrategen so getan, als würde ich das ganze Experiment allein durchführen.«
Er hob beschwichtigend die Hand. »So ist das eben im Showgeschäft. Komplizierte Stories kommen nicht an.«
Sie nickte kläglich. »Ein Reporter hat mir einmal gesagt: ›Ein fähiger Wissenschaftsjournalist mischt ein Gramm Inhalt unter ein Kilo Persönlichkeit.‹ Grrr!«
»Aber es stimmt.« Sein Gesicht wurde ernst. »Ach ja, noch etwas. Sie haben wahrscheinlich schon gehört, dass wir Probleme mit der Datenspeicherung haben.«
»Nein, davon war mir nichts bekannt.« Es war allerdings nicht verwunderlich. RHICs unzählige Diagnostiken spuckten, verglichen mit früheren Anlagen, einen wahren Zahlen-Mississippi aus.
»Wir werden Ihre Uran-Daten zurückbehalten müssen, um sie hier aufzubereiten«, sagte er schlicht.
»Was! Ich will sie aber an der UCI auswerten.«
»Sie werden in einer Form vorliegen, die Sie nicht verwerten können.«
»Ich kann mit BITNEX arbeiten …« Und schon bewarfen sie sich gegenseitig mit Abkürzungen für Computersysteme und Software, DAQ, PMD, CPU und so weiter. Die Wogen schlugen höher, die Stimmen wurden lauter. Endlich sagte sie: »Verdammt, wir hatten für beide Parteien gleichberechtigten Zugriff auf die Daten vereinbart.«
»Wir haben einfach nicht das Personal und die Computerkapazitäten«, sagte Dave eisig, »um Unmengen von Uran-Daten in Ihr Format zu übertragen.«
»Das hätten Sie mir vorher sagen müssen!«
»Wir können uns ohnehin kaum noch über Wasser halten. Als ich im Rechenzentrum anfragte, haben die nur den Kopf geschüttelt.«
»Aber in meinem Vertrag steht …«
»Da steht auch eine Klausel, dass das Labor das erste Anrecht auf die Auswertung der Daten hat …«
»Aber nur für den Fall, dass ich darauf verzichte. Wir haben ein Abkommen …«
»Nicht unbedingt. Es liegt in unserem Ermessen.«
»Verdammt, es sind meine Daten!«
»Sie bekommen Sie ja auch.«
»Wann?«
Dave wurde verlegen und wich ihrem Blick aus. »Wir liefern Ihnen einen repräsentativen Querschnitt, sagen wir, eins von hundert Ereignissen. Auf die Gesamtausbeute müssen Sie allerdings ein paar Monate warten.«
»Monate! Unser zweiter Versuch hier ist in einem halben Jahr angesetzt. Damit bleibt uns keine Zeit, die ersten Ergebnisse vorher ausgiebig zu begutachten.«
Er zuckte nur die Achseln, und das ärgerte sie mehr als alles, was er gesagt hatte. »Es ist mein Experiment«, platzte sie heraus.
»Es ist unser Experiment. Sie sind hier nur Gast.«
Sie hätte gern zurückgeschnauzt, sah aber ein, dass sie damit nichts erreichen würde. Natürlich würde ihr das Labor irgendwann einen Satz gefilterter, komprimierter Daten zukommen lassen, aber bis dahin konnte sie mit ihrer Forschungsgruppe Däumchen drehen. Sie nahm sich zusammen und sagte so höflich sie konnte: »Gut finde ich das nicht.«
»Das bedauere ich, aber ich kann es nicht ändern.«
Sie sah, dass es ihm peinlich war, sie zu enttäuschen. War dies am Ende eine Begleiterscheinung der tiefen Kluft, die die Kernphysiker in Brookhaven von den blasierten Besserwissern trennte, die sich Elementarteilchenphysiker nannten? Mit RHIC hatten die Kernphysiker ein weiteres, bislang vernachlässigtes Areal der Teilchenphysik erobert, und Alicia gehörte eindeutig zum Elementarteilchenstamm. Die Spannungen zwischen den beiden Gruppen entluden sich immer wieder in kleinlichen Gehässigkeiten, und was sich eben abgespielt hatte, lag ganz auf dieser Linie. Als externer Elementarteilchenphysiker stand sie ganz unten auf der Liste, wenn die Computerzeit für die Datenauswertung verteilt wurde. Sie seufzte und unterdrückte ihren Ärger, so gut sie konnte.
Dave lächelte zaghaft. »Na also. Dann können Sie mir doch jetzt Ihren Versuchsaufbau zeigen?«
4
Alicia kämpfte mit einem tiefen Atemzug gegen ihre flatternden Nerven an. Der Öldunst der großen Maschinen, der scharfe Geruch nach Reinigungsmitteln, der schal-trockene Mief der Elektroisolation – man kam sich vor wie in einem modrigen Keller.
Sie konnte nicht stillsitzen vor den Bildschirmen, die eine ganze Wand des Leitstandes einnahmen, also marschierte sie auf einer Bahn, die von der Länge ihres Kopfhörerkabels begrenzt wurde, unermüdlich auf und ab. Bei jeder Wendung schaute sie auf ein Poster mit Pferden, die über eine Rennbahn rasten. Im Raum befand sich nicht nur das UCI-Team, bestehend aus Brad Douglas, Zak und ihr selbst, sondern auch das RHIC-Team, also insgesamt ein Dutzend Menschen, aber sie hatte nur Augen für die Bildschirme.
»Versuch wird eingeleitet«, ertönte eine tiefe Stimme aus ihrem Kopfhörer. »Teilchenströme werden ausgerichtet.« Das hieß, der Booster hatte seine Schuldigkeit getan.
Sie wandte sich an Zak und sagte mit aller Beherrschung, die sie aufbringen konnte: »Die Pferde sind gestartet.«
Da RHIC ein mehrere Meilen langes Rennbahnsynchrotron war, galt es als guter Witz, die Fachbegriffe der Beschleunigertechnik in die Sprache des Rennsports zu übersetzen. Zak riss die Augen auf. »Schon aus den Boxen?«
»Gehen eben aufs Geläuf«, meldete sie.
Die elektronischen Anzeigen vermittelten nur wenig von der Dramatik der Ereignisse, aber im Geiste sah sie alles deutlich vor sich. Im Alternating Gradient Synchrotron wurden die Elementarteilchenpferde nun auf die Hauptbahn mit ihren Steuermagneten und den pulsierenden, elektrischen Feldern geleitet. Zuvor hatten eigens für diesen Zweck entworfene ›Stripper‹ den Uranatomen sämtliche Elektronen entrissen, so dass die Kerne mit ihren 92 geladenen Protonen den elektrischen Feldern nun schutzlos ausgeliefert waren.
Der Strom wurde mit 57 Urankernbündeln gespeist, die wie Güterwaggons entlang der ganzen Bahn verteilt waren. Jedes Bündel enthielt eine Milliarde Kerne und umrundete die Bahn in einer Zehnmillionstel Sekunde. Ein zweiter, gleichstarker Bündelstrom wurde mit der gleichen Beschleunigung auf die Gegenbahn geschickt. Wenn man die beiden Ströme in Ruhe ließ, würden sie, von den elektromagnetischen Feldern behutsam in Form gehalten, den ganzen Tag lang ihre Runden drehen.
»Jetzt laufen sie ein«, verkündete Zak.
Die erforderliche Urankerndichte war erreicht. Nun trat das Experiment in die entscheidende Phase. Die beiden Teilchenströme wurden durch eine leichte Korrektur der Felder fokussiert und aufeinandergelenkt. Die Zählstelle schickte die ersten Bilder.
»Treffer!«, rief Alicia.
Sie stellte sich bildlich vor, wie die beiden Urankernströme in der Ringröhre aufeinander zurasten, wie in jeder Sekunde Scharen von zigarrenförmigen Gebilden in den verschiedensten Winkeln aufeinanderprallten und zu Zehntausenden von Elementarteilchen zerschellten.
Vor ihrem inneren Auge entstand aus unzähligen, grellbunten Blüten und hin- und herschießenden Linien ein verschnörkeltes Gewächs. Wegen der gegenläufigen Ausrichtung hatten die Kerne im System keinen Gesamtimpuls. Beim Aufeinanderprall kam es zu winzigen, aber heftigen Explosionen, die Trümmer wurden nach vorn und nach hinten im Bereich eines schmalen Kegels von der Kollisionsstelle weggeschleudert. Die kritische Zone war die Ebene senkrecht zur Bewegungsrichtung der Teilchenströme im Kollisionspunkt, hier suchte die Diagnostik nach dem Heiligen Gral: dem Quark-Gluon-Plasma.
Jubel von den Technikern. Alicia spürte, wie ihr jemand kräftig auf den Rücken schlug. Eine Frauenstimme kreischte schrill, es war ihre eigene, aber das begriff sie erst, als die Stimme schon verstummt war.
Knallend flog ein Korken an die geflieste Decke. Ein Techniker reichte Alicia einen Plastikbecher mit billigem Sekt. Sie grinste über das ganze Gesicht, bedankte sich bei jedem, der ihr in die Quere kam, und vergaß sofort wieder, was sie gesagt hatte. Der Sekt schmeckte abscheulich, aber das war ihr völlig egal.
So sehr sie sich auch mit den anderen freute, ein Teil ihrer Aufmerksamkeit war ständig auf die Schirme gerichtet, wo ein ganzer Blumengarten von Vektorspuren in den Farbcodes der verschiedenen Elementarteilchen erblühte. Das war die Ernte ihrer Detektoren, über solch komplexen Bildern brütete sie, seit sie erwachsen war.
Sie umarmte Zak und drückte ihm rasch einen Kuss auf die Wange. Jemand legte einen Schalter um, und schon schallte Brahms' Zweite Symphonie aus der Stereoanlage. Das Detektorsystem, an dem sie arbeiteten, hieß Broad Range Hadron Measuring Spectrometer oder eben BRAHMS. Die mächtigen Akkorde dröhnten ihr in den Ohren, aber sie bat nicht darum, die Musik leiser zu stellen.
Und immer neue Blumen erblühten.
Sie schaffte es, sich Sekt über den klassischen, weißen Labormantel zu kippen, den sie, wie um sich selbst zu parodieren, über ihre Jeans und die spießige Bluse mit den Ölflecken gezogen hatte. An der Brusttasche hing ein Strahlendosimeter, obwohl sie sich – ein zusammenhangloser Gedanke – mit dem Ding immer etwas albern vorgekommen war. Sollte sie durch irgendeinen unwahrscheinlichen Zufall in den Teilchenstrahl geraten, dann konnte die interessierte Nachwelt die gemessene Strahlendosis ohnehin nur noch auf ihrem Grabstein lesen.
Noch einmal bedankte sie sich bei allen, die die Umstellung von Gold auf Uran ermöglicht hatten, und bei den vielen Experten, die für die reibungslose Funktion des BRAHMS-Systems, einer der komplexesten Anlagen der Welt, verantwortlich waren. Und zugleich starrte sie wie gebannt auf die Bildschirme.
»Zak, mein Junge, komm her.« Sie umarmte ihn. »Es ist gar nicht die Liebe, die dafür sorgt, dass die Welt sich dreht – es sind die Postdocs!«
Schallendes Gelächter. »Und die Diplomanden«, fügte sie hinzu und klopfte ihrem Schützling Brad Douglas anerkennend auf den Rücken.
In diesem Zusammenhang fielen ihr die alten Blasenkammerdetektoren von Brookhaven ein, Druckbehälter, in denen die Elementarteilchen Blasenspuren hinterließen, die mit Bogenlampen sichtbar gemacht und mit Kameras aufgezeichnet wurden. Es kursierten viele Geschichten darüber, aber eine war besonders berühmt. Eine Propangasflasche war explodiert, und die Diplomanden hatten fluchtartig das Labor verlassen. Nur einem Postdoktoranden war plötzlich eingefallen, dass er womöglich seine Daten verlieren würde. Also war er wieder zurückgelaufen und – den Ausdruck mit den Daten in der Hand – von einer zweiten Explosion aus der Tür geschleudert worden. Kein Mensch hatte sich gewundert, dass er noch einmal hineingegangen war.
»So viele Daten, ist das nicht herrlich?« Sie strahlte die Bildschirme an wie ein kleines Mädchen den Weihnachtsbaum.
Die Urankerne strömten zügig dahin. Keine Störung. Großartig. Die Nuklei gelangten zuerst in einen gewöhnlichen Linearbeschleuniger, passierten dann den Booster-Ring und wurden schließlich in das große, kreisförmige Alternating Gradient Synchrotron geschleust. Damit wurden selbst Erfindungen, die einst den Nobelpreis gewonnen hatten, zu Handlangern der späteren Beschleuniger degradiert; ehemals berühmte Anlagen mussten sich nun damit begnügen, RHIC mit schnellen Kernen zu füttern.
Zu Anfang, in jenen Goldenen Zeiten, die jetzt ihrem Ende entgegengingen, hatte die ganze Physikergemeinde wie gebannt auf diese Teilchenbeschleuniger gestarrt, die immer tiefer in das Gefüge der Wirklichkeit eindrangen und immer kleinere Nüsse knackten. Zwischen dem ersten Tisch-Zyklotron und jenem unglückseligen Superconducting Supercollider in Texas – der gar nicht mehr so super aussah, als er in die Luft flog und ein mehr als drei Milliarden Dollar teures, rennbahnförmiges Loch, eine kostspielige Wohnanlage für Feuerameisen und Präriehunde hinterließ – hatten Welten gelegen.
Trotzdem war die Zuversicht ungebrochen, und von jedem neuen, noch größeren Beschleuniger wurde nach wie vor eine reiche Ernte an neuen Elementarteilchen und damit an neuen physikalischen Erkenntnissen erwartet. Dabei war der Teilchenzoo, wenn man dem Standardmodell glauben konnte, inzwischen nahezu komplett. Schließlich war, angefangen von den fetten Protonen bis hinunter zu den winzigen Leptonen und – Mitte der neunziger Jahre – zu den noch exotischeren Quarks mit jeder Erhöhung des Energieniveaus auch brav eine neue Teilchenspezies auf der Bildfläche erschienen. RHIC jagte nun nach größerem Wild – nach einem neuen Materie-Regime.
»Zeichnet tadellos auf«, rief sie Zak zu.
»Stimmt, ist das nicht großartig?« Dies war der erste Versuch, den er von Anfang an miterlebte, und seine Augen funkelten vor Erregung.
»Ihr Core-Element? Es funktioniert also?«, fragte ein Techniker.
»Hervorragend«, sagte sie und nickte stolz.
Das Core-System war der Beitrag der University of California zum BRAHMS-Experiment des Brookhaven-Labors. Alicia hatte, seit sie vor drei Jahren an die UCI gekommen war, ausschließlich daran gearbeitet, den Teilchendetektor, über den sie schon ihre Dissertation an der UC-Berkeley verfasst hatte, mit einem kleinen Team aus Diplomanden und Postdoktoranden zu planen und auch zu bauen. Nun kam er endlich zum Einsatz, und sie war so unaussprechlich glücklich, dass sie wie auf Wolken schwebte.
Ein Teilchendetektor, der zuverlässig lief, war entweder veraltet, oder er reizte die technischen Möglichkeiten nicht bis ins letzte aus. Doch ihr Team hatte monatelang unermüdlich gearbeitet, um alle am Core-System auftauchenden Probleme zu überwinden.