Über den Autor

Geboren 1960, wuchs Michael Woodford in Liverpool auf. Nachdem er in den Süden Englands umgezogen war, hat er die nächsten 30 Jahre seines beruflichen Lebens bei Olympus verbracht. Im April 2011 wurde er zum President der Olympus Corporation ernannt – der erste westliche Angestellte, der bis an die Spitze eines japanischen Großkonzerns aufgestiegen ist. Im Oktober desselben Jahres wurde er sogar zum CEO ernannt, aber nur 2 Wochen später erfolgte seine Entlassung, nachdem er seinen japanischen Vorstandskollegen wiederholt Fragen zu unerklärlichen Zahlungen in Höhe von 2 Milliarden US-Dollar gestellt hatte.

Woodford wurde zur „Business Person of the Year 2011“ von der Sunday Times, dem Independent und der Sun gekürt. Und im Jahr 2012 gewann er den „ArcelorMittal Award for Boldness in Business“ der Financial Times. 2013 hat er den Contrarian Prize gewonnen[*].

Woodford ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in London. Er widmet seine Zeit nun dem Schreiben sowie Vorträgen über Unternehmenskultur und die Schwächen der menschlichen Natur am Arbeitsplatz.

* Der Contrarian Prize ist ein Preis, der Personen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik auszeichnet, die Unabhängigkeit, Mut und Opferbereitschaft bewiesen haben.

1 Gerüchte und Enthüllungen

Es war Hochsommer, als die E-Mail eintraf. Ein leises Ping im Posteingang. Da lag sie nun, still und unbeachtet. In diesem Juli des Jahres 2011 schwitzte Europa unter einer ungewöhnlichen Hitzewelle. Ich war wie so oft auf Reisen und leitete Konferenzen in Hamburg, wo Olympus seine Europa-Zentrale hat. Der Vorstand saß erwartungsvoll um einen großen runden Tisch herum, eine Änderung, die ich eingeführt hatte, damit die Leute sich auch wirklich ansahen und einander zuhörten.

Ich hatte dort schon seit vielen Jahren Konferenzen geleitet, aber jetzt führte ich den Vorsitz als „President“ des gesamten globalen Konzerns, und der Respekt, der mir neuerdings entgegengebracht wurde, war spürbar; das war etwas Neues, löste allerdings auch leichtes Unbehagen aus. Wir arbeiteten die Tagesordnung ab, wobei ich meiner Rolle entsprechend wie gewöhnlich Dinge infrage stellte, Herausforderungen formulierte und dabei immer versuchte, die Ansichten aller um den Tisch herum Versammelten in Erfahrung zu bringen. Am späten Nachmittag waren wir durch.

Wieder im Hotelzimmer, klappte ich meinen Laptop auf, um mich dem Strom der eingehenden E-Mails zu widmen. Ich war dafür bekannt, dass ich Nachrichten immer umgehend beantwortete, womit ich mich selbst unter beständigen Druck setzte. Als ich auf den Bildschirm blickte, sah ich sie – die kleine Zeitbombe von Mail, die mein Leben für immer verändern sollte.

Der Betreff der E-Mail lautete: DRINGENDE NEUIGKEITEN. Ein Freund in Tokio, Gorō, hatte einen Artikel in einer obskuren japanischen Zeitschrift namens Facta gelesen, in dem wilde Vorwürfe gegen Olympus erhoben wurden. Ich hatte noch nie von Facta gehört, fand aber später heraus, dass es sich um ein kleines Wirtschaftsblatt handelte, das von einem Einzelkämpfer herausgegeben wurde, ein seltenes Phänomen in der japanischen Medienwelt: ein journalistischer Aktivist, der sich nicht scheute, Dinge zu enthüllen, die der Enthüllung bedurften. Wäre ich Pessimist gewesen, hätte ich jetzt besorgt sein müssen. Aber ich war kein Pessimist.

„Haben Sie die Übersetzung des Olympus-Artikels erhalten?“, fragte Gorō. „Nein“, mailte ich zurück. „Warum? Irgendetwas, das ich wissen sollte?“ Nach vier Monaten als Vorstandschef war ich es gewohnt, dass über mich geschrieben wurde, besonders in Japan. Zeitungen und Zeitschriften brachten ständig Storys über mich, den gaijin Boss, das Neue daran, das Besondere. Ich nahm an, dass sich Gorō auf ein weiteres derartiges Porträt bezog, und hoffte, dass es wenigstens schmeichelhaft ausgefallen war.

Seine Antwort-Mail kam rasch. Im Artikel ging es nicht um mich. Es ging um Olympus, und es wurden schwerwiegende Anschuldigungen erhoben. Die Message war klar: „Sie sollten sofort zurückkommen!“ Was die exakten Vorwürfe anging, konnte ich seinen Worten nur so viel entnehmen, dass es um große Geldsummen ging, aber die Details blieben vage. Ich war der Meinung, dass wir nichts falsch gemacht haben konnten, und ging davon aus, dass der Artikel entweder böswillig oder sensationsgierig sein musste.

Komisch, wie sich alles um einen herum so schnell auflösen kann, das Gewebe alles Vertrauten um einen herum zerfällt, oder, besser, von allem, was man zu kennen glaubt. Ich flog zurück nach Japan, in Unkenntnis dessen, was mich dort genau erwartete.

Am Tag nach meiner Rückkehr nach Japan fand unsere monatliche Vorstandssitzung statt. Es war Freitag, der 29. Juli. Bis dahin hatte ich mithilfe von Freunden und vertrauenswürdigen Kollegen, die im Unterschied zu mir Japanisch sprachen, den Kern des Facta-Artikels verstanden. Er behauptete, das Unternehmen habe Hunderte von Millionen Dollar für unerklärliche Transaktionen im Zusammenhang mit dem Aufkauf seltsamer und unwahrscheinlicher Übernahme-Objekte ausgegeben. Das war in der Tat eine ernste Sache.

Sicher würde die Agenda der heutigen Sitzung aufgehoben werden, um den Dingen auf den Grund zu gehen, die hier anscheinend vorgefallen waren. Wer war beteiligt? Tsuyoshi Kikukawa womöglich, der mir als „President“ vorangegangen war, aber wer noch? Wie viele Personen?

Als ich den Vorstandsraum betrat, erwartete ich eine vor Spannung knisternde Atmosphäre. Wie immer, wenn ich aus Übersee zurückkehrte, wurde ich von allen sehr freundlich begrüßt. Es gab keinerlei Anzeichen irgendwelcher Missstimmung. Die Konferenz verlief ganz normal, monoton in ihrer Gewohnheitsmäßigkeit, niemand erwähnte irgendeine Art von Unregelmäßigkeit. Ich selbst brachte das Thema nicht auf, weil ich das Gefühl hatte, ich sollte das Ganze besser erst einmal für mich behalten, bis ich genau wusste, wovon ich sprach. Nach Ende der Konferenz ging ich zurück in mein Büro und fragte mich, ob Facta womöglich schlecht informiert war, doch mein Misstrauen blieb. Irgendetwas stimmte hier nicht.

In den meisten Unternehmen hat der „President“ (Vorstandsvorsitzende) zentralen Einfluss auf die Geschehnisse, aber bei Olympus hatten sich meine Befugnisse als neuer Amtsinhaber zu meiner großen Enttäuschung bereits von vornherein als eingeschränkt erwiesen. Vor meiner Ernennung hatte Kikukawa sowohl die Rolle des geschäftsführenden „President“ als auch des beaufsichtigenden „Chairman“ innegehabt (nicht gerade das ideale Modell für eine gute Unternehmensführung), aber als ich nun „President“ wurde, führte er zum ersten Mal in der Unternehmensgeschichte den Titel eines „Chief Executive Officer“ (CEO) ein, ein westliches Konzept. Im Allgemeinen ist in Japan der „President“ auch CEO (Hauptgeschäftsführer), und die Position des „Chairman“ (Aufsichtsratsvorsitzenden) ist ein Ehrenamt. Ich konnte jetzt aber erkennen, dass die Lage bei Olympus künftig insofern anders sein würde, als schnell klar wurde, dass der neue Titel CEO den „President“ übertrumpfte. Das verlieh Kikukawa in der Unternehmensleitung die unbeschränkte Macht, einzustellen und zu entlassen, und es gab ihm auch das Sagen beim Schlüsselthema Vergütung seiner Mitdirektoren. Diese Situation störte mich so sehr, dass ich ihn bereits mehr als einmal, ohne dabei auf Konfrontation zu gehen, auf das Thema angesprochen hatte. Ich hatte ihn höflich gefragt: „Warum befördern Sie mich, beschränken aber gleichzeitig meinen Managementspielraum?“ Aber Kikukawa wischte diese Besorgnis beiseite, indem er mir erklärte: „Titel spielen keine Rolle; Sie sind der Chef.“ Dies trug aber keineswegs dazu bei, mein Unbehagen über die Rollenverteilung zwischen CEO und President zu beseitigen. Ich wusste sehr wohl, dass ich derjenige war, der die Verantwortung trug. Als President oblag mir die rechtliche Verantwortung, für die Unterschrift unter dem Geschäftsbericht wie auch für seine Vorlage bei den Rechnungsprüfern.

Vielleicht wurde ich ja immer noch als gaijin betrachtet, als Außenseiter ohne japanische Attribute, und als die Art von President, der nicht in Geheimnisse eingeweiht wird. Aber meine Beziehung zu Kikukawa reichte schon Jahrzehnte zurück. Er hatte mich in den USA gefördert, wo er mir die Verantwortung für das damals Verluste schreibende Medizingeschäft übertragen hatte. Er hatte mich auch zum Leiter aller Olympus-Aktivitäten in Europa befördert, die sich im Folgenden zum profitabelsten Unternehmensbereich entwickelt hatten. Er war mein Förderer gewesen. Aber meine Loyalität war nicht blind.

So sehr ich Tokio auch genoss, so sehr sehnte ich mich an den Wochenenden doch auch danach, der Stadt entfliehen zu können. An diesem Sonntagnachmittag nahm ich mit Gorō einen Zug hinaus aus der brodelnden Stadt. Er ist eine Generation älter als ich und ein fester Bestandteil der Tokioter Geschäftselite. Unsere Freundschaft ist äußerst ungewöhnlich, und viele wären überrascht, wenn sie erführen, dass wir befreundet sind. Da ich in Japan jetzt eine umstrittene Figur bin, könnte es für ihn schädlich sein, wenn er mit mir in Verbindung gebracht wird, daher habe ich seinen Namen geändert, um seine Identität zu schützen. Wir waren unterwegs zu einem Kurort mit heißen Quellen, der ein paar Zugstunden außerhalb der Metropole lag. Während der Fahrt übersetzte Gorō mir sorgfältig und in voller Länge den Facta-Artikel. Die Anschuldigungen waren derart absurd, dass ich kaum glauben konnte, was ich da hörte.

Olympus läuft Amok, tönte die Überschrift. Gewaltige Verluste durch unerklärliche Fusionen und Übernahmen. Versenkt 70 Milliarden Yen in drei Mini-Unternehmen, nur um dann fast den gesamten Betrag als Verlust aus Wertminderung abzuschreiben. Wir enthüllen die Tricksereien von Kikukawa und Co., die den Nettowert von Olympus zu dezimieren drohen.

Durch den schrulligen und melodramatischen Schreibstil wirkte das Ganze noch seltsamer. Merkwürdiger als jede erfundene Geschichte ging es los:

Olympus gab im Geschäftsjahr 2008 insgesamt 70 Milliarden Yen für drei Unternehmen aus, die nichts mit seinem Kerngeschäft zu tun haben. Dann wurde der größte Teil dieser Investitionen im nächsten Jahr heimlich, still und leise als Verlust aus Wertminderung abgeschrieben.

Die übernommenen Firmen, alle nicht börsennotiert: Altis, entsorgt Industriemüll aus Krankenhäusern; News Chef, entwickelt und vermarktet mikrowellenfähige Gerichte; und Humalabo, vertreibt per Versandhandel Kosmetik und Gesundheitsnahrung. Diese Tochterunternehmen sind in der Wertpapier-Berichterstattung von Olympus so gut wie unsichtbar, und Informationen über ihre Geschäftsergebnisse sind nicht erhältlich. Das Unternehmen ist ganz offensichtlich darauf aus, irgendetwas zu verbergen.

Das war schon schlimm genug, aber es war noch nicht alles. Während wir durch die japanische Landschaft rasten, ging es weiter. Facta stellte auch Fragen zur Übernahme eines britischen Unternehmens für 270 Milliarden Yen (2,2 Milliarden Dollar):

Die merkwürdige Übernahme eines britischen Unternehmens für 270 Milliarden Yen

Olympus sorgte für Aufsehen an der Börse, als es seine Pläne verkündete, den in London notierten Hersteller Gyrus [Gyrus Group PLC] für die stattliche Summe von 211,7 Milliarden Yen zu übernehmen: ein Aufschlag von 40 Prozent gegenüber der Marktkapitalisierung von Gyrus. Die Ungläubigkeit verwandelte sich in Verblüffung, als Olympus auch noch Gyrus-Vorzugsaktien für 59,9 Milliarden Yen erwarb. Die Identität des Verkäufers war ein Geheimnis, und Börsenexperten waren entsetzt über den Mangel an korrekter finanzieller Offenlegung.

Darüber hinaus belief sich der Goodwill [der Überschuss der Zahlungen für eine Firmenübernahme über dem Buchwert des aufgekauften Unternehmens] auf mehr als die Hälfte der gesamten Gyrus-Aktiva. Beobachter bemühten sich, sich zu erinnern, ob sie schon jemals einen Hersteller mit einer solchen Bilanz gesehen hätten. Im Endeffekt kaufte Olympus einen gewaltigen Haufen Goodwill, der in weiteren Goodwill verpackt war. Anschließend lehnte Olympus es ab, irgendwelche Informationen über die Finanzlage von Gyrus zu liefern, die über ein paar rudimentäre Umsatzzahlen hinausgingen.

Die Anschuldigungen waren gewaltig, und doch war jede von ihnen bis ins kleinste Detail präzis. Der Artikel behauptete, Olympus habe im Endeffekt drei „Micky-Maus“-Unternehmen gekauft. Unglaublicherweise waren ein Versandhandel für Gesichtscreme, eine Firma für Mikrowellengerichte und ein Recyclingunternehmen ganz still und heimlich in den Einkaufskorb für Fusionen und Übernahmen gelegt worden. Jede Firma vermeldete nur geringe Umsätze, und doch hatten wir nach aktuellem Wechselkurs annähernd 1 Milliarde Dollar für sie bezahlt. Vor ein paar Monaten hatte mir Kikukawa ein Fläschchen „Lift Essence Lotion“ der neu erworbenen Gesichtscreme-Firma für meine Frau Nuncy zum Ausprobieren mitgegeben. (Sie traute ihr nicht, und sie steht immer noch ungeöffnet in unserem Badezimmerschränkchen!) Ich war der Meinung gewesen, Olympus hätte hier eine kleine Summe Geldes für irgendeine Laune ausgegeben; ich konnte mir nicht vorstellen, warum wir riesige Beträge dafür hätten zahlen sollen. Die Existenz der beiden anderen Unternehmen war neu für mich.

An das Geschäft mit der Gyrus Group PLC dagegen erinnerte ich mich nur zu genau. Die britische Medizintechnik-Gruppe war 2008 für über 2 Milliarden Dollar gekauft worden, ein Preis, der mir schon immer übertrieben erschien. Aber jetzt schienen auch noch weitere 700 Millionen Dollar an Zahlungen mit dieser Übernahme verbunden zu sein. Warum?

Facta hatte Olympus in der Tat schon vor der Veröffentlichung den Fehdehandschuh hingeworfen. Nachdem er von diesem Finanzhokuspokus Wind bekommen hatte, hatte Verleger Shigeo Abe Ende Juni einen Brief an die Abteilung Public Relations / Investor Relations bei Olympus geschickt. Der Brief enthielt Fragen zu den Übernahmen und Zahlungen sowie die Bitte um ein Interview mit Chairman Kikukawa. Olympus hatte gemauert, die Bitte um ein Interview abgelehnt und keine der Fragen beantwortet.

Ihr glaubt also, ihr könnt Facta einfach so abfertigen, ja?, schimpfte Abe in einem Blog-Eintrag vom 15. Juli. Na, das werden wir ja sehen ... Unsere nächste Ausgabe wird für euch zum Alptraum werden. Bis dann, und träumt was Schönes.

Facta hatte Abes Drohung in der Tat wahr gemacht. Während der Zug weiterfuhr, saß ich nur stumm und bewegungslos da, während Gorō weiter übersetzte. Als er fertig war, blieben wir beide stumm, während die japanische Landschaft an uns vorbeirauschte und in der Ferne der Berg Fuji still und unbeweglich stand.

Es musste nicht ausgesprochen werden. Wir dachten beide dasselbe: Das würde gewaltige Folgen haben. Jetzt war es allgemein bekannt und nicht mehr zu ignorieren. Selbst wenn nur ein kleiner Teil dieses Artikels wahr war, würden Köpfe rollen, und der Ruf der Firma war irreparabel beschädigt. Und was hieß das für mich, als Vorstandschef?

Als der Zug den Bahnhof erreichte, wurden Gorō und ich von Daisuke empfangen, einem führenden Mitarbeiter von Olympus. Er ist einer der fähigsten Manager des Unternehmens und hatte sich schon früher einmal mit Gorō und mir getroffen. Auch hier habe ich wieder einen falschen Namen verwendet, um seine Anonymität zu schützen.

Die an der Küste gelegenen Onsen, die heißen Quellen, lagen in einer schönen Umgebung. Die Temperatur war hier kühler, die Luft schmeckte beinahe süß. Der Überlieferung zufolge boten die in den Quellen enthaltenen Mineralien alle möglichen gesundheitlichen Vorzüge, und die Onsen sollten entspannende Wirkung auf Körper und Geist haben. Ich beschloss, einen Lauf die Küste entlang zu unternehmen, weil ich meinen Kopf frei bekommen wollte. In dem Urlaubsort war keine Saison, und es waren nur wenige Leute da. Als 1,88 m großer Westler im neonfarbenen Laufdress dürfte ich eine auffällige Erscheinung gewesen sein. Aber ich hatte mich ans Anderssein gewöhnt. Als ich so am Strand entlangjoggte, begann mir ein Rinnsal Schweiß übers Gesicht zu laufen, ich erreichte einen tranceähnlichen rhythmischen Zustand, und die Ereignisse der letzten neun Monate gingen mir durch den Kopf.

Es war im November 2010 gewesen, als ich vom damaligen Vorstandschef Kikukawa, oder Tom, wie ich ihn kannte, zu einem Treffen ohne Tagesordnung von England aus nach Japan gerufen wurde. Als ich sein Büro betrat, lächelte er herzlich und sagte ohne Umschweife: „Michael, ich hätte gern, dass Sie unser nächster Vorstandschef werden. Ich habe dieses Unternehmen nicht verändern können, aber ich glaube, Sie können es.“

Olympus war ein ziemlich großes Unternehmen, mit nahezu 40 000 Mitarbeitern und einem Anteil von über 70 Prozent am weltweiten Markt für medizinische Endoskopie. Das Gesundheitsgeschäft lief gut und lieferte bei Jahresumsätzen von rund 4 Milliarden Dollar einen stattlichen Gewinn von 800 Millionen Dollar. Die Produkte der Firma waren außergewöhnlich gut konstruiert und konzipiert. Sie umfassten Kameras, digitale Voice-Recorder, Mikroskope und, als erfolgreichste von allen, Endoskope, die bei Ärzten auf der ganzen Welt begehrt waren. Meine Ingenieurskollegen ließen mich bescheiden werden, für mich waren sie die wahren Helden des Unternehmens: Aufgrund ihrer effizienten und nachhaltigen Bemühungen war Olympus weltweit anerkannt für seine eindrucksvolle Stärke in Konzeption und Konstruktion.

Neben dem Goldkind Medizinsparte liefen andere Teile des Unternehmens eher schlecht, insbesondere das Kamerageschäft. Olympus konnte zwar zweifellos erstklassige Kameras bauen, aber im High-End-Segment, das die größten Gewinne lieferte, lagen wir weit abgeschlagen hinter unseren Hauptkonkurrenten Canon und Nikon zurück. Im Autofokus-Digitalkamera-Geschäft war unsere Dominanz innerhalb eines Jahrzehnts dahingeschwunden.

In der Tat machten wir im Kamerabereich inzwischen Verluste. Der Nettoumsatz von Olympus Imaging Systems war von 3,3 Milliarden Dollar im Jahr 2008 auf 1,7 Milliarden Dollar 2011 gesunken. 2011 erreichten die Verluste der Abteilung 175 Millionen Dollar. Insgesamt waren die betrieblichen Erträge unseres Unternehmens von 1 Milliarde Dollar 2008 auf rund 400 Millionen Dollar im Jahr 2011 gesunken. Angesichts der Stärke des Medizingeschäfts waren diese Ergebnisse niederschmetternd.

Aber ich ließ mich nicht abschrecken. Mir war klar, was getan werden musste und welche schwierigen Entscheidungen zu treffen waren. Ich wusste, dass insbesondere das Medizingeschäft, richtig gemanagt, sogar noch bessere Resultate bringen konnte. Ich war mir sicher – mithilfe des kleinen, talentierten Teams, das ich selber zusammengestellt hatte –, das Ruder herumreißen zu können.

Bei der Bewältigung der vor mir liegenden Herausforderungen hatte ich ganz klar die Rückendeckung Kikukawas, der schon lange mein Mentor war, ein unerschütterlicher und ausgesprochener Förderer, der bereit war, mir ein in Japan fast unerhörtes Privileg zu gewähren: der westliche President einer 92 Jahre alten japanischen Ikone zu werden.

Sollte ich diese Aufgabe übernehmen, würde ich in meinem Gastland so etwas wie eine Berühmtheit werden, ein Gegenstand der Faszination, aber auch des Respekts, denn Japan war bekannt dafür, dass Loyalität belohnt wurde, und die hatte ich mit 30 Jahren in der Firma zweifellos unter Beweis gestellt.

Dies war mein Augenblick. Ich schaute am sitzenden Kikukawa vorbei durchs Fenster seiner Bürosuite im 15. Stock des Monolith Building und konzentrierte mich auf die Zwillingstürme der Tokyo City Hall, die die Skyline des Distrikts Shinjuku dominierten. In mancher Hinsicht betrachtete ich Kikukawa als eine Art Vaterfigur. Nach nur wenigen Sekunden antwortete ich ihm einfach: „Ja, ich mache das.“

Als ich wieder in meinem Zimmer im Park Hyatt Hotel war, rief ich Nuncy an, um ihr die Neuigkeit mitzuteilen. Ich war in einem Zustand höchster Aufregung, wurde aber ganz schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Sie wurde ganz still und fing an zu weinen – und zwar nicht etwa vor Glück.

„Aber du arbeitest doch gern in Europa und lebst hier auch gerne“, schluchzte sie und spielte damit auf die Wohnung unserer Familie in Southend an der Themse-Mündung an. „Wir haben es doch schon gut. Warum willst du denn an unserem Leben etwas verändern?“

Sie war, wie es ihre Art ist, ruhig, aber hartnäckig. „Na gut, das ist also dein Mount Everest. Aber du musst da doch nicht hinaufsteigen, oder?“ „Liebling“, antwortete ich, „lass mich dieses Unternehmen zum Besseren verändern. Das dauert nur ein paar Jahre und ich schulde das so vielen Leuten.“ Sie wusste, wie ich war und dass mein Entschluss bereits feststand.

Ihre größte Sorge war, dass die Entfernung und physische Trennung unsere Ehe zerstören könnte. Wir sahen beide die Turbulenzen, die diese Veränderung in unserem Leben mit sich bringen würde. Ich ahnte aber nicht, wie recht sie behalten sollte, wie bald unser ganzes Sicherheitsgefühl dahin sein und unser Alltagsleben sich in einen Albtraum verwandeln würde.

Meine Beförderung war am 1.4.2011 erfolgt, am Tag der Aprilscherze.

Am ersten offiziellen Tag in meiner neuen Rolle hatte ich den Jahrgang neu eingestellter Hochschulabsolventen begrüßt und willkommen geheißen, in einer Zeit, als Japan noch von dem verheerenden Erdbeben und Tsunami (vor wenigen Wochen) traumatisiert war. Ausländer hielten sich weiter fern, und die Nation befand sich in einer Art hilfloser Ausgangssperre, die durch die Ungewissheit über den instabilen Nuklearreaktor in Fukushima und die Furcht vor weitreichender Kontamination noch verlängert wurde. Die würdevolle, stoische Art, wie die Japaner mit diesen Katastrophen umgingen, erinnerte mich wieder daran, warum ich dieses Land so mochte.

Jetzt war ich wieder in der Management-Suite im 15. Stock, in meinem eigenen prächtigen Büro mit Blick über das wimmelnde und doch perfekt organisierte Chaos Shinjukus. Ich war einer von nur vier ausländischen Firmenchefs in ganz Japan, aber der einzige gaijin, der es je geschafft hatte, die Karriereleiter innerhalb desselben Unternehmens so weit hinaufzusteigen, der einzige gaijin „Angestellte“, der es bis an die Spitze geschafft hatte.

Meine Ernennung wurde im Februar bekanntgegeben und führte zu Schlagzeilen in den Finanzmedien der ganzen Welt. Der Aktienkurs von Olympus stieg steil an, in der Erwartung, dass der gaijin Vorstandschef diesen schlafenden Unternehmens-Riesen aufwecken und die finanziellen Erwartungen einer Firma erfüllen würde, die über das wahrscheinlich weltweit beste Franchise für medizinische Ausrüstung verfügte.

Ich hatte der Financial Times ein ausführliches Interview gegeben, das Bestandteil eines Sonderbeitrags über mich und die drei anderen gaijin Firmenchefs war: Howard Stringer bei Sony, Carlos Ghosn bei Nissan und Craig Naylor bei Nippon Sheet Glass. „Wäre ich Japaner gewesen, wäre ich jetzt nicht Vorstandschef“, hatte ich dem Korrespondenten des Blattes, Jonathan Soble, erzählt. Ich beschrieb mich als „rationalistischen und hartnäckigen Problemlöser, einen Hund, der seinen Knochen nicht wieder hergibt“, und spekulierte, dass meine direkte, unverblümte Art mich in Japan zum Außenseiter gemacht hatte, wo kultureller Druck dafür sorgt, dass Konsens und die Beachtung der Hierarchien als höchste Güter betrachtet werden. „Die Japaner haben ein Sprichwort“, hatte ich Soble erinnert: „Wenn du der Nagel bist, der hervorsteht, wirst du runtergehämmert.“

Und Soble, der mich als faszinierendes Thema zu betrachten schien, fuhr fort: „Aber während auch Mr Woodford sich seinen Ruf dadurch erwarb, dass er überflüssigen Speck abschnitt – eine Zeitlang wurde er ‹Darth Vader› genannt, in Anspielung auf Mr Ghosns ‹le cost killer› –, spiegelt sein Lebenslauf die wachsende Unterschiedlichkeit der gaijin Bosse in Japan wider. Vor allem ist er kein Firmenfremder bei Olympus, sondern hat schon 30 Jahre für das Unternehmen gearbeitet und als junger Vertreter bei einem europäischen Unternehmen für medizinische Geräte angefangen, an dem die japanische Gruppe beteiligt war.“

Ich machte Soble klar, dass ich harte Entscheidungen zu treffen hatte: „Harmonie und Konsens haben ihren Ort und ihre Zeit, aber Überprüfen und Herausfordern – Advocatus Diaboli, wie immer Sie es nennen wollen – führen zu besseren Entscheidungen. Sie müssen sowohl in der Lage sein, auf Konfrontation zu gehen, als auch ‹Oi!› zu sagen, weil ein guter Teil Ihres Managements außerhalb Japans stattfinden wird.“

Unterstützt durch positive Medienberichte wie diese, schien es mit meiner Akzeptanz als Vorstandschef gut zu laufen. Die Botschaft der Veränderung kam sowohl bei den Mitarbeitern als auch bei den Aktionären an. Bei der Jahreshauptversammlung im Juni 2011, dem wichtigsten Ereignis im Terminkalender eines Unternehmens, erhielt ich mehr wohlwollende Stimmen der Aktionäre als jeder andere Direktor. Die letzten Weihen erhielt ich bei meiner offiziellen Amtseinführung am 12. Juli 2011 im Imperial Hotel in Tokio, wo ich im Frack erscheinen sollte, um der Welt vorgestellt zu werden. Die Prominenz war geladen. Jetzt lag alles an mir.

Es würde kein leichter Job werden, aber in den Monaten vor meiner offiziellen Ernennung zum Vorstandsvorsitzenden hatte ich ein über die Welt verteiltes Managementteam zusammengestellt, von dem ich wusste, dass es liefern konnte und vertrauenswürdig war. Es war von entscheidender Bedeutung, rasch die Kosten zu senken, und das beinhaltete unvermeidlich auch den Umgang mit sensiblen zwischenmenschlichen Themen, namentlich Entlassungen, ein Thema, das für Japaner besonders schwierig ist.

Ich fand heraus, dass man in Japan, wenn man die anstehenden Dinge auf rationale und logische Weise erklärte, zumindest auf der mittleren Managementebene Verständnis dafür erzielen konnte, dass durch die schwierigen Entscheidungen letztlich die Zukunftsaussichten des Unternehmens als Ganzes verbessert wurden – es gestärkt wurde. Viele der mittleren Manager in Tokio griffen diesen neuen Ansatz auf, auch wenn die Herren in den grauen Anzügen auf der Ebene der Firmenleitung wohl lieber den Status quo beibehalten hätten. Dennoch machte ich rasche Fortschritte und war entschlossen, das Potenzial des Betriebes auszuschöpfen.

In den ersten Wochen als Vorstandschef hatte ich ein unternehmensweites Programm mit dem Namen „Cost Cutting 20“ eingeführt, mit dem das Verhältnis der Verkaufs-, Gemein- und Verwaltungskosten (mit Ausnahme der Forschung und Entwicklung) zu den Umsätzen bei Olympus binnen vier Jahren um 20 Prozent gesenkt werden sollte. Ich diskutierte das öffentlich und detailliert auf einer Reihe von Präsentationen mit Finanzexperten, die meine Logik leicht verstanden, dass durch eine Reform der inneren Strukturen und Abläufe des Unternehmens enormes Potenzial entstand, an die aufgeblähte Kostenbasis heranzukommen. Wir brauchten eine Organisation, die die internationale Natur des Geschäfts widerspiegelte und die nationalen Grenzen zwar respektierte, sich aber nicht durch sie einengen ließ. Logistik ist ein hervorragendes Beispiel dafür, dass es weit attraktiver sein kann, ein Produkt direkt von der Fabrik an den Kunden zu liefern, statt es erst durch die internen regionalen und landesweiten Strukturen laufen zu lassen. Kosten zu reduzieren hat in Japan negative Konnotationen, und meine Botschaft an die Mitarbeiter war einfach. Wenn wir die Bürokratie-Kosten kräftig beschnitten, könnten wir bewahren und ausbauen, was wirklich wichtig war: Produkte zu entwerfen und herzustellen, die die Leute auch kaufen wollten. Ich stellte ein kleines Managementteam zusammen, das dieses globale Programm überwachen sollte, und wir sahen rasche Fortschritte. Wenn man nicht in Verallgemeinerungen sprach, sondern sich auf das Konkrete konzentrierte, verstanden es die Leute. Nach wenigen Monaten gab es ein allgemeines Verständnis dafür, dass die Versuchung, den Status quo zu erhalten, das eigentliche Hindernis für das künftige Wohlergehen des Unternehmens war.

Ich verbrachte jetzt mehr Zeit in Tokio, einer Stadt, die ich schon immer gemocht hatte – die Leute, ihre Größe, die Konformität, und natürlich das Essen. 35 Millionen Menschen leben und arbeiten in der japanischen Hauptstadt. Sie ist so gewaltig groß, dass niemand genau weiß, wo sie beginnt und endet. Die flache Ebene, auf der sie gegründet wurde, ist schon lange mit Menschen gefüllt. Inzwischen klettert sie auch die Berge im Westen hoch, und in der Tokyo Bay im Osten wird dem Wasser gierig Land abgerungen. Stadtführer sind schon veraltet, kaum dass sie gedruckt werden.

Einstöckige Einfamilienhäuser mit liebevoll gepflegten Dachgärten kuscheln sich an Wolkenkratzer. Die Zimmer in den Häusern sind klein, und selbst Schlafzimmer haben oft nicht genug Platz, um permanent ein Bett aufzustellen: Um das müde Haupt zu betten, rollt man abends den Futon aus, und morgens rollt man ihn wieder zusammen. Über und unter dir ist ständig Bewegung. Und es gibt keinen Platz. Wer nicht reich ist und über entsprechende Mittel verfügt, sich auszubreiten – ein wenig Ellbogenfreiheit zu gewinnen –, lebt ständig Wange an Wange mit anderen, in der U-Bahn, auf dem Bürgersteig, beim Jogging im Park, in den Bars. Fast überall.

Auf so engem Raum müssen die Menschen miteinander klarkommen und sich höflich zueinander verhalten. Mir gefällt das hohe Niveau von Höflichkeit und Benehmen. Einige Frauen in meinem Freundeskreis werden entsetzt sein, aber ich gebe zu, dass ich es genieße, wenn man bei All Nippon Airways (ANA) zu seinem Platz in der ersten Klasse geführt wird und die Stewardess sich vor einen hinkniet, um einem die Slipper anzuziehen. Den Leuten ist es wichtig, wie sie andere behandeln.

Meine Sekretärinnen in Europa haben sich noch nie verbeugt, wenn ich das Büro verließ; meine Assistentin Michiko in Tokio machte das. Sie war Chefstewardess in der ersten Klasse bei Cathay Pacific gewesen. Nach ein paar Wochen sagte ich ihr, dass sie bitte nicht rückwärts aus meinem Büro gehen solle, und dass sie mich einfach Michael nennen könne, was sie schließlich auch irgendwann tat.

Ich liebe die Landschaft, die Berge und die heißen Quellen. Ich liebe die Hochgeschwindigkeitszüge, die immer pünktlich abfahren und ankommen. Ich liebe die Kultur, die hinter dem japanischen Stereotyp des roboterhaften Gehaltsempfängers steckt, der seine Abende bei Sake und Karaoke verbringt; ich habe enge Freundschaften mit einigen Menschen geschlossen, mit denen ich für den Rest meines Lebens verbunden sein werde. Jemand hat einmal gesagt: „Wenn du erwartest, dass Japan sehr westlich geworden sei, wirst du staunen, wie östlich es noch ist. Wenn du erwartest, dass es sehr östlich sei, wirst du entsetzt sein, wie westlich es geworden ist.“ Ich weiß, wie das gemeint ist.

Ich hätte keine Probleme, hier zu leben. Zuvor hatte ich immer im Park Hyatt übernachtet, einem Hotel, das durch Sofia Coppolas Film Lost in Translation bekannt geworden ist. Es war mir zum zweiten Zuhause geworden, mit seinem modernen Design und seinem Farbschema in braun und beige, mit seinem äußerst aufmerksamen Personal und seinem Wahnsinnspool auf der 47. Etage mit den deckenhohen Glasfenstern, in dem Bill Murray oder Scarlett Johansson gerne mal eine Runde schwimmen gehen, weil sie, Jetlag-geplagt, immer schon um 20 nach vier wach sind. In der New York Bar and Grill hoch oben in der 52. Etage mit Blick über die blinkenden Lichter von Tokyo by Night verzehren hohe Tiere der Geschäftswelt teure Kobe-Steaks, in Begleitung attraktiver junger Frauen, von denen die Gattinnen daheim nichts ahnen.

Um den japanischen Kollegen gegenüber mein Engagement zu demonstrieren, hatte ich ein Apartment im Distrikt Shibuya in einem schicken Neubauviertel namens Grosvenor Place gemietet. Es kostete ein wahres Vermögen, war aber komfortabel, hatte eine Dachterrasse und lag in der Nähe des größten Bahnhofs und der belebtesten Einkaufsviertel der Stadt. Die besten Touristenfotos zeigen immer Shibuya im Hintergrund. Typischerweise sind Apartments in Tokio eine winzige und enge Angelegenheit, weil Immobilien so kostspielig sind. Aber meines war ungewöhnlich groß und schön ausgestattet. Vor allem aber war es groß genug, um auch Freunde und Familie unterzubringen und ihnen zu ermöglichen, Zeit mit mir zu verbringen und die Metropole auf eigene Faust zu entdecken.

Ich war allein nach Japan gezogen, Nuncy war noch nicht bereit, mir nachzuziehen, sondern behielt erst einmal noch unsere Wohnung in England als unsere Hauptbasis. Unsere Kinder Edward (18) und Isabel (16) gingen noch zur Schule, unser Sohn stand kurz vor dem Schritt an die Uni, unsere Tochter sollte bald Internatsschülerin an einer Hogwarts-ähnlichen Einrichtung werden. Mein Plan war: Ich wollte jeden Tag einschließlich Wochenenden 14 bis 16 Stunden unter Volldampf und ohne jede Ablenkung in Tokio arbeiten. Etwa alle zwei Wochen wollte ich dann über London zurückfliegen, um die europäischen oder US-amerikanischen Vorstandssitzungen zu leiten, was mir einen Besuch zu Hause gestatten würde. In den Schulferien könnten die Woodfords in Tokio zusammen sein, und Nuncy würde zu Besuch kommen, wann immer sie konnte.

Ich war 50. Nachdem ich die Schule in Liverpool mit 16 und recht bescheidener akademischer Qualifikation verlassen hatte, war ich seit dem Eintritt bei Olympus als Vertreter die Karriereleiter immer weiter hinaufgestiegen. Ich war nun bereit für die ultimative Herausforderung: das Unternehmen zu leiten, in dem ich fast meine gesamte Laufbahn verbracht hatte. Ein neues Leben würde bei mir das ganze System neu starten und meine Sinne neu schärfen. Ich hatte nie vergessen, wie viel Glück ich gehabt hatte, und wusste sehr gut, wie anders alles hätte laufen können. Ich war mir auch darüber bewusst, dass mein Glück exponentiell zugenommen hatte.

Aber mein Glück war durch die Facta-Enthüllungen gestört worden. An dem Abend, als wir an der Küste angekommen waren, blieben wir drei lange wach in unserem Ryokan-Hotel an den heißen Quellen, ließen uns Zeit beim Abendessen und saßen noch spät nachts bei Drinks zusammen, bis das Vogelgezwitscher unsere Gespräche unterbrach und wir müde, aber angespannt zu Bett gingen. Ich lag noch eine Weile wach und überlegte, was wohl der Mainstream der japanischen Presse aus der Facta-Story machen würde. Es konnte nur eine Frage der Zeit sein, bis die Schlagzeilen auftauchten. Wir konnten nichts tun als abwarten.