Friedrich Schiller 

Wilhelm Tell

Schauspiel

Tübingen 1804

 

Herausgegeben von Joseph Kiermeier-Debre

Originalausgabe 1998
© Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

eBook ISBN 978-3-423-40346-7 (epub)
ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-02647-5

Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website

www.dtv.de

Inhaltsübersicht

Personen

Erster Aufzug

Erste Scene

Zweite Scene

Dritte Scene

Vierte Scene

Zweiter Aufzug

Erste Scene

Zweyte Scene

Dritter Aufzug

Erste Scene

Zweite Scene

Dritte Scene

Vierter Aufzug

Erste Scene

Zweyte Scene

Dritte Scene

Fünfter Aufzug

Erste Scene

Zweite Scene

Letzten Scene

Zu dieser Ausgabe

Zur Textgestalt

Glossar

Daten zu Leben und Werk

Wilhelm Tell

Der Nachdruck des Textes folgt originalgetreu

der Erstausgabe von 1804.

Die Originalpaginierung wird im fortlaufenden Text vermerkt.

Der Anhang gibt Auskunft zu Autor undWerk.

 

 

PERSONEN

HERRMANN GESSLER, Reichsvogt in Schwyz und Uri

WERNER, Freiherr von ATTINGHAUSEN, Bannerherr

ULRICH VON RUDENZ, sein Neffe

 

Landleute aus Schwytz:

WERNER STAUFFACHER

KONRAD HUNN

ITEL REDING

HANS AUF DER MAUER

JÖRG IM HOFE

ULRICH DER SCHMIDT

JOST VON WEILER

 

aus Uri:

WALTHER FÜRST

WILHELM TELL

RÖSSELMAN der Pfarrer

PETERMANN der Sigrist

KUONI der Hirte

WERNI der Jäger

RUODI der Fischer

 

aus Unterwalden:

ARNOLD VOM MELCHTHAL

KONRAD BAUMGARTEN

MEIER VON SARNEN

STRUTH VON WINKELRIED

KLAUS VON DER FLÜE

BURKHARDT AM BÜHEL

 

ARNOLD VON SEWA

PFEIFER VON LUCERN

KUNZ VON GERSAU

JENNY Fischerknabe

SEPPI Hirtenknabe

GERTRUD Stauffachers Gattinn

HEDWIG Tells Gattinn, Fürsts Tochter

BERTHA VON BRUNEK eine reiche Erbin

 

Bäuerinnen:

ARMGARD

MECHTHILD

ELSBETH

HILDEGARD

 

Tells Knaben:

WALTHER

WILHELM

 

Söldner:

FRIESSHARDT

LEUTHOLD

 

RUDOLPH DER HARRAS Geßlers Stallmeister

JOHANNES PARRICIDA Herzog von Schwaben

STÜSSI der Flurschütz

DER STIER VON URI

EIN REICHSBOTE

FROHNVOGT

MEISTER STEINMETZ, GESELLEN und HANDLANGER

OEFFENTLICHE AUSRUFER

GESSLERISCHE UND LANDENBERGISCHE REITER

VIELE LANDLEUTE, MÄNNER UND WEIBER AUS DEN WALDSTÄTTEN.

 

ERSTER AUFZUG

ERSTE SCENE

 

Hohes Felsenufer des Vierwaldstättensees, Schwytz gegenüber. Der See macht eine Bucht ins Land, eine Hütte ist unweit dem Ufer, Fischerknabe fährt sich in einem Kahn. Ueber den See hinweg sieht man die grünen Matten, Dörfer und Höfe von Schwytz im hellen Sonnenschein liegen. Zur linken des Zuschauers zeigen sich die Spitzen des Haken, mit Wolken umgeben; zur rechten im fernen Hintergrund sieht man die Eisgebirge. Noch ehe der Vorhang aufgeht, hört man den Kuhreihen und das harmonische Geläut der Heerdenglocken, welches sich auch bei eröfneter Scene noch eine Zeitlang fortsezt.

 

FISCHERKNABE singt im Kahn

(Melodie des Kuhreihens)

Es lächelt der See, er ladet zum Bade,

Der Knabe schlief ein am grünen Gestade,

Da hört er ein Klingen,

Wie Flöten so süß,

Wie Stimmen der Engel

Im Paradieß.

|2| Und wie er erwachet in seliger Lust,

Da spühlen die Wasser ihm um die Brust,

Und es ruft aus den Tiefen:

Lieb Knabe, bist mein!

Ich locke den Schläfer,

Ich zieh ihn herein.

 

Hirte (auf dem Berge)

(Variation des Kuhreihens)

Ihr Matten lebt wohl,

Ihr sonnigen Weiden!

Der Senne muß scheiden,

Der Sommer ist hin.

Wir fahren zu Berg, wir kommen wieder,

Wenn der Kukuk ruft, wenn erwachen die Lieder,

Wenn mit Blumen die Erde sich kleidet neu,

Wenn die Brünnlein fließen im lieblichen May.

Ihr Matten lebt wohl,

Ihr sonnigen Weiden!

Der Senne muß scheiden,

Der Sommer ist hin.

 

|3| Alpenjäger (erscheint gegenüber auf der Höhe des Felsen)

(Zweite Variation)

Es donnern die Höhen, es zittert der Steg,

Nicht grauet dem Schützen auf schwindlichtem Weg,

Er schreitet verwegen

Auf Feldern von Eis,

Da pranget kein Frühling,

Da grünet kein Reis;

Und unter den Füssen ein neblichtes Meer,

Erkennt er die Städte der Menschen nicht mehr,

Durch den Riß nur der Wolken

Erblickt er die Welt,

Tief unter den Wassern

Das grünende Feld.

(Die Landschaft verändert sich, man hört ein dumpfes Krachen von den Bergen, Schatten von Wolken laufen über die Gegend) Ruodi der Fischer kommt aus der Hütte, Werni der Jäger steigt vom Felsen, Kuoni der Hirte kommt, mit dem Melknapf auf der Schulter. Seppi sein Handbube, folgt ihm)

 

|4| RUODI

Mach hurtig Jenny. Zieh die Naue ein.

Der graue Thalvogt kommt, dumpf brüllt der Firn,

Der Mytenstein zieht seine Haube an,

Und kalt her bläßt es aus dem Wetterloch,

Der Sturm, ich meyn’, wird da seyn, eh’ wirs denken.

 

KUONI

’s kommt Regen, Fährmann. Meine Schaafe fressen

Mit Begierde Gras, und Wächter scharrt die Erde.

 

WERNI

Die Fische springen, und das Wasserhuhn

Taucht unter. Ein Gewitter ist im Anzug.

 

KUONI (zum Buben)

Lug’ Seppi, ob das Vieh sich nicht verlaufen.

 

SEPPI

Die braune Lisel kenn ich am Geläut.

 

KUONI

So fehlt uns keine mehr, die geht am weitsten.

 

RUODI

Ihr habt ein schön Geläute, Meister Hirt.

 

|5| WERNI

Und schmuckes Vieh – Ists euer eignes, Landsmann?

 

KUONI

Bin nit so reich – ’s ist meines gnäd’gen Herrn,

Des Attinghäusers, und mir zugezählt.

 

RUODI

Wie schön der Kuh das Band zu Halse steht!

 

KUONI

Das weiß sie auch, daß sie den Reihen führt,

Und nähm ich ihr’s, sie hörte auf zu fressen.

 

RUODI

Ihr seid nicht klug! Ein unvernünft’ges Vieh –

 

WERNI

Ist bald gesagt. Das Thier hat auch Vernunft,

Das wissen w i r, die wir die Gemsen jagen,

Die stellen klug, wo sie zur Weide gehn,

‘ne Vorhut aus, die spizt das Ohr und warnet

Mit heller Pfeife, wenn der Jäger naht.

 

RUODI (zum Hirten)

Treibt ihr jetzt heim?

 

|6| KUONI

Die Alp ist abgeweidet.

 

WERNI

Glücksel’ge Heimkehr, Senn!

 

KUONI

Die wünsch ich Euch,

Von eurer Fahrt kehrt sich’s nicht immer wieder.

 

RUODI

Dort kommt ein Mann in voller Hast gelaufen.

 

WERNI

Ich kenn’ ihn, ’s ist der Baumgart von Alzellen.

 

Konrad Baumgarten (athemlos hereinstürzend)

 

BAUMGARTEN

Um Gottes willen, Fährmann, euren Kahn!

 

RUODI

Nun, nun, was giebts so eilig?

 

BAUMGARTEN

Bindet los!

Ihr rettet mich vom Tode! Sezt mich über!

 

KUONI

Landsmann, was habt ihr?

 

|7| WERNI

Wer verfolgt euch denn?

 

BAUMGARTEN (zum Fischer)

Eilt, eilt, sie sind mir dicht schon an den Fersen!

Des Landvogts Reiter kommen hinter mir,

Ich bin ein Mann des Tods, wenn sie mich greifen.

 

RUODI

Warum verfolgen euch die Reisigen?

 

BAUMGARTEN

Erst rettet mich, und dann steh ich euch Rede.

 

WERNI

Ihr seid mit Blut befleckt, was hat’s gegeben?

 

BAUMGARTEN

Des Kaisers Burgvogt, der auf Roßberg saß –

 

KUONI

Der Wolfenschießen! Läßt euch der verfolgen?

 

BAUMGARTEN

Der schadet nicht mehr, ich hab’ ihn erschlagen.

 

ALLE (fahren zurück)

Gott sey euch gnädig! Was habt ihr gethan?

 

|8| BAUMGARTEN

Was jeder freie Mann an meinem Platz!

Mein gutes Hausrecht hab’ ich ausgeübt

Am Schänder meiner Ehr’ und meines Weibes.

 

KUONI

Hat euch der Burgvogt an der Ehr’ geschädigt?

 

BAUMGARTEN

Daß er sein bös Gelüsten nicht vollbracht,

Hat Gott und meine gute Axt verhütet.

 

WERNI

Ihr habt ihm mit der Axt den Kopf zerspalten?

 

KUONI

O laßt uns alles hören, ihr habt Zeit,

Bis er den Kahn vom Ufer los gebunden.

 

BAUMGARTEN

Ich hatte Holz gefällt im Wald, da kommt

Mein Weib gelaufen in der Angst des Todes.

„Der Burgvogt lieg’ in meinem Haus, er hab’

Ihr anbefohlen, ihm ein Bad zu rüsten.

Drauf hab’ er Ungebührliches von ihr

Verlangt, sie sey entsprungen mich zu suchen.“

|9| Da lief ich frisch hinzu, so wie ich war,

Und mit der Axt hab’ ich ihm ’s Bad gesegnet.

 

WERNI

Ihr thatet wohl, kein Mensch kann euch drum schelten.

 

KUONI

Der Wütherich! Der hat nun seinen Lohn!

Hat’s lang verdient ums Volk von Unterwalden.

 

BAUMGARTEN

Die That ward ruchtbar, mir wird nachgesezt –

Indem wir sprechen – Gott – verrinnt die Zeit –

 

(es fangt an zu donnern)

 

KUONI

Frisch Fährmann – Schaff den Biedermann hinüber.

 

RUODI

Geht nicht. Ein schweres Ungewitter ist

Im Anzug. Ihr müßt warten.

 

BAUMGARTEN

Heilger Gott!

Ich kann nicht warten. Jeder Aufschub tödet –

 

|10| KUONI (zum Fischer)

Greif an mit Gott, dem Nächsten muß man helfen,

Es kann uns allen Gleiches ja begegnen.

 

(Brausen und Donnern)

 

RUODI

Der Föhn ist los, ihr seht wie hoch der See geht,

Ich kann nicht steuern gegen Sturm und Wellen.

 

BAUMGARTEN (umfaßt seine Knie)

So helf euch Gott, wie ihr euch mein erbarmet –

 

WERNI

Es geht ums Leben, sei barmherzig, Fährmann.

 

KUONI

’s ist ein Hausvater, und hat Weib und Kinder!

 

(wiederholte Donnerschläge)

 

RUODI

Was? Ich hab’ auch ein Leben zu verlieren,

Hab’ Weib und Kind daheim, wie er – Seht hin

Wie’s brandet, wie es wogt und Wirbel zieht,

Und alle Wasser aufrührt in der Tiefe.

– Ich wollte gern den Biedermann erretten,

Doch es ist rein unmöglich, ihr seht selbst.

 

|11| BAUMGARTEN (noch auf den Knien)

So muß ich fallen in des Feindes Hand,

Das nahe Rettungsufer im Gesichte!

– Dort liegt’s! Ich kann’s erreichen mit den Augen,

Hinüberdringen kann der Stimme Schall,

Da ist der Kahn, der mich hinübertrüge,

Und muß hier liegen, hülflos, und verzagen!

 

KUONI

Seht wer da kommt!

 

WERNI

Es ist der Tell aus Bürglen.

 

Te ll mit der Armbrust.

 

TELL

Wer ist der Mann, der hier um Hülfe fleht?

 

KUONI

’s ist ein Alzeller Mann, er hat sein’ Ehr

Vertheidigt, und den Wolfenschieß erschlagen,

Des Königs Burgvogt, der auf Roßberg saß –

Des Landvogts Reiter sind ihm auf den Fersen,

Er fleht den Schiffer um die Ueberfahrt,

Der fürcht’t sich vor dem Sturm und will nicht fahren.

 

|12| RUODI

Da ist der Tell, er führt das Ruder auch,

Der soll mirs zeugen, ob die Fahrt zu wagen.

 

(heftige Donnerschläge, der See rauscht auf)

 

RUODI

Ich soll mich in den Höllenrachen stürzen?

Das thäte keiner, der bei Sinnen ist.

 

TELL

Der brave Mann denkt an sich selbst zulezt,

Vertrau auf Gott und rette den Bedrängten.

 

RUODI

Vom sichern Port läßt sich’s gemächlich rathen,

Da ist der Kahn und dort der See! Versuchts!

 

TELL

Der See kann sich, der Landvogt nicht erbarmen,

Versuch es Fährmann!

 

HIRTEN UND JÄGER

Rett ihn! Rett ihn! Rett ihn!

 

RUODI

Und wär’s mein Bruder und mein leiblich Kind,

|13| Es kann nicht seyn, ’s ist heut Simons und Judä,

Da ras’t der See und will sein Opfer haben.

 

TELL

Mit eitler Rede wird hier nichts geschafft,

Die Stunde dringt, dem Mann muß Hülfe werden.

Sprich, Fährmann, willst du fahren?

 

RUODI

Nein, nicht ich!

 

TELL

In Gottes Nahmen denn! Gieb her den Kahn,

Ich wills mit meiner schwachen Kraft versuchen.

 

KUONI

Ha wackrer Tell!

 

WERNI

Das gleicht dem Waidgesellen!

 

BAUMGARTEN

Mein Retter seid ihr und mein Engel, Tell!

 

TELL

Wohl aus des Vogts Gewalt errett ich euch,

Aus Sturmes Nöthen muß ein Andrer helfen.

|14| Doch besser ist’s, ihr fallt in Gottes Hand,

Als in der Menschen!

(zu dem Hirten)

Landsmann, tröstet ihr

Mein Weib, wenn mir was menschliches begegnet,

Ich hab’ gethan, was ich nicht lassen konnte.

(er springt in den Kahn)

 

KUONI (zum Hirten [Fischer])

Ihr seid ein Meister Steuermann. Was sich

Der Tell getraut, das konntet ihr nicht wagen?

 

RUODI

Wohl beßre Männer thuns dem Tell nicht nach,

Es giebt nicht zwey, wie der ist, im Gebirge.

 

WERNI (ist auf den Fels gestiegen)

Er stößt schon ab. Gott helf dir, braver Schwimmer

Sieh, wie das Schifflein auf den Wellen schwankt!

 

KUONI (am Ufer)

Die Flut geht drüber weg – Ich seh’s nicht mehr.

Doch halt, da ist es wieder! Kräftiglich

Arbeitet sich der Wackre durch die Brandung.

 

|15| SEPPI

Des Landvogts Reiter kommen angesprengt.

 

KUONI

Weiß Gott, sie sinds! das war Hülf in der Noth[.]

 

Ein Trupp Landenbergischer Reiter.

 

ERSTER REITER

Den Mörder gebt heraus, den ihr verborgen.

 

ZWEITER

Des Wegs kam er, umsonst verhehlt ihr ihn.

 

KUONI UND RUODI

Wen meint ihr, Reiter?

 

ERSTER REITER (entdeckt den Nachen)

Ha, was seh ich! Teufel!

 

WERNI (oben)

Ist’s der im Nachen, den ihr sucht? – Reit zu!

Wenn ihr frisch beilegt, hohlt ihr ihn noch ein.

 

ZWEITER

Verwünscht! Er ist entwischt.

 

ERSTER (zum Hirten und Fischer)

Ihr habt ihm fortgeholfen,

|16| Ihr sollt uns büßen – Fallt in ihre Heerde!

Die Hütte reißet ein, brennt und schlagt nieder!

 

(eilen fort.)

 

SEPPI (stürzt nach)

O meine Lämmer!

 

KUONI (folgt)

Weh mir! Meine Heerde!

 

WERNI

Die Wüthriche!

 

RUODI (ringt die Hände)

Gerechtigkeit des Himmels,

Wann wird der Retter kommen diesem Lande?

(folgt ihnen)

ZWEITE SCENE

Zu Steinen in Schwytz. Eine Linde vor des Stauffachers Hause an der Landstraße, nächst der Brücke.

 

WERNER STAUFFACHER. PFEIFFER VON LUZERN kommen im Gespräch.

 

PFEIFFER

Ja, ja Herr Stauffacher, wie ich euch sagte.

|17| Schwört nicht zu Oestreich, wenn ihrs könnt vermeiden.

Haltet fest am Reich und wacker wie bisher,

Gott schirme euch bei eurer alten Freiheit!

(drückt ihm herzlich die Hand und will gehen)

 

STAUFFACHER

Bleibt doch, bis meine Wirthin kommt – Ihr seid

Mein Gast zu Schwytz, ich in Lucern der Eure.

 

PFEIFFER

Viel Dank! Muß heute Gersau noch erreichen.

– Was ihr auch schweres mögt zu leiden haben

Von eurer Vögte Geiz und Uebermuth,

Tragt’s in Geduld! Es kann sich ändern, schnell,

Ein andrer Kaiser kann an’s Reich gelangen.

Seid ihr erst Oesterreichs, seid ihrs auf immer.

(er geht ab. Stauffacher sezt sich kummervoll auf eine Bank unter der Linde. So findet ihn Gertrud, seine Frau, die sich neben ihn stellt, und ihn eine Zeitlang schweigend betrachtet)

 

GERTRUD

So ernst, mein Freund? Ich kenne dich nicht mehr.

Schon viele Tage seh’ ich’s schweigend an,

|18| Wie finstrer Trübsinn deine Stirne furch’t.

Auf deinem Herzen drückt ein still Gebresten,

Vertrau es mir, ich bin dein treues Weib,

Und meine Hälfte fodr’ ich deines Grams.

(Stauffacher reicht ihr die Hand und schweigt)

Was kann dein Herz beklemmen, sag es mir.

Gesegnet ist dein Fleiß, dein Glücksstand blüht,

Voll sind die Scheunen, und der Rinder Schaaren,

Der glatten Pferde wohl genährte Zucht

Ist von den Bergen glücklich heimgebracht

Zur Winterung in den bequemen Ställen.

– Da steht dein Haus, reich, wie ein Edelsitz,

Von schönem Stammholz ist es neu gezimmert

Und nach dem Richtmaaß ordentlich gefügt,

Von vielen Fenstern glänzt es wohnlich, hell,

Mit bunten Wappenschildern ist’s bemahlt,

Und weisen Sprüchen, die der Wandersmann

Verweilend liest und ihren Sinn bewundert.

 

STAUFFACHER

Wohl steht das Haus gezimmert und gefügt,

Doch ach – es wankt der Grund, auf den wir bauten.

 

|19| GERTRUD

Mein Werner sage, wie verstehst du das?

 

STAUFFACHER

Vor dieser Linde saß ich jüngst wie heut,

Das schön vollbrachte freudig überdenkend,

Da kam daher von Küssnacht, seiner Burg,

Der Vogt mit seinen Reisigen geritten.

Vor diesem Hause hielt er wundernd an,

Doch ich erhub mich schnell, und unterwürfig

Wie sich’s gebührt, trat ich dem Herrn entgegen,

Der uns des Kaisers richterliche Macht

Vorstellt im Lande. Wessen ist dieß Haus?

Fragt’ er bösmeinend, denn er wußt es wohl.

Doch schnell besonnen ich entgegn’ ihm so:

Dieß Haus, Herr Vogt, ist meines Herrn des Kaisers,

Und Eures und mein Lehen – da versezt er:

„Ich bin Regent im Land an Kaisers Statt,

Und will nicht, daß der Bauer Häuser baue

Auf seine eigne Hand, und also frey

Hinleb’, als ob er Herr wär in dem Lande,

Ich werd’ mich unterstehn, euch das zu wehren.“

|20| Dieß sagend ritt er trutziglich von dannen,

Ich aber blieb mit kummervoller Seele,

Das Wort bedenkend, das der Böse sprach.

 

GERTRUD

Mein lieber Herr und Ehewirth! Magst du

Ein redlich Wort von deinem Weib vernehmen?

Des edeln Ibergs Tochter rühm ich mich,

Des viel erfahrnen Mann’s. Wir Schwestern saßen,

Die Wolle spinnend, in den langen Nächten,

Wenn bei dem Vater sich des Volkes Häupter

Versammelten, die Pergamente lasen

Der alten Kaiser, und des Landes Wohl

Bedachten in vernünftigem Gespräch.

Aufmerkend hört’ ich da manch kluges Wort,

Was der Verständge denkt, der Gute wünscht,

Und still im Herzen hab ich mirs bewahrt.

So höre denn und acht’ auf meine Rede,

Denn was dich preßte, sieh das wußt ich längst.

– Dir grollt der Landvogt, möchte gern dir schaden,

Denn du bist ihm ein Hinderniß, daß sich

|21| Der Schwytzer nicht dem neuen Fürstenhaus

Will unterwerfen, sondern treu und fest

Beim Reich beharren, wie die würdigen

Altvordern es gehalten und gethan.–

Ists nicht so Werner? Sag es, wenn ich lüge!

 

STAUFFACHER

So ist’s, das ist des Geßlers Groll auf mich.

 

GERTRUD

Er ist dir neidisch, weil du glücklich wohnst,

Ein freier Mann auf deinem eignen Erb

– Denn Er hat keins. Vom Kaiser selbst und Reich

Trägst du dieß Haus zu Lehn, du darfst es zeigen,

So gut der Reichsfürst seine Länder zeigt,

Denn über dir erkennst du keinen Herrn

Als nur den Höchsten in der Christenheit –

Er ist ein jüngrer Sohn nur seines Hauses,

Nichts nennt er sein als seinen Rittermantel,

Drum sieht er jedes Biedermannes Glück

Mit scheelen Augen gift’ger Mißgunst an,

Dir hat er längst den Untergang geschworen –

Noch stehst du unversehrt – Willst du erwarten,

|22| Bis er die böse Lust an dir gebüßt?

Der kluge Mann baut vor.

 

STAUFFACHER

Was ist zu thun!

 

GERTRUD (tritt näher)

So höre meinen Rath! Du weist, wie hier

Zu Schwytz sich alle Redlichen beklagen

Ob dieses Landvogts Geiz und Wütherei.

So zweifle nicht, daß sie dort drüben auch

In Unterwalden und im Urner Land

Des Dranges müd sind und des harten Jochs –

Denn wie der Geßler hier, so schafft es frech

Der Landenberger drüben überm See –

Es kommt kein Fischerkahn zu uns herüber,

Der nicht ein neues Unheil und Gewalt-

Beginnen von den Vögten uns verkündet.

Drum thät es gut, daß eurer etliche,

Die’s redlich meinen, still zu Rathe giengen,

Wie man des Drucks sich möcht’ erledigen,

So acht ich wohl, Gott würd’ euch nicht verlassen,

Und der gerechten Sache gnädig seyn –

|23| Hast du in Uri keinen Gastfreund, sprich,

Dem du dein Herz magst redlich offenbaren?

 

STAUFFACHER

Der wackern Männer kenn’ ich viele dort,

Und angesehen große Herrenleute,

Die mir geheim sind und gar wohl vertraut.

(er steht auf)

Frau, welchen Sturm gefährlicher Gedanken

Weckst du mir in der stillen Brust! Mein Innerstes

Kehrst du an’s Licht des Tages mir entgegen,

Und was ich mir zu denken still verbot,

Du sprichsts mit leichter Zunge kecklich aus.

– Hast du auch wohl bedacht, was du mir räthst?

Die wilde Zwietracht und den Klang der Waffen

Rufst du in dieses friedgewohnte Thal –

Wir wagten es, ein schwaches Volk der Hirten,

In Kampf zu gehen mit dem Herrn der Welt?

Der gute Schein nur ist’s, worauf sie warten,

Um loszulassen auf dieß arme Land

Die wilden Horden ihrer Kriegesmacht,

Darinn zu schalten mit des Siegers Rechten,

|24| Und unter’m Schein gerechter Züchtigung

Die alten Freiheitsbriefe zu vertilgen.

 

GERTRUD

Ihr seid auch Männer, wisset eure Axt

Zu führen, und dem Muthigen hilft Gott!

 

STAUFFACHER

O Weib! Ein furchtbar wüthend Schreckniß ist

Der Krieg, die Heerde schlägt er und den Hirten.

 

GERTRUD

Ertragen muß man, was der Himmel sendet,

Unbilliges erträgt kein edles Herz.

 

STAUFFACHER

Dieß Haus erfreut dich, das wir neu erbauten.

Der Krieg, der ungeheure, brennt es nieder.

 

GERTRUD

Wüßt’ ich mein Herz an zeitlich Gut gefesselt,

Den Brand wärf ich hinein mit eigner Hand.

 

STAUFFACHER

Du glaubst an Menschlichkeit! Es schont der Krieg

Auch nicht das zarte Kindlein in der Wiege.

 

|25| GERTRUD

Die Unschuld hat im Himmel einen Freund!

– Sieh vorwärts, Werner, und nicht hinter dich.

 

STAUFFACHER

Wir Männer können tapfer fechtend sterben,

Welch Schicksal aber wird das Eure seyn?

 

GERTRUD

Die lezte Wahl steht auch dem Schwächsten offen,

Ein Sprung von dieser Brücke macht mich frei.

 

STAUFFACHER (stürzt in ihre Arme)

Wer solch ein Herz an seinen Busen drückt,

Der kann für Heerd und Hof mit Freuden fechten,

Und keines Königs Heermacht fürchtet er –

Nach Uri fahr’ ich stehnden Fußes gleich,

Dort lebt ein Gastfreund mir, Herr Walther Fürst,

Der über diese Zeiten denkt wie ich.

Auch find’ ich dort den edeln Bannerherrn

Von Attinghaus – obgleich von hohem Stamm

Liebt er das Volk und ehrt die alten Sitten.

Mit ihnen beiden pfleg’ ich Raths, wie man

Der Landesfeinde muthig sich erwehrt –

|26| Leb wohl – und weil ich fern bin, führe du

Mit klugem Sinn das Regiment des Hauses –

Dem Pilger, der zum Gotteshause wallt,

Dem frommen Mönch, der für sein Kloster sammelt,

Gieb reichlich und entlaß ihn wohl gepflegt.

Stauffachers Haus verbirgt sich nicht. Zu äuserst

Am ofnen Heerweg steht’s, ein wirthlich Dach

Für alle Wandrer, die des Weges fahren.

 

(indem sie nach dem Hintergrund abgehen, tritt Wilhelm Tell mit Baumgarten vorn auf die Scene)

 

TELL (zu Baumgarten)

Ihr habt jezt Meiner weiter nicht vonnöthen,

Zu jenem Hause gehet ein, dort wohnt

Der Stauffacher, ein Vater der Bedrängten.

– Doch sieh, da ist er selber – Folgt mir, kommt!

 

(gehen auf ihn zu, die Scene verwandelt sich)