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Vorwort

Dieses Buch soll der Wissensvermittlung in den grundlegenden und prüfungsrelevanten Fragen des Strafrechts im Allgemeinen Teil dienen. Der Allgemeine Teil des Strafrechts bildet letztlich die Grundlage jeder strafrechtlichen Prüfung in Studium und Beruf. Sicherheit im Umgang hiermit ist Grundvoraussetzung.

Die Verfasser sind seit vielen Jahren in der Lehre im Strafrecht/Strafprozessrecht und anderen Rechtsgebieten tätig und haben dieses Lehrbuch daher aus den Erfahrungen und Wünschen der Studierenden heraus erarbeitet.

Dieses Lehrbuch soll daher dazu dienen, mit verständlichen und klaren Erläuterungen die Angst vor dem Strafrecht (Allgemeiner Teil) zu nehmen und die Studierenden auf Klausuren, aber auch auf ihre berufliche Praxis, bestmöglich vorzubereiten. Das Lehrbuch ist „ohne weitere Schnörkel“ so aufbereitet, wie Sie den Allgemeinen Teil in der Klausur und der Praxis zu prüfen haben.

Bad Soden a. Ts., Oberursel, Juni 2018

Die Verfasser

Nutzungshinweis:

Die im Buch verwendete Schreibweise von Vorschriften (mit römischen und arabischen Ziffern)

z. B.: § 40 II 3 StGB,

ist wie folgt zu lesen:

§ 40 Abs. 2 Satz 3 StGB.

Zu den Autoren

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Dr. jur. Frank Füglein

Dr. Frank Füglein ist Richter in Frankfurt am Main und seit vielen Jahren Güterichter am größten Amtsgericht in Hessen. Er war viele Jahre Strafrichter und arbeitet auch heute noch als Haftrichter, wo er unmittelbar mit dem StGB und der StPO konfrontiert ist. Er weiß, wie gerichtliche Verfahren verlaufen und enden können und weshalb es sinnvoll ist, im Vorfeld Wissen im Strafrecht und Strafprozessrecht zu sammeln. Er ist zudem Referent, Dozent an diversen Hochschulen, Autor, Prüfer im juristischen Staatsexamen sowie Moderator und Rechtsexperte in der ZDF Sendung „Zu Recht? – Streitfälle im Fokus“.

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Sabrina Perpelitz, L.L.M.

Rechtsanwältin und Mediatorin Sabrina Perpelitz ist seit vielen Jahren erfolgreiche Rechtsanwältin, unter anderem mit dem Schwerpunkt Strafverteidigung. Zudem ist sie erfolgreich in der Konfliktbewältigung und Unternehmensoptimierung durch strukturiertes Mediationsmanagement tätig. Sie ist Dozentin an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung, Referentin und Autorin. Frau Perpelitz versteht es wie kaum eine andere, Theorie und Praxis zu lehren und so Studierende zu begeistern.

Kapitel 1

A. Aufgabe des Strafrechts

Warum lebt unsere Gesellschaft eigentlich mit dem Strafrecht? Welchen Sinn und Zweck verfolgt sie damit?

Als Strafrecht wird grundsätzlich der Teil der Rechtsordnung bezeichnet, der die Voraussetzung der Strafbarkeit sowie die einzelnen Merkmale des strafrechtlich relevanten Verhaltens festlegt und hieran bestimmte Folgen (Strafen) knüpft. Das Strafrecht ist dabei Teil des öffentlichen Rechts.

Grundsätzlich besteht ein Grundbedürfnis der Gesellschaft, die ihr innewohnenden Wertvorstellungen zu schützen. Auf der einen Seite vermag sie dies mit dem Zivilrecht zu tun, indem z. B. für erlittene Schäden Schadensersatz oder Schmerzensgeld gezahlt werden kann. Auf der anderen Seite soll der Rechtsfrieden aber auch dadurch gesichert werden, dass unsere Rechtsordnung bestimmte Taten strafrechtlich (oftmals neben dem Zivilrecht) verfolgt.1 Manchmal vermag ein zivilrechtlicher Anspruch wegen Mittellosigkeit des Anspruchsgegners nicht erfolgreich sein; der staatliche Strafanspruch kann hingegen unabhängig von Geld durchgesetzt werden.

Das Strafrecht dient damit in seiner Schutzfunktion letztendlich der Wahrung des Rechtsfriedens und sichert die elementaren Grundwerte und Rechtsgüter unserer Gesellschaft.

Diese Rechtsgüter werden unterschieden in Individualrechtsgüter, also Rechtsgüter eines jeden Einzelnen, wie z. B. Leben, Freiheit, Eigentum oder Ehre und in Universalrechtsgüter, also Rechtsgüter, die wegen ihrer besonderen Bedeutung für die Gesellschaft Rechtsschutz genießen. Dies können z. B. die Unbestechlichkeit von Amtsträgern sein oder die Zuverlässigkeit von Urkunden im Rechtsverkehr.

Zum Thema „Sinn und Zweck“ von Strafe werden verschiedene Theorien vertreten, so z. B. dass Strafe rein repressiv wirken soll, während hier unterschiedliche Auffassungen bestehen, ob der Sühnecharakter oder der Vergeltungscharakter maßgeblich sind. Dem gegenüber wird auch die Auffassung vertreten, dass Strafe präventiv wirken soll. Die Anhänger dieser Auffassung gehen davon aus, dass Strafe eine positive Generalprävention (Stärkung des Rechtsbewusstseins), eine negative Generalprävention (Abschreckung anderer durch Strafe), eine positive Spezialprävention (Besserung des Täters) und eine negative Spezialprävention (Sicherung der Gesellschaft durch Wegsperren des Täters) hat.2

Zu beachten ist, dass das Gesetzlichkeitsprinzip gilt. Das heißt, dass die Strafbarkeit eines bestimmten Handelns gesetzlich bestimmt gewesen sein muss, bevor die Tat begangen wurde. Auch die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Straffolgen müssen im Gesetz festgelegt worden sein.3

Ferner muss der Bestimmtheitsgrundsatz gewahrt sein. Das heißt, dass das jeweilige Strafgesetz hinsichtlich der Straftatbestände und auch hinsichtlich der Straffolgen ein Mindestmaß an Bestimmtheit aufweisen muss.4 Dem jeweiligen Bürger muss verständlicherweise klar sein, was erlaubt ist und was unter Strafe gestellt wird.

Auch das Rückwirkungsverbot stellt ein Grundprinzip des deutschen Strafrechts dar. Das heißt, strafbegründenden und strafschärfenden Gesetzen darf nicht rückwirkende Kraft beigemessen werden.5

Ferner muss noch das Analogieverbot beachtet werden. Das heißt, durch analoge Anwendung dürfen keine neuen Straftatbestände geschaffen werden.6

B. Die Einteilung der verschiedenen Delikte

I. Vergehen und Verbrechen

Alle Delikte werden in Vergehen und Verbrechen unterteilt.

Verbrechen und Vergehen, § 12 StGB

(1) Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind.

(2) Vergehen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder die mit Geldstrafe bedroht sind.

(3) Schärfungen oder Milderungen, die nach den Vorschriften des Allgemeinen Teils oder für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind, bleiben für die Einteilung außer Betracht.

Entscheidend bei der Unterteilung in Verbrechen und Vergehen ist dabei die abstrakt angedrohte Strafe.

II. Begehungs- und Unterlassungsdelikte

Abhängig davon, ob der strafrechtliche Tatbestand durch ein aktives Tun oder ein pflichtwidriges Unterlassen erfüllt wird, erfolgt die Einteilung in Begehungs- oder Unterlassungsdelikte.

Während „aktives Tun“ selbsterklärend ist, unterscheidet man hinsichtlich der Unterlassungsdelikte noch bezüglich der „echten Unterlassungsdelikte“ und der „unechten Unterlassungsdelikte“.7

Bei den unechten Unterlassungsdelikten ist eine sogenannte Garantenstellung erforderlich.8 Unter den Voraussetzungen des § 13 StGB steht die Nichtabwendung des tatbestandlichen Erfolgs durch den sogenannten „Garanten“ der Erfolgsbewirkung durch „aktives Tun“ gleich. Hierzu wird aber später unter der Thematik weiter ausgeführt.

Bei den echten Unterlassungsdelikten ist eine Garantenstellung nicht erforderlich. Das bloße Unterlassen einer gesetzlich bestimmten Tätigkeit reicht hier für die Strafbarkeit aus, z. B. im Rahmen der unterlassenen Hilfeleistung gemäß § 323c StGB.

Kapitel 2
Allgemeiner Aufbau vorsätzlicher, vollendeter Begehungsdelikte

Kurz und knapp empfiehlt sich grundsätzlich folgender Prüfungsaufbau für vorsätzliche, vollendete Begehungsdelikte:

I. Tatbestandsmäßigkeit

1. Objektiver Tatbestand

a) Tathandlung

b) Taterfolg

c) Kausalität

d) Objektive Zurechenbarkeit

2. Subjektiver Tatbestand = Vorsatz

a) Absicht

b) Direkter Vorsatz

c) Eventualvorsatz

d) Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit (P)

e) Weitere subjektive Tatbestandsmerkmale

II. Rechtwidrigkeit

III. Schuld

Innerhalb dieser einzelnen Abschnitte findet nun die eigentliche Prüfung statt. Im Rahmen der Rechtswidrigkeit können z. B. Rechtfertigungsgründe eine Rolle spielen, während im Rahmen der Schuld etwa Entschuldigungsgründe oder Schuldausschließungsgründe erörtert werden.

I. Tatbestandsmäßigkeit

Im Rahmen der Tatbestandsmäßigkeit sind sowohl der objektive Tatbestand als auch der subjektive Tatbestand zu prüfen.

1. Objektiver Tatbestand

a) Tathandlung und Taterfolg

Zunächst sind Tathandlung und Taterfolg objektiv zu überprüfen. Hierzu subsumieren Sie die einzelnen objektiven Tatbestandsmerkmale unter den Lebenssachverhalt. Wenn diese nicht gegeben sind, ist die Prüfung bereits beendet.

b) Kausalität

Sodann schließt sich die Prüfung der Kausalität an. Kausal im Sinne des Strafrechts ist jede Handlung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele, also jede conditio-sine-qua-non.9 Diese weite Betrachtung führt zwangsläufig zu unerträglichen Ergebnissen, da dies eine Vielzahl von Handlungen zu Straftaten macht. Auch hat diese Bedingungstheorie eine Schwachstelle da, wo Handlungen von mehreren Tätern ursächlich sind. Man stelle sich z. B. vor, der Ehemann wird sowohl von seiner Ehefrau als auch von deren Geliebten mit gleicher Dosis vergiftet. In diesem Falle könnte man sowohl das Verhalten der Ehefrau als auch das Verhalten deren Geliebten wegdenken, ohne dass der Erfolg entfiele. Dies würde bei strikter Anwendung der conditio-sine-qua-non Formel also zu einer Tat ohne Täter führen, obschon sowohl die Ehefrau als auch deren Geliebter „Täter“ sein müssten!? Daher wird diese Formel in solchen Fällen noch wie folgt ergänzt:
Von mehreren Bedingungen, die zwar alternativ, nicht aber kumulativ hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele, ist jede für sich erfolgsursächlich.10

c) Objektive Zurechnung

Es ist klar, dass die Bedingungstheorie, die nur auf die Ursächlichkeit abstellt, ein Korrektiv finden muss. Andernfalls würde eine Strafbarkeit auch bei völlig atypischen, regelwidrigen Geschehensabläufen, bei hinzutretenden Handlungen Dritter etc. bejaht werden. Man würde sich also einer permanenten Strafbarkeit aussetzen, obschon die eigene Handlung vielleicht gar keinen strafrechtlichen Erfolg hervorgebracht hätte. Der objektive Tatbestand eines Strafgesetzes kann daher nur dann erfüllt sein, wenn zwischen Handlung und Erfolg nicht nur ein ursächlicher (kausaler) Zusammenhang besteht, sondern dem Täter der konkrete Erfolg auch objektiv zugerechnet werden kann.11

Durch die Lehre der objektiven Zurechnung werden solche Verläufe strafrechtlich ausgeschlossen, die z. B. regelwidrig sind oder atypische Schadensfolgen aufweisen.

Letztlich wird hier geprüft, ob der vermeintliche Täter den tatbestandlichen Erfolg zumindest mitverursacht hat, ob dieser Erfolg objektiv voraussehbar und vermeidbar war und ob sich aufgrund eines tatbestandsadäquaten Kausalverlaufs im Schadenserfolg gerade diejenige rechtlich missbilligte Gefahr realisiert hat, die durch die Handlung des Täters geschaffen worden ist und deren Eintritt nach dem Schutzzweck der Norm vermieden werden sollte.12

Folgender „Klassiker“ soll hierbei als Erklärung dienen:

A verletzt mit Tötungsabsicht den B mit einem nicht lebensgefährlichen Messerstich. Auf dem Weg ins Krankenhaus erleidet der für den Abtransport zuständige Sanitäter einen Herzinfarkt, was dazu führt, dass die Bare mitsamt des B die Straße runter rollt und von einem Auto erfasst wird. Daran verstirbt der B.

Hier stellt sich jetzt das Problem, dass der A durch den Messerstich zwar die rechtlich missbilligte Gefahr des Todeseintritts geschaffen hat, sich jedoch nicht der konkrete Erfolg des Messerstiches in der Gefahr des Todes, sondern eine ganz andere Gefahr verwirklicht hat. Aufgrund des nicht vorhersehbaren, ungewöhnlichen Geschehensablaufes kann die Auswirkung des Herzinfarktes nebst Wegrollen der Bare etc. dem A objektiv nicht zugerechnet werden, da sich vorliegend ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, mit dem der A nicht rechnen konnte.13

Für jedermann nachvollziehbar sollte es daher sein, dass man für die Realisierung allgemeiner Lebensrisiken strafrechtlich nicht haftet. Dieser Grundsatz gilt selbstverständlich auch dann, wenn man die Situation, aus der sich das allgemeine Lebensrisiko heraus entwickelt hat, gerade kausal herbeigeführt hat.

Festzuhalten ist somit, dass ein Geschehensablauf dem Täter objektiv nicht zurechenbar ist, wenn der Erfolg eine Folge eines atypischen Kausalverlaufs ist. Atypisch ist ein Geschehensablauf grundsätzlich dann, wenn er völlig außerhalb dessen liegt, was nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung zu erwarten ist.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Lehre der objektiven Zurechnung gerade solche Fälle einer strafrechtlichen Sanktionierung entzieht, die so sehr außerhalb jeder Lebenserfahrung liegen, dass mit ihnen vernünftigerweise nicht gerechnet zu werden braucht. Ebenfalls werden Fälle erfasst, die außerhalb des menschlichen Beherrschungsvermögens liegen sowie Fälle mit ganz ungewöhnlichen, atypischen Schadensfolgen.14

Bei Dazwischentreten eines Dritten gilt hier Folgendes: Knüpft ein Dritter an eine Erstursache des Täters an und beseitigt deren Wirkung unter Eröffnung einer neuen Kausalreihe, die den Erfolg allein herbeiführt, so ist der Taterfolg dem Ersttäter nicht zuzurechnen. Anders liegt es, wenn der Dritte nur an das Handeln des Ersttäters anknüpft, dieses also die Bedingung seines eigenen Eingreifens ist. Dann bleibt auch der Ersttäter für den Taterfolg verantwortlich.

Das gilt grundsätzlich auch, wenn ein rettender Dritter die Folgen der Tat des Erstverursachers abmildern möchte, dabei aber selbst zu Schaden kommt. Hier sind Fälle von „Rettern“ denkbar, z. B. dass ein Dritter in ein in Brand gesetztes Haus eilt, um dort Personen zu retten und selbst einer Rauchgasvergiftung erliegt. Anders dagegen ist die rechtliche Situation einzuschätzen, wenn es sich um „Berufsretter“ wie Rettungskräfte der Feuerwehr handelt, die zum Einschreiten rechtlich verpflichtet sind und ihr Berufsrisiko freiwillig übernommen haben.

2. Subjektiver Tatbestand

Auch der subjektive Tatbestand muss erfüllt sein, der Täter muss also vorsätzlich gehandelt haben.

Strafbar ist gemäß § 15 StGB nur vorsätzliches Handeln, wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht.

Der Vorsatz enthält dabei ein Wissens- und ein Willenselement.15

Vorsatz bedeutet also der Wille zur Verwirklichung eines Straftatbestandes in Kenntnis aller seiner objektiven Tatumstände,16 („Wissen und Wollen“). Der Vorsatz selbst muss bei Vornahme der tatbestandlichen Ausführungshandlung vorliegen.17

Merke:
In manchen strafrechtlichen Tatbeständen werden noch zusätzliche subjektive Merkmale verlangt, wie etwa beim Diebstahl die Zueignungsabsicht. Diese sind Bestandteil des subjektiven Unrechtstatbestandes und werden selbständig neben dem „normalen“ Vorsatz geprüft.

a) Die Absicht

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