Impressum

Piroska Gavallér-Rothe

Wertschätzend Klartext reden

Autorin:

Piroska Gavallér-Rothe

www.gavaller-rothe.com

www.ecoholos-institut.org

Illustration:

Rivka Ziehler, E-Mail: rivka.ziehler@gmail.com

Layout, Satz und Umschlagsgestaltung:

Inga Sineux, www.ingasineux.de

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

2., geringfügig überarbeitete Auflage

ISBN: 978-3-749-46350-3

© 2019 Piroska Gavallér-Rothe

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung der Autorin.

Haftungshinweis: Trotz sorgfältiger inhaltlicher Kontrolle übernimmt die Autorin keine Haftung für die Inhalte externer Links. Für den Inhalt der verlinkten Seiten sind ausschließlich deren Betreiber verantwortlich.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im

Internet über www.dnb.de abrufbar.

Vorwort

Ob im Privaten oder im beruflichen Kontext: Was genau macht es aus, ob wir eine Kommunikation als gelingend erleben oder aber nicht?

Dieser Frage gehe ich seit vielen Jahren nach, indem ich meine Kommunikationsseminare oftmals mit genau dieser Frage beginne. Anhand eigener Erfahrungen können die Teilnehmenden dabei Qualitäten positiv erlebter Kommunikation sammeln, die später in der Großgruppe präsentiert werden. Das Erstaunliche an dieser Arbeit ist: Unabhängig davon, ob Führungskräfte oder Mitarbeitende, Lehrende oder Lernende, Eltern oder deren Kinder diese Fragen beantworten – die Qualitäten positiv erlebter Kommunikation sind durchgängig die gleichen. Zu den ganz besonders häufig genannten Qualitäten zählen dabei: Respektvoller Umgang, gegenseitiges Verständnis und gegenseitige Akzeptanz, Offenheit der GesprächspartnerInnen, Empathie für das Gegenüber, Klarheit hinsichtlich dessen, worum es geht sowie innere als auch äußere Ruhe.

Wollen wir unsere Kommunikation und unsere Beziehungen und somit letztlich auch die Welt, in der wir leben, positiver gestalten, so müssen wir sowohl im Innen als auch im Außen arbeiten: Im Innen geht es dabei vor allem um die Entwicklung einer inneren Haltung, die es uns ermöglicht, uns selbst und unserem Gegenüber einfühlsam und wertschätzend begegnen zu können. Darüber hinaus ist es aber ebenso wichtig, die Entwicklung einer klaren und eindeutigen Denk- und Sprechweise zu fördern. Sie soll uns dabei unterstützen, mehr und mehr Klarheit dabei zu entwickeln, worum es uns wirklich geht. Aus der Synthese dieser beiden Pole können wir dann in einen sowohl wertschätzenden als auch klar gestalteten Dialog mit unserem Gegenüber treten.

Sowohl bei der Entwicklung einer einfühlsamen und wertschätzenden Haltung als auch bei der Entwicklung einer klaren und eindeutigen Sprache werden wir durch alte und häufig dysfunktional wirkende Denk- und Sprachmuster behindert. Aus meiner vieljährigen Erfahrung bei der Entwicklung wertschätzender und klarer Kommunikationskulturen in Unternehmen, Organisationen und Schulen weiß ich allerdings: Eine tief greifende und wahrhaftige Transformation unserer Kommunikations- und (damit auch) Beziehungsgestaltung ist nicht möglich, ohne Bewusstheit für unsere oftmals unbewusst verwendeten Denk- und Sprachmuster zu entwickeln. Diese Bewusstheit reicht jedoch allein nicht aus. Zusätzlich müssen wir alternative Kommunikationsmuster erlernen, die unser Denken und unser Sprechen in neue, beziehungsförderliche Bahnen lenken. Um es von Anfang an klar zu haben: Mit Kommunikationsmustern meine ich nicht, dass wir vorgefertigte Formulierungen erlernen, die wir nach hinreichendem Training wie einstudiert abspulen können. Wenn ich von Kommunikationsmustern spreche, dann meine ich vielmehr ein Denk- und Sprachraster, welches uns dabei hilft, unser Denken und Sprechen neu auszurichten und das, was uns bewegt sowohl situativ angemessen (im Sinne von wertschätzend) als auch klar und authentisch (im Sinne von unserem wahren Selbst entsprechend) in Worte fassen und in Beziehung bringen zu können.

Haltung und Technik sind also zentral, wenn wir die Fähigkeit zu „Wertschätzend Klartext reden“ entwickeln wollen. Wie sich bei der Lektüre dieses Buches aber noch zeigen wird, kommt für „Wertschätzend Klartext reden“ ein weiterer bedeutsamer Aspekt hinzu: Die allermeisten Menschen fallen schnell aus ihren Ressourcen, wenn ihre ganz persönlichen „roten Knöpfe“ gedrückt werden. In einem solchen Fall können dann sogar „Kommunikationsprofis“ schnell in reaktive Verhaltensweisen verfallen und sich weit weg von „Wertschätzend Klartext reden“ bewegen. Für „Wertschätzend Klartext reden“ ist demnach auch bedeutsam, inwieweit Menschen bereit und fähig sind, ihre „roten Knöpfe“ so zu bearbeiten, dass sie auch in persönlich herausfordernden Situationen angemessen handlungsfähig bleiben. Daher werde ich auch ausführlich beschreiben, wie die Bearbeitung tief greifender persönlicher Verletzungen (die mit der Zeit zu den persönlichen „roten Knöpfen“ werden) gelingen kann. Im besten Fall können auf diese Weise alte Verletzungen zu persönlichen Kraftquellen werden.

Grundlage von „Wertschätzend Klartext reden“ bildet bei alledem die Gewaltfreie Kommunikation (GFK). Sie wird uns deshalb über das ganze Buch hinweg implizit (Kapitel 1 – 10) und explizit (ab Kapitel 11) begleiten. Gleichwohl handelt es sich bei „Wertschätzend Klartext reden“ um kein typisches „GFK-Lehrbuch“, in dem primär die Grundlagen der GFK vermittelt werden. Stattdessen wird die GFK – ebenso wie andere bekannte und anerkannte (kommunikations-)psychologische Ansätze – in eine weit gefasste und ganzheitliche Sichtweise auf die Mechanismen zwischenmenschlicher Kommunikations- und Beziehungsgestaltung integriert.

Ein Ziel dieses Buches ist es, die häufig unverbundenen (kommunikations-) psychologischen Ansätze in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen und dadurch ein ganzheitliches Verständnis der Wirkungsweisen gewohnter Kommunikationsmuster zu fördern. Hierbei möchte ich insbesondere aufzeigen, wie Schulz von Thuns Vier-Seiten-Modell der Kommunikation, die Transaktionsanalyse oder die Arbeit mit dem Inneren Kind durch die Integration der Grundlagen von „Wertschätzend Klartext reden“ sinnvolle Erweiterung und wirksame Vertiefung erfahren können.

Gleichzeitig soll das Buch aber auch einen umsetzungsfähigen Mehrwert generieren. Mit dem Sprachgerüst der GFK soll aufgezeigt werden, wie konkret „Wertschätzend Klartext reden“ machbar und damit sowohl im Beruf als auch im Alltag praktisch umsetzbar wird.

Und letztlich ist das Buch doch auch ein GFK-Buch. Allerdings eines, das einen erweiterten Zugang zur GFK ermöglicht. Leitfrage ist nämlich nicht „Was ist die GFK und wie funktioniert sie?“, sondern „Wie kann ich wertschätzend sein und zugleich Klartext reden?"

„Wertschätzend Klartext reden“ habe ich nicht für die „schnelle Lektüre“ zwischendurch geschrieben. Statt zu konsumieren, lade ich Sie ein, sich Zeit zu nehmen, um mitzudenken, nachzudenken und neu zu denken. In diesem Fall wird das Buch zu einer reichhaltigen Erkenntnis- und Inspirationsquelle – nicht nur für Kommunikationsprofis in beratenden und begleitenden Berufen. Insbesondere ist das Buch auch wegweisend für Menschen, die konkrete Impulse suchen für eine gelingende Kommunikation in Familie, Beruf und Alltag sowie auch für tief greifende persönliche Entwicklung und Entfaltung.

WICHTIGE ANMERKUNGEN ZUR LEKTÜRE DIESES BUCHES

Wie bereits dargelegt, ist es mir beim Verfassen dieses Buches ein besonderes Anliegen gewesen, sämtliche Inhalte, und ganz besonders den Ansatz der GFK, in einem ganzheitlichen Kontext zu setzen sowie die unterschiedlichsten (kommunikations-)psychologischen Ansätze miteinander in Verbindung zu bringen. Aus diesem Grund kommt speziell den Exkursen eine besondere Bedeutung zu.

Gleichzeitig ist mir bewusst, dass jeder Exkurs für sich einen neuen Gedankengang eröffnet und sich damit außerhalb der Stringenz der eigentlichen Thematik bewegt.

Damit Ihnen eine leichte Orientierung innerhalb des Textes möglich ist und Ihre Gedanken einem nachvollziehbaren „roten Faden“ folgen können, empfehle ich folgendes Vorgehen beim Lesen dieses Buches:

Lesen Sie das Buch – oder die einzelnen Kapitel – erst einmal ohne Exkurse und am besten von vorne nach hinten. So kann Ihr Fokus beim eigentlichen Thema bleiben und sich der grundsätzliche Gedankengang ohne Ablenkung durch die Exkurse entfalten. Die Exkurse lesen Sie am besten nach der Lektüre des jeweiligen Kapitels gesondert als kleine „Inspirationsschmankerl“ zwischendurch. Bei einer wiederholten Lektüre des Kapitels oder des Buches können Sie die Exkurse dann als „kleine Umwege zu besonderen Aussichtspunkten“ in Ihren Lesefluss integrieren.

Natürlich steht es Ihnen frei, selbst zu entscheiden, ob Sie sich an die von mir empfohlene Leseweise halten mögen und selbstverständlich können Sie das Buch auch ganz anders lesen. Damit Sie sich allerdings mit Leichtigkeit im Text orientieren können, haben alle Exkurse ein einheitliches Layout mit Rahmen und Spaltensatz erhalten. So wird auf einen Blick ersichtlich, an welcher Stelle ich in meinen Ausführungen das eigentliche Thema verlasse und auf einen anderen gedanklichen Pfad wechsle.

Außerdem werden Sie im Text verschiedene Verweise finden. Zitiere ich eine Autorin oder einen Autor, so finden Sie den dazugehörigen Verweis in den Anmerkungen, ebenso wie weitergehende Gedanken oder Anmerkungen, die ich nicht in den Haupttext aufnehmen wollte. Buchinterne Verweise habe ich im Fließtext verortet.

Einige Beispiele in diesem Buch habe ich aus meiner Begleitungstätigkeit entliehen. Hierbei war es mir außerordentlich wichtig, achtsam mit den von mir begleiteten Menschen zu sein. Die Echtfälle habe ich deshalb ausschließlich als Inspirationsquelle genutzt und diese hinsichtlich entscheidender Parameter soweit abgeändert, dass weder die von mir begleiteten Personen individuell erkennbar sind, noch ihre tatsächlichen Lebenssituationen.

ZUR FRAGE DES GENDERNS

Bei der Arbeit an „Wertschätzend Klartext reden“ habe ich mich intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit ich in diesem Buch gendern möchte. Der einfache Weg wäre es gewesen, auf das Gendern zu verzichten und die traditionelle (und damit männliche) Schreibweise zu wählen. Gendersensibilität hätte ich damit zeigen können, dass ich darauf hinweise, dass selbstverständlich auch all diejenigen Menschen in meine Aussagen inkludiert sind, die sich nicht in der männlichen Form wiederfinden. Da es bei „Wertschätzend Klartext reden“ allerdings um grundlegende Paradigmenwechsel und die tief greifende Veränderung von althergebrachten Denk- und Sprechweisen geht, war es mir wichtig, auch bei der Frage des Genderns stimmig damit zu sein, was ich in die Welt tragen möchte. Deshalb habe ich beschlossen, die Herausforderung des Genderns anzunehmen.

Was anfangs äußerst sperrig zu werden schien, hat sich schlussendlich an vielen Stellen als gar nicht so schwerfällig herausgestellt. Dies liegt insbesondere daran, dass ich festgestellt habe, dass es für mich viel einfacher ist, vom Gegenüber, der sendenden Person oder dem empfangenden Menschen zu schreiben, als mich mit dem oder der Sprecher*in, dem oder der Zuhörer*in oder dem oder der Leser*in durch den Text zu quälen. Insofern habe ich, wo es irgend ging, eine der zuvor genannten Bezeichnungen gewählt. Dabei fiel mir mit der Zeit auf, dass ich diese Formulierungen sehr zu schätzen beginne, da sie so umfassend sind, dass alle Menschen – gleich welcher inneren oder äußeren geschlechtlichen Zugehörigkeit – unter diese Begriffe subsumiert werden können. Zudem habe ich auch bemerkt, wie sich so der trennende Unterschied zwischen den Geschlechtern mehr und mehr aufhebt und der Mensch als solcher verstärkt sichtbar wird.

An Stellen, wo mir die Verwendung von „das Gegenüber“, „die Person“ oder „der Mensch“ stilistisch nicht passend erschienen, habe ich versucht, neutrale Bezeichnungen zu wählen (z.B. Studierende). Wo auch dies nicht möglich war, habe ich mir erlaubt, mit den restlichen Bezeichnungen flexibel und undogmatisch umzugehen. Deshalb finden Sie stellenweise Bezeichnungen in ihrer männlichen als auch weiblichen Form (zum Beispiel Schülerinnen und Schüler, jedoch in abwechselnder Reihung, denn wenn man sich schon auf die Gleichwertigkeit der Geschlechter beruft, dann frage ich mich schon, weshalb immer die weibliche Anrede zuerst kommen soll) oder um ein bloßes -In (zum Beispiel ZuhörerIn) ergänzt. In diesem Fall habe ich allerdings der Lesbarkeit halber auf das Gender-Sternchen verzichtet. All die Menschen, die das konsequente und achtsame Gendern an genau diesem Sternchen festmachen, bitte ich diese meine punktuelle „Strategie der Leichtigkeit“ nachzusehen. Gleichzeitig hoffe ich, dass mein guter Wille und die Ernsthaftigkeit, mit welcher ich – wo irgend möglich – achtsame Sprachgestaltung ins Leben zu tragen versuche, unabhängig von diesen sporadischen Ausnahmen gesehen und gewürdigt wird.

Nun wünsche ich Ihnen viel Spaß, erhellende Erkenntnisse und viel Inspiration bei der Lektüre meines Buches.

Herzlich,

Piroska Gavallér-Rothe

September 2019

KAPITEL 01
Wertschätzend Klartext reden,
ja geht denn das?

KAPITEL 02 Ein bisschen Theorie muss sein

KAPITEL 03
Qualitäten gelingender Kommunikation

KAPITEL 04
Wie ich denke, all-so bin ich

KAPITEL 05
Ich bin schuld, ich bin falsch

KAPITEL 06
Du bist schuld, du bist falsch

KAPITEL 07
Ich bin ok

KAPITEL 08
Du bist ok

Exkurs 30 – Achtsamkeit mit dem eigenen Seelenraum

Exkurs 31 – „Empathie blendet uns“?

KAPITEL 09
Grundlegender Paradigmenwechsel

Exkurs 36 – Gipfelerlebnisse

Exkurs 37 – Wo bin ich und wo bist du?

KAPITEL 10
Dysfunktionale Denk-
und Sprachmuster

Urteile, Vorwürfe und kritische Bewertungen

Exkurs 38 – Kritik und Lob in der Dynamik der Transaktionsanalyse

Vergleiche

KAPITEL 11
Die GFK als Erweiterungs-
und Vertiefungsoption

KAPITEL 12
Wertschätzend Klartext reden mit GFK

KAPITEL 13
Zusammenfassung und Ausblick

ANHANG
Vertiefendes und Weiterführendes

Ding der Unmöglichkeit? Wenn Menschen mich fragen, was ich beruflich mache, dann erzähle ich gerne, dass ich mich mit dem Thema „Wertschätzend Klartext reden“ beschäftige. Sehr häufig geschieht hierbei folgendes: Einem ersten Impuls folgend sind meine GesprächspartnerInnen höchst angetan von der Idee, Kommunikation so gestalten zu können, dass sie sowohl klar als auch wertschätzend erlebt werden kann. Dann aber beginnen sie nachzudenken. Und in dem Maße, wie sie nachdenken, beginnen sie skeptisch zu werden. Ihren aufkeimenden Bedenken folgend höre ich dann häufig sehr ähnlich klingende Einwände. „Wertschätzend Klartext reden“ sei dem Grunde nach zwar sicherlich sehr wichtig und auf jeden Fall auch äußerst erstrebenswert, praktisch aber doch ein Ding der Unmöglichkeit. Als Referenz wird dabei häufig die eigene Lebenserfahrung herangezogen. Hiernach könne man entweder Klartext reden oder „nett und freundlich“ und ergo wertschätzend sein. Beides zur gleichen Zeit – das scheint die Quadratur des Kreises und damit (bei aller Sympathie für die Idee) faktisch nicht umsetzbar zu sein.

Entweder – oder. Je mehr ich mich mit bewusster Kommunikations- und Beziehungsgestaltung beschäftige, umso klarer wird für mich: Die Skepsis hat ihre Berechtigung. Denn in der Welt, in der die meisten von uns sprachlich sozialisiert wurden, leben wir in einem Spannungsverhältnis, das – salopp gesagt – zwischen „Zaunpfahl und Weichspüler“ angesiedelt ist. Spätestens wenn es unstimmig wird und die Situation einer Klärung bedarf, müssen wir uns entscheiden, wie wir dieses Spannungsverhältnis für uns lösen wollen. Häufig entscheidet das „persönliche Temperament“ oder die Fähigkeit, sich zurückhalten zu können. Im Ergebnis stehen wir daher entweder klar und deutlich für uns ein, grenzen das, was uns wichtig ist, unmissverständlich ab und weisen unser Gegenüber mehr oder minder freundlich in seine Schranken. Oder wir nehmen uns des lieben Friedens willen zurück, kommunizieren freundlich „durch die Blume“, reden „um den heißen Brei“ – all das, um bloß nicht anzuecken und unser Gegenüber zu verärgern.

Sowohl – als auch. Für „Wertschätzend Klartext reden“ braucht es etwas anderes als das, was wir für gewöhnlich gelernt haben. Konkret braucht es für „Wertschätzend Klartext reden“ integrative und synergetische Fähigkeiten. Erst wenn nämlich die Verbindung, der Ausgleich und die Synthese des (scheinbar) Gegensätzlichem gelingt, kann aus „Wertschätzend Klartext reden“ eine realistisch umsetzbare Option werden.

Nichts für die Trickkiste. Die Idee von „Wertschätzend Klartext reden“ ist es dabei nicht, sich auf die Schnelle ein paar erfolgversprechende Kommunikationstricks und -tools anzueignen. Es geht vielmehr darum, eine wahrhaft wertschätzende und einfühlsame Grundhaltung zu entwickeln. Erst eine solche Haltung ermöglicht es, auch in Stresssituationen sowohl mit sich selbst als auch mit seinem Gegenüber empathisch und verbindend zu sein und zu bleiben. Zum anderen geht es aber auch darum, so viel innere Klarheit und Stärke zu entwickeln, dass wir uns mutig, klar und authentisch mit dem zeigen und einbringen, was uns wichtig und wertvoll ist. Erst wenn wir beide Qualitäten gleichzeitig und gleichwertig in Beziehung bringen und aufrechterhalten können, wird es nach meiner Erfahrung möglich, Kommunikation so zu gestalten, dass sie von allen Beteiligten als wahrlich gelingend und bereichernd erlebt wird.

Gelingende Kommunikation trägt ganz wesentlich dazu bei, zwischenmenschliche Verbindung sowie gegenseitiges Verständnis und Vertrauen zu fördern. Verbindung, Verständnis und Vertrauen wiederum helfen ganz maßgeblich dabei, die Qualität der eigenen Beziehungen über alle Lebensbereiche hinweg spürbar erfüllender und freudvoller werden zu lassen.

1

Exkurs

Verbindung zum Werte- und Entwicklungsquadrat

Stets, wenn ich die Grundprinzipien beschreibe, die der Idee von „Wertschätzend Klartext reden“ zugrunde liegen, erwähne ich auch das Werte- und Entwicklungsquadrat von Schulz von Thun1 (vgl. Anhang, S. →). Auch Schulz von Thun geht – in meinen Worten – davon aus, dass es für eine lebensdienliche und beziehungsförderliche Kommunikations- und Interaktionsgestaltung eine Balance zwischen zwei gegensätzlich wirkenden Werten bzw. Polen bedarf . Bestünde diese Balance nicht, so „verkomme“ ein grundsätzlich positiver Wert zu seiner „entwertenden Übertreibung“, da ihm der qualitative Ausgleich durch den positiven Gegenwert fehle.2 Diese Dynamik zeigt sich auch bei „Wertschätzend Klartext reden“: Fehlt es beim Klartext reden an verbindender Wertschätzung, dann kommunizieren wir leicht wie die „Axt im Walde“. Fehlt uns bei einer wertschätzend gestalteten Kommunikation die eigene Klarheit hinsichtlich dessen, worum es uns im Grunde geht, dann werden wir schnell „wachsweich“ und verlieren in unserer Kommunikationsgestaltung an Aussagekraft und wohltuender Eindeutigkeit.

2

Exkurs

Die Idee von Yin und Yang

In meinen Seminaren ist mir stets auch das Yin-Yang-Symbol einen weiteren, kurzen Exkurs wert.3 Dieses Symbol versinnbildlicht für mich in einer sehr anschlussfähigen Weise den integrativen und synergetischen Gedanken, der „Wertschätzend Klartext reden“ zugrunde liegt: Kommunikation gelingt, wenn sowohl aus der Energie des Yin als auch aus der Energie des Yang ausgewogen geschöpft werden kann und sich somit die beiden Energien ergänzen. Die Yang-Energie befähigt das Individuum, klar und selbstbewusst einzustehen für sich und das, was einen bewegt. Verbindend und wertschätzend kann dies allerdings nur geschehen, wenn das Individuum ebenso fähig ist, sich mit der Yin-Energie zu verbinden und damit das, was den anderen bewegt, offen und vorurteilsfrei aufzunehmen und es (im wahrsten Sinne des Wortes) gelten zu lassen.

Wie bereits im Vorwort eingehend dargelegt, wendet sich „Wertschätzend Klartext reden“ an jene Leserschaft, die ein grundsätzliches Interesse an kommunikationspsychologischen Phänomenen und gelingender zwischenmenschlicher Beziehungsgestaltung hat. Gleichzeitig hat es den Anspruch, ein Sachbuch zu sein, das auch (kommunikations-)psychologisch vorgebildeten Leserinnen und Lesern aus begleitenden, beratenden, pädagogischen und therapeutischen Berufen einen erkenntnisreichen und vertiefenden Mehrwert bietet.

Sofern Sie zur Gruppe der fachlich versierten Leserschaft gehören, werden Sie sich womöglich fragen, inwiefern die Lektüre der nachfolgenden Seiten wirklich notwendig ist für Sie, wo Sie in kommunikationspsychologischer Hinsicht doch selbst gut bewandert sind und viele der hier vorgestellten Konzepte bereits bestens kennen.

Beim Verfassen von „Wertschätzend Klartext reden“ war es mir außerordentlich wichtig, die hier vermittelten Inhalte in einen ganzheitlichen Kontext einzubetten. Dadurch soll nach und nach und Schritt für Schritt ersichtlich werden, weshalb das, was „Wertschätzend Klartext reden“ ausmacht, auf den ersten Blick vielleicht ungewohnt erscheint, aber letztlich durchaus sehr viel Sinn macht. Zudem ist es mir wichtig, bekannte und anerkannte (kommunikations-)psychologische Ansätze in eine weitgefasste und ganzheitliche Sicht auf die Mechanismen zwischenmenschlicher Kommunikations- und Beziehungsgestaltung zu integrieren. Laut meinen SeminarteilnehmerInnen besteht der Mehrwert meiner „Wertschätzend Klartext reden“-Seminare insbesondere darin, dass die häufig unverbundenen (kommunikations-) psychologischen Ansätze in einen sinnvollen Gesamtzusammenhang gesetzt werden und durch ihre Verknüpfung mit den Prinzipien der Gewaltfreien Kommunikation einen sowohl erkenntnisreichen als auch umsetzungsorientierten Mehrwert generieren.

DER KOMMUNIKATIONSPROZESS UND SEINE TÜCKEN – CODIERUNG, DECODIERUNG UND DER WEG DER NACHRICHT

Verständnisfalle. In der zwischenmenschlichen Kommunikation entspricht das, was verstanden wird, selten dem, was tatsächlich gemeint war. Diese Erkenntnis ist weder revolutionär noch neu und deshalb auch fast allen meiner SeminarteilnehmerInnen rein theoretisch durchaus bekannt. Gleichzeitig bin ich Tag für Tag äußerst verwundert, wenn ich in den unterschiedlichsten Kontexten erlebe, wie viele Menschen sich in ihrer konkreten Kommunikationsgestaltung offensichtlich dennoch der Illusion hingeben, dass gehört auch gleich verstanden sei. Dieses Phänomen illusionärer Einbildungsfähigkeit bringt Johann Wolfgang von Goethe mit einem seiner Aphorismen sehr treffend auf den Punkt:

Es gibt viele Menschen, die sich einbilden,
was sie erfahren, das verstünden sie auch.
4

Johann Wolfgang von Goethe

So erlebe ich – übrigens auch im professionellen Kontext – überraschend selten, dass das Gehörte und Verstandene durch gezieltes Nachfragen oder bewusstes Spiegeln auf ihre Übereinstimmung mit dem tatsächlich Gemeinten konsequent überprüft werden.

BEISPIEL

Profis verstehen sich per se!?

Ein nahezu schulbuchmäßiges Beispiel, wie Theorie und tatsächlich gelebte Kommunikationsgestaltung auseinanderklaffen können, findet sich im Ablauf eines Klärungsgesprächs mit einem meiner Freunde, der im therapeutischen Kontext tätig ist. Dieses Gespräch hatten wir nach einer persönlichen Auseinandersetzung vereinbart, die uns beiden ziemlich zugesetzt hatte. Unser Ziel war es, in einem zweiten Austauschversuch Verständnis füreinander zu entwickeln, damit wir wieder unbelastet in Beziehung sein können. Als der Freund in diesem

Klärungsgespräch nochmals darlegte, worum es ihm gehe, wollte ich das Verstandene kurz spiegeln. Daraufhin entgegnete er mir: „Hey, wir sind doch beide Profis, da kannst du dir das Spiegeln sparen.“ Ich war perplex. Perplex, weil mein Verständnis von „Profi“ diesbezüglich zu einem ganz anderen Ergebnis führt: Ja, wir sind Profis und gerade deshalb sind wir uns bewusst, dass gehört noch lange nicht verstanden ist. Und genau deshalb verlangsamen wir gezielt unsere Kommunikation und prüfen immer wieder achtsam, ob wir noch im Gleichklang des gegenseitig Verstandenen sind. DAS bedeutet für mich professionelle Gesprächsführung – ganz grundsätzlich und ganz besonders dann, wenn das Ziel des Austausches Beziehungsklärung und die Entwicklung gegenseitigen Verständnisses ist.

Sie halten meine Ausführungen womöglich für überzeichnet? Dann machen Sie doch einfach mal einen kleinen Feldversuch. Setzen Sie sich dazu bspw. in ein Café, in die Kantine oder in ein Meeting und hören Sie aufmerksam zu, wie die Kommunikation zwischen den Beteiligten abläuft. Wie häufig überprüfen Menschen bewusst das anscheinend Verstandene, bevor sie hierauf antworten? Oder achten Sie im Selbstversuch mindestens einen Tag darauf, wie oft Sie bereits am Erwidern sind, bevor Sie durch bewusstes Spiegeln sichergestellt haben, Ihr Gegenüber tatsächlich in seinem Sinne verstanden zu haben.

Mit etwa zwanzig Kaffeebohnen können Sie ganz gezielt Ihre Aufmerksamkeit schulen. Legen Sie die Kaffeebohnen z.B. während einer Telefonkonferenz an einen Platz auf Ihrem Schreibtisch. Immer, wenn Sie eine Erwiderung ohne vorhergehende Spiegelung hören, lassen Sie eine Kaffeebohne an einen anderen Platz auf Ihrem Schreibtisch wandern. Beobachten Sie, in welcher Geschwindigkeit die Kaffeebohnen von der einen Seite zur anderen wandern. Wenn alle Kaffeebohnen auf der anderen Seite sind, dann setzen Sie Ihr Praxis-Experiment in die entgegengesetzte Richtung fort.

Damit Menschen nicht aneinander vorbeireden, sind tatsächliches Verstehen und wahrhaftiges Verständnis für eine gelingende Kommunikation unabdingbar. Deshalb möchte ich an dieser Stelle nochmals den Codierungs- und Decodierungsprozess sowie den Weg der Nachricht näher beleuchten:

Unklar in der Tiefe. Unser Denken und Sprechen ist mit unterschiedlichsten individuellen Erfahrungen und Assoziationen verknüpft und hat damit einen umfassenden Bedeutungsgehalt. Das Neurolinguistische Programmieren (in seiner Kurzform auch NLP genannt; vgl. Anhang, S. →) spricht hier von der „Tiefenstruktur“ der Sprache.5 Wollen wir mit jemandem in Kommunikation treten, ist es annähernd unmöglich, all das, was uns bezüglich einer berührten Thematik bewegt, vollständig in ihrer Tiefenstruktur abzubilden und zu vermitteln. Zum einen würde dieses Unterfangen in aller Regel bei weitem den Rahmen dessen, was unser Gegenüber aufnehmen kann, sprengen. Zum anderen sind wir uns während unserer – meist spontanen – Äußerungen für gewöhnlich nicht vollumfänglich dessen bewusst, was uns auf der Tiefenstruktur bezüglich der Thematik alles bewegt.

Gerne möchte ich das Konzept der Tiefenstruktur anhand des folgenden Beispiels näher illustrieren:

BEISPIEL

„Ich finde Hunde einfach nur furchtbar!“

Ich höre in der Kneipe am Nebentisch eine Frau mit großer Begeisterung erzählen, dass in ihre Nachbarwohnung jemand mit Hund eingezogen ist und sie diesen Hund „entzückend“ findet. Ihr Gesprächspartner hört zu und erwidert brummig:

Was wir hören ist das, was sich auf der Oberflächenstruktur offenbart: Der Gesprächspartner findet Hunde furchtbar. Weshalb das allerdings so ist, wird aus dieser Äußerung nicht ersichtlich. Hierzu bräuchte es einen ergänzenden Austausch, der die Tiefenstruktur des Gesagten sichtbar macht. So könnten bspw. in der Tiefenstruktur folgende Aspekte entweder einzeln oder gar zusammen eine Rolle spielen:

Und ganz im unbewusst Verborgenen könnte vielleicht auch ein tiefenpsychologischer Aspekt eine Rolle spielen, wie z.B.:

Vernetztes Denken, lineares Sprechen. Zusätzlich sehen wir uns bei der Vermittlung dessen, was uns gerade bewegt, mit einer weiteren Herausforderung konfrontiert. Äußerst vereinfacht und auf das für meine Ausführungen Wesentliche reduziert geht es hierbei um den grundlegenden Unterschied zwischen dem, wie wir denken und dem, wie wir sprechen: Eine weit verbreitete Annahme ist, dass wir in Sprache denken. Während das Sprechen ohne Denken schwerlich möglich ist, so geht das Denken allerdings auch ganz wunderbar ohne Sprache. In der Wissenschaft wird dieses Phänomen „mentalesisches Denken“ genannt. Konkret bedeutet dies: Sprache ist lediglich das Vehikel, mit welchem Inhalte und Ideen in unseren Denkapparat eingebracht werden. „Verstoffwechselt“ werden die sprachlichen Impulse allerdings in sprachloser und somit mentalesischer Geistesaktivität.6 Von dieser „Sprachlosigkeit“ des eigentlichen Denkvorgangs wusste bereits Albert Einstein zu berichten:

Die Worte oder die Sprache,
in schriftlicher oder gesprochener Form,
scheinen in meinem
Denkmechanismus keine Rolle zu spielen.
7

Albert Einstein

Sprache brauchen wir beim Denken erst wieder, wenn wir unseren gedanklichen Output greifbar machen oder unsere Gedanken mit anderen teilen und uns damit mitteilen möchten. Das sprachlose Denken erfolgt häufig assoziativ. Das heißt, ein Gedanke ergibt sich aus dem anderen. Nicht selten kommt man vom Hölzchen auf’s Stöckchen und ist manchmal überrascht, wie man beispielsweise blitzeschnelle gedanklich von einem Wollflusen in der Ecke in die schottischen Highlands kommt. Das mentalistische Denken ist ein vernetzter Vorgang, den ich selbst als überaus frei erlebe. So ist es für mich leichthin möglich, verschiedene Gedanken zur selben Zeit nebeneinander, miteinander oder gar übereinander zu denken. Schwierig wird es nur, wenn wir die Quintessenz unseres Denkprozesses versprachlichen möchten. In diesem Fall muss nämlich die Vielzahl der zeitgleich und vernetzt bestehenden Gedanken in die lineare Form der Sprache gegossen werden. Dies ist deshalb herausfordernd, weil wir nur einen Gedanken bzw. ein Wort nach dem anderen formulieren können. Die hiermit einhergehende Herausforderung bringt Sir Francis Galton wie folgt auf den Punkt:

Es ist für mich ein ernstes Hindernis beim
Schreiben und noch mehr beim
mündlichen Erklären, daß [sic] ich mit Worten
nicht so leicht denke wie sonst.
8

Sir Francis Galton

Verzerren, Tilgen, Generalisieren. Um achtsam mit der Aufnahmekapazität unseres Gegenübers zu sein, müssen wir das, was wir zum Ausdruck bringen wollen, zudem auf ein für unser Gegenüber sowohl sprachlich verständliches als auch gedanklich nachvollziehbares und aufnehmbares Maß reduzieren. Neben rein sprachlichen Aspekten (in welcher Sprache, in welchem Slang etc.) müssen wir auch die Reihenfolge und die Menge bestimmen, in der wir das vernetzte Ganze, das uns bewegt, vermitteln möchten. Bei alledem ist es wichtig, aus der Vielfalt unserer Gedanken und Assoziationen diejenigen Aspekte auszuwählen, die nach unserem Dafürhalten für unser Gegenüber die Tiefenstruktur unseres Erlebens und Denkens am besten abbilden. Die Gesamtheit dieses Prozesses wird in der Linguistik Codierung genannt.9 Bei der Codierung wird u.a. das aus unserer Sicht Unwichtige getilgt, das Grundsätzliche verallgemeinert und das, was uns besonders wichtig erscheint, in seinen Dimensionen verzerrt:10

Tilgen (= Weglassen von Informationen)

BEISPIEL

„Um Rührei zu machen, verquirlst du Eier, salzt und pfefferst das Ganze und gibst die Eiermasse dann zu Butter oder Fett in die Pfanne.“

Getilgt wurde in diesem Fall, dass die Eier erst aufgeschlagen und aus der Schale befördert werden müssen, wie viel Salz und Pfeffer zu nehmen ist und dass der Pfeffer gemahlen sein sollte. Zudem wurde getilgt, dass das Fett oder die Butter bereits gut heiß sein muss, die Butter allerdings nicht zu sehr, da sie eine eingeschränkte Hitzebeständigkeit aufweist.

Sinn und Zweck des Tilgens ist es, vermeintlich unnötige Informationen wegzulassen, um die Nachricht möglichst „schlank“ zu halten.

Generalisieren (= vom Einzelfall zum Allgemeinen)

BEISPIEL

„Männer hören nicht zu und Frauen können nicht einparken.“ Die tatsächliche oder scheinbare Häufung eines Phänomens wird als allgemeingültige Regel formuliert, bei der all die Individuen unberücksichtigt bleiben, die als Männer durchaus gut zuhören und als Frauen gut einparken können.

Generalisierungen haben den Zweck, den Austausch zu vereinfachen, indem Ausnahmen oder Einzelfallbetrachtungen bewusst oder unbewusst ausgeklammert werden.

Verzerren (= Über- oder Untertreibung)

BEISPIEL

„Oh, das tut mir aber leid, dass ich Ihnen aufgefahren bin – zum Glück hat Ihr Auto nur eine klitzekleine Macke…“ „Geht’s noch, hier von klitzekleiner Macke zu sprechen? Mein Auto ist völlig verbeult!“

Verzerrungen können die Wahrnehmung eines Phänomens gezielt beeinflussen. Mit ihnen lenken wir der Blick auf das für uns Wesentliche (vgl. z.B. Karikaturen) und können von uns erwünschte emotionale Reaktionen auslösen oder (zumindest) fördern.

In der Alltagskommunikation erfolgt der Codierungsprozess in aller Regel unbewusst. Häufig wird dabei das in seiner Tiefenstruktur vielfältig verästelte, vielschichtige, ganzheitlich verknüpfte (und damit sprachlich schwer bis nicht vermittelbare) Netz von Gedanken und Assoziationen zu einer einzigen Nachricht verdichtet. Diese verdichtete Nachricht kommt laut Schulz von Thun quadratisch11 daher und ist aufgrund der erfolgten Reduktion auf das für uns Wesentliche sowohl praktisch (im Sinne von mit Leichtigkeit handhabbar) als auch gut (im Sinne von gut übermittelbar).

Da unsere Mitmenschen allerdings äußerst selten Gedanken lesen können, reicht es nicht aus, wenn wir unsere Gedanken für uns behalten. Damit das, was uns bewegt, tatsächlich bei unserem Gegenüber ankommen kann, muss die codierte Nachricht in einem weiteren Schritt in Richtung unseres Gegenübers übermittelt werden. Dies kann zum Beispiel (fern)mündlich, schriftlich oder auch nonverbal (bspw. durch Winken, Schulterzucken, „Stinkefinger“ zeigen etc.) geschehen. Bereits in diesen Übermittlungsprozess des Sendens und Empfangens können sich erste Fehler einschleichen und im ungünstigsten Fall weitreichende (und manchmal äußerst unerquickliche) Auswirkungen auf die nachfolgende Kommunikation haben. So kann eine Nachricht in diesem Stadium etwa auf folgende Art und Weise fehlerhaft/ mängelbehaftet beim Gegenüber ankommen:

Unvollständig (= die empfangende Person hört oder liest bspw. nur einen Teil der Nachricht)

BEISPIEL

Anna raunzt ihren lästigen Verehrer an und sagt:

„Martin, ein für alle Mal: Ich liebe dich nicht.“

Als sie das „nicht“ sagt, rauscht gerade ein Güterzug an ihnen vorbei.

Falsch (= aufgrund akustischer Probleme, Tippfehler oder ähnlicher Entstehungsmängel)

BEISPIEL

Ich frage meine Freundin Sandra, ob sie mir aus Capri eine rote Hose mitbringen könne. Drei Wochen später steht sie mit einem roten Rosenstock vor der Tür, den sie extra für mich aus Capri mitgebracht hat.

Gar nicht (= etwa durch Verlust der Nachricht, Übersehen werden oder anderer Übermittlungshindernisse)

BEISPIEL

Frank hat Kopfhörer mit Musik auf den Ohren, während Lisa zunehmend ungeduldig zum dritten Mal aus der Küche ruft: „Kannst du bitte endlich die Spülmaschine ausräumen?“

Wenn ich in meinen Seminaren zu „Wertschätzend Klartext reden“ den Weg der Nachricht erkläre, frage ich beim Übermittlungsprozess regelmäßig, welche möglichen Fehlerquellen es bei der Übermittlung der Nachricht denn geben könne. In den allermeisten Fällen bekomme ich von den SeminarteilnehmerInnen die Antwort, dass vermutlich die empfangende Person etwas anderes als das verstehe, was die sendende Person gemeint habe. Mittlerweile bin ich nicht mehr überrascht, diese Antwort zu bekommen und habe gelernt, dass in unserer herkömmlichen Kommunikation offensichtlich zumeist davon ausgegangen wird, dass die empfangene Nachricht selbstverständlicherweise der gesendeten Nachricht entspricht.

Pfropf im Ohr. Technische oder akustische Übermittlungsfehler sind auch nach meiner Erfahrung eher selten. Allerdings sollten sie deshalb nicht per se ausgeschlossen werden. Neben den bereits genannten Übermittlungsfehlern existiert ein weiteres erstaunliches (psycho-logisch12 allerdings durchaus nachvollziehbares) Phänomen: Die Nachricht geht der Empfängerin oder dem Empfänger zu, wird aber aufgrund stark prägender und verinnerlichter Vorannahmen (= Glaubenssätze, vgl. S. →) und Vorerfahrungen unbewusst und beinahe zeitgleich mit dem Zugang so dominant interpretiert, dass die ursprünglich empfangene „Tonspur“ überschrieben wird. Das tatsächlich Gesagte ist dann nicht mehr abrufbar, so, als wäre das Gehörte in seiner ursprünglichen Form gar nicht zugegangen (vgl. auch S. →). Dieses Phänomen kann zu gewichtigen Missverständnissen führen, die unentdeckt nur schwer aufgelöst werden können.

BEISPIEL

Nur Kritik gehört

Zu Beginn meiner Trainingstätigkeit war ich noch ziemlich unsicher, ob ich wirklich „gut genug“ als Trainerin sei. In diesem Zusammenhang erinnere mich noch lebhaft an die Abschlussrunde eines Inhouse-Seminars in einer großen Firma, in der sich die Abteilungsleiterin recht kritisch zu einigen der Seminarinhalte und der Abschlussübung geäußert hatte. Im Nachgang war ich äußerst frustriert und fest davon überzeugt, das Seminar „total in den Sand gesetzt“ zu haben. Vielleicht können Sie sich meine Überraschung und mein Staunen vorstellen, als meine Seminarassistenz mir daraufhin ihre Notizen zu den Abschlussfeedbacks überreichte und ich dort die fast durchgängig sehr positiven Rückmeldungen der anderen Teilnehmenden las. Ganz offensichtlich waren all die positiven Rückmeldungen an mir „vorbeigerauscht“, so dass ich mich schlichtweg nicht an sie erinnern konnte.

Subjektivität der Bedeutungsgebung. Eine erfolgreiche Übermittlung der Nachricht stellt sicher, dass die Nachricht der empfangenden Person so zugehen kann, wie sie von der sendenden Person tatsächlich gesendet wurde. Nach ihrem erfolgreichen Zugang muss die Nachricht nun von der empfangenden Person im Hinblick auf ihren tieferen Sinngehalt decodiert werden. Mit anderen Worten: Die Nachricht wird mit der ihr gegebenen Oberflächenstruktur in die eigene Tiefenstruktur der empfangenden Person übertragen und erfährt hierdurch eine individuelle Bedeutungszumessung. Dazu wird in einem zumeist unbewusst ablaufenden inneren Prozess die empfangene Nachricht mit den Vorerfahrungen und dem Vorwissen der empfangenden Person verknüpft und erhält auf dieser Grundlage eine tiefere Bedeutung. Da jeder Mensch mit einem ganz individuellen Erfahrungs- und Wissenspool ausgestattet ist, ist die individuelle Bedeutungszumessung und damit das, was verstanden wird, sehr stark von der Erfahrungswelt der jeweilig empfangenden Person abhängig.

Komplexität durch Reduktion. Aufgrund der Eigenheiten des individuellen Decodierungsprozesses kann es leicht zu Missverständnissen oder Fehlinterpretationen kommen. Dies liegt insbesondere daran, dass sich mit der sprachlichen Reduktion die Komplexität und Vielschichtigkeit und damit die Auslegungsbedürftigkeit der jeweiligen Nachricht erhöht. Mit anderen Worten: Je reduzierter und im wahrsten Sinne des Wortes einfacher die Nachricht wird (zum Beispiel „Was hast du denn da gekocht?“), umso weniger bilden sich die unterschiedliche Ebenen der Tiefenstruktur (= die Ganzheit des innerlich Bewegten) in dieser einen und vielfach auslegungsbedürftigen sowie auslegungsfähigen Oberflächenstruktur (= die tatsächlich formulierte Nachricht) ab. Mit folgendem Schaubild möchte ich meine Ausführungen zum Weg der Nachricht veranschaulichen:

Komplexität hoch vier. Über die Vielschichtigkeit der Nachricht hat bereits Schulz von Thun viel Grundlegendes geschrieben. In seinem Vier-Seiten-Modell13 (vgl. Anhang, S. →) geht er davon aus, dass jede Nachricht vier unterschiedliche Ebenen von Botschaften enthält:

Sachinformation Zahlen, Daten, Fakten
Selbstkundgabe Wie fühle ich mich und was brauche ich?
Beziehungsbotschaft Wie stehe ich zu dir und wie bewerte ich unsere Beziehung?
Appell Was möchte ich von dir?

Hierzu ein Beispiel: Fred und Johannes wollen sich einen gemütlichen WG-Filmabend machen. Als Fred ins Wohnzimmer kommt sagt er zu Johannes: „Wow, ist das kalt hier!“

Sachinformation „ Es ist der kälteste Tag seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Das Fenster im Wohnzimmer ist auf und die Raumtemperatur beträgt – 20° Celsius.“
Selbstkundgabe „ Ich friere!“
Beziehungsbotschaft „ Du bist echt ein Depp, dass du bei diesen Temperaturen seit heute Morgen das Fenster auf hast!“
Appell „ Mach das Fenster zu, die Heizung an und gibt mir eine Decke!“

Das 4-Seiten-Modell der Kommunikation
(nach Schulz v. Thun)

Das Wissen darum, dass jede Nachricht Sachinformationen, Selbstkundgabeanteile, Beziehungsbotschaften und mindestens einen Appell enthält, erachte ich für den persönlichen Decodierungsprozess und die Klärung der Frage, was die sendende Person vermitteln möchte, als äußerst hilfreich. Unabhängig hiervon bleiben die in der jeweiligen Nachricht tatsächlich enthaltenen Botschaften der sendenden Person weiterhin unklar. Vermeintliche Klarheit schaff t an dieser Stelle erst die individuelle Bedeutungszumessung der empfangenen Nachricht anhand (höchst)persönlicher Interpretationen des (vermutlich) Gemeinten. Sowohl für die bewusste als auch für die unbewusste Interpretation der empfangenen Nachricht nutzt der oder die EmpfängerIn zahlreiche Decodierungshilfen, wie zum Beispiel:

Trotz dieser Decodierungshilfen ist es der empfangenden Person bei ihrer persönlichen Bedeutungszumessung schlichtweg unmöglich, auf alle interpretationsrelevanten Faktoren in der Tiefenstruktur des oder der SenderIn zuzugreifen. Dieser Zugriff funktioniert insbesondere dann nicht, wenn

Nichtwissen. Je länger und intensiver ich mit Menschen arbeite, desto mehr komme ich zu der Erkenntnis, dass es ohne einen intensiven Austausch- und Verständigungsprozess annähernd unmöglich ist, unser Gegenüber (und häufig auch uns selbst) in der Tiefe des tatsächlich Gemeinten zu verstehen. Um dies nur ansatzweise zu illustrieren, möchte ich den Satz „Was hast du denn da gekocht?“ anhand Schulz von Thuns Vier-Seiten-Modell näher beleuchten und sichtbar machen, wie unterschiedlich dieser kleine, schlichte Satz allein schon innerhalb der einzelnen Botschaftsebenen und unter Berücksichtigung der jeweiligen mitgesendeten nonverbalen Botschaften interpretiert werden kann.

Sachinformation