Die Terranische Republik zerbricht. Ehemalige Kolonien erklären ihre Unabhängigkeit und stürzen die Galaxis ins Chaos. In einer katastrophalen Schlacht kann sich der terranische Sternkreuzer Proxima gerade noch aus der Kampfzone retten. Auf dem Rückzug kämpft die Proxima ums bloße Überleben und wird zum Spielball in einem unübersichtlichen Krieg. Doch Captain Zadiya Ark und ihre Crew ahnen nicht, dass das Schicksal noch weitaus härtere Schläge für sie bereithält …
Nur noch ein Hypersprung trennt die Proxima von ihrem Ziel – da fällt erneut der Antrieb aus. Weit und breit existiert nicht mehr als eine seit Jahrzehnten verlassene Minenstation. Major Vara und sein Team suchen dort nach einer Möglichkeit, an die benötigten Ersatzteile zu gelangen. Plötzlich erscheinen koloniale Verfolgerschiffe! Die Flucht ist unmöglich, der Kampf aussichtslos – nur ein Wunder kann die Proxima jetzt noch retten!
Dirk van den Boom (geboren 1966) hat bereits über 100 Romane im Bereich der Science-Fiction und Fantasy veröffentlicht. 2017 erhielt er den Deutschen Science Fiction Preis für seinen Roman »Prinzipat«. Zu seinen wichtigen Werken gehören der »Kaiserkrieger-Zyklus« (Alternative History) und die Reihe »Tentakelkrieg« (Military SF). Dirk van den Boom ist darüber hinaus Berater für Entwicklungszusammenarbeit, Migrationspolitik und Sozialpolitik sowie Professor für Politikwissenschaft. Er lebt mit seiner Familie in Saarbrücken.
DIRK VAN DEN BOOM
IN DER FALLE
Folge 5
Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Anika Klüver
Lektorat/Projektmanagement: Lukas Weidenbach
Covergestaltung: Massimo Peter-Bille
unter Verwendung von Motiven von © Arndt Drechsler
eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7325-8102-3
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»Dafür haben wir kein Ersatzteil.«
Diesen Satz hörte niemand gerne und Zadiya Ark schon gar nicht. Sie versuchte, streng dreinzublicken, wusste aber im Ansatz bereits, dass sie damit bei Chefingenieur Thomson keinen großen Erfolg haben würde. Egal welche Miene sie aufsetzte, es änderte doch nichts an den Tatsachen.
»Aber es war doch alles in Ordnung. Und wir haben auf Epikur unsere Lager gefüllt.« Ja, das klang trotzig, aber auf irgendeine Weise musste sie schließlich zum Ausdruck bringen, wie wenig ihr diese Neuigkeit passte.
Thomson nickte eifrig. »Mit vielen hilfreichen und guten Dingen. Aber die beiden Werften waren beschädigt, und von der Planetenoberfläche bekamen wir nur eine Auswahl an Material, die nicht jede Eventualität abdeckt. Und nun fehlen uns eben gewisse Ersatzteile, weshalb ich den Schaden nicht reparieren kann.«
Ark legte eine Hand auf den Rand der Konsole mit den Kontrollen, hinter denen Thomson meist im Maschinenraum saß, wenn er nicht in irgendwelchen Anlagen herumkroch oder andere dabei beaufsichtigte. Die Konsole sah abgenutzt aus, obwohl hier alles tadellos sauber war. Thomson achtete darauf, dass man sich in allem spiegeln konnte, was es vom Material hergab.
»Und das Modul ist einfach so ausgefallen?«
»Captain«, begann der Ingenieur in einem Tonfall, der Ark nur zu bekannt war. Er benutzte ihn immer dann, wenn sein Gegenüber einen Umstand offenbar nicht begreifen konnte, obwohl er ihn schon mehrere Male erklärt hatte. Oder ihn, wie im Fall der Kommandantin, nicht begreifen wollte. Dabei wussten sie beide, dass dies nur ein Eiertanz war. »Es gibt Bauteile, die ihr Versagen ankündigen. Die zittern, wie wir es nennen. Da gibt es messbare Schwankungen, manchmal sogar eine Vorwarnung. Dann gibt es Bauteile, die absolut perfekt funktionieren und dann plötzlich nicht mehr. Die halten sozusagen tapfer bis zum bitteren Ende durch. Da müsste ich prophetische Fähigkeiten haben, um das vorherzusehen.«
»Haben Sie die etwa nicht? Das verblüfft mich jetzt aber.«
Thomson verzog das Gesicht. »Ja, ja. Sehr witzig, Captain. Das Steuerungsmodul der Spule ist jedenfalls hinüber. Ich habe kein Ersatzteil, denn das eine, das ich hatte, habe ich schon während der Schlacht verbaut, als die Spule selbst beschädigt wurde. Ein Ersatzmodul stand übrigens auf jeder meiner Anforderungslisten. Auch auf Epikur. Ganz oben an erster Stelle und fett unterstrichen.«
Das klang überzeugend. Ark streckte die Waffen.
»Kann die Achat helfen?«
»Captain Yin fliegt eine Korvette. Andere Baureihe, anderes Modul. Wenn ich eine Werkstatt mit den dafür notwendigen Geräten hätte, könnte ich das Ding umbauen. Die habe ich aber nicht. Wir lassen dem guten Yin besser sein Ersatzteil. Was ist, wenn sein Modul ausfällt? Das hilft uns dann auch nicht weiter.«
»Also?«
Thomson zuckte mit den Achseln. »Finden Sie ein gut gefülltes Vorratslager.«
»Wir sind im System XA-344. Was sagt Ihnen das, Thomson?«
»Es hat keinen Namen.«
»Und?«
»Dass hier niemand wohnt.«
»Exakt. Zwischen uns und der Wega-Station liegt noch ein Sprung, Thomson, und wir sind in einem toten Loch gestrandet. Hier gibt es keine bewohnbare Welt, keinen militärischen Außenposten und kein Depot. Hier war schon sehr lange niemand mehr, weil es hier wenig zu holen gibt.«
Der Ingenieur runzelte die Stirn. Er kannte sich mit Maschinen aus, stellare Kartografie hingegen war nicht seine Stärke.
»Es ist ein Einfallstor zur Wega-Station«, begehrte er auf.
»Und ab welcher Phase dieses Krieges haben wir ernsthaft daran geglaubt, dass dies jemals ein Problem darstellen würde? Niemand hätte je damit gerechnet, dass diese kleinen aufmüpfigen Rebellen so weit kommen würden!«
Thomson murmelte etwas. Ark bedauerte den Sarkasmus in ihrer Stimme nicht. Der Mann war, im Guten wie im Schlechten, ein Fachidiot und musste trotz all seiner unbestreitbaren Vorzüge hin und wieder daran erinnert werden, dass es auf ihrer Reise auch um andere Dinge ging als um Triebwerksleistung und Beschleunigungswerte. Bedauerlicherweise war dies aber jetzt wieder ein Thema. Der Sprung fort von Epikur war geglückt. Doch jetzt, so nah am Ziel, schien ihre Reise an ihrem Ende angekommen zu sein.
»Was ist mit den Kolonialen? Immerhin verfolgen die uns nicht mehr.«
Ark hasste es, dem Mann die Hoffnung nehmen zu müssen, aber ihr blieb leider nichts anderes übrig.
»Thomson, Sykow hat sich abgesetzt. Epikur ist kaum verteidigt. Die werden da ungestört durchfliegen. Wir haben unseren Vorsprung ausgebaut, das ist alles. Ich halte Kraus für einen sehr hartnäckigen Mann. Er wird kommen. Ich hoffe auf das Gegenteil, aber mein Instinkt sagt mir etwas anderes. Und jetzt schmilzt dieser Vorsprung mit jeder Stunde dahin, die wir in diesem toten System verplempern. Geben Sie mir bitte etwas Hoffnung.«
Der Chefingenieur zuckte mit den Schultern.
»Ich kann nichts tun.«
»Das ist nicht die Antwort, die ich von Ihnen erwarte.«
Thomson nickte und wirkte jetzt ein wenig genervt, auch wenn er sich gut im Griff hatte.
»Ein so komplexes Gerät wie eine Hyperspule kann man nicht manuell steuern. Wir reden von einer Einheit, die unser Schiff in ein übergeordnetes Kontinuum drückt und es dort stabil und auf Kurs hält. Das kann nicht mal eine KI einfach so nebenbei erledigen, Captain. Ich benötige ein funktionsfähiges Steuermodul, oder unsere Reise endet hier. Schicken Sie einen Notruf an das Hauptquartier. Wir haben doch wieder Zugang zum Satellitennetzwerk, oder?«
Ark holte tief Luft. Thomson war ein guter Mann, und er war vertrauenswürdig, aber dennoch hatte sie die schlechten Nachrichten weitgehend für sich behalten. Das ging jetzt nicht mehr. Beinahe verstohlen sah sie sich um. Der Maschinenraum war mit zwei weiteren Crewmitgliedern besetzt, die sich aber weit genug entfernt befanden, um nichts hören zu können, wenn sie ihre Stimme ausreichend senkte.
Was sie jetzt tat.
Es war nur noch ein Wispern. Thomson neigte den Kopf, als könnte er sie so besser hören.
»Wir haben bereits im Epikur-System mehrmals versucht, wieder Kontakt mit dem Flottenhauptquartier aufzunehmen, allein schon, um sie vor der Hadrian zu warnen, falls diese den gleichen Trick noch einmal woanders versuchen sollte«, sagte sie. »Es ist uns nicht gelungen.«
»Wir wurden ausgesperrt?«
»Absolut nicht. Wir haben ein Trägersignal, und die Satelliten akzeptieren unsere Anfrage. Aber wir erhalten keine Antwort. Irgendwas ist absolut nicht in Ordnung. Ich möchte keinen Anlass für Spekulationen bieten, daher …«
Thomson grinste schief.
»Ich hätte eine: Die Republik ist endgültig zusammengebrochen, und wir sind alle erledigt. Wie gefällt Ihnen diese Spekulation, Captain?«
Der Mann stellte die Frage ohne Leidenschaft und bemühte sich nicht einmal mehr um Sarkasmus.
»Ich möchte, dass Sie solche Überlegungen für sich behalten«, gab Ark zurück und legte ausreichend Schärfe in ihren Tonfall, um dem Mann zu signalisieren, dass das keine freundliche Empfehlung war. Thomson versteifte sich unwillkürlich, nickte sofort und presste die Lippen aufeinander, als würde er seine Äußerung bereuen.
»Das ändert nichts an unserer Situation«, sagte er dann beinahe trotzig. »Ohne Modul endet unsere Reise hier.«
Ark verkniff sich jedes weitere Wort. Er konnte ihr nicht helfen, also musste sie sich etwas einfallen lassen, denn sie war die Kommandantin. Sie war nicht böse auf ihn. Er war der Überbringer der schlechten Nachricht, das war immer eine unangenehme Position.
Sie wandte sich ab und verließ den Maschinenraum, in dem alles sauber war und funktionierte und eine fähige Mannschaft arbeitete. Hier gab es nur einen einzigen winzigen Makel: Ihr Überlichtantrieb hatte den Geist aufgegeben, und sie wusste nicht, was sie tun konnte, um das Problem zu beheben.
Und dagegen musste sie jetzt so schnell wie möglich etwas unternehmen.