Umschlaggestaltung unter Verwendung einer Kalligrafie «Traum» von Yang Chong-guang (Privatbesitz, alle Rechte vorbehalten).
Durchgesehene eBook-Ausgabe der gedruckten Fassung. Copyright © 2003-2016 by Werner Kristkeitz Verlag, Heidelberg. Alle Rechte für sämtliche Medien und jede Art der Verbreitung, Vervielfältigung, Speicherung oder sonstigen, auch auszugsweisen, Verwertung bleiben vorbehalten.
ISBN 978-3-932337-86-4 (eBook)
ISBN 978-3-932337-01-7 (gedrucktes Buch)
www.kristkeitz.de
Websites der Autorin: www.westlicher-himmel.de
www.sabine-huebner-zen.de
Widmung
Vorwort
Hinführung zur Rezitation
Die Drei Zufluchtnahmen
Buddhaṃ saraṇaṃ gacchāmi
Hannya Shingyō
Das Herz-Sūtra
Zazen Wasan
Lied auf Zazen, von Hakuin-Zenji
Kaikyōge
Die Eingangs-Verse
Über Zen
von Daiō-Kokushi
Shiguseiganmon
Die Vier Großen Gelübde
Diese Arbeit widme ich in dankbarer Freude meinen spirituellen Lehrern, die mich auf dem Weg angeleitet und geführt haben, meiner Lehrerin Ida Meyer, meinem Pfarrer Hannjürg Neundorfer, meinem Zen-Meister Willigis Jäger Kyo-un-Rōshi, meinem Ehemann Volker Fey, der mich buddhistische Philosophie und buddhistische Psychologie lehrt – von ihm stammt auch die Erklärung zum Herz-Sūtra –, und allen meinen Zen-Schülern, die ebenfalls meine ausgezeichneten Lehrer sind.
Bei den Übersetzungen der Sūtra-Texte stütze ich mich teilweise auf die Arbeit von Volker Fey und Willigis Jäger sowie anderen Zen-Lehrern und -Meistern.
Sabine Hübner
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Was ist das – Rezitation?
Warum eigentlich rezitiert der Mensch auf dem Weg?
Wie kommt es, dass immerhin sechzehn von hundert mehr oder minder tiefen spirituellen Erfahrungen durch Rezitation ausgelöst werden? [→ 1]
Und wie ist es möglich, dass der Mensch auf dem Weg die Notwendigkeit von Rezitation intuitiv empfindet?
Selbst abgefeimte Verbrecher beten in ihren Zellen, denn auch sie sind auf dem Weg. Ahnungsweise haben sie im Einsamsein ihrer Zelle wohl erkannt, dass es etwas gibt, etwas, was ihnen Halt und Kraft, Mut und Vertrauen nicht nur in schweren Situationen gibt. Es gibt etwas, in was man sich hineinfallen lassen kann und was einem dabei auch noch Wärme, Trost und Geborgenheit gibt.
Wir sind alle auf dem Weg, auch diejenigen, die es nicht wahrhaben wollen. Selbst Nihilisten sind trotz ihres Umweges auf dem Weg zum selben Ziel. Mögen einige Nihilisten nun auch zetern und protestieren. Doch auch sie essen trotz ihres vorgeblichen Nihilismus zum Beispiel gern Schwarzwälder Kirschtorte, gehen gern mit ihrer Frau ins Bett, trinken gern ein Schnäpslein – weil sie das für sie angeblich nicht existierende Leben sonst nicht ertragen könnten. Nihilisten potenzieren durch ihre Einstellung im Hinblick auf ihre materielle Manifestation hier und jetzt selbst ständig ihren ohnehin übermächtigen Daseinsfrust. Ein wenig darüber nachzusinnen würde ihren Spannungskopfschmerz mit Sicherheit etwas lindern. Dieses Nachsinnen sollte sich aber nicht im Kraft zehrenden Konzentrieren auf beispielsweise die letzte Steuererklärung zeigen, sondern in einer sinnvollen und Kraft spendenden Konzentrationsübung, welche zugleich geistige Sammlung mit sich bringt, und, wie bereits erwähnt, Kraft spendet. Also kein diskursives Denken! Folgt man dieser Empfehlung, entsteht ein Sammlungsprozess, welcher sich selbst fortlaufend potenziert. Wie wäre es jetzt mit rezitativem Beten? Selbst ein hartnäckiger, also fatalistisch-melancholisch-depressiver Nihilist [→ 2] kann letztlich aufgrund seiner Sicht nur insoweit konsequent sein, als es sich um etwas handelt, das er nicht nihilistisch betrachtet. Und etwas hoffnungsvoll Heilsames gibt es da bei jedem einzelnen Nihilisten, weil er sich sonst nicht materiell manifestieren könnte.
Entsprechend dieser Beschreibung sind die meisten Menschen in den westlichen Industrieländern Nihilisten. Die Frage nach einem «Warum» und einer etwa gar bestehenden Notwendigkeit von Rezitation stellt sich dadurch umso zwingender. Was ist nun also Rezitation? Eine nichtgegenständliche Form von Gebet. Und was ist der Unterschied zwischen Beten und Rezitation? Gar keiner, wenn der Mensch auf dem Weg richtig zu beten versteht, wenn er in rechter Manier rezitiert. Es geht nämlich bei beiden, Gebet und Rezitation, die in der Konsequenz gleich sind, einzig und allein darum, die Gedanken zum Stillstand zu bringen, um damit eine höchstmögliche Konzentration zu erreichen. Die sinnlichen Wahrnehmungsprozesse des Skandha führen uns nämlich durch die – triebhaft bedingt – getäuschten Gedanken und Gefühle immer weiter von uns selbst weg. Das muss nicht sein.
Es geht nun also darum, sämtliche Skandha-Aktivitäten wenigstens für einen Augenblick zu unterdrücken, um sich aus den sinnlichen Reiz-Überflutungen zurücknehmen zu können. Hierbei, in diesem Zurücknehmen, erfährt der Übende in seiner Wahrnehmung für ihn deutlich erkennbare Unterschiede. So werden die verschiedenen Nimitta-Zustände während dieses Zurücknehmens als eine Art stufenweises Erkennen zurück zu sich selbst sichtbar. Die Entwicklung verläuft wie folgt:
1. parikamma/ -*nimitta/ -*samādhi
2. upacāra/ -*samādhi
3. appanā/ -*samādhi
Damit ist Rezitation also in rechter Anwendung eine großartige Möglichkeit, die zehntausend Affen unkontrollierter Gedanken und Empfindungen zur Ruhe zu bringen. Warum dies so ist? Es gibt keinen Zufall. Was geschieht, geschieht in Abhängigkeit von Bedingungen. Es geschieht gesetzmäßig, da sonst blindes Chaos herrschte, was natürlicher Logik widersprechen würde.
So lange ein Mensch nicht vollkommen entwickelt ist, werden sinnliche Wahrnehmungen infolge der im herkömmlichen Speicherbewusstsein, mano viññāṇa dhātu, zwangsläufig auf dort bereits vorhandene, jedoch nicht geordnete Daten treffen. Dieser Vorgang ist als ein wichtiger Teil der Skandha-Aktivitäten anzusehen; denn er erzeugt jene täuschenden energetischen Impulse, die, einem Kaleidoskop vergleichbar, sich ständig wandelnde Strukturen produzieren. Diese Strukturen sehen wir zusammen mit den im Verlauf unserer diversen Sozialisierungsprozesse sich ergebenden Konzepten als die unserer materiellen Manifestation zugrunde liegenden energetischen Abläufe, woran wir die Tatsache der Vergänglichkeit erkennen. Hier sehen wir deutlich, dass wir, solange wir nicht vollkommen entwickelt sind, in der Vergangenheit leben. Es gilt nun in der einzig möglichen Konsequenz, die Gedanken zum Stillstand zu bringen und uns mehr und mehr durch Aufmerksamkeit und Konzentration in Sammlung zu vertiefen. So erlangen wir immer mehr Energie. Diese ist geistig und erzeugt mit den anderen Faktoren gemeinsam einen sich ständig potenzierenden Prozess, durch den wir die Täuschungen und Irritationen der Skandha-Aktivitäten, also der sinnlichen Wahrnehmung in ihrer Gesamtheit und was man psychisch daraus macht, in einer Weise überwinden, dass wir sie schließlich und irgendwann endlich für immer hinter uns zurücklassen. Dies bedeutet, die Notwendigkeit der Anwendung einer der 108 vorgenannten geistigen Möglichkeiten.
Hier wird Rezitation zum gegenstandsfreien Beten – beides einzig im Wort unterschieden – und zwar insofern, als bei Rezitation zum Beispiel in einigen Schulformen die Texte in Silben zerlegt werden. Dadurch vermeidet der Übende, dass auf der Ebene des diskursiven Intellektes ablenkende Gedanken entstehen.
Wo eine solche Wortzerlegung aus sprachlichen Gründen nicht möglich ist, hat eine Übersetzung des Originaltextes so zu erfolgen, dass der Sinn erhalten bleibt, jedoch die Entstehung von ablenkenden Gedanken unterbleibt.
Dass eine solche Übersetzung zweifelsfrei nur durch einen entsprechend entwickelten Menschen erfolgen kann, braucht nicht weiter kommentiert zu werden.
Rezitation, in rechter Manier erfolgt, setzt unvorstellbare Kräfte frei. Man darf also auch sagen, Beten, in rechter Manier erfolgt, setzt unvorstellbare Kräfte frei. Die unter Einsatz des diskursiven Intellektes während der spirituellen Übung gelesenen Textinhalte für sich allein bringen dem Übenden gar nichts. Nachzudenken während eines Gebets oder einer Rezitation ist vergeudete Zeit und vergeudete Energie.
Die Zen-Meisterin Sabine Hübner lehrt ihre Schüler in der vorstehend beschriebenen, uralten Manier zu rezitieren.
So ist es nicht verwunderlich, dass zum Beispiel in einem ihrer Sesshin binnen weniger Minuten auch der noch müdeste Schüler wach und energiestrotzend auf seinem Zafu in der Mitte seiner Matte thront.
Möge Sabine Hübner all ihre Schüler mit der ihr eigenen Schulungsweise dorthin führen, wohin sie alle sich so sehr sehnen … nach Nirvāṇa.
Namo Buddhaya – «Ich grüße den Buddha in dir»!
Vijāya Volker Fey
Jeden Tag in einem Zen-Sesshin wird rezitiert. Die Gruppe der Schüler spricht miteinander die alten und uralten Texte, die sich in fast allen Fällen auf die Lehren des historischen Buddha Śākyamuni zurückführen, aber auch auf die Aussprüche anderer großer Meister, welche die Wirklichkeit der Welt aus eigener Anschauung kannten. Wie verschiedenartig der Kulturkreis dieser Meister und damit deren Sprache auch sein mochte, immer geht es bei den Texten um das Einzige und Eine, um das Wesentliche, wofür Menschen sich auf den Pfad zur Erkenntnis der Wahrheit machen.
Nun wissen wir aus Erfahrung, dass Menschen es schwer haben, Erleuchtung, das heißt, wirkliche Einsicht in die absolute Wahrheit, zu erfahren, wenn sie sich das Gehirn mit vielen Worten und Sprüchen vernebeln, sich also auf die Ebene des Relativen begeben – und doch rezitieren wir Texte! Warum und wie tun wir das?
Die Art unserer Rezitation ist nicht gleich dem Vortrag etwa eines Gedichtes von Goethe oder Rilke. Sie gleicht nicht, wie der Gelehrte für buddhistische Psychologie und buddhistische Philosophie, Volker Fey, sich ausdrückt, dem langweiligen «Vorlesen eines Beipackzettels für ein Medikament». Die Rezitation, wie sie in Asien praktiziert wird, mutet eher an wie ein lautes Rufen des Textes. Teilweise werden die einzelnen Sūtra-Texte von Zeile zu Zeile schneller und kräftiger gesprochen. Begeisterung und Lebensfreude werden geweckt, und sei es noch so früh am Morgen, und starke Energie baut sich in der Gruppe der Schüler auf. Die Rezitation von Sūtras in sinojapanischer Sprache wird Silbe für Silbe mit Schlägen auf den hölzernen Fisch, das Mokugyo, betont. Es geht nicht um ein betuliches Genießen von Textinhalten, über die dann während der Rezitation Satz für Satz in einer dualistischen Betrachtung nachgedacht werden sollte oder auch nur könnte, sondern ein Sichüberlassen dem rhythmischen Fluss der Worte. Die Wahrheit des Gesagten fließt unmittelbar in das innere Wesen der Zen-Schüler und wirkt von innen her unter Ausschluss des sezierenden und kontrollierenden Intellektes. Das Wesen selbst begreift unmittelbar und ohne die Aktivität der Ratio zu bemühen, die nur die spirituelle Erfahrung hindern würde. So gibt es ein umfassendes Schauen der Wirklichkeit außerhalb des diskursiven Denkens, aber voller Weisheit und unter Aufhebung von Raum und Zeit. Auf die rechte Weise rezitiert, wird das Vortragen zur spirituellen Übung. Aus diesem Grunde ist die tägliche Rezitation von Sūtras seit Jahrtausenden in buddhistischen Schulen und auch heutigen östlichen und westlichen Zendō unserer Welt ein wichtiger Bestandteil der Übung.
Unser Zendō hat das große Glück, durch die Rezitations-Schulung von Volker Fey, der viele Jahre lang als buddhistischer Mönch in Asien herumwanderte, in dessen Klöstern geschult wurde und die für westliche Menschen seltene Möglichkeit hatte, auf den einschlägigen Universitäten und Klosterschulen studieren zu dürfen, die Rezitation der Sūtras auf ursprüngliche und authentische Weise übermittelt und gelehrt zu bekommen. Hierbei wird das raum-zeitliche «Ich» beruhigt, damit es in den Hintergrund treten kann, und große Kraft wird aufgebaut. Die Türen zum transpersonalen Wesen öffnen sich, und der Zen-Schüler erfährt umfassender und wahrer als sonst in seinem alltäglichen Wachbewusstsein des gewöhnlichen Menschen. Er wächst über sich hinaus und entwickelt sich in ein erleuchtetes Leben hinein.
Sūtra-Rezitation ist also durchaus keine intellektuelle Übung und soll es auch auf gar keinen Fall sein.
Warum wird hier nun eine Auslegung der Worte dieser Sūtras gegeben, wenn es in erster Linie doch gar nicht darum geht, die Wortinhalte der Sūtras zu reflektieren, um Erleuchtung zu erfahren?
Selbstverständlich möchten die Zen-Schüler, und zwar vorweg, einverstanden sein mit dem, was sie während der Rezitation aussprechen, auch wenn es hierbei nicht um Glaubenssätze oder Dogmen geht. Und viele Menschen, denen die Sūtra-Texte in Büchern begegnen, möchten wissen, welche Weisheit hinter diesen Worten verborgen ist. Das ist vollkommen verständlich und legitim. Niemand muss seine Sprache und sein Wort für etwas hergeben, hinter dem er nicht stehen kann, selbst wenn wie in diesem Fall der Intellekt für die Inhalte der Sūtra-Texte nicht zuständig ist.
So wird nun der Versuch unternommen, allen Zuhörern [→ 3] und Lesern dieser Arbeit das nur scheinbar verborgene und in Wahrheit offenbare Geheimnis der Welt, das aus den uralten und doch immer aktuellen Worten der Sūtras leuchtet, nahe zu bringen.
Zu diesem spannenden Unternehmen wünsche ich uns allen viel Freude. Das Eigentliche aber, das dem Genuss an der Beschäftigung mit diesen Texten folgt, ist die tiefe Ruhe und Glückseligkeit, welche die Versenkung in die Wirklichkeit, das Wesen der Welt, uns schenken kann.
Mögen alle Wesen glücklich sein!
Sabine Hübner
Ich nehme Zuflucht zum Buddha
Ich nehme Zuflucht zum Dharma
Ich nehme Zuflucht zum Sangha
Zum zweiten Mal nehme ich Zuflucht zum Buddha
Zum zweiten Mal nehme ich Zuflucht zum Dharma
Zum zweiten Mal nehme ich Zuflucht zum Sangha
Zum dritten Mal nehme ich Zuflucht zum Buddha
Zum dritten Mal nehme ich Zuflucht zum Dharma
Zum dritten Mal nehme ich Zuflucht zum Sangha
Buddhaṃ saraṇaṃ gacchāmi
Dhammaṃ saraṇaṃ gacchāmi
Saṅghaṃ [→ 4] saraṇaṃ gacchāmi
Dutiyampi Buddhaṃ saraṇaṃ gacchāmi
Dutiyampi Dhammaṃ saraṇaṃ gacchāmi
Dutiyampi Saṅghaṃ saraṇaṃ gacchāmi
Tatiyampi Buddhaṃ saraṇaṃ gacchāmi
Tatiyampi Dhammaṃ saraṇaṃ gacchāmi
Tatiyampi Saṅghaṃ saraṇaṃ gacchāmi
Im Rahmen unserer Morgenzeremonie, die an jedem Sesshin-Tag in aller Frühe beginnt, rezitieren wir die Drei Zufluchtnahmen je drei Mal, indem wir beim zweiten Mal sagen: «Zum zweiten Mal nehme ich Zuflucht …», und beim dritten Mal: «Zum dritten Mal nehme ich Zuflucht …». Dieses tun wir zuerst in unserer Muttersprache und dann kraftvoll singend auf Pāli, der Sprache des historischen Buddha Śākyamuni.
Nicht nur Menschen, die sich einer der buddhistischen Strömungen zurechnen, rezitieren täglich im Sesshin ihre Zufluchtnahme zu den Drei Kostbarkeiten, sondern auch wir rezitieren jeden Morgen im Sesshin die Drei Zufluchtnahmen, ohne dass wir jedoch damit ausdrücken, der buddhistischen Religion [→ 5] anzugehören.
Wir nehmen Zuflucht zur Wirklichkeit.
Hier kommt nun ein wenig Wissensvermittlung, um die Begriffe zu verstehen, denn wer die Begriffe, die in unseren Rezitationen auftauchen, versteht, kann anschließend auf die intellektuelle Beschäftigung mit ihnen verzichten, und sein Geist wird in Frieden da sein können.
Buddha, Dharma [→ 6] und Sangha sind – kurz gefasst – erstens der historische Buddha sowie die kosmische Buddha-Natur, zweitens die Lehre des Buddha sowie das spirituelle und kosmische Gesetz und drittens die Schüler-Gruppe, die mit ihrem Meister gemeinsam den Schulungsweg zur Erleuchtung geht, darüber hinaus die Gemeinschaft aller Menschen auf der Welt, die sich auf dem Buddha-Weg, dem geistigen Weg des Erwachens zur Wahrheit befinden, schließlich der ganze Kosmos auf dem Weg zu seinem Ursprung zurück.
Wenn ein Mensch einer buddhistischen Gruppierung beitreten will, muss er vor einem dort autorisierten buddhistischen Lehrer unter anderem die Drei Zufluchtnahmen auf Pāli rezitieren und wird damit förmlich in dieser Gruppe zum Buddhisten erklärt. Man macht die Erfahrung, dass in jeder der buddhistischen Richtungen und Schulen auch solche Menschen wieder neu zu Buddhisten gemacht werden, die woanders schon längst Buddhisten sind, weil sie dort schon aufgenommen worden waren. So wird das Buddhist-Sein in jeder Schule neu gültig.
Die Drei Kostbarkeiten an sich sind selbstverständlich nicht auf Angehörige der buddhistischen Religion in all ihren Richtungen beschränkt, sondern sie sind kosmisch. Sie sind universell. Zuflucht zu ihnen zu nehmen – das bedeutet, sein allertiefstes Vertrauen in sie auszudrücken.
Für einen Erleuchteten bedeutet das Sprechen der Drei Zufluchtnahmen den gesprochenen Ausdruck seiner unwandelbaren und unverrückbaren spirituellen Erfahrung.
Nun sollen einige Hinweise über Buddha, Dharma und Sangha gegeben werden. Buddha, Dharma und Sangha – diese drei werden zusammen «Die drei Kostbarkeiten» genannt, auf Pāli «Tiratana», auf Sanskrit «Triratna» und auf Japanisch «Sanbō» oder «Sambō». [→ 7]
In die Lehre über die Drei Kostbarkeiten werden Zen-Schüler nach der vollständig abgeschlossenen Kōan-Schulung eingeführt. Zuerst sollen die Schüler auf dem Kōan-Weg die Wirklichkeit unmittelbar und durch experimentelle Erfahrung erkennen. Wenn sie in ihrem spirituellen Stand sicher sind, dürfen sie sich auch intellektuell mit philosophischen Fragen befassen. Sie werden dadurch keinen Schaden mehr nehmen. Zudem wird der Kern der Sache auch in diesen Lehrtexten wieder wie in den Kōan praktisch behandelt.
Hier soll der philosophische Aspekt nur angedeutet werden.
Es gibt drei Anschauungsweisen der Drei Kostbarkeiten:
Die Drei Kostbarkeiten, Buddha, Dharma und Sangha, sind ein Einziges.
Die Drei Kostbarkeiten manifestieren das Eine.
Die Drei Kostbarkeiten werden bewahrt, indem sie gelehrt und gelernt werden und dadurch die Lehre über sie von Generation zu Generation weitergegeben wird.
Hieraus ergibt sich ein ausgefeiltes philosophisches System, das sich allerdings in tiefer und authentischer Erleuchtungserfahrung in Nichts auflöst. Die Beschäftigung mit Philosophie findet auf rationaler und dualistischer Ebene statt und kann somit die Wirklichkeit selbst nicht erreichen. Über die Wirklichkeit nachdenken, lesen, schreiben und sprechen ist wegen der begrifflichen Denkvorgänge nicht die Wirklichkeit selber, über die ja nur nachgedacht, gelesen, geschrieben und gesprochen wird.
Wenn eine Dharma-Darlegung allerdings den Zen-Schülern alle Vorstellungen über das, was die Wirklichkeit sei, aus dem Gehirn zieht und damit ihren Geist befreit, erfüllt eine solche Darlegung ihren Zweck. Bei einer solchen echten und spirituellen, nicht-rationalen Dharma-Darlegung kann der Hörer im günstigen Fall und mit – wohlgemerkt – äußerster nicht-willensmäßiger Konzentration den Versunkenheitszustand des «Appanā-Samādhi», die «volle Sammlung», und damit den Beginn der untersten der Erleuchtungsstufen erreichen. Mehr ist auf diesem Weg allerdings nicht möglich. Jeder Gedanke wirft einen Übenden aus tiefer Versunkenheit sofort wieder heraus.
Nun wollen wir uns in das, was Buddha, Dharma und Sangha eigentlich sind, vertiefen.
Buddha
Mit Buddha ist nur vordergründig der historische Buddha Śākyamuni gemeint. Als Śākyamuni, unter dem Bodhibaum in tiefer Versunkenheit sitzend, beim Anblick des Morgensterns tiefe Erleuchtung erfuhr, wurde er mit der Buddha-Natur eins. Er sagte: «O Wunder über Wunder, im Grunde sind alle Wesen Buddhas!» Seitdem wurde er als «Der Buddha» bezeichnet. In erster Linie ist Buddha jedoch das kosmische Wesen, der ewige Urgrund alles Seienden. Mit diesem kosmischen Wesen erfährt der Erleuchtete sich identisch. Er selbst ist das Buddha-Wesen. Er selbst ist seine Buddha-Natur. Insofern ist er selbst ein Buddha und erkennt nur noch in der dieses bestätigenden Erfahrung mit absoluter und zweifelsfreier Sicherheit sein Buddha-Sein. Dieses ist, wie gesagt, keine philosophische Aussage und auch kein Glaubenssatz, sondern Erfahrung. In der Erfahrung erübrigt sich jedes Wort.
Die Buddha-Natur ist die Wesensnatur. Die Wesensnatur des Menschen ist gleich der Wesensnatur des ganzen Universums. Das ist die Wesensnatur der Welt. Das ist ihr Sein, das allem zugrunde liegt. So erfährt der Erfahrende, dass er das ganze Universum ist. Nicht in seiner äußeren Ausformung ist er das Universum, denn er ist ein Mensch, der in einem menschlichen Körper herumläuft, sich auch bescheiden als ein Menschenwesen unter vielen weiß – aber in seinem Urgrund, der sein Wesen ist, ist sein Körper aus Fleisch und Blut nur eine einzige all seiner Formen. Er aber ist grenzenlos und das Ganze. In seinem menschlichen Körper lebend, erfährt er sich als die Welt, erfährt er sich als das Ganze.
Ein Mensch, der Zuflucht zum Buddha nimmt, vertraut sich zutiefst seiner Wesensnatur an. Hier ist er geborgen. Hier hat er sein Zuhause gefunden. Er entdeckt, dass er in seinem ureigenen Sein seit jeher zu Hause und von diesem Zuhause auch niemals getrennt war. Nun läuft er nicht mehr sehnsüchtig herum, um seine Heimat zu finden, von der er sich bis dahin getrennt wähnte.
Er ist aus seinem Traum erwacht.
Wohin ein Buddha auch schaut, er trifft überall sich selbst, da die Buddha-Natur aller Dinge und Wesen, so unterschiedlich in ihrer materiellen Ausformung sie auch sein mögen, seine eigene ist.
In der Erkenntnis der Wesenswelt, die seine Welt ist, ist alle Trennung aufgehoben, und Frieden ist eingekehrt. Dieses ist «der Frieden, den die Welt nicht geben kann», wie es in der Bibel heißt. Das unruhige Weltgetümmel ist nicht geeignet, diesen tiefen inneren Frieden zu geben. Jedoch inmitten des Weltgetümmels erfährt der Erfahrende des Friedens den Frieden. So ist er wahrhaftig friedvoll geworden und leistet seinen Beitrag zum Frieden der Welt.
«Ich nehme Zuflucht zum Buddha.» Wer oder was sonst könnte uns Zuflucht gewähren?
Dharma
[→ 8]Buddha-Wesens[→ 9][→ 10]