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Heinrich von Kleist

Die Marquise von O…

Novelle

Heinrich von Kleist

Die Marquise von O…

Novelle

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-954189-80-9

null-papier.de/452

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Inhaltsverzeichnis

An­mer­kung zu Ti­tel und An­zahl der Aus­las­sungs­punk­te

Die Mar­qui­se von O…

Dan­ke

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Anmerkung zu Titel und Anzahl der Auslassungspunkte

Mir ist be­wusst, dass Kleist in sei­nem Ori­gi­nal vier Aus­las­sungs­punk­te ver­wen­de­te: »Die Mar­qui­se von O....« - Da er im Text selbst aber eine schwan­ken­de An­zahl von Punk­ten nutz­te, bspw. Frau von G..../G..., habe ich mich dazu ent­schie­den, den heu­te be­kann­ten Drei­punkt all­ge­mein zu nut­zen.
J. Schul­ze, Ver­le­ger

Die Marquise von O…

Nach ei­ner wah­ren Be­ge­ben­heit, de­ren Schau­platz vom Nor­den nach dem Sü­den ver­legt wor­den

In M…, ei­ner be­deu­ten­den Stadt im obe­ren Ita­li­en, ließ die ver­wit­we­te Mar­qui­se von O…, eine Dame von vor­treff­li­chem Ruf, und Mut­ter von meh­re­ren wohl­er­zo­ge­nen Kin­dern, durch die Zei­tun­gen be­kannt­ma­chen: dass sie, ohne ihr Wis­sen, in and­re Um­stän­de ge­kom­men sei, dass der Va­ter zu dem Kin­de, das sie ge­bä­ren wür­de, sich mel­den sol­le; und dass sie, aus Fa­mi­li­en­rück­sich­ten, ent­schlos­sen wäre, ihn zu hei­ra­ten. Die Dame, die einen so son­der­ba­ren, den Spott der Welt rei­zen­den Schritt, beim Drang un­ab­än­der­li­cher Um­stän­de, mit sol­cher Si­cher­heit tat, war die Toch­ter des Herrn von G…, Kom­man­dan­ten der Zi­ta­del­le bei M… Sie hat­te, vor un­ge­fähr drei Jah­ren, ih­ren Ge­mahl, den Mar­quis von O…, dem sie auf das in­nigs­te und zärt­lichs­te zu­ge­tan war, auf ei­ner Rei­se ver­lo­ren, die er, in Ge­schäf­ten der Fa­mi­lie, nach Pa­ris ge­macht hat­te. Auf Frau von G…s, ih­rer wür­di­gen Mut­ter, Wunsch, hat­te sie, nach sei­nem Tode, den Land­sitz ver­las­sen, den sie bis­her bei V… be­wohnt hat­te, und war, mit ih­ren bei­den Kin­dern, in das Kom­man­dan­ten­haus, zu ih­rem Va­ter, zu­rück­ge­kehrt. Hier hat­te sie die nächs­ten Jah­re mit Kunst, Lek­tü­re, mit Er­zie­hung, und ih­rer El­tern Pfle­ge be­schäf­tigt, in der größ­ten Ein­ge­zo­gen­heit zu­ge­bracht: bis der … Krieg plötz­lich die Ge­gend um­her mit den Trup­pen fast al­ler Mäch­te und auch mit rus­si­schen er­füll­te. Der Obrist von G…, wel­cher den Platz zu ver­tei­di­gen Or­der hat­te, for­der­te sei­ne Ge­mah­lin und sei­ne Toch­ter auf, sich auf das Land­gut, ent­we­der der letz­te­ren, oder sei­nes Soh­nes, das bei V… lag, zu­rück­zu­zie­hen. Doch ehe sich die Ab­schät­zung noch, hier der Be­dräng­nis­se, de­nen man in der Fes­tung, dort der Gräu­el, de­nen man auf dem plat­ten Lan­de aus­ge­setzt sein konn­te, auf der Waa­ge der weib­li­chen Über­le­gung ent­schie­den hat­te: war die Zi­ta­del­le von den rus­si­schen Trup­pen schon be­rennt, und auf­ge­for­dert, sich zu er­ge­ben. Der Obrist er­klär­te ge­gen sei­ne Fa­mi­lie, dass er sich nun­mehr ver­hal­ten wür­de, als ob sie nicht vor­han­den wäre; und ant­wor­te­te mit Ku­geln und Gra­na­ten. Der Feind, sei­ner­seits, bom­bar­dier­te die Zi­ta­del­le. Er steck­te die Ma­ga­zi­ne in Brand, er­ober­te ein Au­ßen­werk, und als der Kom­man­dant, nach ei­ner noch­ma­li­gen Auf­for­de­rung, mit der Über­ga­be zau­der­te, so ord­ne­te er einen nächt­li­chen Über­fall an, und er­ober­te die Fes­tung mit Sturm.

Eben als die rus­si­schen Trup­pen, un­ter ei­nem hef­ti­gen Hau­bit­zen­spiel, von au­ßen ein­dran­gen, fing der lin­ke Flü­gel des Kom­man­dan­ten­hau­ses Feu­er und nö­tig­te die Frau­en, ihn zu ver­las­sen. Die Obris­tin, in­dem sie der Toch­ter, die mit den Kin­dern die Trep­pe hin­ab­floh, nach­eil­te, rief, dass man zu­sam­men­blei­ben, und sich in die un­te­ren Ge­wöl­be flüch­ten möch­te; doch eine Gra­na­te, die, eben in die­sem Au­gen­bli­cke, in dem Hau­se zer­platz­te, vollen­de­te die gänz­li­che Ver­wir­rung in dem­sel­ben. Die Mar­qui­se kam, mit ih­ren bei­den Kin­dern, auf den Vor­platz des Schlos­ses, wo die Schüs­se schon, im hef­tigs­ten Kampf, durch die Nacht blitz­ten, und sie, be­sin­nungs­los, wo­hin sie sich wen­den sol­le, wie­der in das bren­nen­de Ge­bäu­de zu­rück­jag­ten. Hier, un­glück­li­cher­wei­se, be­geg­ne­te ihr, da sie eben durch die Hin­ter­tür ent­schlüp­fen woll­te, ein Trupp feind­li­cher Scharf­schüt­zen, der, bei ih­rem An­blick, plötz­lich still ward, die Ge­weh­re über die Schul­tern hing, und sie, un­ter ab­scheu­li­chen Ge­bär­den, mit sich fort­führ­te. Ver­ge­bens rief die Mar­qui­se, von der ent­setz­li­chen, sich un­ter­ein­an­der selbst be­kämp­fen­den, Rot­te bald hier-, bald dort­hin ge­zerrt, ihre zit­tern­den, durch die Pfor­te zu­rück­flie­hen­den Frau­en, zu Hül­fe. Man schlepp­te sie in den hin­te­ren Schloss­hof, wo sie eben, un­ter den schänd­lichs­ten Miss­hand­lun­gen, zu Bo­den sin­ken woll­te, als, von dem Ze­ter­ge­schrei der Dame her­bei­ge­ru­fen, ein rus­si­scher Of­fi­zier er­schi­en, und die Hun­de, die nach sol­chem Raub lüs­tern wa­ren, mit wü­ten­den Hie­ben zer­streu­te. Der Mar­qui­se schi­en er ein En­gel des Him­mels zu sein. Er stieß noch dem letz­ten vie­hi­schen Mord­knecht, der ih­ren schlan­ken Leib um­fasst hielt, mit dem Griff des De­gens ins Ge­sicht, dass er, mit aus dem Mund vor­quel­len­dem Blut, zu­rück­tau­mel­te; bot dann der Dame, un­ter ei­ner ver­bind­li­chen, fran­zö­si­schen An­re­de den Arm, und führ­te sie, die von al­len sol­chen Auf­trit­ten sprach­los war, in den an­de­ren, von der Flam­me noch nicht er­grif­fe­nen, Flü­gel des Palas­tes, wo sie auch völ­lig be­wusst­los nie­der­sank. Hier – traf er, da bald dar­auf ihre er­schro­cke­nen Frau­en er­schie­nen, An­stal­ten, einen Arzt zu ru­fen; ver­si­cher­te, in­dem er sich den Hut auf­setz­te, dass sie sich bald er­ho­len wür­de; und kehr­te in den Kampf zu­rück.

Der Platz war in kur­z­er Zeit völ­lig er­obert, und der Kom­man­dant, der sich nur noch wehr­te, weil man ihm kei­nen Par­don ge­ben woll­te, zog sich eben mit sin­ken­den Kräf­ten nach dem Por­tal des Hau­ses zu­rück, als der rus­si­sche Of­fi­zier, sehr er­hitzt im Ge­sicht, aus dem­sel­ben her­vor­trat, und ihm zu­rief, sich zu er­ge­ben. Der Kom­man­dant ant­wor­te­te, dass er auf die­se Auf­for­de­rung nur ge­war­tet habe, reich­te ihm sei­nen De­gen dar, und bat sich die Er­laub­nis aus, sich ins Schloss be­ge­ben, und nach sei­ner Fa­mi­lie um­se­hen zu dür­fen. Der rus­si­sche Of­fi­zier, der, nach der Rol­le zu ur­tei­len, die er spiel­te, ei­ner der An­füh­rer des Sturms zu sein schi­en, gab ihm, un­ter Beglei­tung ei­ner Wa­che, die­se Frei­heit; setz­te sich, mit ei­ni­ger Eil­fer­tig­keit, an die Spit­ze ei­nes De­ta­che­ments, ent­schied, wo er noch zwei­fel­haft sein moch­te, den Kampf, und be­mann­te schleu­nigst die fes­ten Punk­te des Forts. Bald dar­auf kehr­te er auf den Waf­fen­platz zu­rück, gab Be­fehl, der Flam­me, wel­che wü­tend um sich zu grei­fen an­fing, Ein­halt zu tun, und leis­te­te selbst hier­bei Wun­der der An­stren­gung, als man sei­ne Be­feh­le nicht mit dem ge­hö­ri­gen Ei­fer be­folg­te. Bald klet­ter­te er, den Schlauch in der Hand, mit­ten un­ter bren­nen­den Gie­beln um­her, und re­gier­te den Was­ser­strahl; bald steck­te er, die Na­tu­ren der Asia­ten mit Schau­dern er­fül­lend, in den Ar­se­na­len, und wälz­te Pul­ver­fäs­ser und ge­füll­te Bom­ben her­aus. Der Kom­man­dant, der in­zwi­schen in das Haus ge­tre­ten war, ge­riet auf die Nach­richt von dem Un­fall, der die Mar­qui­se be­trof­fen hat­te, in die äu­ßers­te Be­stür­zung. Die Mar­qui­se, die sich schon völ­lig, ohne Bei­hil­fe des Arz­tes, wie der rus­si­sche Of­fi­zier vor­her­ge­sagt hat­te, aus ih­rer Ohn­macht wie­der er­holt hat­te, und bei der Freu­de, alle die Ih­ri­gen ge­sund und wohl zu se­hen, nur noch, um die über­mä­ßi­ge Sor­ge der­sel­ben zu be­schwich­ti­gen, das Bett hü­te­te, ver­si­cher­te ihn, dass sie kei­nen an­dern Wunsch habe, als auf­ste­hen zu dür­fen, um ih­rem Ret­ter ihre Dank­bar­keit zu be­zeu­gen. Sie wuss­te schon, dass er der Graf F…, Oberst­leut­nant vom t…n Jä­ger­korps, und Rit­ter ei­nes Ver­dienst- und meh­re­rer an­de­ren Or­den war. Sie bat ih­ren Va­ter, ihn in­stän­digst zu er­su­chen, dass er die Zi­ta­del­le nicht ver­las­se, ohne sich einen Au­gen­blick im Schloss ge­zeigt zu ha­ben. Der Kom­man­dant, der das Ge­fühl sei­ner Toch­ter ehr­te, kehr­te auch un­ge­säumt in das Fort zu­rück, und trug ihm, da er un­ter un­auf­hör­li­chen Kriegs­an­ord­nun­gen um­her­schweif­te, und kei­ne bes­se­re Ge­le­gen­heit zu fin­den war, auf den Wäl­len, wo er eben die zer­schos­se­nen Rot­ten re­vi­dier­te, den Wunsch sei­ner ge­rühr­ten Toch­ter vor. Der Graf ver­si­cher­te ihn, dass er nur auf den Au­gen­blick war­te, den er sei­nen Ge­schäf­ten wür­de ab­mü­ßi­gen kön­nen, um ihr sei­ne Ehr­er­bie­tig­keit zu be­zeu­gen. Er woll­te noch hö­ren, wie sich die Frau Mar­qui­se be­fin­de? als ihn die Rap­por­te meh­re­rer Of­fi­zie­re schon wie­der in das Ge­wühl des Krie­ges zu­rück­ris­sen. Als der Tag an­brach, er­schi­en der Be­fehls­ha­ber der rus­si­schen Trup­pen, und be­sich­tig­te das Fort. Er be­zeug­te dem Kom­man­dan­ten sei­ne Hochach­tung, be­dau­er­te, dass das Glück sei­nen Mut nicht bes­ser un­ter­stützt habe, und gab ihm, auf sein Ehren­wort, die Frei­heit, sich hin­zu­be­ge­ben, wo­hin er wol­le. Der Kom­man­dant ver­si­cher­te ihn sei­ner Dank­bar­keit, und äu­ßer­te, wie viel er, an die­sem Tage, den Rus­sen über­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­1­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­