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Titel

 

LIEBESBEZIEHUNGEN UND DEREN STÖRUNGEN

LEBENSFÜHRUNG NACH DEN GRUNDSÄTZEN DER INDIVIDUALPSYCHOLOGIE

von

Dr. Alfred Adler

 

Neu bearbeitet und herausgegeben von

Klaus-Dieter Sedlacek

 

 

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet über http://​dnb.​ddb.​de abrufbar.

 

Inhalt

Titel

Liebesbeziehungen und deren Störungen

Buchtipps

Impressum

Liebesbeziehungen und deren Störungen

Um einen Menschen ganz kennen zu lernen, ist es notwendig, ihn auch in seinen Liebesbeziehungen zu verstehen ... Wir müssen von ihm aussagen können, ob er sich in Angelegenheiten der Liebe richtig oder unrichtig verhält, wir müssen feststellen können, warum er in einem Fall geeignet, im anderen Falle ungeeignet ist oder sein würde. Es gesellt sich uns dann ganz von selbst die weitere Aufgabe: wie wir es denn anstellen könnten, in Liebesbeziehungen irgendwelche Fehlschläge zu verhindern. Wenn man bedenkt, dass ja von der Lösung des Liebes- und Eheproblems vielleicht der größte Teil des menschlichen Glückes abhängig ist, wird uns sofort klar, dass wir eine Summe der allerschwerstwiegenden Fragen vor uns haben.

Eine Schwierigkeit taucht bei Erörterung dieser Fragen gleich anfangs auf — die meisten sprechen sie sofort aus. Die Menschen seien nicht alle gleich und vielleicht hätten zwei Menschen unter anderen Umständen glücklicher sein können, wenn beispielsweise jeder einen anderen Partner gefunden hätte. Diese Möglichkeit soll gerne zugegeben werden, sie sagt jedoch nichts anderes aus, als dass die Betroffenen eine schlechte Wahl getroffen haben. Ob das Scheitern am Liebesproblem in der schlechten, irrtümlichen Wahl zu suchen ist. oder ob wir Fälle betrachten, in denen einer unter allen Umständen am Liebesproblem gescheitert wäre, weil er aus tieferen Gründen scheitern musste, in vielen Fallen wird uns die Kenntnis der menschlichen Seele und ihrer bewegenden Kräfte vor Fehlschlägen bewahren können.

Die Frage der Liebesbeziehungen ist eine Teilfrage des menschlichen Lebens. Ihr Verständnis ist nur möglich, wenn wir den Zusammenhang mit allen übrigen Lebensfragen beachten. Das Leben stellt uns drei große Aufgabenkomplexe, von deren Lösung unsere Zukunft, unser Lebensglück abhängig ist.

Die erste Lebensaufgabe ist die gesellschaftliche Aufgabe im weitesten Sinne. Das Leben verlangt von jedem ein bestimmtes Verhalten und eine weitestgehende Kontaktfähigkeit unseren Nebenmenschen gegenüber, ein bestimmtes Verhalten innerhalb der Familie und eine Formulierung seiner sozialen Einstellung Es ist für das Schicksal eines Menschen nicht gleichgültig, nach welcher Richtung er sich zum Beispiel eine soziale Ordnung zum richtunggebenden Ziel setzt, wieweit er bei seinen Handlungen an das eigene Wohl und wieweit er an das Wohl der anderen denkt. Seine innere Wahl ist hierbei in seinen äußeren Entschlüssen oft schwer zu finden, oft kann er sich in Fragen einer sozialen Stellungnahme überhaupt nicht entscheiden, und oft ist sein Standpunkt in anderem Sinne zu verstehen, als es äußerlich den Anschein hat. Euch von der politischen Stellungnahme gilt ähnliches. Selten trifft man Menschen, die mit ihrer Partei zufrieden sind, sehr oft aber solche, die man eigentlich einer anderen Partei zurechnen möchte. immer spielt ihr Verhalten zur menschlichen Gemeinschaft, ihr Verhalten zum lieben Menschen im weitesten Sinne die größte Rolle, nicht, was er oder andere davon denken.

Eine weitere Lebensaufgabe, die unserer Lösung harrt, ist die Berufsfrage, das ist die Art und Weise, wie einer seine Kräfte der Allgemeinheit dienstbar machen will. Die Lösung dieser Frage beleuchtet außerordentlich scharf das Wesen eines Menschen. Wenn wir zum Beispiel von einem jungen Mann hören, dass ihn jeder Beruf anwidert, so werden wir ihn vorerst nicht für einen geeigneten mit Menschen halten. entweder weil er für die Gesellschaft noch nicht reif ist oder weil er ohne Belehrung von selbst auch gar nicht reif werden wird. Zur Ergreifung eines Berufes führen unbewusste Zusammenhänge, die bei der weit überwiegenden Mehrzahl der Menschen eingreifen. Unbewusst sind diese Zusammenhänge, weil niemand, wenn er einen Beruf ergreift, daran denkt, dass er einen Schritt zum nutzen der Allgemeinheit unternommen, dass er sich einen Platz in der allgemeinen Arbeitsteilung gesucht hat. Freilich kommt es weiter auch darauf an, wie er sich in seinem Beruf betätigt. Es gibt ja Menschen, die wohl bis zu einer Berufswahl gelangen, innerhalb ihres Berufes aber versagen oder nach einiger Zeit erkennen, sie hätten eigentlich etwas anderes werden sollen. Wir werden aus einem häutigen Wechsel der Berufe schließen dass wir Menschen vor uns haben, die eigentlich gar keinen Beruf haben möchten, sich vielleicht für jeden Beruf als zu gut, also zu schlecht dünken und nur so tun, als ob sie mitgingen.