»Gespräche über die Liebe ist eine Seltenheit: aufrichtig und schonungslos ehrlich, tröstlich und geerdet, gefühlvoll und zugleich pragmatisch.«
Dolly Alderton, Autorin
Die Liebe – wir haben einerseits unglaublich hohe Erwartungen an sie, anderseits wissen wir erstaunlich wenig darüber. Als wollten wir unbedingt ins Meer springen, weigerten uns jedoch, vorher schwimmen zu lernen. Natasha Lunn hat Schriftstellerinnen, Therapeuten und andere Expertinnen zu ihren Erfahrungen mit der Liebe befragt, hat jahrelang Geschichten für ihren Newsletter Conversations on Love gesammelt und teilt ihre Erkenntnisse nun in diesem Buch.
Wie wir sie finden, an ihr wachsen und sie nicht verlieren
Aus dem Englischen
von
Katja Hald
Ullstein
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Deutsche Erstausgabe im Ullstein Taschenbuch
1. Auflage September 2021
© Natasha Lunn, 2021
© für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021
Die Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel Conversations of Love bei Viking, einem Imprint von Penguin Random House, London
Autorinnenfoto: privat
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ISBN 978-3-8437-2463-0
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Für alle, die sich in Sehnsucht verlieren
»Geschichten, die uns bis tief in die Nacht wach halten, sind Geschichten über die Liebe. Scheinbar können wir über dieses Rätsel des Lebens nie genug erfahren. Wieder und wieder lesen wir dieselben Szenen, dieselben Worte, versuchen, die Bedeutung aus ihnen herauszuschälen. Nichts ist uns vertrauter als die Liebe. Nichts entzieht sich uns so vollständig.«1
Jeanette Winterson, The Powerbook
Jahrelang habe ich mich ständig nach irgendetwas gesehnt. Nach einer Antwort auf eine Textnachricht, nach einem »Ich liebe dich« oder nach einem Mann, der mich auf diese ganz besondere Art ansieht. Hatte ich eine Beziehung, hoffte ich sehnsüchtig, sie würde halten, hatte ich keine, sehnte ich mich nach einer. Diese Sehnsucht äußerte sich in einer anhaltenden Ruhelosigkeit, die sich wie Nebel auf mein gesamtes Leben legte und verhinderte, dass ich die Dinge klar sehen konnte.
Ich dachte, es wäre Liebe, wonach ich mich sehnte, aber da täuschte ich mich. Wovon ich so besessen war, war eine Idee von Liebe, nicht die wahre Liebe selbst. In den vielen Jahren, in denen ich mich Tag und Nacht fragte: »Wann werde ich sie endlich finden?«, habe ich nicht ein einziges Mal innegehalten, um darüber nachzudenken, was genau die Liebe eigentlich ist. Wer macht das schon? In der Schule lernen wir nichts über sie, wir stellen keine Recherchen dazu an, werden nicht darin geprüft und wiederholen auch nicht einmal im Jahr, was wir darüber wissen. Wir werden angehalten, uns mit Wirtschaftslehre, Grammatik oder Geografie auseinanderzusetzen, aber nicht mit der Liebe. Dass wir einerseits so große Erwartungen an sie haben, andererseits aber so wenig Zeit darauf verwenden, sie zu verstehen, ist befremdlich, als wollten wir unbedingt ins Meer springen, weigerten uns jedoch, schwimmen zu lernen.
Und doch bleibt kein Leben von der Liebe unberührt, ob wir uns nun darüber Gedanken machen oder nicht. Sie durchdringt alles, Tag für Tag, ungehindert, grausam und wunderschön. Ich sehe mir ein Video vom sechs Wochen alten Baby eines befreundeten Paares an, wie es fröhlich in der Badewanne planscht, und nur eine Stunde später lese ich die bedrückende E-Mail einer Frau, die gerade erfahren hat, dass auch ihr dritter Versuch einer künstlichen Befruchtung fehlgeschlagen ist. Meine Gedanken wandern von zwei frisch verlobten Paaren zu einem anderen Paar, das seine Verlobung eben erst gelöst hat, und dann zu einem vierten, das nie so weit gekommen ist, sich zu verloben. Ich höre mir die Probleme einer Freundin an, die sich nach einer unerwarteten Scheidung ein neues Leben aufbauen muss, trauere mit einer anderen um einen verlorenen Elternteil und freue mich am Kichern einer dritten, die sich an eine frische Liebe herantastet. Die Liebe erblüht und vergeht in unserem Leben, ein unaufhaltsames, unerklärliches Auf und Ab. Zumindest dachte ich das.
Lange Zeit war ich davon ausgegangen, die Liebe sei schuld an meinem Unglück, und ich wollte verstehen, warum ich in Liebensdingen so unfähig war. Warum konnte ich einen Job, in dem ich nicht glücklich war, einfach kündigen, aber an einer unglücklichen Beziehung festhalten? Warum war ich in jedem anderen Bereich meines Lebens handlungsfähig, ging es aber um die Liebe, war ich plötzlich wie gelähmt? Warum dachte ich, die Ehe sei das Ende und nicht der Anfang der Liebe? In mir keimte der Verdacht, dass ich die Liebe bisher gründlich missverstanden hatte. Das war für mich, was Elizabeth Gilbert einmal die »Brotkrume der Neugier« nannte: eine winzige Spur, die ich aufnehmen und der ich nachgehen wollte.
Aus diesem Grund habe ich in meinem E-Mail-Newsletter Conversations on Love vier Jahre lang Schriftsteller, Therapeutinnen und andere Experten zu ihren Erfahrungen mit Liebe befragt, habe Menschen zugehört, die von ihrer Liebe zu einem anderen Menschen erzählten, ihrer Liebe zu einer Stadt, zu einem Gedicht oder einem Baum. Ich habe einen Mann interviewt, der sich wünschte, er hätte mit mehr Menschen geschlafen, und eine Frau, die sagte, Sex sei das Unterbewusstsein einer Ehe. Ich habe den Geschichten von Menschen gelauscht, die sich jahrzehntelang über viele Grenzen hinweg ihre Freundschaft bewahrten, von Menschen, die sich verliebten, als sie ein Kind verloren oder um einen Angehörigen trauerten, Menschen, die die Geburt eines Babys in einem Kriegsgebiet erlebten, und Geschichten von Menschen, die gelernt haben, Liebe im Alleinsein zu finden. Jede dieser Geschichten war für mich eine Erinnerung daran, dass Liebe möglich und mein Begriff von ihr nur begrenzt ist.
Denn während ich all diese Gespräche führte, ging die Liebe auch in meinem Leben ein und aus, und die Interviews erweiterten meine Perspektive, was Liebe sein und wie sie aussehen konnte. Als ich jedoch nach einer Fehlgeburt verzweifelt versuchte, wieder schwanger zu werden, begriff ich, wie viel ich noch lernen musste. Obwohl ich dachte, in der Zwischenzeit reifer geworden zu sein und meine jugendlichen Sehnsüchte hinter mir gelassen zu haben, gab es viele Parallelen zwischen meinem Kinderwunsch mit dreißig und der Sehnsucht nach einem Partner in den zehn Jahren davor. In beiden Fällen war ich stärker auf die Liebe konzentriert, die ich nicht hatte, als auf die, die ich hatte. Und das machte mich anfällig für Selbstmitleid. Ich verglich mich mit anderen und verspürte dabei, dass es eine Art von Glück gab, von dem ich ausgeschlossen war. Nachdem ich jahrelang sehnsüchtig den Paaren hinterhergesehen hatte, die sonntags Hand in Hand spazieren gingen, sah ich nun den Frauen hinterher, die einen Kinderwagen durch den Stadtpark schoben. Der Gegenstand meiner Sehnsucht war ein anderer, aber die Ruhe- und Rastlosigkeit waren dieselben. Damals begriff ich, dass es, solange ich die Liebe auf diese begrenzte Weise definierte, immer etwas geben würde, wonach ich mich sehne – einen Partner, eine Ehe, ein Baby, ein zweites Baby, ein Enkelkind, noch viele Jahre auf dieser Erde mit meiner Mutter, meinem Vater oder meinem Mann. Also stellte ich weitere Fragen und begann, dieses Buch zu schreiben.
Möglicherweise beschäftigt das Thema Liebe auch Sie täglich. Vielleicht wünschen Sie sich eine Beziehung oder überlegen insgeheim, Ihre zu beenden. Vielleicht leben Sie schon sehr lange in einer Partnerschaft und fragen sich, wie Sie Ihre Liebe durch die vielen Stürme des Lebens retten können. Vielleicht sind Sie Mutter oder Vater und wollen eine bessere Mutter oder ein besserer Vater sein. Oder Sie haben einen Elternteil verloren, und dieser Verlust stellt plötzlich alles andere in den Schatten. Oberflächlich betrachtet ist das, was wir uns von der Liebe erhoffen, bei jedem Menschen etwas anderes. Aber ich habe festgestellt, dass unsere individuellen Probleme häufig auf drei ganz grundsätzlichen Fragen basieren: Wie finden wir die Liebe? Wie bewahren wir sie? Und wie verarbeiten wir ihren Verlust? Diesen drei Fragen möchte ich in diesem Buch unter anderem nachgehen.
Ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, dass die Gespräche, die ich über die Liebe geführt habe, mein Leben verändert haben. Sie haben mir geholfen, den Nebel der Sehnsucht zu verscheuchen und zu erkennen, wie viel Liebe ich bereits in meinem Leben erfahren habe. Durch sie bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass wir versuchen müssen, die Liebe, auch wenn sie in vielerlei Hinsicht unergründlich ist, zu definieren. Wie bell hooks in ihrem Buch Alles über Liebe schreibt: »Wenn wir in jungem Alter fehlerhafte Definitionen des Begriffs Liebe lernen, fällt es uns im späteren Leben schwer zu lieben«, und »eine gute Definition markiert unseren Ausgangspunkt und zeigt uns, wo wir am Ende sein wollen«.2
Darüber hinaus glaube ich, dass wir lernen müssen zu lieben, so wie wir auch andere Fähigkeiten erlernen, denn diese Kunst kann für den Verlauf unseres Lebens durchaus entscheidend sein. In einer Studie, wie sich soziale Kontakte auf die Lebenserwartung auswirken, fand Dr. Julianne Holt-Lunstad heraus, dass die Wahrscheinlichkeit, frühzeitig zu sterben, bei Menschen mit starken sozialen Bindungen um fünfzig Prozent niedriger ist als bei Menschen mit schwachen sozialen Bindungen.3 Obwohl dem Thema Liebe nur wenig Aufmerksamkeit zuteilwird – man vergleiche den Umfang der Rubriken einer Zeitung, die sich Politik, Wirtschaft und Reisen widmen, mit der für Beziehungsthemen –, gibt es kaum etwas, das ernster und wichtiger wäre. Ein Mangel an Liebe kann seelisch und körperlich krank machen, während viel Liebe heilen kann.
In den Gesprächen in diesem Buch geht es zwar nicht nur um Liebesgeschichten und den Stellenwert sowie die Facetten der Liebe, sondern auch darum, was Menschen zueinander hinzieht und wie sie sich enttäuschen, was sie verletzt und was sie heilt. Es wird geschildert, wie sie es schaffen weiterzumachen, auch wenn sie glauben, dazu nicht in der Lage zu sein. Es wird gezeigt, wie sie den Verlusten, die sie in ihrem Leben erfahren haben, einen Sinn abzuringen versuchen. Ich hoffe, dass diese Geschichten für Sie dieselbe Bedeutung haben werden wie für mich: als eine mahnende Erinnerung, nicht zuzulassen, dass die Menschen, die wir lieben, in den Hintergrund gedrängt werden. Mögen diese Geschichten Sie einladen, die Liebe ernster zu nehmen, und eine Ermutigung für Sie sein, dem Leben, das uns geschenkt wurde, eine Bedeutung zu verleihen.
Ein Protagonist aus Hilary Mantels Roman Brüder sagte einmal: »Die Liebe ist stärker, beständiger als die Angst.« In einem Interview, das ich mit der Autorin einmal führte, erklärte sie mir: »Einer der Gründe zu schreiben, ist, herauszufinden, ob das der Wahrheit entspricht.« Genau das möchte ich auch tun. Ist die Liebe stärker als die Angst vor der Unsicherheit oder vor der Veränderung? Kann sie helfen, die Angst vor dem Tod zu überwinden? Die Beantwortung dieser Fragen scheint ein endloses Unterfangen zu sein. Dabei habe ich die wichtigste Lektion über die Liebe gelernt: dass sie eine Lebensaufgabe ist, eine Geschichte, die nie zu Ende sein wird. Ist es nicht ein großes Glück, das zu wissen? Zu wissen, dass es niemals einen letzten Satz geben wird, aber immer wieder einen neuen Anfang? Das hier ist einer davon.
»Das Leben ist kein Problem, das gelöst werden muss,
es ist ein Rätsel, das gelebt werden will.«4
M. Scott Peck