image1
Logo

Die Autoren

 

Images

Prof. Dr. Heinrich Greving lehrt an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen, Abteilung Münster, Allgemeine und Spezielle Heilpädagogik.

Images

Prof. Dr. Petr Ondracek ist Hochschullehrer im Ruhestand. Er lehrte an der Evangelische Hochschule RWL in Bochum Didaktik und Methodik der Heilpädagogik.

Heinrich Greving Petr Ondracek

Heilpädagogisches Denken und Handeln

Eine Einführung in die Didaktik und Methodik der Heilpädagogik

2., überarbeitete Auflage

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

Dieses Werk enthält Hinweise/Links zu externen Websites Dritter, auf deren Inhalt der Verlag keinen Einfluss hat und die der Haftung der jeweiligen Seitenanbieter oder -betreiber unterliegen. Zum Zeitpunkt der Verlinkung wurden die externen Websites auf mögliche Rechtsverstöße überprüft und dabei keine Rechtsverletzung festgestellt. Ohne konkrete Hinweise auf eine solche Rechtsverletzung ist eine permanente inhaltliche Kontrolle der verlinkten Seiten nicht zumutbar. Sollten jedoch Rechtsverletzungen bekannt werden, werden die betroffenen externen Links soweit möglich unverzüglich entfernt.

2., überarbeitete Auflage 2020

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-036222-2

E-Book-Formate:

pdf:    ISBN 978-3-17-036223-9

epub: ISBN 978-3-17-036224-6

mobi: ISBN 978-3-17-036225-3

Inhaltsverzeichnis

 

 

  1. Vorwort
  2. 1 Didaktik und Methodik – begriffliche Festlegung
  3. 1.1 Didaktik
  4. 1.1.1 Bezugsmodell didaktischer Elemente
  5. 1.1.2 Stellenwert der Didaktik für die Heilpädagogik
  6. 1.1.3 Festlegung des Begriffs Didaktik im Kontext der Heilpädagogik
  7. 1.2 Methodik
  8. 1.2.1 Methoden in der Heilpädagogik
  9. 1.2.2 Stellenwert der Methodik für die Heilpädagogik
  10. 1.2.3 Festlegung des Begriffs Methodik im Kontext der Heilpädagogik
  11. 1.3 Didaktik/Methodik der Heilpädagogik
  12. 2 Professionalität in der Heilpädagogik
  13. 2.1 Professionalisierung oder Professionalität?
  14. 2.2 Begrifflichkeiten im Kontext der Professionalität
  15. 2.2.1 Begriffe »Profession«, »Professionalität«, »Professionalisierung«
  16. Die konstruktivistische Dimension – Betrachtungsweise
  17. Die historische Dimension – Begründungsweise
  18. Die anthropologisch-ethische Dimension – Daseinsweise
  19. Die semiotisch-sprachliche Dimension – Bezeichnungsweise
  20. Die organisatorische Dimension – Beziehungsweise
  21. Die methodologische Dimension – Handlungsweise
  22. Die Ausbildungsdimension – Arbeitsweise
  23. 2.2.2 Begriff »Hilfe«
  24. 2.2.3 Begriffe »Handeln«, »Handlung«
  25. 2.3 Grundaspekte professionellen Handelns in der Heilpädagogik
  26. 2.3.1 Beziehung und Prozessualität
  27. 2.3.2 Fachwissen und Verstehen
  28. 2.3.3 Kommunikation
  29. 2.3.4 Stellvertretende Deutung
  30. 2.3.5 Stellvertretendes Agieren
  31. 2.3.6 Paradoxien
  32. 2.4 Zusammenfassung
  33. 3 Humanistische und konstruktivistische Perspektive
  34. 3.1 Humanistische Perspektive auf die Heilpädagogik
  35. 3.1.1 Selbstverständnis der Heilpädagogik
  36. 3.1.2 Wertgeleitet sein
  37. Menschenbilder und Heilpädagogik
  38. Ethische Normen und Heilpädagogik
  39. 3.2 Konstruktivistische Perspektive auf die Heilpädagogik
  40. 3.2.1 Grundlegende Aussagen zum Konstruktivismus
  41. 3.2.2 Konstruktivismus als Erkenntnistheorie für die Heilpädagogik
  42. 3.2.3 Relevanzen des Konstruktivismus für heilpädagogische Didaktik/Methodik
  43. 3.3 Zusammenfassung
  44. 4 Konzepte und Kompetenzen
  45. 4.1 Konzepte in der Heilpädagogik
  46. 4.1.1 Soziologisch-relationaler Zugang zur heilpädagogischen Praxis
  47. Der soziale Raum als Feld der Praxis
  48. Das Feld der Macht
  49. Das Feld der Wissenschaft
  50. Das Feld des Kapitals
  51. Individuelle Möglichkeiten und Grenzen – Habitus
  52. 4.1.2 Systemtheoretischer Zugang zur heilpädagogischen Praxis
  53. Grundbegriff des Konzeptes
  54. Methoden
  55. Verfahren und Techniken
  56. Fazit
  57. 4.2 Kompetenzen in der Heilpädagogik
  58. 4.2.1 Kompetenz und persönliche Eignung
  59. 4.2.2 Kompetenzensystematik
  60. Schlüsselkompetenzen
  61. Grundkompetenzen
  62. Konkretisierung am Beispiel der Selbstkompetenz
  63. Selbstreflexion
  64. Selbstwirksamkeit
  65. Psychohygiene
  66. Selbstsicherheit (assertiveness)
  67. Metakompetenzen
  68. Hermeneutische Metakompetenz
  69. Heuristische Metakompetenz
  70. Mediative Metakompetenz
  71. Berufsbiographische Metakompetenz
  72. Personbezogene Alltagsforschungskompetenz
  73. Fazit
  74. 4.2.3 Orientierungskompetenz: heilpädagogische Erfassung individueller Wirklichkeit statt Diagnostik
  75. 5 Referenzwissenschaften der Didaktik/Methodik der Heilpädagogik
  76. 5.1 Philosophie
  77. 5.1.1 Menschenrechte
  78. Die unbedingte Achtung vor dem Wertsein des Anderen
  79. Die unbedingte Zugehörigkeit jedes Menschen
  80. Die gerechte Verteilung der sozialen Güter
  81. Dialogische Verständigung
  82. 5.1.2 Didaktisch-methodische Umsetzungshinweise
  83. 5.2 Psychologie
  84. 5.2.1 Gegenstandsbereich der Psychologie
  85. 5.2.2 Systematiken psychologischer Fachgebiete
  86. 5.2.3 Heilpädagogische Psychologie
  87. 5.2.4 Didaktisch-methodische Umsetzungshinweise
  88. Das behavioristische Paradigma (Konzept des Lernens)
  89. Klassisches Konditionieren nach Pawlow
  90. Operantes Konditionieren nach Skinner
  91. Lernen am Modell nach Bandura
  92. Das tiefenpsychologische Paradigma (Konzept verborgener Kräfte)
  93. Psychoanalyse nach Freud
  94. Individualpsychologie nach Adler
  95. Das Paradigma der humanistischen Psychologie (Konzept des Selbstbildes)
  96. 5.3 Soziologie
  97. 5.3.1 Der Gegenstandsbereich der Soziologie
  98. 5.3.2 Disability Studies
  99. Behinderung als soziales Problem
  100. Behinderung als Armutsphänomen
  101. Soziale Reaktionen auf anders-seiende Menschen
  102. 5.3.3 Didaktisch-methodische Umsetzungshinweise
  103. 5.4 Medizin
  104. 5.4.1 Medizinische Sprachkonstrukte
  105. 5.4.2 Semantisch bedingtes Verhältnis Heilpädagogik – Medizin
  106. 5.4.3 Didaktisch-methodische Umsetzungshinweise
  107. Ressourcenorientiert und defektbeachtend
  108. Krankheit und Behinderung
  109. Leib, Körper und Seele
  110. Normalität und Abweichung
  111. Salutogenese und Pathogenese
  112. 5.5 Rechtswissenschaften
  113. 5.5.1 Grundlegende Hinweise in Bezug zur Inklusion
  114. 5.5.2 ICF
  115. 5.5.3 Das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK)
  116. 5.5.4 Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz/BTHG)
  117. 5.6 Pädagogik
  118. 5.6.1 Pädagogische Begrifflichkeit in der Heilpädagogik
  119. 5.6.2 Pädagogische Ausrichtung heilpädagogischer Didaktik/Methodik
  120. 5.6.3 Heilpädagogik und Bildungsprozess
  121. 5.6.4 Didaktisch-methodische Umsetzungshinweise
  122. Handlungsimpulse von Herman Nohl
  123. Respekt, Partnerschaftlichkeit, Gleichwertigkeit
  124. Transparenz, Offenheit, Einschätzbarkeit
  125. Bescheidenheit
  126. Vertrauen, Akzeptanz, Annahme
  127. Individualisierung, Entwicklungsorientierung
  128. Zuversicht und angstfreie Atmosphäre
  129. 5.7 Zusammenfassung
  130. 6 Lebenslaufbezogene Didaktik und Methodik
  131. 6.1 Professionelle Pädagogik als ein differenziertes System
  132. 6.1.1 Sozialpädagogische Praxis
  133. 6.1.2 Heilpädagogische Praxis
  134. 6.2 Das System professioneller Heilpädagogik
  135. 6.3 Heilpädagogisches Handeln im Kontext ausgewählter Lebensstationen
  136. 6.3.1 Vorgeburtlich: Pränatale Diagnostik
  137. 6.3.2 Geburt/Krankheit: Krankenhaus
  138. 6.3.3 Säugling/Kleinkind: Frühförderung
  139. Was heißt es konkret, in einer Frühförderstelle als Heilpädagoge tätig zu sein?
  140. Frühförderung als Entwicklungsförderung des Kindes
  141. Die frühen Hilfen als Prozess der Kooperation mit den Eltern
  142. Frühförderung als interdisziplinärer Austausch
  143. Frühförderung als Interessenvertretung im gesellschaftlichen Umfeld
  144. 6.3.4 Kleinkind: Kindertagesstätte
  145. Institutionen und Organisationen
  146. Ziele und methodische Schwerpunkte
  147. Aufgaben
  148. Fazit
  149. 6.3.5 Kindheit und Jugend: Schule, Ausbildung
  150. Heilpädagogik in der Offenen Ganztagsgrundschule – ein Modellprojekt
  151. Die heilpädagogischen Handlungsbereiche
  152. Außerschulische Heilpädagogik im Schulalter
  153. Ausbildung, Berufsvorbereitung
  154. Integration und berufliche Rehabilitation
  155. 6.3.6 Erwachsene – Wohnen und Arbeiten
  156. Wohnen in der Herkunftsfamilie
  157. Wohnen in einer Einrichtung
  158. Ambulant unterstütztes/betreutes Wohnen
  159. Andere Wohnformen
  160. Perspektive der Lebensqualität im Kontext des Wohnens
  161. Rechte
  162. Zwischenmenschliche Beziehungen
  163. Selbstbestimmung
  164. Physisches Wohlbefinden
  165. Materielles Wohlbefinden
  166. Persönliche Entwicklung
  167. Emotionales Wohlbefinden
  168. Soziale Inklusion
  169. Das Arbeitsleben von Menschen mit Behinderung
  170. Zusammenfassung
  171. 6.3.7 Alte Menschen: Lebensabend und Abschied
  172. 7 Rück- und Ausblick auf die Heilpädagogische Profession
  173. 7.1 Die theoretische Perspektive
  174. 7.2 Die methodologische Perspektive
  175. 7.3 Die europäische Perspektive
  176. 7.4 Die ausbildungsspezifische Perspektive
  177. Literaturverzeichnis
  178. Sachwortverzeichnis

Vorwort

 

 

 

Dieses Buch zur Didaktik und Methodik der Heilpädagogik erscheint nun in der 2., überarbeiteten und ergänzten, Auflage – die Gründe zu seiner Veröffentlichung sind jedoch nahezu die gleichen, wie bei der Erstauflage im Jahr 2009:

Obwohl es die Profession der Heilpädagogik schon seit mehreren Jahrzehnten gibt, ist immer noch keine umfassende und kohärente Abhandlung erschienen, die sich mit den didaktischen und methodischen Grundlagen dieses Berufs beschäftigt. Diese Publikation will diesem Missstand abhelfen, indem sie eine umfassende Begründung und Konzeptionalisierung einer Didaktik und Methodik der Heilpädagogik vorlegt. Im Zentrum stehen hierbei die unterschiedlichen Verknüpfungen zwischen heilpädagogischem Denken und heilpädagogischem Handeln. In bestimmten Kapiteln werden wir hierbei immer einmal wieder den Fokus auf die Thematik der Inklusion und der Disability Studies richten – Leitideen und Forschungsansätze, welche die Handlungswissenschaft der Heilpädagogik in den letzten 10 Jahren nicht unerheblich beeinflusst und herausgefordert haben.

Wie ist dieser Band nun konkret aufgebaut?

Nach einer kurzen Einleitung in die grundlegenden Aspekte der Didaktik und Methodik wird im Kapitel 2 die Professionalität der Heilpädagogik diskutiert. Dieses erscheint notwendig, da die Professionsdiskussion in den Sozialwissenschaften (in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts) beinahe vollständig an der Heilpädagogik vorbei gegangen ist – auch dies ist ein Umstand, der sich in den letzten Jahren nur sehr wenig verändert hat. Im Anschluss hieran wird im Kapitel 3 die grundlegende Perspektive dieses Buches vorgestellt: eine konstruktivistisch-humanistische Sicht auf die theoretischen und didaktisch-methodischen Ausrichtungen der Heilpädagogik. Im vierten Kapitel erfolgt dann die Beschreibung des heilpädagogischen »Handlungsweges« von den Konzepten zur Kompetenz. Die Begründung und Erörterung des Konzeptbegriffes erscheint notwendig, da es in der Heilpädagogik z. Z. eine Vielzahl höchst unterschiedlicher Konzeptionen gibt, eine stringente Vernetzung mit der Heilpädagogik häufig jedoch nur behauptet, nicht aber konsequent durchgeführt wird. Der zweite Aspekt in diesem Kapitel beschäftigt sich mit der Umsetzung des Kompetenzmodells in der Heilpädagogik. Kompetenzen sind hierbei als Realisierungsmomente der Konzepte zu begreifen und auf dem Hintergrund konstruktivistisch-humanistischer Begründungen zu diskutieren.

In einem ausführlichen fünften Kapitel werden daran anschließend die wichtigsten Referenzwissenschaften einer heilpädagogischen Didaktik und Methodik dargelegt: Philosophie, Psychologie, Soziologie, Medizin, Rechtswissenschaften und Pädagogik. Grundlegend werden alle vorgestellten Wissenschaften im Hinblick auf ihre Relevanz für heilpädagogisches Denken und Handeln überprüft, so dass diese beiden Perspektiven, bzw. der permanente Perspektivwechsel, der rote Faden dieses Kapitels ist.

Im darauffolgenden sechsten Kapitel wird das heilpädagogische Handeln vom Blickwinkel einer Lebenslauforientierung betrachtet. Anhand einer subjektiven Geschichte werden ausgewählte Lebensphasen und die mit ihnen verbundenen heilpädagogischen Handlungsfelder erläutert. Hierbei führt der Weg über eine Diskussion der pränatalen Diagnostik und der Geburt (Krankenhaus) über die Frühförderung und die Arbeit in einer Kindertagesstätte hin zu heilpädagogischem Handeln in der Kindheit (Schule), in der Jugend (Ausbildung) und im Erwachsenenalter (Wohnen und Arbeiten). Am Ende dieses Kapitels sind kurze Erörterungen zur Arbeit mit Senioren und sterbenden Menschen zu finden.

Das Buch schließt ab mit einem zusammenfassenden Blick auf die heilpädagogische Profession.

Images

Abb. 1: Übersicht der Teilbereiche des heilpädagogischen Denkens und Handelns.

Wir erhoffen uns auch und weiterhin von der 2. Auflage dieser Publikation eine Perspektiverweiterung auf die heilpädagogische Professionalität bzw. einen Anstoß in die Richtung einer Professionalisierung in der Heilpädagogik, welche interdisziplinär und multiperspektivisch ausgerichtet ist. Die Verknüpfung der Blickwinkel des Humanismus mit demjenigen des Konstruktivismus soll in Bezug auf eine lebenslauforientierte Didaktik und Methodik der Heilpädagogik dazu dienen, eine möglichst präzise und entsprechend begründete professionelle Handlungsweise in relevanten heilpädagogischen Tätigkeitsfeldern zu ermöglichen und zu konkretisieren.

Ein Hinweis: Die Personenbezeichnungen in diesem Buch beziehen sich gleichermaßen auf Frauen und Männer. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde jedoch darauf verzichtet, in jedem Fall beide Geschlechter ausdrücklich zu benennen.

Stadtlohn/Bochum, im Sommer 2019

Prof. Dr. Heinrich Greving/Prof. Dr. Petr Ondracek

1          Didaktik und Methodik – begriffliche Festlegung

 

 

Die Begriffe »Didaktik« und »Methodik« werden in diesem Buch häufig verwendet. Deshalb ist es notwendig und sinnvoll, sie am Anfang so zu definieren, wie sie dann auch zur Geltung kommen, weil in der Fachliteratur mehrere und z. T. auch widersprüchliche Auffassungen zu finden sind. Die zwar interessante, jedoch auch sehr viel Raum einnehmende Debatte um die Festlegungen von Definitionen und deren Feinheiten soll hier allerdings nicht geführt werden. Das haben verdienstvoll andere Autoren gemacht, und wir sehen keinen Anlass, sie hier noch einmal zu wiederholen. Stattdessen verweisen wir interessierte Leser auf eine sehr gute – da überschaubare – Darstellung von Johannes Schilling in seinem Lehrbuch »Didaktik/Methodik Sozialer Arbeit« (vgl. Schilling, 2016).

In Anlehnung an die dort beschriebenen Entwicklungen und Auffassungen der Begriffe »Didaktik« und »Methodik« wird in diesem einleitenden Kapitel eine begriffliche Festlegung dieser beiden Begriffe für das vorliegende Lehrbuch erfolgen.

Images

Abb. 2: Definition der Didaktik und Methodik in der Heilpädagogik.

1.1       Didaktik

Traditionell wird Didaktik fast automatisch mit der Institution Schule in Verbindung gebracht. Das ist nachvollziehbar, weil sie sich als theoretische Grundlage der Unterrichtskunst einen Namen gemacht und im Kontext des Lernens entwickelt hat. Dazu trägt auch die Tatsache bei, dass der Begriff »Didaktik« vom griechischen Wort »didaskein« abgeleitet wurde, mit dem sowohl das Lehren (im Sinne von »jemanden belehren«) als auch das Lernen (im Sinne von »belehrt werden«) bezeichnet wird. Folglich lässt sich sagen, dass Didaktik eine Disziplin ist, die sich mit Lehren und Lernen befasst. Diese Festlegung ist eindeutig und unbestritten.

Als solche hinterfragt die Didaktik den Lehr-/Lernprozess vor allem hinsichtlich folgender Elemente:

•  Beteiligte Personen (Wer lehrt wen bzw. wer lernt von wem?),

•  Gründe und Ursachen (Wieso und warum wird gelehrt bzw. gelernt?),

•  Inhalte (Was wird gelehrt bzw. gelernt?),

•  Motive, Anliegen und Ziele (Wozu wird gelehrt bzw. gelernt, welches Anliegen bzw. Ziel verfolgen die beteiligten Personen?).

Mit den erarbeiteten Hinweisen und Informationen wird von der Didaktik der theoretische Rahmen für das Lehren und Lernen aufgestellt. Dieser ist ausschlaggebend für die Antwort auf weitere wichtige Fragen: Nach einem – für die didaktisch erörterten Elemente relevanten – Weg und nach den entsprechenden Mitteln des Lehrens und Lernens. An dieser Stelle lässt sich das Bindeglied zwischen Didaktik und Methodik positionieren. Beide Disziplinen besitzen zwar ihr eigenes Teilgebiet für die Erforschung der Lehr-/Lernprozesse, sind jedoch aufeinander bezogen und folglich auch untrennbar miteinander verbunden.

Bei den Überlegungen zur Relevanz der Didaktik für die Heilpädagogik wirft die oben erwähnte fast automatische Zuordnung der Didaktik zum schulischen Geschehen Fragen auf: Die Heilpädagogik war und ist immer noch überwiegend außerhalb des Schulwesens angesiedelt (gleichwohl sich in der letzten Zeit eine Öffnung der Schule hinsichtlich einer Kooperation mit Heilpädagogen feststellen lässt – z. B. im Kontext der Integrationsklassen oder der integrativen Ganztagsschulen). Dies könnte zu der Schlussfolgerung führen, dass eine auf Lehren und Lernen ausgerichtete Didaktik nicht heilpädagogisch relevant ist, weil eben im heilpädagogischen Alltag kein Unterricht stattfindet, sondern vielmehr die pädagogisch-therapeutischen sowie Alltagsbewältigungsprozesse im Mittelpunkt stehen.

Eine solche Betrachtung der Didaktik wäre reichlich kurzsichtig. Auch in einer außerschulisch positionierten Heilpädagogik, die pädagogisch-therapeutisch wirkt und auf die Alltagsbewältigung ausgerichtet ist, sind – vielleicht nicht so vordergründig wie in der Schule, aber in der Tat doch relevant – die Lernprozesse immer involviert. Dies hängt mit der Tatsache zusammen, dass der Mensch in seiner Entwicklung von der Geburt bis zum Tode viel mehr als alle anderen Lebewesen auf der Erde auf das Lernen angewiesen ist. Folglich sind die didaktischen Erkenntnisse über das Lehren und Lernen im schulischen Kontext durchaus relevant und auch übertragbar auf andere – nicht schulische – Situationen. Ein solcher Transfer wird hier versucht.

•  Schulisch betrachtet stehen sich in einer Lehr-/Lernsituation der Lehrende (als derjenige, der etwas weiß) und der Lernende (als derjenige, der etwas wissen möchte) gegenüber. Hier besteht ein natürliches Wissensgefälle zu Gunsten des Lehrenden. Die beiden begeben sich in einen Kommunikations- und Interaktionsprozess, in dem der Lehrende das zur Verfügung stellt, was er weiß, und der Lernende sich dieses zur Verfügung stehende Wissen aneignet. Dies gleicht das Wissensgefälle aus. Eine weitere genauso wichtige ausgleichende Tatsache besteht darin, dass die beteiligten Personen – unbeachtet ihres Wissens und Unwissens – auf gleicher menschlicher Ebene stehen. Demnach stellt die Lehr-/Lernsituation eine Kommunikation und Interaktion vom Subjekt zum Subjekt dar, die als Begegnung zu verstehen ist (die für beide Seiten eine Bereicherung sein kann). Ob dies jedoch in der schulischen Welt von den Lehrpersonen immer und konsequent als Grundlage eines partnerschaftlichen Umgangs mit Lernenden wahrgenommen wird, sei dahingestellt.

•  Heilpädagogisch betrachtet lassen sich Lehren, Lernen und Lehr-/Lernsituation (im weitesten Sinne des Wortes) folgendermaßen erfassen:

–  Das Lehren als Handeln zum Zweck der Unterstützung bzw. Ermöglichung einer individuellen Entwicklung sowie Alltags- und Lebensbewältigung.

–  Das Lernen als Nutzung von verfügbaren Bedingungen, Hilfen und Ressourcen für die eigene Entwicklung und Lebensbewältigung.

–  Die Lehr-/Lernsituation als Kommunikation und Interaktion zwischen dem »Unterstützer« und dem »Nutzer«; diese ist eine Form der zwischenmenschlichen Begegnung und als solche beinhaltet sie immer für beide Seiten einen Lehr-/Lerneffekt.

–  Die Lehr-/Lernsituation als Prozess der Erstellung einer Passung (Viabilität; s. u.) zwischen beiden (und mehreren) Handlungspartnern in Bezug auf die Konstruktion ihres wechselseitigen Lernfeldes.

–  Darüber hinaus spielen noch weitere Bestandteile des Lehrens und Lernens eine wichtige Rolle: das Ziel sowie die entsprechenden Inhalte und die Methode der Zielerreichung.

1.1.1     Bezugsmodell didaktischer Elemente

Die Didaktik ist trotz ihrer unverkennbaren schulischen Wurzeln auch für eine außerschulische Heilpädagogik relevant. Ihre Erkenntnisse sind durchaus in den (heil)pädagogisch-therapeutischen sowie Lebensbewältigungsbereich transferierbar. Bedeutsam als Orientierungs- und Handlungshilfe für heilpädagogisch Tätige ist vor allem das folgende didaktische Modell, in dem die oben aufgelisteten didaktischen Elemente aufeinander bezogen dargestellt werden.

Um die Prozesse des Lehrens und Lernens planen, durchführen, reflektieren, variieren und evaluieren zu können (was die genuine Aufgabe des professionellen Handelns in jedem pädagogischen Praxisfeld ist), müssen alle Elemente dieses Modells in Betracht gezogen werden.

Images

Abb. 3: Bezugsmodell didaktischer Elemente Legende:

•  Die Ellipse veranschaulicht, dass alle drei Grundelemente auf der gleichen Ebene positioniert sind, also dass keines wichtiger wäre als die anderen (fehlt eines von ihnen, kann kein interaktiver Lehr-/Lernprozess zustande kommen).

•  Die Position des Grundelements »Lehr-/Lernsituation«/Passung zwischen den anderen Grundelementen »Lehrperson« und »Lernender« zeigt dessen Bedeutung als ein Feld der Kommunikation und Interaktion, d. h. ein Bereich, auf dem die Begegnung beider Elemente stattfinden kann.

•  Die Anordnung der Ergänzungselemente übereinander ist zufälliger Art. Sie hängen zwar immer alle zusammen und bedingen sich gegenseitig, aber müssen von den beteiligten Personen nicht zwingend in der dargestellten Reihenfolge verhandelt werden.

•  Die Pfeile veranschaulichen die Vernetzung und die Bezogenheit aller didaktischen Elemente aufeinander.
Images

Im Unterschied zum Lehr-/Lernprozess im schulischen Kontext gibt es in der Heilpädagogik keine vorgegebenen Lehrpläne mit festgelegten Lernbereichen und Lernzielen, die von den beteiligten Lehrern und Schülern zwingend verfolgt und erreicht werden müssen. Dies macht aus den im Modell als »Ergänzungselement« bezeichneten Merkmalen der Lehr-/Lernsituation (Ziel, Inhalt, Methode) weitreichend bestimmende Grundelemente. Sie werden von den jeweiligen Fächerdidaktiken in weitere Teilelemente zerlegt und für eine (manchmal ziemlich eng gefasste) Unterrichtsvorbereitung verwendet.

Die heilpädagogischen (Lern-)Interaktionen zeichnen sich durch eine prinzipielle Offenheit gegenüber subjektiven und folglich variablen Faktoren aus. Die Kommunikation und Interaktion zwischen dem Heilpädagogen und der zu betreuenden Person ist dann offen, wenn sie vordergründig als eine dialogische Beziehungsgestaltung im gemeinsamen Tun verstanden wird, die im Kontext der Alltags- und Lebensbewältigung auf dem Hintergrund der beeinträchtigten Lebenslage des Nutzenden stattfindet. Folglich können beim heilpädagogischen Handeln die Zielsetzung, die Inhalte und auch die Entscheidung über die Methode niemals von außen als eine zwingend zu erfüllende Vorgabe bestimmt werden. Sie müssen in jedem Einzelfall von den beteiligten Personen gemeinsam gesucht, verhandelt, entschieden und umgesetzt werden. An dieser Stelle wird die Unterscheidung zwischen Grund- und Ergänzungselementen im oben dargestellten didaktischen Modell deutlich.

Die doch recht schulisch anmutenden Bezeichnungen aus dem Modell lassen sich im heilpädagogischen Kontext wie folgt zu mehr alltagsbezogenen Formulierungen umwandeln:

•  Statt »Lehrperson« wäre zutreffender von einem Lern-Facilitator zu sprechen (engl.: »to facilitate« = ermöglichen, erleichtern). In diesem Sinne kann sich der Heilpädagoge als jemand verstehen, der das Lernen bei seinem Gegenüber ermöglicht und erleichtert. Er stellt somit einen Lernraum zu Verfügung, in welchem wechselseitige Lernprozesse entwickelt werden können. Wichtig ist, sich dabei mit allen Dimensionen einzubringen, die das eigene Personsein ausmachen (insb. Erfahrung, Wissen, Know-how, Ressourcen, Einschränkungen, Persönlichkeit und auch der soziokulturelle Hintergrund).

•  Statt »Lernender« wäre zutreffender von einem Nutzer/einer Nutzerin zu sprechen. Immerhin versteht sich das Sozialwesen zunehmend als ein Dienstleistungsfeld, auf dem die zu betreuende Person als Auftraggeber der Fachkräfte betrachtet wird und folglich die Position eines Nutzers innehat. Wir vermeiden an dieser Stelle bewusst die Bezeichnung »Kunde«, weil ein Mensch mit Behinderung, Verhaltensbesonderheiten etc. nicht wirklich als Kunde des Sozialwesens bezeichnet werden kann. Auch die Bezeichnung »Klient« trifft das Verhältnis zwischen heilpädagogisch Handelnden und Menschen mit Behinderung/Verhaltensbesonderheit/etc. nicht, da diese zu sehr medizinisch und juristisch geprägt ist. Der Begriff des »Nutzers« meint demgegenüber eher fähigkeitsorientiert und entwicklungsbezogen die Möglichkeiten des Menschen, die (in diesem Fall heilpädagogischen) Leistungen nutzen zu können. Diese Nutzung geschieht aktiv und auswählend, sie ist somit im Rahmen eines konstruktivistischen Verständnisses von Heilpädagogik stimmig und passend. Zudem bildet dieser Begriff das Verhältnis zwischen Assistenzgeber und Assistenznehmer ab, welches in den letzten Jahren immer relevanter geworden ist: Nicht der Mensch mit Behinderung/etc. ist vom Heilpädagogen abhängig, dieser assistiert ihm vielmehr im Rahmen seiner Lebensbewältigungsstrategien – und so kann diese Bezeichnung im Rahmen einer humanistisch geprägten Heilpädagogik nutzbar gemacht werden. In diesem Sinne kann der Nutzer als eine Person betrachtet werden, die im Lernprozess mit einem Lern-Facilitator involviert ist und dabei genauso wie dieser alle Dimensionen des eigenen Personseins einbringt. Darüber hinaus gehört zum Nutzer immer auch seine eigene soziale Umwelt, die auf ihn mehr oder weniger Einfluss ausübt und folglich als ein wichtiger Faktor beachtet werden muss.

•  Statt »Lernsituation«/Passung wäre zutreffender vom gemeinsamen Tun zu sprechen. Eine solche Bezeichnung für das Feld der Kommunikation und Interaktion zwischen Lern-Facilitator und Nutzer hebt besser die Elemente des – in der Heilpädagogik besonders wichtigen – dialogisch ausgerichteten Handelns hervor: Beidseitiges Interesse, Zielgerichtetheit, Bezogenheit aufeinander und Kooperation, aber auch die Möglichkeit zur Auseinandersetzung und Einflussnahme.

1.1.2     Stellenwert der Didaktik für die Heilpädagogik

Übertragen auf die Heilpädagogik lässt sich Didaktik als eine Disziplin betrachten, von der die Elemente professioneller Gestaltung des gemeinsamen Tuns von Lern-Facilitator und Nutzer untersucht und definiert werden. Dies dient der Unterstützung von Lernprozessen im Kontext der individuellen Entwicklung sowie der Alltags- und Lebensbewältigung beim Nutzer. Zu diesem Zwecke müssen von den heilpädagogisch Tätigen die dargestellten didaktischen Elemente immer wieder hinterfragt und analysiert werden. Es lässt sich auch von einer »alltagsdidaktischen Forschungsaufgabe« sprechen. Der Heilpädagoge denkt und handelt also dann didaktisch, wenn er folgende Elemente erforscht:

1.  Sich selbst, um sich Klarheit zu verschaffen über eigenes Wissen und Know-how, eigene Erfahrungen sowie Ressourcen, Einschränkungen und Persönlichkeit und auch über den eigenen soziokulturellen Hintergrund.

2.  Die Lebenslage, die Person des Nutzers sowie seine soziale Umwelt, um sich klar zu werden über die gleichen Aspekte seines Personsein, wie bei der Selbsterforschung, und um sich somit auch in seiner sozialen Vernetzung zu orientieren.

3.  Die Bedingungen, Wirkungsfaktoren, Möglichkeiten und Grenzen der Kommunikation und Interaktion mit den Nutzern im Kontext des gemeinsamen Tuns.

4.  Die von beiden Seiten jeweils eingebrachten Anliegen hinsichtlich der Ziele, Inhalte und Methoden, um mit dem Nutzer über einen Konsens bzw. eine Passung zu verhandeln, welche dann im gemeinsamen Tun zum Tragen kommt.

Wichtig ist zu wissen und zu respektieren, dass die Didaktik als praxisbezogene Disziplin nicht einer Begründung von bzw. Rechtfertigung für eine aktionistische Emsigkeit der heilpädagogisch Tätigen dient, sondern der Findung von Entscheidungen, die für beide Seiten einen Sinn ergeben (und sei es »nur« da zu sein, statt dem zu betreuenden und assistierten Menschen irgendwelche Aktivität überzustülpen). Demnach besteht der Stellenwert der Didaktik für heilpädagogisch Tätige darin, dass sie

•  zu einer Orientierung hinsichtlich Personen, Prozessen, Verhältnissen, Bedingungen, Gegebenheiten, Möglichkeiten und Grenzen im Kontext des heilpädagogischen Handelns verhilft. Das ist deshalb wichtig, weil bekanntlich eine gute Orientierung unentbehrlich für ein begründetes, zielgerichtetes und positiv wirksames (also professionelles) Handeln ist;

•  die für das professionelle Handeln wichtige Reflexion und Evaluation des Geschehenen erleichtert. Wer die didaktischen Elemente von Anfang an sowie auch durchgehend im o. g. Sinne erforscht, kann eher erkennen und sich bewusst machen, was er durchdacht, gemacht bzw. gelassen, theoretisch begründet oder vielleicht spontan »aus dem Bauch heraus« entschieden hat und wie sich das auf den Lehr- und Lernprozess und seine Ergebnisse auswirkte.

1.1.3     Festlegung des Begriffs Didaktik im Kontext der Heilpädagogik

Die hier kurz dargestellten Aspekte des Begriffs »Didaktik« lassen sich im Kontext der Heilpädagogik folgendermaßen zusammenfassen:

Didaktik ist eine praxisbezogene Disziplin, die die Alltagskommunikation und -interaktion (Lehr-/Lernmedium) zwischen Heilpädagogen (Lern-Facilitator) und dem zu betreuenden Menschen (Nutzer) vom Blickwinkel des gemeinsamen Tuns (Lehr-/Lernsituation) und seiner Ausrichtung (Ziel, Inhalt, Methode) erforscht. Sie dient den heilpädagogisch Tätigen als eine Orientierungshilfe im Bezogenheits- und Wirkungsgeflecht der didaktischen Elemente und trägt zur deren Handlungsprofessionalität bei.

1.2       Methodik

Das Lehren bzw. Lernen verläuft erst dann in beabsichtigter Quantität und Qualität und führt erst dann zu erwünschten Ergebnissen, wenn im Lehr-/Lernprozess eine mit dem didaktisch definierten Rahmen kompatible Methode sowie relevante Mittel eingesetzt werden. Einen Grund zu haben und sich ein Ziel zu setzen hat zwar eine wichtige motivierende Kraft, aber den für die Zielereichung erforderlichen Lehr-/Lernprozess können die Gründe und Absichten allein nicht ersetzen.

Etymologisch gesehen stammt der Begriff »Methode« aus den griechischen Worten »metá« und »hodós«: »Metá« heißt nach, mit oder zwischen, und »hodós« heißt Weg. Der zusammengesetzte Ausdruck »méthodos« bedeutet also »ein Weg zu etwas hin«. Übertragen in den Kontext des menschlichen Handelns wird der Begriff Methode verwendet als Bezeichnung für eine bestimmte Art zu handeln, um ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen. Von einer Methode kann also erst dann gesprochen werden, wenn es um planmäßiges Vorgehen zwecks Annäherung und Erreichung eines definierten Ziels geht.

Von den Merkmalen der Planmäßigkeit und Intentionalität ausgehend werden Methoden vor allem in Situationen gebraucht und angewendet, in denen aus einem gegebenen Anlass etwas Bestimmtes erreicht werden soll. Dies kann sich genauso auf die Herstellung eines bestimmten Produkts beziehen (die dafür notwendige Methode wird z. B. als Verfahren bezeichnet) wie auf die Erledigung bestimmter Aufgaben (z. B. wird zwecks Erstellung einer Rezension über einen Text die Methode des Exzerpierens seiner wesentlichen Inhalte verwendet) oder auf die Lösung von Problemen (um z. B. das Problem eines Missverständnisses in der Partnerschaft zu lösen, entscheiden sich die Betroffenen für die Methode eines moderierten Gesprächs).

Zusammenfassend lässt sich das Hauptcharakteristikum einer Methode wie folgt zum Ausdruck bringen: »Methoden sind erprobte, überlegte und übertragbare Vorgehensweisen zur Erledigung bestimmter Aufgaben und Zielvorgaben« (Schilling, 2016, 133).

Eine Disziplin, die das zielgerichtete Handeln als Gegenstand in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit stellt, wird als Methodik bezeichnet: Sie ist also eine Theorie bzw. Lehre von Methoden. Die Didaktik befasst sich – wie schon oben erwähnt – mit der Fragestellung: »Wer lehrt bzw. lernt mit wem was, warum und wozu?«. Die Methodik fragt nach dem »Wie, womit und auf welche Art lässt sich der Lehr-/Lernprozess gestalten?«. Sie hat die Aufgabe, Orientierung hinsichtlich dessen zu geben, wie bestimmte Lehr-/Lernprozesse verlaufen und welche Vorgehensweisen bzw. Schritte von beteiligten Personen zwecks Erfüllung von Aufgaben bzw. Erreichung von Zielen eingesetzt bzw. genutzt werden sollten.

1.2.1     Methoden in der Heilpädagogik

Oft wird von heilpädagogisch Tätigen nach dem »Handwerkszeug« gefragt, und sie erwarten von der Methodik Hinweise auf gute und schlechte Methoden. Im Hintergrund steht i. d. R. das (durchaus nachvollziehbare) Bemühen, möglichst viel Gutes zu bewirken.

Die heilpädagogisch Tätigen müssen mit der Tatsache leben, dass die oben dargestellten didaktischen Elemente im Kontext der heilpädagogischen Praxis nur eines garantieren: Es gibt nicht »das« Lernen, und folglich gibt es auch nicht »die« Methode. Der Pluralität von subjektiven und situationsbedingten Ausprägungen dieser Elemente folgt notwendigerweise eine Mannigfaltigkeit im methodischen Bereich. Wären alle Heilpädagogen, alle Nutzer, alle Lebenslagen und alle Lehr-/Lernsituationen gleich, würde die heilpädagogische Praxis mit einer kleinen Anzahl von immer gleich wirkenden und gleich effizienten Methoden auskommen. Zum Glück kann eine solche »methodische Monokultur« (Terhart, 1989, 132; zit. nach Schilling, 2016, 140) nicht entstehen, denn das würde eine »heilpädagogische Fließbandarbeit« bedeuten-, und diese Vorstellung ist erschreckend.

Im Praxisfeld des Sozialwesens existiert eine große Menge von Methoden. Der Entstehungsprozess dauert hierbei immer noch an: Mit viel Kreativität werden sie kombiniert, variiert und neu benannt. Das hat zwar eine gute Seite (es gibt umfangreiche Auswahlmöglichkeiten: »Viele Wege führen nach Rom!«), verursacht jedoch zugleich Probleme (eine zu große Auswahlmöglichkeit kann verunsichern: »Welcher Weg ist denn der beste?«). Wie auch immer, die Suche nach einer für einen bestimmten Zweck geeigneten Methode muss immer mit dem Ziel kompatibel sein und dem Kriterium der Viabilität standhalten: Die ausgewählte Methode muss nicht nur effiziente Zielverfolgung garantieren, sondern sie muss für alle Beteiligten »gangbar« sein und als solche von ihnen auch angenommen werden. Das, was im wechselseitigen Handeln entsteht, was durch die Tätigkeiten im Rahmen einer entwicklungsbezogenen Perspektive konstruiert wird, ist erst für ein didaktisches und methodisches Handeln, im wahrsten Sinne dieses Wortes, »Sinn«-voll. Ein Sinn, welcher also genuin im gemeinsamen Tun entstehen kann, in einem Prozess, in welchem alle Ziele für alle Handlungspartner gültig sind und in welchem es keine Abhängigkeiten geben kann und darf. Ein monokausales und eindimensionales methodisches Handeln ist somit nicht nur nicht zu realisieren – es ist im eigentlichen Sinne gar nicht möglich.

Es ist kein Geheimnis (und das ist gut so), dass nicht die Methode per se, sondern die Bedeutung der Methode für die beteiligten Personen (für den Lern-Facilitator wie auch für den Nutzer) sowie die Art und Weise ihrer Anwendung seitens des Heilpädagogen entscheidend sind für ihre Effizienz und letztendlich auch für die Bewertung, ob sie gut oder schlecht ist. Erst in der Verbindung Personen/Anliegen/Situation/Methode kann der Sinn von ausgewählten Vorgehensweisen erkannt und ihr Wert für den (gegenseitigen) Lehr- und Lernprozess eingeschätzt werden.

Interessant ist die Frage, ob es eine spezielle heilpädagogische Methodik gibt, die für die heilpädagogische Praxis spezifische heilpädagogische Methoden kreiert. Eine eindeutige Antwort im Sinne von »ja« oder »nein« gibt es bislang noch nicht. Das liegt daran, dass in der heilpädagogischen Praxis einerseits (und überwiegend) Methoden und Vorgänge Verwendung finden, die auch in anderen Berufen des Sozialwesens zur methodischen Grundausstattung gehören. Es handelt sich dabei um mehr »allgemeine« Methoden, wie z. B. der Gesprächsführung, welche in ziemlich allen sozialen Berufen eingesetzt werden. Andererseits verfügt die heilpädagogische Praxis auch über spezifische Methoden, die in anderen sozialen Berufen nicht verwendet werden, wie z. B. die Methode der »Heilpädagogischen Übungsbehandlung (HPÜ)«, die von Clara Maria von Oy und Alexander Sagi entwickelt wurde. Mit dieser Kreation haben die beiden auf die Tatsache reagiert, dass in der Tat die Heilpädagogik bis dahin keine eigenen Methoden entwickelt hatte. Die HPÜ gilt deshalb als eine originäre und unverwechselbar eigene Methode der Heilpädagogik. Bei aller begründeten Kritik hieran.

1.2.2     Stellenwert der Methodik für die Heilpädagogik

Heilpädagogik als Handlungswissenschaft steht in engster Verbindung mit heilpädagogischen Praxisfeldern. Allein aus dieser Tatsache ergibt sich die große Bedeutung, welche die Methodik als Methodenlehre für die Heilpädagogik hat. Die theoretische Untermauerung des heilpädagogischen Handelns mit Erörterungen, Verstehenshilfen, Konzepten usw. wäre nur beschränkt hilfreich, wenn die Methodik der Heilpädagogik nicht die erforderlichen relevanten Ansätze, Methoden, Vorgänge und Verfahren suchen, transferieren, anpassen, überprüfen und der Praxis zur Verfügung stellen würde.

Wie wichtig die Methodik ist, kann jeder heilpädagogisch Tätige dann (schmerzhaft) erkennen, wenn er mittels heilpädagogischer Theorien und Konzepte erkennt, was und warum sinnvoll und erforderlich zu verfolgen und zu erreichen wäre, es aber weder verfolgen noch erreichen kann, weil eine dafür passende und für alle Beteiligten viable Methode nicht verfügbar ist bzw. er diese nicht kennt oder sie vielleicht doch kennt, aber nicht anwenden kann.

1.2.3     Festlegung des Begriffs Methodik im Kontext der Heilpädagogik

Die Methodik der Heilpädagogik ist als Methodenlehre zu verstehen, die der heilpädagogischen Praxis geeignete methodische Ansätze, konkrete Methoden, Vorgehensweisen und Verfahren zur Verfügung stellt. Als solche ist sie für die heilpädagogische Praxis unverzichtbar. Die von ihr erarbeiteten methodischen Mittel werden zumeist aus anderen Fachgebieten übernommen und für die Bedürfnisse der heilpädagogischen Praxis nutzbar gemacht. Folglich arbeiten die heilpädagogisch Tätigen überwiegend mit heilpädagogisch anwendbaren, also mit nicht ureigenen heilpädagogischen Methoden. Ganz ohne Eigenentwicklungen ist die heilpädagogische Methodik allerdings nicht, wie das Beispiel der Heilpädagogischen Übungsbehandlung zeigt.

1.3       Didaktik/Methodik der Heilpädagogik

Am Beispiel des Heilpädagogen, der zwar weiß, was zu verfolgen und zu erreichen wäre, aber es mangels geeigneter Methode nicht umsetzen kann, wird die untrennbare Verbindung zwischen der Didaktik und der Methodik deutlich. Es gibt also weder eine alleinstehende Didaktik noch eine alleinstehende Methodik der Heilpädagogik. Diese beiden Zugänge zu Fragen der heilpädagogischen Praxis stellen zwei Seiten der gleichen Münze dar. Selbstverständlich lässt sich vortrefflich darüber diskutieren und streiten, wie die untrennbare Verbindung der beiden Seiten sprachlich zum Ausdruck gebracht wird: Ob »Didaktik und Methodik« oder »Methodik und Didaktik«, ob »Didaktik-Methodik« oder »Methodik-Didaktik« oder vielleicht »Didaktik/Methodik« bzw. »Methodik/Didaktik«? Diese Diskussion ist bereits intensiv geführt worden und muss an dieser Stelle auch nicht wiederholt werden.

In Anlehnung an die Ausführungen von Schilling wird hier Folgendes festgehalten: »Zwischen Didaktik und Methodik besteht ein interdependentes Verhältnis, ein Wechselverhältnis. Um dieses entsprechend auszudrücken, wählte man den Schrägstrich: Didaktik/Methodik« (Schilling, 2016, 134).

Mit dem Ausdruck »Interdependenz« wird die Gleichwertigkeit von beiden Teilelementen und ihre gegenseitige Abhängigkeit bezeichnet: Die didaktische Erforschung von »wer mit wem was, warum und wozu« führt zwangsläufig zu den methodischen Aspekten »wie und auf welche Art« und umgekehrt. Eine Trennung von Zielen, Inhalten, Methoden und Mitteln wäre unsinnig, auch wenn beide Teildisziplinen eigene Positionierungen und Fokussierungen haben. Denn in jeder inhaltlichen und zielbezogenen Festlegung der Didaktik sind bereits die Fragen nach der methodischen Umsetzung verborgen. Genauso beinhaltet jede methodische Überlegung implizit auch die Bezugnahme auf Inhalte und Ziele.

Wenn dies nicht beachtet wird, kommt unweigerlich die Gefahr von Selbstzweck-Anwendung oder »sozialer Technik« ins Spiel – also etwas, was mit dem Selbstverständnis der Heilpädagogik und dem professionellen heilpädagogischen Handeln auf keinen Fall vereinbar ist.

Ein erstes Fazit hierzu:

Didaktik/Methodik der Heilpädagogik ist ein auf die praxisbezogene Erforschung von didaktischen Elementen und methodischen Vorgängen des heilpädagogischen Handelns ausgerichteter Bestandteil der Gesamtdisziplin Heilpädagogik. Folglich ergänzen sich die heilpädagogische Theoriebildung und die Didaktik/Methodik der Heilpädagogik gegenseitig. Gemeinsam verfolgen sie das Ziel, den heilpädagogisch Tätigen eine handlungsleitende Orientierung und heilpädagogisch relevante methodische Ausstattung für die berufliche Tätigkeit zu vermitteln. Sie nimmt des Weiteren Bezug auf eine wissenschaftstheoretische Begründung, welche von den Prämissen des Humanismus und des Konstruktivismus ausgeht.

Diese sollen in den nächsten Kapiteln konkret ausgeführt werden.

Aufgaben und Anregungen

1.  Stellen Sie die Relevanz der Didaktik und Methodik für die Planung und Durchführung heilpädagogischer Prozesse anhand von Beispielen dar.

2.  Übertragen Sie das »Bezugsmodell didaktischer Elemente« auf heilpädagogisches Handeln. An welchen Punkten ist eine Übertragung eher einfach, an welchen eher problematisch? Begründen Sie Ihre Meinung ausführlich.

3.  Diskutieren Sie die Aussage, dass »es eine spezielle heilpädagogische Methodik gibt, die für die heilpädagogische Praxis spezifische heilpädagogische Methoden kreiert«. Stimmen Sie dieser These zu oder nicht?

4.  Stellen Sie die Verknüpfungen von Ihnen bekannten theoretischen Begründungen mit methodischen Elementen der Heilpädagogik dar.

5.  Welche Kritik könnte an dem hier vorgestellten Entwurf zur Didaktik und Methodik geäußert werden? Begründen Sie Ihre Meinung ausführlich.

2          Professionalität in der Heilpädagogik

 

 

Die grundlegende These dieses Kapitels kann wie folgt lauten: Ein Heilpädagoge zu sein heißt, eine berufliche Tätigkeit auszuüben, die sich als heilpädagogisches Handeln vollzieht und den Anforderungen der Professionalität entspricht. Sie kann wie folgt begründet werden:

•  Heilpädagogisches Handeln ist im Wesentlichen eine verberuflichte Form der natürlichen familialen bzw. durch das Individuum selbst durchzuführenden Versorgung, Pflege, Begleitung und Unterstützung bei Entwicklung sowie Lebensführung bei Personen, die hinsichtlich ihrer Funktionsfähigkeit und Aktivitäten (bio-psychischer Aspekt: Körperlichkeit) sowie des Einbezogenseins in Lebenssituationen (sozialer Aspekt: Partizipation [Teilhabe]) durch eine Schädigung/Behinderung beeinträchtigt sind (vgl. DIMDI 2005, 11 ff.).

•  Den Beruf eines Heilpädagogen bzw. einer Heilpädagogin dürfen nur Personen ausüben, die die formal-inhaltlichen Qualifikationsanforderungen (berufliche Ausbildung) erfüllen, welche als Zugangsvoraussetzung für die Tätigkeit in gesellschaftlich anerkannten Berufen gelten (staatliche Anerkennung).

•  Als berufliche Tätigkeit findet das heilpädagogische Handeln im gesellschaftlichen Auftrag (durch die Gesetzgebung) und im institutionellen Rahmen eines entsprechenden Systems statt (Soziale Arbeit, Gesundheitswesen, Schulwesen, etc.) und orientiert sich an den dort geltenden Qualitätsstandards.

•  Neben der o. g. Grundlegung der beruflichen Tätigkeit, die für alle Heilpädagogen eine handlungsleitende Funktion hat (Aspekt der Professionalisierung) sind für die Erfüllung von konkreten beruflichen Aufgaben bestimmte bereichs- bzw. berufstypische Kompetenzen erforderlich, über die der einzelne heilpädagogisch Tätige verfügt (Aspekt der Professionalität).

Von dieser These ausgehend werden im Folgenden einige Einblicke in die Professionalisierungsdebatte im Kontext des Sozialwesens und des Berufs der Heilpädagogik dargestellt. Hierzu jedoch eine Vorbemerkung: In diesem Buch kann die Darstellung der wechselvollen und von Interdependenzen gekennzeichneten Geschichte zwischen der Heilpädagogik und der Sozialen Arbeit nicht wiedergegeben werden. Nur so viel hierzu: Historisch gesehen entwickelte sich die Heilpädagogik in unmittelbarer Nähe zur Sozialpädagogik (diese ist sogar im Kern ein wenig älter als sie; vgl. Gröschke, 1997, 92 f.). Dennoch entstand die Praxis der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen (also eine mögliche Ausprägung heilpädagogischen Handelns) früher als die sozialpädagogische Praxis. Beide gaben Antworten auf die sog. »soziale Frage« (am Ende des 19. Jahrhunderts), beide entwickelten sich dann in einem komplementären Verhältnis zueinander im Feld der Allgemeinen Pädagogik weiter. »Als gemeinsames Spezifikum von Heilpädagogik und Sozialpädagogik im Verhältnis zu Pädagogik allgemein muss die Gleichrangigkeit von edukativem Motiv und Hilfe-Motiv […] betont werden« (Gröschke, 1997, 97). Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts löste sich hiervon ein weiteres Handlungsfeld, eine weitere Profession ab: Die der Sozialarbeit, welche sich bis zum Ende dieses Jahrhunderts hin zur Sozialen Arbeit entwickelte. So ist auf dem Feld des Sozialwesens z. Z. eine intensive Differenzierung (und Verschmelzung) von Berufen und Professionen zu beobachten, welche eine exakte Lokalisierung einer einzelnen Professionalität als schwierig erscheinen lassen (dennoch werden wir dieses für die Heilpädagogik versuchen). Hinzu kommt noch das Problem der ausbildungsgenerierten Aufteilung in die Ebenen der Fachschul-, Fachhochschul- und Universitätsausbildungen (wie dieses in den Ausbildungen zum Erzieher, zur Heilpädagogin BA oder zur Diplomheilpädagogin mit Fachhochschul- oder Universitätsabschluss deutlich wird). Wir werden somit in den weiteren Erläuterungen immer dann den Begriff des »Sozialwesens« verwenden, wenn das gesamte Feld dieser Berufe beschrieben werden soll, wir werden uns für die Bezeichnung »Heilpädagogik« entscheiden, wenn wir konkrete Aussagen zu dieser Profession treffen.

Images

Abb. 4: Professionalität in der Heilpädagogik

2.1       Professionalisierung oder Professionalität?

In der Arbeitswelt stellen sich einige wenige Berufe scheinbar besser dar als andere. Einige verstehen sich als »stolze Berufe«, was die anderen – logischerweise – in einem weniger glanzvollen Licht erscheinen lässt: Das sind dann die »bescheidenen Berufe«. Um diese Unterscheidung zu begründen und zu untermauern, wird eine Professionalisierungsdebatte geführt und eine Professionalisierungstheorie kreiert. Ausgetragen wird die Debatte vor allem in der Arbeitswelt, wo Menschen mit Menschen zu tun haben. Es ist nicht überraschend, dass zu den »stolzen Berufen« die Berufsgruppe der Ärzte, der Juristen und der Priester zählen. Sie gelten als gesellschaftlich absolut unentbehrlich, werden geschichtlich als »von Anfang an« da gewesen betrachtet und weisen Qualitätsmerkmale auf, welche bei anderen Berufsgruppen nicht vorzufinden sind. Deshalb wird ihnen die Bezeichnung der Profession zugestanden. Der Rest der Arbeitswelt wird von Berufen gefüllt, die solche Aspekte nicht vorweisen können. Folglich wird Ihnen der Gebrauch der Bezeichnung »Profession« verwehrt.

Ein unbeteiligter Betrachter wird sich vermutlich die Frage stellen: »Wozu soll das gut sein? Es ist doch nur ein Fegefeuer der Eitelkeiten.« Ausgehend von der philosophisch-anthropologischen Prämisse einer grundsätzlichen Gleichwertigkeit der menschlichen Arbeit erscheinen sowohl die Professionalisierungsdebatte als auch die entsprechende Theorie in der Tat als überflüssig. Sobald jedoch das Feld der berufspolitischen Interessen betreten wird, gewinnt die Professionalisierungsdebatte an Bedeutung. Denn – auch wenn das nicht so unverhüllt zugegeben wird – sie dient vor allem der Verteidigung eines Berufsmonopols und sichert den Angehörigen Prestige und Respekt der Umwelt. Es ist eine logische Folge der Arbeitsteilung, die zur Differenzierung der Aufgabenfelder und zur Hierarchienbildung sowie der Sicherung von Macht- und Einflusssphären führte.