Waltraud Krannich: Herrenhaus und Hütten. Sächsische Dörfer am Erzgebirgskamm von 1700 bis 1900 am Beispiel von Rübenau

In Liebe und Dankbarkeit

gewidmet meinen Großeltern

Mathilde Hänel geb. Brückner

∗ 7.6.1885 in Natschung (Načetín) 15.9.1965 in Rübenau

Richard Hänel

∗ 14.5.1882 in Rübenau 20.5.1969 in Olbernhau

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

2. Auflage 2017

Alle Rechte bei der Verfasserin

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 9783744812245

Dieser Band ist die Fortsetzung des Buches "Flehentlich mit seinem Weibe", 2016, ISBN 9783741285950, aber setzt dessen Kenntnis nicht voraus.

Umschlagfoto:

Blick vom Keherteich auf die Neunhäuser von Rübenau. Foto: W. Krannich

Gedanken zu Beginn

Jede Stadt, jedes Dorf auf dem Erzgebirgskamm hat seine ureigene Geschichte – besondere Begebenheiten, historische Gebäude, dörfliche Originale. Und dennoch, vieles, was sich in der Gemeinde Rübenau an der Grenze zu Böhmen ereignete, geschah auf ähnliche Weise auch an anderen Orten. Zwischen 1700 und 1900 wandelten sich im Kurfürstentum und späteren Königreich Sachsen die feudalen Strukturen nach und nach in bürgerliche Verhältnisse. Es waren konfliktreiche Prozesse, sowohl für die Besitzer der Herrenhäuser wie auch für die Menschen in den ärmlichen Häusern und Hütten. Die bis dahin vorherrschenden Grundherrschaften mit Frondiensten wurden allmählich abgelöst durch bäuerliche Einzelwirtschaften, zunehmende bürgerliche Freiheiten und Wirtschaftsformen im Gefolge der industriellen Revolution.

Zwar hatten die wechselnden Gutsherren von Rübenau nach 1700 immer den eigenen Vorteil im Sinn, aber trachteten selten danach, auch das Dorf voranzubringen und dafür neue Wege zu suchen. Das taten die Rübenauer meist selbst, wenn die Zeitverhältnisse ihnen es erlaubten – auf Feldern, Äckern und im Wald, in Hammerwerken und Mühlen, beim Schmieden, bei mühseliger Heimarbeit und vielen anderen Tätigkeiten. So stieg die Einwohnerzahl des Dorfes von 39 Häuslern anno 1698 bis 1875 auf 2637 Personen. Im Jahr 1990 betrug sie jedoch nur noch 1223 Personen und sank bis 2015 auf 975 – ein Rückgang, der viele Orte betrifft.

Aber auch heute lebt ein Viertel aller Deutschen noch in ländlicher Umgebung. Nimmt man die Klein- und Mittelstädte hinzu, wohnt sogar jeder Zweite in der „Provinz“. Damit die Vorzüge die Nachteile wettmachen, ist Einsatz gefragt, von der Kommune und von jedem Einzelnen. Ein Dorf soll nicht eine Art Freilichtmuseum sein, in dem nur gewohnt und geschlafen wird und einige Städter sich ein Ferienhaus leisten. Es darf, auch der natürlichen Umwelt zuliebe, nicht so sein, dass nur die Stadt Zukunft bietet. Doch alles muss immer wieder neu errungen und bewahrt werden. Nur abzuwarten, was „von draußen“ kommt, bringt nichts.

Die Gegenwart und die Zukunft sind ohne die Vergangenheit nicht denkbar. Sie erst schafft Identität. Dieses Geschichtsbuch möchte den heutigen Rübenauern und anderen Erzgebirglern Mut machen, das Leben in ihrem Dorf, ihrer Stadt mit Kopf und Hand selbst mitzugestalten. Damit ihr Heimatort mit seiner langen, oft bedrückenden Geschichte eine erfreuliche Zukunft hat. Damit die Menschen in ihm Geborgenheit und Zuversicht verspüren.

"Der schönste, reichste, beste und wahrste Roman, den ich je gelesen, ist die Geschichte", schrieb der deutsche Dichter Jean Paul (1763 – 1825). Vielleicht ist der eine und andere Leser der gleichen Ansicht.

Waltraud Krannich

Danksagung

Allen, die ihr Teil dazu beigetragen haben, dass dieses Buch und die vorangegangene Publikation „Flehentlich mit seinem Weibe“ entstehen konnten, möchte ich an dieser Stelle ganz herzlich danken.

Zuallererst gilt mein Dank dem Staatsarchiv Dresden für die unverzichtbare Bereitstellung der einschlägigen Archivalien. Ohne diese Möglichkeit hätten weder dieses Buch noch sein Vorgänger entstehen können.

Achtungsvoll habe ich in den Kirchenbüchern die handschriftlichen Einträge der Pfarrer nachgelesen. Auch dabei gab es so manche Entdeckung bisher unbekannter Einzelheiten. Für den Vorzug, in diesen alten Folianten auf Spurensuche gehen zu können, danke ich besonders den hilfsbereiten Mitarbeiterinnen der Pfarrämter von Rübenau, Olbernhau und Zöblitz, Frau Christine Freier, Frau Dagmar Kapphahn und Frau Monika Kehrer. Frau Freyer hat mich außerdem auf zahlreiche Einzelheiten aus der Orts- und Kirchengeschichte aufmerksam gemacht und eine Buchveranstaltung im Pfarrhaus ermöglicht.

Mit seiner Aufgeschlossenheit hat Herr Gerhard Hess in Rübenau mich ermutigt, bei der langwierigen Arbeit an dem Buch nicht aufzugeben. Ihm verdanke ich auch zahlreiche Fotos, Ablichtungen aus der Geschichte von Vorfahren und anderes nützliches Material. Darüber habe ich mich sehr gefreut.

Seinem Bruder, Herrn Dr. Roland Hess, bin ich besonders dankbar für die Textbeiträge über seine Verwandten, die 68 Jahre lang Besitzer des Rittergutes Rübenau und des nachfolgenden Bauerngutes waren. Ebenso danke ich ihm vielmals für Fotos und seine Mithilfe beim Klären von Einzelheiten, beispielsweise beim Herausfinden von Jahreszahlen und Wappen.

Auf Herrn Horst Kliem geht eine frühe Karte des Grenzgebietes und auf Herrn Gerd Freyer die Kopie eine Urkunde von 1786 als Beispiel für damalige Landvergaben zurück. Herrn Holfried Uhlig ein herzliches Dankeschön für Karten von Rübenau und Umgebung wie auch Hinweise zu einzelnen Gebäuden.

Im Buchmanuskript hat meine Tochter Anne Johns nach übersehenen Tippfehlern Ausschau gehalten, wofür ich ihr überaus dankbar bin.

Nicht zuletzt war es sehr hilfreich, dass mein Bruder Günter Hänel mich bei der Vorbereitung von Buchvorstellungen um beim Verkauf von Büchern tatkräftig unterstützt hat. Dafür bedanke ich mich ganz herzlich, ebenso für die Unterkunft, die seine Frau Christine und er mir bei meinen Aufenthalten in Rübenau bereitwillig gewährt haben.

Dresden, am 25.10.2017

Waltraud Krannich

TEIL I

Rübenauer Gutsbesitzer seit 1700

Auf einem Gutshof erhalten Erntearbeiter ihre Bezahlung. Nach dem Gemälde ‚La Paye des moissonneurs‘ (1882) von Léon-Augustin Lhermitte. Paris, Musée d’Orsay

Die Gutsbesitzer von Rübenau

Zeitspanne Besitzer
0. 1580 – 1590 Georg Müller (erste Urbarmachung, noch kein Gut)
1. 1591 – 1604 Jonas Oehmichen
2. 1604 – 1629 Hans Oehmichen
1629 – 1655 Kammergut (kursächsischer Besitz)
3. 1656 – 1679 Magnus Oehmichen
4. 1679 – 1696 Johann Georg Oehmichen
5. 1697 – 1699 Carl Gottlob von Leubnitz
6. 1699 – 1714 Hans Christoph Nehrhoff von Holderberg
7. 1714 – 1717 Moritz Carl Christoph Nehrhoff v. Holderberg
8. 1717 – 1723 Johann Christian Salzwedel
9. 1717 – 1720 Carl Christian Seidel von Rosenthal
10. 1720 – 1725 Susanna Sophia von Trachenberg geb. Seidel
11. 1725 – 1746 Carl Christian Seidel von Rosenthal
12. 1746 – 1752 Susanna Sophia von Trachenberg
13. 1753 – 1758 Michael Gabriel Fredersdorf
14. 1759 – 1767 Sieben Erben von M. G. Fredersdorf
15. 1767 – 1783 David Gottlieb Fredersdorf
16. 1783 – 1789 Carl August Christoph von Rex und seine Frau
17. 1790 – 1794 Friederike Auguste Henriette von Löser geb. Rex
18. 1794 – 1802 Leberecht Ernst Rößer
19. 1802 – 1829 Christiane Friedericke Kempe geb. Rößer
20. 1829 – 1847 Wilhelm Ludwig Kempe
21. 1847 – 1853 Henriette Agnes verw. Kempe verehel. Wolfanger
22. 1853 – 1861 Christian Gottlieb Löser
23. 1861 – 1866 Johann Gottlieb Bosern
24. 1866 – 1877 Johann Traugott Pährisch
25. 1877 – 1891 Karl Oskar Ehnert
26. 1891 Karl August Koehler
27. 1891 – 1893 KG H. Groß & Co., Loschwitz bei Dresden
28. 1893 – 1900 Christian Friedrich Lorenz, Dresden
29. 1920 – 1951 August Wickersheim
30. 1951 – 1988 Hanna Hess geb. Wickersheim, Bauernhofbesitzerin

In der Zeit von Johann Georg Oehmichen wurde im Jahre 1690 das damals fast hundertjährige Gut von Rübenau zu einem Rittergut erhoben.

Dieser Begriff bezeichnete ursprünglich Güter, deren Besitzer Ritterdienste leisteten und dafür mancherlei Vorrechte genossen, für die der Ritterdienst als Ausgleich galt. Dazu gehörten die Befreiung von bestimmten Steuern und Fronen, die niedere Gerichtsbarkeit, Jagd-, Fischerei-, Braurechte u. a. Mit dem Ende der Ritterdienste galten solche Vorrechte zumeist nur noch eingeschränkt und wurden im 19. Jahrhundert ganz beseitigt. Die Untertanen waren dann nicht mehr zu Gesindediensten verpflichtet, weshalb für die Arbeit zunehmend Tagelöhner, Knechte, Mägde, Handwerker und Saisonkräfte unentbehrlich wurden.

Das Gut in Einsiedel- Sensenhammer war kein Rittergut. Einzelheiten dazu enthält das Kapitel "Das Gütlein im Grenzwinkel".

Ein streitbarer Mann

Hans Christoph Nehrhoff von Holderberg
1699 – 1714

Die Nehrhoffs von Holderberg waren ursprünglich ein böhmisches Adelsgeschlecht. Nach dem Sieg der Katholischen Liga gegen die böhmischen Stände in der Schlacht am Weißen Berg emigrierte die Familie 1620 nach Sachsen. Hier breitete sie sich weiter aus. Ihre Mitglieder besaßen mehrere Güter, darunter in Wittgensdorf bei Chemnitz und in Gebersbach bei Waldheim.

Hans (Johann) hieß jener Nehrhoff von Holderberg, der sich mit seiner Frau Elisabeth von Clausbruch aus Meuselwitz und seinen Kindern Reichard, Elisabeth und Elisabeth Helena von Prag auf den Weg ins Sächsische machte. Sein Bruder Peter blieb in der Hauptstadt Böhmens und konvertierte zum katholischen Glauben. Hans und seine Frau fanden in Wittgensdorf bei Chemnitz eine neue Heimat und wurden die Großeltern des gleichnamigen Gutsbesitzers von Rübenau. Auf dem Friedhof der Evangelisch-Lutherischen Kirche von Wittgensdorf erinnert bis heute ein schönes Grabmal aus rotem Sandstein an Johann Nehrhoff von Holderberg.

Die Inschrift auf dem Stein gibt über ihn Auskunft:

HIER RVHET IN GOTT DER WEYLAND

EHRENVESTE HERR JOHAN NEERHOF

VON HOLDERBERGK VORNEHMER

BVRGER VND HANDELSMAN AUCH

EVANGELISCHER KIRCHEN RATH ZVE

PRAGA WELCHER IM JAHR 1635 DEN

II. MARTII FRVHE ZWIESCHEN 2 VND 3 VR

ALHIER ZVE WITTGENSDORF SEE

LIG VERSCHIEDEN SEINES ALTERS

IM 66. JAHRE

PSALM 3. V. 6

ICH LIEGE UND SCHLAFFE VND

ERWACHE, DENN DER HERR

RUFT MICH

Einer seiner Söhne hieß wieder Hans, heiratete Juliana Sophia von Freilitzsch aus dem Hause Treuen im Vogtland und übernahm das Gut Wittgensdorf. Hier kam der Mann zur Welt, um den es sich in Rübenau handelt: Hans Christoph Nehrhoff von Holderberg, geboren um 1655 in Wittgensdorf.

Einzug ins Herrenhaus

Wie ein Lauffeuer wird sich die Neuigkeit im Dorf verbreitet haben, als 1699 eines Tages ein hochgewachsener Mann von Anfang Vierzig mit Frau und Sohn im geräumigen Herrenhaus Einzug hielt. Schon viele Jahre hatte kein Gutsbesitzer mehr seinen ständigen Wohnsitz in Rübenau gehabt.

Von den männlichen Abkömmlingen der Familie genossen mehrere als Offiziere in den Diensten der kursächsischen Fürsten und Könige hohes Ansehen. Seit 1682 besitzt Kurfürst Johann Georg III. ein stehendes Heer, dessen oberster Heeresführer er selbst ist. Auch seine Söhne Johann Georg IV. und August der Starke setzen sich für den weiteren Ausbau der Armee ein. Lange Zeit besteht sie aus fünf Kavallerie- und sechs Infanterie-Regimentern. Ein Adelssohn kann auf diese Weise standesgemäß Karriere machen. Das gelingt bis ins 19. Jahrhundert mehreren Nehrhoff von Holderbergs.

Einer vom Militär ist auch der neue Gutsherr. Er steht im besten Alter. Der Leutnant zu Ross ist aus dem Dienst ausgeschieden, weil er nach seinen eignen Worten schon "in die 20 Jahr treu geleistete Krieges Dienste"1 hinter sich hat. Aber er hat auch gesundheitliche Probleme …

Sächsische Kavallerie um 1699, Darstellung nach Knötel2. Die Kavalleristen trugen eine rote Uniform und seit 1695 lange lederne Reiterstiefel.

Die Rübenauer sehen, dass dieser Mann außer Frau und Kind auch einen Arzt mitbringt3. Das ist eine fremde Welt für sie und gibt Anlass zu Gemunkel. Sie fragen sich: Ist er leidend? Es mag eine langwierige oder gar unheilbare Erkrankung gewesen sein, die ihn bewog, sich in ein abgelegenes erzgebirgisches Grenzdorf zurückzuziehen. Aus dem Armeedienst in der Kavallerie auszuscheiden, indem er ein Gutes übernahm, das der Landjägermeister Carl Gottlob von Leubnitz Rübenau bei einer Versteigerung erworben hatte. Das war zweifellos ein standesgemäßer, ja eleganter Abgang aus dem Militärdienst.

Was die Dorfbewohner sicherlich nicht wussten: Der Weiterverkauf des Ritterguts hatte Carl Gottlob von Leubnitz von langer Hand vorbereitet. Unbewiesen, aber nicht ausgeschlossen ist, dass er als Mann mit besten Beziehungen zu August dem Starken als aussichtsreichster Bewerber um das Gut sogar als Strohmann für Hans Christoph Nehrhoff v. Holderberg auftrat.

1696 befahl der Landesherr die öffentliche Zwangsversteigerung der beiden Güter von Johann Georg Oehmichen.4 Sogleich sicherte sich der 29-jährige von Leubnitz mit einem "Angeld", eine Art Anzahlung, das Erwerbungsrecht. 1697 erhält er die Bestätigung, dass Rübenau und Olbernhau sein Eigentum sind. Ohne eine Belehnung konnte niemand ein Gut übernehmen, wenn er nicht zuvor dem Kurfürsten mit dem Lehnseid seine treue Verbundenheit versichert hatte. Erst dann erhielt er den unerlässlichen Lehnschein. Zu dieser Huldigung fuhr Leubnitz nicht selbst nach Dresden, sondern schickte einen Bevollmächtigten.

Es verging kaum ein Jahr, dann bat er am 17. März 16995 August den Starken, die Belehnung mit Rübenau auf Johann Christoph Nehrhoff von Holderberg zu übertragen. Aber schon zwei Monate zuvor, am 16. Januar 1699, hatte er Rittergut und Dorf an ihn weiterverkauft, und zwar mit allem, was dazugehört: "samt allen dessen Wohn- und anderen Gebäuden, als der Schencke, Brau- Malz- und Viehhaus, Scheunen und Ställen, nebst einer Mahl und Brotmühle wie auch Zahn-[Zain-] oder Waffenhammer [...] in-gleichen alle dazu gehörige [...] Pertinentien nebst denen Vererbten Stockräumen“6.

Unter das Zubehör, die sogenannten "Pertinentien", fallen auch der Waldanteil im Kriegwald, alle zum Gut gehörigen Äcker, Wiesen, Teiche, Gärten, Mühlen, wilde Fischereien, Jagdrechte, Ober- und Erbgerichte. An vorletzter Stelle tauchen die "Unterthanen und derselben Zinsen und Dienste mit allen Herrlichkeiten"7 auf – ein Zeichen, wie wenig sie neben den Sachgütern für wert befunden wurden. Ausgenommen hat v. Leubnitz beim Verkauf nur die Glashütte, die er nach Olbernhau umsetzen will, was ihm aber nicht gelingt.8 8000 Gulden hat er für die Ersteigerung des Gutes aufgewendet. Von Nehrhoff verlangt er 9000 Gulden, dazu 200 Gulden Schlüsselgeld für die Frau Landjägermeisterin für die Übergabe des Schlüssel des Herrenhauses.

Die Belehnung

Nun hat Hans Christoph Nehrhoff von Holderberg als neuer Gutsbesitzer Macht über ein ganzes Dorf und ausgedehnte Landflächen. Im April 1699 bittet der neue Besitzer August den Starken um die Belehnung:

"Allergnädigster Herr,

Ew. Königl. Maj. und Churf. Durchl. wollen allergnädigst geruhen zu vernehmen, welcher gestalt Von dero Land Jäger Meister des Erzgebürg. Kreyßes, den Hochwohlgebornen Herrn Carll Gottlob von Leubnitz ich verwichenen 16. Januar besage geschlossenen Kauffbrieffs, das Ihm durch den Ambtschößer zum Lauterstein Valerian Fischern am 2. July 1697 adjudicirte und sub hasta erstandene Erbliche, Schrieftsäßige Ritter Guth, und Dorff Rübenau, mit allen vorschriebenen Zubehör, üm 9000 Gulden Gantzer Haupt Summa, käufflich an mich erhandelt [ …].

Nachdem nun über solches gekauffte Erbliche, Schriftsäßige Ritter Guth und Dorff Rübenau die Lehn zu suchen, meine Unterthänigste Schuldigkeit und zustehende Nothdurfft sonderlich erfordert [ …]"9

Mit seinem handgeschriebenen Gesuch bittet er den Kurfürsten von Sachsen und König von Polen August den Starken, ihm das Erbgut und Dorf Rübenau mit allem, was dazu gehört, als Lehn zu reichen, seinen dazu nötigen Huldigungseid anzunehmen und ihm einen Erbbrief über das schriftsässige Rittergut Rübenau ausfertigen zu lassen.

Nichts steht dem in Wege, der Landesherr gibt seine Zustimmung. Schon am 1. Mai 1699 hat Nehrhoff von Holderberg den Lehnschein in der Hand.

Hohe Forderungen vom Amt Lauterstein

9000 Gulden Kaufgeld waren eine beträchtliche Summe, die wollte erst einmal aufgebracht sein. Ein Gulden hatte im Vergleich zu heute eine Kaufkraft von etwa 30 Euro. Ein Reiter der sächsischen Kavallerie erhielt um 1700 in 42 Tagen einen Sold von 28 Gulden. Nehrhoff von Holderberg als Leutnant erhielt vermutlich etliche Gulden mehr. Die Pension konnte von Offizier zu Offizier sehr unterschiedlich ausfallen. Die meisten ehemaligen Militärangehörigen gehörten nicht zu den Reichen im Land, wenn sie nicht über ererbten Landbesitz verfügten.

Nehrhoff von Holderberg muss die 9000 Gulden nicht sofort auf den Tisch legen, sondern kann sie in Raten aufbringen. 3000 Gulden stehen als Hypothek auf dem Gut und werden von ihm übernommen. 2000 Gulden soll er zu Ostern und 1000 Gulden zu Michaelis 1699 zahlen und dann im Jahr 1700 nochmals 2000 Gulden in bar. Von den restlichen 1000 Gulden sind ab 1701 jährlich 100 Gulden bis zur völligen Bezahlung fällig. Nehrhoff hofft gewiss, allerhand Geld aus dem Gut herauswirtschaften zu können. Es hängt viel von seinem Geschick als Besitzer ab, wie er mit den Zahlungen zurande kommen wird.

Zwar sind mit dem Rittergut Rübenau nun ausgedehnte Fluren sein eigen, aber viele sind noch Stockraum und Wald. In den nächsten Jahren deutet wenig darauf hin, dass sich das ändert und es ihm gelingt, durch Urbarmachung, Anbau oder Viehzucht, den Mühlen- oder Hammerwerksbetrieb das Rittergut voranzubringen. Das wäre aber nötig, denn die vom Amt Lauterstein geforderten Zinsen, Steuern und sonstigen Zahlungen sind riesige Belastungen für das Gut. Dort stehen damals 50 Kühe im Stall. Nach einer Aufstellung um 1700 sind jedes Jahr unter anderem folgende "Onera" fällig, und nur einen Teil davon kann er sich in Münzen von den Untertanen zurückholen:10

65 Gulden 7 Groschen Erbzinsen und Hofdienstgeld
12 Gulden 10 Groschen Hausgenossenzins11
25 Gulden jährliches Triftgeld
100 Gulden Mahlmühlenzins
50 Gulden für das Malzhaus
150 Gulden für Bierschank und Salzmarkt
15 Gulden für Teich- und Fischereinutzung
210 Gulden für die Nutzung von 50 St. Melkvieh
100 Gulden für die Zain-, Schar- u.. Waffenhammer-Nutzung
150 Gulden für Ackerbaunutzung und Wiesenzinsen

Die Bezahlung des Pfarrers mit 4 Gulden 8 Groschen und des Schulmeisters mit nur 1 Gulden für ein ganzes Jahr fällt daneben kaum ins Gewicht.

Auf der Suche nach Einnahmequellen

Weil Nehrhoff von Holderberg so viel im Amt Lauterstein entrichten muss, bemüht er sich in einem Gesuch an August den Starken ab 1704 um die Pacht der Bäche im Amt Lauterstein als zusätzliche Einnahmequelle:

"Weil nun auf meinem Güthigen Rübenau nicht viel zu erwerben, noch darauff zu verrichten, ich aber stete Travaillie [Arbeit] gewohnet, und fast in der Mitte in diesen Wäldern mein Hauß lieget. So ersuche Euer May. allergehorsambst, mir […] die Hohe Königl: Gnade zu erweißen, und damit ich die auf meinem Guthe liegenden schweren Onera abführen, auch meinem Sohn zu dero Diensten desto besser erziehen könne, mir gedachten Pacht auf 6. Jahr gegen verlegung 85 Gulden Jährl. Pacht Geldes allergnädigst zu überlassen."

Seine Worte "nicht viel zu erwerben, noch darauff zu verrichten" lassen vermuten, dass es ihm schwer fällt, zufriedenstellende Erträge auf seinem Gut zu erreichen oder neue Ideen in die Tat umzusetzen. Dass er die Pacht für die Bäche bekommt, ist kaum anzunehmen, weil sie meist mit der Flößerei- und Fischerei-Verpachtung an Floßmeister und Förster vergeben wird.

Sein Sohn Moritz Carl Christoph ist zu der Zeit 13 Jahre alt, falls die unbelegte Angabe richtig ist, dass er im April 1691 geboren wurde. Demnach ist er in einem besonders aufnahmefähigen Alter, in dem er für eine Zukunft als künftiger strebsamer Gutsherr von seinem Vater viel mit auf den Weg bekommen müsste. Dass er in Rübenau zur Welt kam, kann allerdings nicht stimmen, denn es fehlt ein entsprechender Eintrag im Kirchenbuch.

Im Jahr 1704 ersucht Nehrhoff v. Holderberg auch um die Pacht für Harzgewinnung, die neu vergeben werden soll. Harzen und Pechsieden sind ein lohnendes Geschäft, weil Baumharz ein Rohstoff für Herstellung von Pech, Teer und Terpentin ist. Diese Pacht hat seit langem ein Mann namens Gottlieb Neuhäußer inne. Als er von Nehrhoffs Antrag erfährt, ist seiner heftigen Reaktion anzumerken, wie sehr er um seinen eigenen Broterwerb fürchtet. Er fragt, "ob nicht solches werck einem alten Pachter ehrender alß einen frembden anzuvertrauen sey, [also] deme, der […] dergleichen Dinge gar nicht verstehet". Schon seine 'Voreltern' hätten das Harzen getreulich betrieben, die Pachtgelder allzeit richtig abgeliefert und alle Holzordnungen genauestens befolgt, so dass es "auch in Summa nicht die geringste Klage" gab. Um die Harzwald-Pacht wieder zu bekommen, ist er sogar bereit, jährlich "86 Gulden undt also 1 Gulden mehr als der von Neerhoff"12 dafür zu bezahlen.

Der Rübenau Gutsbesitzer hatte zu dieser Zeit offenbar schon Bäume abhauen lassen, die dazu noch gar nicht groß genug waren, denn Neuhäußer spielt darauf an. Es könnte ja möglich sein, dass der Gutsherr bei einer Pacht wieder überflüssigeBrachen anrichten würde, "wodurch denen Gehölzen leicht einiger Schade und Nachtheil zugezogen werden könnte"13.

Auch diese Pacht dürfte Nehrhoff v. Holderberg nicht erhalten haben; es ist nie mehr die Rede davon.

Der Kalksteinbruch

Die einzige Kunde über ein wirtschaftliches Vorhaben, das Nehrhoff von Holderberg etwas einbringt, ist der Vertrag vom 22. September 1709 mit einem Mann namens Andreas Kunzer über den Abbruch von Kalkstein mit rechtskräftiger kurfürstlicher Erlaubnis. Solange der Kalkbruch nutzbar ist, bedingt sich Nehrhoff von Holderberg den achten Teil des Gewinns und jährlich 8 Taler Erbzins aus.

Der damalige Kalksteinbruch hat sich höchstwahrscheinlich am heutigen Unteren Natzschungweg von Rübenau befunden, an dessen Beginn links seit Urzeiten das sogenannte "Felsel" steht.

Pferde am Unteren Natzschungweg im Grund von Rübenau im Juni 2017. Foto: W. Krannich

Laut Kontrakt darf der Vertragspartner den Kalkstein nach Belieben abbauen und ihn gebrannt oder ungebrannt verkaufen. Nehrhoff von Holderberg erlaubt ihm, Hütten für die Arbeiter und einen Kalkofen zu errichten, in dem das gewonnene Gestein gebrannt wird. Ein solcher Ofen ist auf einer Karte von Niedernatzschung (Nieder-Natzschkau), später ein Ortsteil von Rübenau, eingezeichnet.

Kalkstein ist sehr variabel. Durch verschiedene mineralische und organische Beimengungen kommt er in zahlreichen Farbschattierungen vor. Er kann eine rötliche, grüne, gelblich-braune oder sogar dunkelgraue bis schwarze Färbung annehmen. Kalksteine sind bedeutsam als Rohstoff für die Bauwirtschaft und als Naturwerkstein.

Eine rätselhafte Feindschaft

Am 6. Juli 1710 gegen 11 Uhr abends dringt mit einem geladenen Gewehr und einem Säbel Christian Wolff, Pächter des Gutes in Einsiedel-Sensenhammer, in das Haus des dortigen Richters Christian Porstmann ein, wo seine Frau eingesperrt ist. Er packt seine Frau samt Kette und Fußfessel und schleppt sie weg.

Warum wurde die Frau dort angekettet? Was ist dem vorausgegangen?

Einen Hinweis auf die Hintergründe liefert ein drei Monate später versandter Bericht des Amtmanns von Lauterstein und Frauenstein Johann Christian Gensel an August den Starken über "Dr. Johann Christoph Donat wieder Hannß Christoph Neerhofen von Holderberg zu Rübenau"14. Aus dem Schreiben ist zu schließen, dass sich er Rübenauer Gutsbesitzer und der in Einsiedel-Sensenhammer spinnefeind sind und miteinander in einem Rechtstreit liegen. Leider verrät kein Schriftstück Genaueres, auch nicht, wieso die Pächtersfrau darin verwickelt ist. Jedenfalls muss es zwischen ihnen zu zähen Feindseligkeiten gekommen sein.

Aus der Akte geht nur hervor, dass Gensel den Gutsherrn Nehrhoff v. Holderberg zweimal vergeblich gebeten hat, seine Dienstboten und weitere Untertanen zur Zeugenbefragung ins Amt zu schicken. Aber dieser lehnte das jedes Mal mit der Begründung ab, dass er "in der vollen Ernte begriffen wäre, und er seine Leuthe unmöglich entbehren könte"15. Das dürfte nicht das wahre Motiv gewesen sein, denn er bringt auch vor, er lasse seine Untertanen nicht eher ins Amt gehen, bevor er nicht eine Abschrift von dem kurfürstlichen Bescheid an Dr. Donath, den Gutsbesitzer in Einsiedel-Sensenhammer, bekommen habe. Gensel erwidert, diesen Befehl könne er ihm unmöglich aushändigen. So geht das hin und her. Nehrhoff v. Holderberg gibt nicht nach. Der Amtmann hat es schwer mit einem so widerborstigen Mann wie ihm. Offen bleibt, ob Nehrhoff einfach stur ist oder einen triftigen Grund hat, die Befragung zu verhindern.

Am angesetzten Tag finden sich keine Untertanen von ihm im Amt ein, sondern nur die von Dr. Donath. Sie sagen genau das aus, was schon ihr Gerichtsherr Christian Porstmann gegen Nehrhoff von Holderberg und den Pächter Christian Wolff vorgebracht hat. Was eigentlich der Kern der ganzen Streiterei ist, steht in keinem Schriftstück. Der Rübenauer Gutsherr ist jedenfalls mächtig aufgebracht. Aber selbst eine Eingabe an August den Starken verhilft ihm nicht zu seinem vermeintlichen Recht – ganz im Gegenteil, er wird zu einer Geldstrafe verdonnert.

Der Stiefsohn und eine Schuldensache

In dem Jahr 1713 erhält der Amtmann Gensel "in Hanß Christoph Neerhoffs von Holdterberg Inquisition=Sache" die Weisung, dass "demselben zu Bezahlung der zuerkanndten Geldt Straffe an 50. Thlr. auch davor verursachten Unkosten, da er solche auff einmahl zu erlegen nicht vermögend wäre, seinem Zustand nach leidl. Fristen einräumen sollte"16. Dem Ausdruck „seinem Zustand nach“ lässt sich entnehmen, dass Nehrhoff von Holderberg damals offenbar schon krank war. Mit der 'Inquistionssache' ist der Untersuchungsprozess gemeint, den seine Eingabe nach sich zog. 50 Taler Strafe plus Unkosten sind viel Geld für ihn. In dieser Situation bittet er seinen Stiefsohn Günther von Bünau um eine Gefälligkeit in einer heiklen Sache…

Nehrhoffs von Holderberg Frau Martha Agnesa war vor ihrer dritten Ehe schon mit einem Herrn von Nostitz und einem Mann aus dem weit verzweigten Geschlecht derer von Bünau verheiratet. Der zweiten Ehe entstammt ihr Sohn Günther von Bünau. Dieser junge Mann erklärt sich seinem Stiefvater und seiner Mutter zuliebe bereit, auf das Amt Lauterstein zu reiten und dem Amtmann Gensel auf Treu und Glauben zu versichern, dass sein Stiefvater nächstens wenigstens die Hälfte der Strafe bezahlen werde.

Aber der Amtmann Gensel ist auf Nehrhoff v. Holderberg schlecht zu sprechen und macht seinem Ärger Luft: Dass er alles verschleppt und zu keiner Vorladung erscheint, dass er die Amtsboten verhöhnt und ihnen den Botenlohn nicht gibt, dass er immer wieder versichern lässt, "in wenig tagen ein ziemliches zu bezahlen, nunmehro aber nichts mehr gesendet, sondern gar verlanget, daß die Fristen zur Zahlung sehr weit hinaus [ …] gesezet werden möchten" und anderes mehr. Das kann der verärgerte Amtmann nicht verstehen – wo Nehrhoff v. Holderberg doch das Gut Rübenau besitzt und "seinen Unterthanen und Zinßleudten nichts schenket"!17 Aber er zweifelt nicht daran, dass der störrische Gutsherr mit seinem frechen Protest gegen diese Entscheidung abgewiesen wird und letztlich dem gerechten Richterspruch nicht entgeht.

Sein Stiefsohn wird ziemlich betreten wieder zurückgeritten sein. In Rübenau heiratet er sieben Jahre später und gründet eine Familie. Im Kirchenbuch heißt es:

"Der Wohlgeborene Herr Günther von Bünau königl.-polnischer und kurfürstlich-sächsischer Lieutenant ist mit der geschwängerten Maria Sophia, Samuel Uhlmanns Inwohner in Rübenau Tochter [ …] den 28. Aprilis 1720 in der Stille copuliert worden." Er steht als Leutnant in kurfürstl.-königlichen Diensten, aber muss auch auch öfters in Rübenau zugebracht haben, denn von 1720 bis 1735 hatte er mit seiner Frau sieben Kinder, die alle hier geboren wurden.

Der Tod zieht den Schlussstrich

Nehrhoff von Holderberg und seiner Frau bleibt nicht mehr viel Zeit, ihre Probleme zu lösen und ihr idyllisch gelegenes Gut zu genießen. Seine langwierige Erkrankung tritt in ihr letztes Stadium, die Beschwerden steigern sich ab 1711 zu Lähmungen, so dass er das Herrenhaus vermutlich kaum mehr verlassen kann.

Bevor er selbst von seinen Leiden erlöst wird, stirbt am 13. Dezember 1712 seine wesentlich ältere Frau. Sie stammt aus der Familie v. Hartitzsch, die schon seit undenklichen Zeiten das Gut Weißenborn zwischen Frauenstein und Freiberg besitzen. Im Kirchenbuch von Rübenau heißt es auf Blatt 203:

"Die Wohlgebohrne Frau Martha Agnes des Wohlgebohrnen Herrn, Herr Hans Christoph Nehrhoff von Holderberg, Erb- Lehn- und Gerichtsherr in Rübenau, starb den 13 Xbris abends um 8. Uhr an Hizig Fieber, in Würde den 22. dito mit einer abdankung beygesezet, alt 68 Jahr."

Es wird einsam um ihn, auch wenn er einen Stiefsohn und einen nun vermutlich 23-jährigen leiblichen Sohn hat. Die kurze Lebenszeit, die ihm noch bleibt, muss eine wachsende Qual für ihn und seine Betreuer gewesen sein. Johann Lorenz, Pfarrer in Kühnhaide und Rübenau, schreibt über seine letzten Jahre und sein Ableben:

"Der wohlgebohrne Herr, Herr Hanß Christoph Nehrhoff von Holderberg uff Rübenau, Königl. Pohln. und Churf. Sächß. meritierter Lieutenant zu Roß, starb den 11. Juny 1714 nachmittag um 3. Uhr, nachdem er fast 3. jahr an lähmung der glieder kranck gelegen, auch sonste allerhand beschwerung erduldet; und wurde den 16. dito des abends mit gewöhnlichen ceremonien in der Kirche zu Rübenau beygesetzet, seines alters etliche 50. Jahr."18

Der Formulierung "in der Kirche zu Rübenau beygesetzet" ist zu entnehmen, dass unterhalb des Kirchenschiffs eine Gruft vorhanden war. Erst im Jahr 1910 wurde sie bei Arbeiten für eine Heizung der Kirche wieder entdeckt.

"Arno Schlottig (Zöblitzer Straße 8), der mit Richard Porstmann (In der Gasse 8) am Bau arbeitete, schilderte das Geschehen: In etwa 50 cm Tiefe stießen wir auf ein doppeltes Gewölbe. Bei dessen Öffnung fanden wir eine Gruft. Darin standen zwei große Särge übereinander und ein kleiner Sarg daneben. In dem einen Sarg lag ein Mann, ein Hüne, im anderen eine Frau [ …]. Ein gut erhaltener Schuh des ‚Hünen‘ wurde mit einer Flasche, in der wahrscheinlich Nachrichten hinterlegt sind, in der Mitte der westlich gelegenen Mauer der Heizungsanlage beigelegt. In der Brusttasche des Mannes befand sich ein Holzkreuz mit einer Messingplatte. Sie trug die Initialen I. N. R. I."19

Wer in den letzten Jahren vor dem Tod von Hans Christoph Nehrhoff von Holderberg das Gut verwaltet hat, ist nicht bekannt. Unklar ist auch, ob sein Sohn als sein Nachfolger auf dem Rittergut Rübenau oder sein Stiefsohn daran beteiligt waren. Alles in allem entsteht auch der Eindruck, dass die verflossenen Jahre eine Zeit voller Armut für das Dorf und ohne nennenswerte neue Impulse waren.

Auch Leutnant Günther von Bünau hat sein Leben in Rübenau beschlossen. Am 18. Mai 1736 früh gegen 10 Uhr, als er "60 Jahr weniger 11 Tage" alt ist, erliegt er, wie schon bei seiner Mutter angegeben, "einem hitzigen Fieber"20.

Viele Jahre nach dem Tod des Gutsherrn werden die älteren Rübenauer durch einen tödlichen Unfall noch einmal an die Nehrhoffsche Zeit erinnert. Am 31. Juli 1741 wird der 74-jährige Witwer Caspar Dietrich Böhm, vormals ein Nehrhoffischer Jäger und jetzt Einwohner von Reitzenhain, im Wald bei Fällarbeiten von einem Baum erschlagen. Drei Tage später wird er in Rübenau beerdigt.

Die verarmte Mutter

Im Staatsarchiv Dresden wird ein Brief der Mutter Hans Christoph Nehrhoffs von Holderberg an August den Starken verwahrt, geschrieben in Geyer am 12. November 1707. Aus mehreren Gründen ist dieses Schreiben bedrückend. Anna Sophia von Nehrhoff geb. von Freilitzsch verstand sich gut auszudrücken. Hier folgen einige Passagen ihres Briefes, die für sich sprechen.

"Allergnädigster Herr [...] soll ich arme 76-Jährige Adeliche Wittbe in tiefster Demuth wehmütigst Vorbringen, welcher gestalt ich in meinen hohen Alter mich in einen so miserablen und Erbarmswürdigen Zustandte befinde, daß ich nicht weiß, wie ich in die kurtze Zeit, so ich etwa noch zu Leben habe, Vollends hinbringen und wo ich mir meinen wenigen Unterhalt hernehmen soll. Es hat zwar der liebe Gott mich in meiner Jugend in einen solchen gesegneten Stande gesezet, daß ich gleich andren von Adel mich gar wohl aufführen können, allermaßen mein seel. Mann nicht nur das schöne Ritterguth Wittgensdorff nebst nebst vielen anderen Grundstücken Eigenthümblich besessen, und bey sehr guten Vermögen gewesen, sondern es hatte auch dessen Vater Hannß von Nehrhoff Ew. Königl. May. Hochlöbl. Vorfahren in Dero Renth-Cammer ein Darlehn mehr als einer halben Tonnen Goldes gegeben."

Der Ahnherr des späteren Rübenauer Gutsherrn half demnach Kurfürst Johann Georg I. mit einem stattlichen Goldschatz aus einer finanziellen Klemme. Weiter schreibt sie: "Das von [ …] meinem Schwieger-Vater in Dero Renth-Cammer Vorgeschossene Capital aber ist niemahls wieder zu erlangen gewesen". Die Familie hat demnach das Gold niemals zurückbekommen. Als ihr Mann und sie in einen unglückseligen Prozess verwickelt wurden, verloren sie durch die Nachlässigkeit eines Advokaten ihren gesamten Besitz, so dass sie "alles mit den Rücken ansehen und mit leeren Händen davon gehen" mussten.

Sie fährt fort: "Nun hab ich zwar bißhero mein Creutz und Unglück mit gröster Gedult und Sanftmuth ertragen, auch durch meiner Hände Arbeit mich allzeit ehrlich und redlich ernehret, nachdem aber bey meinen hohen Alter die Kräffte nicht mehr Zu länglich seyn wollen; So werde ich genöthiget meine Zuflucht zu Ew. Königl. May. Weltgepriesenen Gnade zu nehmen."

Angesichts der hohen Summe, die sie eigentlich von der Rentkammer zu fordern hat, bittet sie um die hohe Gnade, ihr zum "nothdürfftigen Unterhalt nur Jährl. aus Dero Ambt Wolckenstein ein deputat von etwas Getreyde, Holz und Fleisch reichen" zu lassen. Dafür will sie Ihro Königliche Majestät täglich in ihr Gebet einschließen.

Auf der Rückseite des Briefes stehen ohne Unterschrift drei – vermutlich von August dem Starken selbst – flüchtig hingeworfene Zeilen:

"Drey Scheffel Korn als ein Allmosen sollen Supplicantin von dem Hoffbutterboden ohne Entgeld abfolget mir in Rechnung passirend beschieden werden.

Signatum Dresden den 24. Dec. 1707"21

Wappen der Nehrhoffs von Holderberg, verliehen durch Rudolph II., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 1576–1612 und König von Böhmen


1 SHStAD, 12881 Genealogica, Nehrhof v. Holderberg (3350), Brief an August den Starken, unpaginiert. Die Schreibweise "Nehrhoff von Holderberg" ist am häufigsten anzutreffen.

2 Knötel, Richard: Uniformenkunde. Berlin 1890

3 Nach Kurt Ihle, Rübenau – Chronik eines erzgebirgischen Grenzdorfes. T.1. 1998. S. 28

4 Siehe Krannich „Flehentlich mit seinem Weibe“, S. 170ff.

5 Korrektur zu: Flehentlich mit seinem Weibe, S. 172 oben: 17. März 1699, nicht 1698.

6 SHStAD Bestand 10080 Lehnhof Dresden, 07830 Rübenau, Bl. 12

7 a. a. O., Bl. 13

8 s. Flehentlich mit seinem Weibe, S. 134

9 SHStAD Bestand 10080 Lehnhof Dresden, 07826 Rübenau, Bl. 3

10 SHStAD, 10349 Lauenstein, Nr 1439 , unpaginiert

11 Häusler meist 20 Groschen, Hausgenossen 14 Groschen/Jahr

12 SHStAD, 12881 Genealogica, Nehrhof von Holderberg (3353), unpaginiert

13 ebenda

14 SHStAD, 12881 Genealogica, Nehrhof von Holderberg (3353), unpaginiert

15 ebenda

16 ebenda

17 ebenda

18 SHStAD Bestand 10080 Lehnhof Dresden, 07826 Rübenau, Bl. 10

19 Ihle, Kurt: Rübenau – Chronik eines erzgebirgischen Grenzdorfes. T. 1. Marienberg 1998, S. 28f.

20 Rübenauer Kirchenbuch IV, Sterberegister1734 – 1784, S. 306b

21 SHStAD, 12881 Genealogica, Nehrhof von Holderberg (3353), unpaginiert

Zum Verkauf gezwungen

Moritz Carl Christoph Nehrhoff von Holderberg
1714 – 1717

Seine Geburt gibt Rätsel auf. Eine Stammtafel besagt, dass er im April 1691 in Rübenau geboren wurde. Aber im Kirchenbuch von Rübenau ist er weder zu dieser noch zu anderer Zeit eingetragen. Noch etwas erscheint merkwürdig: Seine Mutter war 68 Jahre alt war, als sie 1712 starb. Demnach müsste sie bei seiner Geburt schon 47 Jahre alt gewesen sein. Es spricht allerhand dafür, dass er früher und an einem anderen Ort zur Welt kam.

Abgesehen von den Zweifeln, die seine Geburt umgeben, standen Kindheit und Jugend von Moritz Carl Christoph Nehrhoff von Holderberg unter keinem Glücksstern. Sein Vater siechte verbittert auf einem langen Krankenlager Jahre dahin. Zwei Jahre, bevor er von seinen Leiden erlöst wurde, verstarb seine Mutter. Diese traurigen Erfahrungen waren sicherlich prägend für den Heranwachsenden. Es ist möglich, dass er dadurch früh zu einem verantwortungsbewussten, aber auch lebenshungrigen jungen Mann heranreifte. Von einer unbeschwerten Jugendzeit konnte gewiss keine Rede sein. Vermutlich hatte er auf dem Gut Pflichten zu erfüllen, die seinem Alter nicht entsprachen, auch wenn ein Verwalter die meisten Arbeiten regelte.

Am 5. Mai 1715 teilt der vermutlich 24-jährige in einem offiziellen Schreiben August dem Starken mit, dass sein Vater ihm als seinem leiblichen Sohn und Lehensfolger sein Rittergut Rübenau hinterlassen hat. Er sei entschlossen, das Gut zu übernehmen, aber er könne das nicht sofort tun. Als Grund gibt er eine 'brisante Krise' an. Was er damit meint, hat er nicht näher erklärt.

So lautet der entscheidende Abschnitt seines Briefes:

"Allergnädigster Herr,

Ew. Königl. Majest. geruhen allergnädigst, aus beygehenden Attestat sub A zu ersehen, was gestalt mein seel. Vater, H. Hanß Christoph Nehrhoff von Holderberg auf Rübenau, weyland Lieutenant unter der Cavallerie am 11. Juny abgewichenen 1714. Jahres verstorben, und mich als seinen leiblichen Sohn und Lehensfolger in seinen Ritter Guthe Rübenau nach sich gelaßen. Ob nun zwar meine Schuldigkeit erforderte, wegen solchen auf mich befälleten Ritter Guthes Rübenau und deßen pertinentien intra annum [innerhalb eines Jahres] die Lehn allerunterthänigst zu empfangen, und die Lehns Pflicht gebührend zu leisten [ …]; so will mir doch dieses pro nunc [für jetzt] ganz unmöglich fallen, da ich einer prehsanten Kryse halber außer Landes hieran gehindert werde."22

Er bittet um einen Aufschub. Schon zehn Tage später gewährt ihm der König einen "Indult", eine halbjährige Frist für die Gutsübernahme. Was hat Moritz Carl Christoph Nehrhoff von Holderberg in dieser Zeit Wichtiges vor? Nach der Formulierung in seinem Schreiben kann man ernste Probleme vermuten. Aber wie es aussieht, war eher das Gegenteil der Fall – er geht auf Brautschau!

Wenig später heiratet er in der Heimat seiner Braut. Im Kirchenbuch von Rübenau ist das Ereignis unter der No. 22 des Jahres 1715 festgehalten:

„Der Wohlgebohrne Herr Moriz Carl Christoph Nehrhoff von Holderberg, Erb- Lehn- und Gerichtsherr in Rübenau wurde mit Fräulein Catharina Juliana von Pistorius, des wohlgebohrnen Herrn August von Pistoriusen Erb- Lehn- und Gerichtsherr uff Alt u. Neu Seitliz, Katternwiz und Laubach Ehel. hinterl. […] Fräulein Tochter Catharina Juliana den 30. Octobris zu Katterwitz copuliret.“

Wo, um alles in der Welt, liegt der Ort Katterwitz, woher seine erst 15 Jahre alte Braut offenbar stammt? Weiter hilft dabei der Name Pistorius. Diesem Stamm entsprossen mehrere hochgestellte Rechtsgelehrte und Politiker, darunter der sächsische Kanzler Dr. Simon Pistoris d. J.

Simon Pistoris d. J. (1489 –1562)

1545 kaufte er das ehemalige Nonnenkloster Seußlitz im Weinbaugebiet nördlich von Meißen mit drei angeschlossenen Dörfern und Ländereien für 18250 Gulden. 12250 Gulden zahlte er bar, den Rest erließ ihm der Kurfürst. Das Kloster ließ er in ein Wohnschloss im Renaissancestil23 umbauen.

Er war dreimal verheiratet und Vater von 23 Kindern. Catharina Juliana von Pistorius und ihr Vater August24 sind Abkömmlinge aus der Linie der "Pistoris von Seuselitz".

Der junge Ehemann kann sich offenbar ein gemeinsames Leben mit seiner Frau auf dem Rübenauer Rittergut gut vorstellen. Bereits zwei Tage vor seiner Hochzeit, als die erbetene halbjährige Frist noch gar nicht verflossen ist, teilt er August dem Starken mit, dass er nun zur "Lehns Reichung an obererwehnten meinen väterlichen Erbguth Rübenau, und Zubehörungen" bereit ist. Er bittet, dass

"Ew. Königl. Majt. und Churf. Durchl. zu Ablegung der Lehns Pflicht und würcklicher Empfängnüß gedachten Lehns einen Termin anberaumen [...] allergnädigst geruhen wollen". 25

Eine Belehnung war ein feierlicher Akt. Um die Erbhuldigung und den Lehnseid abzulegen, muss sich der Betreffende üblicherweise persönlich am Lehnhof in Dresden einfinden. Bevor der Lehnsekretär ihn ins Sitzungszimmer führt, muss er seinen Degen ablegen, wenn er einen hat, und bekommt einen roten Tuchmantel umgelegt. So geschieht es auch in dem Fall. Am 17. November 1715 hält ein Beamter des Lehnhofs urkundlich fest, dass Moritz Carl Christoph Nehrhoff von Holderberg mit dem "Erbguthe Rübenau und dessen Zugehörungen besage der Erbbriefe, jedoch unbeschadet der Erblichkeit, beliehen worden" ist.

Die Rübenauer werden nach den Jahren, in denen sich infolge der Krankheit seines Vaters wenig tat, gehofft haben, dass nun neues Leben in Gut und Dorf einkehrt. Aber es vergeht nur wenig Zeit, da ist dem jungen Gutsherrn klar geworden, dass auf dem Rittergut vieles im Argen liegt und beträchtliche Schulden vorhanden sind. Weniger als zwei Jahre, nachdem er mit seiner jungen Frau ins Herrenhaus eingezogen ist, sieht sich Moritz Carl Christoph Nehrhoff von Holderberg zum Verkauf des Gutes durch eine Auktion gezwungen.

Ein Versteigerungsprozess wird anberaumt, und es finden sich auch gleich Interessenten ein, die eine günstige Gelegenheit wittern, vorteilhaft zu einem Gut und Untertanen für Fronarbeit zu kommen. Den Zuschlag erhalten der Zollinspektor Johann Christian Salzwedel aus Bautzen und sein Stiefsohn Christian Carl Seidel, der sich später Seidel von Rosenthal nennt.

Auf den 23. September anno 1717 datiert ein Kaufbrief über den unwiderruflichen Verkauf des Ritterguts und des Dorfes Rübenau. Der Vertrag taucht auch in den Akten des Appellationsgerichts Dresden auf, ein Zeichen, wie juristisch bedeutsam, aber auch problematisch solch ein Besitzerwechsel sein konnte.26 Zum Verkauf gehört alles, was Moritz Carl Christoph Nehrhoff von Holderberg von seinem Vater übernommen hat, selbstverständlich auch alle Untertanen mit ihren Zinsen und Diensten, die sie "zeithero zu thun verbunden gewesen“.

Die im Kaufvertrag genannten Tiere und das Zubehör lassen darauf schließen, dass es sich nicht gerade um ein reiches Rittergut handelt. Vorhanden sind 28 Kühe, 1 junger Stier und 5 Zugochsen, ihre Wagen und ihr Zuggeschirr, aber keine Pferde. Hinzu kommen Braupfannen und Bottiche im Brau- und Malzhaus, alle Gefäße in der Mühle und im Hammer und noch mancherlei anderes, was in einer Wirtschaft unentbehrlich ist.

Der Versteigerungspreis beträgt 10000 Gulden Meißner Währung. Der "Accis Inspector" Johann Christian Salzwedel und Christian Carl Seidel bezahlen 2715 Gulden 9 Groschen in einer Summe. 7284 weitere Gulden und 12 Groschen werden zu Michaelis 1718 fällig. Jeder Gulden braucht der junge Nehrhoff von Holderberg dringend, um die Schulden seines Vaters begleichen zu können. Das sind:

2857 Gulden an das "Hochlöbliche Steuer=Collegium", also Steuergelder,
1200 Gulden an Leutnant Günther von Bünau, den Stiefsohn seines Vaters,
200 Gulden an den Apotheker Körner in Freiberg für Medikamente,
380 Gulden ins Amt Lauterstein an rückständigem Erbzins,
51 Gulden Vermögenssteuer
75 Gulden Strafgelder seines Vaters, ins Amt Lauterstein zu bezahlen.

Alles in allem kommen 4764 Gulden an Schulden zusammen. Für Moritz Carl Christoph Nehrhoff von Holderberg und seine Frau bleiben vom ganzen geerbten Rittergut nur 2520 Gulden und 17 Groschen übrig. Gnädigerweise gestehen die neuen Besitzer ihnen eine Kammer zu, in der sie eine gewisse Zeit lang Dinge unterbringen können, die sie behalten und wegschaffen lassen möchten, sobald sie wissen wohin. Als Beistand macht sich aus dem fernen Seußlitz an der Elbe sogar der Gutsbesitzer Hartmann von Pistorius27 auf den Weg nach Rübenau. Er fährt mit Moritz Carl Christoph Nehrhoff v. Holderberg aufs Amt Lauterstein. Dort wird der gewesene Rübenauer Gutsherr nochmals viel Geld los: 1100 Taler für Schuldverschreibungen und 1113 Taler fällige Zinsgelder.

Die Schrecken nehmen kein Ende. Am 11. November 1717 gehen im Dresdner Schloss zwei Beschwerdebriefe ein. Sie betreffen eine hohe Hypothek, die Hans Christoph Nehrhoff von Holderberg vor Jahren bei Personen aufgenommen hat, die inzwischen teilweise teilweise nicht mehr leben. Darunter ist ein Leutnant namens Theophilis Herrmann. Die geliehenen Summen haben dessen Erben eingeklagt. Sie hätten ein "Special-Subhastations-Patent" (einen Sonderbescheid über die Versteigerung) bekommen, das im Dresdner Rathaus ausliege. Der Sohn Moritz Carl Christoph Nehrhoff von Holderberg habe sie in ihren Vorrechten beschnitten, behaupten sie.

Wörtlich heißt es: „So müßen wir doch mit sonderbarer Befremdung vernehmen, ob habe [...] nachgel. Sohn und Erbe [das] Guth Rübenau bey noch nicht endigter Subhastations=Zeit [...] privatim“28 verkauft. Ihr Ärger ist verständlich. Sie hatten gehofft, bei der Versteigerung würde sich ein „anständiger Käuffer melden“, so dass sie zu ihrem Geld kommen, aber nun fühlen sie sich hintergangen, weil es für sie sehr schwer ist, sich ihr Geld bei den neuen Besitzern Salzwedel und Stiefsohn wieder zu beschaffen.

Am 23. November 1717 schreibt einer der Geprellten namens Joachim Gottlieb Lohmann aus Dresden auch im Namen seiner Geschwister nochmals an August den Starken. Er und seine Miterben hätten „uffn Guthe Rübenau“ „starcke Capitalien und Zinsen stehen“. Er sehe sich gezwungen, gegen „den mit Herrn Johann Christian Salzwedel und Consorten vorhabenden Kauff Contract [...] zu protestiren“29, und bittet, mit der kurfürstlichen "Confirmation" (Kaufbestätigung) und Lehnsreichung zu warten, bis sie zu ihrem Recht gekommen sind.

Moritz Carl Christoph Nehrhoff von Holderberg teilt drei Tage später in einem Brief aus Rübenau mit, ihm habe sein "Guth zu verkaufen allerdings freygestanden“30. Die Lohmänner hätten angeblich in die Aufhebung der Versteigerung eingewilligt. Er bittet den Landesherrn, die Hypothek stehen zu lassen, bis das Gut völlig bezahlt ist. August der Starke betrachtet das als vernünftig. Am 30. November 1717 bestätigt er den Kaufkontrakt „mit Unsern Accis Inspectoren zu Budißen Johann Christian Saltzwedeln" und gibt sein Einverständnis „zu der wegen derer rückständigen kauffgelder reservirten hypothec"31.

Auch privat hat das junge Paar vorerst kein Glück, ja großen Kummer. Als im Jahre 1919 die schon erwähnten Rübenauer Arno Schlottig und Richard Porstmann unter der Kirche eine Heizung einbauen, stoßen sie auf ein doppeltes Gewölbe und eine Gruft. Darin steht auch ein kleiner Sarg, in dem kaum noch erkennbar zwei kleine Skelette liegen, die sterblichen Überreste der ersten beiden Kinder des jungen Gutsherrn und seiner Frau: ein Mädchen namens Catharina Juliana, geboren am 25. Juli 1716, das bald nach der Nottaufe in Rübenau starb, und das tot geborene Geschwisterchen. Das Ehepaar verlässt bald darauf Rübenau und zieht in die Heimat von Juliana Catharina von Pistoris. Darauf lässt ein Brief von Moritz Carl Christoph aus dem Vorwerk Radewitz bei Meißen schließen.

Dem Ehepaar sind ein langes bewegtes Leben und acht weitere Kinder beschieden. Moritz führt die militärische Tradition der Nehrhoff von Holderbergs fort und wird königlich-polnischer und kurfürstlich-sächsischer 'Capitain bei der Chevaliergarde', eine Eliteabteilung der Kavallerie. Am 19. Oktober 1765 endet im Alter von 74 Jahren und 5 Monaten sein Erdenleben.

Wappen der Pistoris zu Seuselitz


22 SHStAD, 10080 Lehnhof Dresden, 07826 Rübenau, Lehen, Bl. 9

23 Das heutige Barockschloss in Diesbar-Seußlitz.

24 Der erste Mann ihrer Mutter, Ernst Justus von Pistoris auf Seußlitz, starb 1709 mit 34 Jahren.

25 SHStAD, Bestand 10080 Lehnhof Dresden, 07826 Rübenau, Bl. 13

26 SHStAD, 10080 Lehnhof Dresden, 07830, Rübenau, Bl. 18 – 23, 10080 Lehnhof Dresden, 07831 Rübenau, Bl. 35-43, und 10085 Appellationsgericht Dresden, 6576, Nr. 383, Bl. 166- 173

27 Hartmann Pistoris (* 1673), nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Rechtswissenschaftler des 16. Jahrhunderts, war der letzter Herr auf Seußlitz. Er ging in die Steiermark, wo er bedeutende Hammerwerke gründete. Zwischen den sächsischen und den hessischen und württembergischen Geschlecht der Pistoris oder Pistorius besteht offensichtlich keine Verbindung.

28 SHStAD, 10080 Lehnhof Dresden, 07831 Rübenau, Bl. 54-55

29 a. a. O., Bl. 53

30 a. a. O., Bl. 45

31 a. a. O., Bl. 51

Ein ungleiches Gespann:

Johann Christian Salzwedel und
sein Stiefsohn Christian Carl Seidel
1717 – 1720/23