Heinrich von Kleist: Die Familie Schroffenstein

 

 

Heinrich von Kleist

Die Familie Schroffenstein

Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

 

 

 

Heinrich von Kleist: Die Familie Schroffenstein. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Anselm Feuerbach, Romeo und Julia, 1864

 

ISBN 978-3-7437-0830-3

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-7437-0798-6 (Broschiert)

ISBN 978-3-7437-0799-3 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Entstanden 1802, Erstdruck: Bern und Zürich (Heinrich Geßner) 1803. Uraufführung am 9.1.1804 in Graz.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Herausgegeben von Siegfried Streller in Zusammenarbeit mit Peter Goldammer und Wolfgang Barthel, Anita Golz, Rudolf Loch, Berlin und Weimar: Aufbau, 1978.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Personen.

Rupert, Graf von Schroffenstein, aus dem Hause Rossitz.

 

Eustache, seine Gemahlin.

 

Ottokar, ihr Sohn.

 

Johann, Ruperts natürlicher Sohn.

 

Sylvius, Graf von Schroffenstein, aus dem Hause Warwand.

 

Sylvester, sein Sohn, regierender Graf.

 

Gertrude, Sylvesters Gemahlin, Stiefschwester der Eustache.

 

Agnes, ihre Tochter.

 

Jeronimus von Schroffenstein, aus dem Hause Wyk.

 

Aldöbern,

Santing,

Fintenring, Vasallen Ruperts.

 

Theistiner, Vasall Sylvesters.

 

Ursula, eine Totengräberswitwe.

 

Barnabe, ihre Tochter.

 

Eine Kammerjungfer der Eustache.

 

Ein Kirchenvogt.

 

Ein Gärtner.

 

Zwei Wanderer.

 

Ritter, Geistliche, Hofgesinde.

 

Das Stück spielt in Schwaben.[98]

 

Erster Aufzug

Erste Szene

Rossitz. Das Innere einer Kapelle. Es steht ein Sarg in der Mitte, um ihn herum Rupert, Eustache, Ottokar, Jeronimus, Ritter, Geistliche, das Hofgesinde, und ein Chor von Jünglingen und Mädchen. Die Messe ist soeben beendigt.

 

CHOR DER MÄDCHEN mit Musik.

Niedersteigen,

Glanzumstrahlet,

Himmelshöhen zur Erd herab,

Sah ein Frühling

Einen Engel.

Nieder trat ihn ein frecher Fuß.

CHOR DER JÜNGLINGE.

Dessen Thron die weiten Räume decken,

Dessen Reich die Sterne Grenzen stecken,

Dessen Willen wollen wir vollstrecken,

Rache! Rache! Rache! schwören wir.

CHOR DER MÄDCHEN.

Aus dem Staube

Aufwärts blickt' er

Milde zürnend den Frechen an;

Bat, ein Kindlein,

Bat um Liebe.

Mörders Stahl gab die Antwort ihm.

CHOR DER JÜNGLINGE wie oben.

CHOR DER MÄDCHEN.

Nun im Sarge,

Ausgelitten,

Faltet blutige Händlein er,[99]

Gnade betend

Seinem Feinde.

Trotzig stehet der Feind und schweigt.

CHOR DER JÜNGLINGE wie oben.

 

Während die Musik zu Ende geht, nähert sich die Familie und ihr Gefolge dem Altar.

 

RUPERT.

Ich schwöre Rache! Rache! auf die Hostie,

Dem Haus Sylvesters, Grafen Schroffenstein.

 

Er empfängt das Abendmahl.

 

Die Reihe ist an dir, mein Sohn.

OTTOKAR.

Mein Herz

Trägt wie mit Schwingen deinen Fluch zu Gott,

Ich schwöre Rache, so wie du.

RUPERT.

Den Namen,

Mein Sohn, den Namen nenne.

OTTOKAR.

Rache schwör ich,

Sylvestern Schroffenstein!

RUPERT.

Nein irre nicht.

Ein Fluch, wie unsrer, kömmt vor Gottes Ohr

Und jedes Wort bewaffnet er mit Blitzen.

Drum wäge sie gewissenhaft. – Sprich nicht

Sylvester, sprich sein ganzes Haus, so hast

Du's sichrer.

OTTOKAR.

Rache! schwör ich, Rache!

Dem Mörderhaus Sylvesters.

 

Er empfängt das Abendmahl.

 

RUPERT.

Eustache,

Die Reihe ist an dir.

EUSTACHE.

Verschone mich,

Ich bin ein Weib –

RUPERT.

Und Mutter auch des Toten.

EUSTACHE.

O Gott! Wie soll ein Weib sich rächen?

RUPERT.

In Gedanken. Würge

Sie betend.

 

Sie empfängt das Abendmahl.

Rupert führt Eustache in den Vordergrund.

Alle folgen.[100]

 

RUPERT.

Ich weiß, Eustache, Männer sind die Rächer –

Ihr seid die Klageweiber der Natur.

Doch nichts mehr von Natur.

Ein hold ergötzend Märchen ist's der Kindheit,

Der Menschheit von den Dichtern, ihren Ammen,

Erzählt. Vertrauen, Unschuld, Treue, Liebe,

Religion, der Götter Furcht sind wie

Die Tiere, welche reden. – Selbst das Band,

Das heilige, der Blutsverwandtschaft riß,

Und Vettern, Kinder eines Vaters, zielen,

Mit Dolchen zielen sie auf ihre Brüste.

Ja sieh, die letzte Menschenregung für

Das Wesen in der Wiege ist erloschen.

Man spricht von Wölfen, welche Kinder säugten,

Von Löwen, die das Einzige der Mutter

Verschonten. – Ich erwarte, daß ein Bär

An Oheims Stelle tritt für Ottokar.

Und weil doch alles sich gewandelt, Menschen

Mit Tieren die Natur gewechselt, wechsle

Denn auch das Weib die ihrige – verdränge

Das Kleinod Liebe, das nicht üblich ist,

Aus ihrem Herzen, um die Folie,

Den Haß, hineinzusetzen.

Wir

Indessen tun's in unsrer Art. Ich biete

Euch, meine Lehensmänner, auf, mir schnell

Von Mann und Weib und Kind, und was nur irgend

Sein Leben lieb hat, eine Schar zu bilden.

Denn nicht ein ehrlich offner Krieg, ich denke,

Nur eine Jagd wird's werden, wie nach Schlangen.

Wir wollen bloß das Felsenloch verkeilen,

Mit Dampfe sie in ihrem Nest ersticken,

– Die Leichen liegen lassen, daß von fernher

Gestank die Gattung schreckt, und keine wieder

In einem Erdenalter dort ein Ei legt.[101]

EUSTACHE.

O Rupert, mäß'ge dich! Es hat der frech

Beleidigte den Nachteil, daß die Tat

Ihm die Besinnung selbst der Rache raubt,

Und daß in seiner eignen Brust ein Freund

Des Feindes aufsteht wider ihn, die Wut –

Wenn dir ein Garn Sylvester stellt, du läufst

In deiner Wunde blindem Schmerzgefühl

Hinein. – Könntst du nicht prüfen mindestens

Vorher, aufschieben noch die Fehde. – Ich

Will nicht den Arm der Rache binden, leiten

Nur will ich ihn, daß er so sichrer treffe.

RUPERT.

So, meinst du, soll ich warten, Peters Tod

Nicht rächen, bis ich Ottokars, bis ich

Auch deinen noch zu rächen hab – Aldöbern!

Geh hin nach Warwand, künd'ge ihm den Frieden auf.

– Doch sag's ihm nicht so sanft, wie ich, hörst du?

Nicht mit so dürren Worten – Sag daß ich

Gesonnen sei, an seines Schlosses Stelle

Ein Hochgericht zu bauen. – Nein, ich bitte,

Du mußt so matt nicht reden – Sag, ich dürste

Nach sein und seines Kindes Blute, hörst du?

Und seines Kindes Blute.

 

Er bedeckt sich das Gesicht;

Ab, mit Gefolge, außer Ottokar und Jeronimus.

 

JERONIMUS.

Ein Wort, Graf Ottokar.

OTTOKAR.

Bist du's, Jerome?

Willkommen! Wie du siehst, sind wir geschäftig,

Und kaum wird mir die Zeit noch bleiben, mir

Die Rüstung anzupassen. – Nun, was gibt's?

JERONIMUS.

Ich komm aus Warwand.

OTTOKAR.

So? Aus Warwand? Nun?

JERONIMUS.

Bei meinem Eid, ich nehme ihre Sache.

OTTOKAR.

Sylvesters? Du?

JERONIMUS.

Denn nie ward eine Fehde[102]

So tollkühn rasch, so frevelhaft leichtsinnig

Beschlossen, als die eur'.

OTTOKAR.

Erkläre dich.

JERONIMUS.

Ich denke, das Erklären ist an dir.

Ich habe hier in diesen Bänken wie

Ein Narr gestanden,

Dem ein Schwarzkünstler Faxen vormacht.

OTTOKAR.

Wie?

Du wüßtest nichts?

JERONIMUS.

Du hörst, ich sage dir,

Ich komm aus Warwand, wo Sylvester, den

Ihr einen Kindermörder scheltet,

Die Mücken klatscht, die um sein Mädchen summen.

OTTOKAR.

Ja so, das war es. – Allerdings, man weiß,

Du giltst dem Hause viel, sie haben dich

Stets ihren Freund genannt, so solltest du

Wohl unterrichtet sein von ihren Wegen.

Man spricht, du freitest um die Tochter – Nun,

Ich sah sie nie, doch des Gerüchtes Stimme

Rühmt ihre Schönheit! Wohl. So ist der Preis

Es wert. –

JERONIMUS.

Wie meinst du das?

OTTOKAR.

Ich meine, weil –

JERONIMUS.

Laß gut sein, kann es selbst mir übersetzen.

Du meinest, weil ein seltner Fisch sich zeigt

Der doch zum Unglück bloß vom Aas sich nährt,

So schlüg ich meine Ritterehre tot,

Und hing' die Leich an meiner Lüste Angel

Als Köder auf –

OTTOKAR.

Ja, gradheraus, Jerome!

Es gab uns Gott das seltne Glück, daß wir

Der Feinde Schar leichtfaßlich, unzweideutig,

Wie eine runde Zahl erkennen. Warwand,

In diesem Worte liegt's, wie Gift in einer Büchse;

Und weil's jetzt drängt, und eben nicht die Zeit,

Zu mäkeln, ein zweideutig Körnchen Saft[103]

Mit Müh herauszuklauben, nun so machen

Wir's kurz, und sagen, du gehörst zu Warwand.

JERONIMUS.

Bei meinem Eid, da habt ihr recht. Niemals

War eine Wahl mir zwischen euch und ihnen;

Doch muß ich mich entscheiden, auf der Stelle

Tu ich's, wenn so die Sachen stehn. Ja sieh,

Ich spreng auf alle Schlösser im Gebirg,

Empöre jedes Herz, bewaffne, wo

Ich's finde, das Gefühl des Rechts, den frech

Verleumdeten zu rächen.

OTTOKAR.

Das Gefühl

Des Rechts! O du Falschmünzer der Gefühle!

Nicht einen wird ihr blanker Schein betrügen;

Am Klange werden sie es hören, an

Die Tür zur Warnung deine Worte nageln. –

Das Rechtgefühl! Als ob's ein andres noch

In einer andern Brust, als dieses, gäbe!

Denkst du, daß ich, wenn ich ihn schuldlos glaubte,

Nicht selbst dem eignen Vater gegenüber

Auf seine Seite treten würde? Nun,

Du Tor, wie könnt ich denn dies Schwert, dies gestern

Empfangne, dies der Rache auf sein Haupt

Geweihte, so mit Wollust tragen? – Doch

Nichts mehr davon, das kannst du nicht verstehn.

Zum Schlusse – wir, wir hätten, denk ich, nun

Einander wohl nichts mehr zu sagen?

JERONIMUS.

– Nein.

OTTOKAR.

Leb wohl!

JERONIMUS.

Ottokar!

Was meinst du? Sieh, du schlägst mir ins Gesicht,

Und ich, ich bitte dich mit mir zu reden –

Was meinst du, bin ich nicht ein Schurke?

OTTOKAR.

Willst

Du's wissen, stell dich nur an diesen Sarg.

 

Ottokar ab. Jeronimus kämpft mit sich, will ihm nach, erblickt dann den Kirchenvogt.[104]

 

JERONIMUS.

He, Alter!

KIRCHENVOGT.

Herr!

JERONIMUS.

Du kennst mich?

KIRCHENVOGT.

Warst du schon

In dieser Kirche?

JERONIMUS.

Nein.

KIRCHENVOGT.

Ei, Herr, wie kann

Ein Kirchenvogt die Namen aller kennen,

Die außerhalb der Kirche?

JERONIMUS.

Du hast recht.

Ich bin auf Reisen, hab hier angesprochen,

Und finde alles voller Leid und Trauer.

Unglaublich dünkt's mich, was die Leute reden,

Es hab der Oheim dieses Kind erschlagen.

Du bist ein Mann doch, den man zu dem Pöbel

Nicht zählt, und der wohl hie und da ein Wort

Von höhrer Hand erhorchen mag. Nun, wenn's

Beliebt, so teil mir, was du wissen magst,

Fein ordentlich und nach der Reihe mit.

KIRCHENVOGT.

Seht, Herr, das tu ich gern. Seit alten Zeiten

Gibt's zwischen unsern beiden Grafenhäusern,

Von Rossitz und von Warwand einen Erbvertrag,

Kraft dessen nach dem gänzlichen Aussterben

Des einen Stamms, der gänzliche Besitztum

Desselben an den andern fallen sollte.

JERONIMUS.

Zur Sache, Alter! das gehört zur Sache nicht.

KIRCHENVOGT.

Ei, Herr, der Erbvertrag gehört zur Sache.

Denn das ist just als sagtest du, der Apfel

Gehöre nicht zum Sündenfall.

JERONIMUS.

Nun denn,

So sprich.

KIRCHENVOGT.

Ich sprech! Als unser jetz'ger Herr

An die Regierung treten sollte, ward

Er plötzlich krank. Er lag zwei Tage lang

In Ohnmacht; alles hielt ihn schon für tot,

Und Graf Sylvester griff als Erbe schon[105]

Zur Hinterlassenschaft, als wiederum

Der gute Herr lebendig ward. Nun hätt

Der Tod in Warwand keine größre Trauer

Erwecken können, als die böse Nachricht.

JERONIMUS.

Wer hat dir das gesagt?

KIRCHENVOGT.

Herr, zwanzig Jahre sind's,

Kann's nicht beschwören mehr.

JERONIMUS.

Sprich weiter.

KIRCHENVOGT.

Herr,

Ich spreche weiter. Seit der Zeit hat der

Sylvester stets nach unsrer Grafschaft her

Geschielt, wie eine Katze nach dem Knochen,

An dem der Hund nagt.

JERONIMUS.

Tat er das!

KIRCHENVOGT.

Sooft

Ein Junker unserm Herrn geboren ward,

Soll er, spricht man, erblaßt sein.

JERONIMUS.

Wirklich?

KIRCHENVOGT.

Nun,

Weil alles Warten und Gedulden doch

Vergebens war, und die zwei Knaben wie

Die Pappeln blühten, nahm er kurz die Axt,

Und fällte vorderhand den einen hier,

Den jüngsten, von neun Jahren, der im Sarg.

JERONIMUS.

Nun das erzähl, wie ist das zugegangen?

KIRCHENVOGT.

Herr, ich erzähl's dir ja. Denk dir, du seist

Graf Rupert, unser Herr, und gingst an einem Abend

Spazieren, weit von Rossitz, ins Gebirg;

Nun denke dir, du fändest plötzlich dort

Dein Kind, erschlagen, neben ihm zwei Männer

Mit blut'gen Messern, Männer, sag ich dir

Aus Warwand. Wütend zögst du drauf das Schwert

Und machtst sie beide nieder.

JERONIMUS.

Tat Rupert das?[106]

KIRCHENVOGT.

Der eine, Herr, blieb noch am Leben, und

Der hat's gestanden.

JERONIMUS.

Gestanden?

KIRCHENVOGT.

Ja, Herr, er hat's rein h'raus gestanden.

JERONIMUS.

Was

Hat er gestanden?

KIRCHENVOGT.

Daß sein Herr Sylvester

Zum Morde ihn gedungen und bezahlt.

JERONIMUS.

Hast du's gehört? Aus seinem Munde?

KIRCHENVOGT.

Herr,

Ich hab's gehört aus seinem Munde, und die ganze

Gemeinde.

JERONIMUS.

Höllisch ist's! – Erzähl's genau.

Sprich, wie gestand er's?

KIRCHENVOGT.

Auf der Folter.

JERONIMUS.

Auf

Der Folter? Sag mir seine Worte.

KIRCHENVOGT.

Herr,

Die hab ich nicht genau gehöret, außer eins.

Denn ein Getümmel war auf unserm Markte,

Wo er gefoltert ward, daß man sein Brüllen

Kaum hören konnte.

JERONIMUS.

Außer eins, sprachst du;

Nenn mir das eine Wort, das du gehört.

KIRCHENVOGT.

Das eine Wort, Herr, war: Sylvester.

JERONIMUS.

Sylvester! – – Nun, und was war's weiter?

KIRCHENVOGT.

Herr, weiter war es nichts. Denn bald darauf,

Als er's gestanden hatt, verblich er.

JERONIMUS.

So?

Und weiter weißt du nichts?

KIRCHENVOGT.

Herr nichts.

 

Jeronimus bleibt in Gedanken stehn.

 

EIN DIENER tritt auf.

War nicht

Graf Rupert hier?[107]

JERONIMUS.

Suchst du ihn? Ich geh mit dir.

 

Alle ab.

Ottokar und Johann treten von der andern Seite auf.

 

OTTOKAR.

Wie kamst du denn zu diesem Schleier? Er

Ist's, ist's wahrhaftig – Sprich – Und so in Tränen?

Warum denn so in Tränen? So erhitzt?

Hat dich die Mutter Gottes so begeistert,

Vor der du knietest?

JOHANN.

Gnäd'ger Herr – als ich

Vorbeiging an dem Bilde, riß es mich

Gewaltsam zu sich nieder. –

OTTOKAR.

Und der Schleier?

Wie kamst du denn zu diesem Schleier, sprich?

JOHANN.

Ich sag dir ja, ich fand ihn.

OTTOKAR.

Wo?

JOHANN.

Im Tale

Zum heil'gen Kreuz.

OTTOKAR.

Und kennst nicht die Person,

Die ihn verloren?

JOHANN.

– Nein.

OTTOKAR.

Gut. Es tut nichts.

Ist einerlei. – Und weil er dir nichts nützet,

Nimm diesen Ring, und laß den Schleier mir.

JOHANN.

Den Schleier – ? Gnäd'ger Herr, was denkst du? Soll

Ich das Gefundene an dich verhandeln?

OTTOKAR.

Nun, wie du willst. Ich war dir immer gut,

Und will's dir schon so lohnen, wie du's wünschest.

 

Er küßt ihn, und will gehen.

 

JOHANN.

Mein bester Herr – O nicht – o nimm mir alles,

Mein Leben, wenn du willst. –

OTTOKAR.

Du bist ja seltsam.

JOHANN.

Du nähmst das Leben mir mit diesem Schleier.

Denn einer heiligen Reliquie gleich

Bewahrt er mir das Angedenken an[108]

Den Augenblick, wo segensreich, heilbringend,

Ein Gott ins Leben mich, ins ew'ge führte.

OTTOKAR.

Wahrhaftig? – Also fandst du ihn wohl nicht?

Er ward dir wohl geschenkt? Ward er? Nun sprich.

JOHANN.

Fünf Wochen sind's – nein, morgen sind's fünf Wochen,

Als sein gesamt berittnes Jagdgefolge

Dein Vater in die Forsten führte. Gleich

Vom Platz, wie ein gekrümmtes Fischbein, flog

Das ganze Roßgewimmel ab ins Feld.

Mein Pferd, ein ungebändigt tückisches,

Von Hörnerklang, und Peitschenschall, und Hund-

Geklaff verwildert, eilt ein eilendes

Vorüber nach dem andern, streckt das Haupt