Fachwörterbuch Kita
Fachwörterbuch Kita
Schnelle Zugänge für pädagogische Fachkräfte
Über den Autor:
Knut Vollmer ist Dipl. Sozialpädagoge, Sozialwirt und Kinderschutzfachkraft. Er hat langjährige Erfahrung in der Leitung und Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen. Er war viele Jahre Mitglied im Fachrat von »kindergarten heute« und ist aktuell als Fachberater für Kindertageseinrichtungen tätig.
Überarbeitete Neuausgabe 2021
(12. Gesamtauflage)
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2005
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Juristische Begutachtung: Tanja von Langen, Rechtsanwältin in München, Rechts Dozentin in der Aus- und Fortbildung von Erzieherinnen und Erziehern und Autorin
Umschlagkonzeption und -gestaltung: Verlag Herder
Layout, Satz und Gestaltung: Röser MEDIA GmbH & Co. KG
E-Book-Konvertierung: Röser MEDIA GmbH & Co. KG
ISBN E-Book (PDF) 978-3-451-82319-0
ISBN E-Book (ePub) 978-3-451-82318-3
ISBN Print 978-3-451-38970-2
Vorwort
1. Kindheit – Aufwachsen – Hineinwachsen in die Gesellschaft
1.1 Kindheit
1.2 Familie
1.3 Sozialisation
1.4 Lebenswelt(en)
2. Entwicklung im Kindesalter
2.1 Entwicklung
2.2 Bindung
2.3 Bewegung/Motorik
2.4 Emotionen
2.5 Gedächtnis
2.6 Gehirn
2.7 Intelligenz
2.8 Kognitive Entwicklung
2.9 Moral
2.10 Motivation
2.11 Persönlichkeit
2.12 Sexualität/Geschlechtsidentität
2.13 Sprache
2.14 Wahrnehmung
2.15 Beißen
2.16 Sauberkeitsentwicklung – Ausscheidungsautonomie
3. Bildung und Erziehung
3.1 Bildung
3.2 Erziehung
3.3 Erziehungs- und Bildungspartnerschaft
3.4 Lernen
3.5 Spiel
3.6 Ruhen und Schlafen
3.7 Gruppen
3.8 Beobachtung und Dokumentation
3.9 Schulfähigkeit
4. Pädagogischer Rahmen – Konzepte und Pläne – Einrichtungen für Kinder
4.1 Pädagogische Ansätze und Handlungskonzepte
4.2 Bildungsberichte
4.3 Bildungsbereiche
4.4 Bildungsarbeit mit Kindern
4.5 Sprachförderung
4.6 Übergänge
4.7 Einrichtungen für Kinder
5. Entwicklungsauffälligkeiten – individuelle Förderung von Kindern – Behinderungen
5.1 Entwicklungsauffälligkeiten
5.2 Wahrnehmungsstörungen
5.3 Aufmerksamkeitsstörungen
5.4 Verhaltensauffälligkeiten
5.5 Heilpädagogik und Frühförderung
5.6 Kinder mit Unterstützungsbedarf
5.7 Behinderung(en)
6. Management und Recht
6.1 Führung und Leitung
6.2 Kommunikation
6.3 Organisation
6.4 Qualität
6.5 Finanzierung
6.6 Verwaltung – Betriebsführung
6.7 Arbeits- und Tarifrecht
6.8 Aufsichtspflicht
6.9 Rechtliche Grundlagen
6.10 Kinder, Familien und Recht
7. Organisationen, Institute, Verbände, Online-Portale
Literatur
Die frühe Bildung expandiert weiter und wird auf Jahre hin eines der zentralen gesellschaftlichen Themen bleiben. Die Kindertageseinrichtungen erfahren einen enormen Bedeutungszuwachs, das Deutsche Jugendinstitut formuliert, dass die Kita im frühen 21. Jahrhundert zu einem alltäglichen Ort des Aufwachsens geworden ist – für alle Kinder. Kindertageseinrichtungen sind ein selbstverständlicher Bildungs- und Lernort für die Kinder und ihre Familien, mit einem eigenständigen Profil und Bildungsverständnis. Die Themen und Herausforderungen für die pädagogischen Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen sind nicht neu:
Unter anderem die Sprachbildung und -förderung, Inklusion, die Evaluation und Weiterentwicklung der Bildungskonzepte, die Ausdifferenzierung der Konzepte im Blick auf die unter dreijährigen Kinder, der Umgang mit kultureller und sozialer Vielfalt, die Digitalisierung, der Kinderschutz sowie die Einführung institutioneller Schutzkonzepte stehen weiter auf der Agenda. Ein bedeutendes Thema sind aus meiner Sicht die vielen und vielleicht zu hohen Erwartungen der Auftraggeber an die Kindertageseinrichtungen und gleichzeitig die Realitäten vor Ort in den Kitas. Vor diesem Hintergrund stellen der weitere Platzausbau, der Umgang mit dem Fachkräftemangel und die damit verbundenen Aufgaben der Personalgewinnung und Personalentwicklung sowie die Zusammensetzung von Kita-Teams, auch mit Quereinsteigern, zentrale Herausforderungen im Bereich der frühen Bildung dar.
Eine Entwicklung begrüße ich sehr: Nachdem zu Recht jahrelang die Umsetzung des Bildungsauftrags, die Implementierung von Bildungsansätzen und Bildungskonzepten im Fokus stand und steht, rückte immer mehr das Thema Beziehung und damit die Frage nach der Gestaltung der Fachkraft-Kind-Interaktion in den Mittelpunkt. Das ist besonders wichtig, weil wir wissen, dass die Qualität der in der Kita erlebten Interaktionen zentral für die kindliche Entwicklung ist.
Vor diesem Hintergrund stehen die Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen vor vielfältigen Aufgaben und komplexen Herausforderungen. Die pädagogischen Fachkräfte befinden sich in einem Spanungsfeld zwischen hohen Erwartungen und den vorhandenen Rahmenbedingungen. Umso wichtiger ist es, dass in den Kindertageseinrichtungen die Arbeit reflektiert, die Qualität überprüft, gesichert und weiterentwickelt wird – und zwar mit den Bedarfen und Bedürfnissen der Kinder und ihrer Familien im Blickpunkt. Dabei sind die pädagogischen Fachkräfte in der Ausbildung und im beruflichen Alltag auf eine praxisorientierte Begleitung und Unterstützung angewiesen. In diesem Sinn will die neue Ausgabe des Fachwörterbuchs für alle pädagogischen Fachkräfte, aber auch für Quereinsteiger sowie für Auszubildende und Studierende weiterhin eine verlässliche Begleitung und Unterstützung sein.
Verlag und Autor legen jetzt eine Überarbeitung und Erweiterung des Standardwerks vor, die die skizzierten Weiterentwicklungen und Veränderungen im Bereich der Kindertagesbetreuung aufgreifen. Kompetent und praxisnah werden relevante Fachbegriffe in Anbindung an die Praxis definiert und Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt.
Das Fachwörterbuch ist in sieben Abschnitte gegliedert:
Durch die Abschnitte ergibt sich eine inhaltliche Logik und Struktur, die die Vielzahl und Vielschichtigkeit der Wissensgebiete für pädagogische Fachkräfte aufzeigt. Diese inhaltliche Struktur soll – anstelle eines einfachen alphabetischen Abhandelns der Begriffe – auch die vielfältigen Anforderungen an die Berufsgruppe widerspiegeln. Nicht zuletzt erhebt das Fachwörterbuch den Anspruch, mehr als ein Wörterbuch zu sein. Es wird Ihnen auch ein wertvolles Fachbuch sein, das Sie in Ihrer täglichen Arbeit unterstützen soll. Der schnellste Weg zu einem gesuchten Begriff ist das alphabetisch geordnete Sachregister am Ende des Buches. Außerdem gibt es Verweise im Text, die durch Pfeile → gekennzeichnet sind.
Aufgrund des hohen Anteils von weiblichen Fachkräften im Kindertagesbetreuungsbereich verwende ich in aller Regel die weibliche Schreibweise. Dies trägt zur besseren Lesbarkeit bei. Ausdrücklich wertschätze ich die wichtige Arbeit der leider noch viel zu wenigen männlichen Fachkräfte im Berufsfeld, die hier selbstverständlich immer mit gemeint sind.
Danken möchte ich Jochen Fähndrich für die kompetente Unterstützung und Begleitung seitens des Verlags Herder. Ebenso danke ich Tanja von Langen, die Teile des vorliegenden Bandes in rechtlicher Hinsicht überarbeitet hat. Eine umfassende und vollständige Klärung der Begriffe in inhaltlicher und rechtlicher Hinsicht ist dabei selbstverständlich nicht immer möglich gewesen. Daher kann auch keine rechtliche Gewähr übernommen werden.
Stuttgart, im November 2020
Knut Vollmer
Kindheit ist ein Konstrukt, das unter anderem kulturell, sozialwissenschaftlich, pädagogisch und rechtlich definiert und von gesellschaftlichen Bedingungen beeinflusst wird. Heutzutage ist die Kindheit ein klar umschriebener Lebensabschnitt in Abgrenzung zum Jugend- und Erwachsenenalter. Die Kindheit ist entwicklungspsychologisch die Zeit zwischen der Geburt und dem Beginn der Pubertät. Nach Artikel 1 der UN-Kinderrechtskonvention »ist ein Kind jeder Mensch, der das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, soweit die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendenden Recht nicht früher eintritt.«
Aus rechtlicher Sicht endet die Kindheit in Deutschland mit der Vollendung des 14. Lebensjahres. Philippe Ariès beschreibt in seiner Geschichte der Kindheit Kinder im Mittelalter als »kleine Erwachsene«, die als Kleinkinder noch Fürsorge, Hilfe und Unterstützung bekamen, aber ungefähr mit sieben Jahren ihren Platz unter den Erwachsenen einnehmen mussten. »Deshalb gehörte das Kind auch, sobald es ohne die ständige Fürsorge der Mutter, seiner Amme oder seiner Kinderfrau leben konnte, der Gesellschaft der Erwachsenen an und unterschied sich nicht länger von ihr« (Ariès 1978, S. 209). Ca. im 16. Jahrhundert entstand langsam die Familie bzw. Kernfamilie. Durch »Moralisten und Erzieher« des 17. Jahrhunderts etablierte sich eine erste ernsthafte Auffassung von einer langen Kindheit und einer modernen Verschulung (vgl. ebd., S. 457).
Ab dem 18. Jahrhundert entwickelte sich ein Verständnis von Kindheit bzw. von Kindheitskonzeptionen. »Es entstand ein deutliches Bewusstsein dafür, dass Kinder einzigartig sind und dass man der Lebensphase Kindheit mehr Aufmerksamkeit schenken müsse« (Andresen & Hurrelmann 2010, S. 16). Es bildete sich eine bürgerliche Vorstellung von Kindheit als Lebensphase heraus, Kindheit wurde verstanden als Schon- und Schutzraum. Gleichzeitig blieb die Entwicklung zur modernen Familie lange Zeit auf die Angehörigen der Aristokratie, auf das Bürgertum, auf reiche Handwerker und reiche Bauern beschränkt (vgl. Ariès 1978, S. 555). Es war noch ein langer Weg, bis sich das heutige Konstrukt von Kindheit mit einem dazugehörigen Bild vom Kind herausbildete.
Unsere aktuelle Vorstellung von Kindheit basiert auf den Ideen von Entwicklung, Bildung, Schutz und Rechten von Kindern, so der 14. Kinder- und Jugendbericht (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frau und Jugend 2013a, S. 104). Kindheit ist ein eigenständiger Lebensabschnitt, in dem die Kinder bestimmte 1→ Entwicklungsaufgaben bewältigen müssen und dabei frei von Verantwortung sind, wie sie Erwachsene haben. Diese Freiheit ermöglicht es ihnen, (z. B. im Spiel) Rollen zu übernehmen sowie Fähigkeiten und Fertigkeiten zu üben und zu entwickeln, die sie später im Erwachsenenalter benötigen. Gleichzeitig befinden sich die Kinder in einem klaren Abhängigkeitsverhältnis von den Eltern, wenn es um wichtige Entscheidungen geht.
Die Kindheitsforschung geht aktuell vom Konzept des eigenaktiven Kindes aus, das als Akteur seiner Entwicklung schon als Säugling Kompetenzen besitzt und aktiv mit seiner Umwelt in Beziehung und Dialog tritt. Kinder sind dabei Subjekte eigenen Rechts. Die UN-Kinderrechtskonvention sieht Kinder als Träger eigener Rechte, in Deutschland zeigt sich die Situation unklarer, die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz wird aktuell debattiert und gefordert.
ZUR VERTIEFUNG:
Andresen, Sabine & Hurrelmann, Klaus (2010): Kindheit. Weinheim und Basel: Beltz.
Ariès, Philippe (1978): Geschichte der Kindheit. 19. Auflage 2019. München: Deutscher Taschenbuch-Verlag.
Bründel, Heidrun & Hurrelmann, Klaus (2017): Kindheit heute. Lebenswelten der jungen Generation. Weinheim und Basel: Beltz.
Kleinkinder können konkrete Merkmale des Selbst nachvollziehen. Das Selbst wird durch körperliche Merkmale (»Ich habe blaue Augen«), Aktivitäten (»Ich kann malen«), soziale Beziehungen (»Ich habe eine Schwester«) oder Empfindungen (»Ich bin traurig«) repräsentiert. Mit zunehmendem Alter suchen Kleinkinder positive Rückmeldungen für ihre Leistungen und sind sich darüber im Klaren, dass sich ihr Verhalten auf das Verhalten anderer auswirkt.
Nach und nach findet eine Verknüpfung der Merkmale der Selbstbeschreibung statt. Das Kind kann Gegensatzpaare bilden (groß – klein, gut – böse). Es beginnt, die Perspektive anderer Personen einzunehmen, und versteht, dass andere Menschen eigene Überzeugungen haben.
Kinder können innere Dimensionen beschreiben, Merkmale, die hinter verschiedenen Fähigkeiten oder Verhaltensweisen erscheinen. Sie vergleichen sich in der Schule mit anderen, die Peergroup (Gleichaltrigengruppe) wird wichtig.
Beispiele von kindlichen → Entwicklungsaufgaben (vgl. Haug-Schnabel & Bensel 2017, S. 13):
Aufbau sozialer Bindung, → Objektpermanenz, sensumotorische Intelligenz und schlichte Kausalität, motorische Funktionen.
Selbstkontrolle (vor allem motorisch), Sprachentwicklung, Fantasie und Spiel, Verfeinerung motorischer Funktionen.
Übergang in die Schule, Geschlechterrollenidentifikation, einfache moralische Unterscheidungen treffen, konkrete Operationen, Spiel in Gruppen.
Soziale Kooperation, Selbstbewusstsein, Erwerb von Kulturtechniken (Lesen, Schreiben, Rechnen), Erwerb von Wissen, Entwicklung eines leistungsbezogenen Selbstkonzeptes und von Selbstwert, spielen und arbeiten im Team.
Betreute Kindheit: Die Familie ist die wichtigste Sozialisationsinstanz für Kinder. Gleichzeitig werden immer mehr Kinder in außerfamiliären Institutionen erzogen, gebildet und betreut. Aufwachsen in öffentlicher Verantwortung gewinnt damit immer mehr an Bedeutung. Die frühe Kindheit wird zunehmend institutionalisiert. Dazu beigetragen haben der Rechtsanspruch auf Betreuung unter Dreijähriger und der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Im Schulbereich setzt sich diese Tendenz durch den Ausbau der Ganztagsschulen fort. Kinder wachsen sowohl in der Familie als auch in außerfamiliären Institutionen auf, was zu der Frage führt, wie das Verhältnis von privater und öffentlicher Erziehung und Bildung austariert bzw. zum Beispiel die Lebenswelten Kindertageseinrichtung und Familie gut miteinander verbunden werden können.
Wie der Begriff Kindheit ist auch das Menschenbild bzw. das Bild vom Kind ein Konstrukt, in das Theorien über die Entwicklung, philosophische Grundannahmen, gesellschaftliche Erwartungen und auch subjektive Erfahrungen aus der eigenen Kindheit eingehen. Es beeinflusst das konkrete Erziehungsverhalten und kann Ursache von Konflikten in Kindertageseinrichtungen sein, wenn pädagogische Fachkräfte und Eltern voneinander abweichende Bilder vom Kind haben. Das Bild vom Kind muss in der → Organisation (in der Kindertageseinrichtung) geklärt und in der → Konzeption verankert sein.
Zwei mögliche Positionen:
Die Familie (lat. familia = Hausgenossenschaft) ist eine soziale Gemeinschaft von mindestens zwei Personen, die füreinander Verantwortung übernehmen. Familie setzt nicht zwingend eine gemeinsame Abstammung (leibliche Elternschaft) oder eine Ehe zwischen Vater und Mutter voraus, sondern definiert sich vor allem über eine starke emotionale Bindung und eine gemeinsame Verantwortung. Die Familienmitglieder stehen in einem biologisch, rechtlich oder sozial begründeten Nachkommenschaftsverhältnis zueinander. Nach dem Mikrozensus umfasst Familie alle Eltern-Kind-Gemeinschaften in einem gemeinsamen Haushalt, das heißt Ehepaare, gemischtgeschlechtliche und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften sowie alleinerziehende Mütter und Väter mit ledigen Kindern im Haushalt. Einbezogen sind neben leiblichen Kindern auch Stief-, Pflege- und Adoptivkinder ohne Altersbegrenzung (Mikrozensus: Befragung von jährlich 1 % aller Haushalte; dient der Bereitstellung von statistischen Informationen über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt).
Drei konstitutive Merkmale von Familie nach Nave-Herz (in: Bründel & Hurrelmann 2017, S. 47):
Die Familie stellt für die Kinder das primäre soziale System dar (→ primäre Sozialisationsinstanz) und bietet ihnen Versorgung, Beziehung, Erziehung und Bildung. Der Staat garantiert grundsätzlich den Bestand der Familie. Artikel 6 des Grundgesetzes (GG) stellt Ehe und Familie unter den besonderen Schutz des Staates. Im Laufe der letzten Jahrzehnte erfolgte ein Wandel der → Familienformen.
Die Familienstrukturen haben sich im Vergleich zu früheren Jahrzehnten verändert, entwickelt und differenziert. Nach der 4. World Vision Kinderstudie (2018, S. 13 f.) aus dem Jahr 2018 wächst mit 70 % die Mehrheit der Kinder im Alter von 6 bis 11 Jahren zusammen mit beiden leiblichen und miteinander verheirateten Elternteilen auf. Der Anteil der Kinder mit Eltern in nicht ehelichen Lebensgemeinschaften liegt bei 7 %. 18 % der Kinder leben in Alleinerziehenden-Familien, 4 % in Familien mit einem Stiefelternteil und 2 % in Drei-Generationen-Familien.
Erziehung in der Familie: In einer Gesellschaft mit vielfältigen Lebensentwürfen und Wertvorstellungen wird Erziehung komplexer, Erziehungsleitbilder und Erziehungsziele wandeln sich und unterliegen verschiedenen Einflüssen. Gleichzeitig kann die Tendenz festgestellt werden, dass sich die Qualität der Eltern-Kind-Beziehungen in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Während früher die Anpassung der Kinder an eine bestehende Ordnung im Vordergrund stand, überwiegt heute in vielen Familien ein Verhältnis, das von partnerschaftlichen Strukturen geprägt ist. Dies drückt sich in → Erziehungszielen wie Selbstständigkeit und Verantwortung im Gegensatz zu Zielen wie Gehorsam und Einordnung aus.
Demografischer Wandel: Mit dem Begriff werden Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur beschrieben. Einflussgrößen sind die Geburtenrate (Fertilität), die Sterblichkeit (Mortalität) sowie die Zu- und Abwanderung (→ Migration).
Sozioökonomischer Status: Der sozioökonomische Status ist ein Konzept zur Beschreibung der sozialen Herkunft. Der Status wird bestimmt durch die verfügbaren materiellen, kulturellen und sozialen Ressourcen.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Die Balance zwischen Familie und Erwerbsleben ist aufgrund hoher Anforderungen an die zeitliche und räumliche Flexibilität der Eltern schwierig geworden. Im 7. → Familienbericht der Bundesregierung (2005) wird die Familienzeit (z. B. Zeit für die Kinder, die Hausarbeit, die Paarbeziehung, Freizeit) als wichtige, bislang vernachlässigte Ressource beschrieben. Zeitmanagement in der Familie wird zu einer zentralen Aufgabe. Das Problem: Familiäre Zeitbedarfe passen oft nicht mit den Zeiten der Arbeitswelt zusammen. Hier müssen sich zum einen die Betriebe flexibler bzw. familienfreundlicher zeigen. Gleichzeitig sind die Kindertageseinrichtungen aufgefordert, sich immer wieder neu mit einem flexiblen Angebot auf die verschiedenen (Zeit-)Bedürfnisse der Familien einzustellen.
Vor diesem Hintergrund wird Familie zu einer stets aufs Neue zu erbringenden Tätigkeit. Das Konzept Doing Family beschreibt diese Situation. Damit Familie funktioniert, sind körperliche, mentale und emotionale Leistungen notwendig, die jedoch immer schwieriger zu erbringen sind. Das Konzept geht davon aus, dass es kein »natürliches« Familienhandeln gibt. Vielmehr bestimmen immer soziokulturelle Kontexte und Vorstellungen darüber mit, wie Familie gelebt wird. Familie stellt eine gemeinsame Leistung der Akteure nach innen und nach außen dar, die identitätsstiftenden Charakter hat (vgl. Deutsches Jugendinstitut 2009b).
Eine Tatsache ist hier für pädagogische Fachkräfte von großer Bedeutung: Der Einfluss der Familie auf die Entwicklungs- und Bildungsprozesse von Kindern ist sehr hoch. Die Familie ist der erste und wichtigste Bildungsort für Kinder. Studien (Tietze u. a. 2005) zeigen auf, dass die Familie einen größeren Einfluss hat als der Kindergarten oder die Schule. Die Struktur der Familie spielt dabei weniger eine Rolle. Wichtig sind die Qualität der Beziehungen in der Familie, die Bildung der Eltern und die sozioökonomische Situation. Kindern aus Familien mit Problemen in den aufgeführten Bereichen kommt der Besuch einer Kindertageseinrichtung besonders zugute – vorausgesetzt, die Qualität der Einrichtung ist gut. Auffällig in Deutschland ist der Zusammenhang von Bildungserfolg und sozialer Herkunft: Durchgängig bestätigen Studien, dass der Bildungserfolg von Kindern in erster Linie von der familiären Herkunft, vor allem vom Bildungsniveau der Eltern, abhängt.
Im Vergleich zu früheren Jahrhunderten finden sich heutzutage neue Haushaltsund Familienformen, auch wenn es individuelle Lebensformen, wie z. B. das Alleinleben von Haushaltspersonal, Kostgängern und jüngeren Geschwisterkindern, schon in der Vergangenheit gab. Neben nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit und ohne Kinder sowie Wohngemeinschaften sind an dieser Stelle vor allem die Ein-Eltern-Familien bzw. die Alleinerziehenden zu nennen.
Eine Familie in häuslicher Gemeinschaft, bestehend aus verheirateten Eltern und Kindern.
Eine Familie in häuslicher Gemeinschaft, bestehend aus nicht verheirateten Eltern und Kindern.
Eine Familie, in der Kinder und Eltern in häuslicher Gemeinschaft zusammenleben, der drei oder mehr Generationen angehören.
Eine Familie in häuslicher Gemeinschaft, bestehend aus einer Mutter oder einem Vater und einem oder mehreren Kindern (→ alleinerziehende Eltern).
Familien mit drei oder mehr minderjährigen Kindern.
Eine nach der Trennung von Eltern neu zusammengesetzte Familie in häuslicher Gemeinschaft. Eltern bringen nach der Trennung und Scheidung vom alten Partner ihre Kinder in die neue Familie mit ein und bekommen ggf. mit dem neuen Partner weitere Kinder.
Ein Ehepaar oder nicht verheiratetes Paar nimmt ein Kind kurzfristig oder auf Dauer in Pflege.
Ein Kind oder mehrere Kinder leben bei zwei gleichgeschlechtlichen Eltern.
Familienphasen sind bestimmte Abschnitte in der Entwicklung von Familien:
Die einzelnen Phasen können durch Ereignisse wie Trennung bzw. Scheidung wiederholt, unterbrochen oder ausgelassen werden.
Generell ist eine Verlagerung von familiären Aufgaben auf die Gesellschaft zu beobachten. Der Staat oder andere öffentliche Institutionen übernehmen heutzutage Aufgaben, die früher der Familie oblagen, wie z. B. die Betreuung der Kinder, während die Eltern arbeiten, die Erziehungsberatung, die Betreuung und Pflege von älteren Familienangehörigen. Dagegen hat die Familie als Ort intimen Zusammenlebens an Bedeutung gewonnen, ebenso wie das Freizeit- und Konsumverhalten in der Familie.
Die Sicherung der Existenz durch Berufstätigkeit der Eltern.
Zuwendung und körperliche Nähe der Bezugspersonen für ein körperliches und psychisches Wohlbefinden.
Die Familie ist oft der einzige Rückzugsort.
Sicherung des Fortbestandes der Familie und damit der Gesellschaft durch die Geburt von Kindern.
Die Familie hat als soziale Primärgruppe die Aufgabe, Kindern wichtige Normen, Regeln und Umgangsformen zu vermitteln.
Eine in der jeweiligen Gesellschaftsordnung sozial anerkannte und durch Rechtsnormen gefestigte Lebensgemeinschaft (vgl. Deutscher Verein 2017, S. 205). Die Ehe und die Familie stehen nach Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Die Ehe wird nach § 1353 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Lebenszeit geschlossen: »1) Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen. Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet; sie tragen füreinander Verantwortung.« Mit der Eheschließung haben sich die Eheleute zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet, sie tragen füreinander Verantwortung. Die Rechtsprechung versteht darunter, dass beide voneinander Treue, Achtung, Rücksicht, Beistand und häusliche Gemeinschaft verlangen können (Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz 2020, S. 12). Seit dem 1. Oktober 2017 dürfen gleichgeschlechtliche Partner heiraten, es gilt die »Ehe für alle«. Verheiratete homosexuelle Paare haben nun auch das Recht, gemeinsam Kinder zu adoptieren. Von 2001 bis 2017 konnten gleichgeschlechtliche Partner eine »eingetragene Lebenspartnerschaft« eingehen.
Die Ehe gilt als gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft der Eheleute nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, dass die Eheleute sie wiederherstellen. Das Scheitern der Ehe wird vom Gericht nach einer bestimmten Zeitspanne des Getrenntlebens vermutet, wenn
Es wird unterschieden zwischen aufgelösten Ehen durch eine richterliche Entscheidung (eine Scheidung) und beendeten Ehen durch den Tod eines Ehepartners.
In Deutschland wurden im Jahr 2019 etwa 149.000 Ehen geschieden, 0,5 % mehr als im Vorjahr. Damit gab es erstmals seit 2012 eine leichte Zunahme der Ehescheidungen. Im Durchschnitt blickten die Paare auf 14 Jahre und 10 Monate Ehedauer zurück. Insgesamt waren im Jahr 2019 etwa 122.000 Minderjährige von der Scheidung ihrer Eltern betroffen. Zum ersten Mal wurden auch die Scheidungen gleichgeschlechtlicher Ehepaare erfasst: Rund 100 gleichgeschlechtliche Ehen wurden im Jahr 2019 geschieden (vgl. Pressemitteilung Nr. 268 des Statistischen Bundesamtes vom 15.07.2020).
Die Folgen der Scheidung für die Kinder müssen nicht zwangsläufig negativ sein. Der 7. → Familienbericht (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2005b, S. 205) beschreibt, dass die überwiegende Mehrheit der Scheidungskinder einen unproblematischen Entwicklungsverlauf hat. Eine gesunde psychosoziale Entwicklung der Kinder ist mit einem breiten Spektrum familialer Lebensformen vereinbar.
Die Kinder müssen bei einer Trennung/Scheidung einen für sie bedeutsamen Übergang (→ Transition) bewältigen. Wie Kinder die Trennung und Scheidung ihrer Eltern verarbeiten, hängt vom Alter ab. Im Ratgeber »Eltern bleiben Eltern« (Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Jugend und Eheberatung e. V. 2015) werden die Auswirkungen von Trennung und Scheidung im Zusammenhang mit dem Lebensalter beschrieben: Im Kleinkindalter zeigen Kinder häufig Angstzustände und Schlafstörungen. Sie sind irritiert und oft aggressiv. Dies gilt auch für Kinder ab ca. dem vierten Lebensjahr, die die Trauer und das Verlassensein noch stärker empfinden und die Schuld für die Trennung bei sich suchen können. Im Schulalter verstehen die Kinder eine Trennung ihrer Eltern immer besser, fühlen sich gleichzeitig aber traurig, zornig und hilflos. Die Schulleistungen können zurückgehen, → Verhaltensauffälligkeiten zunehmen. Ältere Kinder machen sich oft große Sorgen und übernehmen gleichzeitig häufig Verantwortung, indem sie sich um kleine Geschwister oder auch um die Eltern kümmern, was sie wiederum überfordern kann. Insgesamt sind Veränderungen und Auffälligkeiten im kindlichen Verhalten adäquate Reaktionen auf die schwierige Situation, in der die kindlichen Bedürfnisse nach Zuwendung, liebevollen Beziehungen etc. Beachtung finden müssen. Die Kinder haben ein Recht auf beide Eltern, die sich klarmachen müssen, dass sie beide für das Wohl der Kinder verantwortlich sind, auch wenn sie sich als Paar getrennt haben.
Mit der Trennung und Scheidung ändert sich das familiäre System. Innerhalb dieses Prozesses gilt es, sich neu zu ordnen: Unter anderem müssen Umgangsmodelle gefunden werden; neue Partner der Eltern kommen ggf. hinzu, sodass eine → Patchwork-Familie entsteht. Dies stellt eine Herausforderung für alle Beteiligten dar. Dabei kann es auch zu Umgangsstreitigkeiten kommen, die sich negativ auf die Kinder auswirken.
Pädagogische Fachkräfte sollten Folgendes beachten:
ZUR VERTIEFUNG:
Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Jugend- und Eheberatung e. V. (Hrsg.) (2015): Eltern bleiben Eltern. Hilfen für Kinder bei Trennung und Scheidung. München.
Deutsche Liga für das Kind, Deutscher Kinderschutzbund & Verband alleinerziehender Mütter und Väter (Hrsg.) (2018): Wegweiser für den Umgang nach Trennung und Scheidung. Wie Eltern den Umgang am Wohl des Kindes orientieren können. 17. Auflage. Berlin.
Das Alleinerziehen ist in Deutschland eine weit verbreitete Lebensform. Als alleinerziehend werden Mütter oder Väter bezeichnet, die ohne Ehe- oder Lebenspartner/in mit ihren minder- oder volljährigen Kindern in einem Haushalt zusammenleben. Elternteile mit Lebenspartnern im Haushalt zählen zu den Lebensgemeinschaften mit Kindern. Im Jahr 2018 lebten laut Statistischem Bundesamt 2,58 Millionen Eltern alleinerziehend, 2.174.000 Mütter und 407.000 Väter.
Alleinerziehende sind überproportional von Armut betroffen. Fehlende Betreuungsangebote bzw. Angebote mit unzureichenden Betreuungszeiten können einer Erwerbstätigkeit entgegenstehen. Fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten erhöhen somit das Armutsrisiko von Alleinerziehenden. Die schwierige finanzielle Situation kann sich auf die Entwicklung der Kinder auswirken: Das Selbstbild und das Wohlbefinden können belastet sein, Sozialbeziehungen zu Gleichaltrigen, schulische Leistungen sowie intellektuelle Kompetenzen können sich als beeinträchtigt zeigen. Wie Kinder die Belastungen bewältigen, hängt auch von den persönlichen und sozialen Ressourcen innerhalb und außerhalb der Familie ab (Walper in: Oerter & Montada 2002, S. 825 f.). Alleinerziehende können ihre Lebenssituation unterschiedlich bewältigen: Sie können sich als »erschöpfte Einzelkämpfer/innen« zeigen oder auch als Eltern, die als »vernetzte Aktive« selbstbewusst ihre Situation bestmöglich gestalten (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2005b, S. 295 ff.). Alleinerziehende können weiter von einer »Zeitarmut« betroffen sein. Sie verzichten z. B. auf Schlaf oder soziale Kontakte und verstärken dadurch ungewollt das Problem der sozialen Isolation (ebd., S. 391 ff.). Gerade für Alleinerziehende stellt also die Balance zwischen Familien- und Erwerbszeit eine Herausforderung dar.
Trotz der beschriebenen Risiken wirkt sich diese Lebensform nicht grundsätzlich negativ auf die Entwicklung von Kindern aus. Das Alleinerziehen ist eine Lebensform, die sowohl Chancen als auch Risiken beinhaltet. Für pädagogische Fachkräfte ist es wichtig, nicht vorschnell eine defizitorientierte Sichtweise in Bezug auf Alleinerziehende einzunehmen. Folgende Aspekte sind u. a. bei der Unterstützung alleinerziehender Eltern zu berücksichtigen:
Das DJI-Kinderpanel ist eine Studie (2001–2006) des Deutschen Jugendinstitutes (DJI). Die Studie beschreibt Lebenslagen von Kindern und untersucht, wie unterschiedliche Lebenslagen Einfluss auf die Entwicklung von Kindern nehmen. Das Themenspektrum der Studie umfasst die Bereiche Familie, Schule, Gleichaltrigen-Gruppe, Wohnumfeld, Wohlbefinden, Netzwerk der Freundschaften, Freizeit und Armut. Das DJI-Kinderpanel ist eine Vorlaufstudie zum → AID:A-Survey.
Die DJI-Kinderbetreuungsstudie (KiBS) des Deutschen Jugendinstituts ist eine jährliche Elternbefragung, an der im Jahr 2018 etwa 33.000 Eltern von Kindern unter 12 Jahren teilgenommen haben. Die Studie trifft gesicherte Aussagen zu den Betreuungswünschen von Eltern auf Bundesländerebene. Befragt werden die Eltern zur Inanspruchnahme von öffentlicher Betreuung, zu den privaten Betreuungsarrangements beispielsweise mit den Großeltern sowie zu ihrem tatsächlichen Betreuungsbedarf. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) veröffentlicht in der Broschüre »Kindertagesbetreuung Kompakt« regelmäßig die wichtigsten KiBS-Ergebnisse zum Ausbaustand und Bedarf von Kita-Plätzen.
Der DJI-Survey (Survey = Umfrage) »Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten«, kurz AID:A, erhebt Daten zum Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen sowie zu den Lebenslagen von Erwachsenen und Familien in Deutschland. Der Survey dient der Sozialberichterstattung in Deutschland und wird im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) vom Deutschen Jugendinstitut in regelmäßigen Abständen durchgeführt. In der Studie werden die objektivierbaren Lebensverhältnisse von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen ebenso erfasst wie subjektive Einstellungen; »weiche« Faktoren wie individuelles Wohlbefinden stehen neben »harten« Indikatoren wie Armutsrisiken oder dem (Nicht-)Erreichen schulischer Abschlüsse.
Der Deutsche Bundestag hat die Bundesregierung mit der Vorlage von Familienberichten beauftragt. Die Bundesregierung ist verpflichtet, mindestens in jeder zweiten Legislaturperiode einen Bericht über die Lage der Familien vorzulegen. Der 8. Familienbericht wurde im Jahr 2012 vorgelegt, 2018 wurde die Sachverständigenkommision zur Erstellung des 9. Familienberichts berufen. Die Familienberichte sollen dem Bundestag helfen, notwendige familienpolitische Entscheidungen vorzubereiten. Darüber hinaus gibt ein Familienbericht der Praxis, auch den Kindertageseinrichtungen, wichtige Impulse und Anregungen. Der Bericht wird von einer Sachverständigenkommission erstellt.
Der Familienreport wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend herausgegeben. Er enthält eine umfassende Darstellung von Leistungen, Wirkungen und Trends rund um Familie und Familienpolitik und kann wichtige Hinweise liefern, wie Kindertageseinrichtungen Familien gut unterstützen können. Der letzte Familienreport wurde im Jahr 2017 herausgegeben.
Die KiGGS-Studie ist eine Langzeitstudie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Die vom Robert Koch-Institut durchgeführte Studie fragt, wie gesund die Kinder und Jugendlichen in Deutschland sind (→ Gesundheit).
In der Studie wurden in den Jahren 2003–2006 in einer Basiserhebung über 17.000 Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern zu ihrem Gesundheitsverhalten, zur physischen und psychischen Gesundheit und zur Gesundheitsentwicklung befragt. Seit 2009 wird KiGGS als Bestandteil eines Gesundheitsmonitorings am Robert Koch-Institut als Langzeitstudie fortgeführt.
Die Bundesregierung hat nach § 84 → Sozialgesetzbuch SGB VIII in jeder Legislaturperiode dem Bundestag und dem Bundesrat einen Bericht über die Lage junger Menschen in Deutschland vorzulegen. Die Berichte setzen dabei unterschiedliche Schwerpunkte. Jeder dritte Bericht muss umfassend auf die Gesamtsituation der Jugendhilfe eingehen. Der Bericht wird von einer unabhängigen Sachverständigenkommission ausgearbeitet, der bis zu sieben Mitglieder angehören.
Der jährlich erscheinende Kinderreport des Deutschen Kinderhilfswerks ist zum einen ein Zustandsbericht zur Umsetzung der Kinderrechte aus Sicht von Kindern und Erwachsenen. Zum anderen liefern die Ergebnisse des Kinderreports auch Impulse für politische Gestaltungsprozesse im Interesse von Kindern.
In bisher fünf Studienphasen wurde im Auftrag der Arbeiterwohlfahrt (AWO) vom Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e. V. in Frankfurt seit 1997 untersucht, wie sich Armut auf das Wohlergehen von Kindern auswirkt.
Das LBS-Kinderbarometer ist eine auf kontinuierliche Wiederholung angelegte Studie im Auftrag der Landesbausparkassen in Partnerschaft mit dem Deutschen Kinderschutzbund. Seit dem Jahr 2007 findet das Kinderbarometer bundesweit Anwendung und wird alle zwei Jahre durchgeführt. Im Kinderbarometer wird die subjektive Kindersicht aufgegriffen – befragt werden Kinder im Alter zwischen 9 und 14 Jahren zu Themen wie Wohlbefinden der Kinder, Familie, Schule, Wohnumfeld, Freizeit, aktuelle Geschehnisse und Politik.
Die Studie aus dem Jahr 2013 analysierte Daten aus den Dimensionen materielles Wohlbefinden, Gesundheit und Sicherheit, Bildung, Verhalten und Risiken sowie Wohnen und Umwelt, und blickte dann in einem zweiten Teil gesondert auf das subjektive Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen. Ein Ergebnis ist, dass das Wohlbefinden von Kindern in Deutschland im internationalen Vergleich trotz erheblicher finanzieller Aufwendungen nur als mittelmäßig eingeschätzt wird.
World Vision ist ein christliches Kinderhilfswerk. Die erste Studie »Kinder in Deutschland« aus dem Jahr 2007 informierte über Werte, Wünsche, Ziele und Lebenssituationen von Kindern zwischen acht und elf Jahren. In der zweiten Studie »Kinder in Deutschland 2010« wurden Kinder im Alter zwischen sechs und elf Jahren befragt. Wie in der ersten Studie ist ein Ergebnis, dass die meisten Kinder mit ihren Lebensverhältnissen in Familie, Freizeit, Freundeskreis und Schule zufrieden sind und sich wohlfühlen. Kinder haben jedoch je nach Schichtzugehörigkeit unterschiedliche Gestaltungsspielräume bzw. Teilhabemöglichkeiten. In der dritten Studie aus dem Jahr 2013 wurde erneut das subjektive Wohlbefinden der Kinder verbunden mit dem Schwerpunktthema Gerechtigkeit in den Mittelpunkt gestellt. Auch hier zeigte sich, dass die Herkunftsschicht die Teilhabechancen von Kindern weiterhin stark beeinflusst. Die 4. World Vision Kinderstudie »Kinder in Deutschland 2018« hat den Schwerpunkt »Flucht«.
Der Kinder- und Jugendmigrationsreport ist eine kombinierte Bestandsaufnahme, die die Lebenswelten und das Aufwachsen von unter 25-Jährigen in den Blick nimmt. Ziel ist ein tiefgreifender Einblick in die Lebenssituationen sowohl von selbst Zugewanderten als auch von jungen Menschen mit Migrationshintergrund, deren Familien bereits in der zweiten oder dritten Generation in Deutschland leben.
Children’s Worlds (International Survey of Children’s Well-Being) ist eine weltweite Studie über das Aufwachsen von acht- bis zwölfjährigen Kindern, über ihre Situation und ihr subjektives Wohlbefinden. Bei der aktuellen Erhebungswelle der deutschen Studie (Children’s Worlds+) werden neben der bisherigen Altersgruppe auch Dreizehn- und Vierzehnjährige mit befragt.
Sozialisation meint nach Hurrelmann und Bauer (2020, S. 15) »die Persönlichkeitsentwicklung als eine ständige Interaktion zwischen individueller Entwicklung und den umgebenden sozialen Strukturen, wobei diese Interaktionserfahrungen aktiv und produktiv verarbeitet und sowohl mit den inneren körperlichen und psychischen als auch mit den äußeren sozialen und physischen Gegebenheiten permanent ausgetauscht werden.« Die Persönlichkeit entwickelt sich in Abhängigkeit von und in Auseinandersetzung mit der sozialen und dinglichen Umwelt. Bronfenbrenner (1981) definiert in seiner ökologischen Theorie der Sozialisation diese als Ergebnis der Interaktion zwischen dem wachsenden menschlichen Organismus und der Umwelt. Beide Sichtweisen gehen von denselben Annahmen aus:
Erziehung umfasst aus Sicht der Sozialisationsforschung (Hurrelmann & Bauer 2020, S. 15) alle gezielten und bewussten Maßnahmen und Handlungen auf den Bildungsprozess.
Die Sozialisationsforschung (lat. sociare = verbinden) bezieht ihre Grundlagen aus der Psychologie, der Soziologie und der Pädagogik. Sie untersucht, wie gesellschaftliche, kulturelle, ökonomische und ökologische Faktoren die Entwicklung der Persönlichkeit beeinflussen. Ebenso wie die Entwicklungspsychologie geht die Sozialisationsforschung davon aus, dass die Persönlichkeitsentwicklung von Anlage- bzw. psychischen Faktoren und gesellschaftlichen Faktoren in einem wechselseitigen Zusammenspiel beeinflusst wird. Den Begriff der Sozialisation hat der französische Soziologe Émile Durkheim Anfang des 20. Jahrhunderts geprägt.
Darunter ist die Sozialisation im frühen Kindesalter, in der Familie (familiäre Sozialisation) zu verstehen. Die Grundstrukturen der Persönlichkeit werden entwickelt. Es werden elementare Werte, Regeln, Normen und Umgangsformen erlernt.
Sie beginnt etwa ab dem vierten Lebensjahr. Es werden Verhaltensweisen gelernt, die in einer bestimmten Situation erwartet werden. Weitere wichtige Umgangsformen, Regeln und Normen sowie Interaktionsmuster werden vermittelt.
Soziale, kulturelle, ökonomische, technologische und politische Strukturen.
Öffentliche Einrichtungen wie Kindertageseinrichtungen und Schulen, Betriebe, Medien etc.
Familie, Verwandtschaft, Freundeskreis, Gleichaltrigengruppe etc.
Die physisch-psychische Grundstruktur.
Pädagogische Fachkräfte sind Kulturvermittler. Oerter zitiert den US-amerikanischen Anthropologen Herskovits, wenn er definiert: »Kultur ist der vom Menschen gemachte Anteil der Umwelt« (Oerter & Montada 2002, S. 78). Zur Kultur gehören geistige und materielle Güter wie z. B. Weltanschauungen, Wertesysteme, Verhaltensregeln, Erklärungsmuster, aber auch Kleidung, Gebäude, technische Geräte etc. Im DJI-Bulletin 76 plus wird Kultur als ein Sinnsystem beschrieben, das für eine größere Gruppe von Menschen gleichermaßen gültig ist. Kultur ist demnach gemeinsames Wissen, wie z. B. fest verankerte Erwartungen in Bezug auf Gewohnheiten, Verhaltensweisen, Werthaltungen, Deutungsmuster, Weltbilder (Deutsches Jugendinstitut 2006b, S. 2).