Der Autor

Gard Sveen – Foto © Charlotte Hveem

GARD SVEEN, geboren 1969, ist Staatswissenschaftler und arbeitet als Seniorberater im norwegischen Verteidigungsministerium. Sein Debüt Der letzte Pilger wurde mit dem Rivertonpreis 2013 und dem Glass Key Award 2014 als bester Krimi Skandinaviens ausgezeichnet. Er stand damit wochenlang auf der Spiegel-Bestsellerliste. Gard Sveen lebt in Ytre Enebakk, einem kleinen Ort in der Nähe von Oslo.

Das Buch

Ein hochspannender Krimi zu Zeiten des Kalten Krieges: Im November 1973 reist die 17-jährige Schwimmerin Christel Heinze aus Ostberlin mit ihrer Mannschaft zu einem Wettkampf nach Oslo. Nach minutiöser Planung wagt sie die Flucht vom Hallenbad zur nächstgelegenen U-Bahnstation. Der Stasi-Beauftragte dieses Auslandswettkampfes ist ihr dicht auf den Fersen, doch sie entkommt. Über die westdeutsche Botschaft wird sie in die Freiheit nach Deutschland geschickt. Für ihr Studium kehrt Christel einige Jahre später nach Oslo zurück. Innerhalb weniger Jahre wird sie unfreiwillig zur KGB-Agentin und verschwindet schließlich irgendwann spurlos. Was ist geschehen? Erst im Jahr 2016 stößt Tommy Bergmann auf eine mögliche Spur. Da er vom Polizeidienst suspendiert wurde, hat er nichts zu verlieren und keine Angst davor, sich mit den Mächtigen anzulegen. Doch die wollen ihre Geheimnisse nicht preisgeben …

Gard Sveen

Die stille Tochter

Thriller

Kriminalroman

Aus dem Norwegischen
von Günther Frauenlob

Ullstein

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www.ullstein-buchverlage.de

ISBN: 978-3-8437-2034-2
© 2019 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
This translation has been published with the financial support of NORLA.
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Prolog

Oktober 2016
Nes, Akershus

Arvid Storholt stand oben im Dachzimmer, als es unten klingelte. Mit einem Mal fühlte er sich krank, als würde er Fieber bekommen. Wer klingelte denn jetzt? So weit ab vom Schuss, wie er wohnte?

Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr und dachte, dass er sich ihrer längst hätte entledigen sollen. Sie erinnerte ihn an Dinge, an die er sich eigentlich nicht mehr erinnern wollte.

Unten an der Tür klingelte es ein weiteres Mal.

Er beugte sich zu dem Teleskop vor, das er im Dachzimmer aufgestellt hatte, und studierte den dunklen Himmel über der hügeligen Landschaft am westlichen Ufer der Glomma.

»Alexia, kannst du aufmachen?«, rief er.

»So spät nicht mehr«, sagte sie. Dem Klang nach stand sie direkt unter der Treppe.

Storholt ging zum Treppenhaus und schrie fast nach unten: »Du musst keine Angst haben. Das ist bestimmt nur der Nachbar.«

Mit dem Nachbarn meinte er den Bauern auf dem Hof, oder besser Gut, das fast einen Kilometer entfernt lag. Arvid Storholt hatte dieses sogenannte Gesindehaus vor fünfzehn Jahren im Netz gefunden und ungesehen gekauft. Es kam tatsächlich vor, dass der Bauer vorbeikam, manchmal sogar zu den merkwürdigsten Zeiten, als gehörte das Haus noch immer ihm. Er hatte es seinerzeit für seine Tochter renoviert, die sich aber hatte scheiden lassen und nach Oslo gezogen war.

»Okay«, sagte Alexia widerwillig.

Sie hatte sich in Norwegen nie richtig eingelebt und spürte noch immer, wie die Leute im Supermarkt sie anstarrten.

Manchmal kamen alte Kommunisten zu ihm und sagten, dass sie es gut fänden, was er getan hatte. Dass er dem Imperialismus die Stirn geboten habe … Die meisten behandelten ihn aber wie einen Zurückgebliebenen. In zwei Wochen wollten sie zurück in ihr Haus in Glyfada bei Athen und dort bis Anfang April bleiben. Er wollte nur noch den letzten Rest des norwegischen Herbstes genießen. Außerdem hatte er Kinder und Enkel hier, die ihn trotz der Erniedrigung, die sie durch ihn erfahren hatten, gernhatten.

Storholt sah noch einmal durch das Teleskop, aber der Himmel hatte sich in der letzten halben Stunde mehr und mehr zugezogen. Dann drückte er es etwas nach unten und verfolgte ein paar Autos auf dem Weg in Richtung Kongsvinger. Scheinwerfer huschten über die Hauptstraße, unterbrochen durch die lange Reihe der Bäume, die am anderen Ufer der Glomma standen.

War er auf der Suche nach der Vergangenheit? Nach einem Helikopter, der ohne Licht über die Glomma flog und das Feuer auf das Fenster eröffnete, hinter dem er stand? Begnadigt nach acht Jahren. Er war wirklich verflucht billig davongekommen. Nachdem er die Strafe abgesessen hatte, war es ihm gelungen, in Griechenland, Russland und zuletzt auch in Norwegen das reinste Geschäftsimperium aufzubauen.

Eine Minute verging, vielleicht auch mehr. Unten im Erdgeschoss war es seltsam leise.

Er hätte sich kein so großes Haus kaufen sollen, dachte er, lieber zu jeder Zeit den kompletten Überblick haben. Sein Führungsoffizier, Sascha, hätte das Haus nicht gemocht. Wegen der fehlenden Fluchtmöglichkeiten. Storholt hatte sich aber nicht einmal die Mühe gemacht, oben im ersten Stock eine Feuerleiter zu montieren.

»Alexia?«

Keine Antwort von unten.

Mit einem Anflug von schlechtem Gewissen wurde ihm bewusst, dass er Alexia zu öffnen gebeten hatte, weil er selbst Angst hatte.

Was für ein Scheiß!, dachte er gleich darauf, ließ das Teleskop stehen und ging mit raschen Schritten zur Treppe und nach unten.

»Alexia? Verdammt! Jetzt gib doch Antwort.«

Als er am Fuß der Treppe stand, sah er, warum sie nicht geantwortet hatte.

Sie lag im Flur, das Gesicht ihm zugewandt, blendend weiß, als hätte sie schon jetzt alles Blut verloren.

Er versuchte einen Schritt auf sie zuzugehen, aber seine Beine wollten ihm nicht gehorchen.

»Weißt du noch, was Sascha immer gesagt hat?«, hörte Storholt irgendwo von links. »Einem Mann, der sein Land freiwillig verrät, kann man nicht trauen.«

Storholt schüttelte langsam den Kopf, doch es gelang ihm nicht, sich umzudrehen. Er blieb wie angewurzelt auf dem afghanischen Teppich vor der Treppe stehen. Seine Hand tastete nach dem Handlauf.

Er riss den Blick von seiner Frau los und sah zu den Schuhen am Ende des Teppichs hinüber.

Dann erblickte er das Messer, es war so klein, dass man es im Ärmel der Jacke verstecken konnte.

Erst jetzt erkannte Storholt das Gesicht.

»Du?«, rutschte es ihm heraus.

»Sascha ist bald tot, Arvid.«

»Tot?«, wiederholte Storholt, als hätte er diesen Gedanken selbst noch nie gehabt.

»Er hat mich gebeten, dir noch einen letzten Besuch abzustatten.«