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Das Buch

Die aktuelle Flüchtlingskrise ist vor allem den Ereignissen im Nahen Osten geschuldet. Dabei gerät eine langfristig viel bedrohlichere Entwicklung aus dem Blick: die Völkerwanderung Zehntausender Afrikaner nach Europa. Das Szenario: auf der einen Seite eine Bevölkerung, die sich in den nächsten Jahrzehnten verdoppelt, auf der anderen Seite die dramatische Zunahme von »failed states«, von Korruption, Misswirtschaft und Unterdrückung.

Als langjähriger Afrika-Berater deutscher Unternehmen kennt Prinz Asserate die Missstände genau. Durch westliche Handelsbarrieren und Agrarprotektionen verliert Afrika jährlich das Doppelte dessen, was es an Entwicklungshilfe erhält. Zudem werden Gewaltherrscher hofiert. Gerade diejenigen, die der Kontinent für seine Entwicklung dringend braucht, kehren ihrer Heimat den Rücken und verschlimmern so die Situation vor Ort. Europa, so Asserate, muss Afrika als Partner behandeln und gezielt diejenigen Staaten unterstützen, die demokratische Strukturen aufbauen und in ihre Jugend investieren. Nur so kann es gelingen, den fluchtbereiten Afrikanern eine menschenwürdige Zukunft auf ihrem Kontinent zu ermöglichen.

Der Autor

Asfa-Wossen Asserate, geboren 1948 in Addis Abeba, lebt seit Ende der 1960er Jahre als Unternehmensberater für Afrika und den Mittleren Osten und als Buchautor in Deutschland. Er ist Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers Haile Selassie. Mehrere seiner Bücher waren Bestseller, darunter »Manieren« (2003) und »Afrika: Die 101 wichtigsten Fragen und Antworten« (2010). 2014 erschien bei Propyläen seine vielbeachtete Biographie Haile Selassies unter dem Titel »Der letzte Kaiser von Afrika«.

Asfa-Wossen Asserate

Die neue
Völkerwanderung

Wer Europa bewahren will,
muss Afrika retten

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Propyläen

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ISBN: 978-3-8437-1456-3

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2016
Lektorat: Rainer Wieland
Covergestaltung: Morian & Bayer-Eynck, Coesfeld
Coverfotos: © Weise, Anna/SZ Photo/laif; ullstein bild – Reuters/Mohamed Nureldin Abdallah

E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

»Die Stille der Landschaft zieht in fremde Weite – sammelt heimatlos gewordene Sehnsucht«

Burga Gripekoven

Den Millionen afrikanischen Flüchtlingen, die, verstreut auf allen Kontinenten, das saure Brot des Exils kauen, in der Hoffnung auf das Ende ihres Martyriums solidarisch gewidmet

Asfa-Wossen Asserate

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Inhalt

Über das Buch und den Autor

Titelseite

Impressum

Motto & Widmung

Karte

Prolog

Kapitel 1

Homo migrans

Wer ist ein Flüchtling?

Woher und wohin fliehen die Menschen?

»Harter, steiniger Ort«: Flüchtlingslager in Afrika

Der »Bogen der Instabilität«

»Gute« und »schlechte« Flüchtlinge

Fluchtwege

»Mare Monstrum«

Anmerkungen zum Kapitel 1

Kapitel 2

Europas »Schwarzer Kontinent«

Afrikanische Reiche

Das Trauma der Sklaverei

Europas »Wettlauf um Afrika«

»Hottentotten« und Herero: Deutsch-Südwestafrika

Direkte und indirekte Herrschaft

»Herz der Finsternis«: Belgisch-Kongo

Der Widerstand regt sich

Kollaboration und kulturelle Anpassung

Der Kolonialismus im Niedergang

»Wir sind entschlossen, frei zu sein«

Die Unabhängigkeit wird verspielt

Die Stunde der Offiziere

Der Wind des Wandels

Anmerkungen zum Kapitel 2

Kapitel 3

Die Löwen auf dem Sprung

Kontinent der 1,2 Milliarden Gelegenheiten

»Schwärmt aus!« – Investoren in Afrika

Afrika geht online

Die neue Mittelschicht

Verschiedene Entwicklungsstadien

Das afrikanische Paradox: Beispiel Äthiopien

220 Millionen Afrikaner hungern

Landgrabbing

Afrikas Bewährungsprobe: Die Bevölkerungsexplosion

Klimawandel und Destabilisierung

Afrikas größte Hypothek: Korrupte Regierungen und Eliten

Nigeria: Der Fluch der Ressourcen

Der Katanga-Boom

Kiki, der Ölmagnat

Ein System aus Raffgier und Bestechung

Afrikas sogenannte Demokratien

Eine weitere Amtszeit oder ein weiterer Putsch

Das Ende der Geduld

Freund oder Feind

Die Bedeutung der Institutionen

Das Versagen der Afrikanischen Union

»Richtet euch doch selbst!«

Abstimmung mit den Füßen

Eritrea: »Alle denken an Flucht«

Brain-Drain in Simbabwe

Der Traum von Europa

Anmerkungen zum Kapitel 3

Kapitel 4

Deutsche Willkommenskultur

Europa treibt auseinander

Das System der Abschottung

»Luftdichte« Grenzen

»Partner« Gaddafi

Neue schmutzige Deals

Reisefreiheit? – Aber nicht für Afrikaner

Unfairer Handel

Fischzüge vor Afrikas Küsten

Entwicklungshilfe – für wen?

Ein Marshallplan für Afrika? Ja, aber …

Wie man Afrika wirksam helfen kann

Anmerkungen zum Kapitel 4

Epilog

Zur weiteren Lektüre

Danksagung

Feedback an den Verlag

Empfehlungen

Prolog

Auch ich – ein Flüchtling

Auch ich war ein Flüchtling, auch ich habe meine persönliche Fluchtgeschichte. Während im Sommer und Herbst des Jahres 1974 in meinem Heimatland die Revolution ihren Lauf nahm, die das Kaiserreich Äthiopien zum Einsturz brachte, hielt ich mich als Student in Frankfurt am Main auf. Ich war damals 25 Jahre alt. Von meiner kleinen Studentenwohnung aus verfolgte ich im Radio die Ereignisse in meiner Heimat, die auch vor meiner Familie nicht haltmachten. Zuerst wurde mein Vater Asserate Kassa, ein führender Politiker der äthiopischen Regierung, von der Militärjunta, die sich als die neuen Machthaber Äthiopiens sahen, inhaftiert. Wenig später traf es auch meine Mutter und meine Geschwister, sie wurden von den Militärs in Sippenhaft genommen. Am 24. November 1974 meldete das Radio, dass in Addis Abeba mehr als sechzig führende Politiker der kaiserlichen Regierung ermordet worden seien – darunter war auch mein Vater. Gegen ihn war niemals Anklage erhoben oder ein Prozess eröffnet worden, man hatte ihn wie die anderen in jener Nacht aus dem Gefängnis abgeführt und standrechtlich erschossen. Die Tat ging als »äthiopischer Blutsamstag« in die Geschichte ein.

Es dauerte einige Zeit, bis ich begriff, was dies für mich bedeutete. Mein Vater war tot. Meine Mutter und Geschwister saßen ohne Anklage im Gefängnis – aber sie lebten. Ich war der Einzige meiner Familie, der sich in Freiheit und Sicherheit befand. Einige Monate später lief mein äthiopischer Pass ab. Ich vereinbarte einen Termin mit der Äthiopischen Botschaft in Bonn. Der Botschafter, den ich persönlich kannte, zeigte sich verwundert darüber, dass ich noch im Besitz meines Passes war. Er benötigte einige Stunden, um mit Addis Abeba Rücksprache zu nehmen. Dann erklärte er mir, dass mir aufgrund meiner »revolutionsfeindlichen Umtriebe« kein neuer äthiopischer Pass ausgestellt werden könne. Damit war ich staatenlos geworden.

Einen Tag darauf stellte ich in Frankfurt am Main einen Antrag auf Asyl – es war das erste Mal überhaupt, dass ein Äthiopier in Deutschland dies tat. Üblicherweise musste man dafür im mittelfränkischen Zirndorf beim dortigen »Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge« persönlich vorstellig werden – in meinem Fall wurde nach Aktenlage entschieden. Es dauerte nicht mehr als eine Woche, bis ich meinen Anerkennungsbescheid erhielt – zusammen mit einem »Fremdenpass«, der mir für die folgenden sieben Jahre Aufenthaltsrecht und eine Arbeitserlaubnis gewährte.

»Politisch Verfolgte genießen Asylrecht«, heißt es in Artikel 16 des Grundgesetzes. Ich war ein politischer Flüchtling, wie er im Buche steht. Aber ein typischer Flüchtling war ich – von heute aus betrachtet – nicht. Ich musste mich keinem Schleuser andienen, der für seine Dienste ein Vermögen verlangt. Ich musste nicht tagelang durch die Wüste ziehen mit einem Bündel auf dem Rücken, in dem sich all meine Habseligkeiten befinden; getrieben von der Angst, von Militärs oder Polizei entdeckt zu werden. Ich musste nicht, abgestempelt als »Illegaler«, monatelang mit Tausenden anderer in einem Lager ausharren, darauf hoffend, dass es irgendwann, irgendwie weitergeht. Ich musste nicht in einem seeuntüchtigen Schlauchboot, zusammen mit Hunderten anderen, die lebensgefährliche Fahrt übers Meer antreten. Ich musste mich nicht in den stockfinsteren Laderaum eines Transporters einsperren lassen, darum bangend, ob sich die Tür jemals wieder für mich öffnen würde. Ich musste mich nicht wochen- und monatelang jeden Morgen um fünf aufs Neue vor einer Behörde in der Schlange anstellen, um überhaupt einen Asylantrag stellen zu können. Ich musste nicht, zur Untätigkeit verdammt, bange Monate oder Jahre in einer zur Massenunterkunft umgewidmeten Halle verbringen in der Ungewissheit, ob ich im Land bleiben darf. Ich musste mich auch nicht mühsam in eine Gesellschaft einfinden, deren Sprache und Kultur mir vollkommen fremd waren; denn ich hatte bereits in meiner Kindheit in Äthiopien Deutsch gelernt und mich in meinen Jahren als Student mit den deutschen Sitten und Gebräuchen einigermaßen vertraut gemacht.

Damals war ich einer von ganz wenigen. In Frankfurt gab es neben mir nur einen einzigen weiteren staatenlos gewordenen Flüchtling aus Äthiopien; und in ganz Deutschland mochten es vielleicht ein Dutzend gewesen sein. Heute bin ich einer von vielen. Allein im Rhein-Main-Gebiet gibt es heute 10000 äthiopische Flüchtlinge und auf der ganzen Welt 2,5 Millionen. Meine Geschichte ging gut aus: Nach sieben Jahren als Asylant in Deutschland erhielt ich die deutsche Staatsbürgerschaft, und ich habe mich, so gut es geht, in die Gesellschaft integriert. Ich habe Glück gehabt, wie ich es mir jeden Morgen in großer Dankbarkeit als Mantra aufsage.

Wenn wir heute tagtäglich von den Strömen von Menschen lesen, die weltweit auf der Flucht sind, wenn wir die Bilder der Karawanen der mit Menschen überfüllten Pick-ups sehen, die durch die Sahara ziehen, sollten wir eines nicht vergessen. Ein jeder dieser Menschen ist ein Individuum mit seinem eigenen Schicksal. Mit seinen Ängsten und seiner Hoffnung auf eine bessere, eine sichere Zukunft. Und mit dem Wunsch, irgendwann einmal, angekommen in einem neuen Leben, auf die Geschichte seiner Flucht zurückblicken zu können und zu sagen: Ich habe Glück gehabt.

Asfa-Wossen Asserate,

Frankfurt am Main, im September 2016