Über das Buch

Old Major hat einen Traum. Wie alle Tiere auf dem Bauernhof leidet auch der hochbetagte Eber unter dem gewalttätigen Regiment des Säufers Mr Jones. In leuchtenden Farben malt er den anderen Tieren eine Zukunft in Freiheit aus und ruft zum Aufstand auf. Doch dann stirbt Old Major und lässt die Tiere ratlos zurück. Bis die intelligenten Schweine rund um Napoleon ein Programm mit einem ganz klaren Ziel ausarbeiten: die Befreiung vom menschlichen Unterdrücker. Die Rebellion gelingt. Anfangs ziehen alle Tiere an einem Strang, bald jedoch bilden sich Hierarchien heraus und der machthungrige Napoleon übernimmt die Führung. Fortan wird Widerstand im Keim erstickt, Gegner werden gnadenlos vernichtet, und am Ende macht Napoleon gar gemeinsame Sache mit den verhassten Menschen.

Die zeitlose politische Fabel von George Orwell erzählt scharfsinnig, wie selbst die, die sich aus der Unterdrückung befreien, zu Unterdrückern werden können.

Eine tierisch gute Fabel

Vorwort von Ilija Trojanow

Ich mag Tiere.

GEORGE ORWELL

Es gibt nur eine Möglichkeit, wirklich sinnvoll über dieses Buch zu schreiben: indem man mit einem Zeitzeugen spricht. Das ist nicht einfach, denn Animal Farm ist 1945 erschienen, vor drei Menschengenerationen, und die darin beschriebenen Ereignisse liegen noch weiter zurück. Aber es ist mir gelungen, einen Ururenkel Benjamins auf einer abgelegenen Farm in Schottland ausfindig zu machen, einen alten Hausesel, der sich nur noch von Heu und Erinnerungen ernährt. Benjamin, das wissen jene, die dieses Buch schon gelesen haben, ist ein aufmerksamer Beobachter und Kommentator der dramatischen Ereignisse. Insofern durfte ich mir einigen Aufschluss erwarten von den Erzählungen seines Ururenkels, der mir als Historiker der Familie angepriesen wurde, als nachdenklicher und eigenwilliger Kopf.

Die Farm befindet sich auf einer schroffen Insel namens Jura. Kaum angekommen, flüchtete ich vor dem peitschenden Wind in den örtlichen Pub. Drei Farmer saßen in einer Ecke und ereiferten sich über irgendetwas. An der Wand lehnten ein paar Sensen und Schrotflinten.

»Sind Sie wegen dem Whisky hier?«, fragte die Frau hinter den Tresen.

»Nein. Wegen George Orwell.«

»Orwell?« Eine lange Pause. Und dann, an einen der Farmer gerichtet: »Calum, dein Vater, der kannte doch diesen Schreiberling, oder?«

»Ja, hat mit seinem Pudel gespielt, der hieß Marx, das weiß ich noch, George lief mit Marx an seiner Seite herum.«

Die drei Farmer schüttelten den Kopf. Offensichtlich galt es auf dieser Insel nicht als angemessen, seinen Pudel Marx zu nennen.

»Hier lebt keiner mehr, der irgendwas über Orwell weiß«, sagte der Farmer mit fester Stimme und finaler Geste. Das Gespräch war beendet.

»Doch«, sagte ich zu mir selbst, »der Ururenkel von Benjamin.«

Nach zwei Flaschen Cuillin Beast fühlte ich mich ausreichend gestärkt.

Schon von Weitem sah ich den einsamen Esel auf weiter Flur, in Sichtweite des Sunds. Ich näherte mich vorsichtig, denn ich war ohne Voranmeldung gekommen. Es war Sympathie auf den ersten Blick. Zur Begrüßung stupste er mich mit aufgerichteten Ohren und vorgestrecktem Hals an. Dann stellte er sich vor.

»Napoleon!«

Ich war entgeistert.

Ein Esel, der einen schweinischen Namen trug! Wie war das möglich?

»Mein Großvater, dessen Großvater wiederum Benjamin war, wollte ein Signal setzen. Wir müssen, so sagte er, uns jeden Namen aneignen können und ihn so von seinen Schandflecken befreien.«

Offenkundig war ich an den richtigen Esel geraten. Ich setzte mich auf einen mitgebrachten Klappstuhl und stellte meine Fragen. Nur antwortete Napoleon nicht, sondern folgte einer eigenen narrativen Logik, die sich um die Prioritäten meiner Neugier keinen Deut scherte.

»Weißt du« (offenkundig duzen Esel grundsätzlich), »Scheiße riecht recht unterschiedlich. Ihr Menschen habt ja nicht so gut funktionierende Nasenlöcher, deswegen muss es euch erklärt werden. Kuhmist, Hühnermist, Pferdemist, Schweinemist, das sind völlig unterschiedliche Gerüche. Pferdemist, das ist guter Dünger, das wusste der Orwell, der hat täglich die Qualität der Exkremente aufgeschrieben. Pferdemist mochte er, Ölgerüche hasste er. Schweinescheiße hingegen, die taugt nichts, weil das Schwein alles frisst. Deswegen muss das Oberschwein Napoleon mit einer aromatisch besonders penetranten Zigarre herumstolzieren. Um den nutzlosen Gestank des eigenen Mists zu überdecken.«

»Orwell kannte sich also auf einem Bauernhof aus«, gelang es mir einzustreuen.

»Und wie und wie und wie. Ironie der Geschichte. Du weißt, was Ironie ist, oder? Die Einnahmen von Animal Farm haben es ihm erst ermöglicht, eine eigene Farm zu betreiben. Er sehnte sich nach dem einfachen Bauernleben. Das bewunderte mein Ururgroßvater an ihm. Er habe gewusst, wovon er schrieb, nicht wie die meisten Menschen, die sich anmaßen, Tiere zu beschreiben. Im Herzen war er ein Bauer. Bevor er hierherkam, hielt er in Hertfordshire Hühner und Ziegen. Eine der Ziegen hieß Muriel. Muriel – wäre das nicht ein schöner Name für ein Maultier?«

»Unbedingt.«

»Sogar im Krieg hielt er Hühner, in der Stadt, im Hinterhof. Während der Bombardierungen. Wer macht denn so was?«

Ich wollte zu einer weiteren Frage ansetzen, aber Napoleon redete einfach weiter.

»Die Bomben haben fast alles ausgelöscht. So was kannst du nicht erfinden, weder als Esel noch als Mensch. Zuerst schrieb der Orwell ein Büchlein mit dem Titel Der Löwe und das Einhorn, eine Geschichte über zwei Tiere, die es hierzulande nicht gibt. Was soll das denn? Derweil zuckten nachts Scheinwerfer über den Himmel.«

»Während ich schreibe, fliegen hochzivilisierte Menschen über mich hinweg und versuchen, mich zu töten.«

»Sehr gut«, lobte mich der Esel und machte einen Luftsprung. »Das gelang ihnen nicht, aber eine der Bomben zerstörte das Haus, in dem die Orwells lebten. Glücklicherweise waren sie gerade bei ihren Hühnern und Ziegen auf dem Land, und der Orwell hatte das einzige Exemplar seines Manuskripts mitgenommen. Sonst hätte es mich nie gegeben. Das Leben ist ein einziger Zufall, das sage ich dir.«

»Ein unglaublicher Zufall.«

»Durch und durch glaublich. Wir Tiere glauben das, was ist. Ihr Menschen nur das, was euch in den Kram passt.«

»Wie fühlt es sich für dich an, Animal Farm zu lesen?«

»Keine Ahnung«, antwortete Napoleon kurz angebunden.

»Es muss dich doch …«

»Keine Ahnung. Ich habe es nie gelesen. Die Geschichte ist mir unzählige Male erzählt worden, was muss ich sie da noch lesen. Zu anstrengend.«

»Ein animalisches Problem.«

»Wie meinen?«

»Na ja, so wie es im Buch dargestellt wird, sind die anderen Tiere inkompetente Leser der hinterhältigen Schweine-Texte. Die Hunde interessieren sich nur für die Sieben Gebote, die Ziege Muriel liest gelegentlich ein wenig in einer weggeworfenen alten Zeitung. Das Pferd Clover lernt das Alphabet auswendig, ohne ein Wort zusammensetzen zu können. Und Benjamin, dein Vorfahre, der kann zwar lesen, so gut wie jedes Schwein, aber er nutzt diese Fähigkeit nicht. Er behauptet, es gebe nichts Lesenswertes.«

»Sag ich doch.«

»So bleibt ihr ohnmächtig!«

»Mir geht es gut«, erwiderte Napoleon und begann mit angespannten Muskeln zu fressen. Unser Gespräch war in eine Sackgasse geraten.

Woran er dachte, konnte ich seiner nächsten Äußerung nach einigen Minuten des Schweigens entnehmen.

»Menschen und Tiere sind nicht so unterschiedlich, wie ihr meint. Wir leiden an ähnlichen Krankheiten. Es gibt Geflügelpest, es gibt Hühnercholera. Nimm mal die Schweinegrippe: dieselben Symptome wie bei eurer Grippe, wir können euch sogar anstecken. Wenn das kein Ausdruck von Verwandtschaft ist.«

»Nennt man Zoonose.«

»Wie gut, dass du so viel gelesen hast.« Napoleon hatte offensichtlich einen bissigen Witz. »Weißt du, was wir über Epidemien sagen? ›Morgens krank, abends tot. Abends krank, morgens tot‹. So viel zu deiner Zoo-Nase.«

Ich musste dringend das Gespräch auf eine einvernehmlichere Ebene bringen, weswegen ich ihn fragte, wie in seiner Familie die Erfahrungen von Animal Farm nachträglich beurteilt würden.

»Nicht so negativ, wie es Urvater Benjamin getan hat. Diese Erfahrung endete böse. Keine Frage. Aber vor dem Aufstand waren wir Eigentum eines sogenannten Gentleman Farmers, mit anderen Worten eines brutalen Trunkenbolds. Dann geschah, was geschehen ist, und danach waren wir Eigentum eines agrarindustriellen Betriebs, mit anderen Worten eines brutalen Unternehmens. Dazwischen gab es einen Aufstand, und der ist unser ganzer Stolz, trotz des schlechten Ausgangs.«

Er streckte seinen Kopf nach oben, angespannt, alles an ihm wirkte verschlossen. Es schien, als wollte er den Geruch des Kommenden erhaschen. Ich fühlte mich genötigt, etwas zu sagen.

»Das hat Orwell im Spanischen Bürgerkrieg ähnlich erlebt. Später hat er geschrieben: Vor allen Dingen aber glaubten wir an die Revolution und die Zukunft. Wir hatten das Gefühl, plötzlich in einer Ära der Gleichheit und Freiheit aufgetaucht zu sein. Menschliche Wesen versuchten, sich wie menschliche Wesen zu benehmen und nicht wie ein Rädchen in der kapitalistischen Maschine.«

Napoleon richtete seine Ohren in meine Richtung, sein Blick fokussiert, sein Kopf stolz erhoben. Ich hatte es geschafft, sein Interesse zu wecken. Auch wenn er es nicht zugab. Ich nutzte den günstigen Augenblick.

»Ich habe versucht, die Theorien von Marx aus der Sicht der Tiere zu bedenken. Für euch, vermute ich, muss das Konzept eines Klassenkampfes zwischen Menschen als reine Illusion erscheinen, denn stets werden die Tiere ausgebeutet, egal, wie die machtpolitischen Verhältnisse unter den Menschen sind. Erst wenn diese Ausbeutung grundsätzlich und radikal angegangen wird, kann von einer wirklichen Befreiung gesprochen werden.«

»Ich habe die Nüstern voll von Märchen«, unterbrach mich Napoleon. »So erbärmlich humanoid, dieses Denken und Reden in Fabeln.«

»Aber Animal Farm ist kein Märchen«, rief ich aus, entschlossen, mich nicht niedereseln zu lassen. »Das ist eine bis ins letzte Detail präzise und genau beobachtete Realsatire, eine scharfe Attacke gegen das sowjetische System, vor allem während der Herrschaft Stalins. Nur wer diese Epoche und dieses System erlebt hat, kann das nachvollziehen.«

Napoleon gähnte mit geschlossenen Augen. Ich fuhr fort.

»Wie sollen Nachgeborene Animal Farm verstehen, wenn Sie vom Alltag in der Sowjetunion kaum etwas wissen, vom Personenkult um Stalin, von den Schauprozessen, von den allgegenwärtigen Losungen und Parolen, von der Zwangskollektivierung und den großen Säuberungsprozessen. Nehmen wir den Protest der Hühner, die zu den Dachsparren hinauffliegen und dort ihre Eier ablegen, um sie dann auf dem Erdboden zerschellen zu lassen, das weist auf die Proteste der Muschiks gegen die Zwangskollektivierung hin. In ihrer Verzweiflung schlachteten sie ihr Vieh, zerschlugen die Geräte und verbrannten die Ernte.«

Napoleon gähnte ein weiteres Mal. Die Nöte der Menschen ertrug er offenbar mit gelangweilter Geduld.

Ich redete mich in Wallung. »Das Blöken der Schafe, auch das hat ein reales Vorbild, sogar in meiner eigenen Familiengeschichte. Mein Vater wurde wie viele andere junge Männer eines Abends in den Studentenpalast gerufen, wo linke Aktivisten aus dem Westen frei und kritisch diskutieren wollten. Also wurde den einheimischen Schafen aufgetragen, bei jeder Stellungnahme der ausländischen Gäste laut zu skandieren und zu applaudieren und mit den Füßen zu stampfen, sodass die Aussagen auf der Bühne nicht verstanden werden konnten.«

»Was tröstet es die Schafe, dass es Menschen gibt, die genauso unterwürfig und dumm sind wie sie?«

Mit Napoleon konnte man schlecht diskutieren. Er fuhr fort, in eine andere Richtung.

»Du weißt ja, dass anstelle von Hammer und Sichel Huf und Horn die Republik der Tiere repräsentieren. Mein Großvater war stolz darauf, weil unsereiner die besten Hufe hat. Aber was soll das mit dem Horn, wer braucht schon ein Horn?«

»Und der Orden des grünen Banners meint den Lenin-Orden.«

»Lieber keine Orden.«

»Und das Gedicht zum Lob Napoleons entspricht den unzähligen Verherrlichungen Stalins durch Literaten, die sich im weiteren Verlauf ihres Lebens einen Namen als kritische Geister machten. Das war die explizite Absicht Orwells. Er war überzeugt, dass der sowjetische Mythos zerstört werden musste, bevor die sozialistische Bewegung wiederbelebt werden könnte. Wie recht er hatte. Noch im September 1987 beschlagnahmten Zollbeamte auf der Internationalen Buchmesse in Moskau die Exemplare von Animal Farm aus den Regalen eines britischen Ausstellers.«

Das mampfende Schweigen zog sich in die Länge. Eine Verdauungspause.

»Was weißt du über Orwell?«, fragte ich schließlich ungeduldig.

»So einiges. Werde dir doch nicht alles auf die Zoo-Nase binden.«

Ich riss einen Grashalm aus und steckte ihn in den Mund. Saugte an ihm. Spuckte ihn aus. Dann einen weiteren. Und noch einen. Ich fühlte, dass Napoleon zu mir herüberschielte.

»Für eine gute Geschichte bist du bereit, Gras zu fressen? Ihr Menschen seid Meister der Inkonsequenz. Wie der Orwell auch. Er verabscheute Tierquälerei. So kam ihm die Idee zu Animal Farm: Er sah einen zehnjährigen Jungen ein Pferd schlagen und er dachte sich, was wäre, wenn sich die Tiere eines Tages dies nicht mehr gefallen ließen, wenn sie sich vereint dagegen wehrten? Andererseits fand er Vegetarismus lächerlich. Er war tierlieb, mokierte sich aber über Haustierbesitzer. Beim Einatmen hasste er, beim Ausatmen liebte er.«

»Und du, hasst du etwa nicht?«

»Schweine.«

»Wieso?«

»Weil ich Menschen nicht mag.«

»Verstehe ich nicht.«

»Menschen und Schweine sind sich ähnlich.«

»Eigentlich nicht.«

»Bis auf Leber und Niere.«

»Der Neid spricht aus dir.«

»Welcher Neid denn?«

»Weil Schweine intelligenter sind.«

»Mitnichten. Sie können besser rechnen als unsereiner, dafür besitzen wir mehr emotionale Intelligenz. Aber was reden wir hier um den Hafer herum. Die Schweine haben unsere Revolte verraten, genau gesagt die Eber, diese virilen Zuchtsäue. Und außerdem, das hat mir mein Großvater versichert, und der hat es von Benjamin selbst erfahren, verachtete der Orwell Schweine. Esel hingegen bewunderte er.«

»Eigentlich bewunderte er Hunde, wegen ihrer Loyalität.«

»Unfug. Loyalität ist doch keine gute Eigenschaft. Führt zu Blindheit.«

»Oder zu Solidarität. Aber eigentlich bewunderte Orwell nicht Tiere, sondern den einfachen Mann, mit seinem gesunden Menschenverstand.«

»Erklär mir den Ausdruck.«

»Welchen?«

»Gesunder Menschenverstand. Aus meiner Sicht ist der Verstand in seiner Reinform ungesund. Und überhaupt, wieso ›gesund‹? Wieso nicht ›solide‹ oder ›zuverlässig‹ oder ›überlegen‹? Genauso unsinnig wie der Name eurer Spezies: der weise, kluge, vernünftige Mensch. Dass ich nicht iahe.«

Napoleon hatte seine Ohren angelegt, er schlug mit dem Schwanz hin und her. »Jetzt erklär ich dir mal was. Die fortschrittlichen Menschen damals, die redeten so gern vom ›großen sowjetischen Experiment‹. Also, das klingt in unseren Ohren, als sollte mit den Menschen endlich mal so verfahren werden wie mit den Tieren. Ein ganzes Land wird in ein Laboratorium verwandelt. Für uns Tiere normal. Wir waren stets Spielbälle der Menschengötter. Ist doch merkwürdig, dass das damals nicht mehr Menschen aufgestoßen ist.«

»Aufgestoßen? Im Gegenteil. Viele wollten kein kritisches Wort hören. Schau dir mal die Publikationsgeschichte von Animal Farm an. Zuerst weigerte sich der Verleger Orwells, ein Mann names Gollancz, das Buch zu veröffentlichen, weil er einen solchen Angriff gegen das Sowjetregime, einen wichtigen Kriegsverbündeten, nicht dulden wollte. Obwohl ein früheres Buch von Orwell sich wie warme Semmeln verkauft hatte. Darin hatte er schon ›seine‹ Leser in einem Vorwort gewarnt, dass Mr Orwell nicht zu ihnen gehöre, sondern ein ›Mitglied der Mittelschicht‹ sei. Das schrieb einer, der täglich sein Mittagessen im Savoy einnahm.«

»Was ist das?«

»Ein Ort der privilegierten Verwöhnung. Danach lehnte der Dichter T. S. Eliot, Lektor beim Verlag Faber and Faber, die Publikation ab, mit erstaunlicher Begründung: Schließlich sind die Schweine viel intelligenter als die anderen Tiere und daher am besten qualifiziert, den Betrieb zu führen – in der Tat hätte es ohne sie überhaupt keine Tierfarm geben können: sodass es (so könnten manche argumentieren) nicht mehr Kommunismus brauche, sondern mehr gemeinwohlorientierte Schweine

»Hunde sind genauso schlau wie Schweine. Ziegen auch. Womit bewiesen wäre, dass selbst Dichter manchmal einen Hintern nicht von einem Gesicht unterscheiden können.«

»Wie treffend, Kollege Napoleon.«

»Versuchst du, mich zu beleidigen?«

Napoleon schwenkte heftig den Kopf. Er wirkte bedrohlich.

»Möchtest du hören, wie es weiterging?«

»Nur zu.«

»Der Verleger Jonathan Cape stimmte der Herausgabe zunächst zu, dann nahm er seine Zusage wieder zurück. Er hatte nämlich das Informationsministerium aufgesucht und dort um Rat gefragt. Er war an einen Beamten namens Peter Smollett geraten, und der hatte dringlich abgeraten. Der Mann wurde nach dem Krieg als sowjetischer Agent entlarvt.«

»Was für eine Schweinerei.«

»Es war an dem Verlag Secker & Warburg, Animal Farm zu veröffentlichen, aber die haben erst das Ende des Krieges abgewartet. Auch in den USA wurde das Buch zunächst abgelehnt, von zwanzig Verlegern. Stell dir vor, obwohl der Krieg schon vorbei war, wurden die meisten Exemplare der ukrainischen Ausgabe von den amerikanischen Militärbehörden in Deutschland beschlagnahmt und der Roten Armee zur Vernichtung übergeben.«

»Ach, ich finde, die Menschen haben Orwell nicht verdient. All diese Lügenkrämer und Wendehälse.«

Napoleon scharrte mit den Vorderbeinen.

»Da hast du recht. Im Kalten Krieg hat man ihn dann instrumentalisiert. Er hat mal geschrieben: Jede Zeile meines ernst zu nehmenden Werkes […] kämpft direkt oder indirekt gegen den Totalitarismus und für einen Demokratischen Sozialismus, so wie ich ihn verstehe. Eine klare Aussage, könnte man meinen. Als Animal Farm in einer Taschenbuchausgabe in den USA erschien, zur Zeit der McCarthy-Ära, wurde das Zitat ein wenig verändert: Jede Zeile meines ernst zu nehmenden Werkes, das ich in den neunzehn Jahren seitdem geschrieben habe, kämpft direkt oder indirekt gegen den Totalitarismus. Punkt. Ende der Aussage. So wie die Schweine und das Ministerium für Wahrheit in 1984 haben auch die amerikanischen Herausgeber das für sie Unangenehme einfach getilgt.«

»Was für eine Ironie. Eigentlich solltet ihr Homo ironicus heißen.«

Es begann zu nieseln. Napoleon buckelte und verabschiedete sich.

»Muss in den Stall. Nässe ist was für Köter. Außerdem habe ich mehr geredet als normalerweise in einem ganzen Mond. Komm morgen wieder hierher, bring etwas Obst mit und ich erzähle dir noch was.«

Ich wälzte mich in einem Bett, das für meine Albträume zu eng war. Am Morgen stand ich eine geschlagene Stunde auf der Weide, bis Napoleon herantrabte. Wir beschnupperten uns, ich hielt ihm einen Apfel hin. Wir unterhielten uns ein wenig. Wir genossen den sonnigen Tag, den Ausblick, Haut an Fell. Zwei Wesen, deren Leben von dem tragisch früh verstorbenen Georg Orwell berührt worden war. Das einte uns.

Auf der Fähre nach Kennacraig spiegelten sich meine Gedanken auf dem glatten Meer. Wogegen Orwell war, ist klar genug. Aber woran glaubte er? Keinen Satz wiederholte er so häufig wie diesen: Eine Gesellschaft freier und gleichberechtigter Menschen. In einem Artikel aus dem Jahre 1947 führte er zudem aus: Daher scheinen mir heute die sozialistischen Vereinigten Staaten von Europa das einzig lohnende politische Ziel zu sein. In seinem großartigen Essay über Charles Dickens schrieb er: Das zentrale Problem, wie der Machtmissbrauch verhindert werden kann, bleibt ungelöst.

Allerdings hat er in Animal Farm des Rätsels Lösung selbst angedeutet: Da die einfachen Menschen ihre Güte nie in die politische Waagschale werfen können, bleiben sie nur dann anständig, wenn sie keine Macht innehaben. Orwells berührender Roman ist ein machtkritisches Werk, das die Ballung von Autorität in den Händen weniger und starre Hierarchien grundsätzlich infrage stellt. Orwell glaubte ein Leben lang an die individuelle Freiheit. Er war egalitär eingestellt. Von Natur aus. Wie mein neuer Freund, der melancholisch-skeptische Esel Napoleon.

Farm der Tiere