Der Autor
Stephan Konrad Niederwieser ist seit 1989 Heilpraktiker. Seine psychotherapeutische Grundhaltung wurzelt in der Hakomi-Methode, einer erfahrungsorientierten Körperpsychotherapie, die auf Achtsamkeit basiert. Seit der Jahrtausendwende spezialisiert sich Niederwieser auf Psychotrauma. Er absolvierte mehrere Fortbildungen, unter anderem bei Franz Ruppert, Laurence Heller und Anne Janzen, und ist IoPT-, NARM- und Somatic Experiencing-Therapeut.
Er veröffentlichte eine Reihe von Büchern, zum Beispiel Ratgeber über alternative Naturmedizin mit Heilmitteln wie Lapacho, Schwarzkümmel, Ginseng oder Rizinus sowie Energieheil- und Selbsterfahrungsmethoden.
Der gebürtige Bayer ist verheiratet und lebt heute in seiner Wahlheimat Berlin. In seiner Praxis bietet er Psychotraumatherapie an, Aufstellungen, Tages- und Wochenendseminare zu traumaspezifischen Themen (Scham, Wut und Angst) sowie Kurse, um das Heilschreiben zu erlernen.
www.stephan-niederwieser.de
Das Buch
Schreiben, um sich selbst zu heilen. Dabei hat es sich als sehr hilfreich erwiesen, vier Tage hintereinander jeweils 20 Minuten zu einem Thema zu schreiben. Man kommt wieder mit sich selbst in Kontakt und kann schwierige Lebensereignisse verarbeiten. Das Schreiben hilft auch dabei, sich selbst besser zu verstehen und die Gedanken ruhiger und mitfühlender werden zu lassen, wie viele Studien inzwischen nachgewiesen haben. Stephan Konrad Niederwieser erweitert diese positiven Wirkungen um traumarelevante Aspekte, indem er die Empfindungen im eigenen Körper in den Schreibprozess mit einbezieht.
Mit zahlreichen praktischen Hinweisen, um das Heilschreiben gut alleine durchzuführen.
Stephan Konrad Niederwieser
DAS
TRAUMA
von der
Seele
schreiben
Eine neue Methode
zur Selbstheilung
Kösel
In Erinnerung an meine Schwester Monika
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Copyright © 2018 Kösel-Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlag: Weiss Werkstatt, München
Umschlagmotiv: shutterstock / Peolla; shutterstock /Andrea Kaulitzki
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-22160-7
V001
www.koesel.de
Not everything that is faced can be changed,
but nothing can be changed until it is faced.
Nicht alles, mit dem man konfrontiert wird,
kann geändert werden,
aber nichts kann geändert werden,
mit dem man sich nicht auseinandersetzt.
James Baldwin, amerikanischer Schriftsteller und Sozialkritiker (1924–1987)
Die Übungen, Informationen und Vorschläge in diesem Buch sollen Leserinnen und Lesern helfen, sich ihrer Traumata und Überlebensstrategien bewusst zu werden. Sie sind nicht dazu gedacht, eine Behandlung durch Angehörige der Gesundheitsberufe oder deren Beratern und Betreuung zu ersetzen. Sowohl der Verfasser als auch der Verlag haben sich nach bestem Wissen und Gewissen bemüht, sicherzustellen, dass die angegebenen Informationen zutreffen und aktuell sind, haften jedoch nicht für eventuelle nachteilige Folgen bei Personen, die dieses Buch nutzen.
In diesem Buch führe ich Erfahrungen von Menschen an, die mit dem Heilschreiben arbeiten. Bitte beachten Sie, dass ich Merkmale, mit denen der Schreibende identifiziert werden könnte, zu deren Schutz geändert habe. Außerdem sind die Heilungsverläufe erheblich gerafft. Aus dem Kontext genommen mag es so wirken, als würden wenige Sitzungen Heilschreiben genügen, um sich von Traumata zu befreien. Diesen Eindruck zu vermitteln, wäre grob fahrlässig. Die vielen Schritte und oft seitenlangen Wege dorthin mit allen Irrungen und Körperreaktionen abzudrucken, wäre aber ebenso wenig dienlich.
Inhalt
Einführung
Teil 1: Hintergründe des Heilschreibens
Psychotrauma
Der Weg zur Heilung
Grundlagen des Heilschreibens
Nützliche Schreib-Werkzeuge
Ablauf und Gestaltung des Heilschreibens
Wie wirkt das Heilschreiben?
Erste Hilfe bei körperlichen Reaktionen
Teil 2: Heilschreiben in der Praxis
Das 7-Tage-Basisprogramm
Verborgene Erlebnisse verarbeiten
Konkrete Lebensthemen befreien
Anhang
Weitere Anregungen für Ihre Heilung
Dank
Anmerkungen
Literaturhinweise
Der Autor
Als mich mein Vater aus seinem Leben ausschloss, war ich 23 Jahre alt. Ich kämpfte zwei Jahre lang um den Kontakt zu ihm, aber mit dem, der ich war, wollte er nichts mehr zu tun haben. Meine Geschwister lud er zu Familientreffen ein, mich nicht. Das hat meine Beziehung zu ihnen jahrelang belastet. Vom eigenen Vater verstoßen zu werden, habe ich damals als vernichtend erlebt.
Ziemlich genau an meinem 18. Geburtstag hatte ich mein erstes Liebesgedicht geschrieben. Schon während des ersten Ringens um die richtigen Worte für meine damalige Freundin veränderte sich etwas in mir. Als würden sich meine Gefühle sortieren. Indem ich meinen Empfindungen Worte verlieh, begann ich sie zu verstehen. Nach und nach ergab alles einen Sinn.
Als mein Vater mich aus seinem Leben ausschloss, hatte ich fünf Jahre Erfahrungen mit dem Schreiben gesammelt. Schreiben war zu einem Ventil geworden. Nichts lag näher, als es auch zu nutzen, um diese schmerzhafte Erfahrung mit meinem Vater zu verarbeiten. Die Worte flossen nicht mehr, sie strömten regelrecht aus mir heraus. Ich schrieb und schrieb, und der Drang wurde immer größer. Aus »Gedichten« wurden skurrile Prosatexte, erste sinnlose Erzählungen, nach und nach aber zusammenhängende Geschichten.
Ich entschied mich schon früh für das Heilen als Beruf. 1989 legte ich in München die Heilpraktikerprüfung ab und machte eine Ausbildung in der Hakomi-Methode, einer erfahrungsorientierten Körperpsychotherapie. Anstatt nur über Probleme zu sprechen, erforscht man während dieser Therapie die eigenen Empfindungen, Gefühle und inneren Bilder. Man achtet auf innere Stimmen, Verspannungen und Veränderungen im Atemrhythmus. Um mir die Praxis und das Studium zu finanzieren, bewarb ich mich bei einem großen deutschen Zeitschriftenverlag. Ich fing als Bildarchivar an und arbeitete mich innerhalb kürzester Zeit zum stellvertretenden Chefredakteur nach oben. Jahrelang textete ich tagsüber redaktionelle Inhalte, nachts schrieb ich mir den Schmerz von der Seele. Neben Praxis und Verlagsarbeit entstanden so innerhalb von zwei Jahren zwei Künstlerbiografien und acht Gesundheitsratgeber.
Mein erster Roman erschien 1998. An einem Mittwoch im September ist ein Erwachsenenmärchen. Ein Ring wird geschenkt, verloren, gefunden und verkauft. Nach und nach verknüpfte ich darin die Leben mehrerer Personen und bildete damit den äußeren Rahmen für das, was mich immer noch täglich beschäftigte: der Schmerz, ausgeschlossen worden zu sein, der Schmerz über den Vorwurf, meinem herzkranken Vater den Tod zu bringen.
Weil von meinem ersten Roman immerhin zwei Hardcover-Auflagen verkauft wurden und er dann als Taschenbuch in den Handel kam, verpackte ich weiter – für Fremde bis zur Unkenntlichkeit verzerrt –, was mich beschäftigte. Vier weitere Romane folgten.
Als ich dann im Rahmen meiner Fortbildung zum Traumatherapeuten in Bessel van der Kolks Verkörperter Schrecken las, dass seit 30 Jahren an der Heilwirkung des Schreibens wissenschaftlich geforscht wird, horchte ich auf. Was ich immer wieder erlebt hatte, bekam plötzlich ein wissenschaftliches Fundament. Mein Wissen über die menschliche Psyche, über unser Nervensystem und die Vorgänge in unserem Gehirn begann sich miteinander zu verknüpfen – das »Heilschreiben« war geboren.
Seither stolpere ich immer wieder über Zitate und Geschichten von bekannten Autoren, deren Welterfolg in traumatischen Erfahrungen begründet war. Zum Beispiel verlor Anne Rice ihr Kind an Leukämie. In ihrem Buch Interview mit einem Vampir lässt sie ihre Tochter als Vampirin weiterleben, damit sie nie sterben würde. Horrorexperte Stephen King litt als Kind unter extremen Entzündungen im Ohr. Der Arzt wollte sein Trommelfell punktieren und versprach, dass es nicht wehtun würde. Darauf folgten die für King schlimmsten und beängstigendsten Minuten seines Lebens. Ohnmacht und Schmerz sind seither die zentralen Themen seiner Bücher. John Grisham, Autor für Justizthriller, verfolgte als Rechtsanwalt ein Gerichtsverfahren. Der Täter hatte von einem zwölfjährigen Mädchen erst abgelassen, als er es für tot hielt. Dies weckte in Grisham, selbst Vater von Kindern, den Impuls, den Vergewaltiger in einem unbeobachteten Moment zu ermorden. Dies war die Idee zu Die Jury, im Original A Time to Kill betitelt.
Der Versuch, unverarbeitete Erfahrungen durch Schreiben zu verarbeiten, ist nicht nur Amerikanern zu eigen. Katja Lange-Müller sagte dem ZEIT-Magazin: »Wenn ich mit jemandem zusammen bin, ist das ganz intensiv, aber dann: Aus den Augen, aus dem Sinn. Das nennt man Bindungsschwäche. Das Schreiben hatte anfangs eine autotherapeutische Wirkung bei mir …«1 Catherine Millet, Autorin des skandalträchtigen Titels Das sexuelle Leben der Catherine M., wurde unlängst gefragt, ob das Schreiben eine entlastende Funktion habe. Sie antwortete: »Ja. Weil es von altem Ballast befreit. Nachdem ich mein erstes Buch veröffentlicht habe, fiel mir auf, dass die Erinnerungen, die ich darin verschriftet hatte, sich mit dem Schreiben aufgelöst hatten. Eine herrliche Erfahrung, diesen ganzen Vergangenheitsballast loszuwerden, indem man ihn auslagert in Texte.«2
Auch unbekannte Menschen finden ihr Schreibforum: Der Künstler Frank Warren hat 2005 den Blog www.postsecret.com gegründet. Menschen können ihm völlig anonym auf einer Postkarte ein Geheimnis schicken, das er dann im Internet veröffentlicht. Wenn man darüber nachdenkt, »was man daraufschreiben könnte – etwas von Bedeutung, etwas Unangenehmes –, merkt man: Da ist mehr, als man erwartet hätte. Dem eine Stimme zu geben und es aus dem Inneren nach draußen zu lassen, ist eine Art von Exorzismus.« Es scheint befreiende Wirkung zu haben, etwas von sich preiszugeben, was dann von Millionen Menschen weltweit bezeugt wird. Warrens Blog zählt bis heute 780 Millionen Besucher.3
Das Heilschreiben ist also das Ergebnis von 30 Jahren persönlicher Erfahrung. Die Effekte verschiedener Formen des Schreibens werden aber seit mindestens ebenso langer Zeit wissenschaftlich untersucht. Ich habe es bei mir sowie bei zahlreichen Klienten als großartiges Werkzeug erlebt, das vielfach – und nach meiner Einschätzung grenzenlos – einsetzbar ist.
Beim Heilschreiben gibt es keinen vorgegebenen Ablauf, im Sinne von »Gehen Sie über Los, ziehen Sie 4000 Euro ein und dann sind Sie von allen Traumata befreit«. Es gibt nicht die eine richtige Art. Vielmehr führt das Heilschreiben nach und nach dazu, das zu entdecken, was für einen selbst richtig und hilfreich ist. Ich werde Ihnen also nicht die eine »richtige« Anleitung geben, sondern stattdessen lieber viele Anregungen liefern. Betrachten Sie dieses Buch als Werkzeugkasten, aus dem Sie je nach Thema entweder Hammer, Zange oder Schraubenzieher, manchmal auch alle drei gleichzeitig herausnehmen können, bis Sie mithilfe dieser Werkzeuge Ihre eigene Selbstheilungsmethode zusammengestellt haben.
Und noch etwas: Das Wesentliche am Heilschreiben ist nicht das Schreiben allein, sondern vor allem, was Sie dabei erleben. Es steht zu erwarten, dass Sie durch das Lesen dieses Buches noch keine Vorstellung davon bekommen. Es würde mich sogar überraschen. Mir geht es heute noch so, dass ich mir ein Thema vornehme und ich nicht die geringste Ahnung habe, wo ich anfangen soll. Sobald meine Finger aber die Tastatur berühren, ändert sich das. Deshalb meine Aufforderung: Probieren Sie es aus. Dann wird Ihnen schnell klar, wie es geht und wie es wirkt.
Um es Ihnen leichter zu machen, werde ich Sie immer wieder dazu einladen, kleine Texte zu verfassen. Das bewirkt mindestens dreierlei:
1. Sie werden aufgrund des Inhalts etwas über sich verstehen.
2. Sie lernen so das Heilschreiben in Häppchen.
3. Sie bekommen einen Eindruck, wie sich das Heilschreiben anfühlt und wie es wirkt.
Und noch eine Wirkung fällt mir ein: Wenn Sie den Übungen folgen, werden Sie mit den darauf folgenden Erklärungen sehr viel mehr anfangen können. Daher: Lassen Sie sich darauf ein. Überblättern Sie die Übungen nicht mit einem »Das kann ich schon, das brauch ich nicht!«. Es wäre eine vertane Chance.
Weil ich eine Abneigung gegen Bücher, Methoden und Menschen hege, die das Versprechen abgeben, alles von der Warze über pränatale Traumata bis hin zur bösen Schwiegermutter heilen zu können, weise ich darauf hin, dass das Heilschreiben zwar eine sehr wirksame, einfache und preiswerte Methode ist, sich selbst zu heilen aber bestimmt nicht jedermanns Sache ist. Sollte es Ihnen keinen Spaß machen, sollten Sie wider Erwarten vom Schreiben nicht profitieren, dann ist das keineswegs Ihre Schuld oder Ihre Unfähigkeit, sondern der einfachen Tatsache geschuldet, dass es keine Methode gibt, die für alle Menschen in allen Situationen zu allen Zeiten dienlich ist. Und schreiben Sie mir bitte, damit ich aus Ihren Erfahrungen lernen kann: kontakt@stephan-niederwieser.de.
Aber bevor Sie vorschnell die Flinte ins Korn – oder den Stift in die Ecke – werfen, sei ein altes chinesisches Sprichwort zitiert: »Der Mensch muss sehr lange im Stuhl sitzen, bevor ihm gebratene Enten in den offenen Mund flattern.« Geben Sie sich und der Methode ein paar Wochen Zeit, durchlaufen Sie das 7-Tage-Basisprogramm, bevor Sie eine Entscheidung fällen. Und: Lassen Sie sich überraschen!
Ich wünsche Ihnen, das das Heilschreiben zu einem Werkzeug für Sie wird, das Ihnen ebenso viel innere Freiheit und Frieden beschert, wie es mir ermöglicht hat.
Ach, falls Sie wissen wollen, wie das mit meinem Vater ausgegangen ist: Mehr als 13 Jahre nach seinem Kontaktabbruch bat er mich plötzlich zu sich. Das war im Frühjahr 1997. Schnell erkannte ich, dass seine Zeit dabei war abzulaufen. Fünf Monate später war er tot. In dieser Zeit besuchte ich ihn mehrmals, am Ende saß ich noch 14 Tage an seinem Bett. Ich fütterte ihn, ich half ihm auf die Toilette, ich hörte mir seine verwirrten Geschichten an. Entschuldigt hat er sich nie. Bedankt auch nicht.
Unter seiner Ablehnung hatte ich mit Anfang 20 sehr gelitten. Mithilfe des Heilschreibens wurde es mir später möglich, meine Wut auf ihn zu befreien und den Schmerz dahinter zu fühlen, den ich versucht hatte, mit Romanen »wegzuschreiben«. Dahinter kam ich dann mit meiner Sehnsucht nach einer Herzensverbindung zu ihm in Kontakt, die mir nie, auch nicht als Kind, möglich gewesen war. Wenn ich heute auf meinen Vater schaue, sehe ich einen Mann, der sich aufgrund seiner eigenen Geschichte nicht anders verhalten konnte. Was ich lange Zeit für meinen Makel hielt, kann ich heute als seine Unfähigkeit zu lieben sehen, mit der er jemand anderen noch viel mehr verletzt hat als mich: sich selbst.
1. Schreiben Sie einen oder mehrere aufeinanderfolgende Tage jeweils circa 15 Minuten lang über ein Ereignis, ein Gefühl oder eine Situation, etwas, das Sie wirklich beschäftigt.
2. Seien Sie dabei wachsam für Veränderungen in Ihren Empfindungen, Gefühlen, in Atem, Körperhaltung und Impulsen – und schreiben Sie auch all das mit auf.
3. Lesen Sie zu einem späteren Zeitpunkt das Geschriebene noch einmal in Ruhe durch.
4. Stellen Sie sicher, dass Ihre Texte von niemandem jemals gelesen werden.
Das war’s schon.
Ein Tagebuch kann man auf unterschiedliche Art und Weise führen. Die autobiografische Aufzeichnung dient in der Regel dazu, Selbstzeugnis abzulegen, und zwar in chronologischer Form. Man hält fest, was man in den letzten Stunden erlebt, was einen bewegt hat. Das sind in der Regel äußere Ereignisse, die aber auch tiefe innere Bewegungen und Gefühle einschließen können.
Das Heilschreiben arbeitet nicht chronologisch, sondern themenorientiert. Indem man sich wiederholt einem Ereignis, einem Problem, einem Gefühl oder einem Wunsch zuwendet, erforscht man sich selbst auf zunehmend tieferen Ebenen. Man hinterfragt die eigenen Annahmen über sich und die Welt. Und anstatt sich nur auf gedanklicher Ebene damit auseinanderzusetzen, nimmt man das aktuelle Erleben in die Dokumentation mit auf.
Probieren Sie das Heilschreiben gleich mal aus. Nehmen Sie den erstbesten Gegenstand. Denken Sie nicht lange, strecken Sie den Arm aus und nehmen Sie irgendetwas in die Hand. Das kann eine Uhr sein, ein Bleistift, die Fernbedienung Ihres Fernsehers oder das Cocktailglas (falls Sie gerade am Pool sitzen). Legen Sie diesen Gegenstand vor sich hin und schreiben Sie drauflos. Falls nicht gleich Assoziationen entstehen, beginnen Sie einfach damit, den Gegenstand zu beschreiben:
Was sehen Sie? Wie fühlt er sich zwischen Ihren Fingern an? Was empfinden Sie dabei, ihn anzuschauen? Wie verändert sich Ihre Erfahrung, während Sie das wahrnehmen?
Folgendes entstand auf einem meiner Heilschreibseminare. Als Gegenstand diente ein Vorhängeschloss mit Schlüssel:
»Keller. Alt. Oma. Holzverschläge. Burkhardt wurde von seiner Mutter eingesperrt, wenn er nicht brav war. Wenn er sich nicht so verhalten hat, wie sie es von ihm erwartet hatte. Wieso kommt mir das in den Sinn? Hat das was mit mir zu tun? Hab ich das selbst erlebt? Eingesperrt. Angst. Bösartig. Jemand spielt mir übel mit.
(Mein Atem wird flacher, mein Nacken spannt sich an.)
Die Angst, eingesperrt zu werden. Schwimmbad im Haus meines Vaters. Die Tür fällt zu. Es fällt niemandem auf, dass ich fehle …
(Ich schweife ab.)
Nicht auszuhalten. Allein in einer Menschenmenge. Wo ist meine Mutter? Wo ist meine Familie? Ich glaube, dass sie nicht mal bemerkt, dass ich fehle. Verlassenheit. Verloren.
Ich bin klein. Mein Kinn bebt. Ich erinnere mich daran, dass ich überlebt habe. Bin ich gerettet worden? Hab ich mich selbst gerettet?
(Aufatmen.)
Ich kam zurück zur Familie. Italien? Zelt. Es hat tatsächlich niemand bemerkt. Ich wage es nicht zu sagen. Ich bin wütend, dass es niemand bemerkt hat.
(Aufatmen. Frieren.)
Und jetzt fällt mir auch der Grund ein, warum ich es nicht anspreche: Wenn ich es sagen würde, nähme mich keiner ernst. Sie würden allenfalls lachen. Und das würde mich noch mehr verletzen. Keiner hätte gesehen, was ich für Angst gehabt habe.
(Schwitzige Hände. Leichte Übelkeit. Impuls wegzurennen, mich abzulenken.)
Keiner kriegt mit, wie es mir geht. Aber ich kriege es mit. Ich nehme heute wahr, wie es mir damals gegangen ist.
(Aufatmen. Im Heute ankommen. Mich fühlen. Stuhl, Boden spüren. Aufatmen.)
Das Schloss hat einen Schlüssel. Er steckt. Und es ist geöffnet. Ich kann raus. Ich bin raus. Gefangenschaft vorbei. Es verschließt noch nicht mal etwas. Es liegt nur da. Hat nichts mit mir zu tun …«
Wenn Sie jetzt gleich richtig mit dem Heilschreiben anfangen wollen, blättern Sie bitte zum zweiten Teil des Buches: »Heilschreiben in der Praxis«. Dort finden Sie jede Menge Themen und Schritt-für-Schritt-Anleitungen für Werkzeuge, die Sie einsetzen können, um sich ein Trauma von der Seele zu schreiben. Sind Sie jedoch zuvor näher daran interessiert, was ein Psychotrauma genau ist, wie es entsteht, welche Folgen es auf Ihr Leben haben kann und wie Sie das Heilschreiben sinnvoll für sich nutzen können, lesen Sie in den folgenden Kapiteln weiter. Und natürlich können Sie ganz nach Belieben zwischen den Kapiteln hin- und herblättern.
Teil 1:
Hintergründe des Heilschreibens