Eins

Der Dämon senkte den Kopf vor seinem Meister und ging in die Knie, hinab in den dunkelroten Sandstaub, der den Steinboden bedeckte. Die Seelengrube befand sich nur wenige Meter hinter ihm. Das Rauschen der Seelen, die darin unablässig umherwandelten, erfüllte die Luft. Hier hatte die Unterwelt in letzter Zeit zwei Schlachten geschlagen, so kurz hintereinander, wie es zuvor in Jahrtausenden nicht geschehen war. Taros sah zu Boden, während Satan näher auf ihn zukam. Samael folgte dem Herrscher der Unterwelt. Sie schritten durch die Dämonenmenge, die ihnen allesamt respektvoll Platz machten. Die Gefährtinnen der beiden, beides seltsamerweise Menschenfrauen, standen in gebührendem Abstand hinter ihnen und sahen gespannt zu, was geschah.

»Taros, steh auf.« Satans Stimme dröhnte durch den Flammenkerker. Taros atmete tief ein, die schwefelhaltige Luft füllte seine Lungen. Dann erhob er sich und wagte den Kopf zu heben, um seinem Meister ins Angesicht zu blicken. Es war so viel geschehen in den letzten Wochen und nun würde er bekommen, was er verdient hatte. Satan streckte die Hand zu seiner Rechten aus. Der Höllenhund trat einen weiteren Schritt nach vorne und reichte ihm einen Dolch. Den Seelendolch. So viel Blut klebte bereits an dieser Waffe. Und nun würde seines hinzukommen. Wortlos sah Satan ihn an. Taros hob den linken Arm und entfernte in einer geübten Bewegung den Armschutz aus Leder und höllengeschmiedetem Metall, während Satan zu sprechen begann.

»Mit Samael hast du eine Rebellion angeführt, als ich nicht in der Lage war zu handeln. Du hast Männer um dich gescharrt und auf einen passenden Moment gewartet, um mich zu stürzen.« Okay, wenn Satan das so aussprach, klang es nicht wie etwas, wofür man belohnt werden sollte. Doch er hatte all das für die Hölle getan. Gerade erst von der einen wahnsinnigen Herrscherin befreit hatte er nicht zulassen können, dass der Sukkubus, der Satan mit Magie in seinen Bann geschlagen hatte, die nächste irre Anführerin wurde. Den Höllenkreisen sei Dank hatte Samael das auch so gesehen und gemeinsam hatten sie alles getan, was nötig war, um Satan wieder zu Verstand zu bringen.

Taros hielt den Blick fest auf Satan gerichtet und nickte dann. Er stand zu dem, was er gemacht hatte. Jederzeit würde er wieder auf diese Weise handeln.

Satan packte seinen Arm und zog den Dolch in einer raschen Bewegung über Taros Unterarm. Der Schmerz ließ ihn die Zähne zusammenbeißen, doch ansonsten erlaubte er sich keine Regung. Ein dünner Schnitt, aber so effizient gesetzt, dass sein dunkles, fast schwarzes Blut über die blasse Haut lief. Satan hob den Dolch erneut und diesmal schnitt er sich selbst in den Daumen. Das Blut seines Meisters war ebenso dunkel wie sein eigenes. Mit dem blutenden Daumen fuhr Satan die Spur der Wunde nach, die er in Taros Arm geritzt hatte.

»Du hast der Hölle einen Dienst bewiesen, für die es keinen angemessenen Lohn gibt. Unsere Dankbarkeit gebührt dir und du sollst fortan dem Höllenhund direkt unterstehen.«

Taros blickte auf seinen Unterarm hinab, wo sich ihr Blut vermischte. Unter seinem wachsamen Blick begannen sich die Wundränder wieder zuschließen. Zurück blieb unter dem dickflüssigen Blut nur unversehrte Haut.

»Ich danke Euch, mein Meister.« Taros neigte noch einmal sein Knie vor Satan. Zu ihren beiden Seiten gingen die Dämonen in die Knie. Satan war als Herrscher angekommen und angenommen worden. Die erneute Rettung der Hölle hatte selbst die letzten Einwände mancher Zweifler beseitigt, trotz der himmlischen Herkunft ihres neuen Anführers. Mit einem einstimmigen Schlachtruf wurde das Ritual beendet und alle Dämonen erhoben sich wieder. Auch Taros stand auf. Satan neigte den Kopf und drehte sich dann um. Obwohl er ihn nur von hinten sah, bemerkte er, wie sich Satans Schultern entspannten, sobald er seine Liebste erblickte. Verrückt. Es war verrückt. Wie hatten die beiden Menschenfrauen geschafft, was dämonischen Weibern versagt gewesen war? Sie hatten Beschützerinstinkte in den mächtigsten Wesen der Hölle geweckt, so stark, dass weder Himmel noch Hölle sie hatte auseinanderbringen konnten. Eine Hand klopfte ihm auf die Schulter und riss ihn aus dem Gedanken. Taros wandte sich um und erblickte Samael. Seinen neuen Vorgesetzten. Zuvor war er einem Wächter unterstellt gewesen. Aimon. Dieser hatte sich jedoch geweigert bei der Revolution gegen Satan zu helfen. Jetzt stand Taros selbst über ihm. Vor seiner Ehrung und Beförderung hatte er ihn zwischen den anderen Dämonen entdeckt, mit hasserfülltem Blick auf das Geschehen gerichtet. Er hatte sich somit wohl den ersten richtigen Feind in seinem Leben erspielt und würde fortan auf der Hut sein müssen.

»Ich habe direkt eine erste Aufgabe für dich«, eröffnete Samael ihm. Überrascht hob Taros eine Augenbraue. Damit hatte er so schnell nicht gerechnet. Doch er nickte und wartete darauf, dass der Höllenhund weitersprach, während die anderen Wesen der Unterwelt an ihnen vorbeimarschierten und die Stufen des Flammenkerkers erklommen. Er erhaschte erneut einen Blick auf Aimon, der seine dichten Augenbrauen zusammenzog und ihn über seine schwulstigen Wangen finster ansah, doch Taros wandte den Blick ab und konzentrierte sich auf Samael.

Samael hatte Aimons missgünstigen Blick ebenfalls bemerkt. Wieder klopfte er auf Taros’ Schulter. »Mach dir um den keine Sorgen. Er wird sich schnell abregen. Sollte er irgendwelche hinterhältigen Manöver versuchen, mach ihn platt.«

»Liebend gerne«, knurrte Taros und ließ seine Knöchel knacken. Es war gut, die Erlaubnis dazu zu haben, auch wenn er sich im Ernstfall ganz sicher nicht darum geschert hätte. Denn Aimon war erstens dafür bekannt, Vorschriften eher als unnötige Information zu sehen, und zweitens ließ Taros sich sicher nicht von diesem zurückgebliebenem Höllentroll bloßstellen.

»Es gibt ein Problem mit den Feen«, begann Samael und lief los. Er führte Taros an eine andere Sandsteinwand, die in die Höhe reichte. Taros ging neben ihm her und hörte zu. Erst als sie direkt davorstanden, konnte man die Lücke im Gestein erkennen. Er wusste, dass der Weg dahinter zum toten Paradies führte. Er war nicht dort gewesen, hatte er doch mit seiner winzigen Armee versucht den Sukkubus davon abzuhalten, Samael und Kira zu töten. Was er jedoch wusste, war, dass sich die Feen im toten Paradies verborgen hatten, die dank eines Paktes mit den Menschenfrauen nun in Freiheit leben durften. Sie hatten sie mittels eines Portals nach Island gebracht.

»Ich wusste, sie machen Probleme«, knurrte Taros. Und seine erste Aufgabe hatte etwas damit zu tun, diesen Ärger zu beseitigen? Na hervorragend. Hätte man die kleinen Biester doch im verdammten Keller der Hölle gelassen!

Samael schüttelte den Kopf. »Nicht diese Art von Ärger. Sie sind erstaunlich unauffällig. Ein Freund hat mich wegen einer besorgten Hexe kontaktiert.« Taros schnaubte bei der Erwähnung einer Hexe. Hexen waren auch nur Menschenfrauen mit Special Effects. »Die Feen verschwinden und scheinbar denkt die Feenkönigin, wir haben etwas damit zu tun.«

Ein Knurren entrang Taros’ Kehle. Er öffnete den Mund: »Was ist das für eine Logik? Wir befreien sie und töten sie erst dann? Wenn wir uns dieser Plagegeister hätten entledigen wollen, hätten wir das direkt gemacht.«

Samael hob eine Hand. »Wir wissen nicht, ob sie tatsächlich tot sind. Doch Erin war sehr aufgebracht nach ihrem Kontakt mit der Königin. Ich möchte, dass du die Lage in Island sondierst und mir Bericht erstattest.«

Schwungvoll hob Taros die Hand zur Brust und nickte. »Ich werde die Hölle nicht enttäuschen.«

»Das weiß ich, Taros. Das weiß ich.«

***

Erin tastete nach ihrem verdammten Wecker. Das Geklingel hatte sie aus ihrer Tiefschlafphase gerissen. Beim Traumgott Morpheus, es konnten doch noch keine vier Stunden vergangen sein?! Als sie auf ihren Wecker sah, wurde ihr Zeitgefühl eines Besseren belehrt. Es war kurz vor drei Uhr morgens. Einen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken, sich wieder ins Kissen zu kuscheln und sich unter der Decke zu verkriechen. Sie wusste allerdings, dass sie es den gesamten nächsten Mondverlauf bereuen würde, wenn sie jetzt ihren Hintern nicht hochbekam. Mit einem Seufzen schob sie Bobo von ihren Beinen, um sich aufrichten zu können. Der Kater gehörte wohl dem Vermieter des Ferienhauses und sie hatte keine Ahnung, wie er wirklich hieß, also hatte sie ihn einfach Bobo getauft. In dem kleinen Ofen zwischen Küche und Schlafbereich glomm das Feuer noch. Der Geruch von verbranntem Holz stieg aus dem Kaminofen, als sie die kleine Metalltür öffnete und ein weiteres Holzscheit hineinlegte. Sie schloss die Tür und sah einen Moment lang dabei zu, wie die Flammen begannen sich wieder auszubreiten.

Neben dem Holzofen hing an einem Nagel ein Überwurf aus Wolle. Sie ergriff ihn und legte sich das weiche Kleidungsstück um die Schultern. Erst dann trat sie an den Tisch, der nur einen Meter vom Bett entfernt stand. Urlaub in Island war ihr irgendwie wie eine sehr gute Idee vorgekommen. Weit weg von ihrer Familie und ihrer gescheiterten Firmengründung einige Wochen in der Natur zu verbringen klang wie der perfekte Plan, um auf andere Gedanken zu kommen. Dass sie dabei ihre Ausstattung brauchen würde, hatte sie nicht einkalkuliert. Mit einer schwungvollen Bewegung klappte sie den Laptop zu und schob ihn zur Seite, ehe sie nach dem Bündel aus dunkelgrünem Samtstoff griff. Sie rollte es auf dem Holztisch aus. Es war mehr Glück als Verstand, dass sie überhaupt etwas davon mitgenommen hatte, dachte sie, während sie die einzelnen Gegenstände aus dem schützenden Stoff nahm. Auf die Fensterbank der kleinen Kochzeile fiel zwar genug Mondlicht, doch damit die Strahlen ihre volle Wirkung entfalteten, hätte sie das Fenster öffnen müssen. Es war jedoch bereits schwer genug, die Wärme mit geschlossenen Fenster und Türen in ihrer Ferienbehausung zu halten, weshalb sie diese Idee direkt wieder verworfen hatte. Mit einer Kopfbewegung schleuderte sie die schwarzen Ponyfransen aus ihrem Blickfeld, dann stieg sie mit vollbepackten Händen in ihre Stiefel und stapfte zur Tür. Mit dem Ellenbogen drückte sie die Türklinke herunter und balancierte ihre Gegenstände dabei so aus, dass der gefährlich hin und her wackelnde Kristall ganz oben auf ihrem Stapel nicht zu Boden fiel. Damit die Tür hinter ihr nicht zufiel, schob sie einen der knallgelben Gummistiefel zwischen Tür und Türblatt. Sie widmete ihrer Konstruktion noch einen letzten Blick, denn sie hatte wenig Lust, um diese Uhrzeit vier Kilometer zum nächsten Haus zu stapfen, wo der Vermieter dieses urigen Feriendomizils in einem Neubau lebte. Erin umrundete das kleine Haus, wofür sie nur wenige Schritte brauchte. Dank des Vollmondes war es hell genug, um nicht über die verwilderten Beete im Garten zu stolpern. Hier fiel das Mondlicht ungestört auf den Metalltisch, der mitsamt zwei Stühlen dort stand. Vorsichtig beugte sie sich über den Tisch und öffnete dabei sachte ihre Arme. Nachdem ihre Utensilien auf dem Tisch lagen, begann sie diese mit behutsamen Griffen zu arrangieren.

Eine Schale aus Bronze, ein Ritualdolch, dessen schwarzes Metall im Mondlicht schimmerte, verschiedenfarbige Edelsteine in den unterschiedlichsten Größen, eine kleine Dose aus silberfarbenem Metall. Sie klappte den mit Runen verzierten Deckel auf, sodass auch auf das Innere, ein Salz vermischt mit verschiedenen Kräutern, das Mondlicht fiel. Der herbe Geruch der Kräuter stieg ihr dabei in die Nase. Das Geschenk der Mondgöttin würde die Gegenstände reinigen und sie mit ihrer Energie aufladen. Selene war eine großzügige Gottheit. In ihre Gedanken vertieft öffnete Erin noch die bauchige Flasche aus Braunglas und platzierte sie auf dem Tisch, damit auch das Wasser etwas von der Magie auffing. Das silbrig kalte Licht des Mondes schien sich über die Ritualgegenstände zu legen und sie zum Schimmern zu bringen. Erin fröstelte und wickelte ihren Wollponcho fester um ihre Schultern. Langsam ließ sie sich auf dem Stuhl nieder. Wenn der Mond voll war und seinen höchsten Punkt am Nachthimmel erreichte, dauerte das Prozedere im Normalfall keine halbe Stunde, bis es vollendet war. Es benötigte keine fancy Sprüche von Pinterest oder Rituale, das pure, unverfälschte Mondlicht genügte.

Erin schloss die Augen und genoss die Strahlen der Mondgöttin auf ihrem Gesicht. Ihre Atmung wurde ruhiger, ihr Geist entspannte sich mit jeder Minute mehr. Was Selene den leblosen Gegenständen schenkte, gab sie auch an ihre Kinder weiter. Sie half den Geist zu reinigen und die Energie zu fokussieren. Ihre Energie sorgte dafür, dass sich Traumfetzen in Erins Verstand drängten. Durch das Geschenk ihrer Göttin hatte sie die Macht, in Träume einzudringen und sie zu verändern. Würde sie diese Gabe missbräuchlich anwenden, wäre es ein Leichtes, Menschen dadurch zu manipulieren. Sie drängte die Träume wieder aus ihrem Geist.

Ein Geräusch riss Erin aus ihrer Konzentration. Sie stand so hastig auf, dass der Stuhl hinter ihr ins Gras kippte. Obwohl sie sich einmal um sich selbst drehte, war nichts und niemand zu sehen. Doch sie spürte, dass sie nicht mehr alleine war.

»Zeige dich«, verlangte sie und trat einen Schritt zurück, dann noch einen, bis sie den Metalltisch an ihrer Hüfte spürte. Mit den Fingern tastete sie nach dem Ritualdolch. Wer wusste schon, wer sich um diese Uhrzeit hier herumtrieb? Endlich ergriff sie ihn, hielt die Hand aber weiter hinter ihrem Rücken versteckt. Plötzlich leuchtete vor ihr ein winziges Licht auf, das immer heller und größer wurde, bis es von der Größe eines Glühwürmchens auf die Höhe einer Barbie-Puppe anwuchs. Erleichtert stieß Erin die Luft aus, die sie angespannt angehalten hatte. Ganz entspannte sie sich jedoch nicht. Auch wenn sie wusste, wen sie nun vor sich hatte.

»Was willst du, Fee?« Sie ließ den Dolch zurück ins Mondlicht fallen und setzte sich auf den noch stehenden Stuhl. Langsam wurde ihr kalt, doch nicht nur deshalb wollte sie endlich wieder in ihre Hütte. Dort hatte sie einen gewissen Schutz vor diesen Naturgeistern, der ihr hier draußen einfach fehlte.

Die kleine Fee flatterte näher und schließlich erkannte Erin die feinen Gesichtszüge. Khirai öffnete den Mund, doch ihr sorgenvoller Blick sprach bereits Bände.

»Wir haben schon wieder Schwestern unserer Familie verloren.« Sie ließ den Kopf hängen und sank auf den Tisch, direkt vor Erin. »Unsere Königin befürchtet weiterhin, dass du etwas damit zu tun hast. Kurz nachdem du angekommen bist, hat das Verschwinden angefangen. Sie lädt dich ein.«

Erin wurde übel. Sie wusste genauso gut wie Khirai, dass das keine Einladung war. »Ich habe doch versprochen euch zu helfen!« Dafür hatte sie sogar einen ihrer alten Geliebten kontaktiert, der für sie einen Gefallen bei mächtigen Freunden einlösen wollte. Bisher hatte sie zwar keine Antwort bekommen, sie war sich aber sicher auf Unterstützung zählen zu können.

»Das musst du mit ihr besprechen.« Khirai erhob sich. »Morgen Vormittag, im Wald.«

Erin wollte widersprechen, öffnete den Mund, obwohl sie wusste, dass es ohnehin vergebens war. Khirai war nur die Überbringerin. Lanai, die Königin des Feenvolks, war ein bedrohliches Wesen, zu gefährlich, als dass sie die Einladung hätte ignorieren können. Sie hatte doch nur Urlaub in Island machen wollen!

Zwei

Trotz der Einladung schlief Erin erstaunlich gut. Nachdem Khirai genauso schnell verschwunden, wie sie zuvor aufgetaucht war, hatte sie ihre Utensilien zusammengesammelt und war wieder damit ins Haus spaziert. Die ganze Zeit war das Gefühl geblieben, als würde sie aus dem Wald heraus beobachtet werden. Sie schüttelte den Gedanken ab, dass ihr vielleicht wirklich jemand dabei zugesehen hatte, wie sie ihre magischen Utensilien aufgeladen hatte. Ihr Blick wanderte hinüber zum kleinen Fenster über der Küchenzeile. Eine Decke hing provisorisch dort über der Gardinenstange. Sie hatte es in der Nacht nicht mehr gewagt, nach draußen zu gehen, um die Holzläden zu schließen. Wahrscheinlich hatte sie überreagiert, aber sie hatte nicht riskieren wollen, dass jemand hineinsehen konnte. Mit einem genüsslichen Gähnen schob sie Bobo wieder von ihren Füßen, streckte ihre schlafschweren Glieder aus. Erin war keineswegs groß und im Bett war noch genug Platz für den Kater. Warum er trotzdem ständig auf ihren Beinen liegen wollte, blieb ihr ein Rätsel. Der weiße Kater gab ein unwilliges Geräusch von sich, das irgendwo zwischen Stöhnen und Fauchen einzuordnen war, rollte sich dann aber zu einer flauschigen Kugel zusammen und schlief weiter, als wäre nichts geschehen. Erin streckte sich. Ihr erster Gang führte zum Wasserkocher. Die Kaffeemaschine hatte zwar am ersten Tag nach ihrer Ankunft das Zeitliche gesegnet, doch immerhin war alles da, was man brauchte, um einen Kaffee per Hand zu brühen. Denn obwohl sie hier Urlaub machte, hatte sie nicht das geringste Bedürfnis, auf ihr Aufputschmittel erster Wahl zu verzichten. Ohne Kaffee funktionierte sie einfach nicht.

Schnell breitete sich der Geruch der frisch gemahlenen Kaffeebohnen in der kleinen Hütte aus. Während das Wasser durch den Filter tropfte, öffnete Erin ihren Laptop. Es war ein Wunder, doch das Häuschen besaß tatsächlich WLAN. Eine unterirdische Leitung versorgte das Haus mit Strom, Wasser und Internet. Das waren ohnehin die drei Kriterien gewesen, nach denen sie ihr Domizil ausgewählt hatte. So wenig Menschen wie möglich, so viel Natur mit Komfort wie möglich. Ihr Mail-Eingang war jedoch leer. Immerhin. Ein Tag, an dem das Finanzamt sie nicht wegen der Unstimmigkeiten in ihrem Geschäft nervte, die sie ihrem Geschäftspartner und Ex-Freund zu verdanken hatte, war ein guter Tag. Doch wer hatte schon ahnen können, dass Vincent den Vintage-Modehandel benutzen würde, um Drogen damit durch die Gegend zu schicken? Erin war froh darum, dass alle Indizien eindeutig auf Vincent deuteten, so blieb sie immerhin als Schuldige außen vor. Den Ruf ihres Onlinehandels konnte sie dagegen vergessen. Ihre Pläne, den Rest ihres Lebens mit Vincent zu verbringen, ebenso. Sie ignorierte die Nachricht ihrer Mutter, die noch immer ungelesen vor sich hinblinkte, und schloss den Laptop wieder. Darin würde ohnehin nur stehen, dass ihre Mutter schon von Anfang an gewusst hatte, was für ein hinterhältiger Kerl ihr Ex-Freund gewesen war. Erin hob den Kaffee an den Mund, musste jedoch beim Gedanken an ihre Mutter schnauben. Sie pustete die Luft in den Kaffee, der dadurch über den Rand schwappte. »Mist«, fluchte sie und stellte die Tasse auf dem Tisch ab. Ihre Mutter hatte jedes Wort von Vincent für bare Münze genommen. Und jetzt behauptete sie, dass alles schon immer geahnt zu haben? Kopfschüttelnd tupfte sie mit dem Küchentuch über die Flecken auf ihrem dunkelgrünen Schlafshirt, ehe sie sich wieder ihrem Kaffee widmete. Sie nutzte ihr Handy, um ein wenig Musik abzuspielen, damit sie wieder auf andere Gedanken kam. Für etwas anderes war das Gerät hier sowieso nicht zu gebrauchen. Der Empfang war gleich null. Bei einer ihrer Wanderungen hatte sie festgestellt, dass sie am Feenhügel im Wald, gute zwei Kilometer vom Haus entfernt, Empfang hatte. Ausgerechnet dort!

Dort war sie Khirai zum ersten Mal begegnet. Die Fee hatte zwar versucht sie zu beschützen, weshalb auch immer, doch ihre Königin hatte ziemlich schnell in Erin die Verursacherin des Problems gesehen. Angeblich sollte sie etwas damit zu tun haben, dass Feen verschwanden. Kopfschüttelnd nahm Erin die nun leere Kaffeetasse in die Hand und stellte sie im Spülbecken ab. Warum bei Nyx sollte sie Feen verschwinden lassen? Und vor allem, wohin überhaupt? Sie beschäftigte sich zwar mit Magie, doch dafür hatte sie wahrscheinlich ohnehin nicht die Macht. Absurd. Und dennoch würde sie später der Feenkönigin gegenüber treten müssen, um ihr das alles erneut zu erklären. Seufzend streckte sie sich über die Spüle und nahm die raue Wolldecke von einem der Haken, die die Gardinenstange hielten. Draußen, zwischen den Baumwipfeln, hing noch zäher Nebel, der nur hier und da die Sonnenstrahlen durchließ. Der Himmel jedoch war bereits strahlend blau und verriet, dass es ein wundervoller Herbsttag werden würde. Vom Wetter her jedenfalls. Sich mit Feen zu streiten gehörte ansonsten nicht zu Erins Definition von wundervoll. Dass sie als Hexe ausgerechnet in einem Gebiet Urlaub machte, in dem die kleinen geflügelten Wesen verschwanden, dafür konnte sie doch nichts!

Bobo begann zu miauen und kratzte mit den Krallen an der Haustür. An der Stelle hatten sich schon Spuren davon ins hellbraune Holz gefressen. Erin ging zu ihm hinüber und schob den Riegel zurück, bevor sie die Tür öffnete. Gemächlich spazierte der Kater hinaus, drehte sich aber zuvor noch einmal um und warf Erin einen Blick zu, den sie nicht recht deuten konnte. Sie hob beide Arme in Schulterhöhe. »Keine Sorge, ich pass schon auf mich auf.« Sie wusste nicht, ob es das war, was der Kater hatte hören wollen, doch er drehte sich um und lief durch das verwilderte Beet, um dort durch den kaputten Zaun zu schlüpfen. Einer der letzten Stürme musste dem Zaun zu sehr zugesetzt haben. Erin musste lächeln. Das Tier war seltsam, doch irgendwie auch süß. Vielleicht sollte sie zu Hause darüber nachdenken, eine Katze aus dem Tierheim zu holen. Hinter den Baumspitzen kämpfte sich langsam die Sonne durch. Obwohl ihr kalt wurde, schloss sie für einen Moment die Augen und genoss die sanfte Wärme, die die Strahlen über ihr Gesicht huschen ließ. Nach einem letzten tiefen Atemzug wollte sie sich umdrehen und die Tür schließen. Doch eine Bewegung, die sie nur aus dem Augenwinkel erblickt hatte, brachte sie dazu, sich umzudrehen. Ein Mann? Über die Straße, die man nur mit viel gutem Willen so nennen konnte, spazierte ein Mann heran. Er hatte halblanges blondes Haar, das im Licht der Sonne hell schimmerte und es fast weiß aussehen ließ. Als er Erin erblickte, winkte er und begann schneller zu laufen. Schnaufend kam er vor dem Hoftor zu Stehen. Es war verschlossen, doch es wäre für einen Mann von seiner Größe ein leichtes gewesen darüberzusteigen. Stattdessen wartete er. Hoffentlich wollte er kein Isländisch mit ihr sprechen! Außer Hallo und Tschüss konnte sie kein einziges Wort. Erin trat wachsam näher. Sie hielt den Typen zwar nicht für einen irren Axtmörder, doch es schadete nicht, ein wenig Vorsicht an den Tag zu legen. Vor allem in einer solch abgelegenen Gegend. Ihre Mutter hielt sie deshalb für verrückt.

»Can you help me?« Der seltsame Akzent in seiner Stimme ließ Erin erschaudern. Er klang rau. Ihr Mund wurde trocken, vor allem als der Mann seine Sonnenbrille abnahm. Er hatte faszinierend blaugraue Augen.

»My car … It doesn’t work anymore.«

Erin kramte in ihrem Kopf nach den Überresten ihrer Englischkenntnisse. Die Anwesenheit des Mannes strahlte dabei eine solche Präsenz aus, dass sie sich zusammenreißen musste, um ihn nicht mit offenem Mund anzustarren.

»Ich … äh …«

»Oh!« Der Mann verzog freudig sein Gesicht. »Sie sind Deutsche? Das hätte ich hier mitten in Island nicht erwartet.«

Reiß dich jetzt zusammen, du hast schon sehr oft vor hübschen Kerlen gestanden! Erin strich sich in einer bestimmten Bewegung eine ihrer schwarzen Haarsträhnen aus dem Gesicht und nickte dann. »Ja, ich bin Deutsche. Ihr Auto ist also stehen geblieben?«

Heftig nickte der Mann und deutete die Straße entlang. »Mitten in der Pampa abgekratzt«, seufzte er und dann zuckte er mit den Schultern. »Mein Mobiltelefon funktioniert natürlich nicht, ich hab kein bisschen Empfang. Kann ich vielleicht ganz kurz Ihr Telefon benutzen?« Mobiltelefon? Wer nannte sein Handy denn so?

Für einen Moment dachte Erin nach. Seine Erklärung klang schlüssig und noch immer wirkte der Mann nicht wie ein Wahnsinniger. Sie trat einen Schritt nach vorne und öffnete das Hoftor. Erst als der Blick des Mannes an ihr hinunterglitt, realisierte sie, dass sie außer dem unförmigen Schlafshirt mit Kaffeeflecken nur eine dünne Leggins trug, die hauteng an ihren schlanken Beinen saß. Hastig drehte sie sich um und stapfte zum Haus zurück. Sie trat ein und bemerkte dann irritiert, dass der Mann direkt vor der Tür stehen blieb.

»Ich möchte Sie aber wirklich nicht stören«, begann er. Erin winkte ab. Nach dem Telefonat würde sie dem Mann wohl sowieso nie wieder begegnen, egal wie heiß er auch war. Da war es auch egal, dass sie gerade aussah wie eine von den Flodders. »Kommen Sie herein«, sagte sie, um ihrer Geste Nachdruck zu verleihen. Immerhin war die Hütte sauber, da sie gestern endlich mal die Kleidungsstücke vom Boden eingesammelt hatte. Es gab zwar ein kleines Badezimmer, doch eine Waschmaschine suchte man hier vergebens. Sie würde die Wäsche später, nach ihrem Termin mit der Feenkönigin, zum Waschsalon in der nächsten Stadt bringen müssen.

***

Endlich bat sie ihn herein. Taros grinste innerlich, als er die unsichtbare Barriere im Türrahmen ohne Probleme durchschreiten konnte. An dieser Stelle fühlte sich die Luft zähflüssig an, fast wie kaltes Gel. Doch der Schmerz, den er in der Nacht verspürt hatte, als er hatte einbrechen wollen, blieb aus. Auch das Gefühl der Kälte verschwand sofort, als er die Tür durchschritten hatte. »Hier steht das Telefon.« Die junge Frau deutete auf das Gerät, das in der Ecke stand. Doch das interessierte ihn nicht. Er wollte wissen, mit wem er es zu tun hatte, wer die Hilfe der Hölle ersuchte.

»Das war leicht«, hörte er sich sagen, dann schloss er die Tür hinter sich zu.

»Wie bitte?« In ihrer Stimme klang Verwirrung mit. Langsam drehte er sich wieder herum. »Deine Barriere zu umgehen. Es war sehr leicht.« Mit einem breiten Grinsen sah er dabei zu, wie jegliche Farbe aus ihrem Gesicht wich und sie an der Theke hinter sich nach Halt suchte. Oder nach einer Waffe, die sie gegen ihn einsetzen konnte? Er schüttelte den Kopf.

»Versuch es erst gar nicht. Du würdest es nur bereuen.« Seine Stimme glitt beruhigend über ihren Körper, doch ihr wacher Geist wehrte sich dagegen, sich von ihm manipulieren zu lassen. Das war … interessant. Eigentlich sollte ihm das deutlich leichter fallen. Vielleicht war der Hexenhokuspokus wirklich keine reine Show.

Ihr Blick flackerte zur Seite. Taros folgte dem Blick. Auf dem Tisch, der sich zwischen ihnen befand, lag ein grüner Beutel. Bevor sie danach greifen konnte, nahm er ihn in die Hand und öffnete den Stoff. Verschiedene Utensilien reihten sich vor ihm auf dem weichen Stoff auf. Er legte es wieder zurück. Nichts dabei, was ihm wirklich hätte schädlich werden können. Damit konnte die kleine Schwarzhaarige vielleicht den Naturwesen in der Gegend Angst machen, doch um es mit der Hölle aufzunehmen, genügte das lange nicht.

»Ganz ruhig, Kleines. Wer hat hier die Hölle um Hilfe gebeten?«

Tatsächlich sorgten seine Worte dafür, dass sie ruhiger wurde. Aber wahrscheinlich auch nur, weil sie einer Ohnmacht nahe war. Er hielt es kaum für möglich, aber seine Worte ließen ihre Haut noch blasser werden. Sie öffnete den Mund, doch es kam kein Ton heraus. Taros verdrehte die Augen. Bei den drei Höllenkreisen, es genügte schon die Ankündigung, dass er aus der Hölle kam, um sie aus der Fassung zu bringen? Was würde sie erst sagen, wenn er seine dämonische Form annehmen würde? Doch das Gedankenspiel war unsinnig. Er hatte nicht vor sie mit seinem Monster bekannt zu machen.

Die Frau hob ihre rechte Hand, ehe sie sich umwandte und das Wasser aufdrehte. Sie benetzte ihr Gesicht mit Wasser und tupfte es ab, ehe sie sich langsam wieder ihm zuwandte. In ihren dunklen Wimpern hingen noch feine Wassertropfen, während sie ihn ansah und schließlich tief durchatmete. »Ich wollte Hilfe, ja. Dass die aus der Hölle kommen würde, damit hatte ich nicht gerechnet.« Sie schluckte, dann schlug sie die Hand an die Stirn. »Und ich bin auch noch so dämlich und lade dich ins Haus ein.«

»Falls es dich tröstet, ich wäre auch ohne Einladung hereingekommen.« Er hätte zwar Schmerzen verspürt, doch der Zauber hätte ihn nicht dauerhaft abhalten können. Er hatte jedoch nicht vor seine Energie für so etwas Unnötiges zu verschwenden, wenn er doch auch mit ihrer Hilfe ins Haus kam.

Ihre Hand sank hinab und sie blickte ihn schnaubend an. »Das tröstet mich ganz und gar nicht, schließlich bedeutet es, dass ich eine miese Hexe bin!« Taros zuckte mit den Schultern. Dazu wollte er sich lieber nicht äußern. Stattdessen wollte er einfach nur wissen, wo ihr Problem lag. Sobald er das in Erfahrung gebracht hatte, konnte er in die Hölle zurückkehren und Samael Bericht erstatten.

Doch bevor er verlangen konnte, dass sie mit den Details herausrückte, klopfte es an der Tür. Warnend blickte er zu der kleinen Hexe hinüber und neigte den Kopf. »Erwartest du Besuch?« Sie schüttelte so schnell den Kopf, dass er ihr glaubte. Taros nickte zur Tür. »Tu nichts, was dich in Schwierigkeiten bringen könnte.«

Und sie wussten beide, er würde die Schwierigkeit sein, wenn sie jetzt einen Fehler begann. Sie schlüpfte an ihm vorbei, darauf bedacht, ihn nicht zu berühren. Ihr Geruch stieg ihm dabei in die Nase. Es war seltsam für ihn, ausnahmsweise keinen Schwefel zu riechen, sondern einen warmen, schlaftrunkenen Körper und Weichspüler. Mehr als seltsam. Er verließ die Hölle recht selten, doch häufig genug, um stets über alle Neuheiten der Welt informiert zu sein und regelmäßig Netflix zu schauen. Sein Blick folgte ihr, begegnete dem ihren, als sie noch einmal scheu zu ihm hinübersah, ehe sie schließlich die Tür aufschloss.

Drei

Was für eine verfluchte Situation war das denn bitte? Erin hatte einen ihrer Ex-Freunde, von dem sie wusste, dass er ebenfalls sehr spirituell war, darum gebeten, ihr zur Seite zu stehen, doch dass hier gleich ein Wesen der Hölle in ihrem Ferienhaus stehen würde? Das hatte sie garantiert nicht erwartet! Zitternd drückte sie sich an dem großen Mann vorbei. Obwohl sie jetzt wusste, dass sein Äußeres wahrscheinlich nicht sein wahres Aussehen war, büßte er nichts an Attraktivität ein. Jetzt entging ihr der kühle Ausdruck in seinen blaugrauen Augen jedoch nicht mehr. Ein Schauder lief ihr über den Rücken und schnell drehte sie sich zur Tür. Mit bebenden Fingern öffnete sie den Riegel und dann die Tür.

Überrascht stellte sie fest, dass ihr Vermieter vor ihr stand. »Oh«, brachte sie heraus. »Hallo, Björn!«

Ihr Vermieter, der dank seines Auslandsstudiums in Deutschland hervorragend Deutsch konnte, hob die Arme und sie erkannte die dunkle Maschine. Eigentlich hätte sie vor Freude ausflippen sollen, doch die Gewissheit, wer sich hinter ihr in der Hütte befand, ließ sie nur zögerlich Zustimmung zeigen.

»Wow! Vielen Dank, das wäre doch nicht nötig gewesen!« Natürlich hatte sie ihm sofort Bescheid gesagt, als die alte Kaffeemaschine den Geist aufgegeben hatte. Dass er jetzt eine neue brachte, war dennoch eine Überraschung.

»Wir können sie direkt einweihen«, schlug Björn vor und machte Anstalten, zu ihr hineinzutreten. Sofort hatte sie ihren höllischen Besucher im Hinterkopf. »Das ist gerade keine gute Idee«, brachte sie noch heraus, ehe sich von hinten eine Hand auf ihre Schulter legte. Die Berührung war beinahe sanft, dennoch fühlte es sich an, als würde ihre Haut unter dem Shirt anfangen zu brennen. Das heiße Gefühl zog sich durch Erins gesamten Körper und obwohl sie in der offenen Tür stand, wurde ihr warm.

»Du hast mir gar nicht gesagt, dass du hier … Besuch erwartest.« Björn blickte überrascht an ihr vorbei zu dem Wesen der Hölle, das so dicht hinter ihr stand, dass sie seinen Atem in ihrem Nacken spürte. Schnell schüttelte sie den Kopf und wandte sich unter seiner Hand hervor. »Er wollte nur telefonieren, weil sein Auto stehen geblieben ist. Ich kenne den Mann nicht.«

Björn öffnete den Mund. Wahrscheinlich wollte er vorsichtig nachfühlen, ob das wahr war, denn sie hatte das Häuschen nur für eine Person gemietet. Sie nahm dem perplexen Mann die Kaffeemaschine aus den Händen und bedankte sich. »Das mit dem Kaffee holen wir bald nach, ja? Danke, dass du die Maschine vorbeigebracht hast!« Schnell trat sie wieder in das Häuschen und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Dieser Urlaub versprach noch mieser zu werden. Wäre sie doch zu Hause geblieben! Wortlos stapfte sie an dem Höllentypen vorbei und stellte die Kaffeemaschine dorthin, wo zuvor die alte gestanden hatte. Höchst konzentriert und als gäbe es nichts Wichtigeres zu tun, schloss sie das Gerät an den Strom an und befüllte den Tank mit Leitungswasser.

»Was soll das denn jetzt?«, knurrte das Höllenwesen hinter ihr. Sie schüttelte den Kopf und beobachtete das Wasser bei seinem Reinigungsdurchlauf. Dann wandte sie ihm das Gesicht zu. »Mein Ex hat meinen Onlineshop als Drogenhandel missbraucht, die Feen vermuten, dass ich welche von ihnen entführe, und nun steht in meiner Küche unangekündigt ein Höllenwesen. Wenn du nicht willst, dass sich mein Verstand vollends verabschiedet, solltest du mich meinen Kaffee trinken lassen.«

»Du brauchst mich nicht Höllenwesen zu nennen. Mein Name ist Taros.« Der Dämon zuckte mit den Schultern, dann zog er einen Stuhl vom Küchentisch weg und nahm Platz darauf. Erin ließ den Blick über sein kantiges Gesicht gleiten. Er trug schlichte, aber moderne Kleidung, hätte aber gut als Wikinger aus dem alten Island durchgehen können. Sein blondes Haar fiel ihm bis zur Schulter und unwillkürlich stieg in ihr der Gedanke auf, wie er wohl in seiner Form als Höllenwesen aussehen mochte.

Sie bemerkte, dass sie ihn anstarrte, und wandte sich schnell wieder der Kaffeemaschine zu. »Taros also«, murmelte sie und nahm sich vor den Namen zu googeln. Vielleicht fand sie online ja etwas Wissenswertes. Mit einem Piepen gab die Maschine zu verstehen, dass der Reinigungsdurchlauf abgeschlossen war, und sie entleerte das Wasser. Mit den routinierten Handgriffen eines Kaffeejunkies füllte sie die Maschine auf und schaltete sie ein. Bevor sie sich umdrehen konnte, drückte sich ein muskulöser Körper gegen ihre Kehrseite. Erins Herz setzte einen Schlag aus und sie erstarrte in der Bewegung.

***

Warum zum verfluchten Flammenkerker sah sie ihn so an? Als der kleinen Frau auffiel, dass sie ihn anstarrte, röteten sich ihre Wangen und noch während sie sich umdrehte, sah Taros, wie sie sich auf die volle Unterlippe biss. Verdammt. Die Frau war dermaßen attraktiv in ihrer Naivität … Er hatte es üblicherweise mit abgebrühten Dämoninnen zu tun, die alles dafür gaben, um aus ihren Taten einen Vorteil zu schlagen. Das hier war ungewohnt und irgendwie faszinierend. Ein fremdartiges Gefühl breitete sich ihn ihm aus, welches er nicht ganz zuordnen konnte. Er schluckte hart, während er sie von hinten dabei beobachtete, wie sie die Kaffeemaschine befüllte. Wie sie sich nach dem Kaffeepulver im Hängeschrank streckte, wobei das eigentlich furchtbar unförmige Shirt hochrutschte und ihren Hintern in der engen Leggins entblößte. Er wusste nicht, was über ihm kam, doch innerhalb von Sekunden hatte er sich aufgerichtet und hinter sie gedrängt.

Ihr warmer Geruch stieg ihm in die Nase. Ihr Körper versteinerte vor ihm und dennoch schmiegten sich ihre Rundungen weich an seine harten Muskeln. »Es ist sehr unhöflich, mir deinen Namen nicht zu sagen, kleine Hexe«, knurrte er an ihr Ohr. Ihn überkam der Drang, ihre Haare beiseitezuschieben und in den sanften Hals zu beißen, der sich unter der wilden Mähne verbarg. Doch er behielt sich im Griff.

Die Schwarzhaarige räusperte sich. »Es ist auch unhöflich, sich mit Lügen Zugang in mein Haus zu verschaffen.«

Oh. Die Menschenfrau wollte spielen? Taros griff von hinten fest in ihre Haare und zog ihren Kopf zurück. Sie keuchte überrascht auf und ihr Blick verfing sich in seinem. Angst stand in ihren grünen Augen. Dahinter allerdings verbarg sich so viel mehr. Sie hatte bei Weitem noch nicht genug Respekt vor ihm.

»Mein Name ist Taros«, wiederholte er, während er sie weiter ansah. Seine Hand glitt über das Shirt auf ihrer Schulter bis hin zu ihrem nackten, ungeschützten Hals. Die Menschen waren so fragil, dass es ihn überraschte, wie sie mit dieser Gewissheit überhaupt leben konnten. »Ich bin dem Höllenhund direkt unterstellt, was mich nach Satan und ihm zum drittmächtigsten Dämon der Hölle macht. Ich wurde hierhergeschickt, um herauszufinden, weshalb die Feen verschwinden. Du wirst mir jetzt deinen Namen nennen …« Seine Hand legte sich in einer sanften Bewegung um ihre Kehle. Sie schluckte heftig, er spürte wie ihr Kehlkopf unter seiner Handfläche bebte. »Oder wir machen es auf die unschöne Art und Weise.«

Noch immer starrten sie sich gegenseitig in die Augen. Taros konnte einfach die Augen nicht von ihrem zarten Gesicht lassen. Heftig blinzelte sie, bevor sie nachgab. »Erin«, krächzte sie unter seinen Fingern.

»Erin«, wiederholte er und spürte, wie sie beim rauen Klang seiner Stimme erzitterte. Dann ließ er locker, sowohl in ihren Haaren als auch an ihrer Kehle, bevor ihre Regungen ihn dazu brachten, jegliches bisschen an Vernunft beiseitezuwerfen …

»Geht doch. Brave Hexe.« Zufrieden trat er zurück und ließ sich wieder auf den Stuhl fallen. Erin warf ihm einen finsteren Blick zu, während ihre eigene Hand an ihren Hals wanderte und an der Stelle verharrte, an der sie umfasst hatte. Er ließ sich nicht auf der Nase umhertanzen. Weder von irgendwelchen dämonischen Weibern noch von einer Menschenfrau. Egal wie schön sie auch war.

Endlich war der verdammte Kaffee durchgelaufen und Erin füllte ihre Tasse damit. Sie setzte sich zu ihm an den Tisch, so weit von ihm entfernt wie nur möglich.

»Also, Erin.« Irgendwie gefiel es ihm, ihren Namen auszusprechen. »Was ist hier so wichtig, dass dir die Hölle zu Hilfe kommen soll?«

Sie öffnete den Mund, um ihm zu widersprechen. »Ich habe nicht erwartet, dass die Hölle sich für ein paar Feen interessiert!« Taros zuckte mit den Schultern. »Wenn die Feen erst kurz zuvor aus dem toten Paradies befreit wurden, dann interessiert das meinen Meister durchaus. Also sprich endlich. Oder soll ich dich daran erinnern, dass ich auch andere Möglichkeiten habe, um dich zum Sprechen zu bringen?«

Erin nahm einen Schluck ihres heißen Getränks, ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen. Dann zuckte sie mit den Schultern und stelle die Tasse ab.

»Ich wollte hier nur Urlaub machen und plötzlich werde ich von der Feenkönigin angeklagt, dass ich ihre Untertanen verschwinden lassen würde. Dabei habe ich keine Ahnung, was mit diesen Feen passiert ist. Das ist wirklich alles, was ich weiß.«

»Und warum hast du deine magischen Utensilien mit Mondlicht aufgeladen?« Es fiel ihm schwer, bei seinen Worten nicht zu lachen. Die Kräfte der Kleinen schienen über ein wenig weiße Magie nicht hinauszugehen. Sie funkelte ihn wütend an, als spürte sie seine Belustigung.

»Weil ich versprochen habe ihnen zu helfen!« Jetzt konnte er sich nicht mehr zurückhalten. Schallend begann er zu lachen. »Du kleine Pseudohexe denkst wirklich, dass du in der Lage bist, hier zu helfen?«

Finster starrte sie ihn an. Die Angst war schon lange aus ihrem Gesicht gewichen.

»Denk, was du willst. Jetzt weißt du alles und darfst gerne aus meinem Ferienhaus verschwinden und dich wieder in der Hölle breitmachen«, sagte sie mit einem schmallippigen, aufgesetzten Lächeln und wies zur Tür. Taros nickte. Er war nun genauso schlau wie vorher, doch die Kleine schien tatsächlich nicht mehr zu wissen. Totale Zeitverschwendung.

»Keine Sorge. Die Tür ist dank deiner Einladung nun nicht mehr nötig. Außerdem möchte ich den Besuch, der vor deiner Tür steht, nicht unnötig verstören.«