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Nachdruck 2013
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Übersetzung: Stephan Gebauer
Umschlaggestaltung: Thomas Jarzina, Köln
Umschlagabbildung: © Joseph Sohm; Visions of America/CORBIS
Satz: Manfred Zech, Redline Wirtschaft
Druck: Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN Print 978-3-86881-376-0
ISBN E-Book (PDF) 978-3-86414-337-3
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86414-771-5
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Für Chaille Bianca, Vivienne Lael und William Grant, der sagt, dass er Investment-Banker werden will
Dies ist mein erstes Buch, und daher schulde ich vielen Leuten Dank. Zum Glück für den Leser sind die meisten von ihnen gegenwärtige und ehemalige Angestellte von Goldman Sachs und Morgan Stanley, die lieber nicht namentlich genannt werden möchten. Ohne ihre Unterstützung und ihr Wissen wäre dieses Unterfangen kaum gelungen. Sodann möchte ich Clare Reihill vom Verlag Harper Collins danken, die mich zu dem Projekt ermutigte und mir Orientierungshilfe gab. Dasselbe gilt für Brian Kempner und Peter Kaplan vom New York Observer, L. Gordon Crovitz und Paul Ingrassia von Dow Jones, Pat Tierney und Dan Farley von Harcourt, John Sargent und George Witte von Holtzbrinck sowie Allison Silver, eine langjährige Freundin und Journalistin der Los Angeles Times und der New York Times. Bei Beatrice Cassou, Mark Gerson, Bruce Greenwald, David Knee, Myra Kogen, Chaille Maddox, Lisa McGahan, John Edward Murphy, Jeff Reisenberg, Jason Sobol und Clyde Spillenger möchte ich mich dafür bedanken, dass sie die zahlreichen Entwürfe lasen und kommentierten. Meine beiden Forschungsassistenten Nicholas Greenwald und Amani Macaulay sorgten dafür, dass ich auf dem Boden der Tatsachen blieb. Und Stephanie Trocchia und Jeannie Esposito überlebten mein Archivierungssystem und schafften es, damit zu arbeiten. Schließlich schulde ich meiner Agentin Elaine Markson und meinen Lektoren bei der Oxford University Press Dank: Tim Bartlett übernahm die anfängliche Bearbeitung, und andere schleppten mein Werk über die Ziellinie. Sie gaben mir eine Chance, lenkten mich in die richtige Richtung und stärkten mir den Rücken. Allerdings sollte keine dieser Personen für das verantwortlich gemacht werden, was ich hervorgebracht habe.
Vorwort
Kapitel 1: Ein Hühnchen in jedem Topf
Kapitel 2: Ein Investment-Banker durch Zufall
Kapitel 3: Ein Imperium für sich
Kapitel 4: »Fragen wir Sidney Weinberg«
Kapitel 5: Was ein Investment-Banker wirklich tut
Kapitel 6: Die Kultur der M&A-Abteilung
Kapitel 7: Der Aufstieg John Thorntons
Kapitel 8: Morgans Haus
Kapitel 9: Risse in der Fassade
Kapitel 10: Das Drama des begabten Bankers
Kapitel 11: Auf der Seite des Käufers
Kapitel 12: »Bewahren wir den roten Teppich für die Stars auf«
Kapitel 13: Ein Blick von oben
Kapitel 14: Der Mythos der Meritokratie
Kapitel 15: Der König der KSU
Kapitel 16: Der lange Abschied
Nachwort: Auf der Suche nach Sidney Weinberg
Anmerkungen
Tausende Menschen drängten sich an jenem nebligen, feuchten Januarmorgen in der Riverside Church an der Upper West Side von Manhattan, um am Gedenkgottesdienst für Richard B. Fisher teilzunehmen, den ehemaligen Leiter von Morgan Stanley. Bürgermeister Michael Bloomberg war ebenso anwesend wie David Rockefeller und andere Würdenträger. Und es waren unzählige junge Banker gekommen, die dem Verstorbenen vielleicht nie begegnet waren, jedoch die Legenden kannten, die sich um seinen Namen rankten.
Dieser berührende Beweis der Zuneigung war nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Als Fisher am 16. Dezember 2004 im Alter von 68 Jahren starb, war er längst nur noch eine Randfigur in der globalen Investment-Bank, für die sein Name einst ein Synonym gewesen war. Fisher war im Jahr 1962 bei Morgan Stanley eingetreten und 1984 zum Präsidenten der Firma ernannt worden. Als er im Jahr 1997 die schicksalhafte Fusion mit der in Chicago ansässigen Firma Dean Witter, Discover and Co. aushandelte – dabei wurde Phil Purcell, der Leiter von Dean Witter, zum CEO der neuen Firma und Fishers Schützling John Mack zum Präsidenten und Geschäftsführer ernannt –, war Fischer seit sechs Jahren Chairman von Morgan Stanley.
Schon einige Zeit bevor der Prostatakrebs wieder aufflammte, der ihn schließlich das Leben kosten sollte, war Fisher in der einst von ihm geführten Investment-Bank weiter und weiter an den Rand gedrängt worden. Unmittelbar nach der Fusion war er zum Vorsitzenden des Leitungsausschusses der Firma bestellt worden, doch im Jahr 2000 wurde er aus dem Board entfernt und kurze Zeit später zum »Chairman Emeritus« herabgestuft. Als John Mack, der von seinem Gegenspieler Purcell an die Wand gespielt worden war, im Jahr darauf zurücktrat, bat Fisher darum, sich an den Board wenden zu dürfen, doch Purcell überbrachte ihm eine schmerzhafte Nachricht: Der Board sei nicht daran interessiert, ihn anzuhören. Sogar Fishers Büro wurde zunächst aus dem für das Topmanagement reservierten Stockwerk und später überhaupt in ein anderes Gebäude verlegt, an einen Ort, der in der Firma als »Jurassic Park« bezeichnet wurde, weil altgediente Banker dort eine Nische erhielten und mit einer Sekretärin in den Vorruhestand geschickt wurden.
Unter den Trauergästen war eine Gruppe von sieben Mitbewohnern des Jurassic Park, zu denen S. Parker Gilbert zählte, Fishers Vorgänger als Chairman. Die meisten dieser angesehenen älteren Herren hatten so wie Fisher in den sechziger Jahren ihre Karriere bei Morgan Stanley begonnen. Als sie sich in der überfüllten Kirche umsahen, konnten sie sich des Gedankens nicht erwehren, dass sich die Zeiten sehr geändert hatten.
In den sechziger Jahren hatte Morgan Stanley nicht am Wertpapierhandel teilgenommen, da die Firma dieses Geschäft als minderwertige Tätigkeit betrachtete, die von reinen Händlern ausgeübt wurde, bei denen es sich überwiegend um Juden handelte. Doch im Jahr 1971 hatte die Bank eine eigene Verkaufs- und Handelsabteilung eingerichtet, mit deren Leitung ein junger Partner namens Richard Fisher betraut worden war. In den letzten Jahren waren die in diesem Tätigkeitsbereich erzielten Gewinne deutlich höher ausgefallen als jene im traditionellen Geschäft der Gentleman-Banker. Die Hinwendung zu Verkauf und Handel fiel mit der Gründung einer Abteilung für Fusionen und Übernahmen zusammen, womit Morgan Stanley eine Vorreiterrolle unter den großen Investment-Banken übernahm. Bis zu jener Zeit hatten diese Firmen die Beratung bei Fusionen und Übernahmen oft als eine Dienstleistung behandelt, die langjährigen Klienten kostenlos angeboten wurde. Doch innerhalb von zwei Jahrzehnten verwandelte sich der Bereich »M&A« (Mergers and Acquisitions) in die Ertragsmaschine der traditionellen Finanzierungsinstitute, und die Leitung dieses Bereichs übernahmen Stars, deren Namen oft bekannter waren als jene der Klienten oder Banken, in deren Dienst sie theoretisch standen.
Die bedeutsamste Veränderung betraf allerdings die Position der Firma in der Branche. In den sechziger Jahren war Morgan Stanley mit einigen Dutzend Partnern und mehreren Hundert Mitarbeitern die führende Investment-Bank der Welt. Im Labyrinth des heiß umkämpften Finanzsektors der neunziger Jahre war eine solche umfassende Vorherrschaft einfach nicht mehr möglich. Doch selbst in dem relativ kleinen Revier, auf das sich diese großartige Firma konzentrierte – gemeint ist die hochwertige unabhängige Finanzberatung der führenden Unternehmen der Welt –, war die Führung schon vor geraumer Zeit an Goldman Sachs verloren gegangen.
Der Aufstieg von Wertpapierhandel und M&A zu den vorrangigen Einnahmequellen in den siebziger Jahren hatte den Anstoß zum Wandel der Kultur und der Struktur des Investment-Banking und zur Änderung von Morgan Stanleys Position in der Branche gegeben, doch es gab eine Vielzahl weiterer interner und externer Entwicklungen, die dazu beigetragen hatten, die Firma in die Lage zu bringen, in der sie sich Anfang des Jahres 2005 befand. Indem sich Morgan Stanley im Jahr 1986 entschlossen hatte, 20 Prozent der Aktien an externe Investoren zu verkaufen, hatte die Firma einen weitreichenden Schritt getan: Abgesehen davon, dass sie sich damit von der Tradition der privaten Partnerschaft gelöst hatte, wurde das Kapital auch verwendet, um Morgan Stanley eine aggressivere Beteiligung an den Leveraged Buy-outs (oder LBO) zu ermöglichen, die zu jener Zeit in der Branche in Mode gekommen waren. Aktiengesellschaften, die als schlecht geführt oder unterbewertet eingeschätzt wurden, wurden zum Ziel der Übernahmekünstler, die diese Geschäfte finanzierten, indem sie Schulden in nie dagewesener Höhe aufnahmen. Morgan Stanley platzierte nicht nur die Anleihen, sondern investierte teilweise auch sein eigenes Geld in die Transaktionen. Schon die Finanzierung von derart verschuldeten Unternehmen war umstritten, doch die Firma überschritt eine noch höhere Hemmschwelle, indem sie sich vom Vermittler zum Investor wandelte und aktiv auf eigene Rechnung an diesen Deals teilnahm, selbst wenn sie damit zum Konkurrenten ihrer Klienten wurde.
Als der Gesetzgeber ein Jahrzehnt später das Investment-Banking wieder für die großen Handelsbanken öffnete, gerieten die herkömmlichen Arbeitsmethoden der Branche unter noch größeren Druck. Das aus der Depression stammende Glass-Steagall-Gesetz hatte die Investment-Banken lange Zeit vor Übergriffen der sehr viel kapitalkräftigeren Handelsbanken geschützt. Doch die Aufhebung dieses Gesetzes im Jahr 1999 ebnete den Weg für einen deutlich verschärften Wettbewerb und für eine Fusionswelle, die riesige »Finanzsupermärkte« hervorbrachte, deren Geschäftsethos nichts mehr mit dem der alten Investment-Banken zu tun hatte.
Doch im Fall von Morgan Stanley hatte keine dieser Veränderungen ähnlich weitreichende Auswirkungen wie die Verschmelzung mit Dean Witter Discover. Obwohl diese Verbindung als »Fusion unter Gleichen« bezeichnet wurde, stellte sich bald heraus, dass sich die ehrwürdigste aller Wall-Street-Firmen in Wahrheit an eine Broker- und Kreditkartenfirma verkauft hatte, deren Zielgruppe das untere Privatkundensegment war. Als sich Robert Scott, ein Veteran von Morgan Stanley, beim Gedenkgottesdienst erhob, um einige Worte zu sagen, wurde das kleine Grüppchen der Zeitgenossen von Fisher daran erinnert, wie übel ihrer Seite bei der ursprünglich vielversprechenden Fusion mitgespielt worden war. Obwohl Scott zehn Jahre jünger als Fisher war und eigentlich nicht dessen Generation angehörte, war er der letzte in einer langen Reihe von Morgan-Führungskräften, die Purcell gnadenlos aus dem Weg geräumt hatte, sobald er eine Bedrohung in ihnen gesehen hatte oder sie nicht länger brauchte. Scott, der frühere Leiter des Investment-Banking, war im Februar 1997 von Fisher mit der Leitung des Teams betraut worden, das die Fusion für Morgan abwickeln sollte. Doch noch vor Ende dieses Monats und lange vor dem Abschluss des Geschäfts im Mai 1997 erlitt Scott einen Herzinfarkt. Purcells Entscheidung, den gesundheitlich angeschlagenen Manager im Jahr 2001 zum Nachfolger von Mack als Präsident und Geschäftsführer zu ernennen, wurde allgemein als Schachzug gedeutet, der dazu diente, die Leute von Morgan Stanley angesichts des Verlusts ihres Thronerben Mack zu beschwichtigen, ohne eine Gefahr für Purcells Herrschaft heraufzubeschwören. Zwei Jahre später teilte Purcell Scott mit, dass seine Dienste nach 33 Jahren bei Morgan Stanley nicht länger benötigt würden. Der einzige verbleibende Sitz im Board, der für einen Manager von Morgan reserviert war, wurde in aller Stille gestrichen. Nun war Purcell der unangefochtene Alleinherrscher.
»Dick wacht über uns«, versicherte Scott der Trauergemeinde mit brechender Stimme. »Es wird alles ins Lot kommen.«
Manch einer war da nicht so sicher. Wenige Wochen nach Fishers Beerdigung schlossen sich dieselben sieben Männer mit Scott zusammen und versammelten sich in der Wohnung des früheren Chairman S. Parker Gilbert, um einen Plan für den Sturz Purcells zu schmieden. Einige von ihnen dachten seit geraumer Zeit darüber nach, wie sie ihrer Unzufriedenheit mit Purcell am besten Ausdruck verleihen könnten, und die Emotionen, die bei Fishers Begräbnis frei geworden waren, gaben ihnen den Anstoß zum Handeln. Die acht ehemaligen Spitzenmanager von Morgan Stanley, die ihrer Gruppe die Bezeichnung »Die missmutigen alten Männer« gaben, beauftragten schließlich den erfahrenen Investment-Banker Robert Greenhill – der im Jahr 1970 als Mitglied der gefeierten »Gruppe der respektlosen Sechs« (der auch Fisher angehört hatte) Partner der Firma geworden war – mit ihrer Vertretung. Es wurden Briefe an die Board-Mitglieder geschickt, Pressemitteilungen ausgesandt, Interviews für CNBC gegeben und ganzseitige Anzeigen im Wall Street Journal geschaltet. Morgan Stanley versuchte, ihre Vorwürfe als Ränke ehemaliger Mitarbeiter zu diskreditieren, die über die Entwicklungen in der Firma nicht auf dem Laufenden seien, doch das Renommee dieser Männer weckte Zweifel an dieser Darstellung.
Doch trotz oder gerade wegen des Renommees dieser Gruppe war die Kampagne befremdlich. Diese Männer hatten keinerlei Einwände gegen die Fusion mit Dean Witter erhoben, und einige von ihnen hatten sich im Lauf der Jahre bereit erklärt, bei zahlreichen Veranstaltungen aufzutreten und den jüngeren Generationen von Morgan-Mitarbeitern zu versichern, dass an den besten Traditionen der Firma festgehalten werde. Zudem hatten sie zumindest anfangs weder spezifische Änderungen der Strategie gefordert noch ein alternatives Managementteam vorgeschlagen. Abgesehen davon, dass sie Purcells Kopf forderten, schlugen sie lediglich geringfügige Änderungen an der Unternehmensführung vor. Auch die Tatsache, dass sich die missmutigen alten Männer mit dem Besitz von elf Millionen Aktien brüsteten, war nicht sehr überzeugend, denn mittlerweile waren über eine Milliarde Aktien im Umlauf. Die missmutigen alten Männer hatten also mit 1 Prozent der Aktien zum Sturm auf den Palast geblasen.
Als Morgan Stanley im Jahr 1986 an die Börse gebracht worden war, hatte Chairman S. Parker Gilbert allein fast 4 Prozent der Aktien erhalten. Rechnete man die Aktien der drei anderen Direktoren der neuen Aktiengesellschaft Morgan Stanley hinzu (dies waren Fisher, Greenhill und Lewis Bernard, ein weiteres Mitglied der missmutigen alten Männer), so kam man auf einen Anteil von 15 Prozent am Firmenkapital. Doch berücksichtigte man die Anteile, die die Gruppe in den fast zwei Jahrzehnten, die seit damals vergangen waren, verkauft hatte sowie jene neuen Aktien, die in der Zwischenzeit an die Mitarbeiter ausgegeben und im Rahmen der Fusion mit Dean Witter begeben worden waren, so konnten die missmutigen alten Männer von Glück reden, wenn sie als Gruppe zu den größten zehn Aktionären von Morgan Stanley zählten. Und im Board, der eindeutig auf der Seite von Purcell stand, benötigten sie eine Dreiviertelmehrheit, um den CEO abzusetzen.
Selbst wenn die Klagen über Purcells Methode der Unternehmensführung begründet waren, ist nur schwer nachzuvollziehen, warum die missmutigen alten Männer nicht so vernünftig waren, ihre Aktien zu verkaufen und ihres Weges zu gehen, anstatt eine Pressekonferenz zu geben. Um es anders auszudrücken: Man muss sich fragen, warum eine Gruppe von ansonsten intelligenten Bankern, die nach Ansicht vieler Beobachter zu den brillantesten Köpfen ihrer Generation zählten, einen Angriff startete, der nur Aussicht auf Erfolg hatte, wenn es gelang, in der Firma, die sie zu lieben behaupteten, einen derartigen Aufruhr anzuzetteln, dass der Board zum Handeln gezwungen würde. Und als der Board am 13. Juni 2005 tatsächlich handelte und Purcell zum Rücktritt zwang, hatten Dutzende der besten Mitarbeiter Morgan Stanley den Rücken gekehrt. Einige hatte Purcell im Kampf um die Macht zum Verlassen der Firma gezwungen. Andere unterzeichneten verlockende langfristige Verträge bei Konkurrenzfirmen, die die Instabilität von Morgan Stanley ausnutzten. Und einige waren derart angewidert von den Vorgängen in der Firma, dass sie es dort nicht länger aushielten.
Die missmutigen alten Männer hatten gesiegt. Doch der Preis für diesen Triumph war eine erhebliche Schwächung der zunächst führerlosen Firma, die nun weniger als je zuvor in der Lage war, ihre einstige Größe wiederzuerlangen. Obwohl John Mack wenige Wochen nach Purcells Rücktritt wieder die Führung von Morgan Stanley übernahm, ist bisher keiner der hochrangigen Banker, die im Jahr 2005 ausschieden, zurückgekehrt. Wenn es nach der von Business Week veröffentlichten Liste der 100 führenden globalen Marken ging, so schaffte es Morgan Stanley im Jahr 2005, mehr Markenwert zu verlieren als jedes andere amerikanische Unternehmen in dieser Gruppe (der Verlust belief sich auf 15 Prozent oder nahezu 2 Milliarden Dollar). Der Aufruhr im Management und der Sturz Purcells hatten nach Einschätzung der Zeitschrift »der ausgezeichneten Reputation der Firma schweren Schaden zugefügt«.1
Was war der Grund für den anscheinend selbstzerstörerischen Kreuzzug dieser Männer, die Morgan Stanley in friedfertigeren Tagen angehört hatten? Die Unzufriedenheit mit Purcells Management ist keine ausreichende Erklärung. Böse Zungen behaupten, der Putschversuch sei möglicherweise »das letzte Aufbäumen einer zum Tod verurteilten Wall Street gewesen, die von an Eliteuniversitäten ausgebildeten Investment-Bankern aus gutem Haus beherrscht wurde«.2 Wenn diese Interpretation richtig ist, so kam zu ihrer persönlichen Abneigung gegenüber Purcell noch die Scham darüber, dass sie selbst Beihilfe dazu geleistet hatten, den Tempel für die Ungläubigen zu öffnen. »Es war eine Fusion von Patriziern und Plebejern, und die größte Ironie war, dass die Plebejer schlauer waren als die Patrizier«, schreibt der Historiker Ron Chernow, der die definitive Geschichte von Morgan Stanley verfasst hat.3
Obwohl in dieser Deutung des Machtkampfs zwischen der alten Garde und den Emporkömmlingen mehr als ein Körnchen Wahrheit steckt, ist dies nicht die ganze Geschichte. Es mag sein, dass S. Parker Gilbert, der Stiefsohn von Harold Stanley und Sohn eines legendären Partners von J. P. Morgan, der unter Andrew Mellon als noch nicht Dreißigjähriger die Treasury-Abteilung geleitet hatte, dem Stereotyp des klassischen Morgan-Partners gut entsprach. Aber die Partner, die Fishers Altersgruppe oder der folgenden Generation angehörten, waren keineswegs eine homogene Gruppe und standen für einen entschlossenen Bruch mit der Vergangenheit. Fisher selbst war der Sohn eines Klebstoffvertreters und kämpfte tapfer gegen eine Behinderung an, die er infolge einer Kinderlähmung erlitten hatte. Lewis Bernard, der bedeutsame strategische Neuerungen durchsetzte, war im Jahr 1963 als erster Jude bei Morgan Stanley aufgenommen worden – bevor man ihn einstellte, hielt man Rücksprache mit ausgewählten Klienten, von denen einer, wie die Firma beschämt feststellen musste, selbst Jude war. Sogar Bob Greenhill, der ebenfalls ein Sohn von Einwanderern war, war sehr umstritten, da er in den frühen M&A-Schlachten in den siebziger Jahren als erster Banker zu einer Berühmtheit wurde. Die Ironie wollte es, dass Greenhill kein Freund, sondern ein Widersacher Fishers war und dessen Begräbnis fernblieb.
Doch so revolutionär Fishers Generation zu ihrer Zeit war, kann man es nicht als Heuchelei bezeichnen, dass sie nun für sich in Anspruch nahmen, die Hüter der alten Werte von Morgan Stanley zu sein. Denn trotz aller dramatischen Veränderungen, die sie herbeiführten, hielten sie sich immer an den einfachen Grundsatz von J. P. Morgan Jr., der erklärt hatte, seine Firma mache nur »erstklassige Geschäfte auf erstklassige Art und Weise«. Will man die Wut und Enttäuschung der missmutigen alten Männer richtig verstehen, so muss man sich vor Augen halten, dass sie dieses Prinzip systematisch bedroht sahen. Doch die bedenklichen Veränderungen bei Morgan Stanley im vergangenen Jahrzehnt waren nicht in erster Linie auf Phil Purcells Führung zurückzuführen. So wie die entsprechenden Veränderungen in allen großen Investment-Banken wurden sie durch den beispiellosen Wirtschaftsboom und die anschließende schwere Krise ausgelöst, die beträchtlichen Druck auf die Grundsätze ausübten, an denen sich diese Firmen einst orientiert hatten.
Es ist viel über die verschiedenen »Spekulationsblasen« der neunziger Jahre geschrieben worden: über die Internetblase, die Telekomblase, die Technologieblase und die Börsenblase. Und es ist viel über den Beitrag der Investment-Banken zum Wachstum dieser Spekulationsblasen geschrieben worden. Sehr viel weniger ist über die eigene Spekulationsblase der Investment-Banken geschrieben worden. Während diese Banken in mancher Hinsicht die anderen Spekulationsblasen ermöglichten – beispielsweise, indem sie Hunderte spekulative Startups gegenüber den Investoren legitimierten und sich über die »Fairness« des unglaublichen Werts äußerten, der diesen Unternehmen beigemessen wurde –, wurden diese Firmen selbst ebenfalls von der beispiellosen Zahl von Transaktionen verwandelt, die die von ihnen freigesetzten Marktkräfte ermöglichten.
Die großen Investment-Banken, die vor mehr als einem Jahrhundert entstanden waren, mieden die Publicity und hatten eigenwillige Kulturen entwickelt, die auf Exklusivität, Integrität und Konservatismus beruhten. Diese Kultur erfüllte in einer Ära, in der die staatlichen Einrichtungen nicht in der Lage waren, den Markt zu regeln, eine nützliche selbstregulierende Funktion. Und sie war die Grundlage dafür, dass Unternehmensleiter, die sich in der neuen globalen Konsumgesellschaft behaupten mussten, eine vertrauenswürdige Finanzberatung über die richtige Vorgehensweise auf den immer komplexeren Märkten erhielten.
Diese Investment-Banker stellten nun plötzlich fest, dass sie selbst zu Investoren in der ungezügelten, atemlosen New Economy geworden waren und dass ihre Firmen eigene Berühmtheiten hervorbrachten. Gleichzeitig tauchte der prominente Unternehmensleiter auf, der zu der Überzeugung gelangte, dass die Loyalität zu einem Finanzberater nicht länger in seinem kurzfristigen Interesse war. Und in dieser Umgebung hing der Erfolg der Investment-Banker im Wettbewerb um Marktanteile oft von ihrer Bereitschaft ab, die geschäftlichen Prinzipien zu lockern. Der Boom beschleunigte den Wandel des Selbstverständnisses der Investment-Banker: Sie sahen sich nicht mehr als diskrete Berater und Vertrauenspersonen, sondern als geschäftliche Spürnasen, die ihre Dienste an den Meistbietenden verkauften und nicht nur der Rentabilität, sondern auch der Publicity nachjagten. Die Banken und ihre Starbanker waren nun keine bloßen Agenten ihrer Unternehmenskunden mehr, sondern wollten Hauptdarsteller im wirtschaftlichen Drama sein.
Als die Spekulationsblase im Jahr 2000 angestochen wurde, waren diese Banken kaum noch wiederzuerkennen. Der Versuch, ihre frühere Kultur, angesichts eines schrumpfenden Markts und einer zunehmenden Wachsamkeit der Aufsichtsbehörden ihre Reputation und ihre Rentabilität wiederherzustellen, stellte ihre Führungen erneut auf eine harte Probe. Und da ein Großteil dieser Führungen während des vorangegangenen Booms an die Macht gekommen war, fielen die Ergebnisse erwartungsgemäß uneinheitlich aus und entbehrten nicht der Ironie. Die prominenten »Starbanker« hatten sich viele Feinde gemacht – in ihren eigenen Firmen, bei den Regulierungsbehörden und in einigen Fällen sogar bei früher loyalen Firmenkunden. Einige wurden aus ihren Firmen gedrängt, einige wurden angeklagt, und einigen gelang es, ihr Image zu ändern und zu überleben. Die Branche, die diese Veränderungen hervorbrachten, hatte einiges an Vertrauen und Rentabilität verloren.
Im Jahr 1994 war ich ein Manager der mittleren Ebene in einer Fluggesellschaft. Eher zufällig landete ich in einem Job, in dem ich bei den beiden angesehensten Investment-Banken an der Wall Street aus nächster Nähe sowohl den Boom als auch den Crash verfolgen konnte. In diesem Buch erzähle ich die Geschichte des vergangenen Jahrzehnts aus diesem einzigartigen Blickwinkel. Ausgehend von meiner persönlichen Erfahrung bei Goldman Sachs und anschließend bei Morgan Stanley werde ich die Geschichte der Verwandlung dieser Branche erzählen. Ich werde versuchen, aufrichtig und verständlich zu schildern, wie diese Firmen arbeiten, was die Investment-Banker wirklich tun und wie die »Deals« abgewickelt werden. Und ich werde beschreiben, wie die Kulturen und die Strukturen dieser Firmen und der Branche insgesamt auf das beispiellose Wachstum und die folgende verheerende Rezession reagierten.
In diesem Buch geht es darum, wie die Kultur, die sich während des Booms entfaltete, die Integrität dieser Firmen untergrub, und warum es ihnen sehr schwerfallen dürfte, ihre frühere Rolle zurückzugewinnen. Neuartige Organisationen wie die milliardenschweren Hedgefonds und LBO-Firmen haben die Lücke gefüllt und einige der Funktionen übernommen, die einst den Investment-Banken vorbehalten waren. Ob diese Firmen, deren Tätigkeit kaum reguliert ist, von Vorteil für unsere Finanzmärkte oder unsere Kultur sein werden, ist fraglich. Sei es als Kapitalgeber oder als Arbeitgeber der besten Hochschulabsolventen: die Aktivitäten der Hedgefonds und LBO-Firmen werfen wichtige Fragen bezüglich der Transparenz und des Risikoprofils unserer Wirtschaft sowie bezüglich der von der Wirtschaft verfochtenen Werte auf.
Dass die Investment-Banken ein auf der langfristigen Beziehung zum Klienten und tief verwurzelten Werten beruhendes Geschäftsmodell durch ein aggressiveres, opportunistischeres und auf die Transaktionsabwicklung fixiertes Modell ersetzten, war kein Ergebnis der Internetära. Verschiedene strukturelle und gesetzliche Veränderungen hatten die Branche schon in den vorangegangenen Jahrzehnten Schritt für Schritt in diese Richtung gelenkt. Der Boom Ende der neunziger Jahre beschleunigte lediglich den Wandel, sodass viele dieser Firmen innerhalb weniger Jahre nicht mehr wiederzuerkennen waren.
Es gab eine Zeit, da wägte der Investment-Banker seine Verpflichtungen gegenüber dem Klienten, der Firma und den Märkten ab. Der Klient arbeitete möglicherweise schon seit Generationen mit der Firma zusammen. Das Ansehen der Bank galt als ihr wichtigster Vermögenswert. Die internen Standards für den Schutz der Investoren gingen deutlich über die gesetzlichen Erfordernisse hinaus. Und der Aufstieg eines Investment-Bankers hing im Wesentlichen davon ab, inwieweit es ihm gelang, gleichzeitig dem Klienten zu dienen, der Firma Erträge zu sichern und die Gesellschaft zu schützen.
Dieses Ideal wurde von einer Kultur der Ungewissheit ersetzt, von dem Bewusstsein, dass nicht nur jeder Tag dein letzter sein konnte, sondern dass der eigene Wert ausschließlich davon abhing, wie hohe Erträge man an diesem Tag für die Firma erzielte – gleichgültig, womit das Geld verdient wurde. Auf dem Höhepunkt des Booms im Jahr 1999 wechselte ich von Goldman Sachs zu Morgan Stanley. Diese einst vornehme Firma kämpfte mittlerweile mit der relativ jungen Firma Donaldson, Lufkin und Jenrette um die Führungsposition auf dem Markt für Junk Bonds, eine Position, die seit dem endgültigen Zusammenbruch von Michael Milkens Firma Drexel Lambert im Jahr 1999 vakant war. Drexel hatte die Junk Bonds hoffähig gemacht, und nun hatten verschiedenste hoch verschuldete spekulative Unternehmen – das heißt Unternehmen, die das genaue Gegenteil der ursprünglichen Kundschaft von Morgan Stanley waren – Zugang zu den Anleihenmärkten. Morgans beste Waffe in diesem Krieg war die Bereitschaft der Firma, »aufstrebende« Telekomunternehmen mit gewaltigen Kapitalerfordernissen zu finanzieren. Damit erreichte das Risiko ein neues Niveau, denn bis zu diesem Zeitpunkt waren auch unter den Emittenten von Junk-Bond-Anleihen eher wenige Unternehmen, die überhaupt keine Bareinnahmen erzielten. Die jungen Telekomunternehmen hatten im Allgemeinen keinerlei Cashflow vorzuweisen und arbeiteten mit vollkommen neuen Geschäftsmodellen. Dasselbe galt auch für die neuen Internetunternehmen, doch diese waren im Allgemeinen zumindest so vernünftig, sich kein Geld zu borgen.
Die Banker von Morgan Stanley, die im Streben nach Marktanteilen, Gebühren und internem Status diese fragwürdigen Telekomkredite durchsetzten, prägten ein Akronym, das durchaus der Schlachtruf der gesamten zeitgenössischen Investment-Banking-Branche hätte sein können: »IBG YBG« stand für »I’ll Be Gone, You’ll Be Gone«. Kam im Lauf der Due-Diligence-Prüfung eines dieser Unternehmen eine besonders bedenkliche Information zum Vorschein, so sorgte ein geflüstertes »IBG YBG« dafür, dass ein Weg gefunden wurde, um das Geschäft trotzdem über die Bühne zu bringen, selbst wenn die Investoren oder auch Morgan Stanley selbst später den Preis dafür bezahlen mussten. »Macht euch keine Gedanken«, flüsterten die Banker einander zu, »bis dahin sind wir längst über alle Berge.«
Im April 2005 wurde Daniel H. Bayly, der ehemalige Leiter der Investment-Banking-Abteilung von Merrill Lynch, wegen Verschwörung und Betrugs in Zusammenhang mit der berüchtigten Enron-Transaktion zu 30 Monaten Gefängnis verurteilt. Merrill hatte einen Anteil an drei nigerianischen Lastschiffen von Enron »erworben«, um Enron die Möglichkeit zu geben, rechtzeitg vor Bekanntgabe seiner Ertragszahlen einen Gewinn zu verbuchen. Enron hatte sich insgeheim verpflichtet, die Schiffe sechs Monate später zurückzukaufen. Als Gegenleistung für ihre Mühe erwartete sich die Investment-Bank zukünftige Aufträge von Enron. Nachdem Bayly und drei weitere ehemalige Führungskräfte von Merrill Lynch für ihre Beteiligung an der Transaktion verurteilt wurden, ging ein Aufschrei der Empörung durch die Investment-Banking-Gemeinde. Doch die Banker beklagten nicht den Verfall der Standards in der Branche. Vielmehr richtete sich die Kritik der Firmen gegen die vermeintliche Überhärte der Strafverfolgungsbehörden.4 Hinter dem hochtrabenden Gerede über die Gefahren einer Kriminalisierung aggressiver Geschäftspraktiken versteckte sich jedoch ein eher eigennütziger Gedanke: Es hätte auch mich treffen können.
Die Versuchung ist groß, den Aufstand der »missmutigen alten Männer« als anachronistischen Versuch der Rückkehr in eine reaktionäre Zeit abzutun, die zum Glück der Vergangenheit angehört. Doch für diese Männer und ihre Generation hatte der Grundsatz, »nur erstklassige Geschäfte auf erstklassige Art und Weise zu machen«, tatsächlich Bedeutung. Es ist kein übertrieben romantischer Gedanke, dass auf dem Weg von diesem Grundsatz zu »IBG YBG« etwas Wertvolles verloren gegangen ist. Und vielleicht bestand das eigentliche Ziel des Kampfs der missmutigen alten Männer gegen Phil Purcell darin, die Welt an das zu erinnern, was das Investment-Banking einst war, und uns dazu zu bewegen, darüber nachzudenken, ob eine Rückkehr zu den alten Werten nicht wünschenswert wäre.
»Hillsdown Holdings!«, schrie die riesige Gestalt, die sich über meinen Schreibtisch beugte.
Ich hätte mich beinahe an der Fleischpastete verschluckt, die ich mir an diesem ansonsten ganz normalen, ruhigen Tag im Londoner Büro von Bankers Trust zum Mittagessen besorgt hatte. Andrew Capitman, ein aus New York gekommener altgedienter Experte für Fusionen und Übernahmen, sah mich mit einem zufriedenen, verschwörerischen Grinsen an. Ich starrte seine Furcht einflößende Erscheinung mit vollem, aber weit aufgerissenem Mund an. Capitman erwartete offensichtlich, dass ich den tieferen Sinn der zwei Worte verstünde, die er gerade ausgespuckt hatte. Nach einigen Augenblicken eisiger Stille verschwand das Grinsen aus seinem Gesicht, denn ihm wurde klar, dass ich keine Ahnung hatte, wovon er sprach.
»Hühnchen«, schrie er noch lauter. Anscheinend ärgerte es ihn, dass dieses dritte Wort nötig war, um mir die Tragweite der Situation zu erklären.
»Ach so, ja, großartig«, stammelte ich kleinlaut. Ich hatte keine Vorstellung davon, worauf ich mich einließ.
Ich hatte eigentlich nie ernsthaft vorgehabt, Investment-Banker zu werden. Die Business School hatte ich eher zum Spaß besucht. Ich hatte die Jahre 1983 und 1984 auf Kosten der Rotarier in Dublin am Trinity College verbracht. Als die Party zu Ende ging, wurde mir klar, dass ich anschließend etwas tun müsste, um Geld zu verdienen. Die geisteswissenschaftlichen Studien hatten mir gefallen, doch ich hoffte, irgendwann einige Ideen in die Praxis umsetzen zu können, und so bewarb ich mich an der Yale Law School. Dann erzählte mir jemand, die Stanford Business School sei unter den Managementhochschulen dass, was Yale unter den juristischen Fakultäten sei. Ich wusste nicht genau, was das bedeutete, aber ich nahm an, damit sei gemeint, dass die schwierigste Aufgabe darin bestand, hineinzukommen. Mein Interesse an einem MBA-Titel war rein philosophischer Natur und entsprang meiner jugendlichen Skepsis gegenüber dem neuen Berufsbild des »professionellen Managers« als zeitgenössischer Kulturikone. Abgesehen von meinem Hochmut gefiel mir der Gedanke, dass sich nie jemand mir gegenüber wichtig machen könnte, indem er behauptete, mehr zu wissen als ich, weil er einen schicken MBA-Titel hatte.
Als ich von beiden Hochschulen aufgenommen wurde, klemmte ich mich ans Telefon und fand rasch etwas Wichtiges heraus: So sehr sich diese Einrichtungen in anderen Bereichen ähneln mochten, vom Kundendienst hatten sie ganz unterschiedliche Vorstellungen. Während die Yale Law School bereit schien, fast alles zu tun, um einen Studenten für sich zu gewinnen, den sie der Aufnahme für würdig erachtet hatte, schien Stanford ungehalten darüber, dass man sich nicht darauf beschränkte, ihr großzügiges Angebot anzunehmen. Schließlich gelangte ich zu der Überzeugung, dass ich die Aufnahme in Stanford um ein Jahr hinausschieben und bis dahin nach Yale gehen könne, um anschließend in den zwei Jahren in Stanford so viele Kurse doppelt zu zählen, dass es mir möglich sein würde, die Sache schneller hinter mich zu bringen als ein herkömmliches Jura-/MBA-Studium an einer einzigen Hochschule. Indem ich das Gemeinschaftsdiplom erwarb, tauschte ich im Grunde ein Jahr in New Haven gegen etwas weniger als zwei Jahre in Palo Alto. Ich hatte mir beide Hochschulen angesehen und wusste, dass dies ein gutes Geschäft war. Der MBA würde ein zusätzlicher Preis dafür sein, dass ich auf diese tolle Idee gekommen war.
Meine erste und, wie ich zu jener Zeit glaubte, letzte Erfahrung im Investment-Banking machte ich in jenem Ferienjob bei Bankers Trust im Jahr 1987, wo ich mir den Vortrag über Hühner anhören musste. Viele gute Freunde aus dem Trinity College waren nach London gegangen, und ich war sehr interessiert an einer einträglichen Arbeit, die mich über den Atlantik bringen würde. Bankers Trust kämpfte zu jener Zeit verzweifelt um den Aufstieg in die Gruppe der besten Investment-Banken und handhabte Ferienjobs deutlich flexibler als die wirklichen Spitzenbanken. Zudem zahlte die Bank Auslandsamerikanern unglaublich großzügige Gehälter, die vermutlich für Handelsbanker bestimmt waren, die an unattraktive Außenposten in Entwicklungsländern versetzt wurden, jedoch aus unerklärlichen Gründen auch Personen angeboten wurden, die nur für einen Sommer als Praktikanten nach London gingen. Neben einem Wochengehalt von 1.000 Dollar stellten sie mir eine schöne Einzimmerwohnung in der schicken Sloane Street samt Reinigungsdienst zur Verfügung. Ich konnte unbegrenzt auf Firmenkosten telefonieren und erhielt eine steuerfreie tägliche Spesenentschädigung in Höhe von 50 Dollar. Das Leben war schön.
Allerdings war die Arbeit nicht sehr interessant. Die von Margaret Thatcher durchgesetzte »Big-Bang«-Deregulierung der britischen Finanzmärkte im Jahr 1986 hatte bei den amerikanischen Geldinstituten eine Goldgräbermentalität geweckt, und nun stürzten sie sich auf die vermeintlichen Chancen auf diesem Markt. Sie erhielten erstmals Zugang zur Londoner Börse und beeilten sich, Niederlassungen zu gründen oder den bestehenden Betrieb rasant auszubauen. Doch aus dem Urknall wurde nichts. Es platzte lediglich eine Seifenblase.
Unter den neuen Regeln konnten ausländische Finanzinstitute britischen Klienten eine Reihe von Finanzdienstleistungen anbieten, doch die größten Gewinne rechneten sich die amerikanischen Banken anfangs im Bereich von Fusionen und Übernahmen (M&A) aus. Ein M&A-Berater vertritt ein Unternehmen bei der Wahl eines Übernahmezieles oder beim Verkauf einer Tochtergesellschaft, eines Geschäftsbereichs oder des ganzen Unternehmens zum höchsten möglichen Preis. Da die meisten Unternehmen vollauf damit beschäftigt sind, ihrer Tätigkeit nachzugehen, gilt es allgemein als gute Investition, für eine Fusion oder Übernahme einen Experten zu engagieren, der alle Tricks des Geschäfts kennt und die Transaktion gut über die Bühne bringen kann. So hoffen die Unternehmen eine Ablenkung ihrer Manager zu vermeiden. Der M&A-Berater erhält üblicherweise einen kleinen Prozentsatz der Transaktionssumme als Honorar, wobei sich dieser Betrag bei einer großen Fusion oder Übernahme auf mehrere Millionen Dollar belaufen kann. In der Theorie war dieses Geschäft für einen neuen Marktteilnehmer verlockend, da man nicht viel Personal oder Kapital dafür brauchte. Eine große Handelsabteilung war ebenso wenig erforderlich wie große Investitionen. Das einzige, was man brauchte, um das Geschäft auf die Beine zu stellen, war eine Handvoll wendiger, gut bezahlter und professionell wirkender Mitarbeiter.
Das Problem mit dieser Theorie war, dass die britischen Manager nicht daran gewöhnt waren, für eine Beratung beim Kauf und Verkauf von Unternehmen zu bezahlen – und schon gar nicht die Honorare, die in den Vereinigten Staaten üblich waren. Der Großteil der Beratungsgebühren ging an die großen britischen Finanzinstitute, die die einheimischen Unternehmen seit Generationen betreuten. So standen die amerikanischen Newcomer vor einer doppelten Herausforderung: Sie mussten die britischen Unternehmen nicht nur davon überzeugen, dass sie in einer solchen Situation überhaupt einen Berater brauchten, sondern sie mussten sie auch dazu bringen, für eine Zusammenarbeit mit den Yankee-Invasoren ihre langjährigen Beziehungen zu den einheimischen Banken aufs Spiel zu setzen, die vielfach durch komplexe gesellschaftliche und persönlichen Bande gefestigt waren.
Bankers Trust hatte sich ein winziges Bröckchen des ohnehin kleinen Stücks am britischen M&A-Kuchen gesichert, das die amerikanischen Institute untereinander aufteilen mussten. Das hatte zur Folge, dass die M&A-Experten des Unternehmens den Großteil ihrer Zeit damit verbrachten, sich Geschäfte auszudenken, auf Verdacht Unternehmen anzurufen und die gelegentlichen Chancen zu nutzen, ihre Dienste bei einem Treffen anzupreisen – wobei ihnen der Erfolg fast immer versagt blieb. Investment-Banken, die Verkaufsgespräche mit Unternehmen führen, bringen üblicherweise einen Vorschlag für eine Transaktion mit, der ihnen die Aufgabe erleichtern soll. Dieser unverzichtbare Bestandteil des Lebens eines Investment-Bankers wird als »Pitch Book« bezeichnet.
Heute noch stellt die geistlose Zusammenstellung dicker Pitch Books die wahrscheinlich uninteressanteste Tätigkeit für die jungen Analysten und Associates der Investment-Banken dar. Das typische Pitch Book ist viele Seiten stark und aus einem unerfindlichen Grund blau (daher das Synonym »Blue Book«). Der Inhalt besteht aus (1) ansprechend gestalteten Zusammenfassungen der öffentlich zugänglichen Informationen über den potenziellen Klienten, seine Konkurrenten, seine Branche und alle Unternehmen, die an einem Kauf interessiert sein könnten, (2) Standardseiten, auf denen sämtliche Investmentprodukte beschrieben werden, die für den Klienten interessant sein könnten – »Das gegenwärtige Fusionsumfeld«, »Die gegenwärtige Situation auf dem Markt für Beteiligungskapital«, »Einige von uns abgewickelte Transaktionen« usw. – und schließlich (3) Referenzen im Bereich des Investment-Banking samt attraktiv gestalteten Logos der in der Vergangenheit betreuten Unternehmen sowie »Ligatabellen«, aus denen hervorgehen soll, dass derjenige, der diese Referenzen präsentiert, den größten Marktanteil im Bereich des angepriesenen Produkts besitzt. Zu den vergnüglichsten Bestandteilen jedes Pitch Books gehören die gewundenen Fußnoten zu den Ligatabellen, die jedermann, der dabei nicht in Lachen ausbrechen wird, in die Lage versetzt, sich als Nummer eins darzustellen: »Seit 1. Januar XXXX abgeschlossene Transaktionen mit einem Wert von mehr 500 Dollar.« Oder: „Mit Ausnahme von seit 1. Januar XXXX abgeschlossenen Transaktionen mit einem Wert von mehr 500 Dollar.« Oder: »Transaktionen Comcast/AT&T und AOL/Time Warner nicht in der Tabelle enthalten.« So mancher Analyst schlägt sich viele Nächte um die Ohren, um die Daten so zurechtzustutzen, dass der Beweis für die Marktführerschaft seines Arbeitgebers nicht allzu lächerlich wirkt. Man kann es den Analysten verzeihen, dass sie gelegentlich versucht sind, sich geschlagen zu geben und einfach eine allgemeingültige Tabelle für alle Produkte zu allen Zeiten zu erstellen, in der nur stünde: WIR HALTEN EINEN MARKTANTEIL VON 100 PROZENT AN ALLEN VON UNS ABGEWICKELTEN GESCHÄFTEN.
Ach ja, eines hätte ich fast vergessen: Manchmal, wenn auch keineswegs immer, verbirgt sich in dem zwischen den beiden blauen Pappendeckeln eingeklemmten Papierstapel tatsächlich eine realisierbare Idee für ein strategisches Geschäft. Und bei sehr seltenen Gelegenheiten ist diese Idee sogar gut durchdacht oder originell. Trifft beides zu, so handelt es sich um ein Gut von unschätzbarem Wert.
Ironischerweise fördern die Klientenstudien durchweg eine Erkenntnis zutage, die eigentlich weniger überraschend sein sollte, als sie stets auf das Management der Investment-Banken zu wirken scheint: Ein Pitch Book zu lesen ist nicht vergnüglicher, als es zusammenzustellen. Es liegt eigentlich auf der Hand, warum die Klienten diese Bücher hassen.
Weniger klar ist, warum die Banker der mittleren und manchmal auch der höheren Ebene weiterhin darauf bestehen, solche Wälzer zu produzieren. Eine einfache Antwort lautet: Sie haben Lampenfieber. Ein Bankmanager, der ohne ein solches Buch zu einer Sitzung erscheint, fühlt sich ähnlich wie ein Theaterschauspieler, der zum ersten Mal einen Auftritt aus dem Gedächtnis absolviert. Man steht ganz allein vor dem Publikum und ist vollkommen auf den eigenen Verstand angewiesen. Das kann eine Furcht einflößende Situation sein. Das Publikum des Schauspielers besteht aus einem allwissenden Regisseur und den Kollegen, nach deren Anerkennung er sich sehnt. Das Publikum des Bankers sind ein Unternehmensleiter oder ein anderer Spitzenmanager, der wahrscheinlich mehr über sein Unternehmen vergessen hat, als der Banker jemals lernen kann, und sich vermutlich schon zahlreiche Präsentationen von anderen Bankern angehört hat. Das Ansehen und der Erfolg eines Bankers »auf dem Markt« hängen nicht zuletzt davon ab, welchen Eindruck er in seinen zahlreichen Treffen mit Unternehmensführungen auf die Managergemeinde macht. Daher kann es eigentlich nicht überraschen, dass die Unerfahrenen und Unsicheren darauf beharren, ein Pitch Book mitzunehmen, an das sie sich klammern können, oder sich in den Sitzungen mit einer schützenden Hülle aus jüngeren Gehilfen zu umgeben, deren spezifische Rollen für den Manager des Kundenunternehmens oft ein Geheimnis bleiben (die Größe des Kontingents kommt in der Liste der häufigsten Klientenbeschwerden üblicherweise direkt nach der Dicke des Pitch Books).
Etwa einmal im Jahr – üblicherweise nach der Durchführung einer teuren Umfrage unter den Klienten – ziehen die Investment-Banken auf den Kriegspfad gegen dicke Pitch Books. Es werden Höchstgrenzen für die Seitenzahl vorgeschrieben, und die Bankbürokraten werden mit einer Überprüfung der Bücher beauftragt. Die Ergebnisse sind zwangsläufig ebenso bedeutungslos wie kurzlebig. Die Auswirkung einer solchen Schreckensherrschaft auf ein 70 Seiten dickes Pitch Book mit sieben Kapiteln besteht darin, dass es sich in ein 30 Seiten dickes Pitch Book mit drei Kapiteln verwandelt – zu denen vier Anhängen mit insgesamt 40 Seiten kommen, die als »Hintergrundinformation« auf dem Tisch des Klienten hinterlassen werden.
Zu der Zeit, als ich bei Bankers Trust in London arbeitete, fielen mir diese Nuancen selbstverständlich nicht auf. Ich wusste lediglich, dass die Herstellung von Pitch Books keine besonders anregende Beschäftigung war. Die Investment-Banking-Gruppe wurde von einem schlanken, gut aussehenden und eleganten Briten namens Colin Keer geleitet. Er war immer perfekt frisiert und begegnete den lärmenden amerikanischen Bankern, die in seine vornehme Welt hineingeplatzt waren, mit distanzierter, ungläubiger Nachdenklichkeit. Doch er schien Spaß zu verstehen, war durch nichts aus der Ruhe zu bringen und zeigte überraschende Anflüge von Großzügigkeit und Menschlichkeit, was mir als Summer Associate die Gewissheit gab, dass die Dinge nie vollkommen außer Kontrolle geraten würden.
Andrew Capitman war von Keer mit der Leitung der Gruppe Fusionen und Übernahmen betraut worden. Dieser Gruppe hatte man mich zugeteilt. Ich erinnere mich nicht, ob Capitman tatsächlich stets eine nicht brennende Zigarre im Mund hatte, während er seine Befehle brüllte, aber er wirkte wie eine Karikatur, und deshalb habe ich ihn so in Erinnerung behalten. Man sah Keer und Capitman nicht allzu oft gemeinsam, doch wenn sie zusammentrafen, waren sie ein Paar, das man mit Laurel und Hardy auf eine Stufe stellen konnte.
Ich lernte die Pitch Books etwa zur selben Zeit kennen, als ich erstmals die Worte »Hillsdown Holdings« hörte.
»Haben nächste Woche einen Termin bei denen«, hatte Capitman auf meinen wenig überzeugenden Versuch geantwortet, Interesse zu zeigen. »Stellen Sie ein Buch zusammen.« Mit diesen Worten kehrte er mir den Rücken zu und ging
»Unternehmen in Bewegung!«, schrie er mir über die Schulter zu, als er hinter eine Ecke verschwand. »Also Marsch!«
Wie sich herausstellte, war Hillsdown ein sehr schwieriges Ziel für einen amerikanischen Investment-Banker. In Großbritannien, das in Finanzfragen konservativ ist, galt Hillsdown als »das kauffreudigste Unternehmen des Landes«.1 Das im Jahr 1975 von einem Londoner Rechtsanwalt und einem zum Investor gewandelten Fleischhauer gegründete und 1985 an die Börse gebrachte Unternehmen konzentrierte sich auf die preisgünstige Übernahme unterbewerteter Unternehmen. In den folgenden Jahren kaufte das vielgestaltige Firmenkonglomerat mehr als 100 Unternehmen.
Obwohl Buxted Poultry Ltd., der Teil von Hillsdown, der mit Hühnern zu tun hatte, nicht der größte Bereich des Unternehmens war, war Capitman selig, einen Termin bekommen zu haben. Und offensichtlich erwartete er von uns, dass wir bei der Präsentation etwas Bedeutsames zu sagen hätten.
Hühner. Ich wusste nicht viel über Hühner, obwohl dies mein Lieblingsfleisch war. Ich wusste, dass die Konsumenten, die weißes Fleisch vorzogen, bei Kentucky Fried Chicken mittels eines unfairen Preisaufschlags diskriminiert wurden. Und ich erinnerte mich vage daran, dass einer meiner Urgroßväter in Polen seinen Lebensunterhalt mit der Tötung von Hühnern verdient hatte und dass meine Großmutter gegenüber Nachbarn, deren Väter weniger gehobene Positionen bekleideten, mit seinem noblen Beruf geprahlt hatte. Sie hatte mich glauben gemacht, dass ein Hühnerkiller (jiddisch »schoichet«) in der Hierarchie der heiligsten und angesehensten Mitglieder der jüdischen Gemeinde Warschaus direkt nach dem Oberrabbiner kam. Aber damit waren meine Kenntnisse und mein Interesse an Hühnern auch schon erschöpft.