Werden Sie genau in diesem Moment das Süße wie auch das Bittere akzeptieren, Geschichten vom Möglichen leicht nehmen und Autor oder Autorin Ihres eigenen Lebens sein, das Sie als sinnvoll und bedeutsam erachten und zu dem Sie jedes Mal, wenn Sie sich davon abwenden, wieder freundlich lächelnd zurückkehren?
Lassen Sie sich nicht von dem Umschlag zum Narren halten. Ein Buch ist etwas Lebendiges, es bewegt und entfaltet sich, wie das Leben. Es ist nicht an Seiten oder Autoren oder Lehrmeinungen gebunden. Sie werden nicht beim Druck geboren, sondern beginnen erst dann zu leben, wenn sie gelesen werden. Daher danken wir als Ersten Ihnen, den Lesern. Sie würdigen unser Schaffen, schenken uns Ihre Zeit und Ihre Aufmerksamkeit, und dafür sind wir Ihnen aufrichtig dankbar.
Akzeptanz und Commitment Therapie (ACT) ist vor allem und ganz grundsätzlich eine Gemeinschaftsarbeit. Unser Dank geht deswegen an alle, die zu diesem Werk, seiner Entwicklung und Verbreitung beigetragen haben, besonders aber an Kellys Leute in Ole Miss und an unsere Lehrer und Lehrerinnen, wo auch immer sie sich inzwischen befinden mögen.
Wir danken den Leuten vom Verlag New Harbinger, die diese Publikation während ihrer langen und qualvollen Schwangerschaft begleitet haben, besonders Catharine Sutker, Jess Beebe und Nelda Street, ausdrücklich aber Heather Mitchener, die auch als Überredungskünstlerin von Fenstersprungkandidaten Karriere machen könnte, falls die Verlagsleitung nichts mehr für sie wäre.
Und schließlich und vor allem möchten wir ganz herzlich unseren Familien danken, Dianna, Chelsea, Emma, Sarah und allen anderen, die uns mit ihrer Nachsichtigkeit und Unterstützung geholfen haben, diesen Zirkus hier mitzumachen und ein Buch zusammenzukritzeln, statt ihnen unsere gebührende Aufmerksamkeit zu schenken.
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Doch, Mäuschen, mehr schon ist zerronnen
In Nichts, was Vorsicht klug ersonnen!
Was Mäus‘ und Menschen fein gesponnen,
Geht scheitern oft,
Und läßt uns Gram nur statt der Wonnen,
Die wir gehofft!
Robert Burns, „An eine Maus“ (Burns 1997, S. 111)
An einem Dienstagmorgen im Jahre 2001 machte sich ein Weinvertreter in seinem Apartment in Berkeley, Kalifornien, fertig, um zur Arbeit zu gehen. Nachdem er geduscht und sich rasiert hatte, zog er einen schlecht sitzenden Nadelstreifenanzug an und stieg in ein Paar abgetragene schwarze Schuhe. Mit Entsetzen stellte er fest, dass seine blaue Krawatte beim Mittagessen am Tag zuvor einen Fettfleck abbekommen hatte. Der Vertreter stand immer zeitig auf, um auf dem Weg zu seiner Arbeitsstelle in der City von San Francisco nur ja nicht in einen Stau zu geraten. Seine Freundin, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln fuhr und sich den Luxus leisten konnte, eine Stunde länger zu schlafen, lag noch im Bett.
Der Vertreter fand sich selbst für diese Art von Arbeit ungeeignet. Er war einfach nicht der Typ Mensch, der an die Tür klopft, seine Ware anpreist und dann wieder geht, gleichgültig, ob er etwas verkaufen konnte oder nicht. Jede Ablehnung nahm er persönlich. Jedes neue Nein stach ein wenig mehr als das vorige. Es verletzte ihn, wenn seine Frage, „Wie viel möchten Sie bestellen?“ wieder einmal mit „Heute nichts, danke“ beantwortet wurde. Dagegen war er nicht gewappnet, immer fühlte er sich gedemütigt.
Beim Zähneputzen ging er in Gedanken die Namen und Gesichter aller Weinhändler San Franciscos durch, die ihm später eine Abfuhr erteilen würden. Doch er konnte sich nicht konzentrieren, kein einziges Gesicht zeichnete sich vor seinem inneren Auge ab. Alle verschmolzen zu einem einzigen.
Wenn man ihm nichts abkaufte, würde er sein Soll nicht erfüllen, und das bedeutete Provisionsverlust. Aber es war nicht nur das. Da war auch die Unsicherheit, woran er bei seinem Chef war beziehungsweise bei dessen Chef. Der Vertreter war noch neu, übte diese Tätigkeit erst seit einem Jahr aus. Bisher hatte er seine Quote immer geschafft, aber jeden Monat kostete es ihn mehr Mühe. Dabei sprach der Abteilungsleiter ihm ab und an aufmunternde Nachrichten auf die Mailbox und auf der letzten Verkaufsbesprechung hatte man seine Performance gelobt. Doch es war nur eine Frage der Zeit. Wenn seine Vorgesetzten dahinterkämen, wie sehr er sich anstrengen musste, um sein Soll zu erfüllen, oder dass er an jedem Monatsende am Rande des Scheiterns stand, dann würden sie ihn sicher, ohne lange darüber nachzudenken, hinauswerfen.
Nun war da auch noch seit zwei Wochen dieses anklagende Schweigen seiner Vorgesetzten. Als gingen sie auf Tauchstation. Was mochte das nur bedeuten? Wenn sie sauer auf ihn wären und ihn sich wegen seiner Zahlen zur Brust nehmen würden, das wäre zwar schlimm – aber ihm so die kalte Schulter zu zeigen, das war schier unerträglich.
Am Tag zuvor hatte er der Möglichkeit einer weiteren Ablehnung nicht ins Auge sehen können. Er war zu seinem ersten Termin gefahren, hatte sechs Straßen weiter weg geparkt und war zu Fuß zur Weinhandlung gegangen. Dann stand er vor dem Eingang mit der Hand am Türknauf und brachte es nicht über sich, ihn herumzudrehen. Ein paarmal ging er ums Karree. Und jedes Mal stand er wieder schwitzend und mit Herzklopfen vor der Tür und schaffte es nicht, sie zu öffnen und einzutreten.
Schließlich gab er auf, fuhr ans Meer und parkte dort. Ganze sechs Stunden hockte er im Auto, starrte über die Bucht und fühlte sich wie in Isolationshaft. Alle zwei, drei Minuten wählte er seine Mailbox an, hämmerte das Passwort in die Tastatur und wartete. Aber worauf? Was wollte er denn hören? Die vorwurfsvolle Stimme seines Kunden, der wissen wollte, warum er nicht erschienen war? Die angespannte, doch kontrollierte Stimme des Abteilungsleiters, der ihn zu einer kleinen Unterredung in sein Büro zitierte? Doch er hörte gar nichts. Die weibliche Computerstimme am anderen Ende sagte nur das, wovor er sich am meisten fürchtete: „Sie haben keine neue Nachricht.“
Zwischen seinen Mailboxanrufen klingelte weder sein Handy noch ging sein Pieper. Er wurde das Gefühl nicht los, dass irgendetwas im Gange war, hatte aber keine Ahnung, was das sein konnte. Und in diesem Moment spürte er es, ein Flattern in der Brust – sein Herz, das alle paar Schläge aussetzte.
Wie lange konnte es noch so weitergehen? Im Inneren wusste er, dass er wohl fähig war für seine Arbeit – wenn er nur diese ständigen Befürchtungen loswerden konnte. Aber wovor? Vor der Kündigung? Der Bloßstellung? Dass er die Miete nicht mehr zahlen könnte? Er wusste noch nicht einmal, wovor er am meisten Angst hatte.
Ein scharfer Schmerz und der Geschmack von Blut rissen ihn aus seinen Grübeleien. Es dauerte einen Moment, bis er merkte, dass er, während er sich mit den Gedanken an den vorigen Tag herumquälte, seinen Daumennagel bis aufs Fleisch abgekaut hatte. Er sah auf die Uhr, schon Viertel vor acht. Mist! Sicher hatte sich auf der Brücke inzwischen ein Rückstau gebildet.
Er eilte durchs Haus, suchte seine Sachen zusammen, schnappte sich Aktentasche, Autoschlüssel, eine halb gegessene Scheibe Toast.
Gerade wollte er zur Tür hinaus, da kam seine Freundin aus dem Schlafzimmer gestürzt und rief, „Hör dir mal die Nachrichten an! In New York ist gerade ein ganz schreckliches Attentat passiert!“
Die wirklichen Schwierigkeiten im Leben sind die, an die Sie nie denken, Dinge,
die aus heiterem Himmel, an einem ganz gewöhnlichen Tag passieren.
Mary Schmich, „Advice, Like Youth, Probably Just Wasted on the Young“
Manchmal geht einfach alles ganz furchtbar schief. Es passieren Dinge, auf die man gänzlich unvorbereitet war, sogar ganz unglaubliche Dinge, etwas, das man nie für möglich gehalten hätte.
Auch wenn es ein Leichtes wäre, brauchen wir Sie wahrscheinlich nicht darüber zu belehren, wie enttäuschend das Leben sein kann. Robert Burns bringt es in seinem Gedicht, das am Anfang dieses Kapitels steht, auf den Punkt: Trotz all unserer Vorkehrungen, die wir gegen die Möglichkeit eines Unglücks treffen, finden wir anstelle der erhofften Freude oft nur Angst und Schmerz.
Und was folgt daraus? Sehen wir einem möglichen Fehlschlag ruhig und gelassen ins Auge und packen das Leben an? Meistens lautet die Antwort: „Nein“. Wir machen uns Sorgen, geraten in Panik, bekommen Angst. Auf der verzweifelten Suche nach einem Mittel gegen die Ungewissheit spielen wir Hellseher und bemühen uns, einen Blick auf die Zukunft zu erhaschen. Beklommen grübeln wir über die befürchteten Ergebnisse nach. Wir machen uns Sorgen um die Sorgen und haben Angst vor der Angst. Wir geraten in Panik und reagieren dann panisch, weil wir befürchten, wieder in Panik auszubrechen.
Mit anderen Worten: Wir bekommen Angst. Nimmt die Angst jedoch überhand, liefert man sich ihr aus. Dann wird die Angst buchstäblich zum Lebensinhalt: Nicht wir haben Angst, sondern die Angst hat uns.
Von Angst und welche Rolle sie im Leben spielt, davon handelt dieses Buch. Darüber hinaus wollen wir Ihnen aber auch Wege aufzeigen, wie Sie das Joch der Angst und die damit einhergehenden Einschränkungen und Zwänge abwerfen und sich aus dem Kampf mit der Angst befreien können.
Das tun wir jedoch nicht, indem wir Ihnen helfen, die Angst loszuwerden. Im Gegenteil, wir möchten, dass Sie sich in die Angst hineinbegeben, ruhig darin ausharren und sich einmal umschauen. Sie sollen ein Gefühl dafür bekommen, was in dem Moment, in dem Sie Angst verspüren, in Ihrem Körper und Ihrem Geist vorgeht. Sie sollen die Angst spüren und erleben – sie sogar willkommen heißen, sie geradezu umarmen – und dann Ihr Leben sinnvoll weiterleben.
Dieser Vorschlag wird Ihnen, besonders dann, wenn Ihr Leben stark von Sorgen, Angst und Panik behindert wird, ganz und gar nicht behagen. Das ist uns wohl bewusst. Es ist absolut verständlich, wenn Sie sich danach sehnen, diese Angstlast, die Sie wahrscheinlich schon seit geraumer Zeit mit sich herumschleppen, endlich abzuwerfen. Nur – je weiter Sie diese Gefühle von sich wegschieben wollen, desto näher rücken sie an Sie heran und binden Sie an sich. Auch wenn es gegen Ihren Instinkt geht, besteht unserer Meinung nach der beste Weg zur Befreiung von der Angst darin, sie anzuerkennen, sie zu bejahen und sogar nach angstmachenden Situationen zu suchen. Sicher gruseln Sie sich schon bei der bloßen Vorstellung, doch wir versprechen Ihnen, dass wir Sie auf alle schwierigen Aufgaben, die nun folgen, gut vorbereiten und sie Ihnen mit einer guten Prise schmerzlindernden Humors gewürzt servieren. Wenn Sie sich entscheiden, mit uns zu gehen, werden wir Sie auf den Weg an einen neuen Ort führen, an dem es sich angenehm leben lässt, obwohl auch er nicht frei von Angst ist.
Die nächsten Kapitel befassen sich eingehend mit dem Phänomen Angst und halten hoffentlich auch ein paar überraschende Erkenntnisse für Sie bereit. Als Erstes werfen wir einen Blick auf bestimmte Begriffe, mit dem Angstverhalten heutzutage bezeichnet wird, wie zum Beispiel „Panikattacke“ und „Generalisierte Angststörung“. Anschließend wird untersucht, wie irreführend solche Etiketten sein können und dass es für die Befreiung von Angst nützlicher ist, wenn Sie einmal darüber nachdenken, welche Funktion Angst in Ihrem Leben spielt. Außerdem werden Sie erfahren, wie bestimmte Denk- und Sprachmuster bis zu einem gewissen Grad uns für Angst überhaupt erst empfänglich machen.
Sobald dieses Hindernis erst einmal überwunden ist, wollen wir Ihnen zeigen, wie Sie ein erfülltes und sinnvolles Leben führen können, trotz all dieser Dinge, die sich Ihnen gedanklich immer wieder in den Weg stellen wollen, wie beispielsweise Angst. Dazu werden wir Ihnen die Grundzüge der Acceptance und Commitment Therapie (ACT) vorstellen. Dieser Psychotherapieansatz wird nicht nur immer beliebter, sondern auch zunehmend von Grundlagen- und angewandter Forschung untermauert.
Aus der Perspektive der ACT werden Probleme wie Angstzustände etwas anders behandelt, als wie man es sonst gewohnt ist. So betrachtet man in der ACT ein Problem, wie zum Beispiel Angst, nicht als etwas, das man „hat“, wie etwa einen Virus oder einen Knochenbruch. Vielmehr geht es um Ihre Funktionstüchtigkeit in sechs Prozessen. Diese sind wie Bausteine, aus denen Probleme (wie auch Erfolge) bestehen. Betrachtet man ein Problem, wie beispielsweise die Angst, im Lichte dieser Prozesse, stößt man auf bestimmte Störungen, die sich zwischen die Person und deren Lebensziele stellen und auf diese Weise zu dem Problem beitragen. Diese sollte man im Auge behalten, um die eigene Handlungsweise und den Umgang mit bestimmten Erfahrungen ein wenig zurechtzurücken. Zusammengenommen können all diese kleinen Veränderungen unserem Leben mehr Fülle verleihen und Sinn entlocken – ohne als Erstes irgendwelche Gedanken, Gefühle oder Erfahrungen kontrollieren, steuern oder loswerden zu müssen.
Das Interessante bei diesem ungewöhnlichen Ansatz ist, dass er Problemdifferenzierungen überflüssig macht. Depression, Wut, Sinnkrisen, Isolations- und Entfremdungsgefühle usw. tauchen in allen grundlegenden Lebensprozessen auf – als zögen sich immer die gleichen Fäden durch das Gesamtgewebe menschlichen Leidens. Wenn Sie also Ihre Angsterfahrung aus der Perspektive der ACT betrachten, werden Sie auch in anderen Lebensbereichen auf Dinge stoßen, die Ihnen zu schaffen machen.
In den Kapiteln 3 bis 8 werden wir Sie durch die sechs Prozesse der ACT führen. Dies sind der Reihe nach:
Kontakt mit der Gegenwart: Die Fähigkeit, das, was in Ihrem Leben hier und jetzt passiert, mit flexibler und konzentrierter Aufmerksamkeit zu betrachten.
Kognitive Defusion: Die Fähigkeit, Gedanken und Geschichten über das, was sein könnte, nicht unweigerlich für wahr zu halten und sie nicht so wörtlich, sondern leicht zu nehmen.
Akzeptanz: Die Fähigkeit, alle Aspekte Ihres Lebens, so wie sie sind, anzuerkennen und zu bejahen.
Definition von Werten: Die Fähigkeit, diejenigen Aspekte zu wählen, die Ihnen wichtig sind, und diese zu artikulieren.
Engagiertes Handeln: Die Fähigkeit, sich auf eine Handlungsweise festzulegen, die sich förderlich auf Ihre Werte auswirkt. Auf Letztere können Sie sich immer dann rückbesinnen, wenn Sie merken, dass Sie vom Weg abweichen.
Betrachtung des Selbst als Kontext: Die Fähigkeit, ein Selbstverständnis zu entwickeln, das sich als dynamischer, sich immer weiterentwickelnder Erlebensraum begreift, in dem sich das eigene Leben entfaltet, im Gegensatz zu starren Gedanken und Überzeugungen darüber, wer Sie sind und wer Sie werden könnten.
Wir möchten gleich zu Anfang klarstellen, dass es nicht auf die genaue Reihenfolge ankommt. Stellen Sie sich die einzelnen Prozesse vielmehr als Facetten eines Diamanten vor: Schauen Sie auf eine, spiegeln sich die anderen fünf darin ebenfalls wider. Alle Facetten sind gleich wichtig und entfalten ihre Wirkung permanent und ohne Unterbrechung, und zwar in sämtlichen Lebenslagen, also auch bei Angst.
Obwohl das Vokabular der ACT manchmal seltsam klingt, versichern wir Ihnen, dass diese Therapieform weder kompliziert noch esoterisch ist. Es werden aber manche Konzepte, die seit Urzeiten mit Weisheit und Glück assoziiert wurden, neu formuliert und mit aus wissenschaftlichen Verhaltensstudien gewonnenen Erkenntnissen und Prinzipien verbunden. Diese wissenschaftlichen Grundlagen werden hier allerdings nicht behandelt. Wenn Sie das Bedürfnis haben, bestimmte Themen zu vertiefen, können Sie zu den weiterführenden Literaturhinweisen am Ende des Buches blättern.
In diesem Moment brauchen Sie über ACT nur eines zu wissen: dass sie mit dieser klaren und konkreten Methode Ihr Leben bereichern und es erfüllender und sinnvoller gestalten können. Mit anderen Worten: Das Prozessmodell der ACT kann Ihnen dabei helfen,
Ihre Fertigkeiten in diesen sechs Bereichen führen in ihrer Gesamtheit zu mehr psychologischer Flexibilität. In diesem psychisch flexiblen Zustand können Sie sich einer breiten Palette von Verhaltensmöglichkeiten erfreuen, in Freiheit entscheiden und in Übereinstimmung mit Ihren Kernthemen und Lebenszielen handeln.
Stellen Sie sich diese psychische Beweglichkeit einmal als körperliche Gelenkigkeit vor: Mit Streckübungen können Sie das Bewegungsrepertoire Ihres Körpers erweitern und damit mehr Dinge tun als vorher, als Sie noch nicht so beweglich waren. Wenn Sie trainieren, können Sie Ihre Zehen berühren, sich tiefer beugen und sogar Spagat machen. Wenn Ihnen körperlich etwas zustößt, können Sie wahrscheinlich besser darauf reagieren, indem Sie die Bewegung ausgleichen und schneller wieder auf die Füße kommen. Ebenso können Sie mit verbesserter Funktionstüchtigkeit in den sechs Bereichen Ihre psychologische Beweglichkeit steigern und so mehr Dinge tun als zuvor, zum Beispiel sich durch Menschenmengen bewegen, an Gruppenunternehmungen teilnehmen oder etwas Neues wagen.
Vielleicht ist Ihnen ja schon klar, was mit dem Konzept der psychologischen Flexibilität gemeint ist. Wenn nicht, keine Sorge. Die Klarheit kommt beim Lesen. Wir nehmen uns deswegen jetzt Zeit dafür, weil die psychologische Flexibilität das erklärte Ziel der ACT ist. Es geht nicht darum, Symptome zu reduzieren. Auch nicht, die Angst zu überwinden. Unser Ziel ist nicht, Sie glücklicher zu machen, genauso wenig wollen wir erreichen, dass Sie besser mit sich selbst zurechtkommen. Wir wollen Ihnen schlicht dabei helfen, den Raum zu vergrößern, in dem Sie ein bedeutungsvolles Leben führen können. Wir wollen Sie befreien – nicht von der Angst, in dem Sinne, dass all das Schwierige aus Ihren Gedanken und Gefühlen verschwindet, sondern dass es Ihr Leben nicht länger einschränkt.
Jeder Mensch wird geboren, die Zeit vergeht und irgendwann stirbt man. Die ersten und letzten Ereignisse stehen größtenteils außerhalb des eigenen Einflussbereiches. Was jedoch das Mittelstück betrifft – da kann man ein Wörtchen mitreden. Es ist Ihr Leben, Ihr einziges und einzigartiges Leben. Wie leben Sie? Wie können Sie leben? Hier die Vorschläge einiger Dichter:
Ich kann nicht ruhn: ich will das Leben trinken
Bis auf die Hefen! Allzeit viel genossen
Und viel gelitten hab ich – sei’s allein,
Sei’s mit Freunden!
Alfred Lord Tennyson, „Ulysses“
(Tennyson 2000, S. 379)
Denn alle hab ich schon gekannt, sie all gekannt –
Der Nächte, Morgen, Nachmittage Kreis,
Ich vertat mein Leben kaffeelöffelweis;
Ich kenn die Stimmen, sie starben so dahin
In der Musik, die im ferneren Zimmer klagt.
Wie hätt ichs wohl gewagt?
T. S. Eliot, „J. Alfred Prufrocks Liebesgesang“
(Eliot 1988, S. 9)
Welche Lebensart sagt Ihnen mehr zu? Das in vollen Zügen ausgekostete, mit großer Freude und großem Leid angefüllte Leben? Oder das in kleinen Teelöffeln ausgeschenkte, an ängstliche Vermutungen gefesselte Leben, das sich um das Gerede anderer Menschen sorgt? Ihre Antwort auf diese Frage wird wohl eindeutig ausfallen. Vielleicht sollten wir besser danach fragen, welche Lebensart Sie wählen können?
Stellen Sie sich drei Szenarien vor. Mindestens eines davon kommt Ihnen sicher bekannt vor:
Was fällt Ihnen bei jeder der drei Situationen auf? Die Angst, das nicht abzuschüttelnde Gefühl, das Dilemma, die Befürchtung? Oder ist es das gesellige Zusammensein mit Freunden, die tiefe Liebe zu einem Kind und die Befriedigung und der Lohn einer erfolgreichen Berufslaufbahn? Würden Sie lieber hart daran arbeiten, um Erstere loszuwerden oder um Letztere zu erreichen? Oder noch besser gefragt: An welchem Ziel haben Sie bisher härter gearbeitet?
Wie bei den meisten Menschen, die eine Geschichte von Angststörungen erlebt haben, wird die Antwort auf die zweite Frage unzweideutig ausfallen: Sie haben sehr, sehr hart daran gearbeitet, Angst, Furcht, Unsicherheit und Scham loszuwerden. Und vielleicht haben Sie deswegen so hart daran gearbeitet, weil es schien, als müssten Sie all diese Hindernisse beseitigen, bevor Sie die Dinge, die Sie in Ihrem Leben erreichen wollten, verfolgen konnten. Und wenn dies nun gar nicht nötig gewesen wäre?
Stellen Sie sich die vorigen Szenarien noch einmal vor, aber aus einer leicht veränderten Perspektive:
Ist das nicht ein ziemlicher Unterschied? Sicher sind auch die Szenarien der zweiten Gruppe kein Zuckerschlecken. Man leidet. Man fürchtet sich. Man muss eine Menge durchmachen, kann sich aber dafür an der Gesellschaft von Freunden, am Aufziehen der Kinder und an den Früchten (den Auszeichnungen und Gehaltszahlungen) einer produktiven Arbeit erfreuen.
Der Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Gruppe von Szenarien hängt vom Grad der Fähigkeit ab, mit der Sie sich biegen, recken und in alle mögliche Richtungen ausstrecken können, selbst wenn überall Gefahren lauern. Mit anderen Worten, der Unterschied hängt vom Grad Ihrer psychologischen Flexibilität ab. Diese Flexibilität im Dienste Ihrer Werte zu erhöhen ist das eine Ziel dieses Buches.
Ans Ziel zu kommen wird weder leicht sein noch wird es über Nacht passieren. Ein Leben voller verpasster Partys, Zukunftsängste und Besprechungen, in denen Sie den Mund nicht aufbekamen, lässt sich nicht durch Lesen rückgängig machen, auch nicht durch Wissen. Auf Wissen können jedoch Taten folgen. Wenn Sie durch unsere Anregungen Ihren Bewegungsraum erweitern, könnte Sie dies ja dazu verleiten, sich mal zu räkeln. Und dieses Räkeln führt dann vielleicht zum Strecken, Strecken zum Gehen, Gehen zum Ausschreiten. Und wenn Sie in die gewählte Richtung ausschreiten können, dann sind Sie – frei!
Auf der anderen Seite kann ACT nicht verhindern, dass etwas in Ihrem Leben schiefläuft, und Sie auch nicht vor Enttäuschung, Ablehnung oder Verlust schützen. Diese Methode kann Ihnen jedoch dazu verhelfen, sich für eine ganze Fülle von Erfahrungen zu öffnen und ein Gefühl für Sinn und Zielgerichtetheit zu entwickeln, also das zutage zu fördern, was durch Ihren Kampf gegen die Angst im Verborgenen blieb. ACT kann Ihnen zeigen, wie Sie den für ein lohnenswertes Leben notwendigen Raum finden können, auch in dieser Welt, mit ihrem ganzen unschätzbaren Potenzial für Freude wie für Leid.
Das ist eine lange Geschichte, um ehrlich zu sein. Auf seinem verschlungenen Lebensweg wurde Kelly schließlich Verhaltensanalytiker, Therapeut und Professor am Institut für Psychologie der Universität von Mississippi. Außerdem hat er ganz wesentlich zur Entwicklung der ACT beigetragen und deren klinische Anwendung international bekannt gemacht. Er schreibt und unterrichtet, hält Vorträge, Seminare und Workshops in den USA und andernorts. Er hegt eine beträchtliche Vorliebe für Kaffee, Hüte und Gitarren und geht sehr gerne im Meer schwimmen, besonders zusammen mit seiner Frau und seinen Töchtern.
Troy ist Schriftsteller und nach Selbstdefinition ein Generalist. Zusammen mit dem Psychologen Bruce Hyman, einem Experten für Zwangsstörungen, schrieb er 2007 das Buch Coping with OCD[1]. Zurzeit pendelt er zwischen San Francisco und Austin in Texas, wo seine Frau und zwei verwöhnte Möpse leben.
Aufgrund eines seltsamen, aber außerordentlich glücklichen Zufalls nahm Troy 2006 an einem von Kellys ACT-Workshops in Houston, Texas, teil. Soweit er sich erinnert wohl nur deshalb, weil der Workshop von Steve Hayes, Kellys Mentor, voll belegt war. Diese Begegnung führte jedenfalls zu ihrer Zusammenarbeit an dem Buch Mindfulness for Two, einem Fachbuch mit dem Ziel, über den ACT-Ansatz die Achtsamkeit in der Psychotherapie zu fördern. In diesem ersten Buch kann man noch klar die Stimme Kellys erkennen. Im vorliegenden Buch hingegen sind unsere Stimmen nicht so leicht auseinanderzuhalten. Sie können also davon ausgehen, dass „wir“ immer uns beide einschließt. Der ängstliche Vertreter vom Anfang dieses Kapitels war zwar Troy, doch überall sonst treten wir gemeinsam auf, denn es geht uns hauptsächlich um Sie und Ihre Erfahrung mit Angst.
Raum und Zeit sind nicht auf unserer Seite, wenn es darum geht, Sie, den Leser oder die Leserin, kennenzulernen. Wir versuchen zwar, Sie uns vorzustellen, und können doch nur raten. Das ist es aber auch wert. Zumindest werden Sie durch unsere Bemühungen erfahren, was Sie beim Lesen dieses Buches erwarten können.
Vermutlich machen Sie sich Gedanken über die Angst in Ihrem eigenen Leben oder in dem eines Ihnen wichtigen Menschen. Da Sie sich schon mal dazu entschlossen haben, ein Buch über dieses Thema zu lesen, wollen Sie vermutlich auch etwas dafür tun, um Ihr Leben zum Besseren zu verändern. Vermutlich haben Sie irgendwann in der Vergangenheit irgendwie schon mal versucht, die Angst loszuwerden, aber ohne bzw. mit begrenztem Erfolg, und wollen nun einen neuen Versuch starten. Und vermutlich werden Sie die Möglichkeit in Kauf nehmen, dass Sie im Laufe dieses Arbeitsprozesses Ihre Angst nicht loswerden, sie nicht vermeiden, von sich schieben oder aus Ihrer Erfahrung streichen können. Wir gehen davon aus, dass Sie die Angst schon einiges gekostet hat, dass sie zumindest manchmal Leid und Konflikte in Ihrem Leben verursacht hat. Wenn Sie die Wahl hätten, würden Sie vermutlich das Leid loslassen und Ihr Leben ohne dem weiterleben – auch wenn Sie auf dem Weg dorthin so manche Schwierigkeit überwinden müssten.