Für Tobi – Weil ich ohne dich nie zu schreiben begonnen hätte.

Vorwort

In jedem Leben gibt es mindestens einen Moment, in dem sich alles verändert: die Umgebung, die Freunde, die Sicht der Welt. Das kann im günstigsten Fall ein Umzug, der Abschluss eines Lebensabschnittes oder einfach nur die Bekanntschaft mit einem bisher fremden Menschen sein.

Im schlimmsten Fall wird uns alles entrissen, obwohl wir das absolut nicht wollen. Wir werden in ein Leben geworfen, das nicht mehr das ist, das wir kennen, lieben und vor allem akzeptiert haben. Wir müssen uns mit neuen Dingen auseinandersetzen, alte Sachen loslassen und eine Stärke in uns finden, die wir nie für möglich gehalten hätten.

Und wofür?

Um zu überleben, uns von Tag zu Tag zu schleppen und irgendwie klarzukommen. Solche Momente sind hart, verlangen alles von uns ab und bescheren uns viele Stunden, in denen wir verzweifeln.

Doch haben wir uns erst einmal wieder gefangen, erkennen wir die Möglichkeiten, die sich uns eröffnen. Neue Freunde tauchen auf und wir finden zurück in eine Routine, mit der es sich nicht nur leben lässt, sondern mit der wir glücklich sein können. Vielleicht sogar glücklicher als jemals zuvor …

Und am Ende lernen wir den Neuanfang zu schätzen. Denn nichts ist absolut gut oder schlecht. Weder ein Mensch, ein Tier, ein Moment noch ein Schicksalsschlag.

Zwischenspiel 1

Eden

»Wow, das ist eine heftige Geschichte«, bemerkte meine Schwester Holly, die mir gegenüber am Esstisch saß und mich mit ihren dunkelbraunen Augen, die meinen so sehr ähnelten, musterte.

»Da widerspreche ich dir sicher nicht«, erwiderte ich, drehte die Tasse mit Tee, der inzwischen keine Wärme mehr ausstrahlte, zwischen den Fingern und ließ einen Moment den Blick durch Hollys Küche schweifen.

Ich mochte den alten Landhausstil, in dem sie eingerichtet war, obwohl ich selbst nie hier, weit außerhalb der Stadt, hätte wohnen wollen. Die Einrichtung war ganz anders als die in meiner Wohnung auf dem Revier der Nachtpolizei. Aber vor allem mochte ich daran, dass ich dadurch Abstand zu all dem bekam, was ich zu Hause erlebte.

Es war erst eine Woche vergangen, seitdem wir Rufus besiegt hatten, aber mir kam es jetzt schon wie eine halbe Ewigkeit vor. Im Bruchteil einer Sekunde rauschten die Ereignisse durch meine Gedanken, sodass ich jedes wahrnahm, aber keines genauer betrachten konnte: Wie ich Mel zum ersten Mal traf, ihre Verwandlung, Rufus' Plan, die Vampire der Öffentlichkeit preiszugeben, die veränderten Tiere, der Zusammensturz des Museums, das Nest in dem alten Steinbruch, der letzte Kampf gegen Rufus …

So viel war geschehen, dass ich kaum glauben konnte, dass sich das alles in wenigen Monaten abgespielt hatte. Aber das hatte es und nun fühlte ich mich so wohl, befreit und zufrieden wie noch nie zuvor in meinem Leben. Ich konnte durch Rufus' Tod nicht nur meine alte Schuld ablegen, ich konnte auch mein Leben als Vampir akzeptieren.

Und vieles davon verdankte ich Mel.

Mein Blick wanderte zwangsläufig weiter zu dem Durchgang, der in das Wohnzimmer von Hollys Haus führte, aber meine Schwester zog meine Aufmerksamkeit wieder auf sich.

»Es freut mich, dass die Sache nun endlich vorbei ist. Ich habe dir schon oft genug gesagt, dass du dir nicht solche Vorwürfe machen sollst, aber das hat sich ja nun zum Glück erledigt. Du wirkst schon um einiges befreiter. Beinahe aufgeschlossen. Das bin ich von meinem älteren Bruder so gar nicht gewohnt.«

Sie zwinkerte mir zu und begann eine Strähne ihres schwarzen Haars zwischen den Fingern zu zwirbeln. Das war eine Angewohnheit von ihr, die sie schon als Kind hatte. Sie tat das immer, wenn sie sich wohlfühlte und zufrieden war, weswegen ich ihr Lächeln erwiderte.

Holly war eigentlich drei Jahre jünger als ich, aber während man mich weiterhin auf Mitte zwanzig geschätzt hätte, sah man ihr die zehn Jahre, die seit meiner Verwandlung vergangen waren, durchaus an. Dass Holly nicht mehr leben würde, wenn ich in über zweihundert Jahren weiter zu altern begann, war eine Tatsache, die mir immer noch zu schaffen machte, die ich allerdings hinnehmen musste. Genauso wie sie. Aber Holly kam damit bei Weitem besser zurecht als ich. Und das machte mich glücklich. Dank ihrer Akzeptanz konnte ich ihr immer alles von meinen Vampirerlebnissen erzählen, ohne mich als Sonderling zu fühlen.

»Merkt man mir das so stark an?«, fragte ich und hob eine Augenbraue.

Holly lachte und nickte dann, ehe sie breit grinste. »Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob es wirklich nur daran liegt, dass Rufus tot ist. Ich könnte mir vorstellen, dass Mel ebenfalls ihren Anteil dazu beigetragen hat.«

Tatsächlich musste ich bei dem Gedanken an meine Blutgefährtin lächeln – was ich bekanntlich nicht häufig tat und damit verriet, dass Holly durchaus recht hatte. Mel war …

»Eden?«

Mein Name erreichte mein Ohr so leise, dass meine Schwester ihn nicht gehört haben konnte. Nur meinen geschärften Sinnen war es zu verdanken, dass er nicht in der Stille des Hauses verklungen war.

»Was ist?«, fragte ich und legte den Kopf etwas auf die Seite, um jedes Wort auffangen zu können. Holly verwirrte ich dadurch natürlich über alle Maßen, aber bevor sie etwas sagen konnte, hörte ich: »Kannst du bitte kurz kommen?«

»Na klar«, antwortete ich und schob leise meinen Stuhl zurück.

»Was ist?«, fragte meine Schwester.

»Mel hat mich gerufen.«

Holly hob nur eine Augenbraue, stellte ihre Tasse jedoch ebenfalls ab und folgte mir, als ich ins Wohnzimmer ging. Draußen herrschte bereits tiefste Nacht, aber meine Blutgefährtin hatte sich nicht die Mühe gemacht, das Licht einzuschalten. Wir beide sahen in der Dunkelheit sowieso besser.

Kaum betrat ich den Raum, wanderten meine Augen schon zu Mel, die auf dem großen Sofa saß, das beinahe die Hälfte des Zimmers einnahm. Wie immer, wenn ich sie sah, bewunderte ich ihr langes, geschmeidiges Haar, die feinen Konturen ihres Gesichtes und jede noch so kleine Stelle ihres Körpers. Aber vor allem das Funkeln der Lebendigkeit, das immer in ihren grünen Augen zu sehen war. Genauso wie die Zuneigung zu mir, die jeden Tag noch zuzunehmen schien.

Auch jetzt, als sie aufsah, lächelte sie. Und ich hatte absolut keine Chance. Ich musste es einfach erwidern. Nun verzog sie allerdings die hübschen Lippen und deutete auf ihre Beine, auf denen eine kleine Gestalt ausgebreitet lag. »Ich will sie nicht wecken, aber meine Beine schlafen langsam ein.«

Holly ließ uns beide zusammenzucken, als sie laut lachte und schnell zu Mel eilte, um Melina ohne Zögern hochzuheben. Meine kleine Nichte murmelte nur etwas und schlang ihre Beine um die Hüften ihrer Mutter, als die sie in den Arm nahm. Aufwachen schien derzeit keine Option für sie zu sein.

»Du hättest ruhig früher etwas sagen können. Es ist inzwischen weit über ihre Schlafenszeit hinaus, sie hätte schon längst im Bett sein müssen«, meinte sie, als sich Mel steif erhob und fest über ihre Beine strich.

»Ich wollte eure Unterhaltung aber nicht stören. Ich habe es ja genossen, einfach nur dazusitzen und ihr durch das Haar zu fahren. Sie ist einfach zu süß!« Als hätte sie es nicht die ganze Zeit über gemacht, strich sie durch Melinas Haar und hauchte ihr sogar einen Kuss auf die Wange.

Ich schüttelte den Kopf, weil sie meine Nichte gerade einmal seit fünf Stunden kannte, aber bereits jetzt ihr Herz an sie verloren hatte. Aber was erwartete ich? Bei Ivy war es nicht anders gewesen. Mel konnte einfach gut mit Kindern umgehen.

»Ich werde sie jetzt ins Bett bringen und dann ebenfalls schlafen gehen. Euch kann ich hier allein lassen?«, fragte Holly, wiegte Melina in ihren Armen und sah zu mir zurück.

»Natürlich, ich weiß ja, wo alles ist, und wir können uns die Nacht über ganz gut selbst beschäftigen.«

Zu meiner Überraschung lachte Holly erneut laut auf, was Melina aber nicht störte. »Das glaube ich euch beiden sofort!«, rief sie mehr als zweideutig, verabschiedete sich dann und ging, noch immer lachend, in das obere Stockwerk.

Ich seufzte nur auf ihre Worte hin.

»Jetzt verstehe ich auch, wieso du so verschlossen bist«, bemerkte Mel, während sie zu mir trat. »Holly hat all die Offenheit bekommen, die eigentlich für euch beide bestimmt war.«

»Allerdings bin ich der Ältere von uns, also habe ich sie ihr freiwillig überlassen«, erwiderte ich und hob die Hand, um sacht über Mels braunes Haar zu streichen. Schon jetzt drang mir ihr leichter Vanilleduft in die Nase, was ich vollkommen genoss. Mel zögerte auch nicht, näher an mich heranzutreten und sich in meine Arme zu schmiegen.

»Also war es von Anfang an dein Ziel, so ein verschlossener Charakter zu werden, so so.«

»Vielleicht wusste ich damals schon, dass ich damit viel besser zu dir passen würde«, meinte ich und brachte Mel damit zum Lachen.

»Das wage ich stark zu bezweifeln. Aber es stimmt, ich mag deine ruhige, besonnene Art.«

Glücklich blickte sie zu mir auf und bei all dem, was ihre Augen ausstrahlten, musste ich tief durchatmen. Niemals hätte ich vermutet, dass ich eine Partnerin finden würde, die mich so sehr liebte, wie es Mel tat. In ihrer Nähe blieb mir eigentlich nichts anderes übrig, als zufrieden mit mir und meinem Leben zu sein. Sie war mein Licht, das jede Nacht erhellte.

Ohne auf ihre Worte einzugehen, beugte ich mich zu ihr hinab und legte voller Genuss meine Lippen auf ihre. Mel seufzte leise, schmiegte sich fest an meinen Körper und erwiderte den Kuss mit all der vielen Energie, die nun einmal in ihr steckte. Am liebsten hätte ich das, was meine Schwester angedeutet hatte, in die Tat umgesetzt und mir einfach alles von meiner Blutgefährtin genommen – einschließlich ihres verführerischen Blutes –, aber andererseits wollte ich das nicht in einem Haus tun, in dem jederzeit ein vierjähriges Mädchen ins Zimmer stürmen konnte. Also löste ich mich wenige Sekunden später von Mel und sah sie fragend an. »Was möchtest du jetzt tun? Bis Sonnenaufgang werden wir erst mal nur zu zweit sein.«

Natürlich grinste mich Mel sogleich an. »Das stört mich überhaupt nicht, aber ich habe keine Lust auf Fernsehen. Viel lieber möchte ich nach draußen und all das genießen, was uns in der Stadt verwehrt bleibt.«

Ich verstand sofort, was sie meinte, und griff nach ihrer Hand. »Dann komm, ich zeige dir meinen Lieblingsplatz hier.«

Natürlich ließ sich Mel nicht zweimal bitten und folgte mir zur Terrassentür, die uns nicht nur in den Garten von Hollys Haus führte, sondern gleichzeitig auch auf eine weite Sommerwiese, die sich direkt daran anschloss. Meine Schwester und ihr Mann hatten sich nicht die Mühe gemacht, einen Zaun aufzustellen. Hier, am Rande eines kleinen Dorfes, war es nicht notwendig, sein Grundstück abzuschotten, und Melina konnte dadurch die ganze Wiese als Spielplatz nutzen.

Kurz blieben Mel und ich stehen, um das Bild vor uns zu genießen. Die Wiese wand sich einen kleinen Hügel hinauf, ehe sie in einen dichten Laubwald überging. Über uns funkelten die Sterne, die durch unsere Vampirsicht wie ein Meer aus Diamanten wirkten. Der Duft der Blumen erfüllte die lauwarme Sommerluft und das Zirpen der Grillen war schon fast unerhört laut. Aber das alles zusammen war unfassbar idyllisch. So sehr ich mich auch anstrengte, ich hörte keinen Automotor, kein Hupen, kein Menschengemurmel, sondern genoss einfach nur die Natur und Ruhe.

»Wahnsinn«, murmelte auch Mel neben mir. »Ich hätte nie gedacht, dass ich den Unterschied zwischen Stadt und Land einmal so extrem erleben würde.«

»Was gefällt dir denn lieber? Stadt oder Land?«, fragte ich, während ich Mel weiterzog und den Hügel in Angriff nahm, nachdem wir den Garten durchquert hatten. Mel streckte die freie Hand aus und strich über die hohen Gräser, die dabei leise raschelten.

»Das ist schwer zu sagen«, gab sie zu. »Es hat beides etwas wirklich Schönes. Aber ich glaube, ich bevorzuge die Stadt. Sie ist definitiv aufregender.«

Daraufhin musste ich leise lachen. »Da kann ich dir nicht widersprechen.«

»Aber weißt du was?«, unterbrach mich Mel mit ihrer typischen Aufregung.

»Nein, erzähl es mir.«

»Mich würde interessieren, wie es am Meer ist. Als Vampir könnte ich das Salz doch sicher viel intensiver riechen, oder? Vielleicht sogar schmecken!«

»Gestern hast du etwas Ähnliches über das Leben außerhalb der Stadt gesagt«, bemerkte ich und hob eine Augenbraue. Mel lachte daraufhin aber nur, weshalb ich einlenkte. »Na gut, dann fahren wir bei unserem nächsten Ausflug ans Meer.«

»Wirklich?«, fragte Mel begeistert.

Sie jubelte, als ich nickte, und warf sich mir vor Freude an den Hals. Belustigt umarmte ich sie, drehte sie dann aber so herum, dass sie sehen konnte, wohin ich sie führen wollte. Vor uns endete der Hügel und die ersten Bäume ragten über uns auf. Ein Stück vor der ersten geschlossenen Baumreihe reckte sich ein gigantischer Ahorn in die Höhe und breitete seine Äste weit über die Wiese aus. An einem besonders dicken Ast war eine Schaukel befestigt, von der aus man weit in das Tal blicken konnte, in dem das Dorf meiner Schwester lag. Mel gab ein hingerissenes Geräusch von sich und löste sich im nächsten Moment von mir, um zu dem Baum zu laufen.

»Ist das der Ort, den du meintest?«, fragte sie, während sie hinauf in das Geäst sah. Durch unsere exzellente Nachtsicht entzog sich nicht ein Ast und auch kein Blatt unserem Blick.

»Ja«, sagte ich simpel und klopfte auf die Sitzfläche der Schaukel.

Mit einem Lächeln kam Mel meiner stummen Bitte nach und setzte sich. Sacht stieß ich sie an, damit sie sanft vor und zurück schaukelte.

»Ich komme immer hierher, wenn ich meine Schwester besuche«, verriet ich ihr.

»Das kann ich gut verstehen«, sagte Mel und ließ den Blick schweifen. »Ich bin wirklich froh, dass ich dich begleiten durfte. Deine Schwester und ihre Familie sind ganz anders, als ich erwartet hätte.«

»Du meinst offen und überhaupt nicht entsetzt, dass du ein Vampir bist?«

»Ja, ich habe mich keine Sekunde abgewiesen gefühlt.«

»Ich denke, dass dich Holly mag. Sie freut sich eben, dass ihr Bruder nicht mehr allein ist«, vermutete ich und auf diese Worte hin lehnte sich Mel bei dem nächsten Vorwärtsschwung weit zurück, bis sie mich ansehen konnte.

»Das wirst du auch nie mehr sein, Eden.«

Ich betrachtete Mel, die sich nun wieder nach vorn wenden musste und in der nächsten Sekunde zu mir zurückschwang.

»Du ebenfalls nicht«, gab ich verspätet zurück, aber Mel schien damit zufrieden, denn sie schwieg.

Für eine Minute blieb es still zwischen uns, ehe Mel die Füße in den Boden stemmte und ihre Bewegung dadurch erlahmte. Ich hob fragend eine Augenbraue, auch wenn Mel das nicht sehen konnte, aber sie sprach schon weiter. »Eden, wenn wir gerade die Zeit und auch die Ruhe dazu haben, würdest du mir vielleicht etwas erzählen?«

»Was denn?«, fragte ich überrascht und Mel legte den Kopf in den Nacken, damit sie mich ansehen konnte.

»Ich würde so gern wissen, wie die anderen aus unserem Rudel zu Vampiren wurden. Es verblüfft mich immer wieder, dass wir eine so großartige Familie geworden sind, obwohl wir so unterschiedliche Charaktere sind. Und vor allem wenn man bedenkt, aus was für unterschiedlichen Zeitepochen wir stammen. Scott muss ja im sechszehnten Jahrhundert geboren sein, oder?«

»Nein, ganz so früh dann doch nicht. Er ist Mitte des siebzehnten Jahrhunderts in Kanada geboren.«

»In Kanada?«, fragte Mel und ihre hübschen Augen wurden größer.

»Du willst es wirklich wissen?«

»Ja, sehr gern.«

»Gut, dann erzähle ich es dir. Aber verrat es Scott nicht. Er mag es nicht so gern, wenn alle über seine Vergangenheit Bescheid wissen.«

»Wieso?«, fragte Mel, sah aber wieder nach vorn, als ich erneut begann sie anzustoßen.

»Weil er der Meinung ist, dass diese Zeit vorbei ist, und er lieber im Jetzt lebt. Vielleicht sind wir, wenn wir über vierhundert Jahre alt sind, auch dieser Meinung. Also, bereit?«

»Ja«, rief Mel und ich sammelte mich, um alles, was ich über Scotts Verwandlung wusste, in mir aufzurufen.

Kapitel 1

Scott – Kanada im Jahre 1646

Ein letztes Mal traf meine Axt den dicken Stamm vor mir, ehe ich das befriedigende Knacken berstenden Holzes hörte und sich der Baum, an dem ich schon den ganzen Tag arbeite, langsam nach vorn neigte.

»Baum fällt!«, rief ich und trat selbst mehrere Meter zurück, damit mich kein Ast oder Splitter traf.

Jegliches Geräusch wurde übertönt, als der gefällte Baum langsam durch die umgebenden Äste brach und sich laut und raschelnd einen Weg Richtung Boden bahnte. Als er aufkam, erschütterte er die Erde, sodass ich es durch meinen ganzen Körper spüren konnte. Einen Moment noch dauerte es, bis wieder vollkommene Stille einkehrte. Dann, mit einem Schlag, brachen meine Kameraden in Jubel aus und applaudierten – wie jedes Mal, wenn wir einen Giganten des Waldes bezwungen hatten.

Ich hob meine Axt über den Kopf und dankte stumm dem Baum für sein Opfer. Denn sein Tod bedeutete für uns Leben. Sein Holz würde uns durch den Winter bringen und falls etwas übrig blieb, konnten wir es gut an die anderen Siedlungen der Umgebung verkaufen.

Während sich die anderen Arbeiter bereits der nächsten Aufgabe widmeten und die Äste abzuschlagen begannen, trat ich an den dicken Stamm heran, der im Durchmesser beinahe so dick war wie ich groß, und strich sacht über die dunkle, raue Rinde.

Manchmal hatte ich ein schlechtes Gewissen, solch ein fantastisches Naturgeschöpf zu töten. Schließlich lebte es schon viele Jahrzehnte länger als wir. Doch wir benötigten das Holz und im Gegensatz zu vielen anderen Siedlungen wählten wir die Bäume mit Bedacht aus. Wir rodeten nicht einfach den Wald, sondern fällten nur vereinzelt gesunde Pflanzen. Oft schlugen wir aber auch alte und kranke Bäume, die dem Wald eher schadeten. So gewannen wir alle und damit konnte ich gut leben.

»Hey, Scott«, rief Taylor mir zu und grinste schief. »Du hast den Baum jetzt genug getätschelt. Komm, hilf uns.«

»Tön du nur«, rief ich brummend zurück. »Ich mache den Hauptteil der Arbeit, bekomme aber nicht einmal fünf Minuten Pause? Du weißt schon, wie unfair das ist?«

Taylor lachte und holte weit aus, um einen der dickeren Äste zu bearbeiten. »Mit deiner Statur besitzt du die Kraft von drei Männern, also kannst du auch genauso viel leisten wie sie. Aber ich will dich ja nicht vergraulen, also kannst du morgen ruhig zu Hause bleiben. Wir werden mit dem Gestrüpp sowieso noch ein paar Tage zu tun haben. Wie klingt das für dich?«

»Annehmbar«, meinte ich, war damit aber mehr als zufrieden, denn zu Hause war einiges zu erledigen, was meine Frau nicht allein schaffte. Sie wäre mit Sicherheit dankbar für eine helfende Hand. Also schulterte ich meine Axt und ging zu dem dicksten der Äste, der ganz automatisch für mich frei gelassen worden war.

Ich überragte selbst den größten Mann meiner Kameraden um gut eine Handbreit und die viele Arbeit als Holzfäller hatte mir eine Kraft beschert, von der die anderen nur träumen konnten. Deswegen bekam ich auch immer die schwierigsten Aufgaben, aber das war in Ordnung. Es gab weit Schlimmeres, als Holz zu hacken. Eigentlich mochte ich es sogar sehr gern, denn ich liebte es, im Wald zu sein, die würzige Luft einzuatmen und den Vögeln zuzuhören, während ich meiner monotonen Arbeit nachging. Sie brachte mein Inneres ins Gleichgewicht und das war mir bei Weitem wichtiger, als viel Geld zu verdienen.

Kurz dachte ich an meine geliebte Frau und meinen kleinen Sohn, gönnte mir eine Minute bei ihnen, selbst wenn es nur in Gedanken war, und hob dann meine Axt, um den Ast von seinem Stamm zu trennen.

***

Die Sonne ging bereits unter, als wir unsere Arbeit für heute ruhen ließen und uns auf den Weg nach Hause machten. Meine Glieder waren erschöpft und ich hatte großen Durst. Doch diese Empfindungen verblassten gegenüber der Freude, bald meine Frau und meinen kleinen Sohn wiederzusehen. Deswegen schulterte ich meine Axt beschwingt und führte unsere müde Gruppe auf dem Weg hinaus aus dem Wald an.

»Ich verstehe nicht, wie du noch so munter sein kannst«, beschwerte sich Taylor und gesellte sich an meine Seite.

Der um einen Kopf kleinere Mann wirkte weiß Gott nicht wie ein Holzfäller, so mager, wie er war, aber er hielt immer den ganzen Tag durch, selbst wenn er dabei beinahe ununterbrochen meckerte.

»Wenn ich so dünn wie du wäre, hätte ich auch so meine Probleme«, brummte ich in meinen Bart und erhielt dafür ein müdes Lächeln von Taylor.

»Nicht jeder von uns kann das Glück haben, so ein Bär von einem Mann zu sein. Aber du musst doch auch müde sein, oder nicht?«

»Natürlich, schließlich habe ich nicht weniger als ihr gearbeitet.«

»Wieso bist du dann so beschwingt? Ich will nur heim, was essen und dann ins Bett.«

»Auf dich wartet ja auch ein Drache von einem Weib«, rief ein Mann von weiter hinten. »Da hätte ich auch keine Lust, den Wald zu verlassen. Ruth ist dagegen ein wahrer Sonnenschein. Kein Wunder, dass Scott so hurtig ist.«

Zustimmendes Gemurmel kam auf, was mir ein Lächeln entlockte. Ja, meine Frau war wirklich einmalig und es machte mich stolz, dass nicht nur ich das erkannte. Während Taylor meckernd seine Frau verteidigte, dachte ich an Ruth und freute mich schon darauf, von ihr empfangen zu werden. Wie immer würde sie an der Haustür warten, lächelnd die Arme um mich legen und mich dann mit all der Zuneigung küssen, die sie für mich empfand. Selbst nach neun Jahren Ehe war meine Liebe zu ihr um keinen Deut weniger geworden. Eher wuchs sie von Tag zu Tag, denn Ruth hatte ein beinahe magisches Talent dafür, mich glücklich zu machen.

Lächelnd führte ich die Männer aus dem Wald, verabschiedete mich aber, als wir den Weg erreichten, der zu der Siedlung führte. Sie lag nur fünfzehn Gehminuten entfernt, aber ich wollte nicht dorthin. So sehr ich die Gemeinschaft der anderen auch schätzte, blieb ich am Ende doch lieber mit meiner Familie allein. Deswegen hatte ich mein Haus nicht in dem sicheren Schutz der Holzpalisaden erbaut, sondern direkt neben dem Stück Land, das ich bewirtschaftete.

»Bis übermorgen, Scott«, rief mir Taylor noch zu, hob eine Hand zum Abschied und wandte sich dann ab.

Ich sah den Männern noch ein paar Sekunden nach, wie sie lachend und schwatzend auf die Siedlung zustrebten, ehe ich dem Wald hinter mir noch einen Blick zuwarf und dann seinem Rand in die entgegengesetzte Richtung folgte. Nun konnte ich das Rauschen des Windes in den Blättern, den Duft der frischen Erde und die Ruhe hier viel besser genießen und schlenderte deswegen langsam über den nächstgelegenen Hügel.

Ich mochte den Frühling immer ganz besonders, denn das helle Grün der austreibenden Bäume und die vielseitigen Gerüche ließen die vielen dunklen und kalten Tage des Winters schnell vergessen. Es blieb noch jede Menge Zeit, um unsere Lager erneut zu füllen, die lauen Abende zu genießen und das Leben so zu führen, wie man es sich wünschte. Ja, es war hart, sich jeden Tag aufs Neue selbst zu versorgen, aber ich wünschte es mir nicht anders. Ich fühlte mich frei, glücklich und zufrieden. Was wollte man also mehr?

Als ich die Hügelspitze erreichte, kam eine kleine, aber hübsch hergerichtete Holzhütte mit einer Scheune im Anschluss in Sicht. Felder umspielten sie und ich konnte sogar aus dieser Entfernung sehen, dass die Spielsachen meines Sohnes im Hof verteilt lagen. Scheinbar hatte Ruth noch keine Zeit gehabt, sie wegzuräumen. Oder sie überließ mir die Aufgabe, das konnte natürlich auch sein.

Als ich dem Weg durch die Felder folgte, blieb ich immer wieder stehen und hockte mich neben die kleinen Pflanzen, die bereits zu sprießen begannen. Ich musste morgen unbedingt den Bewässerungsgraben ausbessern, denn es sah im Moment nicht danach aus, als ob es bald regnen würde, und gerade jetzt brauchten die Pflanzen unbedingt ausreichend Wasser.

Als ich der Hütte immer näher kam, hörte ich, wie sich die schwere Eingangstür öffnete. Allein dieses Geräusch ließ mein Herz vor Freude höherschlagen und mein Blick wanderte wie von selbst zu Ruth, die in einem einfachen grünen Kleid und mit einem Lächeln auf den hübschen Lippen am Türrahmen lehnte und mit verschränkten Armen auf mich wartete.

Inzwischen war die Nacht fast vollständig hereingebrochen, weswegen meine Frau im Inneren unseres Zuhauses Kerzen entzündet hatte. Dadurch wurde sie von hinten beleuchtet und sah fast wie ein Engel aus. Ihr blondes Haar und ihre zarte Gestalt zusammen mit dem sanften Gesicht untermalten das zusätzlich und oft, wenn ich sie betrachtete, fragte ich mich, ob sie mir von einer höheren Macht geschickt worden war. Denn so glücklich konnte mich doch eigentlich keine normale Frau machen, oder?

»Hey, Sie hübscher Mann, was wollen Sie auf meinem Grund und Boden?«, fragte Ruth mit einem Grinsen.

Wie immer ging ich auf das Spiel ein und trat mit einem Lächeln zu ihr. »Nicht viel. Nur ein Dach über den Kopf für diese eine Nacht und vielleicht etwas Gesellschaft von einer wunderschönen Frau wie Ihnen.«

Ruths blaue Augen blitzten belustigt auf, ehe sie an mich herantrat und sacht die Stirn an meine Schulter lehnte. »Das sei dir gewährt«, flüsterte sie leise, schmiegte dann ihren ganzen Körper an mich, während sie fest ihre Arme um mich schlang. »Willkommen zu Hause, mein Schatz. Ich habe dich schon vermisst.«

Sacht strich ich ihr über das Haar, ehe ich ihre Umarmung erwiderte und zufrieden die Augen schloss. »Ich dich ebenfalls. Heute hat es länger als gedacht gedauert, aber ich habe gute Neuigkeiten für dich: Ich habe für morgen frei bekommen und kann dich hier unterstützen.«

Sofort schob mich Ruth von sich und schaute aufgeregt zu mir auf. »Wirklich?«

Ich nickte nur und sah amüsiert dabei zu, wie offensichtlich sich meine Frau darüber freute. Doch schon erschien ein grüblerischer Ausdruck auf ihrem Gesicht, sodass ich mich gezwungen sah einzugreifen.

»Nein, das lässt du schön bleiben«, brummte ich, drehte sie sacht, aber bestimmt um und schob sie in die Hütte. »Ich habe jetzt erst einmal Feierabend, also verplan nicht bereits den ganzen morgigen Tag für mich.«

»Entschuldige, mir sind nur so viele Dinge eingefallen, bei denen du mir helfen könntest.«

»Das glaube ich dir sofort, aber lass es bitte für heute gut sein.«

Ernst sah Ruth zu mir zurück und musterte mich kritisch. »Du hast sicher Hunger, oder?«

»Und Durst, ja.«

»Dann mache ich dir schnell etwas zurecht, aber du musst vorher noch deinen väterlichen Pflichten nachkommen. Im Nebenzimmer wartet jemand darauf, von dir ins Bett gebracht zu werden.«

»Er schläft noch nicht?«, fragte ich und zog die Augenbrauen zusammen.

Sofort lachte Ruth und strich sacht über meine Stirn. »Du sollst doch nicht so finster schauen. Du erschrickst Collin noch.«

Sofort entspannte ich mein Gesicht. »Ich habe ihn bisher noch nie erschreckt.«

»Mit den dichten Brauen und dem Vollbart könntest du aber, wenn du wolltest«, erwiderte Ruth und scheuchte mich davon. »Los, ich will später schließlich auch noch etwas von meinem Mann haben.«

Ich schenkte ihr einen vielsagenden Blick, der verriet, dass ich mich genauso sehr auf etwas Zeit zu zweit freute, und der Ruth sich auf die Unterlippe beißen und damit äußerst verführerisch aussehen ließ.

Ja, definitiv, ich liebte diese Frau wirklich über alles. Allerdings nicht nur sie, denn Collin liebte ich mindestens genauso sehr – nur eben auf eine ganz andere Art und Weise.

Ich ließ Ruth zurück, die sich dem Ofen zuwandte, der für ausreichend Wärme sorgte, uns aber auch als Kochfläche diente, und ging auf eine der beiden abgehenden Türen zu. Es war Luxus, dass unser Zuhause aus drei Räumen bestand, aber ich hatte es auch mit eigenen Händen erbaut und wollte von Anfang an, dass sowohl meine Kinder als auch Ruth und ich einen Ort hatten, an dem wir uns zurückziehen konnten. Und ich hatte es keinen Tag bereut, Collin sein eigenes Reich zu ermöglichen, selbst wenn es nicht sonderlich groß war.

»Daddy!«, ertönte es, kaum dass ich die Tür aufschob, und schon klebte ein kleiner, siebenjähriger Junge an meinen Beinen. Fest umklammerte mich Collin, während sein Kopf gegen meinen Bauch drückte.

»Na, Kleiner?«, fragte ich und strubbelte ihm durch das blonde Haar, das er von seiner Mutter geerbt hatte. »Ich dachte, du wärst bereit für das Bett?«

»Bin ich auch«, rief Collin mit aufgeregter Stimme und sah aus großen Augen zu mir auf. »Ich habe mich schon gewaschen, die Zähne geputzt und mich umgezogen.«

»Sehr gut, aber wieso turnst du dann noch hier rum?«

Amüsiert beobachtete ich, wie Collin die kleinen Hände rang und betreten zu Boden sah. »Ich bin noch gar nicht müde«, vertraute er sich mir leise an.

»So? Obwohl du einen langen Tag hattest? Du weißt, was das heißt?«

Mit Augen, die so hell strahlten, wie es wirklich nur die von Kindern schafften, sah Collin wieder auf. »Eine Geschichte?«

Ich zwinkerte ihm zu, hob ihn mit Leichtigkeit hoch und trug ihn zu seinem Bett. Es war neben einer Kleidertruhe das Einzige, was in dem kleinen Raum Platz fand, aber es würde genügen, bis Collin alt genug war, um seine eigene Familie zu gründen. Sacht legte ich meinen Sohn auf die mit frischem Heu gefüllte Matratze und breitete die Decke über ihm aus, die Ruth ihm geschneidert hatte, als sie mit ihm im fünften Monat schwanger war. Dann setzte ich mich an den Bettrand, sodass das Holz knarrte, und blickte auf meinen ganzen Stolz hinab.

Collin war und blieb sehr wahrscheinlich unser einziges Kind, aber das war in Ordnung. Gott wollte scheinbar nicht, dass wir mehr Kinder bekamen, aber dafür gab ich weder Ruth noch Collin die Schuld. Ich war über alle Maßen dankbar sie zu haben, wieso sollte ich also um weitere Kinder trauern, die nicht geboren werden wollten?

Trotzdem, oder gerade deswegen, beugte ich mich vor und küsste meinen Sohn lang auf die Stirn. »So, was willst du heute hören?«

»Erzähl mir etwas über das Meer«, bat Collin sofort.

Verblüfft blinzelte ich. »Wo hast du denn etwas vom Meer aufgeschnappt?«

»Fynns Opa hat ihm davon erzählt und nun bin ich neugierig!«

»Das glaube ich dir sofort«, murmelte ich und strich mir nachdenklich über den Bart, um gedanklich alles zusammenzutragen, was ich über das Meer wusste.

Bei so einem überaus neugierigen Sohn stand man beinahe täglich vor dem Problem, ihn so gut wie möglich mit wahrem Wissen zu versorgen. Ich hielt nichts davon, Collin anzulügen, nur um mein Unwissen zu verbergen oder ihn zum Schweigen zu bringen. Zum Glück hatte ich das Meer bereits einmal gesehen und auch mein Vater hatte früher häufig davon erzählt, weswegen ich Collin wohl genug berichten konnte, bis er einschlief. Also strich ich ihm noch einmal durch das Haar und begann dann zu reden, während ich Ruth im Nebenraum am Herd werkeln hören konnte.

***

Der Frühling ging in den Sommer über und die Felder nahmen so viel Aufmerksamkeit von mir in Anspruch, dass ich die Holzfäller nur selten in den Wald begleiten konnte. Meist half ich ihnen nur noch dabei, die besonders dicken Bäume zu fällen oder die Karren voll Holz in die Siedlung zu bringen. Ruth war das ganz recht, denn in letzter Zeit wilderte ein Bär im Wald und riss bereits mehrere Männer. Sie hatte Angst um mich, was ich nur zu gut verstehen konnte, und ich war hingegen erleichtert, sie und Collin auf dem Weg in die Siedlung begleiten und ihnen damit einiges mehr an Schutz bieten zu können.

Ich hatte nichts gegen Wildtiere. Sie besaßen das gleiche Recht, im Wald zu leben und zu jagen, wie wir. Aber sobald sie meine Familie bedrohten, hörte dieses Verständnis bei mir auf. Zum Glück hatte ich das Tier bisher nicht gesehen und es blieb scheinbar auch im Wald, aber ich machte mir Sorgen um die anderen Männer, die täglich dort arbeiteten. Auch erfolgten die Angriffe viel zu häufig, weshalb sie nicht aus Hunger geschehen konnten.

War es vielleicht ein Weibchen, das in der Nähe seine Jungen aufzog?

Das wäre wirklich schlecht und würde uns dazu zwingen einzugreifen. Denn eine wütende Bärenmutter war unberechenbar. Deswegen wunderte ich mich auch nicht, als es eines Abends, nachdem ich Collin bereits ins Bett gebracht hatte, an unserer Tür klopfte. Ich tauschte einen Blick mit Ruth, die nur eine zarte Augenbraue hob, ehe ich mich auf den Weg zur Tür machte.

Ganz wie ich vermutete, stand Taylor davor und grinste mich schief an. Ich musste keinen Blick auf die fünfzehn weiteren Männer werfen, die ein Stück abseits auf dem Hof warteten, um zu wissen, warum er hier war. »Ihr wollt also den Bären jagen gehen? Nach Einbruch der Nacht?«

»Ja, Raphael meinte, dass wir um diese Zeit die besten Möglichkeiten haben, ihn aufzuspüren«, erklärte mir Taylor.

Ich sah zu Raphael, dem besten Jäger in der Siedlung, und musterte ihn einige Momente lang. Er war ein großer, rechtschaffener Mann, der meinen Blick ungerührt erwiderte und nicht einmal zu blinzeln schien. Ich erkannte den Willen, das Tier zu erlegen, in seinen dunklen Augen, aber auch den Ernst in seiner Mimik.

Im Jagen kannte ich nur die Grundlagen und würde niemals einem erfahrenen Mann wie ihm widersprechen, aber ich fragte mich trotzdem, wie wir mitten in der Nacht ein gefährliches Tier aufspüren sollten, ohne selbst zu Opfern zu werden.

»Und du willst, dass ich euch begleite«, vermutete ich und hörte, wie Ruth leise seufzte. Sie wollte mich nicht gehen lassen, aber sie wusste auch, dass wir die Sache nicht allein den anderen überlassen konnten. Es ging hierbei ja auch um unseren Schutz.

»Ja, wir wären dankbar für deine Unterstützung. Wir wollen heute auch nur die Gegend auskundschaften, in der Dave letzte Woche getötet wurde.«

»Das hättet ihr auch am Tag machen können«, bemerkte ich und lehnte mich mit verschränkten Armen an den Türrahmen, während ich an den Mann dachte, der, ohne dass wir es bemerkt hatten, während einer unserer Schichten im Wald plötzlich verschwunden war. Als wir ihn zwischen einer Ansammlung von Büschen fanden, konnten wir nur seinen Tod feststellen.

Unsicher sah Taylor zu Raphael, was mir sagte, dass er das ebenfalls dachte. Der Jäger schwieg aber mit neutraler, wenn auch überzeugter Miene. Ich seufzte. »Na gut, ich werde euch begleiten.«

»Danke«, sagte Taylor und atmete hörbar auf.

Ich verstand, dass er nur ungern ohne mich gegangen wäre, und freute mich daher über das Vertrauen, das er in mich steckte. »Ich bin in zwei Minuten bei euch. Geht am besten schon einmal vor. Ich hole euch ein.«

»Alles klar«, rief Taylor viel munterer und eilte zu den anderen zurück, während ich leise die Tür schloss.

»Musst du wirklich mitgehen?«, fragte mich Ruth sogleich, als ich mich ihr zuwandte. »Mitten in der Nacht ist das eine irrsinnige Aktion. Was denkt sich Raphael nur dabei?« Sie schüttelte den Kopf, um ihre Sorge hinter ihrem blonden Haar zu verbergen.

»Schatz«, sagte ich leise und legte ihr eine Hand an die Wange, damit sie wieder zu mir aufsah. Ihre schönen Augen glänzten leicht und es stach mir schmerzhaft ins Herz, sie so zu sehen. Sacht zog ich sie in meine Arme und bot ihr damit einen Ort, an dem sie gern alle Sorgen fallen lassen konnte. Ruth seufzte leise und schmiegte sich an mich, krallte die Finger in meinen Rücken, als ob sie mich niemals gehen lassen wollte. »Ruth, mir wird schon nichts passieren. Raphael ist sehr erfahren und während seiner Jagden ist noch nie etwas passiert. Vertraue ihm.«

»Wieso sollte ich?«, fragte meine Frau aufmüpfig. »Schließlich habe ich selten genug mit ihm zu tun. Immer bleibt er in seiner Hütte und kommt erst nach Sonnenuntergang heraus, um sich im Wald mit den wilden Tieren zu prügeln. Er ist merkwürdig.«

Ich lachte leise, schob Ruth von mir und sah ihr tief in die Augen. »Dann vertraue mir. Ich verspreche dir, dass ich bald und in einem Stück zu dir zurückkehren werde.«

Einen Moment blieb Ruths trotziger Gesichtsausdruck noch bestehen, aber dann sackten ihre Schulter herab und sie nickte. »Gut, dann geh. Aber bitte pass auf dich auf.«

»Das tue ich doch immer.«

Sacht strich ich ihr mit den Daumen über die Wangen und beugte mich dann zu ihr, um sie zu küssen. Ruth stellte sich auf die Zehenspitzen, um mir entgegenzukommen, wodurch sich ihr Körper wieder an mich lehnte und ich regelrecht von ihren Lippen vereinnahmt wurde. Sie waren so wundervoll weich und schmeckten unfassbar gut, dass ich beinahe vergaß, warum ich gehen wollte. Lieber wäre ich bei ihr geblieben und hätte diesen Kuss niemals enden lassen. Aber die anderen warteten, weswegen ich mich – wenn auch unwillig – von ihr löste.

»Bis später, mein Schatz«, flüsterte ich ihr ins Ohr, was sie leicht erschauern ließ.

»Bis später«, hauchte sie und ich lächelte, weil ihre Augen ganz verschleiert wirkten.

»Schließ die Tür hinter mir ab«, meinte ich noch, zwinkerte ihr zu und griff dann nach meiner Axt, die neben dem Eingang lehnte.

Als ich hinaus in die laue Sommernacht trat, lauschte ich, während ich den Hof überquerte. Aber Ruth schien mir noch nachzuschauen, denn ich hörte das Schließen der Tür nicht. Erst als ich das Grundstück verließ und zwischen die Felder trat, vernahm ich das beruhigende Rumpeln der Verriegelung. Nun konnte ich mich auf die Mission, die vor mir lag, konzentrieren.

Die Männer des Jagdtrupps hatten sich bereits ein Stück von meinem Haus entfernt, aber sie liefen langsam und boten mir damit die Möglichkeit, sie schnell einzuholen. Freudige Worte wurden mir zur Begrüßung zugemurmelt und viele der Männer klopften mir auf die Schulter, als ich an ihnen vorbei zu Taylor aufschloss. Sie wussten es genau wie ich zu schätzen, wenn man etwas für die Gemeinschaft tat und sich aufeinander verlassen konnte. Nur zusammen waren wir stark genug, um allem zu trotzen, und obwohl ich mich vorwiegend für die Sicherheit meiner Familie angeschlossen hatte, fühlte auch ich mich innerhalb dieser Truppe wohl.

Als ich bei Taylor ankam, reichte er mir eine der mitgebrachten Öllampen, deren Flamme jedoch heruntergedreht war, da der beinahe volle Mond hier auf freier Fläche genug Licht spendete. Öl war ein rares Gut, das wir nur selten außerhalb des Winters nutzten. Aber für eine Suche zwischen den Bäumen waren die robusteren Lampen sinniger als Fackeln. Schließlich wollten wir nicht Gefahr laufen, den ganzen Wald abzubrennen.

»Wie sieht euer Plan aus?«, fragte ich vor allem an Raphael gewandt, der neben Taylor die Gruppe anführte.

Der stille Jäger musterte mich kurz, ehe er wieder nach vorn sah. Ruth hatte recht, er war wirklich etwas merkwürdig und blieb lieber für sich. Aber er versorgte uns stets mit frischem Fleisch und war immer da, wenn man ihn brauchte. »Wir begeben uns zu der Stelle, an der das letzte Opfer gefunden wurde, und folgen dort den Spuren. Wenn wir Glück haben, finden wir sogar die Höhle des Bären.«

Mehr sagte er nicht, sondern deutete nach vorn. Dort befand sich, nicht mehr allzu weit entfernt, der Zugang zum Wald, den wir immer nutzten und der inzwischen schon fast zu einem breiten Weg geworden war.

»Wir sollten die gängige Strecke nehmen und dann in das Gestrüpp abbiegen, in dem Dave gefunden wurde. Ich werde auf mögliche Spuren achten und ihr solltet so leise sein, wie es eben geht, damit wir hören, wenn sich uns etwas nähert.«

»Müssen wir etwas zu dem Kampf gegen einen Bären wissen, wenn es im Zweifelsfall doch dazu kommt?«, fragte ich mit leiser und dadurch umso brummender Stimme.

Raphael schwieg, während wir den Wald betraten.

Obwohl er am Tag so einladend und friedlich wirkte, kamen mir die dichten Bäume nun abweisend und bedrohlich vor. Das freudige Zwitschern der Vögel fehlte und nur ein beständiges Rascheln von nachtaktiven Tieren und dem Wind in den Blättern empfing uns. Ich spürte, wie ich mich anspannte, und erkannte nach einem Blick auf die anderen, dass es ihnen ähnlich ging. Bedächtig drehte ich die Flamme meiner Lampe hoch und schnell folgten die anderen meinem Beispiel. Trotzdem konnten wir nur wenige Meter weit sehen und die hinter den Lichtkreisen lauernde Dunkelheit schien Dinge zu verbergen, die uns innerhalb von Sekunden das Leben nehmen konnten.

Ich schüttelte den Kopf, denn diese Gedanken waren vollkommen unnötig. In der Nacht lauerten hier genauso wilde Tiere wie tagsüber und nur weil wir sie nicht schon von Weitem sahen, hieß das noch lange nicht, dass wir Angst vor ihnen haben mussten. Sie würden es sich mehrmals überlegen, ob sie eine so große Menge Menschen angriffen oder nicht lieber einen weiten Bogen um sie herum machten – selbst ein Bär würde das.

Deswegen wandte ich mich wieder Raphael zu, der langsam den Blick über die Gegend schweifen ließ. Als ob ich meine Frage gerade eben erst gestellt hätte, antwortete er nun: »Wenn es tatsächlich zum Kampf kommen sollte, müsst ihr vor allem eines bedenken: Haltet euren Angreifer auf Abstand. Wenn ihr von ihm verletzt werdet, dann wahrscheinlich so schwer, dass es euch nicht gut bekommt.«

»Sehr beruhigend«, murmelte Taylor, woraufhin Raphael leise lachte.

»Entschuldige, dass ich dir keinen besseren Rat geben kann. Ein Bär ist der schlimmste Feind, dem du im Wald begegnen kannst.«

Bei seinen letzten Worten klang er nachdenklich und nicht mehr ganz bei der Sache. Vielleicht weil wir immer tiefer in den Wald gingen und er den Boden gründlich mit Blicken absuchte. Ich konnte nur den Kopf schütteln und war froh, dass ich selten mit ihm zu tun hatte. Aber ich wusste, wie gut er in seinem Job war, und folgte ihm deswegen, ohne zu zögern. Schließlich wollte ich schnell wieder nach Hause zu Ruth.

Ich verbannte meine Frau jedoch schnell wieder aus meinen Gedanken, denn ich wollte aufmerksam bleiben und nicht am Ende von dem Bären überrumpelt werden. Also hielt ich mich nah bei Raphael, musterte meine Umgebung genau und lauschte auf das noch so kleinste Geräusch. Die Männer hinter mir taten es mir gleich, obwohl ihre zahlreichen Schritte es beinahe unmöglich machten, etwas anderes wahrzunehmen.

Überrascht zuckte ich zusammen, als eine Eule knapp über uns hinwegflog und kurz darauf das hohe Quieken einer Maus ertönte. Eine Jägerin war heute schon erfolgreich gewesen.

Je tiefer wir in den Wald vordrangen, umso nervöser wurde ich. Würden wir vielleicht heute schon auf den Bären treffen? Ich griff meine Axt fester, obwohl ich nicht daran glaubte, dass wir heute mehr als Spuren fanden. So eine Jagd konnte sich mehrere Tage hinziehen, das wusste selbst ich. Aber irgendwas ließ mich immer weiter anspannen. Ich fühlte mich beobachtet und glaubte etwas am Rand meines Blickfeldes zu sehen. Aber Raphael blieb ruhig, weswegen ich es als Einbildung abtat und einfach weiter folgte.

Den anderen war aber scheinbar auch etwas aufgefallen, denn ich hörte, wie sie leise miteinander sprachen, und sah, wie sie in die Dunkelheit zeigten. Taylor schloss sogar näher zu mir auf und spielte nervös mit dem Beil, das er als Waffe mitführte.

»Müssten wir nicht bald an der Stelle sein?«, fragte er Raphael und der Jäger warf ihm einen vielsagenden Blick zu, als er Taylors Stimme zittern hörte.

»Ja, gleich. Und bisher ist alles ruhig, macht euch also keine Sorgen.«

Tatsächlich beruhigten mich diese Worte und ich konnte die Anspannung etwas fahren lassen. Dafür trat ich direkt an Raphaels Seite und versuchte herauszufinden, was er am Boden sah, das mir verborgen blieb.

Zu meiner Überraschung deutete er auf die weiche Erde zu unserer Rechten und erklärte mir: »Siehst du den halbrunden Abdruck? Das ist der hintere Teil eines Fußes.«

»Wahrscheinlich von einem von uns, als wir hier vorbeikamen.«

»Ohne Schuhe?«, fragte Raphael amüsiert und erst jetzt betrachtete ich den Abdruck genauer.

Aber der Jäger hatte recht. Wie eine Sohle sah das wirklich nicht aus. Ich wollte ihn schon fragen, was das zu bedeuten hatte, als er nach links deutete. Nun, da ich wusste, auf was er hinauswollte, erkannte ich schnell weitere Abdrücke von bloßen Füßen.

Finster runzelte ich die Stirn. »Meinst du, es sind Banditen?«

Raphael seufzte und nun erkannte ich Besorgnis in seinen Augen. »Ich wünschte es wäre so, denn dann wären wir klar im Vorteil.«

»Wie meinst du das? Wer sollte denn sonst solche Abdrücke machen? Es wird ja wohl kaum jemand aus dem Dorf unbekleidet durch den Wald rennen.«

Leise lachte Raphael, aber der Ernst verschwand dabei nicht aus seinem Gesicht. »Nein, das sicher nicht, aber ich werde euch nicht beunruhigen, solange ich nicht sicher bin.«

Taylor schnaubte und umgriff sein Beil nun mit beiden Händen. »Das hast du jetzt aber schon gut geschafft.«

»Ruhe jetzt, dort vorn ist es«, zischte Raphael ungewohnt rüde.

Wir verstummten und sahen zu der Stelle, die ein Stück vor uns aus der Dunkelheit aufgetaucht war. Neben dem schmalen Weg, den wir immer in die Tiefen des Waldes nahmen, standen hier die Bäume weiter auseinander als sonst, weshalb sich mehr Buschwerk ansammeln konnte, das den gesamten Boden dicht bedeckte. Doch mitten darin war eine Schneise geschlagen worden, die von dem Weg fort und in die Dunkelheit führte. Raphael ging bis dorthin und besah sich die Äste der Büsche.

»Abgeknickt«, verkündete er uns. »Das hier wurde nicht von Menschenhand geschlagen, sondern rüde zur Seite geschoben.«

»Also ist der Bär hier gewesen?«, fragte einer der Männer, die sich um den Jäger versammelten.

»Gut möglich. Lasst uns etwas tiefer bis zu der Stelle gehen, an der ihr Dave gefunden habt. Scott, bleib bitte nah bei mir und leuchte den Weg aus. Ich will keine Spuren übersehen.«

Ich nickte und folgte Raphael in den schmalen Gang, der zwischen den Büschen entstanden war. Wir konnten nur hintereinander laufen, was den Männern nicht gefiel. Aber es ging gerade nicht anders.

Raphael richtete den Blick weiterhin auf den Boden und ich tat es ihm gleich, während sich mein Gehör immer weiter schärfte. Ich runzelte die Stirn, als ich die Spuren bemerkte. Ich war weiß Gott nicht gut darin, sie zu lesen, aber auch mir fiel auf, dass neben den Spuren, die meine Kameraden und ich gemacht hatten, als wir Dave bargen, keine weiteren von irgendwelchen Tieren zu sehen waren. Sollten Bärenpranken nicht enorm auffallen? Dafür entdeckte ich aber wieder die Abdrücke der nackten Füße.

»Das war kein Bär«, murmelte ich leise vor mich hin und trotzdem hörte mich Raphael.

Der Jäger warf mir einen Blick über die Schulter zu und nickte dann knapp. »Das denke ich auch.«

»Und was war es dann?«

»Ich hoffe nicht das, was ich befürchte«, erwiderte er kryptisch und ging langsam und bedächtig weiter.

Ich blinzelte überrascht und ärgerte mich langsam darüber, dass der Jäger nicht einfach mit der Sprache herausrücken konnte. Dementsprechend öffnete ich auch den Mund, um ihn eindringlicher dazu aufzufordern, endlich offen zu sprechen. Aber da weiteten sich die Büsche zu einer kleinen Senke. Die Bäume ließen ebenfalls etwas Platz, wodurch das Licht des Mondes auf die entstandene Lichtung fiel und wir die Spuren des Kampfes erkennen konnten, den Dave mit seinem Angreifer geführt hatte.

Ich gab es nur ungern zu, aber mir wurde mulmig, als ich an den Rand der Senke trat und hinabsah. Die Erde war aufgewühlt und an manchen Stellen tief eingekerbt – als ob jemand fest die Fersen in den Boden gestoßen hätte und doch keine Chance hatte, nicht davongezerrt zu werden … Ich zog die Augenbrauen finster zusammen, als ich mir vorstellte, wie Dave hier verzweifelt um sein Leben gekämpft haben musste, während seine Kameraden nicht allzu weit entfernt arbeiteten. Jeden von ihnen hätte es erwischen können. Sogar mich.

Das leise, unsichere Murmeln der anderen Männer verriet mir, dass es ihnen ebenfalls nicht geheuer war, hier zu sein. Nur Raphael zeigte sich davon unberührt und sprang hinab in die Senke. Von Mondlicht umhüllt hockte er sich hin, aber von uns wagte sich niemand hinein. Einerseits, um keine Spuren zu verwischen, andererseits aber auch, um diesem Ort einfach fern zu bleiben. Dass wir Daves Leiche bergen mussten, hatte uns genügt.

»Hm«, machte Raphael und drehte sich langsam im Kreis.

Wir beobachteten ihn, wie er über bestimmte Stellen des Bodens strich und sogar die Finger an die Nase hielt. Er sah so aus, als ob er etwas suchte, aber nicht fand, denn er sah auf und fragte: »Welche Verletzungen wies Dave auf?«

Unruhig sahen sich die Männer an und als niemand etwas sagte, seufzte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. »Sein kompletter Hals war aufgerissen, als ob ihn etwas an der Kehle gepackt hätte, und an seinem ganzen Körper fanden wir Krallenspuren.«

Raphael stand auf, kam näher und blickte aus seiner niedrigeren Position zu mir auf. »Wie breit waren die Spuren?«

Ich dachte nach und tauschte derweil einen Blick mit Taylor, der unschlüssig die Hand hob. Ich nickte und sagte an Raphael gewandt: »In etwa so dick wie Taylors Finger.«

Raphael seufzte und schüttelte den Kopf, als ob er damit gerechnet hätte. Dann wandte er sich wieder der Senke zu und sagte unumwunden: »Das war kein Bär.«

»Höh?«, mache Taylor, der meine Worte von vorhin nicht mitbekommen hatte. »Wie kommst du darauf?«

Raphael deutete auf die Lichtung. »Die Erde sieht zwar so aus, als ob etwas Großes mit Dave gekämpft hätte, aber obwohl seine Kehle aufgerissen war, sieht man kaum Blut. Auch verursacht eine Bärenpranke viel größere Spuren als eine menschliche Hand. Wenn Dave wirklich von einem Bären angefallen und auch nur einmal von ihm erwischt worden wäre, hätte sein halber Körper zerfetzt sein müssen.«