Luisa Francia
Die Magie
der Steine
Weshalb wir sie lieben,
sie mit nach Hause nehmen und wie sie uns helfen können
Mit Fotos, Bildern und Zeichnungen von Luisa Francia
nymphenburger
»Tu einem Stein Gutes – er wird es dir vergelten.«
Arabisches Sprichwort
www.nymphenburger-verlag.de
© für die Originalausgabe und das eBook: 2013 nymphenburger
in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München.
Alle Rechte vorbehalten.
© Schutzumschlagmotiv sowie alle Fotos
und Illustrationen: Luisa Francia
Gestaltung: Wolfgang Heinzel
ISBN 978-3-485-06056-1
www.salamandra.de
INHALT
Als Kind hatte ich einen Traum ...
Das Wesen der Steine
Warum wir sie so lieben und was sie uns geben
Die Spur der Steine
Stille Zeugen der menschlichen Geschichte
Unechte Steine
Wie gefälscht, geätzt,getrickst wird
Verborgene Steine
Die kraftvolle Welt der Kristalle
Die Zaubermacht der Steine
Schutz, Magie und Kult
Heilende Steine
In Verbindung mit der Energie
Die Sprache der Steine
Stille, in der alles entsteht
Mit Steinen befreundet
Menschen und Kieselsteine
Mythen rund um die Steine
Märchen, Sagen, Legenden
Schmückende Steine
Schönheit, Schutz und magische Verstärkung
Außerirdische Steinwesen
Meteoriten, die Kraft des Universums
Steinerne Kultorte
Kraftplätze in aller Welt
Mit Steinen leben
Rituale
Landkarten der himm-
lischen Ereignisse
Literatur
Als Kind hatte ich einen Traum ...
... der immer wiederkehrte. Ich war auf einer Insel, auf der drei Häuser mit spitzen Giebeln standen. Wenn ich näher auf diese Häuser zuging, waren es drei Felsen. Diese drei Felsen bedeuteten für mich als Kind das Ende der Welt. Hier endete das, was ich kannte, die vertraute Welt mit Menschen, Pflanzen, Tieren, Steinen. Dahinter begann die dunkle, unbekannte, zwar nicht bedrohliche, doch immer geheimnisvolle Tiefe des Universums.
Ich fiel als Kind oft in eine Art Trance. Ich hatte dabei das Gefühl, nach hinten zu kippen und fortwährend im leeren Raum zu kreisen. Um diese Vision zu beenden, stellte ich mir vor, auf einem Heuwagen zu landen. In der Ferne standen die drei spitzen Felsen. Meine Rettung. Seither sind Steine und Felsen meine Verbündeten.
Ich habe schon in vielen Büchern über Erlebnisse mit Steinen erzählt. Dass einige dieser Geschichten auch hier vorkommen, hängt damit zusammen, dass sie in einem Buch über Steine einfach nicht fehlen dürfen.
Steinkreis Xerez, Mosaraz (Portugal) mit Regenbogen
sie stehen im kreis
in langsamen wellen
steigt ihr atem auf
zu den sternen
und sinkt zur erde zurück
sie atmen aus
kriege hungersnöte seuchen
sie atmen ein
tiere tauchen auf
verschwinden
pflanzen wachsen verblühen
sie atmen aus
kein mensch kein tier
kein leben
das gras wird gelb
die sonne zieht über den himmel
wolken ballen sich zusammen
lösen sich auf
der mond wird voll
wird leer
jahrhunderte vergehen
jahrtausende
da stehen die steine
alles lebt
und stirbt
in ihrem langen atem
Das Wesen der Steine
Warum wir sie so lieben und was sie uns geben
Die Freundschaft zwischen Steinen und Menschen geht auf den Anfang menschlicher Kultur zurück. Nichts und niemand begleitet uns so treu. Ohne Steine und Mineralien würden wir gar nicht existieren, gäbe es die Erde nicht. Doch es ist nicht diese Dankbarkeit der Erde und ihren »Körperteilen«, den Steinen, gegenüber, die unsere Liebe entfacht hat. Es ist die Schönheit der Steine, ihre große Kraft, die nicht nur erfreut, sondern auch heilen kann, ihre selbstverständliche Anwesenheit in unserem Leben, in den Landschaften der Erde, in unseren Wohnstätten.
Seit Beginn menschlichen Lebens waren Steine die Mitbewohner, die Helferwesen, die Begleiter und die Freunde der Menschen. Sie verbünden sich mit dem Wasser und mit Bäumen, sie fallen in unseren Alltag und begleiten unsere Zauberrituale.
Die frühen BewohnerInnen Alaskas, die so genannten Pebble People, schrieben ihre Geschichte, ihre Zaubersprüche, ihre Mitteilungen auf Steine, sie ritzten Zeichnungen und Zeichen ein, die wir zum Teil bis heute nicht entziffern können.
Der Fluss Degebe bei Vendinha, Alentejo (Portugal)
Gravuren in Steinen und Felsen überliefern überall auf der Welt die Botschaften früherer Völker. In Alaska und Sibirien wurde das Jagdglück mit Amuletten aus Stein gerufen, Amulette, die in menschliche oder tierische Formen geschnitten, gefeilt und geschlagen wurden. Steine sind die ersten Werkzeuge der Menschen, und auch Magie wird seit Urzeiten mit Steinen gewirkt. Bemalte und mit ockerfarbigen Tupfen verzierte Steine halfen den altsteinzeitlichen Menschen, ihren Zauber zu bekräftigen. Lochsteine gelten seit der Jungsteinzeit als magisch und einen Lochstein zu finden gar als Erfüllung der Wünsche. Runde Steine wurden den Toten in die Megalithgrabstätten überall auf der Welt mitgegeben – die Kugel als Symbol für die Unendlichkeit des Universums, ohne Anfang, ohne Ende.
Steine machen erwachsene Menschen zu Kindern, sie zaubern ein Leuchten in die Augen von rationalen und gar nicht magisch begabten Menschen, sie entzücken uns mit ihrer Formen- und Farbenvielfalt.
Vor Kurzem wurde von Forschern der Universität Perth der bisher älteste Stein der Welt, ein Zirkonkristall, in Australien gefunden, eingebettet in Gneis-Muttergestein. Er ist über vier Milliarden Jahre alt und damit nur wenig jünger als die Erde selbst, die rund fünf Milliarden Jahre alt ist. Die Forscher waren schockiert, denn dieser uralte Kristall war in unmittelbarer Nähe zu Wasser entstanden. Bisher war die Wissenschaft davon ausgegangen, dass es in der frühen Erdgeschichte noch gar kein Wasser gegeben hatte. Im Inneren des Zirkons fand man winzige Diamanten, die womöglich noch ein wenig älter sind. Diese Diamanten und Zirkonkristalle haben die Erdgeschichte von Anfang an mitgemacht. Die Erdbewegungen, die Wasserströme, das Entstehen und Auseinanderbrechen des Superkontinents Pangasia, das Entstehen und Aussterben der Dinosaurier. Diese Ur-Kristalle haben alle Klima- und Vegetations-Epochen, das Auftauchen und Aussterben von Pflanzen und Tieren, die Entstehung der Menschen begleitet und sie werden noch hier sein, wenn es auf der Erde keine Lebewesen mehr gibt.
Im Lauf der Erdgeschichte kehrte Mutter Erde das Unterste zuoberst, tiefe Schichten von Granit wurden in der Gegend, die heute das Himalayagebirge bildet, nach oben gedrückt. Die Erde bewegt sich, drückt, zieht, erzeugt Feuer, bringt Wasser hervor. Aus dem Weltall fallen Steine und Eisenstücke. Sternbrösel und Mondstaub würzen die Erdoberfläche.
Sammlung von jungsteinzeitlichen Amuletten aus Ponts de Cé (Frankreich)
Steine sind die ältesten Wesen dieses Planeten. Könnten wir sie befragen, würden wir alles über die Erde erfahren. Steine spielten und spielen eine überragende Rolle in der Geschichte der Menschen, als Unterkunft, als Schutz, als Schmuck, als Amulett und Talisman, als Begleitung und magische Verstärkung. Steine sind unsere AhnInnen, unsere BegleiterInnen, ihre Inhaltsstoffe, die Mineralien, brauchen wir zum Überleben. Ohne Steine ist die menschliche Geschichte und Kultur gar nicht denkbar.
Steinalt sind Menschen, die sehr alt sind. Das bezieht sich vielleicht auf steinerne Kultanlagen, Überreste der Steinzeit, einer Zeit, in der große Steine bewegt und verehrt wurden.
Steinreich sagt man, wenn jemand unbeschreiblich viel besitzt. Und auch hier führt eine Spur in die Frühgeschichte, in der Steine und Steinperlen Zahlungsmittel waren, mit denen Nahrung, Kleidung und Vieh gekauft werden konnte. Noch heute sind Bernstein, Koralle, Türkis und Lapislazuli Zahlungsmittel in Asien und Afrika und die uralten »Geldsteine« aus Togo, Quarze, die rund geschliffen und durchlöchert wurden, haben immer noch ihren Wert.
Steine waren wertvolles Gut für unsere AhnInnen. Doch was brachte sie dazu, ihr halbes oder sogar ihr ganzes Leben, womöglich sogar über mehrere Generationen hinweg, harte schwere Steine zu bearbeiten, zu bewegen, in kleine Steine Bilder oder Symbole zu ritzen, obwohl ihnen daraus weder unmittelbar Nahrung oder ein Dach über dem Kopf entstand?
Was wussten diese Menschen über Steine, was wir heute nicht mehr wissen?
War es so, dass über die Bearbeitung von Steinen, über ihre Berührung, eine Verbindung zu Energien entstand, die – als Nebenprodukt sozusagen – Nahrung und Dach über dem Kopf lieferte? Wie sollen wir uns die frühen Höhlenmalereien erklären? Sie dienten ja offensichtlich nicht dem Überleben, sondern der spirituellen Anrufung, dem Feiern der Lebenskraft. War die überwältigende Wirkung der Steine auf Menschen das Gelingen ihres Lebens, das Glück? Die Verwandlung der täglichen Mühsal in Tanz, in Lebenslust, in Sinnlichkeit und Wahrnehmung des Göttlichen in allem?
Mögen uns Wissenschaftler und Autoren von Schulbüchern auch von der Mühe der Steinzeitmenschen berichten – die Bilder, ihre Skulpturen, ihre Bauten, die sie uns hinterlassen haben, erzählen eine ganz andere Geschichte: Da sind tanzende Frauen, magische Begegnungen mit Tieren, Steinkammern gefüllt mit schönen Dingen. Wir können uns die Mühe der Steinzeit vielleicht eher als begeisterten Tanz der Menschen mit Steinen, mit der Natur vorstellen.
Von Menschen aller Kulturen und aller Zeiten wurden Botschaften in Steinen übermittelt – vom Rosettastein, dessen Inschriften bis heute Rätsel aufgeben, über die Dinosaurierzeichnungen von Ica in Peru, die in Granitschiefer geritzt wurden, bis hin zu den geheimnisvollen Inschriften der Stelen in Südportugal. Die Menschen vertrauten sich den Steinen an, weil diese lange Zeiten überdauern. So konnten viele Generationen die Bilder und Botschaften sehen. Die Beschäftigung mit Steinen machte offensichtlich durch die Jahrtausende Spaß und Sinn, und wenn sich heute Menschen mit Steinen beschäftigen, entsteht genau das: Faszination, ja, Begeisterung!
Sind es im Märchen nicht die Felsentore, die sich öffnen, um ungeahnte Wunder preiszugeben? Wandeln sich nicht Steine in Gold und bringt nicht die Berührung mit Steinen oft das erwünschte Happy End – zuverlässiger als jede Heirat?
Sheela-na-Gig-Figur, Baskenland (Spanien)
Ich gehe über den Markt von Estremoz. Es regnet und die meisten Händler sind gar nicht erst gekommen. Es gibt Gemüse, Blumen, Käse, Olivenöl und zwei oder drei Altwarenhändler. Gerade als ich wieder gehen will, streift mein Blick eine Steinfigur. Zwischen mehreren Heiligenfiguren steht da eine Sheela-na-Gig, also eine Urfrau, die ihre Vulva präsentiert. Sheela-na-Gig-Darstellungen stammen ursprünglich aus dem Keltischen, aus Irland oder aus der Bretagne. Ich frage den Händler, was sie kostet. Zweihundertfünfzig Euro will er für die Granitfigur haben. Der Preis wäre schon recht, aber wie soll ich die bewegen? Mein Zögern und Überlegen deutet er als Kaufinteresse, also geht er mit dem Preis herunter. Ich überlege hin und her. »Ist die schwer?«, frage ich. Er verneint vehement. »Gar nicht.« Ich versuche sie zu heben. Keine Chance. »Na ja, es ist Granit«, sagt er. »Ich fahre sie Ihnen zum Auto!«, bietet er an. Als ich nicht gleich darauf eingehe, reduziert er den Preis noch einmal. Mittlerweile regnet es ziemlich heftig. Er ist bei hundertfünfzig Euro. Nie wieder werde ich eine alte Sheela-na-Gig für hundertfünfzig Euro bekommen. Ich gebe ihm das Geld, er holt seinen Karren. Er hebt sie mir auf den Rücksitz auf eine Decke. Mit der Decke werde ich sie zerren können, hoffe ich. Ich fahre nach Hause. Die Sonne kommt heraus. Ich hole die Schubkarre. Es dauert rund zwanzig Minuten, bis ich die Figur in die Schubkarre gezerrt habe. Als ich die Autotür zuschlagen will, fällt die Schubkarre um. Sheela-na-Gig rollt heraus. Es dauert etwa eine Stunde, bis ich die Granitfigur mitsamt der Decke wieder in die Schubkarre gewuchtet habe. Danach bin ich so erschöpft, dass ich mich im See abkühlen muss. Warum tue ich mir das an?
»Spinnst du?«, wird meine Schwester mich später fragen. Ich habe mich in diese Steinfigur verliebt und kann nicht sagen, warum ich diese Mühsal auf mich nehme. Göttinnen und Steine sind meine Leidenschaft. Eine Göttin aus Stein ist für mich sozusagen der Hauptgewinn.
Überall liegen sie, auf der Erde, in Gärten, in Wohnungen, im Gebirge, am Meer, in der Wüste – die Steine. Sie sind uralt, manche fast so alt wie der Planet selbst. Manche kommen aus dem Weltraum, vom Mond, von Asteroiden. Sternenstaub, Mondstaub findet sich überall auf der Erde. Manche Mineralien sind versteinertes Leben, Fossilien, die mit Begeisterung gesammelt und bewundert werden. Manche sind unscheinbar. Manche unbeschreiblich kostbar. Für manche Steine mussten Menschen sterben, andere retten Leben. Sie springen uns in die Hände, in die Taschen, in die Wohnungen. Es ist eigentlich ganz unerklärlich, dass so viele Menschen so große Mühen auf sich nehmen, um Steine zu finden, nach Hause zu schleppen und mit ihnen zu leben.
Steine sind im Leben, in unserer Sprache, in unseren Gewohnheiten tief verankert. Vom Stein der Weisen über den Stein des Anstoßes zum Stolperstein oder zur Redensart »Stein und Bein schwören« – ohne Steine können wir uns das Leben eigentlich gar nicht vorstellen. Dass etwas zum »Steinerweichen« ist, lässt die Vermutung zu, dass besonders starke Emotionen Steine »erweichen« oder gar auflösen können.
Die Liebe der Menschen zu den Steinen ist uralt. Es gibt keine vernünftige Erklärung dafür, warum Menschen große schwere Steine bewegten, zu Kultstätten und Grabanlagen anordneten. Womöglich brauchten sie jahrzehntelang, vielleicht sogar Generationen, um diese Kultanlagen zu bauen. Was kam ihnen in den Sinn, als sie diese schwere Arbeit auf sich nahmen? Stellten sie sich vor, dass einmal, viel später, Menschen ihre Steinanlagen finden würden?
Folgen wir der Wissenschaft, so sind Steine nicht nur schwer, sondern auch tot. Doch Kinder, Frauen, Männer, Junge, Alte, Akademiker, Arbeitslose, Gesunde, Kranke – die Liebe zu den Steinen zieht sich durch alle Altersgruppen, durch alle Berufe, durch alle Gesellschaftsschichten. Sie macht uns alle irgendwie gleich. Wir lieben Steine. Unzählig die Geschichten, wie Menschen geliebte Steine fanden und gegen alle Widrigkeiten mit nach Hause brachten oder wie ein besonders schöner Stein gefunden wurde.
Ammonit, gefunden in Mustang (Nepal)
Vom Beginn menschlichen Lebens an müssen Steine etwas ganz Besonderes gewesen sein, denn die ältesten Grabbeigaben sind Kultklingen aus Stein, Steinperlen, behauene Kiesel, gefärbte flache oder ovale Steine. Aus Stein wurden in der Altsteinzeit Frauenfiguren modelliert. Steine waren von Anfang an Tauschobjekte und Zahlungsmittel. Steine wurden bearbeitet, um göttliche Wesen zu verehren, um Ahninnen und Ahnen darzustellen, um sich an Menschen zu erinnern. Steinstelen und Skulpturen wurden zum Schutz aufgestellt, Tiere wurden in Stein gefeilt und gehämmert, in Steinhöhlen wurden die wunderbarsten Malereien an die Wände angebracht, oft über Tausende von Jahren. Steine dienten als Orakelmaterial und als magische Helferwesen rund um den Erdball. Schon immer waren besondere Steine Statussymbol, doch erst in jüngerer Zeit wurden sie auch zu Spekulationsobjekten, wurden sie nur zur Geldanlage erworben und versteckt. Auch das Steinesammeln ist womöglich eine ganz junge Tradition. Zwar finden sich in steinzeitlichen Höhlen und Kammern Ansammlungen von Steinen – doch kann man daraus schließen, dass schon damals Steine gesammelt und womöglich in Museen gezeigt wurden? Wer weiß.
Fest steht: Je mehr Funde unsere Urgeschichte beschreiben, desto mehr Fragen tauchen auf. Das pedantisch geordnete Bild der Geschichte der Menschheit, wie es im 19. Jahrhundert zementiert wurde (ja auch zementieren ist ein Vorgang, der Steinmaterial enthält), lässt sich jedenfalls immer weniger halten. Die Archäologie taumelt von einem geplatzten Traum zum nächsten. Wir wissen so gut wie nichts sicher, was die frühe Geschichte betrifft. Jeder neue Fund stellt die alten Erkenntnisse wieder infrage. Doch wir haben die Steine. Lassen wir sie sprechen und lernen wir, sie zu verstehen, klärt sich unser Blick womöglich und neue Wunder tun sich auf.
Steinsetzung Aldeia da Mata, Alentejo (Portugal)
Auf einer Reise durch die Sahara sah ich schon von Weitem in der flachen Ebene der Tanezrouft einen Stein, der größer war als all die Quarzkiesel dort. Ich verliebte mich sofort in diesen braunen Stein, der so groß wie ein Fußball ist. »Wenn ich dich mitnehmen soll, musst du dich leicht machen«, sagte ich zu dem Stein. Ich hob ihn auf. Er war schwer. Sehr schwer. Als ich am Flughafen vor dem Heimflug das Gepäck aufgab, musste ich mit dem Fuß die Waage etwas anheben, um die zwanzig Kilo einzuhalten, die ich haben durfte. In Paris musste ich umsteigen. Da im Flugzeug von Paris nach München irgendein hoher französischer General mitflog, durfte das Gepäck aus Afrika nicht mit, vorsichtshalber. Es kam mit dem nächsten Flug und wurde mir nach Hause gebracht. Der Mann von Lufthansa schleppte die Tasche die Treppe hoch. »Die ist ja so schwer, als wären lauter Steine drin«, stöhnte er. »Da sind lauter Steine drin«, sagte ich.
Aus der Türkei hätte ich diese Steine nicht mitbringen dürfen. Da wurde ein Mann verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil er zwei Steine aufgehoben und mitgenommen hatte, die sich als steinzeitliche Klingen herausstellten.
Ich freue mich immer, wenn Menschen ihre Steine so hüten. Da war zum Beispiel diese bretonische Bäuerin. Ihr Gartentor wurde von einem Stein aufgehalten. Ich bückte mich zu dem Stein, ein besonders schöner Schalenstein, und berührte ihn. »Ne touchez pas!«, rief sie streng. Wir kamen dann noch ins Gespräch. Die Liebe zu Steinen verband uns.
Einmal an Lichtmess kam ich von einem Aufenthalt in den Bergen zurück, wo ich auf einer Hütte ein paar Tage geträumt und geschrieben hatte. Es gab damals noch eine Grenze zwischen Österreich und Deutschland, die recht streng überwacht wurde. Ich musste den Kofferraum öffnen. Der Zöllner schüttelte erstaunt den Kopf: So viele Steine und nur eine Unterhose!