GREGORY BENFORD

 

 

 

HIMMELSFLUSS

 

»CONTACT«-ZYKLUS

Dritter Roman

 

 

 

 

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

 

 

 

 

 

www.diezukunft.de

 

 

 

Für

Lou Aronica und David Brin,

die zwei Ritter von Sevagram

INHALT

 

Widmung

Prolog – Die Kalamität

Erster Teil –  Der lange Rückzug

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

Zweiter Teil – Die einst grüne Welt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

Dritter Teil – Die träumenden Wirbeltiere

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

Epilog – Argo

1. Kapitel

2. Kapitel

 

 

 

 

PROLOG

 

*

 

Die Kalamität

Killeen ging durch die weitläufigen Ruinen.

Trotz Erschöpfung bewegte er sich weiter durch einen Verhau aus zertrümmertem Stahl, eingestürzten Decken, Mauerwerk, Steinen und demolierten Einrichtungsgegenständen.

Sein Atem rasselte, als er nach seinem Vater rief: »Abraham!«

Ein kalter, brummender Wind riss den Namen fort. Rauch quoll aus knisternden Feuern und strömte an ihm vorbei. Die Luft schien zitternd dahinzuströmen.

Von hier aus breitete sich die Zitadelle den breiten, buckligen Hügel hinab aus. Komplizierte Straßenzüge waren jetzt zu Haufen aus Steinen und Schlacke zusammengestürzt. Mit vor Erschöpfung steifen Beinen und vor Rauch und Kummer brennenden Augen machte er eine Pause oberhalb einer Fläche voll Schutt aus weißem Marmor – den Skulpturtrümmern einer Kuppel, die vormals einen Kilometer über das Arboretum der Zitadelle aufgeragt hatte. Stätten, an denen er gelaufen war und gespielt hatte, geliebt und gelacht …

»Abraham!« Er hatte den Namen seines Vaters nur selten ausgesprochen; und jetzt erschien er ihm merkwürdig fremd. Er keuchte und hustete. Der scharfe Rauch biss ihn in die Kehle.

Die unteren Bollwerke der Zitadelle brannten heftig. Die Mechanos waren dort zuerst eingedrungen. Schwarzer Qualm hing über den größeren Stadtteilen – dem Breiten Rasen, dem Grünen Markt und der Rast der Drei Damen. Ruß bedeckte die ausgezackten Mauerreste.

Weiter entfernt waren von hohen Türmen die Spitzen wegrasiert. Ihre Stümpfe streckten Medusenhäupter aus Stahlträgern in die Luft. Die wechselnde Brise trug das Krachen zusammenbrechender Mauern heran.

Aber der Wind trug kein Stöhnen und keine Schreie herbei. Die Zitadelle lag schweigend da. Die Mechanos hatten alles getötet oder verschleppt und nur Leichen hinterlassen.

Killeen wandte sich der Flanke des Hügels zu. Das war seine alte Nachbarschaft. Heruntergefallene Steinblöcke und verkrümmte Stahlkonstruktionen konnten die Wege und Korridore nicht ganz unkenntlich machen, die ihm als Knaben vertraut gewesen waren.

Da lag ein Mann, dessen hervorgequollene Augen zum gequälten Himmel aufblickten.

Dort lag eine Frau, durch einen heruntergefallenen Balken in zwei Teile gespalten.

Killeen hatte sie beide gekannt. Freunde, entfernte Verwandte der Bishop-Sippe. Er berührte ihr kaltes Fleisch und ging weiter.

Er war mit den Überlebenden der Bishop-Sippe geflohen. Sie hatten rasch die entfernte Bergkette erreicht; und erst dann hatte er gesehen, dass sein Vater nicht dabei war. So war er zur Zitadelle zurückgekehrt, mit motorisierten Beinlingen, damit es schneller ging. Wie schlanke Maschinenkolben trugen ihn seine Beine zu den zerstörten Verteidigungsmauern, ehe überhaupt jemand in der Sippe seine Abwesenheit bemerkte.

Abraham hatte auf den äußeren Schanzen gekämpft. Als die Mechanos diese durchstoßen hatten, waren die Krieger dort wild davongeeilt. Die Mechanos strömten herein. Killeen war sich sicher, dass er über den Kommunikationssprechfunk die Stimme seines Vaters gehört hätte. Aber dann hatte die Schlacht alle in einem hitzigen Wirbel von Tod und Panik überschwemmt.

– Killeen! –

Er hielt an. Cermo der Langsame rief über Komm. Killeen antwortete: »Lass mich in Ruhe!«

– Beeile dich! Keine Zeit mehr! Da sind schon einige Mechanos im Anrücken. –

»Ich hole euch ein.«

– Lauf! Es eilt. –

Killeen schüttelte den Kopf und antwortete nicht. Mit einem Fingerschnippen schaltete er das Kommunikationsnetz aus.

Er kletterte über Steintrümmer nach oben. Selbst mit seiner motorisierten Ausrüstung war es mühsam, die steilen Wände der Ruinen zu erklimmen. Obwohl die Mechanos klaffende Breschen geschlagen hatten, hatten die massiven Bollwerke noch einige Zeit gehalten. Aber unter den unablässigen heftigen Stößen hatten schließlich sogar die schweren Fundamente nachgegeben.

Er schritt unter einem Bogen durch, der erstaunlicherweise überlebt hatte. Er wusste, was vor ihm lag, konnte sich aber nicht zurückhalten.

Sie war in der gleichen Position. Der Hitzestrahl hatte seine Frau erwischt, als er sie trug. Ihre linke Seite war schaurig verbrannt.

»Veronica.«

Er bückte sich und schaute in ihre offenen grauen Augen. Diese starrten in eine für immer entschwundene Welt.

Er versuchte, sie sanft zu schließen; aber die steifen Lider wollten sich nicht bewegen, als ob die Frau den letzten Blick auf die einst geliebte Zitadelle nicht lassen könnte. Ihre blassen Lippen waren leicht geöffnet in dem halben Lächeln, das sie immer zeigte, ehe sie redete. Aber ihre Haut war kalt und hart, als ob sie jetzt die unnachgiebige Festigkeit des Bodens angenommen hätte.

Killeen erhob sich wieder. Er fühlte ihre Augen im Rücken, als er sich zwang weiterzugehen.

Er kletterte über Schutthaufen, die früher Wohnungen, Werkstätten und elegante Arkaden gewesen waren. In der Zentralbibliothek züngelten Flammen.

Die öffentlichen Parks waren sein Lieblingsplatz gewesen, eine üppige Fülle frischen Grüns in der dürren Zitadelle. Jetzt waren sie versengt und qualmten.

Als er an dem zerstörten Senatsgebäude vorbeikam, ächzten dessen Alabastergalerien, erzitterten und stürzten langsam ein.

Erschöpft ging er weiter, aber es gab keine Spur von Mechanos. »Abraham!«

Rings um ihn lagen die explodierten Reste seiner Kindheit. Hier in der Werkstatt seines Vaters hatte er gelernt, die Unterstützung der Maschinen bei Schwerarbeit zu nutzen. Dort, unter einem gewölbten Vordach, hatte er eine spröde und scheue Veronica kennengelernt.

»Abraham!«

Nichts. Niemand. Wahrscheinlich lag sein Leichnam unter zusammengefallenen Festungsmauern.

Aber er hatte noch nicht den ganzen weitläufigen Komplex durchstreift, den die Menschen im Laufe von Generationen erbaut hatten. Es bestand immer noch eine Chance.

– Killeen! –

Diesmal war es nicht Cermo. Fannys Stimme drang scharf und sicher zu ihm durch, obwohl er das Kommgerät ausgeschaltet hatte.

– Zieh dich zurück! Es gibt nichts, was wir jetzt hier tun könnten. –

»Aber … die Zitadelle …«

– Die ist weg. Vergiss sie! –

»Mein Vater …«

– Wir müssen uns beeilen. –

»Andere. Es könnte sein …«

– Nein. Wir sind uns sicher. Niemand ist hier am Leben geblieben. –

»Aber …«

– Los jetzt! Ich habe fünf Frauen, die das Krishna-Tor im Schussfeld haben. Komm dort heraus; und dann werden wir uns in Richtung auf Rolos Pass aufmachen. –

»Abraham …«

– Hörst du mich? Beeile dich! –

Killeen wandte sich zu einem letzten Blick um. Dies war für ihn die ganze Welt gewesen, als er ein Knabe war. Die Zitadelle hatte die warme Umarmung der Menschheit real und ermutigend gemacht. Sie hatte entschlossen einem feindlichen Universum draußen widerstanden, stark, aber auch geschickt. Ihre schlanken Türme hatten wie Kandiszucker geschimmert. Wenn er nach kurzen Beutezügen in die Zitadelle zurückkehrte, hatte sein Herz immer frohlockt, wenn er die stolzen Türme aufragen sah. Viele Stunden lang war er durch die labyrinthischen Korridore der Zitadelle gewandert und hatte die eleganten Maßwerke bewundert, die die hohen Deckengewölbe schmückten. Die Zitadelle war immer riesig weit gewesen und doch warm. Jede sorgfältig gestaltete Nische atmete den Geist der gemeinsamen menschlichen Vergangenheit.

Er blickte scharf zurück dahin, wo Veronicas Leichnam lag. Es war keine Zeit, sie zu bestatten. Die Welt gehörte jetzt den Lebenden – fieberhafter Flucht und matter Trauer.

Killeen zwang sich, ein paar Schritte von ihr fort zu tun in Richtung auf das Krishna-Tor. Noch einen Schritt …

Die zertrümmerten Mauern wichen zurück. Es war schwer, den Weg zu finden. Vor ihm wirbelten Dunst und Rauch. »Abraham!«, rief er noch einmal in die leere Stille.

Die hohen Spinnengewebe der Fußwege der Zitadelle lagen jetzt zerstückelt im Staub, verstreut über die Innenhöfe. In dumpfer Benommenheit überquerte er den alten, vertrauten Boden. Krater gähnten, wo er einst herumgerannt war und gelacht hatte.

Am Rande der rauchenden Ruinen schaute er zurück. »Abraham!« Er lauschte und hörte nichts. Dann kam aus der Ferne ein schnelles Summen von Mechanosendungen. Der raue Klang ließ ihn zusammenzucken. Er machte kehrt und lief los. Lief ohne Hoffnung. Ließ seine Beine den Weg finden. Beißender Staub trübte seine Augen.

 

Ein Ruck.

Scharfes, blendendes Licht.

»He, komm schon! Wach auf!«

Killeen hustete. Er blinzelte in das grelle Licht gelber Lampen. »Oh! Was …?«

»Los, du musst aufstehen! Fanny sagt das.«

»Ach … sachte …«

Cermo runzelte die Stirn. »Hast du wieder geträumt?«

»Ich … die Zitadelle …«

Cermo nickte. »Das hatte ich gefürchtet.«

»Veronica … habe sie gefunden.«

»Na schön. Schau, du solltest nicht mehr daran denken. Sie war eine gute Frau und eine wundervolle Gattin. Aber du musst dich jetzt von ihr lösen.«

»Ich …« Killeens Stimme war von dem Rufen nach seinem Vater heiser. Oder war es von dem Alkohol, den er am vorigen Abend hinuntergeschluckt hatte?

Jetzt war es früher Morgen. Er fühlte sich noch steif vom nächtlichen Schlaf. Wenn er hochblickte, konnte er den breiten Schatten von Mechanomaschinen erkennen. Sie hatten ihn für die Nacht in einen Trog gebettet, wie er sich erinnerte. Um ihn herum erwachte die Bishop-Sippe.

»Los!«, drängte Cermo. »Es tut mir leid, dass ich den Stecker so schnell herausgezogen habe. Aber jetzt musst du aufstehen. Wir rücken ab.«

»Wie … wieso?«

»Ledroff hat einen Snout erspäht, der auf uns zukommt. Er meint, dass er in diesem Trog nach Vorräten suchen will.«

»Oh …« Killeen schüttelte den Kopf. Von seinen Schläfen bis zu der klammen Stirn zog sich ein Schmerz hin. Eine Perle von nächtlichem Schweiß tropfte ihm von der Nase, als er sich aufsetzte.

Cermo sagte unwirsch: »Du solltest lieber einige Zeit auf Reizmittel verzichten. Die machen schlechte Träume.«

»Na ja.« Killeen nickte und langte nach seinen Stiefeln. Die waren das, was man als Erstes anzog und als letztes ablegte.

»Es ist immerhin schon Jahre her«, sagte Cermo freundlich. »Zeit, es auf sich beruhen zu lassen.«

Killeen runzelte die Stirn. »Jahre …?«

»Gewiss.« Cermo sah ihn einen Moment deutlich beunruhigt an. »Die Kalamität ist schon sechs Jahre her.«

»Sechs …«

»Schau, wir alle mögen das Zeug, um ab und zu etwas aufgemuntert zu werden. Aber nicht, wenn es einen in die schlimmen Zeiten zurückführt.«

»Da hast du wohl recht.«

Cermo klopfte Killeen auf die Schulter. »Nun beeile dich! Gleich brechen wir auf.«

Killeen nickte. Cermo der Langsame ging los, um andere zu wecken. Seine große Gestalt glitt rasch zwischen den Schatten der Bottiche und Maschinen der Aliens hindurch.

Killeen zog an seinen Stiefeln, aber sein Geist weilte noch unter den Erinnerungen. Seine schmutzigen Kleider, die abgetragenen Stiefel, die Schwielen und Flecken auf den Händen … – all das sprach davon, was seit dem Fall der Zitadelle geschehen war, seit der Kalamität.

Er stand langsam auf und fühlte, wie seine durchgefrorenen Muskeln sich reckten und protestierten.

Die Zitadelle war dahin.

Veronica.

Abraham.

Ihm war nur noch Toby, sein Sohn, geblieben. Nur ein Fragment der Bishop-Sippe.{1}

Und schließlich lag vor ihm jetzt die endlose Aussicht auf Flucht und Rast und wieder Flucht.

 

 

 

ERSTER TEIL

 

*

 

Der lange Rückzug

1. Kapitel

 

Irgendetwas war hinter ihnen her.

Die Sippe hatte gerade unter einem blass jadefarbenen Himmel einen messerscharfen Grat überklettert. Killeens Stoßfänger winselten, als ihn seine gleichmäßigen Sprünge den Abhang hinunterführten.

Der rote Boden war zerklüftet und löchrig. Die von Traktoren hinterlassenen Kreuz- und Querrillen waren in der ausgedörrten Erde noch scharf. Es hatte so wenig geregnet, dass die Spuren gut hundert Jahre alt sein konnten.

Im Tal erstreckte sich ein schwarzgemusterter Fabrikkomplex. Killeen eilte über die polierten Ebenholzkuppeln und scheuchte dabei Kulis mit seinem Schatten fort, die ihren dumpfen Ärger durch lautes Klappern ausdrückten.

Killeen bemerkte sie kaum. Er beobachtete spitze Signale, die auf seiner rechten Netzhaut flackerten.

Da: Ein rasches Aufblitzen von Grün, ziemlich weit hinten.

Es kam und ging, aber immer an einer anderen Stelle. Schon wieder. Weit hinten.

Es folgte ihnen jedenfalls nicht direkt. Kein typisches Verhalten für einen Marodeur. Geschickt.

Er blinzelte und bekam die andere Darstellung. Die Sippe war auf seiner Geländekarte ein Gewimmel blauer Flecke. Es freute ihn, dass sie eine recht ordentliche schiefe Dreiecksformation bildete. Cermo der Langsame stellte wie immer das Schlusslicht.

Killeen sah einen braunen blinkenden Punkt im Scheitel der Abbildung auf ihn gerichtet. Das galt ihm.

Er zog eine Grimasse. Dies war das erste Mal, dass er so anvisiert wurde, und das war ihm etwas rätselhaft. Er hatte versucht abzuwinken, als Fanny ihn an die Frontlinie befahl. Da gab es erfahrenere Leute – Ledroff, Jocelyn, Cermo. Er hätte viel eher hinten bleiben sollen. Fanny erteilte ihm dauernd solche Aufträge; und obwohl er ohne Widerspruch alle ihre Befehle ausführte, hatte ihn das doch von Anfang an nervös gemacht.

Fanny wusste mehr als alle anderen und konnte Tricks von Marodeuren durchschauen. Sie hätte jetzt hier sein sollen. Aber sie trieb ihn weiter vorwärts.

Nun noch dies. Er fiel mit zusammengekniffenen Augen zu Boden und landete auf einer löchrigen Polyaluminiumplatte von der altmodischen Art, die die Mechanos für einen längst vergessenen Zweck gebraucht hatten. Dichte Staubwolken stiegen in dem warmen Wind auf und strömten schmutzig grau gegen seine gepolsterten Stiefel aus gehärtetem Karbon. Mechanogerümpel war auf dem Boden verstreut, ihm so geläufig, dass er es kaum zur Kenntnis nahm.

»Habe hinten einen Scharfschützen entdeckt«, meldete er Fanny.

– Ein Snout? –

»Keineswegs«, antwortete Killeen rasch, um seine Nervosität zu verbergen. »Wenn das derselbe alte Snout wäre, der uns seit Tagen nachspürt, hätte ich das laut herausposaunt.«

– Was ist es denn? –

»Keine Ahnung. Sieht mal groß und mal klein aus.«

Killeen wusste nicht, wie seine Netzhautabtastung funktionierte und hatte nur eine vage Vorstellung von Radarimpulsen. Er wusste aber, dass Dinge nicht abwechselnd groß und klein erscheinen sollten. Gewohnheit sagt mehr als Analyse.

– Ist das Gerät kaputt? –

»Weiß nicht. Die Lichtblitze sind in Ordnung«, sagte Killeen zögernd. Wollte Fanny ihn auf den Arm nehmen? Er wusste nicht, was ihm weniger gefiel – etwas, das auf diese neue Art über sie kommen konnte, oder dass seine Ausrüstung zusammengebrochen war.

Fanny seufzte. Sie war für ihn rechts hinten ein fast unsichtbarer Fleck, drahtig und flink. Er hörte, wie sie mit den Zähnen knirschte, wie sie es immer zu tun pflegte, wenn sie eine Entscheidung zu treffen hatte.

»Was nun?«, stieß er ungeduldig hervor. Es lag jetzt an ihr. Sie war Captain der Sippe und hatte ein langes Leben an Erlebnissen und Erfahrungen hinter sich, jene Art von Gehirnschmalz, die wichtiger als alles sonst war, wenn man es mit Marodeurmechanos zu tun hatte.

Sie war schon während der ganzen Zeit, da die Bishops umhergezogen waren, Captain gewesen. Sie kannte die Tricks von Flucht und Verfolgung, von Beutemachen und Stehlen, von Finte und Angriff. Und durch schreckliche Jahre hatte sie die Sippe beisammengehalten.

– Kommt es näher? –

»Sieht so aus. Bewegt sich rasch hin und her.« Fanny knirschte wieder mit den Zähnen. Killeen konnte sich in Gedanken vorstellen, wie ihre weisen alten Augen sich runzelten, als sie die Lage beurteilte. Ihre warme Präsenz überschwemmte sein Sensorium. Sie war schon so lange und so gut Captain gewesen, dass Killeen sich gar nicht ausdenken konnte, wie die Sippe zuvor ohne sie zurechtgekommen war, als sie in der Zitadelle gelebt hatten.

– Also stoßen wir geballt vor –, sagte sie entschlossen.

Killeen war erleichtert. »Prima!«

– Gib das Zeichen! –

Er zwinkerte. »Willst du das nicht tun?«

– Du bist an der Spitze. Benimm dich auch so! –

»Aber du verstehst mehr von …« Killeen zögerte. Er mochte nicht seine Bedenken zugeben, jedenfalls nicht, wenn Ledroff und andere wahrscheinlich mithörten. Noch weniger erfreute ihn die Aussicht, einen Angriff anführen zu müssen.

»Schau! Ledroff hat das schon einmal gemacht und Jocelyn auch. Ich werde zurückfallen und …«

– Nein. Du. –

»Aber ich kann doch nicht …«

– Auf keinen Fall! – Sie war kurz angebunden und bissig. – Gib das Signal! –

Killeen leckte sich die Lippen und zwang sich zur Ruhe. Er sendete über das allgemeine Kommunikationsnetz: – Hallo! Aufgepasst! Die Faust machen! –

Inzwischen hatten die meisten aus der Sippe die zerklüftete Berglinie überquert. Das würde einige Deckung geben vor allem, was von hinten kommen könnte. Er passte auf, wie sie die üblen, von Spalten durchsetzten Hänge hinabquollen. Sie waren wie eine zähe, heruntergleitende Flüssigkeit. Ihre einzelnen Bestätigungsrufe kamen wie leichtes Zirpen von Insekten an.

Killeen war sich keinen Augenblick bewusst, dass die Stimmen, die er hörte, von Radiowellen getragen wurden; denn er hatte sein ganzes Leben in einer Wahrnehmungswelt gebadet, die von der Verbindung akustischer und elektromagnetischer Signale erfüllt war. Deren Unterscheidung würde mehr Kenntnisse erfordern, als er je beherrscht hatte oder beherrschen könnte. Stattdessen hörte er die zusammenkommenden scharfen Stimmen wie Schrotsalven, die lang und weit die heiße Stille des staubigen Spätnachmittags durchdrangen. Obwohl jedes Sippenmitglied in schönen langen Bögen herabglitt, sah es für Killeen so aus, als ob die Sippe in mittlerer Entfernung aufgehängt wäre, so langsam kam sie voran, wie ein Strom dicker Molasse. Sie kamen schwerfällig und langsam näher – dieser erschöpfte und vielleicht einzige Rest der Menschheit: verbissen, in von Heimweh erfüllten Scharen.

Killeen fing Gesprächsfetzen von Ledroff auf. – Warum hat die Kapitänin gerade ihn … Der Henker mag wissen, warum er da oben ist … –

»Halt die Schnauze!«, rief Killeen.

– Ich konnte ihn mit beiden Händen nicht … –

»Ruhe!«, zischte er wütend.

Killeen hatte Ledroffs gemurmelte Spöttereien schon früher im Interkomm gehört, aber bisher ignoriert. Warum sollte er es mit dem großen eingebildeten Kerl auf einen Streit ankommen lassen? Aber diesmal konnte er es ihm nicht durchgehen lassen, da es sie in Gefahr brachte.

– Es scheint, dass er auf Gespenster losgeht –, ließ Ledroff sich noch vernehmen, wurde dann aber still.

Killeen wünschte, Captain Fanny hätte sich in die volle Kommlinie eingeschaltet und Ledroff den Mund verboten. Ein einfaches missbilligendes Schnalzen ihrer Zunge hätte ihn zum Schweigen gebracht.

Die Sippe ging geduckt vor, mit einem durch harte Jahre erworbenen Geschick. Sie schwenkte nach links und begab sich zwischen den Kuppelbauten des Fabrikationskomplexes nach unten.

Mechanoroboter hielten abrupt an, als die Sippe rasch durch ihre Werkhallen eilte. Die plumpen Maschinen kauerten sich hin und zogen ihre Manipulatoren in verschrammte Aluminiumhüllen zurück. Solche Mechanos hatten keine anderen Verteidigungseinrichtungen. Daher schenkte die Sippe den schildkrötenartigen Gestalten mit schräger Nase keine Beachtung.

Dennoch mussten die Menschen sich beeilen. Sie wussten, dass diese langsam denkenden Roboter ein Signal aussenden würden, falls sie zu lange verweilten. Es würden Lancer kommen oder noch Schlimmeres geschehen.

Killeen erwog kurz die Möglichkeit, dass das sie verfolgende Ding ein einzelner Lancer wäre, alarmiert durch einen geringfügigen Beutezug, den die Sippe vor ein paar Tagen gemacht hatte. Er musterte die schwachen, flackernden Spuren im Hintergrund.

Nein, nichts, das nach einem Lancer aussah. Sicher etwas Kleineres. Es lieferte fast gar kein Bild. Aber dennoch …

»Jawohl!«, rief er. Er tippte sich mit dem Zeigefinger zweimal an die rechte Schläfe und sendete seine Geländedarstellung an die ganze Sippe. »Wir schließen uns zusammen!«

Murrend lösten sie ihre Dreiecksformation eines Bienenschwarms auf und bildeten die traditionellen konzentrischen Ringe, die etwas lückenhaft waren, da die Sippe nur noch 278 Personen zählte. Und davon waren einige quälend langsam – alt oder verwundet nach früheren Gefechten oder Unfällen.

Fanny erkannte das Problem und rief: – Nehmt die Beine in die Hand! –

Die alte Redensart wirkte. Sie fingen jetzt an schneller zu laufen, eine große unausgesprochene Gefahr im Rücken.

Killeen sendete Fanny die letzte Geländeskizze. Sie zeigte hinter ihnen ein Gewimmel blauweißer Spuren.

– Wo ist das? – fragte Fanny.

Killeen musste einräumen: »Keine Ahnung. Sieht nach irgendeinem Tarnschirm aus.«

– Eine geplante Störung? –

»Glaube nicht. Aber …«

– In einer solchen Situation sind die Geländebilder nicht gut, um die Größe abzuschätzen. Die Geschwindigkeit ist beachtlich. Kein Fabrikroboter bewegt sich so schnell wie ein Marodeur. –

»Das Ding ist mal langsam und mal schnell.«

– Muss ein Marodeur sein. –

»Meinst du, dass wir anhalten und es abwarten sollen?«

Er spürte ihre abwägende Überlegung wie einen kühlen Keil in seinem Sensorium.

– Was ist deine Meinung? –

»Nun … Vielleicht kundschaftet es uns bloß aus.«

– Könnte sein. –

Sie ließ sich nichts anmerken. Also fuhr er fort: »Dann wäre es wohl am besten, wenn wir weitermachen und so tun, als ob wir es nicht sehen würden.«

– Solange wir seine Spur nicht verlieren, sicher. –

Killeen fragte sich, was Fanny damit meinte, wollte aber nicht fragen, jedenfalls nicht, wenn Ledroff mithörte. Er sagte vorsichtig: »Es hüpft weiter herum.«

– Ist vielleicht eine technische Neuheit der Mechanos. –

So?, dachte er. Wie sollen wir reagieren? Er zwang sich zu einem ruhigen und zuversichtlichen Ton, als er sagte: »Ich meine, wir sollten nicht erkennen lassen, dass wir es sehen. Wenn es nur seine Instrumente prüft, wird es verschwinden.«

– Und zurückkommen, wenn wir schlafen –, sagte sie trocken.

»So? Unsere Wache wird es wahrnehmen. Aber wenn wir jetzt einen Schuss darauf abgeben, während wir es nicht so gut sehen, wird es sich vielleicht entfernen. Das nächste Mal kommt es mit besserer Mechanotechnik wieder. Und dann werden wir es nicht wahrnehmen, und es macht uns fertig.«

Fanny antwortete lange nicht, und Killeen überlegte, ob er sich zum Narren gemacht hätte. Sie hatte ihn in den technischen Fertigkeiten unterwiesen, und er hatte sich stets ihrer sicheren, fast ungezwungenen Kenntnis der Sippentradition gegenüber unterlegen gefühlt. Sie konnte ein strenger Captain und eine durchtriebene Taktikerin sein, entschlossen und schnell. Und wenn sie gekämpft hatten oder geflohen waren und sich dann wieder um nächtliche Feuer geschart hatten, um ihre Geschichte zu erzählen, dann konnte sie warm und großmütterlich sein. Killeen würde alles tun, um sie nicht zu enttäuschen. Aber er musste wissen, was er tun sollte; und sie gab ihm keine bequemen Antworten.

– Nun ja. Das ist das Beste, solange es sich um einen normalen Marodeur handelt. –

Killeen fühlte wegen ihrer Zustimmung einen Anflug von Stolz. Aber ein besorgter Unterton in ihrer Stimme veranlasste ihn zu der Frage: »Wenn aber nicht?«

– Dann werden wir rennen, und zwar kräftig. –

Sie befanden sich jetzt außerhalb der Vorberge. Die Sippe eilte durch ausgewaschene ebene Flächen.

Fanny fragte keuchend: – Siehst du es noch? –

»Nein.«

– Es müsste inzwischen den Bergrücken erklommen haben. Das gefällt mir nicht. –

»Ob es vielleicht eine Falle ist?« Killeen suchte seine Topografie nach Möglichkeiten ab. Wieder wünschte er sich, dass Jocelyn oder sogar der üble Ledroff diese Aufgabe hätten. Wenn es zu einem Angriff käme, wollte er in der Nähe seines Sohnes sein. Er spähte nach vorn und fand Toby inmitten der vorrückenden Formation der Sippe.

Fanny fiel zurück und musterte den Gebirgsgrat.

Killeen suchte wieder nach dem schwer fassbaren Verfolger. Die Geländeskizze tanzte in seinem Auge mit Lichtbändern.

Noch mehr verschwommene Spuren.

Rechts erschien ein matter blassblauer Fleck.

Killeen erkannte zu spät, dass es besser gewesen wäre, die Kommlinie zu halten. Hier waren sie exponiert und hatten den Gegner verloren. Er knurrte missvergnügt und eilte vorwärts.

Sie hatten das breite Tal halbwegs durchquert, als er nach rechts blickte und erst das blinkende, überlagernde Grün sah und dann die entfernte Felsböschung. Das war frisches Gestein, von einem Bergbaumechano freigelegt, mit ausgemeißelten und eingetieften braunen Flanken.

Aber der scharfe Einschnitt war kurz vorher nicht dagewesen. Dessen war Killeen sich sicher.

»Haltet euch an meine Richtungsangabe!«, brüllte er die ganze Sippe an. Er peilte eine flache Anhöhe an. »Fanny, du solltest …«

Er hörte ein heftiges Krachen und sah Fanny hinfallen. Dann wurde ihre Stimme schrill in einem Ausbruch jähen Schmerzes.

Killeen wandte sich um und feuerte auf die entfernten ausgezackten Berge, wo halbfertige Blöcke aus rhomboidem Gestein standen.

Treffer. Wahrscheinlich nicht ausreichend, um das Ding zu töten; aber es würde einige Sekunden Gewinn bringen.

Er schrie: »Höchste Eile!«

Nachdem Fanny ausgefallen war, musste er die Sippe schnell fortschaffen. Er zwinkerte und sah die blauen Flecke der Sippe auf ein zerklüftetes Gelände zueilen, das eine gewisse Deckung bot. Gut! Aber wo war …?

»Toby! Duck dich in dieses Flussbett da! Siehst du?«

Einen Kilometer weit entfernt zögerte sein Sohn.

»Rechts von dir!«

Und einen Augenblick lang, der ewig über einem quälenden Abgrund zu verweilen schien, war Killeen überzeugt, dass die Ausrüstung seines Sohnes explodiert oder überbeansprucht war, so dass er die Warnung nicht hören konnte. Vielleicht war der Junge auch durch das elektronische Störgeräusch verwirrt. Oder vom Laufen erschöpft. Und so würde er stehen bleiben, während auf der dürren zerfurchten Ebene kein anderes leichtes unbewegliches Ziel vor die Fischaugenlinse des unsichtbaren Marodeurmechanos geriet. Die unentschlossene Starrheit würde seinen Sohn als Ziel empfehlen.

Während dieses Augenblicks erinnerte Killeen sich an eine Zeit, da er mit seinem Vater auf einem Beutezug gewesen war, nur einer kurzen Unternehmung zur Beschaffung benötigter Chipkarten, so dass seine Mutter leicht damit einverstanden gewesen war, dass er mitkam. Und da waren sie zufällig auf einen Marodeur getroffen, als sie eine isolierte, baufällige Feldstation ausplünderten, wo Roboter in dumpfer Knechtschaft schufteten. Killeen hatte einen kleinen Abstecher gemacht, um Hilfsmotoren aus einem verstaubten Lagerschuppen zu klauen; und dabei hatte ihn der Marodeur (ein Rattler, alt, aber voll bewaffnet) gesehen und überrannt. Drei Männer und eine Frau hatten den Rattler zwei Schritte neben dem in panischem Schrecken ausreißenden Killeen erwischt und zu Schrott geschossen. Er war so erschrocken gewesen, dass er sich vollgemacht hatte. Aber woran er sich jetzt erinnerte, das war nicht die Peinlichkeit des üblen Geruchs oder die Hänseleien seiner Freunde, sondern der Blick seines Vaters, dessen Augen tödlich weiß in ihren Höhlen brannten. Augen, deren Verzweiflung sich in ihn hineingebohrt hatte. Und Killeen wusste, dass jetzt sein eigenes Gesicht in der Starrheit vorausblickenden Entsetzens fixiert war, als sein Sohn während eines heftigen Herzschlages unabänderlicher verlorener Zeit bewegungslos dastand …

»Toby!«

– Ah … jaaa. –

Die entfernte Gestalt krabbelte eine Böschung hinunter in die fossile Windung einer alten Wasserstraße.

Killeen bekam keine Luft mehr. Er merkte, dass er selbst zu einem perfekten Ziel erstarrt war.

»Duck dich und lauf, Junge!«, rief er, während er kehrtmachte und von Deckung zu Deckung sprang.

In der stillen Luft fühlte er etwas – tsssip! – vorbeisausen. Er sah im rechten Auge orangefarbene Funken sprühen. Das bedeutete, irgendetwas suchte sich einen Weg in sein Inneres. Und zwar schnell, viel schneller, als er es je erlebt hatte.

Stechender kalter Schweiß durchfuhr ihn rot und winselnd. Er fiel zu Boden. »Fanny! Wie geht es dir?«

– Ich … aaaah … kann nicht … –

»Dieses Ding, was ist es?«

– Ich habe nicht gesehen … seit Jahren … –

»Was sollen wir tun?«

Ledroff versuchte, sich in den enggebündelten Sprechfunk einzuschalten. Killeen warf ihn fluchend raus.

– Glaube nicht … was du siehst … –

»Was ist …?«

Sie hustete. Die Verbindung riss ab.

Fanny wusste mehr als jeder andere in der Sippe über die seltenen tödlichen Mechanos. Sie hatte lange gegen sie gekämpft, lange vor Killeens Geburt. Aber Killeen konnte aus ihrer gehemmten Sprechweise entnehmen, dass dies Ding sie schwer getroffen und vielleicht einige Nerven zerstört hatte.

Also war von der braven Alten keine Hilfe zu erwarten.

Killeen blickte zurück auf die zerklüfteten Steinformationen der entfernten Bergwand. Da gab es verkrümmte Flächen, die ausgeschachtet waren für Zwecke, die Menschen nicht verstehen konnten. Daran dachte er aber gar nicht. Er hatte längst gelernt, sich nicht um das zu kümmern, was man nicht enträtseln konnte. Stattdessen suchte er nach frischen Einschnitten, nach klaren Spuren eines Motormeißels.

Die gab es da nicht.

»Jocelyn!«

Die rauen Steinflächen wurden matter und flimmerten.

Killeen hatte die verwirrende Empfindung, durch den nackten Fels in eine plötzlich sich materialisierende Stadt aus Bollwerken und soliden Granitmauern zu schauen. Die summte vor roter Energie und schwoll zusehends an.

»Verdammt – was ist das alles?«, sagte er leise zu sich.

Die Stadt schimmerte, kristallin und entfernt. Schlichtes Gestein schmolz zu gläsernem Filigranwerk.

Und dann wurde es wieder abgemeißelter Fels.

Jocelyn rief zweifelnd: – Die ganze Bergflanke? –

Killeen grunzte. »Eine Fata Morgana dieser Größe setzt einen kolossalen Mechano voraus.«

– Oder einen von neuartigem Typ –, meinte Jocelyn.

Sie kam von rechts auf ihn zu, gebückt und mit Kompressoren laufend. Hinter ihnen floh die Sippe aus Leibeskräften. Das Japsen und Stöhnen erreichte Killeen nach Maßgabe der Entfernungen. Sie bildeten einen gleichmäßigen Hintergrundchor, als ob sie alle ihn beobachteten und als ob die ganze Sippe gleichzeitig in die Sicherheit eilte und doch immer noch da war, um diese letzte infinitesimale Ergänzung des schon lange verlorenen Kampfes mit den Maschinen mitzuerleben. Killeen empfand sie um sich wie eine schweigende Jury.

Jocelyn rief: – Hast du etwas getroffen? –

Killeen duckte sich hinter einigen alten Stahlträgern, die dick von rotem Rost bedeckt waren. »Scheint so.«

– Etwas Festes? –

»Wohl kaum. Klang so, als ob ein Mechanostromkreis getroffen wäre. Das ist alles.«

Noch keine Chance, sich um Fanny zu kümmern. Er hielt sich in gehöriger Entfernung von ihrer zusammengekrümmten Gestalt, da er überzeugt war, dass sie jetzt ein sicheres Ziel darstellen würde.

– Ich rieche es. – Jocelyns Altstimme, die gewöhnlich samtweich war, klang gequält dünn und hoch.

Jetzt, da er sich etwas beruhigt hatte, spürte er es auch. Ein schwerer öliger Geruch. Seine eingebauten Detektoren lieferten ihm anstelle codierter Parameter den Geruch; denn Menschen erinnerten sich besser an Gerüche als an Daten. Aber er konnte das schwere Aroma nicht identifizieren. Er war sicher, dass es ihm noch nie begegnet war.

Ein rasendes hohles wuuung wirbelte durch die Luft. Es traf Killeen als ein Klang, der jenseits von allem lag, das das Ohr aufnehmen konnte, eine Mischung aus infra-akustischem Rumoren an den Füßen und einem elektromagnetischen Kreischen, das in der wilden Brise zu hohen, dünnen Frequenzen aufstieg.

Er sagte: »Es will uns blockieren. Muss eine Kombination davon bei Fanny probiert haben, aber bei uns klappt das nicht.«

– Sie hatte eine alte Ausrüstung –, sagte Jocelyn.

»Wahrscheinlich wechselt es jetzt die Tonart«, meinte Killeen. Er atmete schwer und wollte unbedingt etwas tun.

– Hat es auf uns abgesehen. –

»Ja gewiss«, knurrte Killeen. Er versuchte sich zu erinnern. Vor Jahren hatte es einen Mechano gegeben, der das getan hatte. Der strahlte etwas aus, das einem ins Selbst drang und das, was man sah, beeinflusste. Es konnte einen glauben machen, dass man eine Landschaft betrachtete, während dies Bild in Wirklichkeit redigiert war unter Auslassung von …

»Mantis«, sagte er plötzlich. »Fanny hat es Mantis genannt und mehrmals gesehen.«

Die Mantis projizierte Illusionen besser, als je ein Mechano es getan hatte. Sie konnte Bilder aus der Vergangenheit aufrufen und so rasch in den Kopf eines Menschen stoßen, dass dieser nicht wusste, was real war. Und hinter dem Bild stand die Mantis, die immer näher kam und einen zerbrechen wollte.

– Willst du nicht laufen? – fragte Jocelyn. Sie war ein entfernter Punkt und schon im Rückzug begriffen.

»Nicht mit einem großen grünen Fleck auf dem Rücken.«

Killeen lachte krampfhaft, was in diesem Augenblick leichter war als nachdenken. Er hatte gelernt, die Dinge sofort beim Schopfe zu packen. Alle anderen Gedanken würden ihn nur belasten; und das wirkte hemmend, wenn es auf schnelles Handeln ankam.

Sein Problem war die topografische Ausrüstung, die er als Einziger in der Sippe mitschleppte. Er packte sie sich auf den Rücken.

Es gab ein Gerücht, wonach der Topo-Mann als Erster dran glauben müsste. Es war nämlich so, dass Jägermechanos – Lancer, Stalker, Rattler – das Gerät als einen hellen grünen Punkt wahrnahmen und darauf zielten. Sie konnten ihre tiefen tutenden Stimmen an dem Zeug abprallen lassen und gewannen dadurch eine Art Richtungsangabe. Und dann tuteten sie lauter und sendeten etwas, das in das Gerät des Topo-Mannes eindrang und danach in seinen Kopf rutschte.

– Was tun also? –

»Schießen!«

Er hörte Jocelyn mürrisch brummen. Sie mochte so etwas nicht. Er übrigens auch nicht. Wenn dieses Mantiswesen nur halb so gut war, wie Fanny gesagt hatte, konnte es den Schuss orten und einen finden, ehe die Abwehr bereit war.

Aber wenn sie die Mantis jetzt nicht töteten, würde sie ihnen nachsetzen. Sich bei Nacht hinter ihren Illusionen verstecken. Sie könnte anrücken und sie in Stücke reißen, ehe man sie noch erblickt hätte.

»Warte! Mir fällt gerade etwas ein, das Fanny gesagt hat.«

– Beeil dich mit deiner Erinnerung! –

Fanny pflegte dadurch zu unterrichten, dass sie Geschichten erzählte. Sie hatte etwas über die Kalamität gesagt, darüber, wie einige Bishops mitten in der schlimmsten Schlacht der Menschheit eine Möglichkeit gefunden hatten, die Vorspiegelungen zu durchdringen.

Er biss vorsichtig probierend die Zähne zusammen – einmal lang, einmal kurz. Dadurch wurde sein Sehvermögen im roten Bereich verstärkt. Blau entschwand. Es blieb ein glühendes, wüstes Land, das in flüssigem Feuer brodelte. Der Himmel war ein leeres Nichts. Über den fernen Berghang schwappten karmesinrote Wärmefluten, als seine Augen das Spektrum hinabglitten.

– Fanny ist verletzt. Wir sollten uns wohl um sie kümmern. –

»Still!«

Er schüttelte heftig den Kopf und starrte fest auf eine Stelle direkt vor sich. Was hatte Fanny gesagt …? »Schalte ruckartig auf Rot um und schau aus den Augenwinkeln!«

Da flackerte etwas. Zwischen den behauenen grauen Steinplatten stand ein gekrümmtes Wesen, mit leuchtenden Würmern geschmückt. Das Bild tauchte im Fels ein und dann wieder auf, nur sichtbar, wenn Killeen den Kopf ruckartig zur Seite drehte.

Die Illusion korrigierte sich rasch, aber nicht perfekt. Für Sekundenbruchteile konnte er röhrenförmige Beine, einen Kopf mit Kapuze und einen langen wulstigen Körper mit vielen stachligen Antennen erkennen.

– Kommst du voran? –

»Mal sehen. Ich …«

Etwas stieß ihm ein Loch ins Auge und drang ein. Er rollte sich blinzelnd zurück und versuchte, dem Hitzestrom zu folgen, der mit glühenden Nadeln durch seinen Körper stieß.

Sein neurales Selbst wurde von Qual überschwemmt, die in ihm wild schäumte und tobte.

Er fühlte/sah alte Gesichter seiner Erinnerung, bleich und hauchdünn. Sie schossen auf ihn zu und dann wieder fort, als ob eine Riesenhand ein Kartenspiel so durchblätterte, dass jedes Blatt immer nur für einen Augenblick voll scharf zu sehen war. Und mit jeder vorbeieilenden Erinnerung kam ein Stich chromblitzenden Schmerzes.

Die Mantis grub in seiner Vergangenheit. Forschte und registrierte.

Killeen stieß einen Wutschrei aus.

Er kämpfte gegen einen harten Klammergriff an.

»Ich … Es ist eingedrungen …« Dann fühlte er, wie der Pfeilwerfer des Schmerzes in seinem rechten Bein von rascher Kälte gepackt wurde. Er merkte, wie das herumschweifende Hitzeding blubberte und abstarb. Es wurde von einer tief verborgenen, spinnenfeinen Falle verschlungen, die von Geistern erdacht war, die es längst nicht mehr gab.

Killeen hatte keine Ahnung, was ihn gerettet hatte. Er kannte seinen Körper nicht besser, als er die Mechanos verstand. So sprang er einfach wieder auf. Er fand sich auf dem Boden eines abbröckelnden Sandhanges, den er in seinen Krämpfen hinabgerutscht war. In seinem Sensorium flimmerte noch das Nachbild des Pfeilwerfers.

Und sein Ortungsgerät war den verräterischen Impulsen zu ihrer Quelle gefolgt.

Er rief: »Jocelyn, ich kann eine Peilung bekommen.«

– Dann fixiere sie rasch, verdammt noch mal! –

»Es bewegt sich!«

In der rubinrot schimmernden Dämmerung machte die Mantis einen Sprung und arbeitete sich zu Killeens ausgebreitetem Körper vor. Er hörte einen Sägeton in tiefem Bass, der ihm das Haar im Nacken sträubte. Wie gelbe Zähne, die Knochen zersägen. Wenn es Fanny nahe kam …

Killeen beobachtete das flackernde Bild der sich bewegenden Mantis, während sein linker Zeigefinger auf einen Punkt an seiner Brust drückte. In seinem linken Auge wuchs ein scharfer Purpurkreis, der den Bereich umgab, wo das Bild der Mantis herein- und hinaussickerte. Er tippte an die rechte Schläfe, und Jocelyn bekam die Peilung.

– Wollen wir's rösten? – rief sie. Sie war ein kleiner Punkt auf der anderen Seite des Tales. Sie würden eine gute Triangulation zur Mantis bekommen.

»Na und ob! Lass uns das Biest in die Luft jagen!«

– Also los! –

Er feuerte. Scharfe Schüsse hallten durch die Stille. Die beiden altmodischen Ladungen klatschten vorn und hinten auf den Mechano. Beine flogen weg, Antennen klirrten zu Boden.

Killeen sah zu, wie das blaugrüne elektrische Leben der Mantis verglomm und ihre Innereien abstarben, als das Zentralhirn sich dadurch am Leben zu halten versuchte, dass es sie opferte. Aber ein mechanischer Schaden lässt sich nicht durch einen schnellen Stromstoß beheben, wie er sich grimmig erinnerte.

Die Mechanos waren auf diese Art oft am leichtesten verwundbar. Killeen sah es gern, wenn sie hübsch deutlich in Stücke flogen. Das war der wahre Grund dafür, dass er nach Möglichkeit diese Ladungen benutzte.

Er sprang auf und rannte so schnell er konnte zu der noch in langsamer Auflösung begriffenen Mantis. Platzende Kugellager trennten die Beine ab. Der Rumpf rollte auf den Boden. Das Zentralhirn würde darin stecken und versuchen, sich zu retten.

Killeen eilte darauf zu, über Sandboden, der von Mechanoschrott bedeckt war. Er stieß mit dem Fuß kleine Stücke weg, ohne den Blick von der Mantis zu wenden. Jocelyn trabte von der anderen Seite herbei.

»Könnte eine Höllenmaschine sein«, sagte er.

»Weiß nicht. Habe nie so was Großes gesehen.«

»Das kann man wohl sagen«, murmelte Killeen beeindruckt. Alles in allem war die Mantis länger als zehn Menschen hintereinandergelegt. Er hatte für Masse und Größe von Dingen ein sicheres Gefühl. Unbewusst spürte er, ob etwas zu schwer war, um es einen Tagesmarsch lang zu tragen, oder ob es für eine bestimmte Waffe erreichbar war.

Zahlen strömten in sein linkes Auge und gaben Abmessungen und Masse der Mantis an. Er konnte diese altertümlichen Schnörkel seiner Ahnen nicht lesen und nahm sie kaum zur Kenntnis. Seine inneren, tief eingebetteten Chips und Subsysteme verarbeiteten das alles zu direkten Wahrnehmungen. Diese kamen so natürlich und unauffällig an wie das Wehen des warmen Windes, der jetzt sein ausgebleichtes schwarzes Haar streifte, wie das leise elektronische Stöhnen der sterbenden Mantis, wie der leichte Drang, in Kürze pinkeln zu müssen.

»Schau!«, sagte Jocelyn. In unmittelbarer Nähe hörte er sie nun akustisch. Ihre Stimme zitterte infolge der Anstrengung und nachträglichen Angst. »Das Zentralhirn ist da drin.« Sie zeigte darauf.

Eine kupferne Motorverkleidung versuchte, sich in den Boden einzugraben, und kam damit schnell voran. Jocelyn trat dicht heran und zielte mit einem Scrambler darauf.

Killeen sagte: »Nimm einen Thumper!«

Sie nahm ein mit einer Scheibe bestücktes Rohr und drückte den Auslöser. Die Scheibe machte rums, als sie in die brünierte, genietete Haube eindrang. Die Schale schaukelte durch den Aufprall. Stahlblaue Bohrer auf ihrer Unterseite kamen winselnd zur Ruhe.

»Gut!«, sagte Killeen. In der Nähe schlurften zwei Kulis davon. Beide hatten auf ihren Seitenpanelen karierte Markierungen. Er hatte nie gesehen, dass Kulis mit einem hochrangigen Mechano unterwegs waren. »Schieß auf diese beiden!«, sagte er und hob seine Waffe.

»Sind bloß Kulis. Vergiss sie!«

»Na schön.« Er rannte zu Fanny. Er hatte deren alteingeführte Weisungen befolgt: Erst das Zentralhirn sichern und dann nach den Verletzten sehen. Aber als er auf die still hingestreckte Gestalt zueilte, sank sein Mut, und er wollte keinen Augenblick verlieren.

Fanny lag mit baumelndem Kopf verkrampft da. Ihr ledriger Mund stand offen und zeigte den gelben Gaumen und Zähne, die durch stundenlanges Feilen geschärft waren. Das runzlige Gesicht starrte leer zum Himmel, und die Augen zeigten ein helles, glasiges Weiß.

»Nein!« Er konnte sich nicht bewegen. Neben ihm kniete Jocelyn sich hin und drückte die Hände oben gegen Fannys Hals.

Killeen sah, dass nichts zitterte. Eine schreckliche Leere erfüllte ihn. Langsam sagte er: »Es hat sie … geblitzt.«

»Nein! So schnell?« Jocelyn blickte mit weiten, fiebrigen Augen zu ihm auf. Sie wünschte, er möge das abstreiten, was sie sehen konnte.

»Die Mantis …« Die Erkenntnis presste ihr das Herz zusammen. »Sie ist verdammt schnell.«

»Du hast sie aber dennoch getroffen«, sagte Jocelyn.

»Reiner Dusel.«

»Wir haben niemals …«

»Diese hier hat einige neue Tricks auf Lager gehabt.«

Jocelyns Stimme war kläglich: »Aber Fanny! Sie konnte sich doch besser schützen als jeder sonst.«

»Na ja, schon.«

»Sie kannte alles

»Aber nicht das hier.«

In Fannys halbgeschlossenen und von Angst gemarterten Augen sah Killeen Merkmale, von denen die Sippe seit Monaten verschont geblieben war. Um ihre Augen sickerte blassgrauer Eiter. Darin bildete sich vor seinen Augen eine Blutblase. Diese platzte und stieß ein ranziges Gas aus.

Die Mantis hatte Fannys Nerven irgendwie abgefragt, ihren Körper, ihr wahres Selbst – und das alles binnen kurzer Augenblicke. Mechanos hätten das noch nie so schnell tun können, noch dazu aus der Entfernung. Bis jetzt musste ein Mechanomarodeur einen Menschen mindestens einige Minuten lang festhalten, um ihn auszusaugen.

Das war ein kleiner Vorteil, den die Menschheit über die vagabundierenden plündernden Mechanos hatte; und wenn diese Mantis ein Signal war, so war der jetzt verloren.

Killeen bückte sich, um zu schauen. Jocelyn streifte den festen hautengen Gummianzug ab. Fannys Fleisch sah aus, als ob Tausende von feinen Nadeln die verschlungenen Neuronetze durchdrungen hätten, aus denen Fanny bestand, und dabei ihre Geschichte erfahren hätten, die Geschichte, die jedes menschliche Wesen in sich birgt. Die Art ihrer Vergnügungen. Wie sie scharfe Qual empfunden hatte. Wann und warum sie den unzähligen Niederlagen getrotzt hatte, die hinter ihr lagen, eine lange unablässige Folge von Hell und Dunkel und dann wieder Hell, die sie mit festem, sicherem Schritt durchmessen hatte, indem ihr Weg beharrlich durch das Mosaik von Welten und Hoffnungen und ständigem Krieg geführt hatte.

Die Mechanos der Marodeurklasse waren manchmal darauf erpicht. Sie wollten weder Metall noch flüchtige Substanzen oder irgendwelche Vorräte. Nicht einmal die winzigen Chips voller elektrischen Raffinements, welche Menschen oft von niederen Mechanos entwendeten, den Kulis und Luggos und Pickern.

Der totale Tod. Marodeure wollten Information, Daten und das eigentliche Selbst. Bei der Befragung jedes kleinen Winkels von Fanny hatte die Mantis alles ausgesogen, beknabbert und getilgt, was ihre Fanny ausgemacht hatte.

Killeen weinte in hilfloser Wut. Er rannte zu der zertrümmerten Mantis zurück und riss eine Beinverstrebung los.

Schnaufend rammte er das armlange Stück in das Wrack, dass die Fetzen flogen. Ledroff suchte ihn zu erreichen. Er bellte irgendetwas und schaltete dann seine Kommlinie ganz aus.

Er wusste nicht, wie lange das Demolieren und Brüllen dauerte. Es erfüllte ihn und entleerte ihn schließlich gleichermaßen, als seine Wut in die freie Luft entwich.

Als er fertig war, ging er zu Fanny zurück und erhob die Strebe in einem stummen, traurigen Salut.

Das war die schlimmste aller Todesarten. Sie nahm von einem mehr als nur das derzeitige Leben. Weit mehr – sie stahl auch die einstmalige Glorie und allen Schwung. Sie ertränkte das Leben in dem stickigen schwarzen Sirup des Mechanohirns. Sie ruinierte durch Absorbieren und Verneinen, ohne eine Spur davon zu hinterlassen, dass der Dahingegangene einmal wirklich existiert hatte.

Wenn der Geist so zerkaut und verschlungen war, konnte er durch menschliche Tätigkeit nie wieder gerettet werden. Wenn die Mantis sie bloß getötet hätte, dann hätte die Sippe wahrscheinlich irgendein Fragment der echten Fanny bergen können. Aus dem sich abkühlenden Gehirn hätte man ihr Wissen herausziehen können, das von ihrer Persönlichkeit durchtränkt war. Man hätte sie im Geist eines Sippenmitgliedes als einen Aspekt speichern können.

Die Mantis hatte nicht einmal das übrig gelassen.

Der endgültige Tod. Heute Abend bei der Beisetzung Fannys würde man dem schlaffen, leeren Körper keine Wahrheit entnehmen können, der so verloren und verfallen vor ihm lag. Die Sippe würde nichts von ihr heimtragen; und so war es, als ob sie nie den endlosen Weg gegangen wäre, der das Schicksal der Menschheit war.

Killeen fing an zu weinen, ohne es zu merken. Er hatte das Tal mit der Familie verlassen, ehe er sich seines tiefen Kummers bewusst wurde, den er mit sich schleppte. Erst jetzt erkannte er, dass Fanny auf diese Weise immer noch am Leben war; aber trotzdem bot es ihm keinen Trost.

2. Kapitel

 

Aus dem heißen Auge des Fressers zogen sich lange, drohende Schatten in die Weite. Seine harte Strahlung streckte Finger über die vom Fluss durchschnittene Ebene, die bis zu der sich herankämpfenden menschlichen Flut reichten.

Jeder vom Wind benagte Stein warf, obwohl selbst farblos und abgewetzt, einen lebhaften bunten Schatten. Der äußere Ring des Fressers glomm rot, während das innere Stierauge in scharfem Blau strahlte. Als die Scheibe des Fressers im Untergang hinter den Horizont tauchte, zog sie durch die letzte Felszacke einen Schweif vielfarbiger Bänder. Die Sicht war schlecht.

So blieb es eine Weile lang, bis Killeen sich sicher war. Er zwinkerte, ließ seinen Sehbereich durch das Spektrum laufen und erkannte den schimmernden, farngrünen Lichtpunkt.

»Hallo«, rief er, »Ledroff! Schau einmal scharf nach links!«

Die Sippe marschierte weit auseinandergezogen in einer Schlucht, wobei die Mindestabstände einen Kilometer betrugen. Sie mäßigten das Tempo – froh, nach stundenlanger ängstlicher Flucht etwas Ruhe zu haben.

»Was gibt's da?«, rief Ledroff.

»Siehst du einen Trog?«

»Nein.«

Killeen atmete langsam und gleichmäßig, damit der bittere Ton seiner Übermüdung nicht zu den anderen drang. Ledroffs Antwort war träge und knapp. Killeen wusste, dass Ledroff, wenn Fanny gesprochen hätte, sich zackig und rasch geäußert haben würde. Nach Sippentradition würde jetzt ein neuer Captain gewählt werden müssen, sobald ein sicheres Lager gefunden wäre. Bis dahin hatte Killeen die Führung und ordnete die Manöver an. Ledroff wusste das, blieb aber dennoch missmutig.

Sie hatten eine Pause eingelegt, um eine kurze Totenfeier für Fanny abzuhalten, und die Leiche unter einem hastig errichteten Steinhügel beigesetzt. Danach waren sie lange und hart gelaufen. Jetzt konnten sie nicht mehr weiter. Killeen musste einen geschützten Platz finden.

»Jocelyn, siehst du etwas?«

»Ich … vielleicht.«

»Wo?«

»Ein kleines Ding … könnte eine Täuschung sein …« Ihre Stimme klang erschöpft.

»Kannst du mit mir eine Kreuzpeilung vornehmen?«

»Ich … hier …«

In Killeens rechtem Auge leuchtete ein Bild auf. Jocelyns Einblendung zeigte einen zuckenden Lichtfleck.

Er sagte: »Wir wollen es aufsuchen.«

»Nein«, erklärte Ledroff ernst. »Wir kampieren besser im Freien.«

»Und geben uns damit selbst auf?«, fragte Jocelyn erstaunt.

»Nein, das ist sicherer. Mechanos werden nicht merken, dass wir es sind.«