„Seid ihr sicher, dass wir das tun sollten?“
Groß und dunkel ragte die Silhouette des Hauses in den Sternenhimmel.
„Klar, ist doch abgefahren.“
Ein Klicken, dann öffnete sich leise quietschend die Haustür.
„Bitte einzutreten!“
Vier Schatten huschten über die Schwelle.
Als er aus dem Badezimmer kam, war sie eingeschlafen. Sie lag auf der Seite und hatte noch nicht einmal ihre Schuhe ausgezogen. Ihre rotgoldenen Locken bedeckten einem Vorhang gleich ihr Gesicht, der Rock war hochgerutscht und beim Anblick ihrer Oberschenkel seufzte er. So hatte er sich ihre erste gemeinsame Nacht nicht vorgestellt. Er zog ihr die Schuhe aus und deckte sie zu, bevor er sich in den Sessel ihr gegenübersetzte. Schließlich hatte er Jahre seines Lebens damit zugebracht, sie nur anzuschauen. Was machte da schon eine weitere Nacht?
Ausgetretene Steinstufen führten hinunter in eine Dunkelheit, die das Licht der Taschenlampe nicht zu erreichen vermochte. Mit jeder Stufe wurde es wärmer, feuchter, die Luft schmeckte nach Schimmel, Fäulnis, Tod. Trotz der Lampen waren immer nur ein paar Stufen auszumachen, so dass die Treppe endlos schien …
Ein Sonnenstrahl schlich sich zwischen den Vorhängen hindurch ins Zimmer, tanzte über den Teppich und huschte durch ihr Gesicht. Sie schlug die Augen auf und erschrak.
„Gute Güte! Es ist ja schon heller Tag!“ Sie warf die Decke zur Seite und sprang auf.
„Du merkst aber auch alles.“ Er lachte leise, stand ebenfalls auf und streckte seine von der unbequemen Schlafstellung schmerzenden Glieder.
„Hast du etwa in dem Sessel geschlafen?“ Sie sah ihn mit ihren großen blaugrünen Augen an. „Wieso das denn? Im Bett ist doch Platz genug.“
„Ich wollte das nicht. Nicht so. Nicht in unserer ersten Nacht.“
„Herrje, es tut mir so leid.“ Sie kam zu ihm, legte eine Hand auf seinen Arm, verlegen, weil sie der Anlass für seine wenig komfortable Nacht gewesen war. Weil sie eingeschlafen war, obwohl … „Warum hast du mich denn nicht geweckt?“, fragte sie leise.
„Es war eine lange Fahrt hierher – kein Wunder, dass du müde warst.“ Er strich sanft über ihre Wange. „Und wir haben doch alle Zeit der Welt.“
Sie lächelte und legte eine Hand auf seine, hielt sie fest und schmiegte ihren Kopf hinein, genoss das Gefühl seiner Hand auf ihrer Haut. Sie schloss die Augen. Was lange währte, war endlich gut geworden. Da mussten sie beide erst ihre Heimatstadt verlassen, um sich Jahre später hunderte von Kilometern entfernt in einer fremden Stadt wiederzufinden. Und endlich ihre Liebe füreinander zu erkennen.
Seine Lippen berührten sanft ihre Stirn, hauchten einen Kuss darauf. „Möchtest du zuerst duschen?“
Unvermittelt endeten die Stufen. Die Wände wichen zurück, doch das Licht reichte nicht aus, um das gesamte Ausmaß des Raumes zu erhellen. Nach ein paar zögernden Schritten standen sie vor einem steinernen Sarkophag.
Als sie leise die Badezimmertür öffnete, lief die Dusche bereits. Durch das milchige Glas der Trennwand waren seine Umrisse zu erkennen und sie stellte sich vor, wie das Wasser über seinen Körper rann. Seinen nackten Körper. Sie atmete tief durch und schob die Tür der Duschkabine auf.
Er sah sie nur an und lächelte, als hätte er sie bereits erwartet. Es war nicht viel Platz in der Duschkabine, sie standen so dicht beieinander, dass ihr Körper zu glühen begann, weil sie ihn überall auf ihrer Haut spürte. Sie schloss die Augen.
Ein Zeichen. Schwarze Schnörkel auf steinernem Untergrund, Linien, die sich wirr ineinanderschlangen. Scheinbar sinnlos, und doch … Sie streckte eine Hand aus …
… berührte seine Brust, strich über seinen Bauch und wanderte tiefer. Ein leises Stöhnen entschlüpfte seinen Lippen, als sie seinen Penis berührte, ihn sanft umfasste und dann vor ihm in die Hocke ging und ihren Mund und ihre Zunge spielen ließ.
Der Stein war warm, viel zu warm und beinahe lebendig. Ihr Finger fuhr die Linien nach, doch noch immer erschloss sich ihr kein Sinn. Das Zeichen war einfach nur … beunruhigend, verwirrend. Sie erhob sich, hatte gar nicht bemerkt, dass sie gekniet hatte, und während er noch mit der Taschenlampe den Sarkophag näher in Augenschein nahm, wandte sie sich nach rechts, weg von der Treppe, hin zur Dunkelheit.
Er zog sie hoch, strich durch ihr Gesicht und küsste sie. Und während seine Zunge zwischen ihre Lippen drang, drang zwischen ihren Beinen ein anderer Teil von ihm in ihren Körper. Sie schloss die Augen und wohlige Schauer überliefen sie.
„Laura?“ Er suchte sie.
In völliger Finsternis hielt sie die Hände ausgestreckt und berührte ihn. Warm, lebendig, zitternd.
„Wo bist du?“
Das Licht der Taschenlampe drang kaum durch die Schwärze, und so sah er sie erst, als sie vor ihm stand.
„Was machst du hier? Und wieso hast du kein Licht …“ Er berührte sie an der Schulter und sie wandte ihm den Kopf zu, lächelnd.
„Er hat mich gerufen.“
„Wer?“ Suchend sah er sich um, leuchtete in alle Richtungen. „Ich seh’ niemanden.“
„Macht nichts.“ Noch immer lächelte sie. „Dafür sieht er dich.“
Dann erlosch die Lampe und die Dunkelheit fiel über ihn herein …
„Das war eine doppelte Premiere.“ Sie rubbelte sich mit dem Handtuch die Haare trocken. „Es war nicht nur unser erstes Mal, sondern auch noch mein erstes Mal unter der Dusche.“
Er lachte leise. „Und? Wie hat es dir gefallen?“
„Hmmm“, sie grinste, „für die weiteren Male können wir gerne auf andere Örtlichkeiten ausweichen – es war sehr … rutschig.“
Wieder lachte er. „Ich versprech’ dir, heute Abend findet es ganz woanders statt. - Doch jetzt – husch, husch! – ins Bad, wir wollen doch in die Stadt. Und Hunger hab’ ich auch.“
Sie warf ihm das Handtuch entgegen. „Komm mir nicht so! Von wegen husch, husch. Aber du hast Glück, ich hab’ selber Hunger. Also werde ich mich beeilen – weil ich es will.“ Mit hoch erhobenem Kopf rauschte sie ins Bad, begleitet von seinem leisen Lachen, das sie so liebte. Wie hatte sie nur damals so blind sein können’…
Schwarze Linien auf grauem Stein, verschlungen, unverständlich. Wieder und wieder fuhr sie mit dem Finger daran entlang, um zu verstehen, um zu sehen, doch ihr Geist blieb dunkel.
„Laura?“ Eine blonde Frau in ihrem Alter kam auf sie zu. „Laura, mein Gott, bist du’s wirklich?“
Sie blieb stehen und sah die Blonde nachdenklich an.
„Jetzt sag nicht, du kennst mich nicht mehr!“ Die Frau lachte. „Ich weiß, fünfzehn Jahre sind eine lange Zeit, aber du musst dich doch erinnern. Ich bin’s – Jessica.“
„Jessica!“ Ihre Miene hellte sich auf. „Mein Gott, dass ich dich nicht gleich erkannt hab’ – du hast dich kaum verändert.“
Sie umarmten sich, dann hakte Jessica sich bei ihr unter.