Quintessenz* und Prävention

Über den Tellerrand hinaus

 

Schwangerschaft und Stillen

Von Dr. med. Jan-Dirk Fauteck, Imre Kusztrich

Band 9 der Präventions-Buchreihe

 

 

 

ISBN: 9783955777302


Mit der Chronobiologie Schwangerschaft und Stillzeit optimieren


Einführung: Anti-Aging beginnt im Mutterleib

Für die meisten lautet die wohl verblüffendste Aussage über Maßnahmen zur Prävention von altersbezogenen Beschwerden: „Anti-Aging beginnt im Mutterleib.“ Verblüffend ja, aber nicht ganz richtig. Denn jede Frau, die es Ernst meint mit der Gesundheit der nächsten und übernächsten Generation, muss mindestens einen Monat im Voraus einplanen, und die meisten tun das ja auch. Das gilt auf jeden Fall für ein Vitamin aus der B-Gruppe, Folsäure.

Für den Mann beginnt die ernste Phase des Kinderwunsches am besten schon drei Monate vor der Zeugung, entsprechend der Reifezeit der Samenzelle.

Während der 11. Juli 2013 eine sehr gute Nachricht für Schwangere und ihre Babys und noch mehr für künftige Frauen mit Kinderwunsch lieferte, war er gleichzeitigt ein besonderes Datum für Wissenschaftler, die ihre Arbeit der Entwicklung von hochwertigen Nahrungsergänzungen in pharmazeutisch reiner Qualität widmen.

Was ist passiert?

Die Europäische Nahrungs-Sicherheits-Autorität (European Food Safety Authority, EFSA) veröffentlichte an jenem Donnerstag eine sehr seltene Anerkennung von gezielter Nahrungsergänzung. Ihre weitreichende Entscheidung besagte auf Englisch zweierlei (jetzt folgt Beamten-Sprache), nämlich „dass die Zufuhr von Folsäure den mütterlichen Folsäurespiegel erhöht“ – also tatsächlich funktioniert. Ferner: „Die Erhöhung des mütterlichen Folsäurespiegels trägt zur Reduktion des Risikos von Neuralrohrdefekten beim Ungeborenen bei.“

Der fürchterliche Begriff Neuralrohrdefekt bezeichnet Entwicklungsschäden des Gehirns, des Rückgrats und des Rückenmarks. Sie geschehen im allerersten Monat einer Schwangerschaft, oft bevor eine Frau überhaupt weiß, dass in ihr Leben entsteht. Die häufigsten Schäden sind Spina bifida, eine Spaltbildung der Wirbelsäule, verbunden mit einer Lähmung der Beine, und A-Enzephalitis, bei der sich der größte Teil des Gehirns und des Schädelknochens nicht voll entwickeln.

Für eine Frau mit Kinderwunsch gibt es kaum schlimmere Vorstellungen als die, dass ihr Baby von solchen Risiken bedroht ist.

Seit langem wird ein Mangel an Substanzen der Folsäure im Blut als Ursache dieser Folgeschäden beobachtet und vermutet. Doch bis vor wenigen Jahren gelang es der Wissenschaft nicht, den kausalen Zusammenhang schlüssig zu beweisen. Und solange unterblieb die offizielle Empfehlung, eine ausreichende Versorgung mit Folsäure während der Schwangerschaft sicherzustellen.


Folsäure kann der Körper nicht selbst herstellen


Zurückzuführen sind die Gefahren auf eine gestörte Entwicklung der Erbanlagen.

Mit der Bezeichnung Folsäure wird eine umfangreiche Substanzgruppe aus der Familie der B-Vitamine definiert, die wie beinahe alle klassischen Vitamine vom Körper nicht selbst hergestellt werden kann und mit der Nahrung ausreichend aufgenommen werden muss.

Zurück zur EFSA und ihrer Entscheidung.

Die Ergänzung einer Ernährung durch essbare Substanzen, die dem Organismus ohne sie fehlen würde, kann zweifellos zur Verringerung eines Mangels beitragen – aber das ist keine Garantie dafür, dass das gleichbedeutend mit dem Ausschluss oder der Heilung eines Leidens ist. Denn verändert wird vor allem das Ausmaß des Risikos. Im Regelwerk der EFSA wird deshalb unterschieden, ob eie Risiko verringert oder eine Krankheit verhindert wird. Entsprechend darf nur darauf hingewiesen werden, dass beispielsweise die gezielte, verstärkte Zufuhr von Vitamin C einen möglicherweise vorhandenen Mangel ausgleicht. Aber das bedeutet nicht, dass behauptet werden darf: Diese Nahrungsergänzung verhindert Skorbut oder andere Vitaminmangelerscheinungen

Deshalb sind Gesundheits-Behauptungen im Zusammenhang mit essbarer Nahrungsergänzung auch aus Wettbewerbsgründen Mangelware. So darf zum Beispiel nicht in Europa – wohl aber weiterhin in den USA – behauptet werden, dass Probiotika Schäden von Antibiotika ausgleichen.

In Bezug auf ihre sonst überstrenge Auslegung von Regulierungserlässen machte die Europäische Nahrungs-Sicherheits-Autorität am 11. Juli 2013 eine ganz, ganz seltene Ausnahme. Ihre Aussage bedeutet, dass die Zufuhr von Folsäure als eine entscheidende Maßnahme für die Gesundheit des ungeborenen Lebens eingestuft und deshalb auch uneingeschränkt so bezeichnet werden darf. Endlich!


Giftstoffe hemmen die günstige Wirkung


Dieses grüne Licht für eine schlichte Nahrungsergänzung war deshalb doppelt überfällig, weil nicht nur erkannt worden war, dass bei herkömmlicher, oft gedankenloser Ernährung sich leicht und unbemerkt ein Mangel an Folsäure einschleichen kann. Begriffen wurden auch die verhängnisvollen Folgen besonders für jede Frau im gebärfähigen Alter! Denn es droht eine gestörte Entwicklung der Erbanlagen. Jüngste wissenschaftliche Untersuchungen hatten darüber hinaus erst kürzlich auch eine erschreckende Gefahr aufgedeckt: Einzelne Schimmelpilze können diese Entwicklungsschäden selbst dann noch herbeiführen, wenn Folsäure eigentlich in normalem Umfang im Körper vorhanden ist. Denn solche Giftstoffe – sie heißen zum Beispiel Fumonisine – hemmen die Wirksamkeit der Folsäure-Moleküle. Und sie schleichen sich durchaus in die Nahrungskette ein, etwa in Maismehl, Polenta, und in daraus hergestelltem Knabbergebäck.

Vergrößert werden die Gefahren von Neuralrohrdefekten außerdem zusätzlich bei Frauen mit Übergewicht, mit medikamentös ungenau behandeltem Diabetes und bei der Einnahme gewisser Medikamente, etwa gegen Anfälle oder Schlaganfall.

Lese-Tipp:

Quintessenz und Prävention Kinderwunsch

Band 11 der Präventions-Buchreihe

eBook, IGK-Verlag,

ISBN 9783955776022

Lese-Tipp:

Schwangerschaft: Weniger Schmerz und weniger Angst mit Chiropraktik

eBook, IGK-Verlag,

ISBN 9783955777166

2013 erwies sich bei uns nach langer Zeit als ein besseres Babyjahr als die Jahre vorher, allerdings vor Allem auf Grund der Zunahme an Geburten von Zwillingen, Drillingen und Vierlingen in Folge von Maßnahmen der Fortpflanzungsmedizin und künstlicher Befruchtung. Dennoch sank die Zahl der Babys seit 2001 um etwa ein Zehntel.

Subfertilität, Unfruchtbarkeit und Schwangerschaftsstörungen haben sich zu einem Riesenproblem für jede dritte Frau entwickelt, das zu einem Drittel auch vom Mann ausgeht und dessen Ursachen bei einem weiteren Drittel beide betreffen.

Das ist oft die Ausgangssituation für das werdende Leben im Mutterleib, das je nach Entwicklungsstufe erst als Embryo und danach als Fetus bezeichnet wird, genährt wird (Die Autoren dieser Zusammenfassung entscheiden sich durchgängig für den Begriff Baby). Es empfängt Nahrung nicht allein aus dem, was die Mutter vor und während der Schwangerschaft verzehrt. Ein großer Teil der Nährstoffe fließt ihm zusätzlich aus den ständigen Umwandlungsprozessen in ihrem Stoffwechsel zu.

In jedem Augenblick werden im mütterlichen Organismus Muskeln, Fettzellen und Knochenmoleküle umgebaut, abgebaut, erneuert – und daraus werden Fette, Fettsäuren, Eiweiße und Mineralstoffe wie Calcium in die Blutkreisläufe beider Organismen übergeführt. Sie sind der mindestens ebenso entscheidender Beitrag der Mutter zu einer gesunden Entwicklung ihres Babys. Und sie sind, wie neueste Forschung untermauert, die Basis für die Fundamente einer stabilen Gesundheit, im Idealfall bis ins hohe Alter.


Ein eigenes Organ für den Nährstoff-Austausch


In einem eigenen, dafür entstehenden Organ für den Stoffaustausch zwischen Mutter und Kind, der Plazenta, werden die Nährstoffe harmonisch zusammengeführt. Dieses schwammige Gewebe mit der Bezeichnung Mutterkuchen ist in Wahrheit ein Teil des Kindes, der es mit dem mütterlichen Organismus verbindet, und erfüllt drei Funktionen: Es ist die Pforte, durch die Nährstoffe aus dem Blut der Mutter aufgenommen und den Organen des Babys zugeführt werden; umgekehrt werden auf diesem Wege Abfallstoffe entsorgt. Dasselbe Gewebe produziert Hormone, die der Mutter Signale senden, beispielsweise über Nahrungsbedarf. Und zuletzt wirkt die Plazenta als Schutzschild gegenüber den Abwehrsystemen der Mutter, denn ihr Körper muss einen halben Fremdkörper harmonisch ertragen, dessen Gene zur Hälfte vom Vater stammen.

Die Entstehung des Mutterkuchens setzt am achten Tag nach der Befruchtung ein. Neueste Forschungsergebnisse lassen schicksalshafte Zusammenhänge zwischen dem Wachstum der Plazenta und späteren Risiken vermuten, die einen Menschen sein Leben lang begleiten werden.

Ein Beispiel:

Ein unterernährtes Baby wird gegen eine Mangelversorgung ankämpfen, indem es die Oberfläche des Mutterkuchens verändert, erweitert, um vielleicht mehr Nahrung herausziehen zu können. Das ist eine zweischneidige Strategie, denn auch die vermehrten Plazenta-Zellen müssen versorgt werden, und es kommt zu einem Verteilungskampf um die begrenzten Nährstoffe. Ein größerer Mutterkuchen wird einen größeren Anteil beanspruchen. Diese Umstände verlangen auch dem Herz eine höhere Anstrengung ab, Blut durch das nährende Gewebe zu pumpen. So beeinflusst die Ernährung der Mutter die Plazenta, und die Plazenta prägt die Dicke der Herzgefäße und die Größe der Herzkammern mit.


Risiko Bluthochdruck


Ähnliche möglicherweise kritische Einflüsse einer Unterernährung werden auch in Bezug auf den Blutdruck diskutiert. Im Falle von Babys mit kleiner Plazenta muss das Blut durch engere Gefäße gepumpt werden, wofür vermutlich ein höherer Druck benötigt wird. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass 60 Jahre später eine chronische gesteigerte Muskelspannung mit höherem Blutdruck nicht so sehr von der Ernährungsweise als Erwachsener bestimmt wird, sondern schon im Mutterleib vorgeprägt worden war. Hypertonie ist ein gefährlicher Umstand, der zu kardio-vaskulären Krankheiten beiträgt.

Sogar bestimmte Einflüsse auf spätere Krebserkrankungen müssen unter Umständen auf die Eigenschaften des Mutterkuchens zurückgeführt werden.

Herzerkrankungen waren eine Seltenheit vor 100 Jahren. Jetzt sind sie weltweit die Todesursache Nummer 1. Diskutiert werden eine ganze Reihe von Hauptfaktoren: Ernährung, sitzende Lebensweise, Rauchen, aber selbst bei einer identischen Risiko-Wahrscheinlichkeit werden Einige krank und Andere nicht. Immer stärker wird der Verdacht, dass für die nächste Generation vor Allem die Ernährung von Mädchen und Frauen im gebärfähigen Alter eine bedeutende Rolle spielt.

Viele wissenschaftliche Studien lassen befürchten, dass eine einseitige, an Vitalstoffen mangelhafte Ernährungsweise, womöglich noch mit einer Überversorgung an leeren Kalorien, den werdenden Körper für ein Leben lang prägt und die Weichen stellt in Richtung Herzleiden, Schlaganfall, Osteoporose, Diabetes und Krebs.


Geburtsgewicht und Herzrisiko


Ein richtungsgebendes Signal kann vom Geburtsgewicht ausgehen, das bei Knaben durchschnittlich um 3.400 Gramm und bei Mädchen um 3.200 Gramm liegt.

Ein britischer Professor mit Lehrstühlen für klinische Epidemiologie und kardio-vaskuläre Krankheiten, Dr. David Barker, veröffentlichte erstmals 1975 eine von ihm entwickelte These, die später in die wissenschaftliche Literatur als „Barker-Hypothese“ (British Medical Journal, 1995) aufgenommen wurde. Sie besagt: Menschen mit einem niedrigen Geburtsgewicht haben ein höheres Risiko, herzkrank zu werden. Das Gewicht gilt dabei als Indikator für richtige oder falsche Ernährung im Mutterleib. Er sprach nicht von Neugeborenen, die zu früh zur Welt kommen und deshalb weniger wiegen. Für sie wurde ein generell höheres Herzrisiko nicht ermittelt.