Die zehnjährige Darling lebt in einer afrikanischen Blechhüttensiedlung. Paradise heißt ihr Zuhause, und fast alles fehlt: der Vater, die Schule, der Fernseher oder auch nur genug zu essen. Für die Erwachsenen ist Paradise das Ende ihrer Hoffnungen, für Darling der einzige Ort, der ihr ans Herz gewachsen ist. Doch gerade als sie anfängt zu verstehen, wird sie von ihrer Tante in den USA fortgerissen. Üppiges Essen, der Fernseher, die Schule – das alles ist bald selbstverständlich, nur steht sie im neuen Paradies bald vor ihrer größten Aufgabe …

Wir brauchen neue Namen beschwört die Abenteuer eines Mädchens an einem unwirtlichen Ort. NoViolet Bulawayo verleiht ihrer Heldin dabei eine einzigartige Stimme, die trotz allem beharrlich Lust am Leben versprüht.

»Ein atemberaubender Roman. Eine außergewöhnliche Autorin!« The New York Times

NoViolet Bulawayo, geboren 1981, wuchs in Simbabwe auf. Einem Land, das wenige Monate zuvor unabhängig geworden war. Im Alter von achtzehn Jahren wanderte NoViolet Bulawayo in die USA aus. Ihr Debütroman Wir brauchen neue Namen ist ein weltweiter Erfolg, wurde mit dem PEN/Hemingway Award 2014 ausgezeichnet und stand auf der Shortlist des Man Booker Prize 2013.

Miriam Mandelkow, 1963 in Amsterdam geboren, lebt als Übersetzerin in Hamburg. Zuletzt erschienen in ihrer Übersetzung Werke von David Vann, Pat Barker und Anne Landsman.

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch
von Miriam Mandelkow

Suhrkamp

Die Originalausgabe erschien 2013 unter dem Titel

We Need New Names bei Little, Brown and Company, New York.

Die Übersetzerin dankt dem Deutschen Übersetzerfonds für die Förderung der vorliegenden Übersetzung.

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2016

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuchs 4651

© Suhrkamp Verlag Berlin 2014

© NoViolet Bulawayo 2013

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Umschlagfoto: C. W. Griffin / Miami Herald Staff, © The Miami Herald

eISBN 978-3-518-73917-4

www.suhrkamp.de

Für Za

Wir sind auf dem Weg nach Budapest: Bastard und Chipo und Godknows und Sbho und Stina und ich. Obwohl wir eigentlich gar nicht über die Mzilikazi Road rüberdürfen, obwohl Bastard auf seine kleine Schwester Fraction aufpassen soll, obwohl Mutter mich totschlägt, wenn sie das rausfindet; wir gehen einfach. In Budapest kann man Guaven klauen, und ich könnte gerade sterben für Guaven. Wir haben nichts gegessen heute Morgen, und mein Bauch fühlt sich an, als wenn jemand mit einem Spaten alles rausgeschaufelt hätte.

Aus Paradise rauszukommen ist nicht so schwer, die Mütter sind sowieso nur mit ihren Haaren und ihrem Tratsch beschäftigt, damit sind sie ja die ganze Zeit beschäftigt. Sie gucken kurz her, wenn wir der Reihe nach an den Hütten vorbeigehen, und dann wieder weg. Um die Männer unter der Jacaranda müssen wir uns auch keine Sorgen machen, die kleben die ganze Zeit am Dame-Brett. Nur die Kleinen sehen uns und wollen hinter uns her, aber Bastard haut dem nackten ganz vorn mit der Faust auf den Riesenschädel, und alle kehren um.

Dann sind wir im Busch und rasen und schreisingen, unsere Stimmen Räder, die sich drehen und uns immer schneller machen. Zuerst Sbho: Wer hat den Weg nach Indien entdeckt?, und dann wir: Vasco da Gama! Vasco da Gama! Vasco da Gama! Bastard läuft vorneweg, weil er das Landspiel heute gewonnen hat und meint, dadurch ist er jetzt Präsident oder so was, dahinter ich und Godknows, Stina und Sbho und ganz hinten Chipo, die mal schneller war als alle andern in Paradise, aber jetzt nicht mehr, weil jemand sie schwanger gemacht hat.

Als wir über die Mzilikazi rüber sind, geht es noch mal kurz durch den Busch, dann ein Stück die Hope Street lang und von da am großen Stadion vorbei mit den glänzenden Bänken, auf denen wir nie sitzen werden, dann sind wir in Budapest. Einmal müssen wir anhalten, damit Chipo sich hinsetzen kann mit ihrem Bauch; der tut manchmal weh, und dann muss sie ihn ablegen.

Wann kriegt sie überhaupt das Baby?, fragt Bastard. Bastard mag es nicht, wenn wir anhalten müssen wegen Chipos Bauch. Er wollte uns sogar überreden, dass wir gar nicht mehr mit ihr spielen.

Irgendwann kriegt sie’s schon, antworte ich für Chipo, sie redet nämlich nicht mehr. Sie ist nicht stumm-stumm, sie sagt nur einfach nichts, seit man ihren Bauch sehen kann. Aber sie spielt noch mit uns und macht alles mit, und wenn sie richtig, richtig dringend was sagen muss, dann benutzt sie ihre Hände.

Wann ist irgendwann? Donnerstag? Morgen? Nächste Woche?

Siehst du nicht, dass ihr Bauch noch klein ist? Das Baby muss wachsen.

Ein Baby wächst, wenn es aus dem Bauch raus ist, nicht drin. Dazu werden sie ja geboren. Damit sie erwachsen werden.

Jedenfalls ist es noch nicht so weit. Darum ist es noch im Bauch.

Ist es ein Junge oder ein Mädchen?

Ein Junge. Das Erste ist normalerweise immer ein Junge.

Aber du bist ein Mädchen, du Großmaul, und du warst die Erste.

Normalerweise, hab ich gesagt, oder?

Halt doch deinen kaka Mund, ist ja nicht mal dein Bauch.

Also ich glaube, es wird ein Mädchen. Ich hab dauernd meine Hände drauf, und es hat noch nie getreten, nicht ein Mal.

Ja, Jungs treten und boxen und verteilen Kopfnüsse. Mehr können sie auch nicht.

Will sie einen Jungen?

Nein. Ja. Vielleicht. Weiß nicht.

Wo genau kommt denn ein Baby raus?

Da, wo es in den Bauch reingeht.

Und wie genau kommt es in den Bauch?

Erst muss die Mutter von Jesus es da reintun.

Nein, nicht die Mutter von Jesus. Ein Mann muss es da reintun, hat mir Musa erzählt, meine Cousine. Eigentlich hat sie’s Enia erzählt, aber ich war dabei und hab’s mitgekriegt.

Und wer hat es bei ihr reingetan?

Woher sollen wir das wissen, wenn sie nichts sagt?

Wer hat es da reingetan, Chipo? Sag’s uns, wir sagen es auch nicht weiter.

Chipo guckt in den Himmel. In einem Auge ist eine Träne, aber nur eine kleine.

Wenn ein Mann es da reintut, warum holt er es dann nicht raus?

Weil die Frauen die Geburt machen, du Hohlbirne. Dazu haben sie ja Brüste, damit sie das Baby stillen und alles.

Aber Chipos Brüste sind klein. Wie Kieselsteine.

Das ist egal. Die werden größer, wenn das Baby kommt. Los jetzt, können wir, Chipo?, frag ich. Chipo antwortet nicht, sie geht einfach los und wir hinterher. Mitten in Budapest bleiben wir stehen. Das ist hier nicht wie Paradise, das ist wie in einem ganz anderen Land. Einem schönen Land, wo Leute wie wir nicht leben. Wobei man gar nicht merkt, dass hier überhaupt echte Menschen leben; sogar die Luft ist leer: kein leckeres Essen auf dem Feuer, kein Geruch, kein Geräusch. Einfach nichts.

Budapest, das sind große, große Häuser mit Satellitenschüsseln auf den Dächern und hübschen Kieshöfen oder gestutzten Rasen und hohen Zäunen und Fertigmauern und Blumen und großen Bäumen voll mit Obst, das auf uns wartet, weil hier anscheinend keiner weiß, was er damit anfangen soll. Nur wegen dem Obst haben wir überhaupt den Mut, sonst würden wir uns gar nicht hierher trauen. Ich denke immer, gleich spucken uns die sauberen Straßen an und schicken uns zurück, wo wir hergekommen sind.

Erst haben wir Stinas Onkel beklaut, der jetzt in England wohnt, aber das war nicht Klauen-Klauen, weil es ja der Baum von Stinas Onkel war und nicht von einem Fremden. Das ist ein Unterschied. Aber dann hatten wir seine Guaven aufgegessen, also sind wir weiter zu den anderen Häusern. Wir haben so viele Häuser beklaut, ich kann’s gar nicht zählen. Bastard hat bestimmt, dass wir eine Straße aussuchen und in der bleiben, bis wir alle Häuser durchhaben. Dann zur nächsten. Damit wir nicht durcheinanderkommen, wo wir schon waren und wo wir noch hingehen. Das ist wie ein Muster, und Bastard sagt, so werden wir bessere Diebe.

Heute fangen wir eine neue Straße an, also kundschaften wir vorsichtig alles aus. Wir gehen gerade an der Chimurenga Street vorbei, wo wir schon jeden Guavenbaum abgeerntet haben vor zwei, drei Wochen etwa, da sehen wir, wie weiße Vorhänge auseinandergehen und ein Gesicht aus dem Fenster guckt, aus diesem beigen Haus mit der Marmorstatue von dem pinkelnden Jungen mit Flügeln. Wir stehen da und wollen sehen, was das Gesicht macht, da geht das Fenster auf, und eine komische kleine Stimme ruft, dass wir warten sollen. Wir bleiben stehen, nicht weil die Stimme das sagt, sondern weil keiner losläuft und weil die Stimme auch nicht gefährlich klingt. Musik strömt aus dem Fenster auf die Straße; es ist nicht Kwaito, es ist nicht Dancehall, es ist nicht House, es ist überhaupt nichts, was wir kennen.

Eine große dünne Frau macht die Tür auf und kommt aus dem Haus. Sie isst was, das sehen wir als Erstes. Sie kommt winkend auf uns zu, und weil die Frau so dünn ist, wissen wir gleich, dass wir nicht weglaufen. Wir warten, damit wir rausfinden, warum sie lächelt oder worüber. Die Frau bleibt am Tor stehen; es ist abgeschlossen, und sie hat keinen Schlüssel dabei.

Gütiger, diese fürchterliche Hitze und der harte Boden, wie ertragt ihr das bloß?, fragt die Frau mit ihrer ungefährlichen Stimme. Lächelnd beißt sie von dem Ding in ihrer Hand ab. Eine rosa Kamera baumelt ihr um den Hals. Wir starren der Frau alle auf die Füße, die man unter dem langen Rock sieht. Hübsch und sauber wie bei einem Baby. Sie wackelt mit ihren lila lackierten Zehen. Ich kann mich nicht erinnern, dass meine mal so aussahen; bei meiner Geburt vielleicht.

Und dann dieser rote Kaumund. An den vorstehenden Linien an ihrem Hals und an den dicken schmatzenden Lippen merkt man, dass es richtig gut schmeckt. Ich beobachte ihre langen Finger und das Ding, das sie isst. Es ist flach und hat eine Kruste. Obendrauf ist es cremig und sieht weich aus und flockig und hat so münzrunde Dinger, dunkelrosa wie Brandwunden. Außerdem sind da rote und grüne und gelbe Sprenkel und dann noch die braunen Huckel, die aussehen wie Pickel.

Chipo zeigt auf das Ding und sticht mit dem Finger in die Luft, sticht immer so weiter, um zu fragen: Was ist das? Mit der anderen Hand reibt sie über ihren Bauch; seit sie schwanger ist, spielt Chipo ständig mit ihrem Bauch, wie mit einem Spielzeug. Der Bauch ist so groß wie ein Fußball, also nicht richtig groß. Wir starren der Frau auf den Mund und warten auf ihre Antwort.

Ach, das hier? Das ist eine Kamera, sagt die Frau. Wissen wir; sogar ein Stein kann dir sagen, dass eine Kamera eine Kamera ist. Die Frau wischt ihre Hand am Rock ab, tätschelt die Kamera und zielt mit dem Rest von dem Ding auf den Mülleimer neben der Tür, wirft vorbei und lacht wie irre. Sie guckt uns an, als wenn sie irgendwie will, dass wir mitlachen, aber wir sind mit dem Ding beschäftigt, das durch die Luft geflogen und wie ein toter Vogel auf dem Boden gelandet ist. Wir haben noch nie gesehen, wie jemand Essen wegwirft, nicht mal ein Ding. Chipo würde am liebsten hinterherrennen und es aufheben, so wie sie aussieht. Der verknautschte Mund von der Frau kaut fertig und schluckt. Ich schlucke mit, und es kitzelt in meinem Hals.

Wie alt bist du? Die Frau guckt Chipo auf den Bauch, als wenn sie noch nie eine Schwangere gesehen hat.

Elf, antwortet Godknows für Chipo. Wir sind zehn, sie und ich, wie Zwillings, sagt Godknows und meint ihn und mich. Bastard ist elf und Sbho neun, und bei Stina wissen wir’s nicht, er hat nämlich keine Geburtsurkunde.

Wow, sagt sie. Ich sag auch wow, wow wow wow, aber nur im Kopf. Ich hör das Wort zum ersten Mal und überleg, was es bedeutet, aber dann hab ich keine Lust mehr, mir den Kopf zu zerbrechen, und lass es sein.

Wie alt sind Sie denn?, fragt Godknows. Und wo sind Sie her? Ich finde, Godknows hat ein großes Maul, da kriegt er bestimmt mal eins drauf.

Ich? Also, ich bin dreiunddreißig und komme aus London. Ich bin zum ersten Mal im Land meines Vaters, sagt sie und spielt mit der Kette an ihrem Hals. Der goldene Anhänger hat die Form von Afrika.

London kenne ich. Ich hab mal Süßigkeiten von da gegessen. Die waren erst süß und schmeckten dann sauer. Onkel Vusa hat sie geschickt, am Anfang, als er angekommen ist, aber das ist lange her. Jetzt schickt er nichts mehr, sagt Godknows. Er guckt in den Himmel wie einer, der sich ein Flugzeug mit Süßigkeiten von seinem Onkel wünscht.

Aber Sie sehen aus wie fünfzehn, wie ein Kind. Godknows guckt jetzt die Frau an. Ich denke, gleich holt sie aus und wischt ihm eine, aber sie lächelt, als wenn es gar keine Beleidigung war.

Danke, ich habe gerade die Jesus-Diät hinter mir. Sie klingt richtig zufrieden. Ich guck sie an und frag mich: Danke? Wofür das denn? Außerdem frag ich mich: Was ist eine Jesus-Diät, und meinst du den echten Jesus, also das Kind Gottes?

So wie wir gucken und schweigen, merkt man, dass wir die Frau alle komisch finden. Sie fasst sich mit der Hand in die Haare, sie sind verfilzt und total durcheinander; wenn ich in Budapest wohnen würde, dann würde ich mich jeden Tag ganz waschen und mir hübsch die Haare kämmen und zeigen, dass ich ein echter Mensch in einem echten Haus bin. Wie sie so dasteht mit ihren wilden Haaren auf der anderen Seite vom Tor mit den Gittern und Schlössern, sieht die Frau aus wie ein Tier im Käfig. Ich überleg mir langsam, was ich mache, wenn sie rausspringt und auf uns losgeht.

Was dagegen, wenn ich euch fotografiere?, fragt sie. Wir antworten nicht, weil Erwachsene uns nie was fragen; wir gucken die Frau an, ihr krasses Haar, ihren Rock, der beim Gehen über den Boden schleift, ihre hübschen Zehen, ihr goldenes Afrika, ihre großen Augen, ihre glatte Haut, die nicht mal eine Narbe hat wie bei lebendigen Menschen, den Ohrring in ihrer Nase und ihr T-Shirt mit der Aufschrift Rettet Darfur.

Schön, dann rückt mal zusammen, sagt die Frau.

Du, der Große, nach hinten. Und du, ja, du, und du, den Kopf dahin, nein, ich meine dich hier mit den Zahnlücken, sieh mich an, so, sagt sie und streckt die Arme so durch die Gitter, dass sie uns beinahe anfasst.

Gut, gut, und jetzt sagt cheese, sagt cheese, cheese, cheeeeeese, flötet die Frau, und alle sagen cheese. Also ich, ich sag es eigentlich nicht, ich überleg die ganze Zeit, was cheese genau heißt, und es fällt mir nicht ein. Gestern hat uns Mother of Bones die Geschichte von Dudu dem Vogel erzählt: Dudu hat ein neues Lied gelernt und gesungen, ohne dass er den Text richtig verstanden hat, und wurde gefangen, getötet und zum Abendessen gekocht, weil er in dem Lied darum gebeten hatte, getötet und gekocht zu werden.

Die Frau zeigt auf mich und nickt, ich soll cheeeese sagen, und ich sag es hauptsächlich, weil sie so lächelt, als wenn sie mich richtig gut kennt, als wenn sie sogar meine Mutter kennt. Ich sag es erst langsam, und dann sag ich cheese und cheese und cheese cheeeeese, und alle sagen cheese cheese cheese, und wir singen das Wort, und die Kamera klickt und klickt und klickt. Und plötzlich geht Stina, der meistens still ist, einfach weg. Die Frau hört auf zu knipsen und fragt, Hey, wo gehst du hin? Aber er bleibt nicht stehen, er dreht sich nicht mal um. Dann geht Chipo hinter Stina her, dann gehen wir alle.

Wir lassen die Frau mit ihrem Fotoapparat einfach stehen. An der Ecke Victoria dreht sich Bastard um und fängt an, sie anzubrüllen und zu beleidigen, und ich erinnere mich an das Ding und dass sie es weggeworfen hat, ohne zu fragen, ob wir es haben wollen, und fang auch an zu brüllen, und alle machen mit. Wir brüllen und brüllen und brüllen; wir wollen das Ding essen, das sie gegessen hat, wir wollen unsere Stimmen ganz laut hören, wir wollen, dass der Hunger weggeht. Die Frau guckt bloß verwirrt, als wenn sie noch nie jemand brüllen gehört hat, und geht dann schnell in ihr Haus zurück, aber wir brüllen hinter ihr her, brüllen, bis es uns in den Kehlen kitzelt und wir Blut riechen.

Bastard meint, wenn wir älter sind, klauen wir keine Guaven mehr, sondern größere Sachen aus den Häusern. Da mach ich mir keinen Kopf, weil ich dann nämlich gar nicht mehr hier bin, dann wohne ich in Amerika bei Tante Fostalina und esse richtiges Essen und mach was Besseres als Klauen. Aber erst mal die Guaven. Wir nehmen uns Robert Street vor, ein riesiges weißes Haus, das dasteht wie ein Berg. Es hat große Fenster und überall Glitzerkram und einen roten Swimmingpool vorne mit lauter leeren Stühlen drum herum. Das sieht alles ziemlich hübsch aus, aber eher im Sinne von hübsch anzugucken, von wegen, Ach, das ist aber hübsch, und nicht zum Wohnen hübsch.

Das Gute an dem Haus ist, es steht hinten im Garten, und unsere Guaven sind ganz vorne, als wenn sie gehört hätten, dass wir kommen, und zu uns gelaufen wären. Über die Mauer und in den Baum klettern und unsere Plastiktüten vollmachen dauert nicht lange. Heute klauen wir Jumboguaven. Die sind groß wie eine wütende Männerfaust und werden nicht gelb wie sonst; sie bleiben außen grün, sind innen rosa und flockig und schmecken so gut, dass ich es nicht mal beschreiben kann.

Zurück nach Paradise rennen wir nicht, wir spazieren, als wenn Budapest jetzt auch unser Land ist und wir es sogar gebaut hätten. Unterwegs essen wir Guaven und spucken die Schale überallhin und machen Dreck. An der Ecke AU Street bleiben wir stehen, damit Chipo sich übergeben kann; das passiert meistens, wenn sie was isst. Heute sieht ihr Erbrochenes aus wie Urin, ein bisschen dicker. Wir lassen es liegen, einfach so.

Irgendwann wohne ich hier, in genau so einem Haus, sagt Sbho und beißt in eine fette Guave. Sie zeigt auf das große blaue Haus mit der langen Treppe und den ganzen Blumen drum rum. Ein richtig schönes Haus, aber nicht schöner als das, wo wir uns gerade die Guaven geholt haben. Sbhos Stimme klingt, als wenn das kein Witz sein soll, als wenn sie weiß, wovon sie redet. Sie kaut mit dicken Backen, schluckt und pellt die restliche Guave mit ihren Seitenzähnen.

Wie willst du das denn anstellen?, frag ich. Sbho spuckt die Schale aus und sagt mit ihren großen Augen, Keine Ahnung, weiß ich einfach.

In ihren Träumen vielleicht, sagt Bastard zur Sonne und schmeißt eine Guave gegen die Fertigmauer von Sbhos Haus. Sie platzt auf und verschmiert die Mauer. Ich beiß in eine Guave, eine richtig süße; die Kerne von Jumboguaven zerkaue ich nicht gerne, die sind so hart, das dauert ewig, also knirsch ich nur ein bisschen drauf rum, und manchmal schluck ich sie einfach runter, obwohl ich weiß, was passiert, wenn ich mich später hinhocke.

Warum hast du das gemacht? Sbho guckt die verschmierte Mauer vor ihrem Haus an und dann Bastard. Ihr Gesicht ist jetzt hässlich, ein richtiges Frauengesicht.

Warum du das gemacht hast, hab ich dich gefragt. Heiße Kohlen glühen in Sbhos Stimme, als wenn sie Bastard irgendwie was antun könnte, was sie eh nicht macht, Bastard ist größer und stärker und außerdem ein Junge. Er hat Sbho schon mal geschlagen, mich auch und Chipo und Godknows; alle hat er schon mal geschlagen außer Stina.

Weil ich es kann, du Knickbein. Außerdem, was regst du dich auf?

Weil ich gerade gesagt hab, das Haus finde ich schön, also lässt du es gefälligst in Ruhe. Such dir doch eins aus, das mir egal ist, hier stehen so viele!

Deswegen ist es noch lange nicht dein Haus, oder? Bastard hat eine schwarze Jogginghose an und ein ausgebleichtes oranges T-Shirt, wo Cornell draufsteht. Er zieht es aus und knotet es auf dem Kopf zusammen, und ich bin nicht sicher, ob es ihn hässlich oder hübsch macht, ob er wie ein Mann oder wie eine Frau aussieht. Er dreht sich um und geht rückwärts, damit er Sbho in die Augen sehen kann. Wer sich mit ihm streitet, muss ihn immer direkt angucken.

Budapest ist kein kaka Klo, wo jeder reinlaufen kann, nicht so wie Paradise. Hier wohnst du nie, sagt er.

Ich heirate einen Mann aus Budapest. Der holt mich raus aus Paradise, raus aus den Hütten und Heavenway und Fambeki und dem allen, sagt Shbo.

Ha ha. Du meinst, dich heiratet ein Mann, mit deinen Zahnlücken? Nicht mal ich würde dich heiraten, ruft Godknows über seine klapprige Schulter. Er und Chipo und Stina gehen vor uns. Godknows’ Shorts sind hinten eingerissen, und sein Po blinzelt durch den dreckigen weißen Stoff wie komische Augen.

Mit dir rede ich gar nicht, Schrammelhintern!, ruft Shbo Godknows zu. Außerdem wachsen meine Zähne nach. Mutter sagt, dann werde ich noch hübscher als jetzt!

Godknows winkt ab, als wenn es ihm egal wäre, weil ihm nichts mehr einfällt. Sogar die Steine wissen, dass Sbho hübsch ist, hübscher als wir alle hier, hübscher als alle Kinder von Paradise. Manchmal hören wir auf, mit ihr zu spielen, wenn sie immer wieder davon anfängt, als wenn es uns nicht schon zu den Ohren rauskommt.

Mir doch egal, ich hau selber ab aus diesem kaka Land. Und dann verdien ich ganz viel Geld und komm zurück und hol mir ein Haus hier in Budapest. Nein, am besten gleich viele Häuser: eins in Budapest, eins in Los Angeles, eins in Paris. Wo ich grad Lust hab, sagt Bastard.

Früher in der Schule hat mein Lehrer Mr. Gono gesagt, dass man lernen muss, wenn man Geld verdienen will, sagt Stina und bleibt vor Bastard stehen. Wie willst du das hinkriegen, wo wir gar nicht mehr zur Schule gehen? Stina redet nicht viel; wenn er den Mund aufmacht, weiß man also, dass es ganz schön wichtig ist.

Ich brauch keine kaka Schule zum Geldverdienen, du Ziegenzahn, sagt Bastard.

Er baut sich so dicht vor Stina auf, dass er ihm die Nase abbeißen könnte. Stina kommt gegen Bastard an, wenn er will, aber er guckt nur gelangweilt und isst seine Guave auf. Dann geht er weg und entfernt sich schnell von uns.

Ich geh nach Amerika und wohne bei meiner Tante Fostalina, und zwar bald, werdet ihr sehen, sag ich besonders laut, damit alle mich hören können. Ich beiß in eine frische Guave; sie ist so süß, dass sie in drei Bissen weg ist. Nicht mal die Kerne kaue ich.

Amerika ist zu weit weg, du Zwerg, sagt Bastard. Ich will nirgendwohin, wo ich durch die Luft muss. Was ist denn, wenn du ankommst und es ist kaka, und du steckst da fest und kannst nicht zurück? Ich geh nach Jo’burg, und wenn es nicht so gut läuft, kann ich einfach einpacken und losfahren und muss niemand fragen; egal, wo man hingeht, man muss immer zurückkönnen.

Ich überleg, was ich Bastard darauf antworten soll. Ein Guavenkern klebt zwischen meinem Gaumen und dem letzten Seitenzahn, und ich versuche, mit der Zunge dranzukommen. Dann nehm ich den Finger; er schmeckt nach Ohrenschmalz.

Ja, Amerika ist weit weg. Und was, wenn du im Flugzeug sitzt und irgendwas stimmt damit nicht?

Genau, und was ist mit den Terroristen?, fragt Godknows.

Blinzelpo Godknows sagt das bestimmt nur, um sich bei Fratzengesicht Bastard beliebt zu machen. Ich nehm noch eine Guave, und Godknows kriegt einen Blick von mir.

Mir egal, ich bin bald weg, sag ich und laufe zu Chipo und Stina, weil ich weiß, wie es ausgeht, wenn Godknows und Bastard es auf mich abgesehen haben.

Dann geh doch, geh in dein Amerika und arbeite im Pflegeheim. Das macht nämlich deine Tante Fostalina gerade. Genau jetzt wischt sie einem runzligen Alten sein Kaka ab, weil er das nicht mehr selber kann, meinst du, die Geschichten kriegen wir nicht mit?, brüllt Bastard mir in den Rücken, aber ich geh einfach weiter.

Wenn ich richtig stark wäre, überleg ich jetzt, würde ich mich auf der Stelle umdrehen und Bastard eine runterhauen für das, was er über meine Tante Fostalina sagt und über mein Amerika. Ich würde ihm eine scheuern und eine Kopfnuss verpassen, ihm meine Faust in den Mund rammen, damit er seine Zähne ausspuckt. Ich würde ihm in den Bauch boxen, bis er alle Guaven auskotzt, die er gegessen hat, ihn auf den Boden werfen, ihm mein Knie ins Kreuz bohren, die Arme auf den Rücken drehen und den Kopf nach hinten ziehen, bis er um sein lächerliches Leben bettelt. Das würde ich dann machen, aber ich geh einfach weg. Er sagt das ja nur, weil er neidisch ist. Weil er niemand hat in Amerika. Weil Tante Fostalina nicht seine Tante ist. Denn er ist Bastard, und ich bin Darling.

Als wir nach Paradise zurückkommen, sind die Guaven alle und wir so voll, dass wir fast kriechen. Wir halten an, um im Busch unser Geschäft zu erledigen, weil wir zu viel gegessen haben. Außerdem ist es besser, bevor es zu dunkel wird, sonst kommt keiner mit; nachts alleine in den Busch zu gehen ist unheimlich, weil man an Heavenway vorbei muss, dem Friedhof, und da trifft man vielleicht einen Geist. Moses’ Vater, der letzten Monat gestorben ist, das erzählen sich die Leute, die Bescheid wissen, stromert manchmal nachts in seinem gelben Barcelona-Trikot durch Paradise.

Wir finden alle ein Plätzchen, ich hocke mich hinter einen Felsen. Das ist das Schlimmste an Guaven: Wenn man zu viele isst, kriegt man von den ganzen Kernen Verstopfung. Das sagt keiner, aber ich weiß, dass wir wieder Verstopfung haben, alle, denn keiner versucht zu reden oder aufzustehen und wegzugehen. Wir essen so viele Guaven, weil wir sonst unseren Hunger nicht totkriegen, und wenn wir dann unser Geschäft erledigen müssen, tut es so weh, dass es fast nicht zu schaffen ist; als wenn man versucht, ein Land zu gebären.

Wir hocken alle, und ich hau mir mit den Fäusten auf die Beine, um einen Krampf zu verjagen, da schreit einer. Es ist kein Schrei, der davon kommt, wenn man zu doll drückt und ein Guavenkern den Hintern aufschlitzt, sondern ein Da!, also höre ich auf zu drücken, zieh meine Unterhose hoch und verlass meinen Felsen. Und da hockt Chipo. Sie schreit. Und zeigt auf etwas im Busch, und wir sehen es, was Großes, was im Baum hängt wie unbekanntes Obst. Dann sehen wir, dass es nicht etwas ist, sondern jemand. Dann, dass es nicht einfach nur ein Jemand ist, sondern eine Frau.

Was ist das?, kommt ein Flüstern. Keiner antwortet, weil alle sehen, was es ist. Die dünne Frau baumelt an einem grünen Seil, von einem Ast ganz oben im Baum. Die rote Sonne quetscht sich durch die Blätter und taucht alles in eine merkwürdige Farbe; das ist fast schön und lässt die helle Haut der Frau leuchten. Trotzdem ist das alles unheimlich, und ich will weglaufen, aber nicht alleine.

Die dünnen Arme der Frau hängen schlaff runter, und ihre Hände und Füße zeigen zum Boden. Alles ganz gerade, wie gezeichnet, eine Linie in der Luft. Die Augen sind das Unheimlichste, sie sind fast zu weiß und sehen aus wie etwas, das gleich rausploppt. Der Mund ist ein großes O, als wenn die Frau mitten im Satz unterbrochen wurde. Sie trägt ein gelbes Kleid, und das Gras leckt vorne an ihren roten Schuhen. Wir stehen da und starren sie an.

Los, weg, sagt Stina, und ich mach mich bereit.

Siehst du nicht, dass sie sich aufgehängt hat und jetzt tot ist? Bastard nimmt einen Stein und trifft die Frau am Oberschenkel. Ich denke, gleich passiert was, aber es passiert nichts; die Frau bewegt sich nicht, nur ihr Kleid. Es flattert ganz leicht im Wind, als würde ein kleiner Engel damit spielen.

Siehst du, sag ich doch, sie ist tot, sagt Bastard mit der Stimme, die er benutzt, wenn er uns dran erinnern will, wer hier der Boss ist.

Gott wird dich dafür bestrafen, sagt Godknows. Bastard wirft noch einen Stein und trifft die Frau am Bein. Sie bewegt sich immer noch nicht, sie baumelt da einfach wie eine Lumpenpuppe. Ich kriege Panik; sie guckt mich aus dem Augenwinkel an mit ihrem weißen, geploppten Auge. Sie guckt mich an und wartet darauf, dass ich was unternehme, und ich weiß nicht, was.

Gott lebt hier nicht, du Dummkopf, sagt Bastard. Er wirft noch einen Stein; der streift nur ihr gelbes Kleid, und ich bin froh, dass er vorbeigegangen ist.

Das erzähl ich meiner Mutter, sagt Sbho, als wenn sie gleich weint. Stina geht los, Chipo und Sbho und Godknows und ich folgen ihm. Bastard bleibt zurück, über die Schulter seh ich dann aber, dass er direkt hinter uns herkommt. Er kann nämlich auch nicht alleine mit einer toten Frau im Busch bleiben, obwohl er gerne so tut wie einer, der keine Angst hat. Wir gehen, und dann kommt Bastard plötzlich angesprungen und versperrt uns den Weg.

Jetzt wartet mal, ganz langsam, wer hat Lust auf richtiges Brot?, fragt er und zurrt lächelnd das Cornell-Shirt auf dem Kopf fest. Ich sehe die Wunde auf Bastards Brust, gleich unter der linken Brustwarze. Sie ist fast rosa wie eine Guave von innen.

Wo denn?, frag ich.

Habt ihr nicht gemerkt, dass die Schuhe von der Frau fast neu sind? Wenn wir die holen, können wir sie verkaufen und kriegen dafür ein Brot oder anderthalb.

Wir drehen uns alle um und folgen Bastard zurück in den Busch, schon ganz schwindelig von dem köstlichen Duft von Lobels-Brot, und dann laufen wir, und dann rennen wir, und wir rennen und lachen und lachen und lachen.

Jesus Christus ist heute gestorben, darum muss ich hier draußen stehen und mich mit kaltem Wasser waschen. Ich mag kaltes Wasser nicht, ich mag mich nicht mal am ganzen Körper waschen, wenn ich nicht was Bedeutendes vorhabe. Sobald ich fertig und angezogen bin, geht Mother of Bones mit mir in ihre Kirche. Sie sagt, das ist das Mindeste, was wir tun können, weil wir alle schmutzige Sünder sind und Jesus Christus sein Leben für uns geopfert hat, aber ich war ja gar nicht dabei, als das alles passiert ist, wie soll ich denn da eine Sünderin sein?

Ich geh nicht gern zur Kirche, eigentlich seh ich gar nicht ein, wieso ich in der prallen Sonne auf diesem Berg sitzen und mir langweilige Lieder und sinnlose Gebete und komische Bibelverse anhören soll, wenn ich mit meinen Freunden was Wichtiges unternehmen kann. Außerdem hat mich dieser verrückte Prophet Revelations Bitchington Mborro letztes Mal so lange geschüttelt, bis ich rosa Zeug gekotzt hab. Ich dachte, jetzt sterbe ich einen echten Tod. Prophet Revelations Bitchington Mborro wollte den Geist rausholen, der in mir drin ist; sie sagen, ich bin besessen, weil mein Großvater nicht ordentlich begraben wurde, nachdem die Weißen ihn im Krieg umgebracht haben. Er hat die Terroristen versorgt und versteckt, die ihr Land zurückhaben wollten, das die Weißen ihnen geklaut haben.

Wenn man was klaut, sollte es besser klein sein, damit man es verstecken kann, oder essbar, dass man es schnell verdrückt wie Guaven. Dann können die einen gar nicht erst erwischen mit dem Ding und sich dran erinnern, dass man ein schamloser Dieb ist und sie beklaut hat, insofern versteh ich auch nicht, was die Weißen da überhaupt probiert haben, als sie nicht so was Kleines geklaut haben, sondern ein ganzes Land. Wer vergisst denn, dass man so was geklaut hat? Keiner weiß, wo die Leiche von meinem Großvater ist, deswegen sagen die Kirchenleute jetzt, dass sein Geist in mir drin ist und nicht weggeht, bis seine Leiche richtig begraben ist. Dabei hab ich den Geist eigentlich nie gesehen oder gefühlt, ich kann also nicht sagen, ob es stimmt oder ob die mich bloß anlügen, was Erwachsene ja manchmal tun, weil sie erwachsen sind.

Hey, Kohlohr, wozu badest du?, ruft jemand.

Wer ist denn da?, ruf ich zurück, obwohl ich es nicht mag, wenn man mich Kohlohr nennt. Ich hab Schaum im ganzen Gesicht, darum kann ich meine Augen nicht richtig aufmachen.

Wir spielen gleich Andy-over, wozu badest du?

Ich geh mit Mother of Bones in die Kirche, sag ich und schmecke Sunlight-Seife. Ich schütte mir Wasser ins Gesicht.

Willst du nicht mit uns spielen?, fragt eine andere Stimme, vielleicht Sbhos.

Ich muss in die Kirche. Wisst ihr nicht, dass Jesus heute gestorben ist?

Mein Vater sagt, deine Kirche ist kaka und dein Prophet Revelations Bitchington Mborro ein Idio..., höre ich Bastards Stimme.

Na wartet futsekani lasst sie in Ruhe verdammte mgodoyis weg da boSatan beRoma! Mother of Bones spuckt aus der Hütte raus. Ich höre Gekicher, dann schnelles Getrampel. Ich wasch mein Gesicht fertig, mach die Augen auf, und sie sind weg. Ich seh nur einen braunen Hund hinter MaDumanes Hütte und Annamaria, die ihren Albino-Sohn Whiteboy in einer Schüssel badet. Als ich winke, fängt er an zu weinen, und Annamaria sagt mit einem gepfefferten Blick, Lass meinen Sohn in Ruhe, hässliches Ding, siehst du nicht, dass er Angst vor dir hat?

Drinnen hat Mother of Bones schon mein gutes gelbes Kleid rausgelegt, das würde ich niemals anziehen, wenn meine Mutter hier wäre; sie ist an die Grenze, um Sachen zu verkaufen, also muss ich bei Mother of Bones wohnen, bis sie zurück ist. Manchmal kommt Mutter nach ein paar Tagen zurück, manchmal nach einer Woche; manchmal kommt sie, wenn ich schon gar nicht mehr weiß, wann sie kommt. Gerade zählt Mother of Bones ihr Geld, wie jeden Morgen, ich mach mich also still fertig, wie es von mir erwartet wird. Unterm Bett ist die Vaseline.

Vorsicht mit der Vaseline sollst sie ja nicht trinken khona und nicht mit den dreckigen Schwachköpfen spielen hab ich gesagt so ein schlechter Einfluss, sagt Mother of Bones, und ich tu einfach so, als wenn sie gar nicht redet. Nach der Vaseline zieh ich mich an, setz mich auf die Bettkante und warte. Ich weiß nicht, warum Mother of Bones jeden Tag ihr Geld zählt, als hätte ihr jemand verraten, dass es über Nacht Eier legt. Zum Zeitvertreiben zähle ich die ausgebleichten Sonnen auf der Überdecke; es sind genau zwölf, wie die Jünger – Simon, Petrus, Andreas, die andern weiß ich nicht, wenn sie bessere Namen hätten, könnte ich mir vielleicht alle merken.

Als ich mit den Sonnen durch bin, ist mein Vater an der hinteren Hüttenwand dran: Er trägt komische schwarze Kleider wie eine Frau und einen albernen viereckigen Hut; um seinen Hals und am Kleid runter hängen Seile und Zeug. In einer Hand hält er ein Blatt Papier, und die andere schüttelt ihm ein dicker Mann im Anzug. Mother of Bones sagt, das Foto wurde gemacht, als Vater die Universität abgeschlossen hat, kurz vor meiner Geburt. Sie sagt, sie ist auch auf dem Bild, wir können sie nur nicht sehen, weil sich dieser Dicke vor sie gestellt hat in dem Moment, wo das Foto geknipst wurde, als wenn es irgendwie sein Sohn wäre, der die Universität geschafft hat. Jetzt ist Vater in Südafrika zum Arbeiten, aber er schreibt nicht und schickt kein Geld, nie und nichts. Bei dem Gedanken an ihn werde ich wütend, also tu ich meistens so, als wenn es ihn nicht gibt; besser so.

Dann ist da noch der lange, gelbe Vorhang, total hübsch bedruckt mit stolzen Pfauen, die ihre Federn spreizen wie Sonnenstrahlen. Er verdeckt die eine Blechwand. Eigentlich versteh ich gar nicht, wieso Mother of Bones da überhaupt einen Vorhang hat, es gibt nämlich keine echten Glasfenster. Nach dem Vorhang kommt der Kalender, er ist alt, aber Mother of Bones behält ihn, weil Jesus Christus drauf ist. Er hat Frauenhaare und lächelt schüchtern und hält den Kopf ein bisschen schief; man merkt, dass er auf dem Bild richtig nett aussehen wollte. Er hatte mal blaue Augen, aber ich hab sie braun angemalt wie meine und alle andern, damit sie normal aussehen. Mother of Bones hat mich dafür so vermöbelt, ich konnte zwei ganze Tage lang nicht sitzen.

Neben Jesus hängt mein Cousin Makhosi, und das auf seinem Arm bin ich, als ich klein war. Vor zwei Jahren ist Makhosi nach Madante gegangen, zum Diamantenschürfen, da waren die gerade entdeckt worden, und alle strömten hin. Als Makhosi zurückkam, hatte er Hände wie modrige Äste. Er hat uns von Madante erzählt, zwischen schlimmen Hustenanfällen, die richtig wehtaten, und wie er alles vergessen hat, wenn er unter der Erde war. Er hat erzählt, dass er in der Mine nur das schreckliche Hämmern gehört hat, manchmal sogar in ihm drin, als wenn er es verschluckt hätte. Dann ist er irgendwann auch nach Südafrika, wie Vater.

Und unter dem Bett versteckt, in einer alten, zerfledderten Bibel, die Mother of Bones nicht mit zur Kirche nimmt, liegt ein Bild von meinem Großvater. Sie haben ihn umgebracht, bevor ich auf die Welt kam, aber als ich ihn das erste Mal gesehen habe, wusste ich gleich, wer er ist; als wenn ich mich selbst und Makhosi und Vater und Onkel Muzi und die ganzen Verwandten auf einmal sehe, als wenn das Gesicht von meinem Großvater eine geballte Faust ist, die sich um alle unsere Gesichter schließt wie um Münzen.

Auf dem versteckten Bild redet Großvater mit spitzen Lippen. Er runzelt seine Stirn und guckt so tief in die Kamera mit seinen roten Augen, dass man denkt, er will sie essen. Durch seine Nase geht ein Knochen, und er trägt Ohrringe. Hinter ihm sind hüfthohe Maisfelder, einfach endlos und endlos grün. Keiner mag über ihn reden, man hat das Gefühl, es hat ihn überhaupt nie gegeben, aber manchmal murmelt Mother of Bones, und obwohl sie es nicht zugibt, glaub ich, sie spricht mit ihm. Sie weiß nicht, dass ich von Großvaters Bild weiß.

Warum ich meinen Koffer mit Geld wegwerfen soll würde ich gern mal wissen ich meine Geld nicht Ziegelsteine nein Geld, sagt Mother of Bones. Sie kauert weiter am Boden wie eine Gottesanbeterin, mit dem Koffer zu ihren Füßen. Ihre Messingreifen klimpern und klimpern, während die Hände über die Ziegelsteine von Geld fahren.

Weißt du was ich nicht verstehe?, fragt Mother of Bones. Sie hebt den Kopf und sieht mich an, aber ich sag nichts, weil ich weiß, dass sie gar nicht mit mir spricht.

Wieso diese Batzen Geld hier nicht ein Körnchen Salz kaufen können verstehe ich nicht das genau verstehe ich nicht, sagt sie, und der Ärger brodelt in ihrer Stimme.

Geld ist Geld in jedem Fall immer noch Geld, sagt sie. Jetzt tätschelt Mother of Bones das Geld wie ein Baby, das sie in den Schlaf wiegen will.

Es ist altes Geld, Mother of Bones, es ist nichts mehr wert, kapierst du das nicht? Du musst es einfach wegwerfen oder zum Feuermachen benutzen wie alle andern auch. Jetzt heißt es, dass wir bald amerikanisches Geld benutzen, sag ich, aber so leise, dass Mother of Bones es nicht hört.

Und das amerikanische Geld von dem sie reden wo soll ich das bitte hernehmen glauben die das kann ich einfach ausgraben hm glauben die ich kann das ausscheiden?, sagt Mother of Bones. Wenn sie redet, purzeln die Wörter immer raus ohne Pause, als wenn sie Angst hat, dass sie sonst weggefegt werden. Zuerst will ich aufspringen, weil ich denke, sie hat mich gehört, auch wenn ich es leise gesagt hab, aber sie guckt mich gar nicht an, also bleib ich, wo ich bin. Jetzt sieht man den Schmerz in ihrem Gesicht, als wenn etwas in ihr aufbricht und blutet.

Das Gesicht von Mother of Bones hat die Farbe der Hütten, schmutzig braun, als wenn beides zueinander passen soll. Es hat tiefe Furchen; als ich klein war, dachte ich, jemand hätte es mit einem kaputten Spiegel geschnitzt und geschnitzt und geschnitzt. Um den Kopf trägt sie einen weißen Schal, und um den Hals schlängeln sich bunte Perlen: lila Perlen, orange Perlen, rosa Perlen, blaue Perlen, kreischende Farben auf ihrer stillen braunen Haut.

Ich geh absichtlich hinter Mother of Bones zur Kirche; wenn ich vor ihr gehe, erzählt sie mir bloß, ich soll wie eine Frau gehen, und das bin ich nicht. An ihren kleinen Füßen trägt sie verschiedene Schuhe, einen flachen grünen und einen roten Tennisschuh mit einem weißen Schnürsenkel, aber deswegen ist sie noch lange nicht verrückt.

Wir kommen an ganz vielen kleinen Hütten vorbei, die wie warme Brotlaibe aneinandergequetscht sind. Ich hab keine Schuhe an, die sind nämlich zu klein geworden, und die andern Made in China, die Mutter mir von der Grenze mitgebracht hat, sind einfach auseinandergefallen, also heb ich vorsichtig die Füße und vermeide auf dem roten Staubweg lauter Sachen: eine kaputte Flasche hier, einen Haufen Müll da, eine Pfütze mit bräunlichem Zeug hier, eine ausgeweidete Wassermelone da. Es ist noch früh am Morgen, aber die Sonne brutzelt schon die Hütten; ich spüre das am ganzen Leib, ich werde praktisch geröstet.

Ich halt brav den Mund, als Mother of Bones unterwegs Leute grüßt: Bornfrees Mutter MaDube, die mit einem Stein Nägel in ihr Dach haut; NaBetina, die ihren Enkel Nomoreproblems beim Geschäftmachen von sich weg hält; Mai Tonde, die auf einem Hocker sitzt und ihrem schreienden Baby ins Ohr glotzt; NaMgcobha, die einem großgewachsenen Jungen, den ich noch nie gesehen hab, einen Brief diktiert.

Wir kommen an dem alten Zuze vorbei, der mit seinen blinden Augen in die Welt guckt, an Frauen, die tratschend vor ihren Hütten sitzen und sich gegenseitig die Haare machen, und an den Männern, die etwas weiter hinten wie Schafe zusammenkauern und unter der einsamen Jacaranda Dame spielen. Zusammen mit den lila Blüten sehen die Männer so hemdenlos beinahe schön aus im Schatten. Sie sitzen nach vorne gebeugt wie Tiger, als wenn ihnen die Sonne, die auf ihren Rücken knallt, nichts ausmacht, als wenn ihnen die Vogelscheiße, die auf ihre nackten Schultern fällt und ihre Haut bespritzt, nichts ausmacht. Mother of Bones grüßt und winkt, aber die Männer heben kaum den Blick von dem ausgebleichten Damebrett mit den Kronkorken, die zur Hälfte umgedreht sind.

Als wir an der Schlange von Leuten vor Vodlozas Hütte vorbeikommen, winkt Mother of Bones nur; hier kann sie nicht rufen, hier wohnt ein Heiler. Einige winken unsicher zurück, als wenn sie eigentlich gar nicht wollen, sie sehen ganz geschafft aus von Krankheiten oder Sorgen. Sie warten darauf, dass Vodloza ihre Vorfahren anruft, das ist sein Beruf. Auf einem großen weißen Schild stehen fette, rote, englische Wörter: VODLOZA, EINZIGSTER GUTER HEILER IN GANZ PARADISE UND UMGEBUNG KRIEGT ALLE SORGENHAFTEN SACHEN WIEDER HIN DIE IHNEN IM LEBEN WIEDERFAHREN KÖNNEN: BEHEXTHEIT, FLÜCHE, PECH, HURENDE GATTEN, KINDSLOSIGKEIT, ARMUT, BERUFSLOSIGKEIT, AIDS, WAHN, KLEINE PENISSE, EPILEPSIE, ALPTRÄUME, SCHLECHTE EHE / KEINE EHE, KONKURRENZ BEI DER ARBEIT, TERRORISIERUNG DURCH TOTE, PECH MIT VISAS BESONDERS NACH USA UND BRITANNIEN, UNVERSTÄNDIGE MENSCHEN IN IHREM LEBEN, VERSCHWUNDENE GEGENSTÄNDE IN IHREM HAUS USW. USW. USW. BITTE NUR DEVISEN.

Wir kommen am Spielplatz vorbei, und ich geh etwas langsamer, damit ich alles mitkriege. Sie spielen Andy-over, Bastard springt Seil, und die andern singen – er ist in einem Kochtopf nach Amerika und Kram. Sie gucken kurz zu uns rüber, und als wir nah dran sind, ruft Godknows, Darling! Samu sagt, sie kann dich verdreschen, willst du dich mit ihr prügeln, wenn du zurückkommst? Hast du gehört, die NGOs sind nächste Woche da? Kommst du mit nach Budapest?, dabei weiß er genau, dass er nicht mit mir sprechen soll, wenn ich mit Mother of Bones unterwegs bin. Ich will gerade meinen Finger auf den Mund legen, damit er still ist, da sagt Mother of Bones, ohne sich umzudrehen, Gib dich gefälligst nicht mit diesen kleinen Heiden ab hörst du?

Wandel