PETER SCHULZ
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Originalausgabe
Alle Namen in diesem Buch sind geändert.
Copyright © 2013 by Bastei Lübbe AG, Köln
Umschlaggestaltung: Manuela Städele
Umschlagmotiv: Thomas Rodriguez, Köln
E-Book-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde
ISBN 978-3-8387-4515-2
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Dieses Buch widme ich meinem engen Freund und Kollegen Piet, der seinen bei einem tragischen Trainingsunfall erlittenen Verletzungen nach langem Siechtum schließlich erlag.
Ferner widme ich es allen ehemaligen und aktiven Angehörigen von bundesdeutschen Spezialeinheiten.
»Defending the earth from the scum of the universe.«
M.i.B.
Wir arbeiten im Verborgenen. Für die Öffentlichkeit sind wir die »Männer ohne Gesicht«. Wir tragen Masken, um unsere Identität zu schützen, und wir kommen dann zum Einsatz, wenn der Rechtsstaat mit seinen regulären polizeilichen Mitteln am Ende ist. Nach uns kommt niemand mehr, der zur Hilfe gerufen werden könnte.
Wir haben mit den übelsten Tätern zu tun, die die Gesellschaft hervorbringt. Ob Mörder, Geiselnehmer, Terrorist oder psychisch kranker Extremgewalttäter – wir kennen sie alle. Denn weil es solche Menschen gibt, gibt es auch uns.
Ich sage »wir«, weil ich einer von ihnen war. Ich war Beamter eines Spezialeinsatzkommandos der Polizei – und dies 22 Jahre lang. Mittlerweile bin ich aus dem SEK ausgeschieden, aber ich rechne mich immer noch dazu.
Ich erzähle hier meine Geschichte oder, besser gesagt, einen entscheidenden Teil davon. Anhand einiger entscheidender und spektakulärer Fälle, die ich im Laufe meiner langen Dienstzeit aktiv miterlebt habe, möchte ich einen Einblick in die Welt der »Männer hinter der Maske« ermöglichen, die sonst weitestgehend verborgen bleibt. Und ich möchte Verständnis für die großen und kleinen Probleme wecken, mit denen wir, die sogenannten Elitepolizisten, zu kämpfen haben.
Natürlich gebe ich in diesem Buch keine internen Abläufe preis, um die Sicherheit unserer Arbeit in zukünftigen Einsätzen nicht zu gefährden. Ich versichere allerdings, dass alle Einsätze, die ich in diesem Buch beschreibe, tatsächlich so stattgefunden haben und nicht das Ergebnis eines mehr oder weniger fantasiebegabten Krimiautors sind. Fehler im Detail sind nach der teilweise langen Zeit, die das beschriebene Geschehen her ist, so gut wie unvermeidlich und gehen zu meinen Lasten.
Abschließend noch ein Eingeständnis. Ich habe es stets als eine ausgesprochene Ehre empfunden, mit den Kollegen meiner Einheit zusammen Dienst zu tun und sie über lange Jahre hinweg durch viele Einsätze zu führen. Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Männer tatsächlich zu den Besten gehören, die in diesem gefährlichen Metier tätig sind, was ich ihnen in dieser Form während meiner aktiven Dienstzeit niemals gesagt habe.
Dies geschieht nun durch dieses Buch, denn es ist an der Zeit.
In hoc signo vinces!
Peter Schulz,
im Mai 2013
»Menschen mit einer neuen Idee gelten so lange als Spinner, bis sich die Sache durchgesetzt hat.«
Mark Twain
Ich gehe die ausgetretenen Steinstufen zum ersten Mal nach oben. Bei dem Gebäude, in dem das Spezialeinsatzkommando der Polizei untergebracht ist, handelt es sich um einen alten Kasernenbau aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Offensichtlich hat sich an der Inneneinrichtung bis dato nicht allzu viel verändert, denke ich mir, als ich die erste Etage erreiche und vor einer verschlossenen Stahltür stehe. Als sich die Tür auf mein Klingeln hin schließlich öffnet, kann ich nicht im Entferntesten ahnen, in welche Welt ich dort eintreten werde und dass ich einmal einer der am längsten aktiv Dienst tuenden SEK-Beamten werden würde. Die Tür schließt sich automatisch, und ich bin »drin« – und das in jeder Beziehung …
In der Bundesrepublik Deutschland waren bis Anfang der 70er Jahre Spezialeinheiten sowohl bei der Polizei als auch beim Militär völlig unbekannt. Erst durch das Massaker palästinensischer Terroristen an den israelischen Sportlern während der Olympischen Spiele 1972 in München wurde schlagartig klar, dass die Sicherheitskräfte der Bedrohung durch Terroristen kaum etwas entgegenzusetzen hatten.
Aufgrund der Erfahrungen in der Zeit des Nationalsozialismus untersagt das Grundgesetz einen Einsatz des Militärs im Inland. Auch wenn also damals schon die Bundeswehr über Spezialkräfte zur Terrorbekämpfung verfügt hätte, hätten diese in die Münchener Geschehnisse gar nicht eingreifen dürfen. Tatsächlich gibt es bei der Bundeswehr erst seit 1996 eine Spezialeinheit, die jenseits der eigenen Grenzen in diesem Bereich operativ tätig werden könnte, nämlich das etwas geheimnisumwitterte Kommando Spezialkräfte (KSK).
Getreu der Binsenweisheit, dass es erst zu einem einschneidenden Ereignis kommen muss, bevor sich die Dinge grundlegend ändern, war die eigentliche Geburtshilfe für die Gründung des KSK die Unfähigkeit der Bundeswehr, gefährdete deutsche Staatsbürger aus dem im Jahre 1994 vom Völkermord erschütterten Ruanda zu evakuieren. Diese Aufgabe musste damals vom kleinen NATO-Partner Belgien und dessen schlagkräftigen Para-Commandos übernommen werden. Heute gehört das KSK sicherlich zu den besten Spezialeinheiten weltweit – und das, obwohl der Personalkörper an »aktiven« Kommandosoldaten sehr klein, der »logistische Überbau« jedoch sehr groß ist …
Bei einer entsprechenden Gefährdungslage im Inneren dürfte nicht das KSK, sondern würden polizeiliche Spezialeinheiten alarmiert werden. Die Antiterroreinheit der Bundespolizei ist die GSG 9, die 1973, durch Erlass des damaligen Innenministers Genscher, gegründet wurde. Darüber hinaus verfügt jede Landespolizei über mindestens ein Spezialeinsatzkommando (SEK) und auch über Mobile Einsatzkommandos (MEK), deren Aufbau durch einen Beschluss der Innenministerkonferenz im Jahre 1974 veranlasst wurde.
Auch wenn aufgrund politischer Vorgaben die Einsatzgebiete des KSK und der SEKs säuberlich voneinander getrennt sind, so weiß ich doch aus eigener Erfahrung, dass zwischen den meisten SEK’s und dem KSK ein traditionell sehr gutes und enges Verhältnis besteht. Meine Einheit hat früher mit dem KSK Erfahrungen ausgetauscht und häufiger auch gemeinsam trainiert, allerdings immer mehr oder weniger »inoffiziell«, um bloß keine Aufmerksamkeit zu erregen.
Die Hauptaufgabe der SEKs liegt in der Durchführung von Zugriffsmaßnahmen gegen bewaffnete, als besonders gewalttätig oder gefährlich eingestufte Personen, wohingegen die MEKs eher der Kriminalpolizei zugeordnet sind und in erster Linie mit Observationsaufgaben betraut werden. In der Öffentlichkeit treten SEK-Beamte vor allem bei spektakulären Geiselnahmen in Erscheinung; sie sind jedoch weitaus häufiger im Einsatz als weithin vermutet. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass nahezu jede Festnahme eines als bewaffnet oder sehr gewalttätig eingestuften Straftäters von SEK-Beamten vorgenommen wird.
Häufig hinzu kommen Einsätze bei eskalierenden Familienstreitigkeiten, wenn etwa Frauen und Kinder von einem gewalttätigen Vater bedroht oder attackiert werden. Wegen der zumeist unkalkulierbaren Emotionen, die in diesen Situationen vorherrschen, sind solche Einsätze besonders heikel, und tatsächlich kommen bei derartigen Dramen mehr Personen zu Schaden oder verlieren gar ihr Leben als bei spektakulären Geiselnahmen. Weitere Einsatzanlässe sind militante Demonstrationen, die Begleitung von besonders gefährlichen oder ausbruchsverdächtigen Inhaftierten bei Gefangenentransporten oder auch der Schutz von hochrangigen Staatsgästen. Zahlreiche Ereignisse also, zu denen SEKs gerufen werden können – und das bei einer vergleichsweise geringen Anzahl der zur Verfügung stehenden Beamten.
Dies liegt zunächst sicherlich an dem sehr rigiden Auswahlverfahren, dem sich ein potenzieller SEK-Bewerber stellen muss. Grundvoraussetzung ist natürlich, die »normale« Polizeiausbildung durchlaufen und anschließend auch bereits eine gewisse Zeit im Wach- und Wechseldienst bzw. in einer Einsatzhundertschaft absolviert zu haben. Erst dann besteht die Möglichkeit, sich für den Dienst in einem SEK zu bewerben. Wer akzeptiert wird, dem steht eine etwa ein Jahr dauernde Einführungsfortbildung bevor, in der die grundlegenden taktischen Kompetenzen vermittelt werden.
Dabei werden hohe Anforderungen an die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit gestellt und wird ferner die Bereitschaft verlangt, sich bis hin zur totalen Erschöpfung zu verausgaben. Die Möglichkeit, jederzeit zu versagen und den Lehrgang verlassen zu müssen, erzeugt bei den Bewerbern zusätzlichen (gewollten) Stress. Denn neben den körperlichen Fähigkeiten, die ein potenzieller SEK-Beamter mitbringen muss, ist die Stressstabilität in emotionalen Ausnahmesituationen ein ganz entscheidender Faktor, um in diesem Job bestehen zu können. Diese Fähigkeit ist allerdings nach meiner Erfahrung nur äußerst bedingt trainierbar, sondern in den meisten Fällen entweder einfach vorhanden oder eben nicht.
Einige wesentliche taktische Inhalte der SEK-Einführungsfortbildung sind:
Im Grunde dient diese Einführungsfortbildung zwei Zielen, nämlich die Beamten mit dem nötigen Grundwissen für ihre zukünftige Tätigkeit auszustatten und gleichzeitig die Bewerber auszusortieren, die den hohen Anforderungen am Ende nicht gerecht werden. Die Ausfallquote ist daher bei diesen Lehrgängen entsprechend hoch, zumal auch dabei erlittene Verletzungen zum einen oder anderen Ausfall führen.
Nach Abschluss der Einführungsausbildung erfolgt die Versetzung in ein Stammkommando, in dem es mit der Fortbildung weitergeht und wo die Beamten sich spezialisieren können, etwa zum Präzisionsschützen, zum Rettungssanitäter oder zum Kletter-/Abseilinstructor. Tatsächlich verbringt ein SEK-Beamter während seiner Dienstzeit mindestens genauso viel Zeit mit der Aus- und Fortbildung, wie er de facto für Einsätze zur Verfügung steht.
Letztlich ist aber auch eine erfolgreich abgeschlossene Einführungsfortbildung noch keine Garantie dafür, dass ein Bewerber dauerhaft in einem SEK Verwendung findet. Nach Versetzung zu seinem Stammkommando beginnt für ihn eine halbjährige Probezeit, in der er den anderen Mitgliedern des Kommandos beweisen muss, dass er in jeder Hinsicht eine Verstärkung darstellt, menschlich wie fachlich. Wenn sich »der Neue« erkennbar in die Einheit zu integrieren versucht, wenn er also auch unangenehme Dienstverrichtungen freiwillig übernimmt, dann ist er im Team willkommen. Sehr schwer hat er es in der Regel dann, wenn er den Kollegen gegenüber, die schon etliche gefährliche Einsätze gemeistert haben, den dicken Adam markiert. Dies führt dann schon einmal sehr schnell zu einem vorzeitigen Ende der Probezeit, auch wenn so ein Bewerber die formellen und messbaren Leistungsvoraussetzungen durchaus erfüllt. Die Probezeit dient also letztlich dazu festzustellen, ob der Bewerber in das Team passt, aber umgekehrt natürlich auch, ob das Team und der Job tatsächlich das darstellen, was der Bewerber sich vorgestellt hat.
Das Wort »Team« steht in der Vokabelliste eines SEK-Beamten in der Tat sehr weit oben, denn Einzelgänger kann es in dieser Welt nicht geben. Das Handeln jedes Einzelnen, gut oder schlecht, hat immer direkte Auswirkungen auf die gesamte Gruppe. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass jeder Beamte seinem Nebenmann jederzeit sein Leben anvertraut und sich blind auf dessen Beistand verlässt. Dies beinhaltet einen Grad von Vertrauen, der weit über den Bereich der normalen »Kollegialität« hinausgeht und von Außenstehenden auch nur schwer nachvollzogen werden kann. Und das wiederum führt dazu, dass in den SEKs ein Zusammenhalt existiert, der sonst in dieser Form nicht vorkommt und häufig gerade von höheren Vorgesetzten mit Misstrauen betrachtet und als Kameraderie missgedeutet wird.
Tatsächlich ist jedoch das Gegenteil der Fall, denn die Aufarbeitung von Fehlern, die im Einsatz oder auch in der Ausbildung vorkommen, erfolgt in aller Regel ebenfalls innerhalb der Gruppe und dabei völlig offen und schonungslos. Auch hier liegt der Grund auf der Hand, denn individuelle Fehler beeinträchtigen immer auch das ganze Team. Fehler sind natürlich menschlich und kommen überall vor, auch bei den Spezialeinheiten. Aber hier gehen Fehler im Einsatz mit einer exponenziell erhöhten Gefährdung für Leib und Leben von Menschen einher – sowohl der eigenen Kollegen als auch möglicher Geiseln, Unbeteiligter und letztlich auch des oder der Täter. Daher müssen etwaige Fehler im Team schonungslos aufgearbeitet werden, um die eigene Handlungskompetenz zu verbessern. Deutet die Fehleranalyse darauf hin, dass ein und derselbe Kollege wiederholt Fehler begeht, so wird er – Zusammenhalt hin oder her – sehr schnell aus dem Team ausgeschlossen. Falsch verstandene Kameraderie ist in einem SEK fehl am Platze. Niemand wird einfach so mit durchgezogen, wenn seine Leistungen oder sein Verhalten dagegensprechen.
Ich sollte noch erwähnen, dass bei der Aus- und Fortbildung der Beamten häufig über die Landes- oder gar Staatsgrenzen hinweg kooperiert wird, was der länderübergreifenden Bedrohung durch international agierende Verbrecher- und Terroristengruppen Rechnung trägt. So habe ich selbst im Zuge meiner dienstlichen Tätigkeit Kontakt zu Beamten von Partnereinheiten aus nahezu jedem Land Europas gehabt, darüber hinaus konnte ich Erfahrungen in den USA und Russland sammeln.
»Der Staatsdienst muss zum Nutzen derer geführt werden, die ihm anvertraut sind, nicht zum Nutzen derer, denen er anvertraut ist.«
Marcus Tullius Cicero
Ich wurde 1961 in einer Stadt am Niederrhein geboren und entstamme einem gutbürgerlichen Haushalt. In jener Stadt wuchs ich auch auf und verbrachte dort meine Schulzeit. Mit etwa zwölf Jahren begann ich leistungsmäßig zu schwimmen und wurde durch sehr viel Training (ich habe mich selbst nie als besonders talentiert angesehen) über die Jahre immer besser. Ich nahm an Meisterschaften (Bezirks-, Westdeutsche, Deutsche Meisterschaften) teil und gewann sogar den einen oder anderen Titel. Diese Eigenschaft, nämlich sich Erfolge durch harte Arbeit und körperliche Anstrengung zu erarbeiten, hat sicherlich nicht unwesentlich dazu beigetragen, die spätere SEK-Ausbildung erfolgreich zu absolvieren.
Meine Schulzeit verlief quasi nebenher. Ich besuchte das Gymnasium, und die wichtigste Erkenntnis, die ich dort gewann, war die, dass ich lernte, nur genau das zu tun, was ich für ein Weiterkommen auch wirklich brauchte. Ökonomie der Kräfte sozusagen, denn das anstrengende tägliche Training ließ auch gar nichts anderes zu.
Im Oktober 1977 wurde ich das erste Mal auf die Spezialeinheiten aufmerksam, als die GSG 9 die entführte Lufthansa-Maschine »Landshut« in Mogadischu stürmte und die Passagiere aus der Hand palästinensischer Terroristen befreien konnte. Das war eine Art Erweckungserlebnis für mich, denn fortan wollte ich nur noch eines: später selber einmal einer derartigen Einheit angehören.
Folgerichtig bewarb ich mich nach meinem Abitur als Kommissaranwärter beim damaligen Bundesgrenzschutz (BGS). Ich wurde angenommen und absolvierte eine dreijährige Ausbildung an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Köln. Dieser Ausbildungsgang war erst kurz vor dem Beginn meiner Ausbildung neu installiert worden. Der BGS, als Sonderpolizei des Bundes, war vor dieser Ausbildungs- und Strukturreform eher eine paramilitärisch organisierte, kasernierte Polizeiorganisation, bei der bis zum Jahr 1979 auch militärische Dienstgrade verwendet wurden und deren Hauptaufgabe die Überwachung der innerdeutschen Grenze zur DDR war. Meine eigentliche Ausbildung fand allerdings in Lübeck statt, wo die ehemalige Offiziersschule einfach als »Fachbereich Polizei« der Fachhochschule angegliedert worden war. Was ich da lernte – also etwa das Führen von geschlossenen Einheiten in Zug-, Hundertschafts- und sogar Abteilungsstärke –, entsprach im taktischen Bereich weitestgehend einer militärischen Offiziersausbildung. Ergänzt wurde dies durch ein allerdings sehr intensives Studium des Straf- und öffentlichen Rechts.
Rückblickend kann ich sagen, dass ich dort eine äußerst fundierte und wertvolle Ausbildung erhalten habe, die mich später befähigte, auch komplexe Sachverhalte und Einsatzlagen schnell zu erfassen, wichtige Informationen von unwichtigen zu trennen und, wenn es die Lage erforderte, schnell zu Entschlüssen zu kommen und diese auch mit Hilfe kurzer Anordnungen umzusetzen.
Nach meiner Ernennung zum Polizeikommissar im BGS wurde ich erst Zugführer in einer Einsatzabteilung, dann Leiter einer Dienstgruppe an einem großen deutschen Flughafen. Jedoch ließ mich während der gesamten Zeit der Gedanke nie los, einer Spezialeinheit beitreten zu wollen.
Warum?
Ein Grund war ganz schlicht meine Sportbegeisterung. Ich ging einfach davon aus – richtigerweise, wie sich herausstellte –, dass die Zugehörigkeit zu einer Spezialeinheit mit regelmäßigem Training und körperlichem Einsatz einhergeht. Dann inspirierte mich die eher diffuse Vorstellung, bei spektakulären Einsätzen aktiv mitzuwirken und überhaupt im weitesten Sinne einer »Elite« anzugehören. Entscheidender indes war die Aussicht, als SEK-Mann Menschen in höchster Not helfen zu können. Schon seit meiner Kindheit hege ich eine fast körperliche Abneigung gegen Leute, die andere wehrlose oder ihnen unterlegene Personen drangsalieren. Wie sich im Laufe meiner Dienstzeit zeigen sollte, lag ich mit dieser Einschätzung, anderen Menschen in Ausnahmesituationen beistehen zu können, nicht völlig falsch.
Der finanzielle Aspekt indes stellte überhaupt keinen Grund dar, mich für eine solche Tätigkeit zu bewerben. Entgegen der landläufigen Vermutung ist die Zugehörigkeit zu einer Spezialeinheit finanziell alles andere als lohnend. Grundsätzlich steht einem SEK-Beamten neben seinem normalen Polizistengehalt eine finanzielle Aufwandsentschädigung von 150 € (nicht steuerfrei) im Monat zu.1 Bedenkt man, dass die für eine finanzielle Absicherung bei einem (leider gar nicht so seltenen) Unfall oder gar im Todesfall notwendige Versicherung sehr teuer ist, so bleibt von dieser Aufwandsentschädigung nicht allzu viel übrig.
Im Sommer 1988 schließlich kam der Zeitpunkt, eine Entscheidung zu treffen. Eigentlich wäre es für mich, der ich zu diesem Zeitpunkt immer noch dem BGS angehörte, folgerichtig gewesen, mich ausschließlich bei der GSG 9 zu bewerben. Aber ich hatte mich mittlerweile ein wenig mehr mit den Spezialeinheiten und deren Aufgaben befasst und wusste daher, dass die Einsatzzahlen der landespolizeilichen SEKs deutlich über denen der GSG 9 lagen. Deshalb bewarb ich mich sowohl bei der GSG 9 als auch bei einem Spezialeinsatzkommando der Polizei. Als ich deren Eignungs- und Auswahlverfahren bestand, zog ich daraufhin meine Bewerbung bei der GSG 9 zurück.
Am 1. Oktober 1988 trat ich meinen Dienst beim SEK an, durchlief im Sommer 1989 die Einführungsfortbildung und wechselte schließlich im Mai 1993 zu der SEK-Einheit, bei der ich den Großteil meiner Dienstzeit verbringen sollte und die die Grundlage für die in diesem Buch geschilderten Ereignisse darstellt.