Zwanzig Jahre lang war ich kein Standard – und so soll es weiter gehen!
Seit meinem Unfall im August 1992 hat sich viel getan in meinem Leben. In einem tollen und erfüllten Leben, trotz fehlender Beine. Ich bin viel gereist, habe viel erlebt und viel gesehen. Menschen, Länder, spannende und inspirierende Orte unserer Welt ... Und das ging, weil ich nie aufgehört habe, aus dem, was mir geschenkt wurde, das Beste zu machen.
Ich bin noch lange nicht müde, habe noch viel zu sagen. Mit den wichtigsten Menschen an meiner Seite meisterte und lebte ich die vergangenen zwanzig Jahre nach meinem Unfall bis heute. Es gab viele tolle Unterstützer, es gibt sie bis heute. Einige von ihnen schlugen andere Wege ein, sind nicht mehr aktiv dabei in meinem Leben. Ich denke an sie.
Allen voran gilt mein Dank meinem Freund Georgius Adamidis, ohne den ich heute nicht mehr am Leben wäre. Er ist für mich in vielerlei Hinsicht zu einem sehr besonderen Menschen geworden, ein Vorbild für Authentizität, Geradlinigkeit und emotionale Wärme. Immer mit einem offenen Ohr zur Stelle, wenn ich es brauche. Es scheint, als verstünden wir uns auch deshalb so gut, weil wir vieles Unausgesprochene miteinander teilen und eine Art Seelenverwandtschaft pflegen. Wir sind auch zwei Spinner, die sich gesucht und gefunden haben. Georg ist ein großer Kraftspender und Ruhepol für mich. Vielleicht sogar der große Bruder, den ich nie hatte.
Ich danke meinen Eltern, Regine und Dieter Sitzmann, die mich auch weiterhin zu jeder Zeit unterstützen und zu denen ich einen tollen Kontakt pflege. Oma und Opa sind sie heute und mächtig stolz auf Ihre Enkelin Emely und ihren Enkel Lukas (Sohn von Benjamin). Ich danke meinen Brüdern, Benjamin und Daniel, die mir immer zur Seite stehen und für mich da sind, wenn ich sie brauche. Es macht viel Spaß, mit mehr Reife gemeinsame Projekte zu gestalten und sich zu unterhalten.
Ich danke Angela Bezzenberger dafür, dass sie eine sichere Konstante in meinem Leben ist. Schon tolle zweiundzwanzig Jahre lang.
Ich danke meiner Schwester Lisa dafür, dass sie mich immer wieder mit jugendlicher Frische ansteckt und mir so die Tage versüßt.
Ich danke meinen Großeltern, Christa und Eduard Sitzmann, für ihre Unterstützung und bin glücklich, dass sie für meine Tochter noch Ur-Oma und Ur-Opa sein können.
Vor fünf Jahren verabschiedeten wir uns von Opa Helmut Karnetzky, der mich in meinem ersten Buch im Kapitel »Was wir alleine nicht schaffen – die Kraft der Familie« mit auf eine kleine und mir immer unvergessene Reise nahm. Bei jeder meiner Lesungen werde ich fröhlich an ihn und unsere gemeinsame Geschichte erinnert. Ich trage sie hinaus in die Welt und rege damit zum Schmunzeln, Lachen und Nachdenken an. Dafür bin ich ihm noch heute dankbar.
Nun ging auch unsere Oma Liselotte Karnetzky in diesem Jahr und im hohen Alter von zweiundneunzig Jahren »nach Hause«. Wir werden sie alle nie vergessen. War sie doch eine Oma, wie sie im Buche steht. Aufrecht, ehrlich, herzlich und fürsorglich für all ihre Lieben. Und kochen konnte sie! Die einzige Person übrigens, die mich jahrzehntelang »Flori« nannte und einen ganz besonderen Ton in ihrer Stimme hatte, wenn sie das rief. Meine Lilo-Omi eben. Das Geschenk des »Friedlichen Einschlafens« haben wir ihr alle gewünscht. Im Frühling hat sie es dankbar entgegengenommen. Für ihre Liebe zu mir und uns allen bin ich ihr dankbar. Den Himbeersirup, den sie uns im Kindesalter machte, wenn die Tage im Sommer besonders heiß waren, bereite ich Emely hin und wieder auch noch zu. Ein schönes Stück Erinnerung für mich an meine wunderschöne Kindheit mit ihr.
Große Männer wären nichts ohne noch größere Frauen an ihrer Seite! So kann ich voller Glück einer Frau in die Augen schauen, die mich liebt, wie ich bin, und mich unterstützt, wo sie nur kann. Eine Frau, die man auf der Stelle heiraten muss, bevor es ein anderer tut. Die man sein Leben lang festhalten soll und sie zugleich auf Händen trägt, weil sie es verdient hat. Ich danke meiner Lebensgefährtin Annika für ihre liebevolle Art, mit mir und auch mit Emely umzugehen. Sie ist eine Bereicherung für mein Leben.
Ich danke meinem Freund Max William Beyersdorf ganz herzlich dafür, dass er mich weiterhin als ein wertvoller Mensch in meinem Leben begleitet. Wer einen solchen Freund hat, muss kaum etwas fürchten in dieser Welt. Es wird noch viel kommen für uns! Packen wir es an!
Ich danke Dieter Tappert alias »Paul Panzer« für sein Vorwort in diesem Buch. Wir lernten uns 2010 in einer Talkshow im WDR kennen und sahen uns bald darauf bei einem seiner Konzerte wieder. Ein Großer seines Comedy-Fachs und auch privat ein toller Mensch, soweit ich das beurteilen darf. Danke für die Stunden mit Dir, in denen mein Bauch vor Lachen wehtat! Ich werde Dein Tun auch weiterhin verfolgen und wünsche Dir viel Glück mit Deinen Zukunftsprogrammen!
Ein herzlicher Dank geht wiederholt und von Herzen an Christine Weiner und Bernd Görner. Auch mein zweites Buch haben sie tatkräftig und mit großem Engagement unterstützt. Es war auch mir wieder ein Fest!
Ein herzlicher Dank geht auch an Sie! An alle Leserinnen und Leser meines ersten und auch dieses Buches. Vielen Dank für Ihre Zuschriften, die ich leider schon lange nicht mehr beantworten kann, weil sie einfach eine solche Vielzahl sind. Ich lese jedoch alles aufmerksam und freue mich, wenn Sie an meiner Geschichte teilhaben und sie weitertragen, hinaus ins Land. Vielleicht haben Sie nach dem Lesen dieses Buches für sich selbst neue Möglichkeiten entdeckt, Menschen mit Behinderung zu sehen und mit ihnen umzugehen. Haben Sie Mut!
Ich danke dem Herrn, dass ich lebe.
Menschen mit einer Beeinträchtigung sind in Deutschland gut versorgt. Ärzte, Krankenschwestern, Krankengymnasten, Masseure, Reha-Einrichtungen, Krankenkassen, Apotheken, die unterschiedlichsten Berater und nicht zuletzt die Forschung sorgen dafür, dass Heilung und Wiedereingliederung funktionieren und das Leben weiter gehen kann. Aber obwohl wir hier in Deutschland so gut aufgestellt sind, reicht das alles noch längst nicht aus, um wirkliche Gleichbehandlung und Inklusion zu erreichen. Inklusion beginnt für mich an dem Punkt, an dem du in der Öffentlichkeit nicht mehr als Zirkusfigur bestaunt wirst, bloß weil dir zwei Beine fehlen oder du irgendeinen anderen körperlichen »Makel« hast.
Nur wenn viele wissen, wie es ist, und die Scheu verlieren, kann sich etwas ändern und wirkliche Begegnung stattfinden. Kinder machen uns das vor, indem sie einfach fragen: »Wie is ’n das so?« Wären Sie ein Kind, würde ich Ihnen jetzt antworten: »Es ist nicht schlecht – es ist aber auch noch nicht so gut, wie es sein könnte.« Will heißen: Deutschland ist, vergleicht man es mit armen Ländern, ein gelobtes Land für Menschen mit Handicap. Vergleicht man es dagegen mit dem, was es sein könnte, fallen kleine Macken und große Mängel auf. Damit dies besser wird, sind alle Menschen gefragt, denn jene, die einen Unfall oder eine Krankheit erleiden, sind erst einmal auf die Hilfe von anderen angewiesen. Wir brauchen die Wahrnehmung und das Denken aller, damit wirkliche Barrierefreiheit und eben Inklusion erreicht werden können.
Ohne Beine aufzuwachen ist erst einmal ein Schock, egal wie schnell, gut oder schlecht man diesen anschließend verarbeitet. In einem Schockzustand kann man nicht planen und regeln, denn man hat mit Gefühlen und Ängsten zu kämpfen. Außerdem ist man meist erst einmal bewegungsunfähig – im wahrsten Sinne des Wortes. Das bedeutet auch, dass man nicht wie wild recherchieren oder sich umfassend erkundigen kann, welche Möglichkeiten es gibt, damit das Leben zwar verändert, aber doch gut weitergehen kann. Nicht selten brauchen sogar noch die Angehörigen die Hilfe des eigentlich Betroffenen, nach dem Motto: »Macht euch mal keine Sorgen um mich, ich schaffe das schon!«
Ich persönlich hatte das im Gefühl, dass ich es schaffe, aber beim Wie, bei dem Markt der Möglichkeiten benötigte ich die Navigation von Spezialisten – und das sind für mich Menschen, die sich mit Schockzuständen, Behinderungen, Rehabilitation und Hilfe bei der Gesundung auskennen.
Eine der vielen Definitionen, die ich zum Begriff der Behinderung kenne, lautet: Unter Behinderung versteht man landläufig eine dauerhafte körperliche oder psychische Beeinträchtigung, die die gesellschaftliche und wirtschaftliche Teilhabe einer Person beeinträchtigt. Verursacht wird dies durch das Zusammenspiel ungünstiger Umweltfaktoren (Barrieren) und Eigenschaften der behinderten Person, die die Überwindung der Barrieren erschweren oder unmöglich machen.
Bei der Definition von Behinderung unterscheidet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) drei Begrifflichkeiten:
Aufgrund einer Erkrankung, angeborenen Schädigung oder eines Unfalls als Ursache entsteht ein dauerhafter gesundheitlicher Schaden – impairment. Der Schaden führt zu einer funktionalen Beeinträchtigung der Fähigkeiten und Aktivitäten des Betroffenen – disability. Die soziale Beeinträchtigung ist Folge des Schadens und äußert sich in persönlichen, familiären und gesellschaftlichen Konsequenzen – handicap.
Behindernd wirken in der Umwelt von behinderten Menschen sowohl Alltagsgegenstände und Einrichtungen (physikalische Faktoren) als auch die Einstellung anderer Menschen (soziale Faktoren).
In einer Tageszeitung las ich, dass rund 6,6 Millionen Deutsche amtlich als schwerbehindert anerkannt sind. Bei vier von fünf ist dabei eine Krankheit Grund ihrer Behinderung. Insgesamt gelten rund zehn Prozent der Deutschen als behindert. Das zeigt, dass wir Menschen mit Beeinträchtigung keine Randgruppe sind. Wir sind sogar ein Markt, was viele, aber doch noch zu wenige Unternehmer längst erkannt haben.
Jeder Mensch, der in eine Extremsituation kommt, braucht andere, die ihn auffangen und ihm zeigen, was er trotz seiner neuen (scheinbaren) Immobilität alles anfangen kann. Menschen, die mitdenken und die sich für das Thema interessieren, nachdem man die Räume der Reha-Klinik hinter sich gelassen hat. In der oben erwähnten Definition lese ich dies ganz besonders im ersten Abschnitt. Das Zusammenspiel Behinderung – Unfall – Leben und damit auch Austausch beginnt für mich bereits in den ersten Stunden.
Ich hatte großes Glück. Familie, Freunde und Ärzte unterstützten mich in vollem Maße. Mit Georg Adamidis, dem Arzt, der mir 1992 das Leben rettete, bin ich bis heute eng befreundet. Einsam wurde ich erst, als ich in die Reha kam, also an dem Ort, der mich in meiner neuen Situation auffangen und wieder mobil machen sollte. Für die Leser, die mein erstes Buch nicht kennen, möchte ich auf diese Situation noch einmal eingehen und damit gleich die erste Anregung geben, die für mich Inklusion und Gleichheit erleichtern würde:
Holt die Reha-Kliniken aus dem Wald und packt sie dorthin, wo das Leben pulsiert!
Waren Sie schon mal in einer Reha-Klinik, als Patient oder als Besucher? Viele Reha-Kliniken sind für mich ein Ort des Grauens. Man hängt aufeinander, die Rollstühle stehen in den Gängen herum und man will dem gern mal für eine Weile entfliehen. Leider kann es passieren, dass man sich dabei noch mehr Blessuren zuzieht, denn diese Kliniken liegen bevorzugt im Wald oder auf Hügeln, und das heißt, dass man auf seiner Flucht unter Umständen mit Seifenkistengeschwindigkeit dem Tal entgegenrast. Und was den Rückweg angeht, da lasse ich Sie gern mal in meinem Rollstuhl Platz nehmen und Sie zu meiner Reha-Klinik hoch-rudern. Um das zu schaffen, bräuchte man Arme wie Popeye. Die Menschen, die nach einem Unfall oder einer schweren Krankheit dort landen, haben die aber für gewöhnlich noch nicht. Im Gegenteil! Die Patienten, die ich traf und zu denen ich selbst gehörte, hatten alle Schlimmes erlebt. Ein Zustand, in dem man Aufmunterung, Motivation und Anregung braucht – und Zeit, um sich an das Leben mit Nicht-Behinderten wieder zu gewöhnen. Das ist schwer möglich, wenn man tagein, tagaus nur zusammen mit Behinderten und Pflegepersonal die Zeit in einer Klinik absitzt und niemals unter Leute in einer ganz normalen Fußgängerzone kommt. Jeder ist obendrein mit seinem eigenen Leid und dessen Verarbeitung beschäftigt. Es kann durchaus hilfreich sein, sich mit anderen Menschen, die Ähnliches erlebt haben, auszutauschen, denn du kannst von den anderen Menschen lernen – zum Beispiel wie sie ihr Handicap in den Griff bekommen haben. Gemeinsam bekommt man den Hintern leichter hoch und gegenseitiges Mitleid kann manchmal Schmerzen lindern wie Opium. Was dich aber vor allem fit für das Leben macht, ist die Begegnung mit Menschen aus der »unversehrten« Welt. Die von sich erzählen und ein Stück altbekannten Alltag in die Reha-Klinik bringen. Je häufiger, desto besser.
Besuche sind aber ganz besonders bei diesen Kliniken oft mit einem immensen touristischen Aufwand verbunden, denn Reha-Kliniken liegen in der Regel etwas »ab vom Schuss«. Mal eben »Hallo« sagen, kannst du vergessen.
Um wieder auf die – vorhandenen oder nicht vorhandenen – Beine zu kommen, braucht es Begleitung und Menschen, die sich, während man selbst noch im Schock rumliegt, um verschiedene Sachen kümmern. Darauf stützt sich die Nachversorgung, die man auch als Patientenentlassungsnachsorgekonzept beschreiben könnte. Wer entlassen wird, weiß, ich kann jetzt hierhin oder dorthin gehen, und dort werde ich dann versorgt – mit einem Rollstuhl, einem Badewannenlift oder was auch immer benötigt wird. Dass es einen Anbietermarkt gibt, bedeutet aber nicht, dass alle, die in diesem Bereich arbeiten, etwas von der Sache verstehen oder sich die Mühe machen, sich einmal umzublicken. Vieles, was ich erlebt habe, empfand ich als dilettantisch. Als ich zum Beispiel meinen ersten Rollstuhl bekam, saß ich darauf wie auf einer Parkbank. Neben mir hätte prima noch jemand Platz nehmen können. Wenn Sie als Fußgänger in ein Schuhgeschäft gehen, dann möchten Sie doch auch kein Paar Schuhe kaufen, das drei Nummern zu groß ist, oder? Und wenn Ihnen dann die Verkäuferin trotz Ihrer Einwände das zu große Paar Schuhe andrehen will, dann kaufen Sie es nicht, sondern verlassen vielleicht sogar den Laden. Menschen, die erst seit Kurzem eine Behinderung haben, wissen aber noch gar nicht, wie sich ein Rollstuhl passgenau unter dem Hintern anfühlt. Sie denken erst einmal, das müsse so sein, weil der Experte es ja sagt. Und wenn schließlich die Krankenkassen den Handel aktivieren, weil sie den Kaufpreis von 3000 Euro für einen Rollstuhl drücken wollen – wer macht es mir billiger? –, dann beginnt der Reha-Fachhandel zu tanzen und zu argumentieren. Am Schluss kann es sein, dass der Rollstuhl 50 Euro günstiger ist, aber eben nicht passend. Und dann hat man den Salat.
Ich verstehe, dass auch Krankenkassen sparen müssen. In vielen Fällen passiert dies meiner Meinung nach aber leider an der falschen Stelle. Die fachliche Beratung im Vorfeld ist das Salz in der Suppe.
Ähnlich verhält sich die berufliche Rehabilitation. Hier muss sich ebenfalls noch einiges tun. Als ich mich 1996 im Alter von 20 Jahren wieder auf den Markt bewegte, da wurde ich ein zweites Mal behindert.
Mit 15 und mit Beinen wollte ich Schreiner werden, mit 16 ohne Beine war das vorbei. Was aber wird man ohne Beine? Irgendwas im Büro? Eine Schlüsselszene für mich war damals ein Besuch beim Arbeitsamt. Ich sollte dort einen Eignungstest machen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich mir in den Kopf gesetzt, dass ich, wenn schon nicht Schreiner, Bauzeichner werden wollte. Mit diesem Plan kam ich zuversichtlich zu meinem Termin und machte den Test, um meine Entscheidung zu untermauern.
Das Resultat erzeugte in mir eine Mischung aus Ratlosigkeit und Verblüffung, denn es kam etwas völlig anderes heraus als das, was ich erwartet hatte. Mit einem Bürojob, der offenbar allen Rollstuhlfahrern angeboten wird, lag ich zwar schon mal richtig, aber: »Bloß nix mit Zeichnen!«, erklärte mir mein Berater, da mein räumliches Denken dafür zu gering ausgebildet sei. Na, herzlichen Glückwunsch – wir haben einen Gewinner im Vorurteilskontest!
In § 33 SGB IX werden die Leistungen der beruflichen Rehabilitation, die nun Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben heißen, genannt. Zu ihnen gehören insbesondere:
Hilfen
Diese Maßnahmen werden gewährt, um die Erwerbsfähigkeit behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, (wieder-)herzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern.
So etwa kann man die Unterstützung nachlesen. Den Menschen, die behindert sind und die beraten werden, sollen Möglichkeiten eröffnet werden, die an ihre Behinderung angepasst sind. Möglichkeiten zu eröffnen, das bedeutet aber wohl kaum zu verbalisieren, was jemand nicht kann!
Unten behindert, oben behindert – dachte ich damals. Was nun? Ich weiß noch, wie mies ich mich fühlte. Was sollte ich denn mit dieser unqualifizierten Aussage anfangen? Heim rollen und heulen? Ich dachte in diesem Moment schon an die anderen Menschen, die nicht eine solche mentale Kraft in sich tragen, wie ich sie immer spüren durfte. Ich selbst erlebe mich als einen Menschen, der seinen Weg geht, obwohl er keine Beine hat, und der sich nicht von einem rücksichts- und obendrein ahnungslosen Schreibtischkasper abhalten lässt. Jemand, der eigentlich darauf geschult und getrimmt sein soll, konstruktiv anzuleiten und gemeinsam mit dem Kunden herauszuarbeiten, dass, wenn das Eine nicht geht, es doch noch andere Optionen gibt. Wie verlassen Menschen dieses Amt, dachte ich mir damals, die nicht so selbstbewusst sind wie ich? Menschen, die gerade frisch auf einem Rollstuhl rollen, der breit ist wie eine Parkbank. Menschen, die jemanden an ihrer Seite brauchen, der ihnen dabei hilft, sich im Leben und im Beruf zurechtzufinden.
Ich spürte damals eine Riesenwut. Mir wurde klar, dass man aufpassen muss, von wem man sich beraten lässt, wenn man keine Beine oder ein anderes Handicap hat.
Gute Beratung erkenne ich unter anderem, wenn mein Gegenüber:
Um das zu beurteilen, braucht man ein gesundes Selbstbewusstsein und Selbsterfahrung. Ich wusste bald, dass ich nicht alles glauben darf, was man mir erzählt, mag mein Gegenüber noch so kompetent wirken. Mir wurde klar, dass ich wach sein und die Dinge immer wieder reflektieren und auf meine Bedürfnisse hin überprüfen muss.
Ich habe Menschen getroffen, die nach solch einer Beratung kurz davor standen, aus dem Fenster zu springen. Menschen, die sich auf einmal völlig lebensunfähig fühlten und dachten, sie könnten rein gar nichts mehr mit sich anfangen. Nicht mehr laufen, nicht mehr arbeiten, nicht mehr leben, nichts.
Meiner Meinung nach sollten Behinderte bei ihrer Berufswahl grundsätzlich von Menschen mit Handicap beraten werden, weil die genau wissen, wie es sich anfühlt, wenn man an seinem eigenen Nutzen und Können zweifelt, weil der Körper nicht der Norm entspricht. Solche Menschen können sich vorstellen, was es in einem auslöst, wenn man durch den Besuch beim Arbeitsamt registriert, dass es schön wäre, wenigstens eine Null zu sein, da man doch in Wirklichkeit eine -1 oder -2 ist. Das muss man selbst erlebt haben, um solche Beratungssituationen richtig einschätzen zu können. Wer hier aus eigener Erfahrung schöpfen kann, wird in der Lage sein, die Beratungsform entsprechend anzupassen.
Am meisten aufgebaut haben mich damals die Menschen, die mich akzeptiert haben, so wie ich jetzt bin. Die meine Behinderung ausblendeten oder in einer versachlichten Weise damit umgingen. Etwa als hätte ich nichts weiter als eine andere PS-Zahl oder eine andere Karosserie, wäre aber immer noch ein Auto, das eine Versicherung braucht. Auto bleibt Auto, Versicherung bleibt Versicherung. Bei keinem Abschluss werden Sie mit dem Makler darüber sprechen, wie es sich anfühlt, mit so wenig PS zu fahren, oder wie es sich sitzt, und Sie werden auch keine mitleidigen Blicke ernten, weil der Makler Sie dafür bedauert, dass sie eine Marke fahren, die er niemals wollte. Nein, Sie werden bedient, also unterstützt und auf Bedingungen und Vorteile aufmerksam gemacht.
Es gab sehr viele, die sich nur für diesen Typ Florian Sitzmann interessierten und nicht dafür, dass er jetzt ein Rollstuhlfahrer ist. Die haben sich ganz normal mit mir unterhalten und nicht alle drei Minuten gefragt, ob sie mir irgendwas helfen sollen. Denen konnte ich einfach signalisieren: »Pass auf, wenn ich irgendwas brauche, dann sage ich dir Bescheid, und ansonsten kannst du mich behandeln wie deine anderen Kollegen auch.« Dankeee!
Und weil es um das Bescheid sagen geht und ich einer von vielen bin, einer in der 10-Prozent-Schublade, melde ich mich zu Wort. Ich fahre durch Deutschland, ich besuche Menschen, Ämter, Konzerte, Feste, Weihnachtsmärkte, und ich horche auf, wenn mich etwas erstaunt oder mir nicht gefällt. Nicht für mich, denn ich habe gelernt, Umwege in Kauf zu nehmen oder Schwellen zu ignorieren. Aber was ist mit den anderen? Denen, die sich gerne wie ich frei bewegen möchten und denen es an Selbstbewusstsein oder an Kraft fehlt?
2005 gab es eine Fachkonferenz Selbstbewusstsein von Mädchen und Frauen mit Behinderung (§44 SGB IX): Erfahrungen – Erkenntnisse – Visionen im Rahmen der Rehacare in Düsseldorf. Auch dieser Aspekt ist im Gesetzbuch zu finden (§33 Abs. 6 SGB IX).
Dazu gehören insbesondere:
Natürlich müssen Menschen dazu ermutigt und angeleitet werden, all das in Anspruch zu nehmen, was ihnen in dieser Situation gut tut und für ihre Rehabilitation wichtig ist. Zum Beispiel den Rollstuhl so oft zu reklamieren, bis er wirklich zu den eigenen Bedürfnissen passt, und das nicht als Opfer, sondern als selbstbewusster Kunde.
Selbstbewusstsein wird durch andere Menschen und Vorbilder gefördert. Das gilt für Frauen wie für Männer. Vielleicht sind Frauen hier ein Stückchen weiter, weil sie sich 2005 schon Gedanken dazu gemacht haben. Es braucht Therapien und Kurse, in denen Männer und Frauen bei der Stärkung des Selbstbewusstseins geholfen wird.
Erfolgreich einen gewünschten Ausbildungsplatz zu bekommen, sei das eine, erklärte Dr. Brigitte Sellach von der Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Frauen- und Genderforschung e.V. (GSF e.V.) damals auf dem Düsseldorfer Forum. Notwendig seien aber auch der Druck der Interessenverbände und die Unterstützung in der Praxis, um Schule, Berufsberatung und Therapie entsprechend umzugestalten.
Diese Ziele können nur durch Austausch und Information erreicht werden. Und durch Veranstaltungen dieser Art. Auch Männer brauchen Selbstbewusstsein – ich warte auf das Forum, das da (hoffentlich) kommt.