Quintessenz* und Prävention
Über den Tellerrand hinaus
Resveratrol & Rotwein-Medizin
Von Dr. med. Jan-Dirk Fauteck, Imre Kusztrich
Band 26 der Präventions-Buchreihe
Quintessenz (von lateinisch quinta essentia, „das fünfte Seiende“) ist im übertragenen Sinne das Wesentliche, das Hauptsächliche, das Wichtigste. Ursprünglich wurde die quinta essentia von dem griechischen Philosophen und Naturforscher Aristoteles in Form des Äthers den vier Elementen hinzugerechnet.
ISBN: 9783955777296
Das Hauptthema der Sendung „60 Minutes“ des amerikanischen Fernsehsenders CBS im November 1991 klang verlockend in den Ohren der 33,7 Millionen Zuseher, denn sein zündender Titel lautete: „Trink’ wie die Franzosen, stirb’ wie die Franzosen (Drink Like The French, Die Like The French)“. Der Reporter Morley Safer und der französische Internist Dr. Serge Renaud von der Universität Bordeaux setzten eine These in die Welt, die als „Französisches Paradoxon“ in die Medizingeschichte einging.
Heute ist diese Episode das vielleicht verblüffendste Beispiel dafür, wie dramatisch Wissenschaftler sich irren oder verrennen oder aus niederen Gründen in eine falsche These verlieben können – und wie rasch sich Medien, Öffentlichkeit und sogar Gesundheitsbehörden mit Hilfe von Daten, die Nichts mit der Realität zu tun haben, manipulieren lassen.
Doch abgesehen von der Falschaussage verdankt die alarmierte Anti-Aging-Medizin der Diskussion um das Französische Paradoxon eine der wichtigsten und wertvollsten Entdeckungen: Resveratrol, eine Substanz, die in sehr vielen Pflanzen vorkommt, die pflanzliches Gewebe vor vielfältigen Schäden bewahrt und auch im menschlichen Körper nach Verzehr wahrhaft sensationelle Effekte wunschgemäß erzielen kann.
Der Reihe nach.
Die elektrisierende Aussage in der TV-Sendung „60 Minutes“ besagte: „Wenn Sie ein amerikanischer Mann im mittleren Alter sind, haben Sie das dreifach größere Risiko, an einer Herzattacke zu sterben, als ein männlicher Franzose im gleichen Alter. Offensichtlich machen die Etwas richtig, was Amerikaner nicht machen. Jetzt ist nicht weniger als völlig bewiesen: Alkohol, besonders roter Wein, reduziert das Herzrisiko.“
Tatsächlich war die Botschaft damals fesselnd: Im Süden Frankreichs sind fatale Herzinfarkte auffallend selten. In der Altersspanne zwischen 35 und 74 Jahren wurden 1991 je 100.000 Einwohner in den USA 118 Fälle von Herztod registriert, aber nur 83 in Frankreich. Dr. Serge Renaud hatte seit 1978 in der französischen Stadt Nancy 36.000 Männer, ihren Alkoholkonsum und ihre Herzprobleme unter die Lupe genommen. Jetzt präsentierte er seine Erklärung für offensichtlich beruhigende Erkenntnisse: Es ist der Rotwein!
Dabei verzehrte der Durchschnittsfranzose viermal mehr Butter, 60 Prozent mehr Käse als ein Amerikaner, sowie das Dreifache an Schweinefleisch.
Fernsehmoderator Morley Safer erhielt einen Ehren-Kommunikationspreis eines weltberühmten französischen Alkohol-Konzerns, und die amerikanische Wein-Lobby setzte in Washington durch, dass auf den Etiketten der Weinflaschen ein vielsagender Hinweis stehen durfte. „Lesen Sie in den Veröffentlichungen der Gesundheitsbehörden über die Gesundheitseffekte des Alkoholkonsums“ – wenngleich in den empfohlenen Quellen im Wesentlichen nur die Warnung vor Exzessen zu lesen war.
Alles oder zumindest fast Alles ein schrecklicher, Besorgnis erregender und peinlicher Irrtum!
Kein Zahlenvergleich entsprach wissenschaftlich-seriösen Richtlinien. Einige Beispiele:
Französische Behörden sammeln und bewerten Sterbedaten unter völlig anderen Gesichtspunkten als jene in den USA, so dass die nackten Zahlen in Bezug auf plötzlichen Herztod nicht miteinander verglichen werden können.
Die amerikanische Ernährung enthielt bereits lange vor 1991 hohe Anteile von industriell gehärteten Fetten, Trans Fat, so dass nur in Bezug auf die verzehrte Fettmenge pro Kopf und Tag in Gramm Franzosen stärker gefährdet schienen, in Wahrheit aber wertvollere Cholesterine aus tierischen Quellen zu sich nahmen.
Die französische Küche ist dank des Einflusses der Mittelmeer-Diät reich an Vitamin K2, auch Menaquinon genannt – sein Mangel erhöht die Wahrscheinlichkeit von verhärteten Gefäßen mit ungewollten Ablagerungen erheblich. Hundert Gramm Gänseleber enthalten 369 Mikrogramm Vitamin K2, 100 Gramm Kalbsleber aus der amerikanischen Barbecue-Tradition nur sechs Gramm.
Heute ist erwiesen, dass schon 20, 30 Jahre vor der Fernsehsendung der seinerzeitige Fettgehalt der täglichen Kost sowohl in den USA wie in Frankreich den Ausschlag gab, angesichts der großen Zeitspanne zwischen der Aufnahme von ungesunder Nahrung und dem Auftreten chronischer Krankheiten. Die Todeszahlen Anfang der 90er-Jahre entsprachen genau diesen Qualitätsunterschieden Jahrzehnte davor.
Es gibt keinen Zweifel: Kurzkettige pflanzliche Fettsäuren, ein hoher Fischverzehr, kleinere Portionen, ruhigere Essenszeiten mit kleinen Pausen zwischen den Gängen, ein deutlich geringerer Zuckerkonsum, weniger Zwischendurch-Knabbereien und ein gesundes Misstrauen gegenüber Fertiggerichten – diese Faktoren sind alle eher geeignet, Unterschiede in der Herztodesstatistik zu Gunsten der französischen Männer zu erklären.
Frankreich zog damals innerhalb von zwei Jahren, 1993, schnell die Lehren aus der Gefahr, die falsche Botschaften von Gesundheit aus überreichlichem Weingenuss darstellen können: Angesichts von fast 43.000 Alkoholtoten jährlich wird die Gefahr der Abhängigkeit von Alkohol auf gleicher Stufe mit Heroin und Kokain inzwischen weit höher als durch Tabak, Amphetamine und Marijuana eingestuft. Da berühmteste Weinland der Welt hat heute die schärfsten Werbeverbote für Alkohol in Zeitschriften, mit Vollverbot im Fernsehen seit 1993, und verbietet das Sponsoring von Sportereignissen durch Alkoholhersteller. Der Alkoholkonsum sinkt pro Jahr um ein Prozent, und die Lebenserwartung steigt…
Britischer Humor spiegelt am Besten die berechtigt-kritische Einstellung gegenüber maßlosen Alkoholkonsum wider: Im Dezember 2013 stellten im „British Medical Journal” drei Wissenschaftler die Frage, ob der Agent James Bond mit der Lizenz 007 zum Töten seinen Martini geschüttelt trinkt, weil er einen Alkoholtremor hat. Die Analyse der 14 Originalromane von Ian Fleming ergab einen immensen Alkoholkonsum, der die beschriebenen physikalischen, mentalen und sexuellen Fähigkeiten James Bonds schlicht als unmöglich erscheinen lässt. Der Rekord: In „Liebesgrüße aus Moskau“ konsumiert der britische Superagent an einem einzigen Tag 16 alkoholische Getränke mit insgesamt 49,6 Einheiten Alkohol im wissenschaftlichen Sinne.