F Ü R  I M M E R  U N D  E W I G

 

(DIE PENSION IN SUNSET HARBOR—BUCH 2)

 

 

 

S O P H I E  L O V E

Sophie Love

 

Sophie Love ist seit jeher ein Fan von Liebesromanen, weshalb sie sich sehr freut, ihre erste Reihe an Liebesbüchern: FÜR JETZT UND FÜR IMMER (DIE PENSION IN SUNSET HARBOR – BUCH 1) zu veröffentlichen.

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BÜCHER VON SOPHIE LOVE

 

DIE PENSION IN SUNSET HARBOR

FÜR JETZT UND FÜR IMMER (Buch #1)

FÜR IMMER UND EWIG (Buch #2)

FÜR IMMER MIT DIR (Buch #3)

INHALT

 

KAPITEL EINS

KAPITEL ZWEI

KAPITEL DREI

KAPITEL VIER

KAPITEL FÜNF

KAPITEL SECHS

KAPITEL SIEBEN

KAPITEL ACHT

KAPITEL NEUN

KAPITEL ZEHN

KAPITEL ELF

KAPITEL ZWÖLF

KAPITEL DREIZEHN

KAPITEL VIERZEHN

KAPITEL FÜNFZEHN

KAPITEL SECHZEHN

KAPITEL SIEBZEHN

KAPITEL ACHTZEHN

KAPITEL NEUNZEHN

KAPITEL ZWANZIG

KAPITEL EINUNDZWANZIG

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG

KAPITEL DREIUNDZWANZIG

KAPITEL VIERUNDZWANZIG

KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG

KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG

KAPITEL ACHTUNDZWANZIG

KAPITEL NEUNUNDZWANZIG

KAPITEL DREISSIG

 

 

KAPITEL EINS

 

„Guten Morgen.“

Emily rührte sich und öffnete die Augen. Der Anblick vor ihr war das schönste, was sie sich vorstellen konnte: Daniel lag inmitten der weißen Bettlaken und die Morgensonne zeichnete einen Heiligenschein um sein zerzaustes Haar. Sie holte tief und zufrieden Luft und fragte sich, wie ihr Leben so perfekt geworden war. Nach so vielen Jahren voller Probleme fühlte es sich so an, als ob ihr das Schicksal endlich eine Pause gönnen würde.

„Guten Morgen.“ Sie erwiderte sein Lächeln, dann musste sie gähnen.

Sie kuschelte sich zurück unter die Decke, wobei ihr so gemütlich war und sie sich so warm und entspannt fühlte wie noch nie zuvor. Die stille Ruhe eines Morgens in Sunset Harbor stellte solch einen starken Kontrast zu dem geschäftigen Treiben ihres alten Lebens in New York City dar. Daran könnte sich Emily gewöhnen – an das Geräusch der sich brechenden Wellen in der Ferne, den Geruch des Meeres und an den wunderbaren Mann, der neben ihr im Bett lag.

Sie stand auf und ging zu den großen französischen Türen, die auf einen Balkon hinausführten, welche sie öffnete, damit sie den warmen Sonnenschein auf ihrer Haut spüren konnte. Das Meer glitzerte in der Ferne und Sonnenstrahlen erleuchteten das große Schlafzimmer hinter ihr. Als Emily vor sechs Monaten angekommen war, war es noch eine staubige Ruine gewesen. Nun jedoch war es mit seinen weißen Wänden und der hellen Bettwäsche, dem weichen Teppich, dem wunderschönen Himmelbett und den sorgsam restaurierten Antiquitäten auf den Nachtischschränkchen ein wunderbarer Hafen der Ruhe. Während die Sonne so auf ihr Gesicht schien, hatte Emily zum ersten Mal das Gefühl, dass alles perfekt wäre.

„Bist du bereit für deinen großen Tag?“, fragte Daniel vom Bett aus.

Emily zog die Augenbrauen zusammen, ihre Gedanken waren vom Schlaf immer noch zu benebelt, um zu verstehen, was er meinte.

„Mein großer Tag?“

Daniel grinste.

„Dein erster Kunde. Erinnerst du dich nicht mehr?“

Emily brauchte einen Moment, um ihre Gedanken zu ordnen. Doch dann erinnerte sie sich daran, dass ihr erster Gast, Mr. Kapowski, im Zimmer am Ende des Korridors schlief. Das Haus, das sie seit sechs Monaten renovierte, war von einem Familienheim in ein Unternehmen umgewandelt worden, was bedeutete, dass sie Frühstück richten musste.

„Wie spät ist es?“, wollte sie wissen.

„Acht“, antwortete Daniel.

Emily versteifte sich.

„Acht?“

„Ja.“

„Oh Nein! Ich habe verschlafen!“, schrie Emily und rannte wieder vom Balkon in das Schlafzimmer. Sie schnappte sich den Wecker und schüttelte ihn wütend. „Du hättest mich um sechs Uhr aufwecken sollen, du dummes Ding!“

Sie stellte ihn kraftvoll auf das Nachttischschränkchen zurück, dann stürmte sie zu der Kommode, um sich Kleidung zu holen, wobei sie Oberteile und Hosen im ganzen Raum verteilte. Nichts davon sah professionell genug aus. Sie hatte ihre gesamte Bürokleidung aus ihrem alten Leben in New York weggeworfen, und jetzt besaß sie nur noch praktische Kleidungsstücke.

„Beruhige dich“, gluckste Daniel im Bett. „Es ist alles in Ordnung.“

„Wie sollte es bitte alles in Ordnung sein?“, schrie Emily, während sie mit einem Bein in der Hose herumhüpfte. „Frühstück gibt es ab sieben Uhr!“

„Und es dauert nur fünf Minuten, ein Ei zu pochieren“, entgegnete Daniel.

Emily verharrte auf der Stelle, halb angezogen und mit einem Gesichtsausdruck, als ob sie ein Gespenst gesehen hätte. „Glaubst du, er möchte ein pochiertes Ei? Ich habe keine Ahnung, wie man ein Ei pochiert!“

Anstatt sie zu beruhigen, versetzten Daniels Worte sie nur noch mehr in Panik. Sie zog einen zerknitterten, fliederfarbenen Pullover aus der Kommode und über ihren Kopf, wobei sich ihre Haare statisch aufluden und in alle Richtungen abstanden.

„Wo ist mein Mascara?“, schrie Emily, während sie im Zimmer umherrannte. „Und hör endlich auf, mich auszulachen!“, fügte sie mit einem finsteren Blick in Daniels Richtung hinzu. „Das ist nicht witzig. Ich habe einen Gast. Einen zahlenden Gast! Und keine anderen Schuhe als Sneakers. Warum habe nur all meine High Heels weggeworfen?“

Daniel konnte sein Lachen nicht mehr länger unterdrücken.

„Ich lache dich nicht aus“, brachte er schließlich hervor. „Ich lache, weil ich glücklich bin. Weil es mich glücklich macht, mit dir zusammen zu sein.“

Emily hielt inne, denn seine Worte zogen an ihrem Herzen. Sie schaute zu ihm hinüber, wo er träge wie ein Gott in ihrem Bett lag. Doch sein Gesichtsausdruck machte es ihr unmöglich, lange auf ihn sauer zu sein.

Daniel wandte den Blick ab. Obwohl Emily mittlerweile daran gewohnt war, dass sich Daniel verschloss, wenn es um seine Gefühle ging, störte es sie immer noch. Ihre eigenen Gefühle waren so offensichtlich, als ob sie transparent wären. Emily zweifelte nicht daran, dass sie ihr Herz auf der Zunge trug.

Aber manchmal wusste sie nicht so genau, woran sie bei ihm war. Sie konnte sich bei ihm nie sicher sein, was sie fast schon schmerzhaft an ihre vorherigen Beziehungen erinnerte, an die Unsicherheit, die sie damals empfunden hatte, als ob sie auf dem Deck eines schaukelnden Schiffes auf hoher See stünde und sich niemals an die Wellen gewöhnen würde. Sie wollte nicht, dass sich die Geschichte mit Daniel wiederholte. Sie wollte, dass es mit ihm anders war. Aber die Erfahrung hatte ihr gelehrt, dass man im Leben nur selten das bekam, was man wollte.

Sie drehte sich, nun ganz still, wieder zu ihrer Kommode und steckte sich zwei silberne Ohrringe an.

„Das muss reichen“, sagte sie, wobei ihr Blick von Daniels Spiegelbild zu ihrem eigenen zuckte. Jetzt sah sie nicht mehr wie ein in Panik geratenes Mädchen, sondern vielmehr wie eine zielstrebige Geschäftsfrau aus.

Entschlossenen Schrittes trat Emily zur Tür hinaus und stellte fest, dass alles still war. Der Flur im oberen Stockwerk war einfach atemberaubend, die schönen Wandleuchten und der tolle Kronleuchter fingen das Morgenlicht ein, brachen die Strahlen und verteilten sie im gesamten Flur. Der Dielenboden war zur Perfektion poliert worden und verlieh dem ganzen einen rustikalen und doch glamourösen Touch.

Emily schaute den Flur entlang zu dem Zimmer, das einmal ihr und Charlotte gehört hatte. Es zu renovieren war ihr am schwersten gefallen, weil sie das Gefühl gehabt hatte, die Erinnerung an ihre Schwester auszulöschen. Aber all die Dinge, die Charlotte gehört hatten, hatte sie an einem besonderen Platz auf dem Dachboden verstaut, und Emilys Freundin Serena, eine Künstlerin aus der Umgebung, hatte aus den Kleidern ihrer Schwester ein einzigartiges Kunstwerk geschaffen. Trotzdem war ihr nicht ganz wohl bei dem Gedanken, dass jetzt ein Fremder auf der anderen Seite der Tür schlief, ein Fremder, dem sie jetzt das Frühstück zubereiten musste. Bei all ihren Träumereien, das Haus in eine Pension umzuwandeln, hatte sie sich nie vorgestellt, wie es eigentlich sein, ausschauen oder sich anfühlen würde. Plötzlich kam sie sich schrecklich unvorbereitet vor, wie ein Kind, das vorgab, erwachsen zu sein.

So leise wie möglich schlich Emily den Flur entlang zur Treppe. Der neue, cremefarbene Teppich fühlte sich unter ihren Füßen himmlisch an und sie kam nicht umhin, ihn mit bewunderndem Blick zu betrachten. Die Umwandlung des Hauses war ein echtes Wunder. Es gab zwar immer noch Arbeit – das zweite Obergeschoss war noch ein komplettes Chaos, dort hatte sie noch keinen einzigen Raum betreten, ganz zu schweigen von den Außengebäuden, in denen es einen vernachlässigten Pool und eine Unmenge an Kartons gab, die durchgeschaut werden mussten. Aber sie war immer noch begeistert, was sie bisher mit ein wenig Hilfe der freundlichen Einwohner Sunset Harbors geschafft hatte. Das Haus fühlte sich jetzt viel freundlicher an, auch wenn es immer noch Geheimnisse in sich barg. Insbesondere ein bestimmter Schlüssel war ihr ein Rätsel. So sehr sie sich auch bemühte, sie konnte das entsprechende Schloss nicht finden. Sie hatte alle Schubladen des Schreibtisches und alle Schranktüren überprüft, doch bis jetzt war sie noch nicht fündig geworden.

Emily ging die lange Treppe hinunter, dessen poliertes Geländer nun glänzte. Der weiche Teppich sah prächtig aus und die Messingstäbe, die ihn an die Stufen drückten, passten perfekt zu dem Farbschema. Doch als sie den Boden betrachtete, fiel ihr ein Fleck auf dem Teppich auf – ein schmieriger, schlammiger Fußabdruck, der eindeutig von einem Männerstiefel stammte.

Emily hielt auf der untersten Stufe inne. Daniel sollte vorsichtiger sein, wenn er herumstapfte, dachte sie.

Doch dann erkannte sie, dass der Fußabdruck in die andere Richtung, nämlich zur Eingangstür, zeigte, was bedeutete, dass jemand hinuntergegangen sein musste. Aber wenn Daniel noch im Bett lag, dann konnte der Fußabdruck nur von ihrem Gast, Mr. Kapowski, stammen.

Emily rannte zur Eingangstür und riss sie auf. Gerade erst am Tag zuvor war Mr. Kapowski mit seinem Kombi die neue Einfahrt hinaufgefahren und hatte hier geparkt. Doch jetzt war sein Auto weg.

Sie konnte es nicht glauben.

Er war einfach abgehauen.

 

KAPITEL ZWEI

 

Panisch rannte Emily zurück ins Haus.

„Daniel!“, rief sie die Treppe hinauf. „Mr. Kapowski ist verschwunden! Er ist gegangen, weil ich nicht rechtzeitig aufgestanden bin, um ihm das Frühstück zu richten!“

Daniel tauchte, nur mit seiner Schlafanzughose bekleidet, am oberen Ende der Treppe auf, seine breiten Schultern und seine muskulöse Brust waren unbedeckt. Sein Haar war ein einziges Durcheinander und ließ ihn wie einen gehetzten Schuljungen aussehen.

„Er ist wahrscheinlich nur zu Joe’s gegangen“, meinte er, während er die Stufen zu ihr hinunterstapfte. „Immerhin hast du ihm sehr ausführlich geschildert, wie gut die Waffeln dort sind, erinnerst du dich nicht mehr?“

„Aber ich sollte ihm doch eigentlich Frühstück richten!“, rief Emily. „Es ist schließlich ein Bed and Breakfast, nicht nur ein Bed!“

Daniel erreichte das Ende der Treppe und nahm Emily in die Arme, die er sanft um ihre Hüfte legte. „Vielleicht wusste er nicht, wofür das zweite B steht. Vielleicht dachte er, es heißt Bad. Oder Bananen“, scherzte er. Dann drückte er einen Kuss in ihren Nacken, doch Emily schob ihn weg und löste sich aus seinen Armen.

„Daniel, hör auf, Scherze zu machen!“, schrie sie. „Das ist eine ernste Angelegenheit. Er ist mein allererster Gast und ich war nicht rechtzeitig wach, um ihm das Frühstück zu richten.“

Daniel schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen zugleich voller Liebe und Schalk.

„Das ist doch keine große Sache. Jetzt isst er sein Frühstück stattdessen unten am Meer. Er ist schließlich im Urlaub, nicht wahr?“

„Aber von meiner Veranda aus hat man auch Meerblick“, stammelte Emily mit dünner werdender Stimme. Sie ließ sich auf die unterste Stufe niedersinken und fühlte sich klein, wie ein Kind, das man dazu verdonnert hatte, auf der stillen Treppe zu sitzen. Dann legte sie ihren Kopf in die Hände. „Ich bin eine schreckliche Gastgeberin.“

Daniel rieb ihre Schultern. „Das stimmt nicht. Du bist einfach noch nicht so sicher auf den Beinen. Alles ist fremd und neu. Aber du machst das gut. Okay?“

Das letzte Wort sprach er mit einer gewissen, fast schon väterlichen Strenge aus, die Emily sofort tröstete. Sie schaute zu ihm auf.

„Soll ich dir wenigstens ein Ei kochen?“, fragte sie.

„Das wäre wunderbar.“ Daniel lächelte. Er legte seine Hände an ihre Wangen und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen.

Zusammen gingen sie in die Küche. Das Geräusch der sich öffnenden Eingangstür weckte die Hündin Mogsy und ihren Welpen Rain, die im Handwerksraum auf der anderen Seite der Stalltür schliefen, auf. Emily wusste, dass sie die Hunde nicht in die Küche oder die anderen Bereiche des Hauses lassen durfte, die sie für ihre Pension brauchte. Bei diesem Punkt ließ sich nicht verhandeln, wenn sie nicht umgehend aus Gesundheits- und Sicherheitsgründen schließen wollte, doch trotzdem hatte sie ein schlechtes Gewissen, die Hunde in einem so kleinen Teil des Hauses einzusperren. Sie erinnerte sich daran, dass es nur eine Zwischenlösung war. Sie hatte es geschafft, unter ihren Freunden in der Stadt für vier von Mogsys fünf Welpen ein Zuhause zu finden, doch Rain, das schwache Nesthäkchen, ließ sich nicht so einfach verkaufen und niemand schien auch nur das geringste Interesse daran zu haben, die Mutter bei sich aufzunehmen, die, um ehrlich zu sein, ganz schön hässlich war.

Sobald die Hunde rausgelassen und gefüttert worden waren, ging Emily zurück in die Küche. In der Zwischenzeit war Daniel in den Garten gegangen, um frische Eier von den beiden Hennen Lola und Lolly zu holen, und hatte bereits eine Kanne Kaffee gekocht. Emily nahm dankbar eine Tasse entgegen und sog das Aroma ein. Anschließend ging sie zu dem großen Aga-Herd – ein weiteres Relikt ihres Vaters, das sie restauriert hatte – und machte sich daran, die Eier zu pochieren.

Unter allen Zimmern im Haus mochte Emily die Küche am liebsten. Bei ihrer Ankunft war der arme Raum von der Zeit und der Vernachlässigung schwer gezeichnet gewesen, dann war ein Sturm hindurchgefegt und hatte weiteren Schaden verursacht, und anschließend war der Toaster explodiert und hatte ein Feuer ausgelöst. Der Schaden, der durch den Rauch entstanden war, hatte eine größere Zerstörungskraft besessen als das eigentliche Feuer, welches lediglich ein Regal beschädigt und mehrere Kochbücher zerfressen hatte, wohingegen der Rauch in jeden Spalt gedrungen war und schwarze Schlieren sowie den Geruch verbrannten Plastiks zurückgelassen hatte.

In gerade einmal sechs Monaten war dem Raum alles, was nur schiefgehen konnte, zugestoßen. Doch sie hatte sich ein paar zermürbende Nächte lang abgerackert, um alles zu erneuern, und nun strahlte die Küche mit ihrem Retro-Kühlschrank und dem originalgetreuen, weißen, im Viktorianisch-Belfast Stil gehaltenen Spülbecken sowie den marmornen Arbeitsflächen einen gewissen Charme aus.

„Anscheinend“, bemerkte Emily, während sie ihren fünften Versuch eines pochierten Eies auf Daniels Teller plumpsen ließ, „bin ich wohl doch keine so abgrundtief schlechte Köchin.“

„Siehst du?“, entgegnete Daniel, als er in die weiße Haut eines Eies stach, wodurch sich das goldene Eigelb auf seinem Toast verteilte. „Ich habe es dir doch gesagt. Du solltest mir öfter zuhören.“

Emily seufzte und genoss Daniels sanften Humor. Ihr Exfreund Ben hatte sie nie auf die gleiche Weise zum Lachen gebracht wie Daniel. Er hatte sie in panischen Momenten auch nicht beruhigen können. Mit Daniel erschien es ihr, als ob sie alles schaffen könnte. Egal, ob es sich um einen Sturm oder ein Feuer handelte, er gab ihr immer das Gefühl, dass alles in Ordnung und kontrollierbar war. Seine Standfestigkeit war einer der Gründe, warum sie sich so zu ihm hinzogen fühlte. Er konnte sie auf die gleiche Weise beruhigen und trösten wie es ein Blick auf das Meer vermochte. Ihr kam ihre Beziehung wie eine reißende Flut vor, die sie nicht kontrollieren konnten, selbst wenn sie es wollten.

„Also“, sagte Daniel, während er fröhlich sein Frühstück verdrückte, „wenn wir hier fertig sind, sollten wir uns wohl besser fertigmachen.“

„Für was denn?“, fragte Emily, die an ihrer zweiten Tasse dampfend heißem, schwarzem Kaffee nippte.

„Heute findet die Memorial Day Parade statt“, erklärte Daniel.

Emily erinnerte sich vage daran, sich als Kind die Parade angesehen zu haben und wollte sie sich eigentlich wieder anschauen, doch sie hatte heute schon genug vermasselt, um sich einen Ausflug zu gönnen.

„Ich habe hier zu viel zu tun. Ich muss das Gästezimmer richten.“

„Das ist bereits erledigt“, erwiderte Daniel. „Ich habe den Raum aufgeräumt, während du bei den Hunden warst.“

„Wirklich?“, hakte Emily argwöhnisch nach. „Hast du auch die Handtücher gewechselt?“

Daniel nickte.

„Und die Mini-Shampoo-Fläschchen?“

„Jap.“

„Was ist mit den kleinen Beutelchen Kaffee und Zucker?“

Daniel zog eine Augenbraue hoch. „Ich habe alles ausgetauscht, was ausgetauscht werden musste. Ich habe das Bett gemacht – und bevor du fragst, ja, ich weiß, wie man ein Bett macht, immerhin habe ich jahrelang alleine gelebt. Alles ist bereit für deinen Gast, wenn er zurückkommt. Gehst du nun also mit zu der Parade?“

Emily schüttelte den Kopf. „Ich muss hier sein, wenn Mr. Kapowski zurückkommt.“

„Du musst nicht wie eine Nanny auf ihn aufpassen.“

Emily kaute auf ihrer Lippe herum. Sie war nervös wegen ihres ersten Gastes und wollte unbedingt gute Arbeit leisten. Wenn das hier nicht funktionierte, dann müsste sie mit eingezogenem Schwanz nach New York zurückkehren, wo sie wahrscheinlich auf Amys Couch, oder sogar noch schlimmer, im Gästezimmer ihrer Mutter schlafen würde.

„Aber was ist, wenn er etwas braucht? Mehr Kissen? Oder – “

„ – mehr Bananen?“, unterbrach Daniel sie mit einem Grinsen.

Emily seufzte und gab sich geschlagen. Daniel hatte Recht. Mr. Kapowski würde nicht von ihr erwarten, dass sie ihn auf Schritt und Tritt bediente. Wenn überhaupt, dann würde er es wahrscheinlich vorziehen, dass sie sich nicht zu sehr einmischte. Immerhin war er ja im Urlaub. Die meisten Menschen wollten in solchen Momenten einfach nur ihre Ruhe.

„Komm schon“, drängte Daniel. „Es wird bestimmt lustig.“

„Na gut“, sagte Emily schließlich. „Ich werde mitkommen.“

 

*

 

Emily sah Flaggen der USA so weit das Auge reichte. Ihr Blick war zu einer Art Kaleidoskop aus Sternen und Streifen geworden, was sie in Erstaunen versetzte. Die Flaggen hingen in jedem Schaufenster und in Form von gestrickten Girlanden von jedem Laternenmast. Es waren sogar welche an der Rückseite von Bänken befestigt. Doch all das war nichts im Vergleich zu der Anzahl an Flaggen, die von vorbeilaufenden Passanten geschwungen wurden. Jeder, der auf dem Gehsteig lief, schien eine zu besitzen.

„Daddy“, sagte Emily und schaute zu ihrem Vater auf. „Kann ich auch eine Flagge haben?“

Der große Mann lächelte zu ihr hinunter. „Natürlich kannst du das, Emily Jane.“

„Ich auch, ich auch!“, ertönte eine kleine Stimme.

Emily drehte sich um und entdeckte ihre Schwester Charlotte, um deren Hals ein grell-violetter Schal hing, der überhaupt nicht zu ihren Marienkäfer-Stiefeln passte. Sie war gerade einmal ein Kleinkind, das kaum aufrecht stehen konnte.

Die beiden Mädchen folgten ihrem Vater Hand in Hand über die Straße und in einen kleinen Laden, der hausgemachte Essiggurken und Soßen in Gläsern verkaufte.

„Hallo Roy.“ Die Dame hinter der Ladentheke strahlte. Dann lächelte sie die zwei kleinen Mädchen an. „Seid ihr bereit für den Feiertag?“

„Niemand begeht den Memorial Day wie Sunset Harbor“, sagte ihr Vater mit seiner lockeren Freundlichkeit. „Ich hätte gerne zwei Flaggen für die Mädchen, Karen.“

Die Dame holte ein paar Fahnen hinter der Theke hervor. „Warum nehmt ihr nicht gleich drei davon?“, meinte sie. „Dann hast du auch eine!“

„Warum nicht vier Fahnen?“, wollte Emily wissen. „Wir sollten Mami auch eine mitbringen.“

Roys Kiefer spannte sich an und Emily wusste sofort, dass sie etwas Falsches gesagt hatte. Mami würde keine Fahne wollen. Mami war für den Wochenendtrip nicht einmal mit ihnen nach Sunset Harbor gekommen. Sie waren nur zu dritt. Wieder einmal. In letzter Zeit schienen sie immer häufiger nur zu dritt zu sein.

„Zwei genügen völlig“, beschloss ihr Vater mit leicht angespannter Stimme. „Sie sind nur für die Kinder.“

Die Frau hinter der Ladentheke gab den Mädchen je eine Flagge, doch ihre Freundlichkeit wurde durch eine peinliche Unbehaglichkeit ersetzt, als sie erkannte, dass sie versehentlich eine unausgesprochene, unsichtbare Linie überkreuzt hatte.

Emily beobachtete, wie ihr Vater die Frau bezahlte und ihr dankte, wobei ihr sein gezwungenes Lächeln und seine angespannte Körperhaltung auffielen. Sie wünschte, sie hätte Mami nicht erwähnt. Sie schaute auf die Flagge in ihrer Hand, die in einem Handschuh steckte, und hatte plötzlich keine Lust mehr zu feiern.

Emily schnappte nach Luft, sie befand sich wieder auf der High Street Sunset Harbors, doch diesmal mit Daniel an ihrer Seite. Sie schüttelte den Kopf, um die herumschwirrenden Gedanken zu vertreiben. Das war nicht das erste Mal, dass sie eine verlorene Erinnerung plötzlich wiedererlangte, doch die Erfahrung erschütterte sie immer noch zutiefst.

„Geht es dir gut?“, fragte Daniel, der sie mit besorgter Miene sanft am Arm berührte.

„Ja“, antwortete Emily mit schwacher Stimme. Sie versuchte zu lächeln, doch schaffte es gerade einmal, ihre Mundwinkel leicht anzuheben. Sie hatte Daniel nichts davon erzählt, dass ihre Kindheitserinnerungen Stück für Stück zurückkehrten, denn sie wollte ihn nicht verschrecken.

Entschlossen, sich durch die aufdringlichen Erinnerungen nicht die Freude des Tages vermiesen zu lassen, stürzte sich Emily in die Feierlichkeiten. Seit sie diesen Tag zum letzten Mal hier verbracht hatte, waren schon viele Jahre vergangen, doch trotzdem war Emily von dem Spektakel fasziniert. Sie war verwundert, was diese Kleinstadt aus einer Feierlichkeit machen konnte. Die Traditionen der Stadt gehörte zu den Dingen, die sie mittlerweile an Sunset Harbor zu lieben gelernt hatte. Sie ahnte, dass der Memorial Day zu einem weiteren ihrer Lieblings-Feiertage werden würde.

„Hi, Emily!“, rief Raj Patel von der anderen Straßenseite aus. Er und seine Frau Dr. Sunita Patel, die Emily mittlerweile als gute Freunde ansah, spazierten die Straße entlang.

Emily winkte ihnen zu, bevor sie sich an Daniel wandte: „Oh, schau nur. Da sind Birk und Bertha. Und liegt da nicht Baby Katy in dem Kinderwagen von Jason und Vanessa?“ Dabei deutete sie auf den Besitzer der Tankstelle und seine behinderte Frau. Neben ihnen stand ihr Sohn, der Feuerwehrmann, der Emilys Küche vor einem Inferno gerettet hatte. Er und seine Frau hatten vor kurzem ihr erstes Kind, ein Mädchen namens Katy, bekommen und einen von Emilys Welpen als Geschenk für ihre Tochter bei sich aufgenommen. „Wir sollten zu ihnen hinübergehen und hallo sagen“, meinte Emily, die mit ihren Freunden sprechen wollte.

„Gleich“, erwiderte Daniel und stieß sie mit seiner Schulter an. „Die Parade beginnt.“

Emily schaute die Straße hinunter, wo sich die Blaskapelle der High School formierte, um mit dem Festzug zu beginnen. Nun wurde die Trommel geschlagen und gleich darauf setzten die Blechblasinstrumente mit dem Lied „When the Saints Go Marching In“ ein. Emily sah verzückt zu, wie die Band an ihr vorbeizog. Hinter ihnen liefen Cheerleader, die passende rot-weiß-blaue Kostüme trugen. Sie machten Rückwärts-Saltos und schmissen ihre Beine in die Luft, während sie der Band folgten.

Als nächstes kam eine Gruppe Kindergartenkinder, deren Gesichter bemalt waren. Sie hatten dicke Wangen und schauten engelhaft aus. Bei ihrem Anblick verspürte Emily einen kleinen Stich. Kinder zu bekommen war für sie nie besonders wichtig gewesen – in Anbetracht der Tatsache, wie angespannt das Verhältnis zu ihrer eigenen Mutter war, hatte sie es nicht eilig, selber eine zu werden – doch nun, als sie die Kinder während der Parade sah, erkannte Emily, dass sich etwas in ihr verändert hatte. Jetzt brannte ein neues, ziehendes Verlangen in ihr. Sie schaute zu Daniel und fragte sich, ob er wohl genauso empfand, ob der Anblick der liebenswürdigen Kleinkinder den gleichen Effekt auf ihn hatte, doch wie immer war sein Ausdruck schwer zu lesen.

Die Parade ging weiter. Als nächstes kam eine Gruppe abgehärtet aussehender Frauen vom ortsansässigen Skate-Club. Sie sprangen mit ihren Skateboards umher und rasten den Weg entlang. Ihnen folgten ein paar Stelzenläufer sowie ein großes Floß, auf dem sich eine aus Karton geformte Statue Abraham Lincolns befand.

„Emily, Daniel“, ertönte eine Stimme hinter ihnen. Es war Bürgermeister Hansen, an dessen Seite Marcella stand, die mehr als nur ein wenig gestresst aussah. „Gefallen Ihnen die Festlichkeiten?“, fragte Bürgermeister Hansen. „Es mag zwar nicht das erste Mal sein, dass Sie die Parade sehen, aber vielleicht das erste, an das Sie sich erinnern werden.“

Er gluckste unschuldig, doch Emily wand sich innerlich. Sie versuchte, nach außen hin ruhig und fröhlich zu wirken.

„Sie haben Recht. Leider erinnere ich mich nicht mehr daran, als Kind hierhergekommen zu sein, aber es gefällt mir sehr gut. Was ist mit Ihnen, Marcella?“, fügte sie hinzu, um die Aufmerksamkeit von sich abzulenken. „Sind Sie zum ersten Mal hier?“

Marcella nickte nur kurz und entschieden, dann konzentrierte sie sich wieder auf ihr Klemmbrett.

„Beachten Sie sie gar nicht.“ Bürgermeister Hanson gluckste. „Sie ist ein Workaholic.“

Marcella schaute kurz auf, doch Emily genügte der Moment, um die Frustration in ihren Augen zu sehen. Es war offensichtlich, dass sie von der entspannten Einstellung des Bürgermeisters genervt war. Emily konnte mit Marcella mitfühlen. Vor sechs Monaten war sie genauso gewesen: zu ernst, zu gestresst, sie hatte sich nur mit Kaffee auf den Beinen halten können und hatte Angst davor gehabt, zu versagen. Marcella anzusehen war, wie ein Spiegelbild ihres jüngeren Selbst vor Augen zu haben. Emily hoffte nur, dass sie schnell lernen würde, sich zu entspannen, und dass Sunset Harbor ihr dabei helfen würde, ihre eng gespannten Nerven zu lockern, wenn auch nur ein kleines bisschen.

„Wie dem auch sei“, meinte Hansen, „lassen Sie uns zum Punkt kommen. Ich muss Medaillen verteilen, nicht wahr, Marcella? Es findet eine Preisverleihung für so ein Ei-und-Löffel-Rennen statt.“

„Es sind Olympische Spiele für unter Fünfjährige“, verbesserte ihn Marcella mit einem tiefen Seufzer.

„Genau, das meinte ich“, entgegnete Bürgermeister Hansen und die beiden verschwanden wieder in der Menge.

Daniel lächelte. „Es ist einfach unmöglich, sich nicht in diese verrückte Stadt zu verlieben“, sagte er, während er seinen Arm um Emily legte.

Sie kuschelte sich an ihn, denn dort fühlte sie sich sicher und beschützt. Zusammen beobachteten sie, wie eine Conga-Gruppe vorbeizog, und winkten ihren Freuden, als diese vorbeikamen: Cynthia aus dem Buchladen, deren Kleidung sich mit ihrem grell orangenen Haar biss, Charles und Barbara Bradshaw aus dem Fischladen, Parker vom Bio-Obst- und Gemüseverkauf.

Dann entdeckte Emily jemanden in der Menge, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Mit einer karierten Golfhose und einem limonengrünen Pullover bekleidet, der seinen großen Bauch kaum verdeckte, stand Trevor Mann inmitten der Leute.

„Schau nicht hin“, murmelte sie und griff nach Daniels Hand, um sich sicher zu fühlen, „aber unser verächtlicher Nachbar ist aufgekreuzt.“

Natürlich sah Daniel sofort zu ihm. Als ob Trevor einen sechsten Sinn hätte, bemerkte er es sogleich. Als er die beiden ansah, begannen seinen Augen gleich vor Unheil zu glänzen.

Emily verzog das Gesicht. „Ich habe dir doch gesagt, dass du nicht hinschauen sollst!“, schimpfte sie Daniel, während sich Trevor seinen Weg zu ihnen bahnte.

„Du weißt, dass es ein ungeschriebenes Gesetz gibt“, zischte Daniel zurück. „Es besagt, dass jemand immer hinschaut, wenn ihm gesagt wird, er solle nicht hinschauen.“

Für eine Flucht war es zu spät. Trevor Mann war schon bei ihnen, er trat durch die Masse wie ein furchtbares, mit Schnäuzer versehendes Biest.

„Oh nein“, stöhnte sie.

„Emily“, sagte Trevor mit vorgespielter Höflichkeit „Sie haben doch wohl nicht die Steuern, die Sie für das Haus noch zahlen müssen, nicht vergessen, oder? Ich nämlich nicht.“

„Der Bürgermeister hat mir eine Verlängerung gewährt“, erwiderte Emily. „Sie waren bei dem Treffen ebenfalls anwesend, Trevor. Es überrascht mich, dass Sie das nicht mitbekommen haben.“

„Es ist mir egal, ob Bürgermeister Hansen meinte, dass die Rückzahlung nicht sofort stattfinden müsse, denn das liegt nicht in seiner Hand, sondern im Ermessen der Bank. Und ich habe mich schon mit ihr in Verbindung gesetzt und ihr von den illegalen Bewohnen des Hauses und dem illegalen Geschäft erzählt, dass sie nun darin betreiben.“

„Sie sind ein Idiot“, sagte Daniel, der sich Trevor beschützerisch in den Weg stellte.

„Lass es sein“, meinte Emily, die ihm eine Hand auf den Arm legte. Das letzte, was sie jetzt brauchte, war, dass Daniel die Beherrschung verlor.

Trevor grinste spöttisch. „Die Verlängerung, die Bürgermeister Hanson Ihnen gewährt hat, wird nicht ewig dauern und würde vor einem Gericht auf keinen Fall bestehen. Und ich werde alles dafür tun, um sicherzustellen, dass Ihre Pension untergeht und nie wieder an die Wasseroberfläche kommt.“

 

KAPITEL DREI

 

Emily beobachtete, wie Trevor wieder in der Masse verschwand.

Sobald er nicht mehr zu sehen war, wandte sich Daniel mit sehr besorgtem Gesichtsausdruck an Emily. „Geht es dir gut?“

Emily konnte sich nicht beherrschen. Sie ließ sich gegen seine breite Brust fallen und drückte ihr Gesicht in sein Hemd. „Was soll ich nur tun?“, stöhnte sie. „Die Steuern werden mein Geschäft ruinieren, bevor es überhaupt in Fahrt gekommen ist.“

„Auf keinen Fall“, widersprach Daniel. „Das werde ich nicht zulassen. Bis du hier aufgetaucht bist und dein Grundstück in etwas Begehrenswertes verwandelt hast, hat sich Trevor Mann nie dafür interessiert. Er ist einfach nur neidisch, dass dein Haus so viel besser ist als seines.“

Emily versuchte bei seinem Witz zu lachen, doch brachte nur ein schwaches Glucksen heraus. Der Gedanke daran, Daniel zu verlassen und als Versagerin zurück nach New York zu ziehen, bedrückten sie sehr.

„Aber er hat Recht“, sagte Emily. „Diese Pension wird niemals funktionieren.“

„Sag das nicht“, konterte Daniel. „Alles wird gut. Ich glaube an dich.“

„Wirklich?“, fragte Emily. „Denn ich glaube kaum an mich selbst.“

„Dann ist vielleicht jetzt der richtige Moment, um damit anzufangen.“

Emily schaute in Daniels Augen. Sein ernster Ausdruck gab ihr das Gefühl, es vielleicht wirklich schaffen zu können.

„Hey“, sagte Daniel, dessen Augen plötzlich verschmitzt glänzten. „Ich will dir etwas zeigen.“

Daniel schien sich von ihrer düsteren Stimmung nicht beeindrucken zu lassen. Er nahm ihre Hand und zog sie durch die Menschenmenge in Richtung des Hafens. Zusammen gingen sie zu den Bootsanlegestellen.

„Tada!“, rief Daniel und deutete auf das wunderschön restaurierte Boot, das sich im Wasser hin und her bewegte.

Als Emily das Boot das letzte Mal gesehen hatte, war es kaum seetüchtig gewesen. Nun glänzte es, als wäre es brandneu.

„Das ist ja unglaublich“, stammelte sie. „Du hast das Boot restauriert?“

Daniel nickte. „Ja. Das hat mich viel Mühe und Anstrengung gekostet.“

„Das glaube ich“, erwiderte Emily.

Sie erinnerte sich daran, wie Daniel ihr erzählt hatte, dass er bei der Restaurierung des Bootes an eine Art geistige Grenze gestoßen war, und dass er aus irgendeinem Grund nicht daran arbeiten konnte. Es jetzt zu sehen machte Emily unglaublich stolz und zwar nicht nur, weil er es so wunderschön restauriert hatte, sondern auch weil er es geschafft hatte, über das, was ihn zurückgehalten hatte, hinwegzukommen. Sie erwiderte sein Lächeln, wobei das Glück in ihr aufloderte.

Zur gleichen Zeit überkam sie eine Traurigkeit, denn nun gab es noch ein weiteres Transportmittel, das ihn ihr wegnehmen konnte. Daniel war immer in Bewegung. Entweder er fuhr mit dem Motorrad an den Klippen entlang, oder mit seinem Truck in die benachbarten Städte. Dass er die Welt sehen und sie entdecken wollte, war für sie offensichtlich. Sie wusste, dass Daniel früher oder später Sunset Harbor verlassen würde. Emily wusste noch nicht, ob sie, wenn die Zeit kam, mit ihm gehen würde.

Daniel stupste sie schüchtern an. „Ich sollte mich bei dir bedanken.“

„Wofür denn?“, wollte Emily wissen.

Sie war diejenige gewesen, die ihm den neuen Motor als Dankeschön für seine Hilfe bei der Renovierung der Pension gekauft hatte. Außerdem hatte sie ihn damit anstoßen wollen, das Boot wieder in Schuss zu bringen.

„Kein Problem“, entgegnete Emily, die sich gerade fragte, ob sich das Geschenk nun gegen sie richten würde, ob Daniels Verlangen zu gehen nun durch die Restaurierung des Bootes angeschürt worden war.

„Nun ja“, meinte Daniel, während er auf das Boot deutete, „als Dankeschön fände ich es nur angebracht, wenn du mich auf der Jungfernfahrt begleiten würdest.“

„Oh!“, brachte Emily, von seinem Vorschlag überrascht, hervor. „Du willst mit dem Boot hinausfahren? Jetzt?“ Sie wollte eigentlich nicht so schockiert klingen.

„Außer, du möchtest das nicht“, erwiderte Daniel, der seinen Nacken verlegen rieb. „Ich dachte mir nur, dass wir vielleicht ein Date daraus machen könnten.“

„Ja, sehr gerne“, sagte Emily.

Daniel sprang in das Boot und hielt ihr seine Hand entgegen, die Emily ergriff und sich von ihm in das Boot ziehen ließ, welches unter ihr wackelte und sie ein wenig ins Straucheln brachte.

Daniel startete den Motor und steuerte das Boot aus dem Hafen hinaus. Dann fuhren sie über das glitzernde Meer. Emily atmete die Meeresluft tief ein, während sie zusah, wie Daniel das Boot über das Wasser lenkte. Dabei sah er so natürlich aus, genauso wie auf dem Motorrad, das eine Verlängerung seines Körpers zu sein schien. Daniel gehörte zu der Art Mann, der immer in Bewegung sein musste, und als sie ihn nun beobachtete, sah Emily, wie lebendig und glücklich er plötzlich wirkte, wenn er einem Abenteuer hinterherjagte.

Dieser Gedanke verstärkte ihre Melancholie nur noch. Daniels Verlangen, die Welt zu erkunden, war mehr als nur ein Traum, es war ein Bedürfnis. Er würde Sunset Harbor bald verlassen, daran gab es keinen Zweifel. Sie hatte sich auch noch nicht entschieden, wie lange sie hierbleiben würde. Vielleicht war ihre Beziehung zum Scheitern verurteilt. Vielleicht war es nie mehr als eine flüchtige Affäre gewesen, ein perfekter Moment für eine kurze Zeit. Bei dem Gedanken drehte sich Emilys Magen vor Verzweiflung um.

„Was ist los?“, fragte Daniel. „Du bist doch nicht seekrank, oder?“

„Vielleicht ein wenig“, log Emily.

„Na ja, wir sind gleich da“, meinte er und zeigte nach vorne.

Emily sah auf und sah, dass sie direkt auf eine kleine Insel zusteuerten, auf der es nichts außer ein paar Bäumen und einem verlassenen Leuchtturm gab. Emily setzte sich in ihrer plötzlichen Überraschung auf.

„OH MEIN GOTT!“, schrie sie.

„Was ist los?“, wollte Daniel mit panikerfüllter Stimme wissen.

„Mein Vater hatte in unserem Haus in New York ein Gemälde dieser Insel!“

„Bist du dir sicher?“

„Zu einhundert Prozent! Das ist ja unglaublich! Ich wusste gar nicht, dass der Ort auf dem Gemälde wirklich existiert!“

Daniels Augen weiteten sich. Er schien von dem Zufall genauso überrascht zu sein wie sie.

Ihre Sorgen wurden von dieser unerwarteten Überraschung weggeschwemmt. Schnell zog sich Emily ihre Turnschuhe und Socken und sprang, kaum, dass das Boot auf Grund gelaufen war, über Bord. Wellen schlugen gegen ihre Schienbeine. Obwohl das Wasser kalt war, spürte sie die Kälte kaum. Sie rannte durch das Wasser, auf den nassen Sandstrand und noch ein Stückchen weiter. Dann blieb sie stehen und hob die Hände, die sie mit ihren Daumen und Zeigefingern zu einem Rechteck geformt hatte, hoch und kniff ein Auge zu. Sie drehte sich ein wenig, sodass sich der Leuchtturm zu ihrer Rechten befand, die Sonne daneben schien und sich der weite Ozean auf der anderen Seite befand. Das war er! Der genaue Winkel des Gemäldes, das in ihrem Elternhaus hing!

Es überraschte Emily nicht, dass ihr Vater ein solches Gemälde besaß. Er war von Antiquitäten besessen – dazu gehörten auch Kunststücke – doch was Emily überraschte, war die Tatsache, dass es das Gemälde in ihr Elternhaus geschafft hatte. Ihre Mutter war immer sehr gut darin gewesen, ihr Leben in Sunset Harbor von dem in New York zu trennen, so als ob sie das verrückte Hobby ihres Mannes nur zwei Wochen im Jahr aushalten könnte und auch nur so lange es nicht zu sehen war und ihr lupenreines Heim nicht in Anspruch nahm. Wie um alles auf der Welt hatte er dann ihre Zustimmung erlangt, das Gemälde des Leuchtturms in ihrem Elternhaus aufzuhängen? Vielleicht hatte er vorgegeben, dass es sich um einen imaginären Ort handelte, und ihre Mutter hatte nie erfahren, dass das Gemälde in Wirklichkeit einen Teil Sunset Harbors darstellte? Emily lächelte in sich hinein, als sie sich fragte, ob ihr Vater wirklich so gerissen gewesen war.

„Hey“, sagte Daniel, womit er sie wieder ins Hier und Jetzt zurückholte. Als sie sich zu ihm umdrehte, sah sie, dass er einen Korb über den nassen Sand zu ihr hinüberschleppte. „Du bist einfach so davongerannt!“

„Tut mir leid“, erwiderte Emily, die ihm sofort entgegeneilte, um ihm zu helfen. „Was ist denn da drinnen? Der wiegt ja eine Tonne.“

Zusammen brachten sie den Korb an eine geeignete Stelle auf dem Strand, wo Daniel die Schlösser öffnete, die den Deckel zuhielten. Anschließend zog er eine karierte Decke heraus, die er auf dem Sand ausbreitete.

„Meine Dame“, sagte er.

Emily lachte und setzte sich auf die Decke. Daniel begann, verschiedene Nahrungsmittel, unter anderem auch Käse und Obst, aus dem Korb auszuladen, dann zog er eine große Flasche Champagner und zwei Sektgläser heraus.

„Champagner!“, rief Emily. „Aus welchem Anlass?“

Daniel zuckte mit den Schultern. „Es gibt keinen besonderen Anlass. Ich dachte nur, dass wir deinen ersten Gast feiern sollten.“

„Erinnere mich nicht daran“, stöhnte Emily auf.

Daniel löste den Korken und füllte beide Gläser.

„Auf Mr. Kapowski.“

Emily stieß mit ihm an und verzog die Lippen zu einem Lächeln. „Mr. Kapowski.“ Sie nahm einen Schluck und ließ die Blasen auf ihrer Zunge zerplatzen.

„Du bist dir der ganzen Sache immer noch nicht sicher, nicht wahr?“, fragte Daniel.

Emily zuckte mit den Schultern, ihre Augen waren starr auf die Flüssigkeit in ihrem Glas gerichtet. Sie schwenkte es umher und beobachtete den Weg, den die Blasen in der Flüssigkeit nahmen, bevor sie sich wieder beruhigten. „Ich habe einfach nicht sonderlich viel Selbstvertrauen“, sagte sie schließlich mit einem tiefen Seufzen. „Ich habe zuvor ja noch nie irgendetwas erreicht.“

„Was ist mit deinem Job in New York?“

„Ich meine, nichts, dass ich wirklich wollte.“

Daniel wackelte mit den Augenbrauen. „Was ist mit mir?“

Emily konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Ich sehe dich nicht so sehr als eine Errungenschaft…“

„Das solltest du aber“, unterbrach er sie heiter. „Solch ein stoischer Mann wie ich. Es ist nicht gerade einfach, sich mit mir zu unterhalten.“

Emily lachte, dann gab sie ihm einen langen, ausgiebigen Kuss.

„Wofür war das denn?“, wollte er wissen, nachdem sie sich von ihm gelöst hatte.

„Das war ein Dankeschön. Hierfür.“ Dabei nickte sie auf das kleine Picknick vor ihnen. „Dafür, dass du da bist.“

Daniel schien zu zögern und Emily erkannte auch warum: Daniel würde nicht in der Lage sein, immer hier zu bleiben. Das Reisen lag in seinem Blut. Und irgendwann würde er wieder aufbrechen müssen.

Aber was war mit ihr? Sie hatte auch keine festen Pläne, in Sunset Harbor zu bleiben. Sie war bereits seit sechs Monaten hier – eine lange Zeit, in der sie weder New York, noch ihre Mutter oder ihre Freunde gesehen hatte. Und doch, während die Sonne in der Ferne unterging und den Himmel mit orangenen und rosa Streifen übersäte, konnte sie sich keinen Ort vorstellen, an dem sie lieber wäre. In genau diesem Moment, an diesem Ort war alles perfekt. Sie hatte das Gefühl, im Paradies zu leben. Vielleicht könnte Sunset Harbor wirklich zu ihrem Zuhause werden. Vielleicht würde sich Daniel mit ihr niederlassen wollen. Niemand konnte die Zukunft voraussehen, sie würde einfach jeden Tag so nehmen müssen wie er kam. Immerhin konnte sie hierbleiben, bis ihr das Geld ausging. Und wenn sie hart genug arbeitete und es schaffte, dass sich die Pension selbst trug, dann würde dieser Tag noch lange nicht kommen.

„Woran denkst du?“, fragte Daniel.

„An die Zukunft, schätze ich“, antwortete Emily.

„Ah“, entgegnete Daniel, der auf seinen Schoß hinabblickte.

„Kein gutes Gesprächsthema?“, wollte Emily wissen.

Daniel zuckte mit den Schultern. „Nicht immer. Ist es nicht besser, das Hier und Jetzt zu genießen?“

Emily war sich nicht sicher, wie sie diesen Kommentar auffassen sollte. Offenbarte er dadurch sein Verlangen, die Gegend zu verlassen? Hielt er die Zukunft wohl deshalb für kein gutes Gesprächsthema hielt, weil er Liebeskummer voraussah?

„Kann schon sein“, erwiderte sie leise. „Aber manchmal ist es unmöglich, nicht nach vorne zu schauen. Denkst du nicht auch, dass es in Ordnung ist, Pläne zu schmieden?“ Sie versuchte, Daniel sanft aus der Reserve zu locken, ein paar winzige Informationen aus ihm herauszubekommen, irgendetwas, das ihr in ihrer Beziehung mehr Sicherheit gab.

„Nicht wirklich“, sagte er. „Ich bemühe mich wirklich sehr, mit den Gedanken in der Gegenwart zu bleiben. Man sollte sich nicht über die Zukunft sorgen und nicht in der Vergangenheit verweilen.“

Emily gefiel die Vorstellung nicht, dass er sich um ihre Zukunft sorgen könnte, und musste sich zusammenreißen, ihn nicht zu fragen, was für beunruhigende Ereignisse er voraussah. Stattdessen meinte sie: „“