Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert
Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.
Internet: http://www.keltermedia.de
E-mail: info@kelter.de
Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74093-304-3
Der Himmel über dem Wachnertal strahlte im schönsten Blau, als Burgl Brandstetter aus dem Fenster schaute. Heute, am Sonntag, hatte sie ein wenig länger geschlafen.
Es war gestern auf dem Tanzabend im ›Löwen‹ halt ein bissel später geworden …
Dafür hörte die junge Bäuerin den Knecht schon unten in der Küche hantieren. Max war wieder früh auf den Beinen gewesen, um die Kühe zu melken und zu füttern, denen es nämlich egal war, ob es Sonn- oder Alltag war. Sie wollten wie jeden Morgen pünktlich ihr Futter bekommen und gemolken werden.
Max hatte das Radio eingeschaltet und trällerte lauthals den Schlager mit, der gerade gespielt wurde.
Ein Liebeslied – wie konnte es anders sein!
Und der Knecht schien bestens gelaunt zu sein, denn er sang immer noch, als er die Treppe herauf kam und an Burgls Kammertür klopfte.
»Guten Morgen, Spatzl, bist’ schon wach?«, rief er von draußen. »Das Frühstück ist fertig.«
Die Bäuerin lächelte.
»Ich bin gleich soweit«, antwortete sie und lauschte seinen Schritten, als er die Treppe wieder hinunter ging.
Er war schon ein Schatz, der Max Grinzinger!
Er schaute nicht nur gut aus und konnte anpacken, er war auch sonst ein Bursche, der das Herz auf dem rechten Fleck hatte, und vor allem war er – Burgls Bräutigam.
Wenn sie darüber nachdachte, dann konnte sie gar nicht glauben, dass sie in vierzehn Tagen schon seine Frau sein würde.
Und doch war es kein Traum!
Seit Max vor etwas mehr als einem Jahr auf den Brandstetterhof gekommen war, hatte sich Burgls Leben verändert. Als sie seinerzeit den Hof geerbt und die Schwester ausgezahlt hatte, da stand die junge Bäuerin vor einer schweren Aufgabe. Xaver, der Altknecht, konnte längst nicht mehr so mit anpacken, wie er gerne wollte, und außer Traudel Brunner, der Magd, die schon zu Vaters Zeiten auf dem Hof angefangen hatte, gab es für Burgl keine große Unterstützung. Damals hatte sie sich oft gefragt, ob sie es nicht genauso wie Kathrin, ihre zwei Jahre jüngere Schwester, hätte machen sollen. Die war mit dem Geld, das Burgl ihr gezahlt hatte, nach München gegangen und hatte seither nichts mehr von sich hören lassen.
Es war eigentlich nie leicht gewesen zwischen den beiden Schwestern, aber dass Kathi so unverfroren ihr Erbteil verlangte, kaum, dass der Vater unter der Erde war, hatte den Keil noch tiefer zwischen sie getrieben. Es hatte Burgl alle Mühen gekostet, das Geld aufzutreiben, und hätte der Brandstetterhof wirtschaftlich nicht so gut dagestanden, wäre die Bank sicher nicht bereit gewesen, die Hypothek zu bewilligen. Denn so recht traute man dort dem jungen Madl wohl nicht zu, das Erbe seines Vaters weiterzuführen – und zwar erfolgreich.
Und tatsächlich waren die ersten zwei Jahre auch von harter Arbeit und zahlreichen Rückschlägen geprägt. Hätten nicht gutherzige Nachbarn und Pfarrer Trenker zu ihr gehalten und geholfen, wo es nur möglich war, wäre der Hof heute sicher nicht mehr im Besitz der Familie Brandstetter, die ihn vor mehr als zweihundert Jahren aufgebaut hatte.
Und dann, mit Max Grinzinger, wurde alles anders. Der neue Knecht arbeitete für zwei, war Tag und Nacht zur Stelle, wenn er gebraucht wurde, und ging ganz und gar in seiner Arbeit auf.
Erst wurde es Burgl gar nicht so richtig bewusst, dass sie sich in ihn verliebt hatte. Max selbst hielt sich zurück. Wie er später gestand, traute er sich nicht recht, Burgl zu gestehen, dass er sie liebte. Schließlich sei sie die Herrin auf dem Hof und er nur der Knecht. Doch irgendwann waren die Signale nicht mehr zu übersehen gewesen, die jeder von ihnen mehr oder weniger unbewusst aussandte, und eines Tages küssten sie sich zum ersten Mal.
Burgl trat in die Küche. Der Tisch war liebevoll gedeckt, sogar eine kleine Vase mit frischen Blumen hatte Max darauf gestellt. Es duftete nach Kaffee, und die Frühstückseier waren gerade fertig geworden.
Die jungen Leute umarmten sich. Burgl gab Max einen liebevollen Kuss.
»Ach, ist das herrlich, wenn man mal ausschlafen kann«, sagte sie lächelnd. »Danke.«
Der junge Mann lächelte zurück und erwiderte den Kuss.
»Heut’ kannst’ den ganzen Tag faulenzen«, versprach er.
»Geht net«, schüttelte die junge Bäuerin den Kopf. »Am Nachmittag kommen Franzi, Resl und Andrea, um mit mir alles zu planen.«
Die drei waren Freundinnen von Burgl, Töchter von umliegenden Bauernhöfen, die versprochen hatten, ihr bei den Hochzeitsvorbereitungen zu helfen. Die nächsten beiden Wochen würden im Zeichen dieser Vorbereitungen stehen, denn es sollte ein großer, ein perfekter Tag im Leben von Burgl Brandstetter und Max Grinzinger werden.
Ja, sogar der schönste Tag ihres Lebens!
»Na, dann werd’ ich mich um den Zaun an der Weide kümmern«, meinte der Knecht. »Damit ihr eure Ruhe habt.«
Doch zuvor ging es nach St. Johann hinunter, zum sonntäglichen Kirchgang. Wie immer stand Pfarrer Trenker an der Tür und erwartete die Gemeinde.
»Na, ihr zwei«, begrüßte er Burgl und Max, »seid ihr schon aufgeregt?«
»Und wie!«, nickte der Knecht und sah seine Braut strahlend an. »Wär’ ja auch schlimm, wenn’s net so wär’.«
»Bloß keine unnötige Aufregung!« Der Bergpfarrer lächelte sie an. »Ich denk’, das Schlimmste ist die Vorbereitung, wenn ihr dann erstmal vor dem Altar steht, dann wird aller Stress vergessen sein.«
*
Am Montag war Max Grinzinger gleich nach dem Frühstück aufs Feld gefahren. Er arbeitete bis zum Vormittag, dann gönnte er sich eine Pause. Als er so da saß und an die bevorstehende Hochzeit dachte, bemerkte er ein Auto, das oberhalb von ihm auf der Bergstraße anhielt. Die Fahrertür wurde geöffnet, und eine Frau stieg aus. Sie schaute zu ihm hinunter, dann machte sie sich daran, zu ihm herabzusteigen.
»Was will die denn?«, murmelte der Knecht vor sich hin und gab sich gleich selbst die Antwort. »Wohl nach dem Weg fragen.«
Er hatte auf einem Feldstein gehockt, eine Wasserflasche neben sich. Jetzt stand er auf und klopfte sich den Staub von der Hose.
»Grüß Gott«, nickte er, als die Frau heran war.
»Haben S’ sich verfahren? Die Straße führt zum Brandstetterhof, in die andre Richtung geht’s nach St. Johann.«
Die Frau, sie mochte wohl in
Burgls Alter sein und war auch sehr attraktiv, musterte ihn von Kopf bis Fuß.
»Ich weiß«, antwortete sie. »Ein bissel kenn’ ich mich hier aus.«
Sie deutete auf den Acker.
»Und das Feld hier gehört zum Brandstetterhof, net wahr?«
»Freilich«, sagte Max.
Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Ihr Blick wurde so intensiv, dass der Knecht unwillkürlich zur Seite schaute.
»Ich muss dann mal weitermachen«, meinte er und kletterte auf den Traktor.
Die Frau drehte sich um und stieg wieder zur Straße hinauf. Sie setzte sich in ihren Wagen und schürzte die Lippen.
»Das ist er also«, grinste sie vor sich hin.
Dann startete sie den Motor und fuhr weiter. Keine zehn Minuten später bog sie in die Einfahrt zum Brandstetterhof ein. Das Auto hielt unter dem Vordach der Scheune, wo schon ein anderer Wagen stand.
»Das ist ja immer noch die alte Rostlaube«, sagte die Frau und stieg kopfschüttelnd aus.
Sie trat unter dem Vordach hervor und schaute sich um.
»Alles noch so wie früher.«
Sie ging zum Haus und öffnete die Tür. Im Flur schlug ihr der vertraute Geruch entgegen. Auch hier hatte sich nichts verändert.
Aus der Küche drangen Geräusche. Die Absätze der Frau klapperten auf dem Fliesenboden, als sie weiterging.
»Max, bist’ schon da?«, hörte sie eine Frauenstimme rufen. »Ich hab’ den Traktor gar net gehört.«
Sie stieß die Küchentür auf und trat ein.
»Hallo, Schwesterherz«, rief sie.
Burgl drehte sich überrascht um. Verblüffung zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Ungläubig riss sie die Augen auf und blickte Kathrin an.
»Du? Was willst du denn hier?«
Die jüngere Schwester verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln.
»Na, das ist ja net grad das, was man einen herzlichen Empfang nennt. Hallo, Burgl, ich bin’s, deine Schwester, und wenn mich net alles täuscht, dann ist das hier mein Heimathaus. Also ein kleines bissel könntest’ dich schon freu’n, mich wieder zu sehen.«
»Deine Heimat hat dich in den letzten vier Jahren ganz und gar net interessiert«, entgegnete Burgl. »Du wirst sicher versteh’n, dass sich meine Freude in Grenzen hält, nachdem du all die Zeit nix hast von dir hören lassen.«
Kathrin Brandstetter breitete die Arme aus.
»Mein Gott, jetzt spiel doch net die beleidigte Leberwurst«, sagte sie. »Ich hatte einfach zuviel um die Ohren und wirklich keine Zeit, mich mal zu melden.«
Sie ging auf ihre Schwester zu und umarmte sie, was Burgl nur widerwillig geschehen ließ.
»Komm, jetzt mach’ net so ein Drama daraus«, lachte Kathrin. »Jetzt bin ich ja da, und ich hoff’, dass ich net ungelegen komm’.«
Burgl verkniff sich die Antwort, die ihr auf der Zunge lag. Kathrin hatte sich mehr als schäbig verhalten, als sie damals darauf bestand, ihr Erbteil ausbezahlt zu bekommen. Sie wusste ganz genau, wie schwer es die Schwester hatte, das Geld aufzutreiben. Und aus lauter ›Dankbarkeit‹ hatte sie sich dann auch nicht wieder gemeldet.
Aber trotz allem – sie war ihre Schwester, und hier war nun mal ihr zuhause.
»Nein, nein, du kommst net ungelegen«, antwortete Burgl. »Wie lang’ willst’ denn bleiben?«
»Mal seh’n. Gibt’s denn mein altes Zimmer noch?«
Diese Frage gab der jungen Bäuerin einen leichten Stich. Noch gab es das Zimmer, in dem Kathrin fast zwanzig Jahre gewohnt hatte, doch schon bald nach der Hochzeit sollte ein Kinderzimmer daraus werden …
»Ich werd’s herrichten«, sagte sie. »Aber erstmal mach’ ich uns Kaffee.«
Auf dem Herd stand ein Topf. Kathrin hob den Deckel und schaute hinein.
»Gerstelsuppe!«, rief sie. »Himmel, wie lang’ hab’ ich die net mehr gegessen!«
»Sie ist noch net ganz fertig«, bemerkte Burgl. »Bis zum Mittag wirst’ noch warten müssen.«
Während der kurzen Unterhaltung hatte sie ihre Schwester gemustert. Kathrin sah wirklich gut aus, fast schon ein bissel zu mondän für hiesige Verhältnisse. Der Rock war recht kurz, die Bluse saß knapp und spannte sich über der üppigen Oberweite. Aber die Jüngere hatte schon immer einen anderen Geschmack gehabt, und sie hatte stets verstanden, andere damit zu beeindrucken.
Ganz besonders die Burschen …
Burgl setzte Kaffee auf und holte zwei Tassen aus dem Schrank. Sie stellte Milch und Zucker auf den Tisch.
»Hast’ Hunger?«, erkundigte sie sich.
»Magst’ was essen?«
»Ach, eigentlich net«, schüttelte Kathrin den Kopf. »Oder – was hast’ denn?«
Burgl ging in die Speisekammer und kam mit einem angeschnittenen Rührkuchen zurück, der vom Sonntag noch übrig geblieben war.
»Ja, backen konntest du schon immer«, lobte die Schwester nach dem ersten Bissen.
Sie deutete mit dem Kopf zum Fenster hinaus.
»Wie geht’s denn so auf dem Hof? Schaut ja alles sehr ordentlich aus.«
Was ganz bestimmt net dein Verdienst ist, hätte Burgl am liebsten gesagt, doch sie schluckte den Satz lieber hinunter und schenkte Kaffee nach.
*
»Und was treibst du so?«, fragte die junge Bäuerin. »Wo steckst’ denn überhaupt? Ich weiß gar net, wo du damals eigentlich abgeblieben bist.«
Kathrin Brandstetter lehnte sich zurück und kramte in ihrer Handtasche. Sie holte ein Päckchen Zigaretten und ein Feuerzeug heraus.
»Ich darf doch?«
Sie wartete eine Antwort gar nicht ab, sondern steckte eine Zigarette in den Mund und zündete sie an.
»Gibt’s einen Aschenbecher?«
Burgl stand auf und kramte im Küchenschrank. Irgendwo musste ein Aschenbecher stehen. Seit dem Tod des Vaters gab es niemanden auf dem Hof, der rauchte. Weder Xaver noch die Magd hatten geraucht, und Burgl hatte es nicht einmal probiert. Sie war froh, dass Max sich auch nichts aus Tabak machte.
»Ach, das ist ja Vaters Ascher«, bemerkte Kathrin. »Dass du den noch hast!«
»Warum hätt’ ich ihn denn wegwerfen sollen?«, gab Burgl gleichmütig zurück. »Aber wolltest’ mir net erzählen, was du eigentlich so treibst?«
Kathrin blies den Rauch in die Luft und nickte.
»Klar«, antwortete sie munter. »Du, ich hab’ eine kleines Geschäft in München. Eine Boutique für Damenmode. Aber net so was Plüschiges für alte Omis, sondern richtig schicke moderne Sachen. Hab’ ich mir damals mit dem Geld aus dem Erbe aufgebaut. Tja, und der Laden läuft richtig gut.«