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Buch

Man schreibt das Jahr des Herrn 1502. Mirza, die dreifarbige Glückskatze, wird auf das Niederträchtigste entführt. Als man sie endlich aus dem Sack lässt, findet sie sich in der Bibliothek des Klosters Knechtsteden wieder – hier soll sie die Mäuse fangen, die unermüdlich die alten Pergamente benagen. Schon bald fasst Mirza Zutrauen zu Pater Melvinius, dem Bibliothekar des Klosters. Allerdings muss sie bei ihren neugierigen Streifzügen durch Kreuzgang, Kräutergarten und Klosterkirche feststellen, dass sich seltsame Dinge in den heiligen Hallen abspielen. Da ist zum Beispiel Meister Clemens, der Freskenmaler der Kirche, der an manchen Tagen die roten und grünen Farbtöpfe plötzlich nicht mehr unterscheiden kann. Und warum zieht sich Bruder Arnoldus, ein echter Katzenhasser übrigens, mit der schönen Frau Johanna regelmäßig in die Apfelscheune zurück? Oder was hat der grobe Gärtnerbursche Meiko immer wieder in der Bibliothek herumzuschleichen? Daneben muss Mirza sich mit Diabolo, dem Streunerkater, zwei derben Schlägertypen aus den Ställen, dem bissigen Klosterhund und einem gefährlichen alten Luchs auseinandersetzen. Mirza, die allerlei heimliche Schleichwege zu Beichtstühlen, Zellen und Kellergewölben hat, sieht und weiß alles. Und kann dennoch nicht verhindern, dass eines Tages Gewalt und Verderben in die friedliche Welt des Klosters Einzug halten. Es kommt zu einem Überfall, einem Einbruch, einer Brandstiftung – und schließlich einem Mordversuch. Doch: Wie gut, dass es die scharfsinnige Mirza gibt – der es zusammen mit Pater Melvinius, »ihrem« Bibliothekar, gelingt, die Quelle des Bösen aufzudecken und ein altes Unrecht wiedergutzumachen...

 
Autorin

Andrea Schacht war lange Jahre als Wirtschaftsingenieurin in der Industrie und als Unternehmensberaterin tätig, hat dann jedoch den seit Jugendtagen gehegten Traum verwirklicht, Schriftstellerin zu werden. Ihre historischen Romane um die aufmüpfige Kölner Begine Almut Bossart (alle bei Blanvalet erschienen) haben auf Anhieb die Herzen unzähliger Leser erobert. Andrea Schacht lebt mit ihrem Mann und zwei Katzen in der Nähe von Bad Godesberg.

 

Von Andrea Schacht sind im Blanvalet Taschenbuch lieferbar:

Die historischen Romane um die Begine Almut:

Der dunkle Spiegel (36280) · Das Werk der Teufelin (36466, erscheint

Juni 2006) · Die Sünde aber gebiert den Tod (geb. Ausgabe 0204)

Die »Ring-Trilogie«:

Der Siegelring (35990) · Der Bernsteinring (36033) · Der Lilienring (36034)

Rheines Gold (36262)

Andrea Schacht

Die Lauscherin
im Beichtstuhl
Eine Klosterkatze ermittelt

Roman

 

 

 

 

 

 

 

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Datenkonvertierung eBook:

Kreutzfeldt Electronic Publishing GmbH, Hamburg

www.kreutzfeldt.de

 

 

1. Auflage
Originalausgabe April 2006 bei Blanvalet,
einem Unternehmen der Verlagsgruppe
Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Copyright © 2006 by Verlagsgruppe Random House GmbH
Covergestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign,
unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com

ISBN 978-3-641-01238-0
V003

 

www.blanvalet-verlag.de

 

Für Mira,
die mich während des Schreibens mit ihrem
inspirierenden Schnurren verwöhnt
und mit zahlreichen Mäusen versorgt hat.

Dramatis Personae
 

Mirza: die Heldin, dreifarbige Katze mit roten Ohren, die, wenn sie nicht von ihren tierischen Gefühlen gehindert wird, sehr logische Schlüsse ziehen kann.

Die alte Moen: die Mirza lehrte, mit den hübschen Goldscheibchen zu spielen, und nun leider ein Geheimnis mit ins Grab genommen hat.

Pater Melvinius de Penthièvre: der alte Gelehrte, dem es gelingt, das Vertrauen der klugen Katze zu gewinnen und einem groben Gärtnerburschen das Geheimnis seiner Herkunft zu entlocken.

Meiko: der geheimnisvolle Gärtnergehilfe, der viel zu gebildet für einen Handlanger ist, aber raue Hände hat und schwere Arbeit nicht scheut.

Sivert von Rommerskirchen: der jetzige Herr des Gutshofes, gut aussehend und von angenehmen Manieren, solange es ihm nützt.

Arnold van Beveland, Diakon Arnoldus: Siverts Freund aus Jugendtagen, der sich auf seine Weise um die Seelen von Rommerskirchen sorgt.

Ermine van Heege: Siverts zukünftige Verlobte, die recht delikate Dinge zu beichten hat.

Johanna van Heege: ihre Tante, die ebenfalls delikate Dinge zu beichten hätte, es aber wohlweislich nicht tut.

 

 

 

Kristin Hendrykson: die Freskenmalerin mit exquisitem Farbgefühl und großer Wandlungsfähigkeit. Clemens Hendrykson: ihr Bruder, dem rote Blumen und grüne Blätter einerlei sind.

Caroline von Stommeln: eine mildtätige Dame, die Familienverpflichtungen ernst nimmt.

Jehan: ein hübscher Jüngling, der noch an Wunder glaubt und Märchen liebt.

Die Druitgin: ein kundiges Kräuterweib, das um viele Märchen weiß.

Die Herrin der Quelle: die in den Märchen vorkommt.

Hermann Kerpen: Advocatus, auf Reisen.

Abt Ignaz: der auf Würde bedacht ist.

Bruder Alwin: der im Krankenzimmer wirkt. Bruder Everard: der über die Gärten wacht.

Elspet und Ines: zwei Klatschbasen in Rommerskirchen.

Katryn: das Wäschermädchen, das gerne tuschelt. Ihre Freundinnen: die auf das Getuschel hören.

Mattes: der Fassbendergeselle, der das Getuschel glaubt.

 
 
Weitere tierische Helden

 

Raguna: die weise alte Luchsin.

Engelbert: der faule Küchenkater.

Laus und Wanze: zwei Schlägertypen aus den Ställen. Diabolo: der Streuner mit dem rauen Wesen und dem weichen Kern, sehr schwarz.

Jako: der Hofhund, ein unangenehmer Charakter.

Das erste Kapitel

Die Morgensonne hatte sich über dem Wald erhoben und versprach eine brennende Hitze für den ganzen Tag. Genauso, wie auch die Tage des August zuvor heiß und trocken waren. Zwischen den Stoppeln der abgeernteten Felder formte der Wind kleine Staubwirbel, und das verdorrte Gras am Rain raschelte, wenn das Lüftchen darüber streifte. Ein paar zornige Wespen summten über einem faulenden Apfel, und ein aufgeschreckter Hase hoppelte im Zickzackkurs Richtung Hecke. Mühsam zog ein schweres Pferd einen Wagen über den Karrenweg, der aus dem Dorf hinaus wer weiß wohin führte.

Ich duckte mich, bis das Gefährt vorüber war. Unauffällig zu sein gehörte zu meiner zweiten Natur. Seit Anbruch der Morgendämmerung war ich bereits unterwegs, um meine Aufgaben zu erledigen. Nun hatte ich alles getan und war auf dem Weg zurück in die dämmerige Kühle meines Heims, um den Tag zu verdösen. Es war zu warm, um etwas anderes in Angriff zu nehmen.

Die strohgedeckte Kate wartete auf mich zwischen einigen weiteren Häusern, die eine breite, ausgefahrene Straße säumten. Ich selbst bevorzugte jedoch den Weg durch die Gärten. Erbsen und Bohnen, an Stangen hochgebunden, reiften dort, Zwiebeln und Lauch verbreiteten ihren unangenehmen Geruch, Lavendel und Thymian einen etwas besseren, und ein knorriger Birnbaum spendete wohltuenden Schatten. Zwischen den breiten Blättern der Kapuzinerkresse lugten leuchtende Blüten hervor, und an der Hauswand rankte sich das Geißblatt empor. Ein aus groben Zweigen geflochtener Zaun hinderte die kleine Hühnerschar daran, das ihnen bestimmte Areal zu verlassen. Er hinderte jedoch mich nicht daran, mit einem eleganten Sprung darüber zu setzen. Gackernd stoben die braunen Hennen davon, als ich zwischen ihnen landete. Es verwunderte mich, dass für sie noch keine Körner ausgestreut waren. Gewöhnlich erhob sich die alte Moen mit der Sonne und kümmerte sich um Haus und Hof. Auch der hölzerne Wassereimer stand noch unbenutzt neben dem Brunnen, und der Reisigbesen lehnte müßig an der Wand neben der Tür.

Hier stimmte irgendetwas nicht.

Der Fensterladen stand jedoch offen, und ich begab mich in das Innere der geräumigen Hütte. Ich hatte sie immer als eine recht komfortable Unterkunft empfunden. Der Dielenboden war sauber gefegt, der Tisch geschrubbt, eine irdene Schale mit Sommerblumen stand auf einer schweren Holztruhe. Neben dem Kamin war das Feuerholz aufgeschichtet, der geschwärzte Kessel mit dem Morgenbrei hing an seinem Haken. Es brannte aber kein Feuerchen darunter.

Es stimmte also wirklich etwas nicht.

Aus dem zweiten Raum der Hütte drang kein einziges Geräusch. Auch das beunruhigte mich. Denn wenn die Moen schlief, dann lauthals. Man könnte auch sagen, sie schnarchte wie ein Pechsieder. Und wie die schnarchen konnten, hatte ich oft genug im Wald mitbekommen.

Ich sah also nach ihr und fand sie, in ihrem braunen Kleid und der weißen Schürze, die sie immer so sorgsam wusch und glättete, untätig in ihrem Sessel neben dem Bett sitzen. Das war sehr ungewöhnlich.

Vorsichtig näherte ich mich ihr und äußerte kleine Begrüßungsworte.

Sie reagierte nicht darauf.

Sie sah noch nicht einmal auf. Ihr Kopf war ihr auf die Brust gesunken, der Haarzopf hing ihr, unordentlich vom Schlummer, über die Schulter, und ihre Hände hielt sie gefaltet im Schoß.

Ich umrundete sie noch einmal, dann stupste ich sie an.

Sie reagierte nicht.

Mich beschlich eine gewisse traurige Ahnung. Sie wurde bestätigt, als ich mich auf ihre Knie begab und achtsam lauschte.

Das regelmäßige Klopfen ihres Herzens hatte aufgehört.

Die alte Moen war tot.

Darüber musste ich nachdenken.

Ich tat es in meiner Lieblingsecke in dem dritten Raum der Hütte, dort, wo sie die Kräuterbüschel zum Trocknen an die Decke gehängt hatte. Es duftete gut dort, und bedauerlicherweise döste ich überm Denken ein. Manchmal passiert mir das leider.

 

Eine Männerstimme weckte mich. Eine fremde Stimme!

»Moen! Moen, meine Alte. Was sind denn das für neue Sitten? Mitten am Tag ein Schläfchen zu machen!«

Ich machte mich klein und unauffällig und spähte durch die halb geöffnete Tür. Der Mann war groß und knochig. Er trug ein grob gewebtes Hemd und ebensolche Hosen, hatte hohe, erdverkrustete Stiefel an den Beinen und einen derben Gürtel umgeschnallt. Die Haare hingen ihm wirr in den Nacken, sein Gesicht war stoppelbärtig, von der Sonne dunkel gebrannt, sodass seine graugrünen Augen hell darin leuchteten. Die aufgerollten Ärmel zeigten muskulöse, gebräunte Arme. Ein Bauer wahrscheinlich. Oder ein Fuhrmann. Auf jeden Fall stammte er nicht aus dem Dorf, sonst hätte ich ihn erkannt.

»Moen? Oh, mein Gott, Moen. Das darf nicht wahr sein!«

Er fühlte nach ihrem Herzschlag und lauschte auf ihren Atem. Aber ich wusste ja schon – da war nichts mehr.

»Ach, Moen, meine arme Alte. Gerade jetzt musste es geschehen.«

Er stand einen Moment mit gesenktem Kopf und gefalteten Händen an dem Sessel. Dabei fiel mir auf, dass ihm an der linken Hand der kleine Finger und der halbe Ringfinger fehlten.

Nach einer Weile rührte er sich wieder und machte sich sehr zielstrebig daran, die Hütte zu durchsuchen. Das stimmte mich außerordentlich misstrauisch. Die Moen mochte es nämlich gar nicht gerne, wenn man bei ihr herumschnüffelte. Er öffnete ihre Truhen und Kästen, schaute in den Alkoven, in dem sich ihr Bett verbarg, lugte unter die Kissen und hob sogar die Strohmatratze an den Ecken an. Er tastete mit der Hand die Dachsparren ab und klappte die Läden auf und zu. Ein sehr seltsames Benehmen. Dann kehrte er zu der Moen zurück. Er schien recht kräftig zu sein, denn jetzt hob er den leblosen Körper der alten Frau mühelos hoch und bettete ihn auf ihr Lager. Sanft zog er die Decke über sie.

Zuletzt untersuchte er noch den Sessel, auf dem sie eingeschlafen war. Dann näherte er sich meiner Ecke, wohl in der Absicht, hier in alle Töpfe und Kisten, Körbe und Kiepen zu schauen. Ich schlich mich geduckt an der Wand entlang zum Kamin. In der Stube hockte ich mich hinter das Feuerholz und beobachtete ihn weiter.

Während er weiter stöberte, entdeckte ich das schimmernde Scheibchen. Ach ja, das war ein lustiges Spiel, das die alte Moen mir beigebracht hatte. Wenn man es richtig machte, dann kullerten diese runden Dinger über den Boden. Und sie hatte mich immer gelobt, wenn es mir gelang, eines davon in die Ritze zwischen den Dielenbrettern neben dem Kamin zu schnicken. Es fiel dann mit einem leisen »Pling« nach unten. Ein hübsches Geräusch. Wir hatten das Spiel gestern Abend noch gespielt, und dieses Scheibchen hatte ich wohl übersehen.

Gewandt wie ich nun mal war, gelang es mir in kürzester Zeit, auch dieses letzte Spielzeug an die richtige Stelle zu schubsen.

»Pling«, sagte es.

Der Mann wurde auf mich aufmerksam.

»Eine Katze!«, stellte er fest, was ich bestätigen konnte. Das bin ich nun mal. Es hörte sich auch erfreut an, denn er fügte hinzu: »Du bist ein Geschenk des Himmels, Kleine. Du kannst zumindest den größten Schaden abwenden!«

Dann aber machte er sich höchst unbeliebt bei mir. Ehe ich michs versah, warf er eine Decke über mich und wickelte mich fest darin ein. Ich konnte zappeln, wie ich wollte, ich kam nicht heraus. Dann wurde ich in einen Korb gepackt, der eine lange Zeit furchtbar hin und her schwankte.

Mir war gar nicht gut.

 

Endlich hörte das Schwanken auf, und die Decke lockerte sich. Ich krabbelte sofort heraus und fauchte zornig. Dabei sah ich mich um, um so bald wie möglich die Flucht ergreifen zu können. Aber, verflixt, hier war ich ja noch nie gewesen! Was war das denn für ein Stall? Vier Wände, vier Fenster, viel Holz und der durchdringende Geruch nach trockenem Staub, altem Leder und feuchter Tinte. Ich sprang auf ein Bord an der Wand, auf dem einige Bücher lagen, und machte mich so gut es ging unsichtbar. Doch der Mann, der mich so brutal entführt hatte, stand neben einem Pult und sah mich mit kalten, durchdringenden Augen an. Ich hasste ihn. Um ihm das klar zu machen, starrte ich ihn in Grund und Boden.

Er hatte den Anstand, nach kurzer Zeit wegzublicken.

»Ah, Meiko, was hast du denn da mitgebracht?«, fragte eine ebenfalls staubige, alte und trockene Stimme. Ich drehte mich abrupt zu ihr hin. Ein großer, hagerer Mann in einer langen, weißen Kutte war in den Raum getreten und streifte mich mit einem Lächeln im Blick.

»Die Antwort auf Eure Probleme, Pater Melvinius. Sie wird die Mäuse fangen, die die wertvollen Pergamente hier in der Bibliothek annagen.«

»Keine schlechte Idee, Meiko. Wie bist du zu ihr gekommen? Du hast sie doch hoffentlich nicht einem Besitzer abgenommen?«

Besitzer, was für ein Blödsinn. Eine Katze wird doch nicht besessen!

»Sie lebte in dem Haus der alten Moen, drüben in Dellenhofen. Aber die Moen ist heute Nacht gestorben, und ich dachte, bevor sie zur Streunerin wird, kann sie Euch hier nützlich sein. Nahrung wird sie genug finden!«

Mit seiner verunstalteten Hand strich Meiko ganz unerwartet sanft über den ledernen Einband eines Buches.

»Seht, selbst hier haben die Nager schon ihre Spuren hinterlassen.«

»Ja, es ist eine Schande, da hast du Recht. Aber woher kennst du denn die alte Moen?«

»Der Bruder Gärtner – äh – meinte, sie habe einen winterharten Thymian. Ich wollte ihr ein Pflänzchen abschwatzen.«

Schamloser Lügner, der! Der Thymian wuchs im Garten, er aber hatte das Haus durchsucht! Ich wollte noch einmal empört fauchen, aber da kam der Pater noch etwas näher und streckte langsam die Hand nach mir aus. Ich machte eine ebenso langsame Rückwärtsbewegung.

»Keine Angst, meine Kleine, keine Angst.«

Er hatte eine seltsame Art zu sprechen. Nicht so wie die Moen oder die Dorfbewohner. Er verwendete dieselben Worte wie sie auch, aber sie klangen anders aus seinem Mund. Weicher vielleicht, ein wenig melodischer. Es gefiel mir, wenn ich ehrlich sein wollte. Er hatte ein von Falten durchzogenes Gesicht, das den trockenen, dünnen Lederhäuten, die hier zu Hauf herumlagen, sehr ähnlich war. Seine Haare hingegen waren schneeweiß und bis auf die hohe Stirn noch voll und üppig; sie lagen leicht gelockt auf seiner Schulter. Auch sein Bart schimmerte weiß und wellte sich bis über seine Brust. Die Augen, die mich unter halb gesenkten Lidern nicht unfreundlich musterten, waren hellblau mit einem dunklen Rand, und ich konnte das Gefühl nicht loswerden, sie müssten schon ungewöhnlich viel gesehen haben.

»Du bist eine hübsche Katze, Kleine, und wir sollten deshalb auch einen hübschen Namen für dich finden, nicht wahr?«

Name ist gut, dachte ich. Das gibt einem Persönlichkeit. Natürlich kannte ich meinen eigenen Namen – jede Katze hat einen, doch der wird nicht bereitwillig preisgegeben. Für das Zusammenleben mit Menschen tat es einer, den sie wählten. Er war ohnehin meist aus unserer Sprache entlehnt, soweit sie sie denn beherrschten. Miez, Maunz, Mieschen riefen sie uns zumeist. Die Moen war etwas einfallsreicher gewesen. Oder sie hatte besser hingehört. Sie nannte mich Mirza. Ich murrte leise »Mirrr-zaah« zu dem weißen Mann, und er sagte: »Mirza«. Kluger Kerl.

»Tja, Meiko, damit scheint die Sache besiegelt zu sein. Ich werde dafür sorgen, dass Mirza hier ein neues Zuhause hat. Hast du die Angehörigen der Moen verständigt?«

»Nein, ich kenne sie nicht. Aber ich habe den Nachbarn Bescheid gegeben. Sie werden für alles Weitere sorgen. Und jetzt werde ich mich wieder um den Garten kümmern, Pater Bibliothecarius!«

Ohne sich von mir zu verabschieden, stapfte der Stoffel aus der Bibliothek. Ich blieb mit Pater Melvinius alleine. Noch immer hatte ich meinen Platz auf dem Bord nicht verlassen.

»Ich kann mir vorstellen, dass du ein wenig verängstigt bist. Meiko hat dich eingefangen und dich hergeschleppt. Du wirst wohl ein paar Tage lang dein altes Heim vermissen.«

Ziemlich verständnisvoll, der Alte. Jetzt brauchte er eigentlich einfach nur die Tür aufzumachen und mich in den Sonnenschein hinauszulassen. Aber das war nicht sein Bestreben. Stattdessen hielt er mir wieder seine Finger vor die Nase. Na gut, ich tat ihm den Gefallen und schnüffelte daran. Wie nicht anders zu erwarten – trockenes Leder, Pergament, Tinte. Immerhin nicht zu unangenehm. Ich ließ mir ein leichtes Kraulen gefallen. Das konnte er recht gut.

»Du bist schön, meine Freundin! Aber es sind ziemlich viele Flecken an dir!«, murmelte er und schien belustigt. Warum, verstand ich nicht. Natürlich sind Flecken an mir. Meine eigentliche Fellfarbe ist ja weiß. Aber ich habe sehr dekorativ über den Körper verteilt einige rote und schwarze Stellen. Ein besonders eleganter schwarzer Streifen zieht sich zwischen den Augen bis zu meiner Nase hin, die deshalb auch schwarz ist. Beide Ohren leuchten rot, der Bauch schimmert selbstverständlich reinweiß, der Rücken ist gefleckt und der Schwanz wiederum vollkommen schwarz. Lange Zeit, das muss ich gestehen, war mir gar nicht klar, dass er zu mir gehört.

»Tiere mit roten Ohren, so sagt man in meiner Heimat, sind Grenzgänger zur Anderwelt. Bist du eine Feenkatze, Mirza?«

Kommen wir nicht alle aus einer anderen Welt? Was für ein überaus seltsamer Mann. Er sprach mit mir, was nicht viele Menschen tun. Und er schien sogar einen gewissen Instinkt für die richtige Perspektive zu haben. Ich drückte vorsichtig meinen Kopf gegen seine Hand.

»Wir werden gut miteinander auskommen, Mirza. Jetzt schau dich ein wenig in diesem Raum um. Ich bin mir sicher, du findest ein paar interessante Mauselöcher hinter den Regalen.«

Er ließ mich allein, und – nun ja, die Neugier siegte mal wieder. Ich nahm mein neues Heim gründlich in Augenschein.

Zwei fette Mäuse fielen mir ganz nebenbei zum Opfer.

Dann hockte ich mich ans Fenster. Erst hatte ich ja gedacht, es sei offen, denn man konnte so einfach hindurchschauen. Doch ich stieß mir meine Nase an dem kalten, harten, durchsichtigen Zeug, mit dem sie es verschlossen hatten. Sehnsüchtig also starrte ich hinaus über die grünen Weiden, die Apfelbäume, die Hecken bis hin zu den Stoppelfeldern. Würde ich nie wieder meine Pfoten auf federndem Gras spüren, nie wieder den weichen Waldboden aufscharren, nie wieder die Krallen an dem borkigen Stamm eines Baumes wetzen?

Auch an die Moen dachte ich mit Wehmut. Sie war, obwohl nur eine Menschenfrau, mir doch so etwas Ähnliches wie eine Mutter. Ich erinnerte mich nur noch dunkel an meine leibliche Mutter, die mich genährt und mir die ersten Schritte beigebracht hatte, mir dann aber, als ich einigermaßen gut zurecht kam, doch anempfahl, mir meine eigenen Mäuse zu fangen. Irgendwo in den Ställen hätte ich schon eine Möglichkeit gefunden, aber es war die Moen, die mich in ihre Schürze packte, mir mit ein paar leisen Gurrlauten zu verstehen gab, dass ich ihr vertrauen dürfe, und mich in ihre Hütte mitnahm. Ihre Finger, die mich kraulten und kratzten, waren fast so angenehm wie Mutters Zunge, ihre Spiele beinahe so interessant wie die mit anderen Katzen, und vor allem gab sie mir, auch nachdem ich schon selbst mausen konnte, noch immer von ihrer Beute ab.

Nun war sie tot, und ich hatte Heim, Zuwendung und Freiheit verloren.

Trübsinnig starrte ich nach draußen.

»Hier, schau her, Mirza! Meiko hat für dich eine Kiste mit Sand zurecht gemacht. Und ich habe für dich das hier mitgebracht.«

Die Stimme holte mich wieder in die Gegenwart zurück und machte mich auf das nahe Liegende aufmerksam. Einen Augenblick lang war ich mit mir selbst nicht ganz einig darüber, welchem Bedürfnis ich zuerst nachgeben sollte. Ich verspürte beides – Hunger und den Drang, mich zu erleichtern. Unschlüssig zuckte mein Schwanz.

Ich entschied mich zuerst für die Kiste und dann für die Schüssel mit Milch.

Pater Melvinius lachte.

»Meiko ist ein kluger Kerl, was? Für einen Gärtnerburschen schon fast zu klug. Man sollte meinen, die Bücher hier lägen ihm mehr am Herzen als seine Gemüsepflanzen, die Apfelbäume und die Kräuter. Aber er ist ja erst eine Woche hier bei uns im Kloster, und man soll nicht vorschnell urteilen.«

Meiko, mein Entführer, ein Gärtnerbursche? Der Mann gab mir, genau wie dem Pater, ein Rätsel auf. Sicher, er trug einfache Kleidung und hatte Lehm an den Füßen. Seine Hände waren rau und sein Körper stark. Aber ich war mir ganz sicher, dass ich ihn zuvor schon einmal gesehen hatte. Es lag irgendwie an seinen Bewegungen oder in seiner Haltung, dass er mir bekannt vorkam. Sie glichen nicht denen eines Bauern oder Tagelöhners, eines Gärtners oder Fuhrmanns. In einer mondhellen Nacht, einige Tage zuvor, meinte ich, ihn schon einmal getroffen zu haben. Ich hatte auf der Brunnenmauer gesessen, und das Licht des Mondes war auf ihn gefallen, als er ganz in meiner Nähe um sich schaute. Da hatte er jedoch auf einem edlen Pferd gesessen, und seine Kleidung war alles andere als bäuerlich gewesen. Außerdem hatte er einen zweiten, sehr jungen Mann bei sich, der ebenfalls ein Pferd ritt und nicht gerade wie ein armer Lump gewandet war.

Dieses geheimnisvolle Verhalten machte ihn mir nicht sympathischer.

Trotz meines wohlig gefüllten Magens rollte ich mich grollend auf einem roten Bucheinband zusammen und trauerte meiner Freiheit hinterher.

Es schien, als habe Meiko mit seiner ruchlosen Tat ein Kapitel meines Lebens für immer beendet.

Ein abgeschlossenes Kapitel

Sieben Tage hielt ich es in der Bibliothek aus. Ich weiß es genau, denn im Zählen sind wir Katzen gut. Schließlich müssen wir ein Auge auf unsere Jungen haben. Ich hatte mal vier. Bis acht schaffe ich es spielend, zu zählen, darüber hinaus geht es in den Schätzbereich.

Also gut, sieben Tage hielt ich es in dem muffigen Raum aus, Pater Melvinius zuliebe. Auch weil die Mausausbeute wirklich recht passabel war. Der alte Mann war gut zu mir, fast noch aufmerksamer als die Moen, die ja nur ihre Kate geputzt hatte und sich um die Hühner kümmerte. Er hingegen verbrachte viele Stunden an seinem Lesepult, eine seltsame Konstruktion auf der Nase, über die hinweg er mir gelegentlich zublinzelte, wenn ich einen Nager aufstöberte. Nur einmal hatte er vorwurfsvoll die Stimme erhoben. Da hatte ich nämlich versucht, dieses Ding von dem Pult zu schubsen, um damit zu spielen. Die Brille, so nannte er es, sei zerbrechlich, und ich dürfe sie nicht berühren. Na gut, dann spielte ich eben mit den Mäusen. Da ich seit Neuestem häufig richtig satt war – denn er brachte mir abends immer einen Teller mit Fleischstückchen mit – trug ich die erlegten Mäuse schon mal zu ihm hin, damit er auch etwas zu kauen hatte. Er lobte mich zwar, fraß sie aber nicht. Na gut, das ist wohl Geschmackssache.

Oft, wenn ich mich nach der Mahlzeit sauber geputzt zu ihm gesellte, lud er mich doch tatsächlich ein, auf seinem Schoß Platz zu nehmen. Es war angenehm dort. Seine Kutte bestand aus ungebleichter, aber sehr weicher Wolle, schön griffig, wenn man abzurutschen drohte, und roch ein bisschen nach Kräutern und Weihrauch. Und nach Mensch, aber das war ja normal. Nett von ihm war es, mit mir zu plaudern. Hin und wieder sprach er mich direkt an und erkundigte sich nach meinem Wohlbefinden. Dann antwortete ich ihm in meiner Sprache, wobei ich jedoch vermutete, dass er sie nicht besonders gut verstand. Vor allem aber genoss ich es, wenn er mir mit halblauter Stimme etwas vorlas, was da in seinen Büchern geschrieben stand.

»›Nenne mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Helden, welcher so weit geirrt...‹«, rezitierte er zum Beispiel gerade leise an jenem späten Nachmittag, als plötzlich dieser verlogene Gärtnerbursche wieder in die Bibliothek hineinplatzte. Er brachte einen Korb mit und erkundigte sich hämisch, ob ich meinen Aufgaben zur Zufriedenheit nachkäme. Wahrscheinlich wollte er mich bei unzureichender Leistung wieder in den Korb stopfen und irgendwo ersäufen. Männer wie er machten das. Meine ersten Kinder hatten dieses Schicksal erfahren. Die Galle kochte mir hoch, und ich fauchte ihn mit einem vernichtenden Blick an.

»Mirza ist eine zuverlässige Mauserin, Meiko. Dieses neue Buch ist auch bisher völlig unversehrt geblieben.« Melvinius, der Gütige, zeigte auf den dicken Folianten, der auf seinem Lesepult lag. »Ein kostbares Werk. Homers Odyssee. Unser Abt Ignaz hat es vor kurzem von dem Herrn von Rommerskirchen erworben.«

»Ach ja? Rommerskirchen? Das Gut liegt hinter dem Waldstück, das sich an die schwarzen Gärten anschließt, nicht wahr?«

»Ganz richtig. Bist du schon ein wenig in der Gegend herumgekommen?«

»Nicht viel, Pater Melvinius. Ich habe meine Aufgaben zwischen Kohl und Mohrrüben. Das reicht mir.«

»Und dieser Korb, Meiko?«

»Enthält ein paar Birnen und Äpfel für Euch. Sie sind gerade richtig reif geworden.«

»Sehr aufmerksam von dir, mein Junge.«

»Ja, dann gehe ich mal wieder.«

Ziemlich abrupt verließ der Tölpel den Raum. Melvinius aber erhob sich und schaute ihm durch das Fenster nach. Ich sprang auf den Sims und verfolgte seine Blicke.

»»Nenne mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Helden, welcher so weit geirrt nach Trojas Zerstörung‹«, flüsterte der alte Mann versonnen. »Vielgewandert und weit geirrt ist er wohl, unser Meiko, aber ist er auch ein Held? Und welches Troja wurde ihm zerstört, Mirza? »Der vieler Menschen Städte gesehen und Sitten gelernt hat und auf dem Meere so viele unnennbare Leiden erduldet, seine Seele zu retten...‹ Ich frage mich oft, was ihn hergetrieben hat.«

Ich nicht.

Meinetwegen hätte er in Troja oder auf dem Meer bleiben können.

Aber da Melvinius ein freundlicher Mann war, rieb ich meinen Kopf an seinem Kuttenärmel, gurrte leise Zustimmung, und er dankte es mir, indem er mich an der Stelle zwischen den Ohren kratzte, die ich selbst bei bestem Willen nicht mit der Zunge erreichen konnte. Ich wechselte zum Dank dafür zum Schnurren über.

Kurz und gut, es war recht gemütlich in der staubigen Bibliothek, und der schmerzliche Verlust meiner Freiheit begann weniger bitter zu schmecken, denn die Milch war süß, die mir hier täglich gereicht wurde.

 

Aber dann wachte ich das nächste Mal in der Frühe auf und fühlte den unbändigen Drang, mich unter meinesgleichen zu begeben. Vornehmlich unter den männlichen Teil der kätzischen Bevölkerung. Es war ein überwältigendes Gefühl, und ich kratzte wie wild am Fensterrahmen und an der Tür. Pater Melvinius kam mit meiner Morgenmilch, und ich versuchte, an seinen Füßen vorbei hinauszuschlüpfen. Er hatte das aber wohl vorhergesehen und verstellte mir den Weg. Ich verlegte mich aufs Bitten. Ich gurrte und schnurrte und wälzte mich vor ihm auf dem Rücken hin und her.

»Ei, Mirza? Jetzt noch rollig? Das ist aber sehr unzeitgemäß!«

Was lag mir schon daran, wie unzeitgemäß es war. Im Frühjahr hatte die Moen mich eingesperrt, als es so weit war, und ich musste völlig frustriert den köstlichen Gesängen der Kater von der Kräuterkammer aus zuhören. Das passierte mir nicht noch einmal!

Im Grunde bin ich ein phlegmatischer Charakter. So hatte Melvinius mich zumindest eingestuft, als er einmal etwas über die vier Temperamente nachgelesen hatte. Aber jetzt kochte das Blut heiß in meinem Körper. Vor allem am hinteren Ende. Als am Nachmittag zwei der Novizen in die Bücherstube kamen, um sich von dem Pater Bibliothecarius ein paar Werke aushändigen zu lassen, gelang es mir, zwischen ihren Kutten hindurchzuschlüpfen und aus der Tür zu entwischen. Damit war ich zwar noch nicht im Freien, aber wo ein Wille ist, findet sich auch ein Weg. Zunächst einmal befand ich mich in einem von hohen Gebäuden umgebenen, viereckigen Hof, der sauber gepflastert war. Nur ein Brunnen unterbrach die Eintönigkeit dieses öden Platzes. Aber direkt gegenüber dem Ausgang, den ich eben benutzt hatte, gab es eine weitere Tür, und aus der duftete es nicht schlecht. Ich überquerte sehr hastig den Hof, denn hier gab es keine Deckung. Schwups, war ich in dem interessanten Raum und erkannte auch gleich die Quelle des Wohlgeruchs. Hühner brieten am Spieß im Kamin. Und noch besser, ein grauer Kater lag faul ausgestreckt in einer Ecke. Himmlisch! Ich schritt mit kleinen Locklauten und erhobenem Schwanz auf ihn zu, um ihn näher kennen zu lernen.

Er hob müde ein Lid über einem blauen Auge und schloss es sofort wieder. Beleidigt bremste ich meine Schritte. Was war das denn für ein Verhalten? Da kam ich, ganz Rasseweib, auf ihn zu, signalisierte aus allen Fellspitzen Paarungsbereitschaft, und der trübe Hänger befand es noch nicht einmal für nötig, aufzusehen. Dafür gab er einen selten dämlichen Spruch von sich: »›Wenn ihr eine Frau seht, lasst euren Blick nicht lüstern auf ihr ruhen. Wenn ihr ausgeht, kann euch natürlich niemand verwehren, Frauen zu sehen, wohl aber ist es schuldhaft, eine Frau zu begehren oder von ihr begehrt werden zu wollen. Denn nicht nur die Gebärden der Zuneigung, sondern auch die Augen erregen in Mann und Frau die Begierde zueinander.‹ So heißt es in der Klosterregel zur Keuschheit. Ich halte mich daran. Ist nicht persönlich gemeint, Kätzin!«

Keuschheit? Also wirklich...!

Ich schwenkte meinen Schwanz noch mal vor seiner Nase herum, aber er war wieder ins Dösen verfallen.

Na, dann eben nicht.

Ich zog, mit dem Hintern provozierend wackelnd, ab, um durch die offene Tür in den Sonnenschein zu treten. Ahhh, pulste nicht das Blut so begehrlich durch meine Adern, ich hätte die Freiheit in vollen Zügen genossen. So aber war ich ein wenig einseitig interessiert und schlenderte schnüffelnd, lauschend und weiterhin kleine lockende Laute von mir gebend den Kiespfad entlang. Doch, es gab Kater in diesem Revier. Ich nahm ihre Botschaften an den Steinen und Büschen wahr.

Da sah ich sie. Zwei Grautiger. Betont gleichgültig näherten sie sich mir. Ich zierte mich ein wenig. Einer wagte es, einen Schritt näher zu kommen, als es die guten Sitten in diesem Stadium erlaubten, und ich knallte ihm eine. Kreischend machte er einen Satz rückwärts. Ich setzte meinen Weg fort. Die beiden folgten mir. Der andere versuchte, als ich mich eben umsah, mir von hinten zu kommen. Meine Kralle war schneller, als er dachte. Mit einer Schramme auf der Nase belehrt, zog er sich zögernd zurück. Unverschämte Bengel. Ich war hier die Königin, ich wählte Mann und Zeitpunkt! Ein weiterer struppiger Geselle tauchte aus dem Gebüsch auf, und die drei beharkten sich unter Gejaule und Gekreische erst einmal gegenseitig. Wieder versuchte einer von ihnen, sich ungebührlich nahe an mich heranzumachen.

Tatzenhieb und Ruhe.

Wenn ich es mir recht betrachtete, gefiel mir keiner von den Freiern. Mir gefiel aber, wie sie sich um mich rauften. Das tat dem Selbstbewusstsein gut. Ich gurrte, und um sie noch etwas mehr aufzuheizen, rollte ich mich auch noch einmal sinnlich auf den Rücken. Ihnen fielen beinahe die Augen aus dem Kopf, und sie sabberten vor Begierde.

Wieder auf die Pfoten und zwei von ihnen verprügelt. Schwanz hoch und weitergeschlendert.

Dann passierte es. Ich hatte zwar aus dem Augenwinkel einen dunklen Schatten beobachtet, aber nicht genau hingesehen. Plötzlich war er da, der schwarze Kater. Er hatte nur noch ein gelbes, hinterhältig funkelndes Auge und ein ziemlich zerfetztes Ohr. Aber er war groß und sehnig. Und er war verdammt schnell.

Mein Schwanz, dieser Verräter, fiel zur Seite und bedeutete ihm, was ich ihm nicht sagen wollte. Er sprang mich an, grub seine Zähne in meinen Nacken und zwang mich damit, in eine kurzzeitige Starre zu verfallen. Er nutzte es weidlich aus, dieser Mistkerl!

Ganz offensichtlich machte es ihm auch nichts aus, als ich ihn anschließend kreischend und spuckend mit allen Krallen und Pfoten verprügelte, bis die schwarzen Fellflocken nur so flogen.

»Was ist hier los, zum Teufel?«, schrie eine Männerstimme, und Steine prasselten auf uns ein. Der Kater setzte mit langen, geschmeidigen Sprüngen zur Flucht an, und ich duckte mich hinter einen Busch.

Die innere Hitze war gründlich abgekühlt.

Meine Wut nicht. Ich hasse es, entführt oder überwältigt zu werden. Und mit Steinen beworfen zu werden ist auch nicht die feine Art. Ich schwor Rache!

Aber nicht sofort. Erst einmal sortierte ich meine Sinne und begann, mich in meiner neuen Freiheit zu orientieren, wie es jede vernünftige Katze in unbekanntem Gebiet tat. Also, hinter mir ragte dieses riesige steinerne Gebäude auf. Von Melvinius wusste ich inzwischen, dass es ein Kloster war und von Männern, die sich Prämonstratenser nannten, bewohnt wurde. Knechtsteden hieß der Ort, und das höchste Bauwerk, das geradezu in den Himmel ragte, war die Basilika. Als ich zu dem Turm aufschaute, wurde mir beinahe schwindelig. Dennoch zog die Kirche mich an, und ich näherte mich den massigen Steinmauern vorsichtigen Schrittes. Es war ruhig hier, Menschen waren nicht zu sehen, wenngleich ihre Anwesenheit nicht zu überhören war. Irgendwo hämmerte es, links von mir wurde Holz gehackt, weiter vorne rumpelte ein Wagen vorbei, hinter einer halbhohen Mauer klang rhythmisches Gemurmel von mehreren Stimmen gleichzeitig, und ein leiser Gesang traf mein Ohr. Der hörte sich noch mit am hübschesten an, also verfolgte ich ihn bis zu seiner Quelle zurück. Die befand sich in der Basilika, deren Tür weit offen stand.

Ich war noch nie in meinem Leben in einem derartig großen Gebäude gewesen. Von oben, aus dem hohen Gewölbe an der Westseite, sah ein Mann mit starrem Blick auf mich herab, und ich duckte mich entsetzt an einer Säule zusammen. Ich mag dieses drohende Starren nicht. Aber so langsam dämmerte mir, dass der nicht ganz echt war. Er und auch die Gesellen, die sich unter ihm versammelt hatten, bewegten sich kein bisschen, als ich mein warnendes Brummen anstimmte. Allmählich gewöhnte ich mich an die Umgebung und traute mich hinter der Säule hervor. Alles strebte irgendwie nach oben, wo aus den Fenstern das Sonnenlicht in breiten Streifen nach unten fiel. Ein süßer, leicht betäubender Weihrauchgeruch hing in der Luft. Vorsichtig näherte ich mich der Stelle, wo von dem bunten Bild hoch droben die Falten weiter Vorhänge fielen. So etwas eignet sich immer besonders gut, um sich dahinter zu verstecken.

Es war eine herbe Enttäuschung; die Vorhänge waren genauso wenig echt wie die komischen Gestalten. Sie waren einfach auf die Wand gemalt. Also wieder eine Säule aufgesucht, um dahinter Mut zu fassen.

Da war diese Stimme, recht tief, aber eindeutig eine Frauenstimme, soweit ich das beurteilen konnte. Ich sah aber keine Frau in dem Raum. Das Singen erklang hinter weiteren groben Leinenvorhängen, die zwischen den Säulen auf der gegenüberliegenden Seite herabhingen. Aber davon wollte ich mich nicht schon wieder foppen lassen. Ich blieb sitzen und beobachtete die Wand. Plötzlich bewegte sich der Vorhang, und ein Mann in kurzem Kittel, Hosen und einer langen, buntbeklecksten Schürze trat hervor. Er trug außerdem ein grünes Barett auf seinen kurzen, rotbraunen Locken. Mit kritischem Blick betrachtete er etwas, das sich hinter dem Vorhang verbarg. Er war echt, und das Leinen war es auch. Ich muss sagen, das beruhigte mich einigermaßen. Und als der Stoff sich wieder hinter ihm schloss, musste ich mich selbstverständlich hindurchducken, um zu prüfen, was sich dahinter abspielte.

Der Mann saß auf einer Bank und rührte in einem Tiegel etwas um und summte dabei vor sich hin. Was mich aber vollkommen in Bann schlug, war der Ausblick hinter ihm. Da endete nämlich das steinerne Gebäude und gab zwischen zwei Säulen die Sicht auf eine wundervolle Landschaft preis. Ah, auf diesen grünen Wiesen wollte ich mich tummeln, an diesem Bächlein klares Wasser schlabbern, unter diesen schattigen Farnen ruhen. Ich trabte darauf zu und – stieß mir mal wieder die Nase an der Wand.

Verdammter Mäuseschiss!

Und dieses Mannweib lachte auch noch.

»Das, Kätzchen, war eines der größten Komplimente, die mir je gemacht wurden. Hast du gedacht, da geht es nach draußen?«

Klar. Was sonst? – Menschen!

Ich zog mich beleidigt zurück.

Aber dennoch verließ ich die Basilika nicht. Dafür war ich viel zu neugierig. Ich beobachtete den jungen Weiß-nicht-was bei seinem Tun. Er war der Verursacher der Täuschung. Er bemalte die Wand. Jetzt erkannte ich auch meinen Irrtum. Ein Teil war nämlich mit ziemlich feuchtem, weißem Putz bedeckt, auf dem jedoch mit feinen Linien schon die Umrisse dessen, was später so naturgetreu mit Farben ausgelegt werden sollte, vorgezeichnet waren. Mich beachtete die Person nicht weiter, sondern arbeitete geschwind mit Pinsel und Farbtöpfen an einem grünen Busch, dessen Blätter man geradezu rascheln hören konnte. Beachtlich fand ich das. Bisher hatte ich von Menschen nicht viel gehalten. Sie sahen schlechter als wir Katzen, sie konnten keine Mäuse jagen, nicht richtig auf Bäume klettern und landeten platt auf der Schnauze, wenn sie irgendwo herunterfielen, statt auf den Pfoten aufzukommen. Außerdem konnten sie kaum riechen und rochen daher ziemlich intensiv. Dass sie die Natur nachmachen konnten, war mir neu.

Eine Zeit lang sah ich staunend zu, dann aber kam Leben in die Basilika. Als ich unter dem Vorhang hervorlugte, hatten sich die Mönche des Klosters versammelt und stimmten einen eintönigen Singsang an. Mal sang einer alleine, mal alle zusammen. Er wirkte entsetzlich einschläfernd, und ich dämmerte ein wenig weg. Deshalb kam der Angriff unerwartet.

»Raus hier, du Mistvieh!«, raunzte mich jemand an und trat mir in die Seite. Dann blaffte er: »Habt Ihr dieses verdammte Teufelstier in die Kirche gebracht, Meister Clemens?«

Ich war vor die Füße des Malers geflogen und gab einen Klagelaut des Schmerzes von mir.

»Diakon Arnoldus, Ihr seid ein Unmensch. Wie könnt Ihr nur eine unschuldige Katze derart roh behandeln?«

Ich fühlte mich hochgehoben und an die buntfleckige Schürze gedrückt. Einmal noch jammerte ich ein bisschen. Der Diakon Arnoldus giftete herum, zog sich dann aber vorsichtig von Meister Clemens zurück, als der mit kalter Stimme ein paar passende Belehrungen zum Thema Mensch und Tier von sich gab. Mit Genugtuung beobachtete ich Arnoldus’ kleinlauten Abgang. Und mit Irritation stellte ich fest, dass Meister Clemens ganz deutlich nach Frau roch. Auf meine Nase kann ich mich verlassen! Menschenfrauen riechen anders als Menschenmänner. Diese hier hatte sogar einen ganz angenehmen Geruch. Sie streichelte mich auch sehr zuvorkommend und hielt mich eine Weile auf ihrem Schoß fest, bis der ärgste Schmerz an meinen Rippen nachgelassen hatte.

»Ein Katzenhasser, dieser Diakon. Ein scheinheiliges Ekel! Ich glaube, Kätzchen, du bist viel nützlicher als dieser jämmerliche Betbruder. Du fängst wenigstens Mäuse.«

Ich schnurrte. Zum einen, um den Schock zu überwinden, den der unerwartete Tritt mir verursacht hatte, zum anderen auch, um der Frau meine Zustimmung zu zeigen.

»Ist wieder alles gut?«, fragte sie und fuhr mit feinfühligen Fingern über meine Rippen. Es tat nicht mehr so richtig weh. Aber plötzlich hatte ich das Bedürfnis, mich auf meine Decke unter den Bücherregalen zurückzuziehen, und strampelte mich frei.

»Schon gut, schon gut. Komm mal wieder vorbei, Kleine. Übermorgen bin ich wieder hier.«

Ist recht, dachte ich. Mit netten Menschen musste man in Kontakt bleiben. Dann aber machte ich mich auf den Heimweg.

Leichter gesagt als getan. Irgendwie hatten die Ereignisse des Nachmittags dazu geführt, dass ich den rechten Weg zurück nicht mehr fand. Ich war etwas ziellos um das gesamte Gebäude gewandert und fand mich plötzlich vor einem Haufen Bienenkörben wieder. Das wäre weiter nicht schlimm gewesen, hätte sich nicht Meiko, der Gärtnerbursche, dort mit dem Imker unterhalten. Er erkannte mich und stürzte sich sofort auf mich. Ich wäre ihm unter normalen Umständen mit Leichtigkeit entwischt, aber meine getretene Seite fühlte sich steif an, und er packte mich am Kragen. Zum zweiten Mal an diesem Tag wurde ich im Nacken gebeutelt und dann auch noch hochgezerrt und weggeschleppt.

»Deine Aufgabe ist in der Bibliothek, Mirza!«, grollte der Mann mich an, und seine erdigen Finger verschmutzten mein Fell. Mit einem Fuß trat er die Tür zur Bibliothek auf.

»Verzeiht, Pater Melvinius. Aber Eure Katze hat sich selbstständig gemacht. Ich habe sie wieder eingefangen.«

Ich fauchte ihn an, bekam eine Pfote frei und zog ihm einen langen, blutigen Kratzer über die Hand.

»Ach, danke, Meiko. Ich hatte mir schon Sorgen um sie gemacht. Sie ist nämlich rollig, weißt du.«

»Das auch noch!«

Meiko setzte mich auf der Decke ab, und ich begann, mich sehr gründlich zu putzen. Es war dringend Zeit dafür! Dem widerlichen Meiko drehte ich dabei meine Rückseite zu!

»Ich weiß nicht, mein Junge. Mir widerstrebt es, ein freiheitsliebendes Geschöpf in einem Raum wie diesem gefangen zu halten. Ich denke, sie schätzt ihr kleines Zubrot inzwischen ausreichend, um immer wieder hierhin zurückzukehren.«

Meiko zuckte mit seinen breiten Schultern.

»Wie Ihr meint, Pater.«

»Ich meine es.«

»Wie wollt Ihr den Ein- und Ausgang gewährleisten, ohne dass sie Euch weitere Mäuse von draußen hereinschleppt?«

»Meine Räume liegen gleich nebenan. Von dort kann ich sie nach draußen und in die Bibliothek lassen.«

»Und gleich neben Euch hat der Abt seine Wohnung. Ob er es sich wohl zu seiner Aufgabe machen wird, ihr die Pforte eigenhändig zu öffnen?«

»Schelm!«, wies Melvinius den Gärtnerburschen zurecht.

Immerhin hatten die beiden, nachdem ich über meinem Putzen eingeschlummert war, eine Lösung gefunden. Ich durfte Pater Melvinius’ eigenes Reich betreten. Er hatte einen Wohnraum mit Lesepult und zwei Sesseln. An dem Teppich am Boden konnte man die Krallen wetzen, wurde aber milde ermahnt, es nicht zu tun. Daneben gab es eine Schlafkammer. Ich fand sie karg. Die Wände waren einfach weiß gekalkt, eine Truhe, ein Ständer mit Waschschüssel und Krug, ein Pult mit einer Kniebank, ein Bett, vielleicht etwas breiter als das der Moen, das war alles, was darin enthalten war. Aber aus dem schmalen Fenster in dieser Kammer waren einige der rautenförmigen Glasstücke entfernt und durch eine Holzklappe ersetzt worden, die an einer Sprosse mit Lederriemen befestigt war. Melvinius zeigte mir, wie ich sie mit der Nase aufstoßen konnte, um ins Freie zu hüpfen. Auch zurück würde mir das keine Probleme machen, das Fenster war nicht sehr hoch und der Sims angenehm breit. Die Nacht verbrachte ich also diesmal auf Melvinius’ Aufforderung hin nicht in der Bibliothek, sondern in seinem Schlafraum. Die auf den Boden gelegte Decke übersah ich geflissentlich und wählte das Fußende seines Bettes, um zu ruhen. Es schläft sich erholsamer im Rudel als alleine. Der Pater schien das auch so zu empfinden, denn er hatte außer einem leisen Lachen keine weitere Bemerkung dazu gemacht.

Am frühen Morgen fand ich es dann recht nett, auf dem Sims in der Morgensonne eine Weile vor mich hin zu träumen.

Und so begann ein neues Kapitel meines Lebens.