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Jan Flieger

Schatzsuche auf der Totenkopfinsel

Die Haifischbande auf Zeitreise, 1. Teil

ISBN 978-3-86394-495-7 (E-Book)

 

Die Druckausgabe erschien 2000 im Arena Verlag GmbH, Würzburg.

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta
 

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Die Haifisch-Bande

Julia,

neun Jahre alt, ist immer gestylt und trägt meistens Markenklamotten aus Luxusläden. Trotzdem kann man mit ihr Pferde stehlen. Was sie toll findet: Tiere, gute Schulnoten, Spice Girls. Sie will mal Tierärztin werden (obwohl sie Angst vor Mäusen hat!).

Vanessa,

neun Jahre, hat meistens Jeans an und T-Shirts mit Werwolfmotiven. Sie ist superabenteuerlustig und hat vor nichts und niemandem Angst. Sie mag Piratenbücher und Tic Tac Two (Jazzy am meisten). Will mal Action im Beruf, zum Beispiel bei einer Sondereinheit der Polizei.

Long Basti,

zehn Jahre alt, heißt eigentlich Sebastian. Er ist Vanessas Bruder und genau das Gegenteil von ihr: ruhig und bedächtig. Er trägt meist T-Shirts, die mindestens zwei Nummern zu groß sind, Schlabberhosen und eine Gletscherbrille. Was ihm am wichtigsten ist: Immer cool bleiben!

Specki,

eigentlich Peter, zehn Jahre alt und ziemlich dick. »Specki« nennen ihn nur seine besten Freunde. Ein witziger Typ, der noch dazu ziemlich schlau ist, weil er ständig irgendwelche Sachbücher liest. Was er nicht mag: Skins. Und wenn die anderen über sein Gitarrenspiel lästern.

Ein toller Plan

Gemächlich schlendern Julia, Specki, Vanessa und Long Basti dem Treffpunkt ihrer Clique entgegen. Der rußgeschwärzte Backsteinbau liegt hinter großen Pappeln verborgen. Ein verwittertes Holzschild verrät seine einstige Funktion: Fischfabrik Henrik Michels. Die Fabrik ist schon vor vielen Jahren stillgelegt worden. Und das sieht man auch: Die Spitze des Schornsteins ist abgebrochen, viele Fenster an der Vorderseite sind kaputt und das Flachdach ist an manchen Stellen undicht.

Die vier Freunde gehen über den mit Unkraut bewachsenen Hof. Das Einzige, was hier neu und frisch aussieht, ist die Fahne, die an einem uralten Antennenmast im Wind flattert: Die Fahne mit dem Haifisch ist das Wahrzeichen ihrer Clique.

Über eine rostige Treppe gelangen die vier in das Erdgeschoss der Fabrik, eine große Halle mit einem Steinfußboden, von dem der Staub nur so aufwirbelt. Im ersten Stock, in dem früher die Büros untergebracht waren, ist ihr Treffpunkt.

Heute ist es hier unheimlich still.

»Wo sind die anderen bloß?«, wundert sich Julia.

»Abgeschwirrt«, mault Vanessa.

Sie laufen durch alle Räume. Aber weder in der Zentrale noch im Labor noch im Büro der Cliquendetektive finden sie die Freunde. Auch nicht im sogenannten Wohnzimmer, das mit einem alten Fernseher, einem Kühlschrank und verschiedenen Sperrmüllmöbeln ausgestattet ist. Nur die starren, gläsernen Augen ihres Maskottchens blicken ihnen entgegen: ein präparierter Haifisch mit weit aufgerissenem Rachen, der an zwei Bindfäden aufgehängt ist und mitten durch den Raum zu schwimmen scheint. Er hat der Clique ihren Namen gegeben: die Haifischbande.

»Da steht Majas Zauberkoffer«, stellt Specki fest.

Aber Majas rostroter Strubbelkopf ist nicht zu sehen. Auch Spocky ist nicht da, obwohl er doch fast immer hier am Fenster steht und den Himmel nach Außerirdischen absucht.

Und weder die Cliquendetektive Nosy und Mehmet mit seiner Ratte Mäuschen noch die lange Tine mit der Superzahnlücke noch Svenja und Alex sind irgendwo zu entdecken.

Das ist höchst seltsam.

»Nicht einmal Muffin lässt sich blicken«, sagt Julia, die Tierliebhaberin, enttäuscht. Aber vielleicht ist der Kater in irgendeinem dunklen Winkel der Fabrik auf Mäusejagd? Kann sein. Gestreichelt werden und Mäuse jagen ist ja sein Leben.

Vanessa stopft ihr T-Shirt mit dem wilden Werwolf auf der Brust tiefer in die Jeans. »Langweilig hoch hundert«, verkündet sie und schüttelt ihren braunen Pferdeschwanz.

»Gehen wir zu Old Krusemann«, schlägt ihr Bruder vor, Sebastian mit der Gletscherbrille und der Baseballkappe, die immer verkehrt herum auf seinem Kopf sitzt. Sein zwei Nummern zu großes rotes T-Shirt hängt über der Schlabberhose. Die Hände hat er tief in den Taschen vergraben. Ganz cool. Er ist der größte in der Clique. »Long Basti«, rufen ihn deshalb die anderen Kinder.

»Zu Old Krusemann - total genial!«, ruft Julia und streicht ihren gemusterten Markenpulli glatt.

»Elchstarke Idee«, stimmt auch Specki zu und leckt den Staub von seinen Brillengläsern. Als er die Brille wieder aufsetzt, muss er den Schirm seiner Baseballkappe etwas anheben, so tief sitzt sie.

Bevor die Freunde die alte Fischfabrik verlassen, verabschieden sie sich von ihrem Maskottchen: Sie streichen ihm einmal über das Maul, in dem die Reihen kleiner scharfer Zähne gefährlich aufblitzen.

Der Weg zu Old Krusemann führt am Hafen vorbei, am Gewimmel der Drehkräne, Verladebrücken und Containerschiffe. Sie gehen weiter in Richtung Halbinsel, an deren Spitze der große Leuchtturm steht, weiß mit roten Streifen.

Bald erblicken die vier auch den uralten Eisenbahnwaggon, von dem keiner weiß, wie er auf die Halbinsel gekommen ist. »Er steht dort schon ewig«, sagen die Leute. Und nun wohnt Old Krusemann in ihm, der alte Seebär mit dem weißen Vollbart, der immer dieselben Matrosenklamotten anhat und ein echter Freund der Kinder ist.

Im Innern des Waggons sieht es aus wie in einer Schiffskajüte. Alte Steuerräder hängen an den Wänden und ein verwitterter Rettungsring mit der Aufschrift YH 127.SOUTH. Auf selbst gezimmerten Schränken stehen Schiffsmodelle und tolle Flaschenschiffe, ein Teleskop und ein vergilbtes Schiffstagebuch. Das ist Old Krusemanns altes Logbuch aus den Tagen, als er noch zur See gefahren ist. Eine Standuhr aus blau bemaltem Treibholz zeigt die Zeit an, denn Old Krusemann besitzt keine Armbanduhr. Eine Hängematte dient ihm als Bett. »Die ist gut für mein Kreuz«, behauptet er.

Auch Stühle und Regale bestehen aus bemaltem Treibholz. In einem kurzen Regal zwischen zwei Fenstern liegt eine geheimnisvolle große gläserne Kugel. Leider verrät Old Krusemann nie, wozu sie gut ist. Aber etwas Wichtiges muss es schon sein, denn er hütet die Kugel wie seinen Augapfel.

Der alte Seebär empfängt die vier im Waggon. Er blickt Vanessa freundlich an. »Na, min Deern!«

Vanessa verdreht genervt die Augen. »Ich bin Vanessa«, verbessert sie Old Krusemann. »Jaja, min Deern«, sagt er strahlend und nickt. Vanessa schweigt lieber. Old Krusemann muss man eben so nehmen, wie er ist. Er ändert sich nicht mehr. Nun redet er auch Julia mit »Na, min Deern« an und Long Basti mit »Na, min Jong«. Aber Julia grinst nur und Long Basti zeigt keine Reaktion. Er will eben immer cool wirken. Und ein cooler Typ bleibt stets gelassen. Auch wenn man ihn komisch anredet.

Vanessa schlendert durch den Waggon und bleibt vor der Glaskugel stehen.

»Du hast uns nie gesagt, was mit der Kugel los ist«, stellt sie fest und blickt Old Krusemann an. »Du wolltest es aber mal sagen.«

»Hm - ja?«, macht Old Krusemann. Nachdenklich befühlt er seinen weißen Bart.

Vanessa will die Kugel anheben. Doch Old Krusemann ist sofort bei ihr, entreißt ihr die Kugel und presst sie an seine Brust.

»Finger weg!«, schimpft er los.

Die Kinder staunen. Noch nie haben sie Old Krusemann so böse gesehen. Was ist los mit ihm? Was ist los mit dieser Glaskugel? Warum dürfen sie sie nicht einmal anfassen?

Vanessa findet Old Krusemanns Verhalten einfach affig, superaffig sogar. Zu jedem anderen hätte sie mit Sicherheit laut gesagt: »Du hast wohl einen an der Waffel.« Aber Old Krusemann möchte sie nicht beleidigen. Also schweigt sie lieber und kaut stattdessen auf ihren Fingernägeln herum. Das hilft, wenn man erregt ist, glaubt Vanessa.

»Ich finde, du bist uns eine Erklärung schuldig, Old Krusemann«, sagt Julia ruhig. »Und ich finde, dass du Vanessa nicht anschreien solltest.«

Old Krusemann muss sich setzen. Er stellt die schwere Glaskugel auf dem Tisch mit der Muschelplatte ab und wischt sich über die Stirn. »Ach, Kinder, ihr habt ja recht«, sagt er schließlich und seufzt tief. »Ich bin ein alter Dösbaddel, der alles falsch macht. Dabei habe ich schon oft überlegt, ob ich euch nicht von der Glaskugel erzählen soll. Aber ich habe mich einfach nicht getraut.«

»Warum denn nicht?«, entfährt es Vanessa.

»So ein Quatsch!«, meint Specki.