Vorwort

Das Interesse an der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie hat in den letzten zehn Jahren – nachdem sie bereits in den 1980er und 1990er Jahren in der internationalen Organisationsforschung intensiv diskutiert wurde – auch im deutschsprachigen Raum spürbar zugenommen. Für uns ein Grund, eine systematische Einführung in die Grundlagen und Weiterentwicklungen dieser Theorie zu schreiben, für den Verlag ein Grund, ein solches Buch zu veröffentlichen. Neben dieser rationalisierenden Erklärung für die Existenz dieses Buchs (es gehört zur institutionalisierten sozialen Identität von Wissenschaftlern, dass sie Aufsätze und Bücher verfassen, und zu der von wissenschaftlichen Buchverlagen, dass sie solche veröffentlichen), gab es zumindest auf unserer Seite weitere Motive, die uns bewegt haben, dieses Buch anzugehen. Unsere nun schon über zehn Jahre währende Beschäftigung mit der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie hat unser Verständnis von Organisationen erheblich verbessert. Ein Buch zu schreiben, das in systematischer und – wie wir hoffen – leicht nachvollziehbarer Weise in die Theorie einführt, erschien als eine Möglichkeit, interessierten Leserinnen und Lesern einen schnelle(re)n Einblick in die Theorie zu geben. Darüber hinaus hat uns die Möglichkeit, dieses Buch zu verfassen, in die Lage versetzt, die Ergebnisse unserer Auseinandersetzungen mit dieser Theorie zusammenzutragen, die Entwicklung und den Stand der Theorie nachzuzeichnen und kritisch zu reflektieren sowie weitere Forschungsfelder auszuloten. Und – auch wenn es so gar nicht der institutionalisierten Erwartung an den »ernsthaften Wissenschaftler« entspricht – es hat uns viel Spaß und Freude bereitet, an diesem Buch zu arbeiten.

An dieser Stelle möchten wir auch – wie es guter Brauch ist – unseren Dank all denjenigen aussprechen, die zur Entstehung dieses Buchs beigetragen haben. Dazu gehören zum einen die vielen Kolleginnen und Kollegen, die wir namentlich gar nicht alle nennen können, die auf nationalen und internationalen Konferenzen und Workshops mit uns über die Theorie und unsere Forschungsarbeiten diskutiert haben. Dazu gehören zum anderen aber insbesondere Dr. Nikolaus Beck, Dr. Julia Brandl, Markus Höllerer und Dr. Anne Tempel, die uns wertvolle Hinweise zu einzelnen Kapiteln dieses Buchs gegeben haben. Dank gilt auch Frau Birgit Schöppe, die mit unermüdlichem Fleiß umfangreiche Textfragmente bearbeitet hat.

Erfurt und Wien, im Juli 2007

Peter Walgenbach

Renate E. Meyer

Abbildungsverzeichnis

Abb. 2-1

Organizational Survival

27

Abb. 3-1

Technical and Institutional Controls, with Illustrative Organizations

71

Abb. 4-1

Stadien des institutionellen Wandels

103

Tabellenverzeichnis

Tab. 2-1

Der Aufbau der Experimente von Zucker

45

Tab. 3-1

Three Pillars of Institutions

58

Tab. 4-1

Stages of Institutionalization and Comparative Dimensions

91

Tab. 4-2

Institutionelle Arbeit in Organisationen

113

Tab. 5-1

Strategische Reaktionen auf institutionalisierte Erwartungen

124

1 Einleitung

In diesem Kapitel werden wir zunächst die grundlegende Perspektive und die zentralen Fragestellungen der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie vorstellen, um anschließend das Organisationsverständnis der Theorie zu skizzieren. Dieser ersten Annäherung folgt ein Überblick über den weiteren Aufbau des vorliegenden Buchs. In einem letzten Unterkapitel werden wir kurz ausführen, an wen wir uns mit diesem Buch wenden.

1.1 Die Perspektive und die Fragestellungen der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie

Die Umwelt von Organisationen besteht aus institutionalisierten Erwartungsstrukturen, die die Ausgestaltung von Organisationen nachhaltig prägen. So lässt sich das Kernargument der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie zusammenfassen.

Die neoinstitutionalistische Organisationstheorie zählt heute zu den international führenden Organisationstheorien. In Nordamerika wird sie neben dem Organizational-Ecology-Ansatz, in den zunehmend auch neoinstitutionalistische Argumentationsketten integriert werden, sogar als die führende Organisationstheorie betrachtet (Mizruchi/Fein 1999). Sie greift wesentliche Konzepte älterer Organisationstheorien auf, verändert deren Betrachtungswinkel aber häufig in fundamentaler Hinsicht.

Insbesondere die grundlegenden Arbeiten, die Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre veröffentlicht wurden (Meyer/Rowan 1977; Zucker 1977; DiMaggio/Powell 1983), stehen im Zeichen der Auseinandersetzung mit dem Kontingenzansatz, vor dessen Hintergrund die frühen Argumente formuliert wurden. In dieser Hinsicht baut die neoinstitutionalistische Organisationstheorie auf die Theorieentwicklung im Rahmen des Kontingenzansatzes in der Organisationsforschung in den 1960er und 1970er Jahren auf (Scott 2001; Schreyögg 2003; Wilkens/Lang/Winkler 2003). Auch im Rahmen der kontingenztheoretischen Forschung wurden Organisationen als offene Systeme betrachtet, deren Ausgestaltung wesentlich durch die sie umgebende Umwelt geprägt wird (s. für einen Überblick zur Kontingenztheorie Kieser 2006a). Der Neoinstitutionalismus greift zudem Argumentationsfiguren des so genannten alten Institutionalismus auf, der insbesondere in den USA in den 1950er und 1960er Jahren eine große Bedeutung in der Organisationsforschung hatte (s. v. a. Selznick 1949, 1957), und nimmt durch die Fundierung in der Wissenssoziologie von Berger und Luckmann (1967) zudem Bezug auf europäische institutionalistische Traditionen, die jedoch im Zuge der Etablierung der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie im nordamerikanischen Raum zunehmend in den Hintergrund rückten. Zugleich aber setzt sie sich deutlich von den beiden zuerst genannten Theorien in der Organisationsforschung ab. Diese Abgrenzungen der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie können wie folgt skizziert werden:

(1) Abgrenzung gegenüber dem »alten« Institutionalismus: Der »alte« Institutionalismus richtet die Aufmerksamkeit auf formale und informale Handlungen, Muster der Einflussnahme sowie auf Koalitionsbildungen zwischen Akteuren in Organisationen, während der Neoinstitutionalismus die Auswirkungen institutionalisierter Regeln und Erwartungen in der Umwelt auf die Ausgestaltung von Organisationen thematisiert. Während im alten Institutionalismus insbesondere normative Dimensionen von Institutionen betrachtet wurden, sind es nun vor allem die kognitiven Dimensionen von Institutionen, z. B. die unhinterfragten Selbstverständlichkeiten des Alltags, die als Einflussgrößen thematisiert werden. Zudem wird im alten Institutionalismus der Fokus auf einzelne Organisationen gerichtet, während es in der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie in erster Linie organisationale Felder (Gruppen von Organisationen) sind, die im Zentrum der Betrachtung stehen. Insgesamt geht es hier aber im Wesentlichen um unterschiedliche Schwerpunktsetzungen und nicht um grundlegende Divergenzen, und die Unterscheidung in einen alten und einen neuen Institutionalismus besitzt längst nicht mehr jene Bedeutung, die sie zum Zeitpunkt der Formulierung der grundlegenden Beiträge des Neoinstitutionalismus innehatte. Durch die Schwerpunktsetzung auf Interessen, Konflikte und Macht, die sich in der jüngeren neoinstitutionalistischen Organisationsforschung zeigt, ist die Auseinandersetzung mit den Arbeiten der so genannten alten Institutionalisten im Übrigen wieder intensiver geworden (zum Verhältnis des alten und neuen Institutionalismus s. z. B. DiMaggio/Powell 1991; Scott/Christensen 1995a; Greenwood/Hinings 1996; Selznick 1996; Hirsch/Lounsbury 1997; Stinchcombe 1997).

(2) Abgrenzung gegenüber dem Kontingenzansatz: Anders als der in den 1960er und 1970er Jahren dominierende Kontingenzansatz (s. z. B. Donaldson 2001) richtet die neoinstitutionalistische Organisationstheorie ihr Augenmerk nicht primär auf die technische, d. h. die aufgabenbezogene Umwelt von Organisationen, sondern auf die kulturelle oder institutionelle Umwelt. Mit diesem Wechsel der betrachteten und als maßgeblich erachteten Aspekte der Umwelt verändert sich zugleich jener Faktor, der als bestimmend für den Fortbestand von Organisationen angesehen wird. Wurde in der Kontingenztheorie argumentiert, dass die Effizienz der Arbeits- und Tauschprozesse das Überleben einer Organisation sicherstellt, behauptet die neoinstitutionalistische Organisationstheorie, dass das Überleben einer Organisation in erster Linie von deren Legitimität abhängt. Legitimität wird dabei jedoch nicht als eine spezielle Ressource verstanden, die ebenso wie andere Ressourcen in (ökonomischen) Transaktionsbeziehungen eingesetzt werden kann, sondern als eine notwendige Bedingung, in der sich die Übereinstimmung der Organisation mit gesellschaftlich geteilten Werten, normativen Erwartungen sowie mit allgemeinen Regeln und Gesetzen widerspiegelt. Kurz – um es in den Begriffen von Max Weber (1972) zu sagen – die neoinstitutionalistische Organisationstheorie verschiebt den Fokus von Zweck- auf Wertrationalität und »Selbstverständlichkeiten« oder – in den Begriffen von March (1981; s. auch Townley 2002) – von einer »logic of instrumentalism« zu einer »logic of appropriateness« (March/Olsen 1989).

Der vor dem Hintergrund dieses – in gewisser Hinsicht durchaus als radikal zu bezeichnenden – Perspektivenwechsels auch aus Sicht führender Neoinstitutionalisten überraschende internationale Erfolg (Scott 1995) der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie manifestiert sich nicht nur in der Vielzahl der in bedeutenden internationalen Fachzeitschriften veröffentlichten Studien und der Häufigkeit, mit der die grundlegenden Arbeiten in der internationalen Organisations- und Managementforschung zitiert werden, sondern auch darin, dass verstärkt versucht wird, neoinstitutionalistische Argumente in andere Organisationstheorien zu integrieren bzw. die neoinstitutionalistische Organisationstheorie mit anderen Theorien zu kombinieren (wir werden auf diese Verknüpfungen im weiteren Verlauf unserer Ausführungen detaillierter eingehen; s. insb. Kap. 6). Auch im deutschsprachigen Raum findet die neoinstitutionalistische Organisationstheorie insbesondere seit Mitte der 1990er Jahre erheblichen Anklang (s. exemplarisch Türk 1989; 2000; Ortmann/Windeler/Becker/Schulz 1990; Faust 1992; Faust/Bahnmüller 1996; Vollmer 1996; Walgenbach 1998a, 1998b, 2000a, 2002, 2006a; Walgenbach/Beck 2003; Fallgatter 1999; Hasse/Krücken 1996, 2005a; Ortmann/Zimmer 1998; Bresser/Millonig 2003; Wilkens/Lang/Winkler 2003; Wolf 2003; Bresser/Dunbar/Millonig 2004; Meyer, R.E. 2004; Bühner/Stiller/Tuschke 2004; Brandl 2005; Scherm/Pietsch 2005; Muth/Süß 2006; Hellmann/Senge 2006).

Der große Erfolg der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie ist auf der einen Seite deshalb erstaunlich, weil sie zunächst auf erhebliche Widerstände und Kritik stieß (z. B. Perrow 1986). Der Widerstand war nicht zuletzt auf die vor wenigen Jahren und zum Teil auch heute noch als provokativ empfundenen Forschungsfragen zurückzuführen, die viele Grundannahmen und »Selbstverständlichkeiten« in der Organisationswissenschaft infrage stellten bzw. immer noch stellen. Diese Forschungsfragen werden von Scott (2001: XIX f.) wie folgt zusammengefasst:

»Why do organizations of the same type, such as schools and hospitals, located in widely scattered locales, so closely resemble one another?

Institutions of various sorts have existed for thousand of years. What specific types of institutions are associated with the rise of organizations?

How are we to regard behavior in organizational settings? Does it reflect the pursuit of rational interests and the exercise of conscious choice, or is behavior primarily shaped by conventions, routines, and habits?

Why is it that the behavior of organizational participants is often to depart from the formal rules and stated goals of the organization?

Why is it, if formal rules are largely ignored, that resources and energy are expended to maintain them?

Why and how do laws, rules, and other types of regulative and normative systems arise? Do individuals voluntarily construct rule systems that then bind their own behavior?

Where do interests come from? Do they stem from human nature, or are they culturally constructed?

Why do specific structures and practices diffuse through a field of organizations in ways not predicted by the particular characteristics of adopting organizations?

How do differences in cultural beliefs shape the nature and operations of organizations?

Why do organizations and individuals conform to institutions? Is it because they are rewarded for doing so, because they think they are morally obliged to obey, or because they can conceive of no other way of behaving?

What processes relate institutions to organizations? What vehicles or carriers transmit institutional messages to organizations, and how do organizational actions and reactions affect institutions?

If institutions work to promote stability and order, how does change occur? If institutions control and constitute individuals, how can individuals hope to alter the systems in which they are embedded?«

Auf der anderen Seite aber ist der Erfolg durchaus nachvollziehbar, da es die Vertreter/innen der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie verstanden haben, die Theorie kontinuierlich zu entwickeln und auf immer neue Fragestellungen anzuwenden. Die Entwicklungsfähigkeit und Flexibilität der Theorie wird schon allein durch den Vergleich der oben skizzierten Fragestellungen der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie in der ersten und zweiten Auflage des Überblickswerks von Scott (1995: XIII f. und 2001: XIX f.) deutlich. Gleichzeitig erweist sich aber gerade diese Flexibilität und Offenheit immer mehr auch als Gegenstand der Kritik: Dem Neoinstitutionalismus wird vorgeworfen, keinen kohärenten konzeptionellen Rahmen zu besitzen, seine eigenen Kernaussagen zu vernachlässigen und allzu großzügig – d. h. ohne genaue Analyse der wissenschaftstheoretischen Grundannahmen – auf Konzepte aus anderen Theorietraditionen zurückzugreifen. Nach »Jugend« (Scott 1987) und »Erwachsenenstatus« (Scott i. Dr.) wird nunmehr vielfach die Frage diskutiert, ob der Neoinstitutionalismus nun »past its sell date« ist.

In diesem Buch wollen wir die grundlegenden Argumentationsfiguren sowie die Weiterentwicklungen der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie darstellen und kritisch würdigen. Wir wollen den Lesern/innen zudem einen Überblick über die inzwischen sehr umfangreiche Literatur zur neoinstitutionalistischen Organisationstheorie geben und damit zugleich die Einordnung dieser Literatur erleichtern. Dazu dienen auch die spezifischen Literaturhinweise, die wir jeweils am Ende eines Kapitels geben werden. Um die Theorie jedoch insbesondere in den Kapiteln 2 bis 5 ausführlich darstellen zu können, ist es erforderlich, zunächst das Organisationsverständnis der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie detaillierter darzulegen.

1.2 Das Organisationsverständnis in der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie

Formale Organisation durchdringt zunehmend und weltweit alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Es gibt kaum Aktivitäten, die wir uns losgelöst von jeglichen Organisationen vorstellen können – die Welt, in der wir leben, ist eine Organisationsgesellschaft (Perrow 1991; Jäger/Schimank 2005).

In den meisten Organisationstheorien und auch im Alltagsverständnis wird Organisation als Mittel betrachtet, um ein oder mehrere vorgegebene Ziele in technisch effizienter Weise zu erreichen. In diesem Sinne herrscht eine funktionalistische Sichtweise auf Organisationen, Organisieren, Organisations- und Managementpraktiken vor, die zunächst auch durchaus plausibel erscheint: Von Menschen geschaffene Dinge (Artefakte) dienen Zwecken und sind insofern rational, d. h. zweckmäßig, in dem sie zur Erreichung der übergeordneten Ziele beitragen. Wenn sie es nicht oder nicht mehr tun, werden die Mittel aufgegeben. Die Organisation wird aufgelöst, alte Organisationsstrukturen werden in neue überführt, Managementpraktiken werden aufgegeben und durch neue und zweckmäßigere ersetzt.

Ohne sich Organisationen im Besonderen zu widmen, wurde Max Weber zum »Grandseigneur der Organisationsforschung«. Insbesondere sein Bürokratiemodell hat Generationen von Organisationswissenschaftlern und Organisationstheorien inspiriert und geprägt – selbstverständlich auch den Neoinstitutionalismus, wiewohl dieser vorrangig auf ein von der Organisationsforschung ansonsten weit weniger beachtetes Argument Webers – jenes der fortschreitenden Rationalisierung – Bezug nimmt.

Auch das Bürokratiemodell von Max Weber (1972), auf dem das Organisationsverständnis der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie aufbaut, basiert grundsätzlich auf einer technisch-funktionalistischen Interpretation von Organisation. Allerdings geht die neoinstitutionalistische Organisationstheorie in wesentlichen Aspekten über das Modell von Weber hinaus, weil sich moderne Organisationen nicht bzw. nicht mehr angemessen mit dem Idealtypus der Bürokratie beschreiben lassen (Drori/Meyer/Hwang 2006).

Bürokratie bedeutet nach Max Weber (1972) eine Form der legalen Herrschaft, die auf dem Glauben an die Legitimität gesatzter Ordnungen und des Anweisungsrechts der durch sie zur Ausübung der Herrschaft berufenen Amtsträger beruht (eine kurze Zusammenfassung des Bürokratiemodells von Max Weber findet sich in Kieser 2006b). In ihr sieht Weber eine Form der Verwaltung, die anderen deutlich überlegen ist. Kennzeichen der Bürokratie sind »Präzision, Schnelligkeit, Eindeutigkeit, Aktenkundigkeit, Kontinuierlichkeit, Diskretion, Einheitlichkeit, straffe Unterordnung, Ersparnisse an Reibungen, sachlichen und persönlichen Kosten« (Weber 1972: 561 f.). In der Bürokratie – die in Webers Kennzeichnung einen Idealtypus, d. h. keine Beschreibung der Realität, sondern eine Übersteigerung derselben darstellt, um das »Wesen« der Bürokratie deutlicher hervortreten zu lassen – besteht Arbeitsteilung. Jeder Beamte – auch angestellte Manager in Unternehmungen werden von Weber als Beamte bezeichnet, weil sie dies in dieser Zeit oftmals zuvor waren und auch in den Unternehmungen so bezeichnet wurden – hat festgelegte Verantwortungsbereiche und Entscheidungs- und Weisungsbefugnisse, die personenunabhängig und generell festgelegt werden. Es werden nur Personen eingestellt, die aufgrund ihrer Ausbildung befähigt sind, das vorgegebene Aufgabenfeld zu übernehmen. In der Bürokratie gibt es eine Amtshierarchie, d. h. ein festes System von Über- und Unterordnung. Die Amtsführung erfolgt nach festgelegten Regeln und die Aufgabenerfüllung beruht auf Schriftlichkeit (Akten). Die Beamten sind auf formalen Gehorsam festgelegt, was den Einzelnen dazu veranlasst, zu handeln, »als ob er den Inhalt des Befehls um dessen selbst willen zur Maxime seines Verhaltens gemacht habe« (Weber 1972: 123). Amtsführung ist von der eigenen Person zu trennen, sie darf sich nur an der Sache orientieren. Die Bürokratie bietet »das Optimum an Möglichkeit für die Durchführung des Prinzips der Arbeitszerlegung in der Verwaltung nach rein sachlichen Gesichtspunkten, unter Verteilung der einzelnen Arbeiten auf spezialistisch abgerichtete und in fortwährender Uebung immer weiter sich einschulende Funktionäre« (Weber 1972: 562). Der Vorteil der Bürokratie ist somit, dass ihr Arbeitsergebnis kalkulierbar wird wie das einer Maschine. Der einzelne Beamte ist jederzeit ersetzbar und bar jeglichen Einflusses auf die Gestaltung seiner Arbeit. Neben den offensichtlichen Nachteilen, liegen aber auch die Vorzüge auf der Hand: Professionalität, Objektivität und Abkehr von der Willkür des Herrschenden – Tugenden, die noch heute weitgehend die Vorstellungen eines Rechtsstaates prägen.

Dem gegenüber steht jedoch das Verständnis von Organisationen als sowohl in ihrer Existenz als auch ihren konkreten Formen eng mit dem sie umgebenden gesellschaftlichen Umfeld verwoben, das für den Neoinstitutionalismus charakteristisch ist. Über die Merkmale der Bürokratie hinaus, d. h. über das Vorhandensein von expliziten und in ihrer Wirkung vorhersagbaren Elementen der formalen Struktur, wie etwa Hierarchie, Arbeitsteilung oder Arbeitsanweisungen, spiegeln moderne Organisationen eine Vielzahl von standardisierten und rationalisierten Vorstellungen von Angemessenheit und des Wünschenswerten in der Umwelt von Organisationen wider, welche die Elemente des Bürokratiemodells zum Teil untergraben (Drori/Meyer/Hwang 2006) – man denke nur an Konzepte wie Vertrauensorganisation, Netzwerkorganisation oder die post-bürokratische Organisation.

Diese nur exemplarisch angeführten neuen Standards der Angemessenheit organisationaler Strukturen und Praktiken haben verschiedene Ursprünge: Einige werden mit professionellem oder wissenschaftlichem Wissen begründet. Andere basieren auf der Übertragung nicht-ökonomischer Werte auf organisationale Kontexte – etwa die Konzepte der Corporate Social Responsibility und des Corporate Citizenship, nach denen Mitarbeiter nicht lediglich als passive Objekte betrachtet werden sollen, die der Steuerung durch Management- und Organisationsinstrumente unterworfen werden (s. für eine solche Vorstellung von den Mitarbeitern einer Unternehmung etwa Taylor [1911] oder auch die klassische Management- und Organisationslehre, einen Überblick vermittelt Kieser 2006c), sondern als aktive Individuen, die sowohl Rechte und Pflichten haben als auch mit spezifischen Fähigkeiten ausgestattet sind. Die Erwartungen an Organisationen beschränken sich natürlich nicht auf die oben exemplarisch angeführten Aspekte. Vielmehr sehen sich moderne Organisationen generell mit einem vielschichtigen und komplexen Muster rationalisierter und institutionalisierter Erwartungsstrukturen konfrontiert. Die Umwelt der Organisation generiert politischen und sozialen Druck, der die Ausgestaltung der Organisation unabhängig von Effizienzerwägungen prägt. Organisationen sind also nicht individuell und beliebig gestaltbare Mittel zum Zweck, sondern in ihrer Ausgestaltung einem erheblichen Druck zur Konformität mit gesellschaftlichen Annahmen darüber ausgesetzt, wie rationale Organisationen aufgebaut sein und welche Steuerungsinstrumente in ihnen zum Einsatz kommen sollen.

Diese Entwicklungen werden generell von der jüngeren Organisationsforschung aufgegriffen, und Argumente früherer Ansätze, die Organisation als eine natürliche und technisch effiziente Antwort auf komplexe Koordinationsanforderungen konzipierten, werden partiell revidiert. Organisationen erscheinen in den Analysen der modernen Organisationsforschung zunehmend weniger als kohärente soziale Gebilde, die geschaffen werden, um nur ein Ziel zu verfolgen (Cyert/March 1992), sondern zunehmend als Gebilde, die in hohen Maße in soziale und kulturelle Kontexte eingebettet sind und durch diese konstituiert werden. In besonderem Maße wird dies in der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie hervorgehoben. Das Organisationsverständnis und die Argumentationsfiguren der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie basieren aber auch an dieser Stelle auf einem Argumentationsstrang im Werk von Max Weber, der – wie bereits angedeutet – lange Zeit in der Organisationsforschung wenig beachtet blieb, nämlich dass Organisation als Form das Ergebnis eines gewaltigen Rationalisierungsprozesses ist (Brunsson/Sahlin-Andersson 2000; Meyer/Drori/Hwang 2006).

Dieser Prozess spielt sich auf drei Ebenen ab: (1) der Rationalisierung auf der Ebene der Weltbilder und Glaubenssysteme, (2) der Rationalisierung auf der Ebene der praktischen Lebensführung und (3) der Rationalisierung auf der Ebene der Institutionen. Organisation ist bei Weber insofern sowohl – wie in den meisten Darstellungen seines Bürokratiemodells betont wird (s. etwa Kieser 2006b) – ein Mittel, um Handlungen in effizienter Weise zu koordinieren, als auch – was seltener herausgestellt wird – das Ergebnis eines umfassenden Kulturprojekts.

In eben diesem Sinne wird in der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie durchaus anerkannt, dass Organisation auch als ein Versuch der effizienten Steuerung durch eine technisch-rationale Ausgestaltung der Struktur zu verstehen ist. Allerdings wird besonders betont, dass die Grenzen zwischen Organisation und Umwelt verschwimmen und die Durchlässigkeit der Organisation für rationalisierte institutionalisierte Erwartungen eine verstärkte Beschäftigung mit dem Einfluss der kulturellen oder institutionellen Umwelt auf Organisationen erforderlich macht. So zeigt sich etwa, dass sich Unternehmen in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen nicht deshalb engagieren, weil sie glauben, dass dieses Engagement ihre Effizienz verbessert, sondern weil soziales Engagement von modernen Unternehmen erwartet wird. Umgekehrt stellen nicht-erwerbswirtschaftliche Organisationen Personen mit einem wirtschaftswissenschaftlichen Qualifikationsprofil ein, nicht weil diese Personen notwendigerweise die Fähigkeit besitzen, die Aktivitäten der Organisation in effizienter Weise zu steuern, sondern weil sich im gesellschaftlich relevanten Umfeld die Überzeugung durchgesetzt hat, dass eine wirtschaftswissenschaftliche Qualifikation zu einem verantwortungsvolleren Umgang mit Ressourcen führt. Die Interaktionen in Organisationen erscheinen heute zudem weniger »bürokratisch« als zu Webers Zeiten: Soziale Interaktion in Organisationen ist weniger explizit formalisiert, Teamarbeit oftmals selbstverständlich, soziale Aktivitäten werden gefördert – sie sind inzwischen fast Teil der Routine –, und es wird viel dafür getan, dass das Arbeitsumfeld »human« erscheint.

Rationalisierte institutionalisierte Erwartungen richten sich an alle Arten von Organisationen. In diesem Sinne liegt der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie ein umfassender Organisationsbegriff zugrunde. Das heißt, ihre Argumente beziehen sich auf Krankenhäuser, Museen, Universitäten, Behörden ebenso wie auf öffentliche und private Unternehmen. Das Bild, das die neoinstitutionalistische Organisationstheorie sowohl von erwerbswirtschaftlichen als auch von nicht-erwerbswirtschaftlichen Organisationen zeichnet, zeigt diese als elaborierte, ritualisierte und manchmal modegetriebene Ansammlungen rationalisierter Mythen, die aus der Umwelt der Organisationen stammen. In diesem Sinne ist auch die Vorstellung, Organisationen seien soziale Einheiten, die einer rationalen Steuerung unterliegen, d. h. Einheiten, in denen Ressourcenbedarf systematisch ermittelt, Innovationen systematisch geplant, Sicherheit gemanagt, Produktion rational kalkuliert, Arbeitsbeziehungen sowie Beziehungen zu anderen Organisationen optimal gestaltet und Mitarbeiter professionalisiert sind, ein solcher Mythos (Meyer/Drori/Hwang 2006). Damit wird schon an dieser Stelle deutlich, dass der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie ein sehr eigenes Organisationsverständnis zugrunde liegt – eines, welches den ganz spezifischen Aspekt der kulturellen Konstruktion von Organisationen in besonderer Weise betont.

1.3 Der Aufbau des Buchs

Dieser erste Überblick über die neoinstitutionalistische Organisationstheorie in Abschnitt 1.2 wird in Kapitel 2 mit einer Darstellung der zentralen Arbeiten und der darin ausgebreiteten Forschungsagenda des Ansatzes fortgesetzt. Einige mittlerweile klassische Aufsätze verdeutlichen zum einen den Entwicklungshintergrund des Neoinstitutionalismus und machen zum anderen deutlich, dass der Neoinstitutionalismus eher ein Diskussionszusammenhang ähnlich interessierter Forscher/innen ist als ein kohärentes Theoriegebäude. In Kapitel 3 erläuten wir die Kernkonzepte – Institution, Legitimität, Umwelt, Feld, Isomorphie und Entkopplung – und diskutieren deren Ausgestaltung bzw. Weiterentwicklung in jüngeren Arbeiten. Die Kapitel 4 und 5 greifen Themenbereiche auf, die zu wesentlicher Kritik an der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie geführt haben und denen die Aufmerksamkeit der neoinstitutionalistischen Organisationsforschung in den letzten Jahren galt: Die Rolle der Akteure sowie die Möglichkeiten und Bedingungen von institutionellem Wandel.

Die programmatische Offenheit des Neoinstitutionalismus eröffnet vielfältige Anknüpfungspunkte zu anderen Theorien und Konzepten. Während manche davon in jüngerer Zeit extensiver genutzt werden, liegt in anderen, wie wir meinen, mehr Potenzial. Kapitel 6 stellt einige dieser Theorien vor und diskutiert Überschneidungen und Unterschiede. Viele der vorliegenden Arbeiten zum Neoinstitutionalismus sind empirisch. Im Rahmen dieser Studien kommt ein breites Spektrum an Methoden zum Einsatz. Kapitel 7 erläutert die empirischen Möglichkeiten im Rahmen neoinstitutionalistischer Forschung. In Kapitel 8 geben wir Hinweise zur Identifikation und Bearbeitung eines Forschungsthemas auf der Basis der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie.

1.4 Die Adressaten des Buchs

Dieses Buch richtet sich zum einen an Studierende, die bereits Grundkenntnisse über Organisation, Organisationen und Organisationstheorien erworben haben und sich nun mit der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie befassen wollen (eine Einführung in das Fach Organisation bieten etwa Kieser/Walgenbach 2007; Überblicke über die wichtigsten Organisationstheorien finden sich z. B. in Clegg/Hardy/Lawrence/Nord 2006; Kieser/Ebers 2006; Baum 2002; Morgan 1997), sowie zum anderen an Lehrende und Forscher/innen, die nach einem Buch suchen, das einen ersten, aber dennoch umfassenden Überblick über die neoinstitutionalistische Organisationstheorie vermittelt.

Wie wir oben (vgl. Abschn. 1.1) bereits ausgeführt haben, steht am Beginn der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie die Abgrenzung zu, und zum Teil auch die radikale Kritik an führenden Organisationstheorien der 1960er und 1970er Jahre sowie die Kritik an technisch-funktionalistischen Erklärungen von formaler Organisation. Wie immer gilt deshalb auch hier: Vor der intensiven Beschäftigung mit diesem Abgrenzungsversuch und der darin enthaltenen Kritik sollte die Auseinandersetzung mit eben jenen Theorien stehen, von denen sich die neoinstitutionalistische Organisationstheorie abgrenzt und die sie kritisiert. Über diese Empfehlung hinaus sehen wir jedoch keine weiteren grundsätzlichen Anforderungen, die den Kreis der potenziellen, an organisationswissenschaftlichen Fragestellungen interessierten Leser/innen dieses Buchs einschränken würden.

Organisationswissenschaftliche Fragestellungen auf der Basis der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie werden – wenn auch in unterschiedlicher Intensität – in einer Reihe von wissenschaftlichen Disziplinen diskutiert, etwa in der Betriebswirtschaftslehre, den Kommunikationswissenschaften, den Politikwissenschaften, der Soziologie und der Volkswirtschaftslehre, um nur einige zu nennen. In Abhängigkeit der Zielsetzungen des/der Lesers/in kann das Buch in unterschiedlicher Weise genutzt werden. Ist das Ziel, zunächst nur die grundlegenden Argumentationsfiguren der Theorie kennen zu lernen, reicht eine intensive Auseinandersetzung insbesondere mit den Kapiteln 2 und 3 aus. Geht es darum, ein tiefer gehendes Verständnis der Theorie und ihrer Weiterentwicklungen zu gewinnen, wird auch eine Beschäftigung mit den Kapiteln 4 und 5 erforderlich. Soll der Neoinstitutionalismus jedoch die theoretische Grundlage einer eigenständigen wissenschaftlichen Arbeit liefern – etwa einer Diplom- oder Magisterarbeit oder gar einer Doktorarbeit –, dürfte eine intensive Bearbeitung aller Kapitel geboten sein.

Intensive Bearbeitung oder Auseinandersetzung mit der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie heißt dabei in allen Fällen, dass es mit einem einmaligen Lesen eines oder mehrerer Kapitel nicht getan sein dürfte. Eine intensive Auseinandersetzung mit diesem Buch meint auch, dass es, nachdem ein Grundverständnis der Theorie entwickelt wurde, als Hinweisquelle für weitere Texte, insbesondere Primärquellen, zur neoinstitutionalistischen Organisationstheorie genutzt werden sollte. Spätestens im Rahmen einer eigenen wissenschaftlichen Arbeit auf der Basis der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie wird die Auseinandersetzung mit den Originaltexten unbedingt erforderlich. Die Lektüre von Originaltexten empfiehlt sich jedoch generell – nicht zuletzt, um zu überprüfen, ob Sie, der/die Leser/in, die Argumente anderer Autoren/innen in gleicher Weise interpretieren und verdichten würden wie wir. Darüber hinaus empfiehlt sich die Lektüre von Originaltexten noch aus einem anderen Grund: Sie werden in diesen Texten Anregungen und Überlegungen finden, die Sie nutzen können, um ein eigenes Forschungsprojekt zu konzipieren. Allein in den beiden grundlegenden Beiträgen von Meyer und Rowan (1977) und DiMaggio und Powell (1983) gibt es eine Reihe von Überlegungen, die bis heute nicht empirisch überprüft wurden.

Es ist zu einer Institution geworden, neben den Studierenden eines oder mehrerer Fächer auch interessierte Praktiker als Adressaten eines Buchs im Bereich Organisation und Management zu benennen. Wir wollen mit dieser Institution bzw. diesem Ritual brechen, weil wir uns mit diesem Buch gezielt an Personen wenden, die mit der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie wissenschaftlich arbeiten wollen. Natürlich freuen wir uns über Praktiker, die dieses Buch lesen. Auch sind wir sicher, dass Praktiker durchaus davon profitieren können – die Argumente der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie schaffen unseres Erachtens nicht nur ein besseres Verständnis für das Geschehen in und zwischen Organisationen, sondern sie lassen sich auch funktionalistisch wenden. Das heißt, aus der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie lassen sich auch Hinweise auf Vorgehensweisen ableiten, mit denen sich institutionelle Umwelten managen lassen (könnten). Auf entsprechende Bemühungen in der Organisations- und Managementforschung, die Theorie so zu nutzen, werden wir an späterer Stelle eingehen (vgl. Abschn. 6.1). Allerdings sind wir der Überzeugung, dass es im Sinne einer »reinen«, und d. h. auch widerspruchsfreien Darstellung der Theorie vorteilhaft ist, sich an der ursprünglichen Zielsetzung der Theorie zu orientieren. Und die lautete, eine nicht-funktionalistische Erklärung der Struktur von Organisationen zu entwickeln. Das Ziel war nicht, Konzepte zur Gestaltung von Organisationen und des Managements von institutionellen Umwelten bereitzustellen. Wir wollen jedoch betonen, dass wir die neoinstitutionalistische Organisationstheorie und das vorliegende Buch deshalb nicht dogmatisch verstanden wissen wollen: Einer technisch-funktionalistischen Wendung oder – anders ausgedrückt – einer Instrumentalisierung der Theorie in der Praxis steht nichts entgegen. Dennoch werden wir vor dem Hintergrund unserer Zielsetzungen eine an den Ausgangsfragestellungen orientierte Darstellung und kritische Würdigung der Theorie vornehmen.

Literaturhinweise zu Kapitel 1

Abschnitt 1.1:

DiMaggio, P.J./Powell, W.W. 1991: Introduction. In: Powell, W.W./DiMaggio, P.J. (Hrsg.): The New Institutionalism in Organizational Analysis. Chicago: 1–38.

Scott, W.R. 2001: Institutions and Organizations. 2. A., Thousand Oaks, CA. (Introduction und Kapitel 1).

Scott, W.R. 2003: Organizations: Rational, Natural, and Open Systems. 5. A., Upper Saddle River.

Selznick, P. 1996: Institutionalism ‘old’ and ‘new’. In: Administrative Science Quarterly 41: 270–277.

Abschnitt 1.2:

Drori, G.S./Meyer, J.W./Hwang, H. 2006: Introduction: globalization and organization. In: Drori, G.S./Meyer, J.W./Hwang, H. (Hrsg.): Globalization and Organization: World Society and Organizational Change. Oxford: 1–22.

Meyer, J.W./Drori, G.S./Hwang, H. 2006: World society and the organizational actor. In: Drori, G. S./Meyer, J.W./Hwang, H. (Hrsg.): Globalization and Organization: World Society and Organizational Change. Oxford: 25–49.

2 Die grundlegenden Beiträge

Dieses Kapitel soll die Hintergründe der Entstehung der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie verdeutlichen und zugleich einen ersten tiefer gehenden Einblick in die Argumentationsfiguren der Theorie geben. Dazu werden die drei grundlegenden Beiträge (Meyer/Rowan 1977; DiMaggio/Powell 1983; Zucker 1977) vorgestellt und ihre zentralen Argumente herausgearbeitet. Anschließend werden die Kernargumente der Beiträge miteinander verglichen. Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Argumentation werden aufgezeigt.

2.1 John W. Meyer und Brian Rowan (1977): Institutionalized organizations: Formal structure as myth and ceremony

Schon in den einleitenden Abschnitten des Aufsatzes von Meyer und Rowan (1977: 340 f.) wird die Stoßrichtung der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie deutlich. Diese ersten Absätze signalisieren eine radikale Abkehr von dem bis dahin dominanten technisch-funktionalistischen Erklärungsparadigma in der Organisationswissenschaft.

»Formal organizations are generally understood to be systems of coordinated and controlled activities that arise when work is embedded in complex networks of technical relations and boundary-spanning exchanges. But in modern societies, formal organizational structures arise in highly institutionalized contexts. Professions, policies, and programs are created along with the products and services that they are understood to produce rationally. This process permits many new organizations to spring up and forces existing ones to incorporate the new practices and procedures. That is, organizations are driven to incorporate the practices and procedures defined by prevailing rationalized concepts or organizational work and institutionalized in society. Organizations that do so increase their legitimacy and their survival prospects, independent of the immediate efficacy of the acquired practices and procedures.

Institutionalized products, services, techniques, policies, and programs function as powerful myth, and many organizations adopt them ceremonially. But conformity to institutionalized rules often conflicts sharply with efficiency criteria; conversely, to coordinate and control activity in order to promote efficiency undermines an organization’s ceremonial conformity and sacrifices its support and legitimacy. To maintain ceremonial conformity, organizations that reflect institutional rules tend to buffer their formal structures from the uncertainties of technical activities by becoming loosely coupled, building gaps between their formal structures and actual work activities.«

Diese beiden kurzen Absätze fassen die wesentlichen Aussagen des Aufsatzes von Meyer und Rowan sehr gut zusammen. Im Folgenden werden diese nun differenzierter dargelegt, um die Kernaussagen zu verdeutlichen.

Nach Meyer und Rowan spiegelt die formale Struktur einer Organisation weder notwendigerweise die effizientesten (»best practice«) Lösungen für Koordinations- bzw. Steuerungsprobleme noch zwingend die effizientesten Formen der Gestaltung von Austauschbeziehungen wider. Auch können Unterschiede zwischen der formalen Struktur und den tatsächlichen Arbeitsaktivitäten, die in einer Organisation ausgeführt werden, bestehen. Diese Aussagen stellten einen radikalen Bruch mit der bis Mitte der 1970er Jahre vorherrschenden Betrachtungsweise von formaler Organisation dar. In den bis dahin dominanten Organisationstheorien wurde die formale Struktur einer Organisation – in Form von Organigrammen, Stellenbeschreibungen sowie Regeln und Routinen – als ein reales Abbild der Arbeitsaktivitäten sowie der Steuerungs- und Koordinationsaktivitäten in einer Organisation betrachtet (s. zur formalen Struktur von Organisationen ausführlich Kieser/Walgenbach 2007; Donaldson 2001). Zugleich ging man in diesen Arbeiten in einer verkürzten Lesart der Weber’schen Schriften (s. insb. Weber 1972) davon aus, dass sich (bestimmte) formale Organisationsstrukturen durchsetzen, weil sie ein effizientes, wenn nicht gar das effizienteste Mittel zur Koordination und Steuerung komplexer relationaler Arbeits- und Tauschbeziehungen sind. So wurde etwa in der Kontingenztheorie, die im deutschen Sprachraum häufig auch als »Situativer Ansatz« bezeichnet wird, argumentiert, dass mit zunehmender Größe einer Organisation die Koordinationsanforderungen zunehmen (zur Kontingenztheorie s. Kieser/Walgenbach 2007). Durch entsprechende formale Regelungen könnten diese zunehmenden Koordinationsanforderungen in effizienter Weise bewältigt werden. Formale Strukturen würden deshalb zu Wettbewerbsvorteilen für die Organisation führen.

Die Kritik von Meyer und Rowan an der allein auf die technische Effizienz von formalen Organisationsstrukturen abstellenden Betrachtung von Organisation lautet nun, dass diese einerseits unterstellt, die wirksame Koordination und Steuerung von Arbeitsaktivitäten sei allein entscheidend dafür, dass sich formale Organisation in modernen Gesellschaften durchgesetzt habe, und andererseits von der Annahme getragen ist, dass Organisationen tatsächlich entsprechend ihrer Blaupausen, d. h. gemäß ihrer formalen Struktur funktionieren. Dies würde bedeuten, dass Koordination durch Regeln erfolgt, dass Regeln und vorgegebene Verfahrensweisen eingehalten werden und auch sonst alle Aktivitäten in der Organisation den in der formalen Struktur der Organisationen enthaltenen Vorgaben entsprechen. Die Kritik der Autoren wird dabei von Erkenntnissen einer eigenen empirischen Studie getragen (Meyer/Rowan 1978). Sie wird zudem durch eine Reihe anderer Untersuchungen gestützt, in denen deutliche Abweichungen von dieser bis weit in die 1970er Jahre dominanten Vorstellung von der Funktionsweise von Organisationen identifiziert wurden (s. z. B. Dalton 1959; March/Olsen 1976; Weick 1976). Die Überlegungen von Meyer und Rowan (1977: 353) zielen nun jedoch nicht darauf ab, die Aussagen zur Effizienz formaler Organisationsstrukturen generell infrage zu stellen. Sie betonen:

»… formal structures arise in two contexts. First, the demands of local relational networks encourage the development of structures that coordinate and control activities. Such structures contribute to the efficiency of organizations and give them competitive advantages over less efficient competitors. Second, the interconnectedness of societal relations, the collective organization of society, and the leadership of organizational elites create a highly institutionalized context. In this context rationalized structures present an acceptable account of organizational activities, and organizations gain legitimacy, stability, and resources.«

Ihre Kritik betont insbesondere, dass dem zweiten Aspekt in der Organisationsforschung nicht hinreichend Beachtung geschenkt wurde. Sie fordern deshalb, dass neben der Effizienz das Erfordernis der Legitimität formaler Strukturen, das Weber (1972) in der Bürokratietheorie ebenfalls herausgearbeitet hatte, der Aufmerksamkeit in der Organisationsforschung bedarf.

Das Kernargument von Meyer und Rowan lautet, dass Organisationen in einen institutionellen Kontext eingebettet sind. In diesem Kontext bestehen Vorstellungen und Erwartungen darüber, wie effektive und effiziente Organisationen ausgestaltet sein müssen. Diese Vorstellungen und Erwartungen sind rationalisiert in dem Sinne, dass sie die aus Sicht der jeweiligen Anspruchsgruppe wünschenswerten Ziele und Zwecke sowie angemessene Mittel zur Erreichung der Ziele identifizieren. Gängige Erwartungen an Unternehmen sind etwa, dass sie moderne Informationstechnologien nutzen, ein Qualitätsmanagementsystem nach internationalen Standards (z. B. ISO 9000) aufgebaut haben, moderne Verfahren der Personalselektion (z. B. Assessment-Center) nutzen oder moderne Managementkonzepte, wie etwa Gruppenarbeit und Empowerment, einführen. Teilweise schlagen sich solche Erwartungen sogar in Verordnungen, Richtlinien oder Gesetzen nieder. Beispiele hierfür sind das Gesetz über Europäische Betriebsräte oder nationale Corporate-Governance-Kodizes.

Die erste grundlegende Behauptung von Meyer und Rowan (1977: 345) lautet also:

Die Herausbildung institutionalisierter Regeln, die sich auf einzelne Bereiche der Arbeitsaktivitäten von Organisationen beziehen, führt dazu, dass sich die formale Struktur dieser Organisationen in einer den institutionalisierten Regeln entsprechenden Weise ausformt oder erweitert.

Eine zweite grundlegende Behauptung lautet (Meyer/Rowan 1977: 345):

Moderne Gesellschaften weisen eine größere Anzahl von Bereichen auf, die rationalisierte Institutionen enthalten. Zugleich ist die Struktur der rationalisierten Institutionen in diesen Bereichen ausgedehnter als in anderen Gesellschaften.

So wird gegenwärtig von Unternehmen Rechenschaft in Bereichen gefordert, die früher ausgespart blieben. Umweltschutz, Verbraucherschutz oder soziale Verantwortung sind Beispiele dafür. Die institutionalisierten Regeln und Erwartungen, mit denen sich Organisationen konfrontiert sehen, werden zunehmend erweitert und betreffen immer weitere Teilaspekte, denen Organisationen Rechnung tragen müssen.

Durch die zunehmende Ausdifferenzierung moderner Gesellschaften wird Rationalität, wenn sie erst einmal als allgemeine Norm institutionalisiert ist, zu einem Mythos mit gewaltigem Organisationspotenzial (Meyer/Rowan 1977: 346). Die zunehmende Differenzierung moderner Gesellschaften führt nämlich dazu, dass immer neue Bereiche entstehen, die mit institutionalisierten Regeln und Anforderungen angefüllt sind. Unterschiedliche strukturelle Elemente und Managementpraktiken werden von Anspruchsgruppen in diesen Bereichen als rationale Mittel zur Erreichung erwünschter Zwecke angesehen. Was in einzelnen Bereichen der institutionellen Umwelt als rational erachtet wird, kann sich erheblich unterscheiden. Zum Teil sind die Rationalitätsvorstellungen unterschiedlicher Anspruchsgruppen wie Banken, Arbeitgebervereinigungen, Gewerkschaften, staatliche Verwaltungen, politische Parteien, Umweltschutzverbände, Verbraucherschutzverbände, Konkurrenten und Lieferanten auch widersprüchlich. Normen der Rationalität sind keine allgemeinen Werte und Vorgaben, sondern sie existieren als spezifische Ausformungen in jenen Regeln, in die die Erwartungen der einzelnen Anspruchsgruppen eingeflossen sind. Sie existieren im Verständnis dieser Regeln und in der Bedeutung, die institutionalisierten Elementen in einzelnen Bereichen der institutionellen Umwelt der Organisation beigemessen wird.

Meyer und Rowan greifen insofern ein weiteres Argument von Max Weber auf, das dieser in besonderer Weise hervorgehoben hat (s. auch Townley 2002):

»Man kann eben – dieser Satz der oft vergessen wird, sollte an der Spitze jeder Studie stehen, die sich mit Rationalismus befaßt – das Leben unter höchst verschiedenen letzten Gesichtspunkten und nach sehr verschiedenen Richtungen hin ‚rationalisieren’« (Weber 1984: 65).

Wenn man diesem Argument folgt, trifft das Bild von Organisationen als vereinheitlichte und abgestimmte Koordinationssysteme, wie es in vielen Organisationstheorien gezeichnet wird, nicht zu. Organisationen sind vielmehr als Systeme zu verstehen, die durch unterschiedliche Rationalitätsvorstellungen geprägt werden (Selznick 1996).

Meyer und Rowan (1977) behaupten nun, dass die Effizienzwirkung vieler struktureller Elemente oder Managementpraktiken, die von Organisationen übernommen werden, nicht belegt sei bzw. dass sich die Effizienzwirkung auch nicht belegen lässt, da die Wirkung dieser Strukturelemente oder Managementpraktiken nicht in objektiver Weise, beispielsweise durch einen systematischen empirischen Test, überprüft werden kann. Sie würden adoptiert, weil in der für die Organisation relevanten Umwelt ein Glaube an die Wirksamkeit und Effizienz dieser strukturellen Elemente und Managementpraktiken herrscht. Da Organisationen auf die Unterstützung interner und externer Akteure angewiesen sind, werden die in der institutionellen Umwelt als rational erachteten Elemente in die formale Struktur der Organisation übernommen. Das heißt,