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1. Auflage 2017
© Uwe Post, Frank Lauenroth, Niklas Peinecke, Frederic Brake, Merlin Thomas, Uwe Hermann, Christian Weis
www.biomalpha.de
Covergestaltung – Frank Lauenroth
Umschlagbild – Susan Gerardi
www.zazzle.com/charmedy
www.redbubble.com/people/charmedy
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-7431-2397-7
Ursprünglich war BIOM ALPHA als E-Book-Serie konzipiert. So erschienen drei Episoden, die im ersten Sammelband »Die Ankunft« bereits neu herausgebracht wurden. Die nicht mehr einzeln veröffentlichten Episoden 4 bis 6 sind im hier vorliegenden Band 2 versammelt. Von jetzt an erscheint BIOM ALPHA ausschließlich in solchen Einzelbänden; eine Episodenstruktur wird ab Band 3 fehlen.
Dramatis Personae
Hauptfiguren dieser Episoden:
Die UN-Delegation (im Habitatschiff Sneul):
Dr. April Reignar: Astronomin aus Texas, offizielle UN-Delegation.
Monsignore Capello: Geistlicher, offizielle UN-Delegation.
Mephliepus: Ein Phneighe und der Derzeit Qualifizierte von Biom Alpha.
Die Deutschen (im Habitatschiff Tannouk):
Marten Karnau: Journalist aus Hamburg.
Djosa Duhm: Ein Nefel, zuhause in Biom Alpha, Vertrauter von Marten.
Auf der Erde (USA):
Matthew Cunningham: 46. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.
Dick Walters: Major der US-Army.
Jenny Haines: Bedienung in einem amerikanischen Lokal.
Auf der Erde (Europa):
Aneta Lynsdat: Schwedin, Betreuerin von drei asylsuchenden Nefeln aus dem Biom.
Eliot Jones: Erfolgloser Online-Buchhändler, wohnhaft in Schottland.
Auf der Erde (Neu-Olakan, ehem. Mutumba, Ostafrika):
Hoober: Olakaner, Klanvater und aktueller Präsident von Neu-Olakan.
Zhaar: Würzriecher in Hoobers Klan.
Auf dem Mars:
Lopu/Kwang: Ein Ekkek-Sar, das einen koreanischen Marsforscher assimiliert hat.
Kairi Son: Mitglied der koreanischen Marsmission und Ehefrau von Kwang.
Im Habitatschiff Vin-Liatha:
Lo-Well: Ein Biom-Gärtner.
Was bisher geschah
Biom Alpha, ein Schwarm biologisch geprägter Raumschiffe aus den Tiefen des Kosmos, hat vielerorts auf der Erde Chaos gestiftet. Der Schwarm hat eine Delegation von der Erde eingeladen, darunter April Reignar, eine der Entdeckerinnen. Auch Marten Karnau, der sich spontan an Bord eines Habitats begeben hat, konnte erste Erfahrungen in der fremden Biom-Welt sammeln. Unterdessen werden die Nefel, die ausgerechnet in Hamburg Asyl beantragen, von einer TV-Show zur nächsten weitergereicht ...
Präsident Matthew Cunningham hatte seit Wochen einen schlechten Tag. Der mächtigste Mann der Welt war gereizt. Obwohl er unter Platzangst litt, riet man ihm davon ab, den Atomschutzbunker unter dem Weißen Haus zu verlassen. Seit die ersten Raumschiffe über der Erde aufgetaucht waren, hatte der Präsident kein Sonnenlicht mehr gesehen. Selbst wenn er vor dem Kongress sprach, sah man dort nur sein 3D-Video. Niemand wusste, was die Außerirdischen vorhatten. Der größere Teil der Sicherheitsexperten befürchtete eine Invasion und die Sprengung des Weißen Hauses und Cunningham war vorsichtig genug, ihnen nicht zu widersprechen. Er war der Präsident, ihm durfte nichts zustoßen. Und obwohl ein gigantischer Sicherheitsapparat ihn beschützte, waren sie gegen etwas so Banales wie seine Platzangst machtlos. Wann immer Cunningham erste Anzeichen einer Panikattacke verspürte, stürzte er sich verbissen in seine Arbeit. Er hatte bei seinem Amtsantritt als 46. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika versprochen, das Land zu säubern. Nicht von Armut, Kriminalität oder Korruption, sondern von allen Andersgläubigen. Jeder, der sich nicht öffentlich zum Christentum bekannte, war in seinen Augen eine Gefahr für Amerika. Und nun waren auch noch die Außerirdischen aufgetaucht. Obwohl es kaum Informationen über sie gab, war anzunehmen, dass ihnen der christliche Glaube fremd war. Oh ja, Präsident Cunningham hatte allen Grund, gereizt zu sein. Und das bekamen die Männer und Frauen seines Beraterstabes zu spüren. Sie saßen um den schwarz glänzenden Tisch herum und starrten auf ihre Smartphones, uTabs und Unterlagen, als sähen sie sie zum ersten Mal. Etliche Stühle waren leer. Der Präsident hatte in den letzten Wochen alle entlassen, die geschieden waren oder ohne Trauschein mit einem Partner zusammenlebten. Sie passten nicht zu seiner Politik einer sauberen USA. Seine übrigen Berater waren dermaßen eingeschüchtert, dass sie es selten wagten, ihre Meinung zu äußern.
Heimatschutzminister Franklin Harper stand der Schweiß auf der Stirn, als er sein uTab auf die Tischplatte legte, die nichts anderes als ein gewaltiger Touchscreen war. Mit einer Wischbewegung kopierte er die Fotos seines Tabletcomputers auf die glänzende Oberfläche. Eine weitere Geste und die Kopien erschienen an jedem Sitzplatz.
»Es gibt bestätigte Landungen von Raumschiffen in Australien, Kanada, Deutschland und Afrika«, begann er. »Unsere Befürchtung, dass die Außerirdischen eine Invasion vorbereiten, scheint sich zu bewahrheiten. Überwachungskameras haben Schwärme von vierflügligen Vögeln aufgenommen, die die Raumschiffe verlassen und die nähere Umgebung erkunden. Wir vermuten, dass sie Informationen über mögliche Landeplätze für die Hauptstreitmacht sammeln.« Er wischte ein neues Foto auf den Touchscreen-Tisch. Es zeigte die Luftaufnahme eines Vogelschwarms. Im Hintergrund war ein Teil eines Raumschiffes zu sehen, das einer geöffneten Buchecker glich. »Nach der Landung der Schiffe verbreitete sich eine blaue, toxisch wirkende Substanz, auf die Tiere und Menschen in der näheren Umgebung mit Wahnvorstellungen und Aggressionen reagierten.«
»Der WHO liegen keine Berichte einer seuchenartigen Ausbreitung der blauen Substanz vor. Es scheint sich nur um lokale Vorfälle zu handeln«, warf der Gesundheitsminister ein.
»Wie hoch ist die Sterblichkeitsrate?«
»Sie liegt im einstelligen Prozentbereich. Die meisten Infizierten erholen sich nach kurzer Zeit. Nur wer über einen längeren Zeitraum mit der Substanz in Berührung bleibt, stirbt.«
Präsident Cunningham kannte das Foto bereits. Es eignete sich nicht dazu, seine Stimmung zu heben. Er fühlte sich, als zerdrückte ihn der Konferenzraum. Seine Berater schienen nicht mitzubekommen, wie die Wände sich immer näher heranschlichen.
Harper sprach weiter, ohne dass Cunningham zuhörte. Der Präsident hatte genug. Er schlug wütend mit beiden Händen auf den Tisch. Das Touchscreen-Bild flackerte und baute sich in einer fortlaufenden Welle wieder auf. »Wir haben den größten Geheimdienst der Welt, die besten Abhörexperten, und Sie sprechen von Vermutungen und zeigen mir Fotos, die ich auch im Internet finde? Ich will neue Informationen! Woher kommen die Außerirdischen? Was wollen sie auf der Erde? Welche Waffen besitzen sie? Welcher Religion gehören sie an?« Der Präsident warf einen Blick in die Runde. »Kann mir irgendjemand von Ihnen diese Fragen beantworten?«
»Es ist schwer, diese Informationen zu beschaffen«, antwortete Harper nach einer Sekunde des Schweigens. »Wir wissen, dass der Schwarm aus Richtung Epsilon Eridani im Sternbild Eridanus gekommen ist. Er besteht aus etwa zweitausend Schiffen unterschiedlicher Größe. Wir vermuten, dass es ausschließlich biologische Raumschiffe sind …«
Wir vermuten …, dachte der Präsident ärgerlich. Schon wieder Vermutungen! Er stand auf und ging um den Tisch herum, ohne die Wände aus den Augen zu lassen. Die Bewegung half ihm, seine Platzangst zurückzudrängen. »Amerika ist das Zentrum der Welt«, knurrte er ärgerlich. »Ich bin das Zentrum der Welt! Ich will wissen, warum die Außerirdischen nicht bei uns landen. Wir sind von Gott auserwählt! Wenn es ein Land auf der Erde gibt, das die Technik der Außerirdischen verdient hat, dann sind wir das. Und sicher nicht Deutschland oder gar … Afrika.« Er drehte sich um und fixierte Rebecca Miller, seine Auslandsgeheimdienstchefin. »Was unternehmen wir wegen der Aliens, die in Deutschland Asyl beantragt haben? Wir können nicht zulassen, dass ihr Wissen in falsche Hände gerät.«
»Es wurde bereits alles Notwendige in die Wege geleitet«, sagte Rebecca Miller knapp.
Cunningham fiel die Wissenschaftlerin ein, die als Erste den Schwarm aus Raumschiffen entdeckt hatte. »Diese Frau von der NASA, diese May Reignar …«
»April Reignar«, korrigierte Harper.
»Meinetwegen auch April. Was wissen wir über sie?«
Der Heimatschutzminister holte Bilder der Astronomin auf den Touchscreen-Tisch. »Wir haben sie überwacht, seit ihr Mann Jacob Reignar, ein Lokalpolitiker, sie wegen staatsfeindlicher Äußerungen angezeigt hat.« April Reignars digitale Akte öffnete sich neben ihren Fotos. E-Mails und Kopien ihrer Telefonate scrollten über den Tisch.
Cunningham überflog den Bericht der Homeland Security. »Sind sie und ihr Mann geschieden?«
Harper verneinte. »Sie leben getrennt. Während April in Selbstmitleid ertrinkt, amüsiert sich ihr Mann mit Drogen und Prostituierten.« Er wischte weitere Bilder auf den Tisch, die Jacob Reignar mit mehreren Frauen in seinem Schlafzimmer zeigten. »Unser Geheimdienst hat bereits das erste Treffen zwischen April Reignar und Jimmy MacPeale aufgezeichnet. Als klar wurde, dass seine Beobachtungen keine Hirngespinste sind und ihr Bekanntwerden die öffentliche Sicherheit gefährden würden, haben wir zugegriffen. Leider konnten wir nur noch Mrs Reignars Assistenten Gary Atkins festnehmen. April Reignar und Jimmy MacPeale waren bereits auf dem Weg nach Chile.«
Der Präsident schnaubte. Das war auch so ein rotes Tuch für ihn. Die Außerirdischen hatten ein Schiff geschickt und eine fünfzehnköpfige Delegation zum Schwarm geholt, um Verhandlungen zu führen. Verhandlungen mit den Chilenen! Wie kamen die Außerirdischen dazu, mit einem so unbedeutenden Dritte-Welt-Land zu verhandeln und die USA zu ignorieren?
»Ich nehme an, wir haben einen Agenten in die Delegation eingeschleust?«, fragte er.
Harper schluckte unbehaglich. »Das hatten wir, mehrere sogar. Aber unser Sonderbotschafter Corvus Crane und die Mitglieder eines von uns angeheuerten Sicherheitsdienstes mussten das außerirdische Schiff nach einem Zwischenfall wieder verlassen. Sie wollten Alientechnik beschaffen, was leider misslungen ist. Crane und die anderen sind bereits auf der Erde und werden zurzeit von unseren Leuten befragt.«
Es wurde ruhig im Konferenzraum. Präsident Cunningham dachte nach. Die Ausweisung der Agenten war ein schwerer Rückschlag. Später würde sich jemand dafür verantworten müssen, aber zuerst brauchten sie Informationen. Andere Länder waren bereits im Besitz von gelandeten Raumschiffen und sie hatten nichts. Seine Botschafter versuchten, auf diplomatischen Wegen an außerirdische Technik zu kommen, aber niemand war bereit, sie mit ihnen zu teilen. Cunningham wusste, dass er handeln musste. In diesem Moment wurden die Karten neu gemischt. Das Land, das als Erstes an außerirdische Waffen kam, wäre die neue Nummer eins, die neue Weltmacht. Und wenn er nichts unternahm, konnte das Afrika, diese afrikanische Bananenrepublik, Deutschland oder gar Kanada sein. Er fasste einen Entschluss.
Das Pilzgeflecht spendete warmes Licht. Es überzog die gesamte Decke des Quartiers in einer Zickzacklinie.
April Reignar hatte am ersten Abend im Habitatschiff fasziniert mit der Beleuchtung experimentiert. Durch Betasten ließ sich die Helligkeit verändern, und wenn man einen der größeren Pilze länger als ungefähr drei Sekunden berührte, konnte man das Licht ein- und ausschalten. Jetzt hielt sich ihr Interesse für diese fremdartige Technik und all die anderen Wunderdinge im Biom in Grenzen. Sie hockte auf einer Liege und starrte ihren linken Unterarm an. Vom Handgelenk bis zum Ellenbogen steckte er in einem hohlen Ast, der seinen Zweck als Schiene erstaunlich gut erfüllte. Das weiche Holz hatte sich nahezu perfekt angepasst und war später ausgehärtet. Dafür hatte das blaue Zeug gesorgt, das die Phneighe direkt auf den Arm geschmiert hatten, nachdem ein Barr-Lo-i mit einem Keulenhieb Aprils Speichenknochen gebrochen hatte.
Seit diesem rabenschwarzen Tag bewegte sich April kaum aus ihrem Quartier, weil sie sich elend fühlte. Nicht so sehr wegen des Armbruchs – der würde gut verheilen, da war sie inzwischen guter Dinge. Aber die Nachwirkungen der Gehirnerschütterung, die sie sich beim Sturz zugezogen hatte, machten ihr noch immer zu schaffen. Manchmal fürchtete sie, der Druck in ihrem Schädel würde ihren Kopf platzen lassen, außerdem plagten sie gelegentlich Gleichgewichtsstörungen. Das Schlimmste war jedoch die Katastrophe, die über die Delegation hereingebrochen war. Der Irrsinn einiger Kollegen hatte April an den Rand eines Nervenzusammenbruchs gebracht.
Nachdem die meisten Überlebenden von den Phneighe mit einem Shuttle zur Erde zurückbefördert worden waren, hatten sich Jimmy MacPeale, Monsignore Capello und Anna Ivanova abwechselnd um April gekümmert, doch im Grunde war sie froh, wenn sie außer Jimmy niemanden zu Gesicht bekam. Der Monsignore ging ihr mit seinem religiösen Gequatsche auf die Nerven, auch wenn er es sicher gut meinte. Und Ivanova lag ihr andauernd mit politischen Überlegungen in den Ohren. Hauptsächlich davon, dass man im Biom Alpha gar nicht so weit von einem sozialistischen System sowjetischer Prägung entfernt sei und die guten Ansätze nur weiterführen müsse. April verstand nicht einmal einen Bruchteil von dem, was Ivanova ständig faselte und begrüßte es, dass die Russin in ein anderes Quartier umgezogen war. Da sich nur noch vier Menschen im Habitatschiff Sneul aufhielten, hatte Mephliepus jedem von ihnen eine eigene Unterkunft zugebilligt.
Überhaupt verhielt sich der Derzeit Qualifizierte großzügig zum kümmerlichen Rest der Delegation, obwohl er allen Grund dazu hatte, den Menschen zu misstrauen. Die Profitgier und Skrupellosigkeit der Total-Trust-Leute hatte immerhin nicht nur Elena Espinoza das Leben gekostet, sondern auch einigen Aliens. Allerdings wurden die verbliebenen Menschen auf Schritt und Tritt überwacht, auch wenn Mephliepus die Aufpasser stets Beschützer nannte. April fühlte sich in Begleitung tatsächlich wohler, weil ihr die teils skeptischen, teils offen feindseligen Blicke der Habitat-Bewohner keineswegs entgingen. Von der herzlichen Gastfreundschaft, mit der die Phneighe die Delegation empfangen hatten, war nicht mehr viel übrig. Im schlimmsten Fall mussten die Menschen mit Übergriffen rechnen, und wie die ausgehen konnten, hatte April schmerzhaft am eigenen Leib erfahren.
Robert Nduko lag im Koma. Die Hoffnung schwand, dass er jemals daraus erwachte. Und falls er doch wieder zu sich kam, würde er selbst bei bester medizinischer Betreuung wahrscheinlich als Pflegefall enden.
Die Lage war beschissen. Hoffnungslos beschissen.
April wollte sich gerade wieder hinlegen, als jemand ihr Quartier betrat. Sie drehte den Kopf und blickte zunächst in Mephliepus’ Gesicht, dessen Ausdruck sie schwer deuten konnte. Jimmys Miene sprach dagegen Bände.
»N… duko?«, fragte April mit krächzender Stimme.
Jimmy nickte.
April schluckte hart und erhob sich. »Ich … ich würde ihn gern noch einmal sehen. Mich … von ihm verabschieden.«
»Deswegen sind wir hier«, erklärte Jimmy mit einem Seitenblick auf Mephliepus. »Wir bringen dich zu ihm.«
Der Heilgarten lag in einem Waldstück. Den Weg dorthin nahm April nur im Unterbewusstsein war. Ihre Gedanken befanden sich auf Wanderschaft. Kehrten in die kleine NASA-Außenstelle in Texas zurück, wo alles seinen Anfang genommen hatte. Und ins La-Silla-Observatorium in Chile, wo sie Robert Nduko und Elena Espinoza zum ersten Mal begegnet war. Unter allen Delegationsteilnehmern waren ihr die beiden neben Jimmy am sympathischsten erschienen. Ausgerechnet sie hatte es nun erwischt. Immer mussten die Besten dran glauben. Wie ungerecht die Welt doch sein konnte!
Inmitten einer Lichtung, umrandet von Bäumen, Farnen und Sträuchern, lag Nduko auf dem Boden. April erschrak, als sie ihn erblickte. Er war nur schemenhaft unter einem blauen Pflanzengeflecht zu erkennen. Auf April wirkte es so, als hätte eine Riesenspinne seinen Körper mit dicken Spinnfäden eingewoben.
Sie erschauderte und wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Erst jetzt entdeckte sie Vito Capello, der mit gesenktem Haupt neben Corionapus und zwei metergroßen Ekmestern am Rand des Heilgartens stand. Der Monsignore trug eine violette Stola über seinem schwarzen Jackett und hielt die Hände vor dem Körper gefaltet. Als er die Neuankömmlinge bemerkte, ging er ihnen entgegen.
»Ich habe unserem Bruder Robert die Letzte Ölung gegeben«, sagte er, nachdem er neben April und Jimmy getreten war. »Er war zwar Protestant, aber diese … nun ja, äh, kleine Verirrung nimmt Gott der Allmächtige ihm nicht übel.«
April runzelte die Stirn und schielte zum Monsignore hinüber, der in sich versunken wirkte und offensichtlich jedes Wort ernst meinte.
»Heilpflanzen konnten dem Botschafter nicht mehr helfen«, erklärte Mephliepus. »Seine Verletzungen waren zu schwer. Er wird nun der Verwertung zugeführt.«
Aprils Augen weiteten sich, als sie sich abrupt Mephliepus zuwandte. »Was … bedeutet das?«
»Botschafter Ndukos Geist ist vergangen«, antwortete Mephliepus und verbeugte sich vor dem Leichnam. »Sein Wesen war hochgeschätzt, sowohl bei seinen Gefährten als auch unter uns Phneighe. Nun bleibt nur seine Hülle zurück, die zerfallen wird.« Er wandte sich April zu. »Hier im Biom soll nichts sinnlos vergehen. Den Geist des Botschafters können wir nicht bewahren, nur sein – wie sagt man?«
»Sein Andenken«, half ihm Capello.
Mephliepus nickte. »Ja, sein Andenken wird bewahrt. Seine Hülle wird der Verwertung zugeführt und erfüllt so letzten Zweck für die Gemeinschaft.«
April wollte etwas entgegnen, aber ihre Kehle war wie zugeschnürt. Sie bedachte den Monsignore mit einem fragenden Blick. Wenigstens von ihm erhoffte sie sich Unterstützung, jedoch ohne Erfolg. Nachdem er seinen katholischen Ritus vollzogen hatte, schien es ihm egal zu sein, dass Nduko verwertet werden sollte wie ein Tierkadaver. Denn nichts anderes konnten Mephliepus’ Worte bedeuten.
Plötzlich wurde April übel. Sie taumelte an den Rand des Heilgartens und würgte Galle hoch, die sie hinter einen Busch spuckte. Gegessen hatte sie schon länger nichts mehr, also hatte sie nichts außer Flüssigkeit im Magen. Mit dem rechten Ärmel ihrer Joggingjacke wischte sie über den Mund und stellte dabei fest, dass ihre Klamotten dringend gewaschen werden mussten. Als sie sich umdrehte, stand die russische Botschafterin vor ihr und musterte sie besorgt von Kopf bis Fuß.
»Geht’s wieder?«, fragte Ivanova.
April winkte ab. »Ja, ja, alles okay.«
»Sieht aber nicht so aus.«
»Doch, doch. Danke der Nachfrage! Mit mir ist alles in Ordnung. Nur … Ndukos Tod hat mich kalt erwischt … und … na ja, sein Aussehen unter diesem …«
»Verstehe.« Ivanova nickte. »Ja, ein besonders schöner Anblick ist das nicht. Aber würde er auf einem unserer Totenbetten besser aussehen? In seinem Zustand wohl kaum. So sieht man seine Kopfverletzungen wenigstens nicht.«
April atmete tief durch und unterdrückte den Würgereiz. Ivanova wirkte auf sie nicht sonderlich mitgenommen, eher kalt und gefühllos. Sie schien Nduko als etwas zu betrachten, das tatsächlich zu nichts anderes mehr nütze war, als irgendeiner sinnvollen Verwendung zugeführt zu werden.
»Wir müssen nach vorne schauen«, bestätigte Ivanova kurz darauf Aprils Eindruck. »Jetzt, wo unser Delegationsleiter tot ist, sollten wir uns überlegen, wer seine Nachfolge antritt.«
April sah Ivanova angewidert an, doch die merkte nichts davon. Ihr Blick war auf Jimmy und Mephliepus gerichtet, als sie verkündete: »Ich stelle mich für den Posten zur Verfügung. Ich bin das einzige noch verbliebene Delegationsmitglied, das offiziell von einer irdischen Regierung abgeordnet wurde – also bin ich für den Posten prädestiniert, oder sieht das jemand anders?«
Marten wusste nicht, was er erwartet hatte. Vielleicht eine Schulklasse. Irgendetwas, das mit dem Unterricht auf der Erde vergleichbar war. Er hätte auch einen schmackhaften Pilz akzeptiert, durch den man das notwendige Wissen in sich aufnahm.
Stattdessen hing er gemeinsam mit Justus, Djosa Duhm und Orea kopfüber von einem Baum und blickte in die Tiefe. Unter sich sahen sie das Innere der gigantischen Raumschiffsdose. Der Blick nach oben war zum Blick nach unten geworden.
In ihrer unmittelbaren Nähe standen zwei Barr-Lo-i. Die Keulen hielten sie als fortwährende Warnung in ihren Händen. Sie schienen kaum auf die Klasse zu achten, doch Marten war sich sicher, dass die Barrn jede ihrer Bewegungen wahrnahmen.
Orea hatte ihr gemeinschaftliches Kopf-Über-Erlebnis eine Veränderung der Wahrnehmung genannt. Überhaupt beherrschten die Phneighe die deutsche Sprache sehr gut. Auch Djosas Versuche verbesserten sich zusehends. Bislang hatte er Verben immer in der Nennform benutzt, doch mittlerweile versuchte er sich recht erfolgreich im Deklinieren.
Allerdings war Orea trotz ihrer offensichtlichen Sprachbegabung – zumindest nach Martens Meinung – keine gute Lehrerin. Über das Biom gab es sicherlich einiges zu erfahren. Aber die Phneighe-Frau sprach viel … und sagte doch wenig.
»Erkennt das Kleine im Großen. Versteht die Veränderung. Alles ist gleich und trotzdem im Wechsel«, propagierte sie.
»Wie die Frau, die sterben musste?«
Marten konnte und wollte sich nicht damit abfinden, dass Ricardas Tod ein Unfall gewesen sein sollte, der bei den Phneighe noch nicht einmal Bedauern hervorrief. Dass das Individuum im Biom wenig galt, war eine für Marten schwer nachvollziehbare Erfahrung. Als Mensch entwickelte man sogar Bindungen zu weniger beliebten Artgenossen und in der Not stand man zusammen.
Orea schaute Marten mit ihren großen Augen an. Wunderschöne Augen, wie er fand.
»Das Biom existiert bereits sehr lange. Beinahe unendlich viele Welten hat es gesehen. Zeiten vergehen. Wesen vergehen.«
Offensichtlich war damit alles gesagt. Marten hatte jedoch auf eine fassbare Begründung gehofft. Der Ton während ihrer Verhandlung war schroff gewesen. Es gab keine Begründungen und kein Bedauern. Aber jetzt – während des Unterrichts – hätte sicherlich die Chance bestanden, den Tod von Ricarda Schrödinger aufzuarbeiten, ihren Platz im Biom zu erklären. Doch wieder ging Orea nicht auf Martens Fragen ein.
»Welches Ziel verfolgt das Biom?«
»Neue Welten erforschen, neue Zivilisationen …«
»Ich glaub’s nicht. Die haben Star Trek gesehen«, sagte Justus.
Orea quiekte leise. Wahrscheinlich war es das Äquivalent zum Glucksen der Nefel. »Entschuldigt. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen. Eure Kultur hat uns irritiert. Ihr beschreibt Handlungen, zu denen ihr gar nicht in der Lage seid. Das ist … ärmlich.«
Marten korrigierte: »Wir träumen! Das ist ein Unterschied.«
Orea widersprach ihm nicht. Allerdings antwortete sie auch nicht. Marten war sich nicht sicher, ob es aus Desinteresse an den menschlichen Werten geschah, oder ob Orea nur manche Zusammenhänge nicht verstand. Andererseits: Die Phneighe-Frau hatte Humor bewiesen. Und sie kannte offensichtlich einiges von der menschlichen Kultur, um diesen Humor zielsicher einzusetzen. Marten kam zu dem Schluss, dass es sich weder um Desinteresse noch um Unwissenheit handelte. Als logische Folge blieb nur noch eine weitere Möglichkeit: Der Glaube an die Überlegenheit der eigenen Rasse. Das aber wäre der schlimmste Grund von allen gewesen.
Justus nahm das Gespräch wieder auf. »Wie war das nochmal mit dem Ziel des Bioms?«
»Das Biom ist ein riesiger Organismus, der wachsen will. Wir helfen ihm dabei. Die Reise mag lang sein und die Entbehrungen zahlreich.«
Marten konstatierte, dass sie damit immer noch keine Antwort erhalten hatten. Oreas Erkärung klang eher nach einer Weltreligion als nach einem nachvollziehbaren Ansatz, Gott oder das Zentrum des Universums zu finden.
»Es gibt Verhaltensregeln, die auch die Menschen zu beachten haben.«
»Wahrscheinlich ist es eher eine Überlebensstrategie«, gab Marten bissig zurück und drehte sich von Orea weg. Nur ein wenig. Anderenfalls wäre er vom Baum gefallen.
»Du könntest auch nach Hause kommen!«
Anetas Stimme! Da war sie wieder.
Marten wandte sich Orea zu. Da waren ihre Augen, die ihn anstrahlten, ihre Stimme, die so wunderschön … und ließ los. Er fiel kurz und landete weich.
»Festhalten wäre eine erste Maßnahme, um hier zu überleben«, sagte Orea mit ihrer eigenen Stimme. Dann quiekte sie wieder leise.
Marten blickte zu den anderen hinauf. Erst jetzt realisierte er, dass er sich bei dem Sturz nicht alle Knochen gebrochen hatte. Die hohen Gräser unter dem Baum hatten ihn aufgefangen. Und so, wie die dicken, biegsamen Halme ihn selbst jetzt noch hin und her wiegten, geschah das mit voller Absicht.
»Wir werden zu dir hinunterkommen«, sagte Orea.
Sie hangelte sich scheinbar mühelos an den Ästen entlang. Djosa gewährte Justus Hilfestellung. Marten erinnerte sich der Klammer- und Kletterfähigkeiten des Nefels und war wenig überrascht.
Die Barrn hatten mit keinem Muskel gezuckt. Weder als er gefallen war, noch jetzt.
Unten angekommen, fuhr Orea fort: »Das Biom ist eine heterogene Gesellschaft verschiedener Lebensformen. Da jedes dieser Wesen seine Eigenheiten besitzt, werdet ihr diese respektieren müssen.«
»Auch die Menschen besitzen Eigenheiten. Sollten nicht auch wir respektiert werden?«, entgegnete Justus.
»Das werdet ihr. Wenn ihr erst einmal lange genug Teil des Bioms seid.«
Martens Befürchtung bestätigte sich. Die Menschen waren hier nur Wesen zweiter Klasse.
»Wie lange sind die Nefel bereits Teil des Bioms?«, fragte Marten mit einem Seitenblick auf Djosa Duhm.
»Sie kamen mit den Gnorrsk. Es ist sehr lange her.«
Djosa kommentierte das nicht.
»Und die Phneighe? Wie lange seid ihr schon hier?«, hakte Justus nach.
»Länger.«
Marten wäre gerne näher darauf eingegangen. Immerhin sollte dies hier ein Unterricht sein. Gemessen daran war Orea alles andere als auskunftsfreudig. Zu gern hätte er Orea direkt gefragt, ob die Phneighe sich selbst über den anderen Mitbewohnern des Bioms sahen. Doch leider war da etwas, das ihn mehr und mehr ablenkte.
Ein Jucken.
Es hatte kaum spürbar an den Händen begonnen. Nun schien es seine Unterarme hinaufzukriechen. Marten erinnerte sich, was seine Mutter – Gott hab sie selig – ihm bei Sonnenbrand geraten hatte: Kitzeln, nicht kratzen! Er versuchte, nach eben dieser Methode dem Jucken zu begegnen. Der Erfolg hielt sich in Grenzen.
Justus hatte wohl bemerkt, dass Marten abgelenkt war und übernahm.
»Die kleinen behaarten Wesen …« Justus kam im Moment nicht auf ihren Namen.
»Du meinst die Ekmester«, warf Marten kurz ein und widmete sich wieder seinen Unterarmen.
»Sie sind den Phneighe treue Gefährten«, erklärte Orea. »Sehr wichtig für unser Biom. Sie sind hier immer zu dritt. Ein Schaffer und zwei Heger.«
»Und das bedeutet?«
»Einer der Ekmester ist ein Gärtner, der Leben gibt, der es versetzt oder auch dem Tank zuführt.«
»Der Schaffer.«
»Genau. Die Heger sind jedoch ebenso wichtig. Sie erhalten alles am Leben, umsorgen die biomgebundenen Lebewesen.«
»Die Pflanzen?«
»Ich glaube, ihr versteht Pflanzen als ortsfeste und zumeist langsam wachsende Spezies?«
Justus nickte.
»Nun … das ist hier im Biom etwas anders.«
Marten blickte kurz von seinen Unterarmen auf und schaute zur Phneighe-Frau.
Oreas Augen zogen ihn magisch an, doch zugleich musste er immer wieder an Aneta denken … und an die Erde.
Vielleicht lag es daran, dass Orea von Zeit zu Zeit mit Anetas Stimme sprach.
Das war seltsam. Aber schön.
Orea war schön.
Aneta war …
Er mochte das Biom nicht mehr.
Der Unterricht langweilte ihn. Wenn es denn überhaupt ein Unterricht war. Und was noch viel schlimmer wog: Ricarda Schrödinger war recycelt worden. Die Phneighe schauten auf die Menschen herab. Vielleicht auch auf die Gnorrsk und die Nefel. Möglicherweise nicht auf die Ekmester. Die Gärtnerspezies war im Habitat der berühmte kleine Mann, ohne den nichts lief. In einem Raumschiff, das nahezu komplett aus Pflanzen – oder Pflanzenähnlichen – bestand, war die Arbeit des Gärtners nicht zu unterschätzen. Die Phneighe wussten das.
Die Menschen aber waren, so glaubte Marten zumindest, nicht sehr angesehen im Habitat.
Marten stellte mehr und mehr fest, wie sehr Aneta ihm fehlte. Sein Körper juckte.
Alles schien sich für Marten in einen Albtraum zu verwandeln.
Aber Orea war schön.
»Ich weiß«, sagte sie.
Marten lächelte.
Der Wind strich über die karge Wüstenlandschaft und ließ die Äste einer Windhexe rascheln. In der Ferne waberte die Luft und die Sonne blendete selbst durch die Wüstensonnenbrillen der Männer, die sich hinter einer Hügelkette versammelt hatten. Die letzten zwei Kilometer hatten sie zu Fuß zurückgelegt. Die Jeeps hatten sie zurückgelassen, um nicht entdeckt zu werden. Es war heiß und die Männer atmeten schwer. In der Mitte der Gruppe hockte Major Walthers, dessen eisgraue Haare kurz geschnitten und akkurat frisiert waren. Der Reihe nach blickte er die um ihn versammelten Soldaten des Special Forces Platoons an.
In allen dreißig Augenpaaren sah er gespannte Aufmerksamkeit.
»Männer«, sagte er, »vor uns liegt eine außergewöhnliche Aufgabe. Ich muss nicht betonen, dass ich nichts anderes als einen Erfolg erwarte.«
Die Uniformierten um ihn herum nickten.
»Es ist jetzt Null Neunhundert. Wir erkunden zunächst weiträumig. Smithers, Jenkins, Sie werden einen möglichen Zugriffsweg aufklären. Carruthers, Hoskins, Sie übernehmen die Fernaufklärung mit der Drohne. Burroughs, Sie umgehen mit Ihrer Gruppe das Raumschiff und beziehen Stellung auf der anderen Seite. Ich will eine lückenlose Abdeckung. Wegtreten.«
Ein vielstimmiges »Jawohl, Sir« ertönte. Er winkte einen der Kämpfer zu sich und bedeutete ihm sich umzudrehen, damit das Funkgerät auf seinem Rücken leichter erreichbar war. Bevor er jedoch Funkkontakt aufnehmen konnte, sprach ihn sein Stellvertreter, Lieutenant Ross Dwyer, an.
»Dick, was zum Teufel machen wir hier eigentlich?«
»Außer das Ding da draußen für eine mögliche Eroberung zu erkunden? Das werden wir gleich erfahren, Ross.«
Dwyer nickte. Walthers nahm das Mikro des Funkgerätes und drückte die Sendetaste.
»Charly Team für Delta Command, kommen«, sagte er und ließ die Sendetaste los. Statisches Rauschen antwortete ihm. »Charly Team für Delta Command. Kommen.«
»Delta Command für Charly Team«, erklang es endlich aus dem kleinen Lautsprecher.
»Charly Team für Delta Command. Bist du das, Tom?«
»Delta Command für Charly Team. Yep. Major Dick ›Chaney‹ Walthers, alter Kämpe. Wie geht es dir?«
»Tom Gerard. Haben sie dir dein vorlautes Mundwerk immer noch nicht weggeschossen?«
»Du hast deinen fetten Arsch ja auch noch, oder?«
Walthers sah zu Dwyer, der sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte, und verdrehte die Augen.
»Okay, Tom. Spaß beiseite. Ich freue mich, dich als Ops Command zu haben. Und es macht mich nervös. Das hier ist kein normaler Auftrag, sonst hätte man dich nicht ans Mikro gesetzt. Was ist da los?«
Eine kleine Weile hörte man nur statisches Rauschen. Dann knackte es im Lautsprecher. Tom Gerard meldete sich wieder.
»Dick, das ist top secret. Wie immer. Ich übermittle dir gleich den Operationsbefehl per scramble send. Verbinde bitte dein Mil-Tab mit der Schnittstelle am Funkgerät und öffne die App.«
Walthers stellte die Verbindung her. Kurz darauf signalisierte sein Tab den Empfang eines Datenpaketes. »Okay, ist angekommen.«
»Dann lies es, tu, was drinsteht und stell keine Fragen«, knurrte Gerard.
»Mann, du bist heute ganz schön mies drauf, Tom.«
»Lies den verdammten Befehl, Dick. Und … viel Glück. Du wirst es brauchen. Delta Command Ende.«
»Oh oh«, machte Dwyer.
Walthers sah seinen Stellvertreter ernst an. »Lass den ›Oh-oh‹-Scheiß. Das kann ich seit Sierra Leone 2023 nicht mehr ab. Jedes Mal, wenn du das gesagt hast, mussten sie mich anschließend zusammenflicken.«
Dwyer hob die Hände. »Okay, okay, sorry. Kommt nicht wieder vor. Was steht denn in diesem ominösen Befehl?«
Walthers funkelte seinen Stellvertreter noch einmal böse an, dann öffnete er die Entschlüsselungs-App und las, was auf dem Display erschien.
»Oh Mann«, fluchte er und spuckte aus.
»So schlimm?«, fragte Dwyer. Walthers reichte Dwyer das Tab.
»Das ist nicht ihr Ernst, oder?«, bemerkte der, nachdem er den Befehl gelesen hatte.
»Ich fürchte doch. Vorteil ist, wir kommen aus dieser Höllenhitze raus. Smithers, Jenkins, zu mir.«
Während die beiden Scouts zu Walthers liefen, nahm dieser wieder sein uTab und rief die Bilder der Erkundungsdrohne auf. Darauf waren rund um die Landestelle Spritzer einer blauen Substanz zu sehen. Es sah aus, als habe das Schiff etwas vor der Landung abgelassen. So wie Flugzeuge, die vor der Landung den Inhalt ihrer Bordtoiletten entsorgen.
»Smithers, was hat die Aufklärung ergeben?«
Smithers salutierte. »Wir haben zwei mögliche Wege identifiziert. Beide führen bis auf etwa zehn Meter an das Objekt heran. Danach ist nur freie Fläche, keine Senken oder Rinnen, keine Felsen oder Büsche, die wir nutzen können. Bei Tag haben wir keine Chance, Sir.«
Walthers schnaubte unwillig. »Und bei Nacht?«
Smithers schluckte vernehmlich. »Bei Nacht … sieht es kaum besser aus. Darf ich offen sprechen, Sir?«
Walthers nickte.
»Wir sollten keine Erkundung direkt am Raumschiff unternehmen, Sir. Die Gefahr, entdeckt zu werden, ist zu groß.«
Wieder nickte Walthers. »Das mag sein. Einwand zur Kenntnis genommen. Nutzt aber nichts. Lesen Sie.«
Er gab Smithers das uTab. Smithers bewegte beim Lesen die Lippen. Dann sah er zu Walthers und Dwyer.
»Ist das ein Irrtum?«, fragte er. »Sir«, setzte er hinzu, als er Walthers’ grimmigen Blick bemerkte.
»Nein. Kein Irrtum. Wenn bei Nacht größere Chancen bestehen, dann heißt das für Sie beide, um Nullvierhundert Zulu beginnt Ihre Mission.«
Smithers und Jenkins sahen sich an.
»Wir möchten uns kurz besprechen, Sir«, sagte Smithers. »Mit Ihrer Erlaubnis.«
»Erlaubnis erteilt«, gab Walthers sein Okay.
Die beiden Soldaten traten ein paar Schritte zurück und begannen eine geflüsterte Unterhaltung.
»Haben die beiden Schiss?«, wandte sich Walthers an seinen Stellvertreter.
Dwyer runzelte die Stirn. »Du hast einen klaren Befehl erteilt. Da gibt es nichts zu besprechen. Was zum Teufel hat dich da geritten?«
Walthers kniff seine Augen zusammen. »Du kennst sie genauso lange wie ich. Was kann die beiden so sehr beunruhigen, dass sie einen direkten Befehl diskutieren wollen? Die Männer wissen, dass das vor dem Truppengericht enden kann.«
»Beunruhigen? Mensch, Dick, hör dir mal zu! Da draußen steht ein Raumschiff. Ein Raumschiff einer fremden Zivilisation. Und du hast gerade den Befehl gelesen, dass wir dieses Schiff in unseren Besitz bringen und nach Williams überführen sollen. Beunruhigen ist die Untertreibung des Jahrhunderts!«
»Jetzt reg’ dich doch nicht so auf. Du hast ja recht. Mir ist auch nicht besonders wohl dabei, ein Raumfahrzeug zu erobern. Ohne Feindaufklärung und ohne Kenntnis von Bewaffnung und Mannschaftsstärke, ohne überhaupt zu wissen, wie das Ding gesteuert wird, falls die Besatzung nicht kooperiert.«
Dywer legte seinem Freund eine Hand auf die Schulter. »Ich weiß, manchmal frage ich mich auch, was unsere oberste Führung heimlich raucht. Trotzdem haben wir den Befehl, dieses Dings da hinten für unsere glorreiche Nation in Besitz zu nehmen. Also, lass uns mit den Männern für einen Erfolg beten.«
»Sir?«, meldete sich Jenkins. »Es ist besser, jetzt die Operation zu beginnen. Wir benötigen keine Nachtsichtgeräte, und Wärmebildkameras können uns nicht orten. Wenn ich den Befehl richtig verstanden habe, sollen wir das Schiff kapern. Dazu müssen wir durch ein Ablenkungsmanöver eventuelle feindliche Kräfte binden. Smithers und ich sind dafür ausgebildet und wir haben gute Chancen, den Perimeter des Schiffes erreichen, ohne entdeckt zu werden.«
Walthers überlegte eine Weile. »Wie wollen Sie vorgehen?«
»Wir rücken unter Deckung bis zum Schiff vor und werfen Blend- und Nebelgranaten und Schockgeneratoren. Dann rücken Sie mit den Kampfgruppen nach.«
Walthers und Dwyer nickten beide gleichzeitig.
»Also gut«, sagte Walthers. »Ausführung. Ross, informier die Gruppenführer.«
Dwyer salutierte und lief los.
Walthers wandte sich an Smithers. »Sie wissen, dass während der Mission Funkstille gilt. Außerdem haben wir momentan keine Verbindung zum Ops Command, um Sie und uns vor Entdeckung durch Funkpeilung zu schützen, während Sie vorrücken. Wenn etwas schiefgeht, müssen wir uns selbst aus dem Sumpf ziehen.«
Smithers hob den Daumen. »Das wissen wir, Sir. Wird schon alles klappen. Ist ja nicht das erste Mal, dass wir keine Chance haben und sie trotzdem nutzen.« Er lächelte zuversichtlich.
Walthers nickte ihm zu und klopfte ihm auf die Schulter. »Wegtreten und Ausrüstung aufnehmen«, befahl er.
Smithers und Jenkins salutierten. Walthers erwiderte den Gruß. Die beiden gingen zu ihrem Gepäck, um ihre Ausrüstung zu holen.
Versonnen betrachtete Walthers die Bilder der Luftaufklärungsdrohne, die ihm das Raumschiff zeigten. Es war ein Ellipsoid, ungefähr dreihundert Meter lang, an der breitesten Stelle rund siebzig Meter breit, und sah völlig anders aus als die Landeschiffe, die rund um den Erdball aufgetaucht waren. Es stand auf mehreren Landebeinen. Auf den Bildern waren nur sieben zu erkennen. Vermutlich gab es mehr, die jedoch auf den Fotos nicht sichtbar waren. Eine Gangway war ausgefahren, die den Boden berührte. An ihrem oberen Ende zeichnete sich eine dunkle Öffnung im Rumpf des Raumschiffes ab. Die Oberfläche war aus Metall, wenn auch glanzlos und von zahllosen Schrammen überzogen. Nichts regte sich. Fenster waren nicht zu sehen.
»Sir, wir sind so weit«, vernahm Walthers die Stimme von Jenkins hinter seinem Rücken. Er drehte sich um.
»Viel Erfolg!«
»Sir!«
Jenkins und Smithers ließen sich in eine Geländerinne gleiten, ein Bachlauf, der während der seltenen Regenfälle in New Mexico zu einem reißenden Fluss wurde. Walthers nahm sein Fernglas und suchte abwechselnd den Verlauf des Bachbetts und das Raumschiff nach einem Lebenszeichen ab. Ohne Erfolg.
»Die Gruppenführer sind instruiert, die Gruppen in Bereitschaft. Alles ist vorbereitet«, sagte Dwyer, der an Walthers’ Seite getreten war. Die beiden standen abseits der übrigen Soldaten.
»Eigentlich nicht. Auf so etwas kann man sich nicht vorbereiten. Es gibt jetzt kein Zurück mehr.«
Dort draußen regte sich nach wie vor nichts. Die Position, die Walthers’ Truppe bezogen hatte, als sie hier angekommen waren, bot reichlich Deckung gegenüber dem Schiff der Aliens. Trotzdem wurde Walthers das Gefühl nicht los, ihre Ankunft sei schon längst bemerkt worden.
Das Funkgerät knackte.
»Das blaue Zeug auf dem Boden macht das Fortkommen schwierig, es klebt.«
»Spinnt Smithers? Ich habe Funkstille befohlen«, schimpfte Walthers.
Dwyer legte eine Hand auf Walthers’ Arm, mit dem er zum Mikrofon greifen wollte. »Dann brich du sie nicht auch noch«, rief er seinen Freund und Vorgesetzten zur Ordnung.
Walthers schüttelte die Hand ab und knurrte Unverständliches. Dann setzte er die Beobachtung des Schiffes fort. Er entdeckte weder ein Zeichen seiner Leute, noch konnte er am Schiff eine Bewegung ausmachen.
»Da! Hast du das gesehen?«, raunte Dwyer ihm zu. »Auf elf Uhr, links neben dem Busch mit den drei großen Ästen, hat was geblinkt. Metall. Mann, die sind schon verflucht nah dran.«
»Und verflucht unvorsichtig. Warum haben die ihre Waffen nicht mit Tarntape umwick…«
Walthers’ Stimme ging in dem ohrenbetäubenden Krachen unter, das die explodierenden Granaten erzeugten, die seine Leute in Richtung Schiff geworfen hatten.
Walthers gab seiner Einheit ein Zeichen.
»Angriff!«
Marten zweifelte, ob es zwingend notwendig war, immer kopfüber an Bäumen zu hängen. Und wieso war da eine Blumenwiese über ihm – respektive unter ihm? Er ließ los und fiel. Doch diesmal waren da keine intelligenten Pflanzen, die ihn auffingen. Stattdessen gähnte unter ihm ein Abgrund. Breit und schwarz. Marten versuchte im Fallen irgendetwas zu fassen zu kriegen, sich am Rand des Abgrunds zu halten, sich an irgendetwas festzuklammern. Er rutschte ab, fiel weiter, griff mit den Händen an die Wände aus Stein und Geröll. Seine Unterarme brannten wie Feuer …
Marten wachte auf. Er befand sich in ihrem Quartier, lag auf dem Rücken. War sicher.
Lumineszierende Pilze an den Wänden tauchten ihr Zimmer in ein mattes Blau. Doch das Feuer blieb, kroch die Unterarme entlang und sprang über die Ellenbogen hinauf, weiter, in Richtung seiner Schultern.
Jucken. Allgegenwärtig.
Am gestrigen Abend war er vor Erschöpfung eingeschlafen. Wie lange er geschlafen hatte? Marten hoffte, dass es Stunden waren. Doch dessen sicher konnte er nicht sein. Seine Armbanduhr zeigte 14:23 Uhr. Leider hatte er nicht drauf geschaut, als er sich schlafen gelegt hatte. Eigentlich, so wurde Marten gerade bewusst, hatte er zuletzt auf der Erde die Uhr benutzt.
Justus lag auf dem anderen Bett und schnarchte leise.
Das Jucken. Es war da und es erweckte den Eindruck, nie wieder aufhören zu wollen. Er würde Orea fragen müssen. Oder Djosa Duhm. Es musste doch eine Lösung geben. Irgendein Gegenmittel. Eine Medizin.
Marten erhob sich und trat hinaus ins Habitat. Für einen kurzen Moment wähnte er sich wieder auf der Erde. Vollmond. Eine Wiese direkt vor dem Haus. Doch die Illusion erstarb sofort. Die Pflanzen tanzten in einem feierlichen Rhythmus. Das Licht kam von der Mittelachse und in der Nähe hing Djosa Duhm. Da flog bereits einer der Aufpasser heran – ein Barr-Lo-i – und schnauzte Marten an. Marten verzog sich schleunigst wieder ins Quartier. Zurück zu seinen Gedanken und seinem Jucken.
»Kannst wohl auch nicht schlafen?«, fragte Justus.
»Dieser Tag-Nacht-Wechsel hier bringt mich total aus dem Gleichgewicht«, murmelte Marten.
»Nicht nur dich!«
»Ich hasse das Biom!«
Justus blickte ihn mit großen Augen an. Marten fragte sich, ob sein Mitbewohner ihn überhaupt verstanden hatte. Erst dann sah er, dass auch Justus sich kratzte.
»Du auch?«
»Ja, seit gestern.«
»Gestern – welch relativer Begriff.«
»Ist ehrlich gesagt auch kein Wunder. Wir wandeln hier seit Tagen in den gleichen Klamotten. Möchte nicht wissen, welche Mini-Biosphäre sich da ausbildet.«
Marten schüttelte seinen Kopf. »Ich glaube, das Jucken kommt vom Biom.«
»Das können wir leicht herausfinden, indem wir die möglichen Ursachen ausschließen.«
»Und das bedeutet?«
»Dass wir Orea um neue Klamotten bitten.«
»Ich glaube kaum, dass die was von Armani hier haben«, meinte Marten und wies auf Justus’ Sakko, das fein säuberlich neben dem Bett lag.
»Aber irgendetwas werden sie haben. Die Ekmester tragen ja auch Kleidung. So ziemlich alle tun das, bis auf die Phneighe selbst.«
»Gut.« Marten nickte. »Fragen wir sie. Nachher.«
Er ließ sich auf sein Bett fallen. Mittlerweile hatte Marten keine Bedenken mehr, hart zu landen. Das Bett fing ihn auf und bot ihm eine gemütliche Schlafstatt.
»Weiterschlafen?«, fragte Justus.
»Weiter liegen«, antwortete Marten und musste sich wieder kratzen.
Vor der nächsten Unterrichtsstunde baten Marten und Justus Orea um Hilfe. Die Phneighe-Frau erklärte sich bereit, das dringende Bedürfnis der Menschen den Biom-Gärtnern zu übermitteln. Marten konnte nicht sagen, ob Orea die Bitte ernst genug nahm, um ihr sofort nachzukommen. Doch in dem Moment lief ein ihnen bislang unbekanntes Alien einen nahen Weg entlang. Es mochte daran gelegen haben, dass dieses Wesen eine entfernte Ähnlichkeit mit einer Spinne in der Größe einer Dogge aufwies, vielleicht war es auch der frühe Morgen ohne Frühstück und eine schlechte Nacht – Justus ging ohne Vorwarnung in die Knie und übergab sich, als müsste er sein Innerstes nach außen kehren.
Orea schaute interessiert zu. Marten wusste nicht, wie er Justus helfen konnte. Als auch er Ekel verspürte – das spinnenähnliche Wesen war schon längst aus ihrem Blickfeld verschwunden – wandte er sich rasch ab. Doch die Geräusche blieben. Das Spucken, das Würgen, das Platschen von lauwarmem Mageninhalt auf den Habitatweg.
Marten strebte vorsichtshalber den nächsten Baum an, um im Falle eines Falles lieber die Pflanzen zu düngen. Vor ihm öffnete sich eine blaue Blüte. Innere, violette Blütenblätter schoben sich über die äußeren und erzeugten so den Effekt, noch größer zu erscheinen. Einen Moment war Marten von der Bewegung der Pflanze abgelenkt, als ihn ein Schwall von stinkendem Blütenstaub mitten im Gesicht traf. Marten hustete, wandte sich eilig ab, um einer zweiten Ladung zu entgehen, taumelte auf den Weg zurück und begann sich ebenfalls die Seele aus dem Leib zu kotzen.
»Das ist etwas, was wir Phneighe nicht vermögen«, gab Orea zu.
Marten blieb eine passende Erwiderung im kratzenden Halse stecken.
»Das ist dieses Biom – ich vertrag das nicht«, keuchte Justus, der sich wieder aufrappelte. Für Orea schien es der Startschuss neuer Fürsorglichkeit zu sein.
»Ich werde mich um neue Kleidung für euch kümmern.«
Sie wandte sich an den nächsten Ekmester. Der holte seine zwei Kumpane und umrundete sowohl Justus als auch Marten. Er schaute sich die Menschen von oben bis unten an. Drehte abermals eine Runde und verständigte sich kurz mit den anderen Ekmestern. Dann flitzten sie davon.
»Zeit für den Unterricht«, sagte Orea.
Irgendwann kamen die Ekmester zurück und überreichten Marten und Justus gezüchtete Kleidung. Orea erklärte es ihnen: »Die Pflanzen bewachsen eine Puppe, die nach euren ungefähren Maßen angefertigt worden ist. Ihre Ranken umschließen sie nach und nach vollständig. Abschneiden. Zuschneiden. Fertig.«
Marten warf seine alten Klamotten achtlos weg und schlüpfte in die Biom-Kleidung. Nicht nur, dass er das Gefühl hatte, seine alten Sachen würden zehn Meter gegen den Wind stinken – Marten verband auch sein Jucken mit den schmutzigen Kleidungsstücken. Er wollte das Jucken loswerden, also musste er sich von seinen Klamotten trennen. Marten hatte erwartet, dass es schwer wäre, die Biom-Kleidung anzuziehen, dass die Pflanzen, Ranken oder was auch immer kratzen würden. Doch obwohl sein neuer Anzug wie ein grünes, sehr feinmaschiges Kettenhemd aussah, fühlte es sich wie eine Mischung aus Baumwolle und Elastan an. Um ein Haar hätte er nach dem Einnäher mit den Waschhinweisen gesucht.
Dann musste er sich wieder kratzen.
»Frische Klamotten reichen wohl nicht«, sagte Justus verkniffen. »Wir sollten uns mal waschen!«
Walthers rannte inmitten seiner Leute auf das Raumschiff zu, aus dessen Luke Granatennebel wallte. Er meinte, eine Bewegung in dem Rauch auszumachen.
»Smithers? Jenkins?«, rief er ins Funkgerät. Er erhielt keine Antwort.
»Sind wohl schon im Schiff«, nuschelte er durch den Mundschutz seines Gefechtshelms. Aus dem Schiff drang der Lärm von Feuerstößen. Ein Klang, den Walthers nur zu gut kannte. Das charakteristische Hämmern einer P90. Vor ihm ertönte der Ruf »Deckung«. Walthers warf sich zur Seite, rollte sich ab und in eine Felsrinne. Er schützte seinen Kopf, wartete aber vergeblich auf die Explosion. Vorsichtig lugte er über den Rand der Rinne und sah, wie einige Gestalten aus dem Schiff stolperten. Sie taumelten die Gangway hinunter und brachen unterwegs oder an ihrem Fuß zusammen. Die Körper, die er jetzt dort liegen sah, ähnelten zwar einem Menschen, doch waren ihre Proportionen verdreht und verzehrt. Einer der Gefallenen erinnerte ihn an einen Engel. Auf seinem Rücken leuchteten Flügel in einem grellen Gelb, das langsam erstarb. Walthers hatte Bilder der anderen Landepunkte gesehen. Doch Bilder waren nie die Wirklichkeit.
»Was zum Teufel …«, rief Walthers. Er stieg aus der Felsrinne und setze seinen Sturmlauf zum Raumschiff fort. Einige seiner Männer hatten die Gangway erreicht und untersuchten oberflächlich die Körper der Gestürzten. Das Signal des Gruppenführers war eindeutig, die Fremden waren vermutlich tot. Die Soldaten sicherten den Weg nach oben. Walthers erreichte sie zusammen mit zwei weiteren Kampfgruppen, in deren Schutz er sich langsam vorarbeitete. Meter um Meter schob sich Walthers die Rampe hinauf, ebenso wie seine Kameraden, und peilte über die Zielvorrichtung seiner Waffe. Er konnte in dem immer noch vernebelten und nur notdürftig erhellten Korridor wenig erkennen. Im hinteren Bereich des langen Ganges blitzte mehrfach Mündungsfeuer auf. Einige Meter davor lag ein weiterer Körper, der eindeutig menschlich war, wenn auch mit einer seltsamen Kopfform. Die Soldaten bewegten sich vorsichtig weiter in den Gang hinein. Als sie den am Boden Liegenden erreichten, stockte Walthers kurz der Atem.
»Mein Gott«, hauchte er. »Das ist Smithers. Was ist nur mit ihm geschehen?«