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Mutter sein und Kinder haben ist das größte Glück, so will es auch die Gesellschaft. Doch eine Zukunft als Mutter macht nicht wenigen Frauen Angst. Und diejenigen, die sich dafür entscheiden, machen bald die Erfahrung, dass die Erziehung und Betreuung von Kindern eine manchmal verschleißende 24/7-Aufgabe ist. Sie sollen nicht nur Mütter werden, sondern professionelle und intensive Mütter – auch dann, wenn sie berufstätig bleiben. Und weil eine Frau, die jemals etwas Negatives über ihre Mutterrolle oder ihre Kinder äußert, immer noch als Rabenmutter abgestempelt wird, behält sie ihre Sorgen, ihre Schuldgefühle, manchmal auch ihre Frustration, lieber für sich.
Unsere Gesellschaft ist einem Mutterideal verpflichtet, dem keine Frau genügen kann, auch wenn sie Vollzeitmutter wird. Doch wohin wir auch blicken, auf Glanz und Gloria, Social Media und auf Influencerinnen, überall werden uns endlose Paraden berühmter und perfekter Supermütter präsentiert, welche glauben machen wollen, dass sie ihre Kinder immer in den Mittelpunkt ihres Lebens stellen, sie viel mehr als die Arbeit lieben und dass das Geld keine Rolle spielt, weil man es einfach hat. Auch bekannte berufstätige Frauen wie Sheryl Sandberg, Michelle Obama oder Amal Clooney präsentieren sich so, als ob eine perfekte Mutter trotz Berufskarriere zu sein letztlich nur eine Frage des Willens und Managements sei.
Im Alltag der meisten Frauen sieht es jedoch ganz anders aus. Zwar können Mütter ihre persönlichen Ambitionen haben und eigenes Geld verdienen, Kinder ohne Partner aufziehen oder sich für eine Vollzeitmutterschaft entscheiden, ohne dazu gezwungen zu werden. Doch welches Modell sie auch wählen, sie sollten ihre Mutterschaft so ausleben, dass sie die Kinder immer priorisieren. Und sie gelten nur dann als glaubwürdig, wenn sie ihre Selbstlosigkeit betonen, auch wenn dies in zunehmendem Ausmaß zur Überbeanspruchung führt.
Die offene Kritik daran, dass Mama immer und überall die Beste sein soll, hat unsere Gesellschaft im Anschluss an das Buch von Betty Friedan Der Weiblichkeitswahn in den 1960er-Jahren schon einmal durcheinandergewirbelt, allerdings mit der Ausrichtung auf die damalige Frau, welche sich allzu freiwillig auf das Frausein einschränken ließ. Heute basiert der Supermama-Mythos auf der Überzeugung, dass eine Frau sehr wohl berufstätig bleiben kann, wenn sie Mutter wird. Aber sie muss diesen Zustand perfektionieren. Die intensive Mama ist zu einem Ideal geworden, das auf der tief verankerten gesellschaftlichen Überzeugung basiert, dass eine Mutter alles Erdenkliche für die Kinder tun soll.
Die Überhöhung der Mutter ist ein aktuelles Phänomen, das sich von der Situation in den 1990er-Jahren, als ich zwei kleine Kinder hatte, unterscheidet. Die qualitativen Ansprüche an uns Mütter waren deutlich bescheidener, doch die gesellschaftlichen Erwartungen an die Frau, die zu Hause bleibt und zu den Kindern schaut, um einiges höher. Deshalb erwartete man fast selbstverständlich von mir, dass ich meine eigenen beruflichen Ambitionen als Ehefrau eines Arztes begraben und mich in den Dienst seiner Praxis stellen sollte. Meine Schuldgefühle resultierten somit nicht daraus, eine zu wenig gute Mutter zu sein, sondern aus der Tatsache, dass ich meinen eigenen Weg gehen wollte und mit 35 Jahren sowie zwei Kindern von fünf und acht Jahren ein Universitätsstudium in Erziehungswissenschaft begann.
An einen solchen Cocktail aus Schuld und Ressentiments erinnere ich mich besonders gut. Unser fünfjähriger Sohn hatte Scharlach, und ich fühlte mich deshalb sehr gestresst und auf Nadeln sitzend, wenn ich jeweils so gut es ging an der Universität Vorlesungen und Seminare besuchte. Doch als mir meine Nachbarschaft und auch ein Teil der Verwandten signalisierte, wie sehr sie mich als Egoistin empfanden, war das zu viel für mich, und ich schüttete einer Studienkollegin mein Herz aus. Sie hörte mir aufmerksam zu und sagte: »Hör mal, du hast dieses Kind nicht nur für zwei Monate, du hast es für den Rest des Lebens! Du musst auch ein Leben für dich selbst führen. Wenn du glücklich bist, sind auch deine Kinder und dein Partner glücklich. Heute Abend kannst du deinem Kind alle Liebe und Fürsorge geben, aber jetzt bist du da und nicht dort.«
Diese Worte waren für mich ein großes Geschenk, doch begann ich erst nach Jahren zu realisieren, dass mein schlechtes Gewissen ab diesem Tag zumindest ein bisschen kleiner wurde und ich mir nach und nach etwas mehr Zeit gönnte, allein für eine Stunde in einem Café die Zeitung zu lesen oder mich mit einer Freundin zum Abendessen zu verabreden.
Meine damaligen Verunsicherungsgefühle gelten offenbar für viele Frauen heute noch. In unserer Forschungsarbeit berichten Mütter immer wieder von solchen Gefühlen, nur nennen sie andere Ursachen. Heute sind es die Verpflichtung zum intensiven Muttersein und der vergleichende Blick anderer Frauen, die kaum eine Mutter kaltlassen, ob sie nun Vollzeithausfrau oder berufstätige Frau in Vollzeit oder Teilzeit ist.
Die Tatsache, dass solche Gefühle auch heute noch so weit verbreitet sind, ist meine Hauptmotivation, dieses Buch zum Supermama-Mythos zu schreiben. Ich bin schockiert, dass junge Frauen politisch, gesellschaftlich und familiär gleichberechtigt sind – aber nur, bis sie Mutter werden. Dann sind sie mit einem Mutterbild konfrontiert, das sie zurück in die 1960er- und 1970er-Jahre katapultiert und von ihnen ein Maß an Selbstlosigkeit erwartet, das kaum oder nur mit Stress und Verzicht geleistet werden kann. Das ist nicht in allen Ländern so. In Frankreich oder den skandinavischen Staaten geht man ganz selbstverständlich von einem Recht mütterlicher Selbstverwirklichung aus, die nicht mit Vernachlässigung verbunden wird.
Das Buch verfolgt vier Ziele. Das erste Ziel ist, aufzuzeigen, welches die wichtigsten aktuellen Herausforderungen sind, die auf Frauen in der Schwangerschaft und in der ersten Zeit als Mama zukommen. Ich konzentriere mich dabei auf Herausforderungen, die selten in einer Broschüre oder einem Ratgeber thematisiert werden, obwohl sie für den Übergang in die Mutterschaft im Zusammenhang mit den überdimensionierten Ansprüchen an Frauen von zentraler Bedeutung sind. Die Diskussion der Folgen solcher Herausforderungen ist das zweite Ziel des Buches. Sie zeigen sich unter anderem im ewig schlechten weiblichen Gewissen, wenn es um die Kinder geht, oder auch in einem ungesunden Perfektionismusstreben. Das dritte Ziel liegt im Versuch aufzuzeigen, dass es primär nicht um die einzelne Mutter geht, sondern um unsere Gesellschaft, die aus dem überhöhten Mama-Ideal ein kulturelles Mandat gemacht hat. Schließlich ist es das vierte Ziel, notwendige gesellschaftliche Veränderungen zu formulieren und dem Zwang zum intensiven Mutterschaftsideal Alternativen entgegenzusetzen.
Mein Buch ist kein Ratgeber- oder Selbsthilfebuch und keine Geschichte über die Entwicklung von Müttern. Und es ist auch kein Buch über die Balancekompetenz erwerbstätiger Frauen oder die Tugenden von Vollzeitmüttern. Es ist vor allem ein wissenschaftsbasiertes Buch über die verschiedensten Gefühle und Handlungsweisen, die in der Glorifizierung der perfekten Mama besonders sichtbar werden. Weil unsere empirischen Daten vorwiegend aus der Mittelschicht stammen, können lesbische, behinderte, alleinerziehende oder von Hartz IV lebende Mütter nicht in die Analysen einbezogen werden. Auch wenn die Frage, mit welchen Herausforderungen sich solche Mütter konfrontiert sehen, um dem vorherrschenden Mutterbild zu entsprechen, und welche Strategien sie wählen (müssen), um ihm gerecht zu werden, natürlich interessant wäre. Die zweite Lücke betrifft die Väter. Auch sie lasse ich in dieser Publikation mehr oder weniger außen vor, weil sich mein letztes Buch, das 2018 ebenfalls bei Piper erschienen ist (Neue Väter brauchen neue Mütter – Weshalb Familie nur gemeinsam gelingt), sehr detailliert mit ihnen befasst hat.
An der Entstehung eines solchen Werkes sind immer verschiedene Autorinnen und Autoren beteiligt. Allen gut eintausend Studienteilnehmerinnen der letzten zehn Jahre danke ich ganz besonders für ihre Bereitschaft, uns Einsichten in ihre Handlungsweisen, Einstellungen und Überzeugungen, in ihre Ängste, Hoffnungen und Wünsche zu geben. Genauso danke ich den wissenschaftlich Mitarbeitenden für die große Arbeit, das kritische Mitdenken und Hinterfragen sowie die Bereitschaft, sich auf ein Thema einzulassen, das für viele noch keine persönliche Relevanz hat. Ein besonderer Dank geht sowohl an meine Kolleginnen und Kollegen, von denen ich auf Kongressen profitieren konnte, als auch an die vielen mir nur flüchtig bekannten Personen und ihre Beiträge zu den Diskussionen anlässlich meiner Referate und Seminare. Ein spezielles Dankeschön richte ich an meine Agentin Heike Specht, die mir immer bei allen Fragen unterstützend zur Seite stand, sowie an Anne Stadler vom Piper Verlag und ihre wohlwollende Begleitung bei der Entstehung des Buches. Ein besonderer Dank geht auch an meine Lektorin Catharina Stohldreier, die wesentlich zur guten Lesbarkeit des Manuskriptes beigetragen hat.
Und schließlich danke ich meiner Familie – Walter, Ralph, Sibylle und Frederik. Sie dürften sich kaum bewusst sein, dass sie einen relativ großen Beitrag zur Entstehung dieses Werkes geleistet haben. In unseren vielen Diskussionen, die teils schon Jahre zurückliegen, haben sie auf meine Ideen und Gedanken immer kritisch, aber meist mit Wohlwollen reagiert. Mit ihrer eigenen Sicht auf die Dinge waren und sind sie für mich eine Quelle der Inspiration. Durch sie bin ich darin bestärkt worden, dass der neue Mama-Mythos nur aus einer Vielzahl von Perspektiven angemessen beleuchtet werden kann.
Aarau, im Januar 2020
Margrit Stamm
Ein Großteil der Menschen reagiert auf Mutterschaft überaus emotional. Wird sie mit Begriffen wie Berufstätigkeit oder Hausfrau kombiniert, dann ist entweder Begeisterung oder Empörung garantiert. In medialen Beiträgen provoziert das Thema Unmengen an Kommentaren über »die« Mütter und was sie tun oder lassen sollen. Die Meinungen sind fast immer schon gemacht, denn viele sind davon überzeugt, genauso wie über das Thema Schule auch über Mutterschaft ein Wörtchen mitreden zu können. Alle haben ja eine Mutter, und deshalb weiß man doch, was es bedeutet, Mutter zu sein und von einer Mutter umsorgt zu werden!
Heute dominiert das Ideal der guten Mutter, das auf eine noch nie in diesem Ausmaß da gewesenen Glorifizierung des Mütterlichen setzt. Mit diesem Supermama-Mythos sind enorm hohe Standards verbunden, die Frauen, welche noch keine Kinder haben, in einigermaßen große Angst versetzen, ob sie solche Ansprüche jemals werden erfüllen können. Und wer bereits Mama geworden ist, fällt nach der Geburt oft in eine Identitätskrise, sobald die Zwänge dieses perfektionistischen Mutterbildes spürbar werden. Es gibt inzwischen viele Medienbeiträge, die mit einiger Regelmäßigkeit Bilder der perfekten Mama toppen und sie mit der Botschaft verbinden, eine Mutter könne ihrer Aufgabe nur dann nachkommen, wenn sie in feinfühliger Fürsorge die Bedürfnisse des Kindes nonstop befriedige und als Berufstätige auch dafür Sorge trage, dass dies in der familienergänzenden Betreuung ebenso ist. Neuerdings gilt der Vater zwar als wichtiger und unterstützender Partner, aber er steht nie so in der Kritik wie die Mutter[1]. Zeigt er häusliche Präsenz und kümmert sich gleichzeitig um ein volles Familienkonto, kann er sich der gesellschaftlichen Anerkennung sicher sein.
Die idealisierten Ansprüche an Mütter passen weder zu unserer individualisierten Gesellschaft noch zu den Bemühungen um die Gleichstellung der Geschlechter. Warum setzt man trotzdem so sehr auf dieses Ideal als quasi einziges anzustrebendes Qualitätsmerkmal? Mit Sicherheit auch deshalb, weil sich die Forschung – in erster Linie Bindungsforschung, Kleinkindforschung und Hirnforschung – jahrelang darauf eingeschossen hat. Das Mütterproblem wurde individualisiert, die systemische Sichtweise und damit auch soziale, politische und ökonomische Bedingungen von heutiger Mutterschaft vernachlässigt. Das Ergebnis sind Mütter, die überzeugt sind, alles für ihr Kind tun zu müssen und nichts unversucht lassen zu dürfen. Sie fühlen sich so unter Druck, perfekt zu sein, trauern aber ihren ehemaligen Freiheiten auch ein wenig nach[2].
Die Praxis intensiver Mutterschaft hat eine hohe Messlatte. Sie hindert Frauen daran, auch an sich selbst zu denken und sich als eigenständige Person wahrnehmen zu dürfen. Zwar ist es keine Frage, dass die Beziehung zwischen Mutter und Kind enorm wichtig und auch entscheidend ist für ein gesundes Aufwachsen und Gedeihen. Doch genauso kann der zu intensive Betreuungs- und Erziehungsstil zu der Paradoxie führen, dass das Kind abhängig wird und unter der intensiven Mutterschaft leidet. Es kann nicht selbstständig werden, Herausforderungen kaum allein meistern und auch nicht lernen, mit Niederlagen umzugehen. Intensive Mutterschaft macht aus dem Nachwuchs Kinder im modernen Laufgitter. Auch für Paare erweist sich intensive Mutterschaft eher als hinderlich, da sie sich nur noch auf die Kinder konzentrieren, die Zweisamkeit aufgeben, also die Zeit, sich füreinander zu interessieren und zusammen Muße zu erleben, um neue Kraft zu schöpfen.
Und schließlich tut intensive Mutterschaft den Frauen selbst nicht gut. Darauf verweist die empirisch erwiesene Tatsache, dass 70 Prozent der Frauen immer wieder stark verunsichert sind, wie sie ihre Aufgabe anpacken sollen, oft ein schlechtes Gewissen oder gar Schuldgefühle haben und sich permanent unter Druck fühlen[3]. Die Zahl der Mütter mit Erschöpfungssyndromen wie Kopfschmerzen, Angstzustände, Schlafstörungen bis hin zum Burn-out ist in den letzten zehn Jahren enorm gestiegen. Allerdings spielt das Ausmaß, in welchem Frauen Konflikte in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleben, eine große Rolle. Es ist nicht die Mutterschaft an sich, die zu negativen Begleiterscheinungen führen kann, sondern die Art und Weise, wie sie praktiziert wird. Nicht wenigen Frauen gelingt es – meist zusammen mit ihren Partnern –, ein normales respektive nicht ausschließlich von der Selbstaufgabe geleitetes Verhältnis zum Muttersein zu entwickeln.
Der intensive Erziehungsstil ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist die Frage, weshalb die Mehrheit der Mütter trotz Berufstätigkeit unhinterfragt oder nach Diskussionen mit dem Partner die familiäre Hauptverantwortung übernimmt. Manche argumentieren mit Schwangerschaft und Stillen (weil der Kontakt der Mütter zu den Kindern deshalb besonders intensiv sei, würden sie die Hingabe aufbringen, die für eine intensive Erziehung bedeutsam sei), mit dem Mutterinstinkt (weil Mütter als von Natur aus fähigste Betreuerinnen gelten würden) oder mit der Unfähigkeit der Väter (weil sie emotionale Zwerge seien, die nicht mit der notwendigen Feinfühligkeit auf das Kind eingehen könnten und viel besser im Geldverdienen seien). Alle drei Aspekte lassen sich widerlegen. Zwar haben Frauen wegen ihrer Schwangerschaft einen Vorsprung, aber Männer können schnell aufholen und ähnlich feinfühlige Emotionen entwickeln wie ihre Partnerinnen. Zudem ist der Mutterinstinkt in der Forschung eine höchst umstrittene Angelegenheit, weshalb oft nahegelegt wird, nicht von Instinkt, sondern von Mutter- und Vaterliebe zu sprechen. Und schließlich sind Väter mitnichten emotionale Zwerge – vorausgesetzt, sie sind selbst motiviert und ihre Partnerinnen lassen ihnen den notwendigen Raum, um zu ihrem Kind eine innige Beziehung aufzubauen.
Es sind aber auch andere Aspekte, welche die Verpflichtungsgefühle von Müttern beeinflussen. Dazu gehören die gesellschaftlichen, teilweise aber auch wissenschaftlichen Vorbehalte gegenüber Fremdbetreuung, das Ideal des optimierten Kindes und die Konkurrenz zwischen Frauen.
Das Dogma der intensiven Mutter verschont kaum eine Frau, weshalb es schwierig geworden ist, sich ihm überhaupt zu entziehen. Es setzt ganz aufs Kind, seine Bedürfnisbefriedigung und seine Förderung, denn nur so kann die bestmögliche kindliche Entwicklung, das bestmögliche Umfeld und die bestmögliche Ausschöpfung der Potenziale realisiert werden. Doch – wie bereits deutlich wurde – hat dieses Dogma nicht nur positive Auswirkungen. Intensive Mutterschaft schürt unerfüllbare Erwartungen und schafft große Verunsicherungen und Überforderungen der Frauen, sie kann zur Distanzierung in der Partnerschaft und zu unselbstständigen Kindern führen.
Allerdings wäre es unangemessen, den Frauen lediglich zu empfehlen, die Mutterschaft etwas gelassener anzugehen. Mütter agieren nie autonom, sondern orientieren sich immer an der allgemein gültigen Kultur und ihren Normen oder an einer Alternativkultur. Solche Erkenntnisse haben meinen Blick hinter die Kulissen in den letzten Jahren geleitet, um die Kraft und die Macht zu identifizieren, mit der der Supermama-Mythos moderne Frauen beeinflusst. So ist die These entstanden, die meine Ausführungen in diesem Buch leitet:
Der Supermama-Mythos ist keine individuelle Angelegenheit, sondern ein kulturelles Mandat und als solches eine wesentliche Ursache dafür, dass viele Frauen einem überdimensionierten Mama-Ideal folgen und die Hauptverantwortung in der Familie übernehmen – auch wenn sie aufgrund dieser Last manchmal fast zusammenbrechen. Mütter müssen immer – ob berufstätig oder nicht – beweisen, dass sie ihre Kinder nicht vernachlässigen, sie über die eigenen Bedürfnisse stellen und auch für sie verantwortlich sein, wenn sie fremdbetreut werden. Das setzt viele Mütter unter psychischen und physischen Druck und führt zu Konkurrenzbeziehungen zu anderen Frauen, vor allem dann, wenn diese Frauen alternative Familienmodelle leben und andere Ideologien verfolgen.
Diese These untermauere ich in fünf Schwerpunkten. Dabei beziehe ich mich nicht nur auf unsere empirischen Daten, sondern ebenso auf wissenschaftliche Argumentationen, theoretische Konzepte und historische Positionen. Herzstück sind unsere beiden Studien namens »Mary Poppins I und II«[5], in denen sowohl Mütter als auch Personen der familienergänzenden Betreuung zu Wort kommen sowie die qualitative Studie »Berufstätige Mütter: die Sicht ihrer Kinder im Rückblick«, in der Jugendliche befragt worden sind, wie sie die Fremdbetreuung in ihrer Kindheit und die Beziehung zur Mutter einschätzen. Einbezogen werden auch Daten aus unseren beiden früheren Studien »Franz« und »Tarzan«[6].
In einem hinführenden Teil geht es um die allerwichtigste Frage überhaupt, die in der Literatur über Mutterschaft erstaunlicherweise kaum beantwortet wird: Was sollte ich beachten, wenn ich Mutter werde? Und wenn ich Mutter bin: Welches sind die wichtigsten Herausforderungen, denen ich am meisten Aufmerksamkeit schenken soll, damit ich mich nicht automatisch an den Standards der Supermama orientiere? Tatsache ist, dass das erste Kind das Leben von Müttern und Vätern immer auf den Kopf stellt, ihnen aber kaum jemand zuvor sagt, was sie konkret erwartet und wie sie sich auf diese Herausforderungen vorbereiten können. Meist geht es nur um ganz allgemeine Mütterthemen wie Geburtsvorbereitung, Stillen, After-Baby-Body, Durchschlafen, Ernährung etc.
Im ersten Schwerpunkt zeichne ich anhand von zwei Fallstudien (»Melanie« und »Daniela«) nach, warum das intensive Mama-Ideal als direkte Ursache für die überbehütende und überemotionale Erziehung von Kindern verstanden werden muss. Im zweiten Schwerpunkt geht es um die bemerkenswerten Folgen für die sich hauptverantwortlich fühlenden Frauen. Dazu gehören Schuldgefühle, schlechtes Gewissen und Burn-out-Symptome wie auch die Überbindung an die Kinder. Der dritte Schwerpunkt untersucht das feine und oft unsichtbare Konkurrenz- und Rivalitätsverhalten zwischen Müttern. Basis sind die unterschiedlichen Lebensmodelle, welche Frauen mit ihren Partnern wählen, aber auch das Phänomen der gesellschaftlichen Dauerüberwachung von Müttern, sei es in der Straßenbahn oder durch Fachexpertinnen und Fachexperten. Der vierte Schwerpunkt stellt die sogenannten Schattenmütter in den Mittelpunkt. Das sind Frauen, die in Abwesenheit der Mütter die Betreuung, Pflege und Förderung der Kinder übernehmen. Diese »delegierte« Mutterschaft ist nach wie vor eine Blackbox. Darüber hinaus geht es auch um die rückblickende Sicht von Jugendlichen, welche in der Kindheit von Schattenmüttern betreut wurden. Im fünften Schwerpunkt ziehe ich ein abschließendes Fazit. Überzeugt davon, dass das traditionelle Mutterbild nur modernisiert werden kann, wenn wir dem Modell der intensiven Mutter eine Alternative entgegensetzen, plädiere ich sowohl für eine Neudefinition der Mutterrolle als auch für alternative gesellschaftliche Praktiken, welche den Druck auf Mütter reduzieren und unsere Gleichstellungspolitik in eine vertretbare Balance bringen können. Gleichzeitig rege ich Mütter auch zu selbstkritischen Fragen an.
Mutter werden ist ein großer Wendepunkt, der mit einschneidenden Veränderungen der sozialen Rollen verbunden ist. Zwar sind Frauen frei, wie sie ihre neue Rolle ausgestalten wollen, doch das Ideal der intensiven Mama bekommen sie schon vor der Geburt zu spüren. Intensive Mutterschaft klingt zwar wunderbar, doch ist sie mit überhöhten und unerreichbaren Erwartungen verbunden, welche Frauen enorm unter Druck setzen.
Doch Frauen sind keine passiven Wesen, die dieses Mama-Ideal unhinterfragt übernehmen müssen. Bereiten sie sich auf solche Ansprüche schon in der Schwangerschaft vor, dann wissen sie besser, was sie erwartet und wie sie sich vor Überbeanspruchung schützen können.
Eine gute Mutter ist nicht eine perfekte, sondern eine hinreichend gute Mutter. Orientieren sich Frauen an diesem Paradigma, können sie die Mutterschaft etwas lockerer angehen und geraten gar nicht erst in den Sog der Perfektionsspirale. Eine hinreichend gute Mutter bewahrt ein gesundes Maß an Eigenliebe und identifiziert sich nicht zu sehr mit dem Kind. So kommt es auch zu keiner Überbindung.
Ein freudiger und lockerer Zugang zur Mutterschaft, verbunden mit einer realistischen und gegenüber dem Dogma der intensiven Mutterschaft kritischen Vorbereitung auf das Mama-Alltagsleben sind ein gutes Fundament, um sich selbst nicht zu überfordern und dem Kind eine angemessene Mutter zu werden.
Das Thema Mutterschaft, Kind und Beruf ist gesellschaftspolitisch geworden. Jahrhundertelang waren Kinder die wichtigste Konstante im Leben einer Frau. Die Fähigkeit, Kinder auf die Welt zu bringen, sicherte ihr einen Platz in der Gesellschaft und definierte in weiten Teilen ihr Dasein. Unsere Mütter und Großmütter hatten in dieser Frage oft keine Wahl. Meine Generation hatte sie bereits. Wir durften abwägen, ob und wann wir Kinder haben wollten. Heute können die jungen Frauen nahezu jede Option wählen, die ihnen vorschwebt. Das macht es aber nicht leichter.
Obwohl die meisten Kinder Wunschkinder sind, geht es vielen schwangeren Frauen ähnlich: Sie freuen sich riesig auf ihr Baby, doch sobald der Alltag einkehrt, werden sie von einem Tag auf den anderen damit konfrontiert, was ein Kind mit sich bringt. Ein Baby stellt das Leben auf den Kopf – nur bekommt das fast keine werdende Mutter vorher zu hören. Manchmal will sie es auch gar nicht wissen.
Plötzlich gibt es ein Leben vor dem Muttersein und eines als Mutter. Als unabhängige Frau konnte man morgens aufstehen, joggen und dann zur Arbeit gehen. Am Abend stand vielleicht eine Ausstellungseröffnung an und dann ein Club-besuch, sodass der Tag erst um Mitternacht endete. Junge Mütter berichten ganz anderes: Um sechs Uhr aufstehen und ein paar Dinge erledigen, solange das Kind schläft. Dann kommt der Stress: Kind in die Kita bringen, arbeiten, Kind aus der Kita abholen, Abendessen, dann mit dem Partner vereinbaren, wer das Kind ins Bett bringt. Erst jetzt kommen Hausarbeit, Bewerbung, Steuererklärung und andere Aufgaben. Wenig erstaunlich, dass Mütter um 20:30 Uhr fix und fertig sind und zusammen mit dem Kind einschlafen[7].
Viele schwangere Frauen werden bei einem solchen Szenario denken: »So etwas passiert mir sicher nicht. Schließlich habe ich mein Leben schon immer im Griff gehabt. Es ist alles eine Frage der Organisation!« In der Tat gelingt es einem Teil der Frauen, die Mutterschaft wie ein Projekt zu managen. Die meisten werden jedoch vom neuen Status überrannt. Zwar sind sie zuvor über vieles informiert worden: über Geburtsvorbereitung, Lebensmittel in der Schwangerschaft, Wahl des Geburtsortes, Erstausstattung fürs Baby, Vorbereitung aufs Wochenbett, Kinderarztwahl, Babysitter- und Kita-Wahl, Stillen, Sicherheit im Haus usw. Aber welche werdende Mutter hört schon etwas über die Herausforderungen einer Mutterschaft jenseits praktischer Fragen?
In diesem Kapitel diskutiere ich fünf Herausforderungen, mit denen sich Frauen schon vor der Geburt beschäftigen sollten, damit sie gar nicht erst in die Perfektionsspirale hineingeraten und die Mutterschaft etwas lockerer angehen können. Solche Herausforderungen schmälern die Freude auf das erste Kind keinesfalls. Vielmehr tragen sie dazu bei, dass Frauen nach der Geburt nicht aus allen Wolken fallen, da sie sich bei der Vorbereitung auf den neuen Status auch andere Gedanken machen, als sich lediglich zu fragen, wie sie möglichst schnell wieder zu einem schlanken After-Baby-Body kommen.
Die erste Herausforderung betrifft die grundsätzlichste Veränderung, die ein Leben mit Kind mit sich bringt: den Verlust der Freiheit. Bei der zweiten Herausforderung geht es um eine Relativierung des Mutterinstinkts. Heute wissen wir so viel mehr über dieses Phänomen, weshalb sich werdende Mütter nicht durch das vereinnahmen lassen dürfen, was andere darüber sagen. Der dritte Punkt betrifft die Partnerschaft. Auch wenn Frauen die primäre Fürsorge für das Kind übernehmen und nach der Geburt kürzertreten oder sogar aussteigen wollen, sollten sie mit dem Partner ihre Zukunft diskutieren. Weil sich viele Frauen oft nur Organisatorisches überlegen, kommt dies meist zu kurz, sodass die längerfristigen Folgen dieser Wahlfreiheit unter den Tisch gekehrt werden. Viertens überlegen sich viele werdende Mütter nur, dass sie berufstätig bleiben wollen, nicht aber, was dies genau für sie und ihren Partner bedeutet. Deshalb treffen sie vollkommen unvorbereitet auf die beiden widersprüchlichen Systeme von Erwerbsarbeit und Familie. Wer sich jedoch auf diese Polaritäten vorbereitet, wird weniger Mühe haben, die Vereinbarkeitsfrage auch auf der psychischen Ebene lösen zu können. Schließlich – und das ist die wichtigste Herausforderung – sollten sich schwangere Frauen gezielt mit dem Ideal der perfekten Mutter auseinandersetzen und sich auf eine hinreichend gute Mutterschaft vorbereiten.
Die Entscheidung für (oder gegen) Mutterschaft nimmt für die allermeisten Frauen in ihrem Lebenskonzept eine zentrale Bedeutung ein. Sie bestimmt die Lebenswirklichkeit und hat eine Schlüsselbedeutung für das individuelle und gesellschaftliche Leben.
Schon in jungen Jahren fragen sich viele Frauen, ob sie wohl einmal Kinder haben werden. Heute ist dies für viele eine fast mystische Angelegenheit, jedenfalls bedeutsamer als die Frage, ob sie wohl die große Liebe finden, welchen Beruf sie ergreifen, wie lange sie leben oder wie glücklich sie werden. Jede junge Frau kann sich viele Möglichkeiten vorstellen, wie das Leben einmal wird, doch kaum, wie sie ein Kind gebären oder wie das Kind, dieses unbekannte Dritte, sein wird. Genau deshalb hätten die meisten Frauen gern einen Vergleich oder die Möglichkeit, das Leben als Mutter auszuprobieren, um besser einschätzen zu können, was sie erwartet und wie viel sie von ihrem jetzigen Leben aufgeben müssen[8]. Sie möchten das Mutterwerden unter Kontrolle haben, genauso wie die anderen Dinge im Leben. Einige fürchten sich vor der Aufgabe, manche sehnen sich nach dem Mamasein, und wieder andere bewältigen diesen Gedanken ganz pragmatisch, sodass man den Eindruck bekommt, sie würden sich gar nicht damit beschäftigen.
Für die meisten Frauen ist es zwar selbstverständlich, selbstbestimmt durchs Leben zu gehen, aber für erstaunlich viele werdenden Mütter ist Feminismus gerade nicht sehr angesagt. Theoretisch stehen ihnen heute alle Türen offen, weshalb die formale Gleichstellung für sie kaum mehr ein Thema ist. Doch trotz dieser modernen Einstellung passiert etwas Fundamentales, wenn ein Kind zur Welt kommt: Es ist das Ende der eigenen, nicht nur gedanklichen Freiheit. Dies ist für manche Frau wie eine Wucht der Wirklichkeit. Antonia Baum schildert solche Erfahrungen des aufgezwungenen Stillstands in ihrem Buch: Mit einem Kind würde sich nichts mehr richtig anfühlen, und jede Frau, die sich entscheide, Mutter zu werden, sei auch im 21. Jahrhundert zutiefst unfrei[9].
Die Geburt eines Kindes ist aber auch ein Neuanfang, ein Moment des unbeschreiblichen Glücks. Allerdings wird dieser Neuanfang viel zu oft verklärt, vor allem von Ratgebern, in denen Geburt und Muttersein als Idylle beschrieben werden. Dies führt dazu, dass sich Frauen mit Schuldgefühlen quälen und in Selbstzweifel stürzen, wenn die überschwänglichen Gefühle ausbleiben oder nicht in erhofftem Ausmaß eintreten.
Abschied von der Freiheit als selbstständige, ungebundene Frau und der Neuanfang als verantwortungsvolle Mama gehören zum Reifeprozess, auf den sich Frauen vorbereiten sollten. Mutterschaft wird geformt und gemacht – und sie wird und ist veränderbar. Dabei geht es nicht nur um die körperliche, sondern vor allem auch um die psychische Gesundheit. Deshalb sollte der Neuanfang mit einer grundsätzlichen Leitidee verbunden werden: Ich werde eine liebende Mama sein, aber keine selbstlose Mutter, die mit dem Kind verschmilzt und ihre Identität aufgibt.
Wer von Mutterschaft spricht, tut es auch aufgrund der Tatsache, dass wir alle von einer Frau geboren worden sind. Ebenso beruht die Annahme, Frauen sollten selbstverständlich Mütter werden, auf einer grundlegenden Beziehung zwischen weiblichem Körper und Weiblichkeit. Weil der Körper der Frau fruchtbar ist, werden weibliche Wesen mit der Natur identifiziert. Ein Kind zu empfangen, auszutragen und es zu erziehen gelten als genuin weibliche Fähigkeiten. Dies bedeutet für viele, dass hier auch der Platz ist, an dem eine Mutter wirklich glänzen kann – und glänzen muss, weshalb sie als geeignetste und fähigste Fürsorgeperson in den ersten Lebensjahren die Kinder selbst betreuen soll.
Heute wissen wir, dass Mutterliebe kein natürlicher, unabänderlicher Instinkt ist, kein automatischer Bestandteil der weiblichen Natur, sondern ein menschliches Gefühl, das in höchst unterschiedlichen Ausprägungen vorhanden sein kann[10]. Mutterschaft hat sehr viele Gestaltungsmöglichkeiten, und der unterschiedliche Umgang der Menschen mit ihren Kindern in verschiedenen Epochen und Gesellschaften belegt die vielfältigen Lösungsmöglichkeiten für das Großziehen von Kindern.
In der Wissenschaft nennt man die Annahme der naturgegebenen Mutterschaft biologischen Determinismus, und der Mutterinstinkt ist eine logische Folge einer solchen naturalistisch orientierten Ideologie. Es gibt eine ganze Menge an Büchern, die nachweisen, dass es diesen Mutterinstinkt gibt[11]. Oft heißt es: Jede Frau weiß instinktiv, wie man sich um Babys kümmert. Belegt wird dies dann mit den Hormonen Prolactin und Oxytocin, welche die Milchproduktion steuern und angeblich einen Euphorisierungszustand auslösen. Doch die Mutter gibt es nicht, genauso wenig wie das Kind. Deshalb kann es auch nicht die Mutterliebe geben oder den Mutterinstinkt. Es gibt Mütter, die verschmelzen mit ihrem Kind, andere aber nicht. Deswegen ist die eine keine schlechtere Mutter als die andere. Auch die amerikanische Soziobiologin und Anthropologin Sarah Blaffer Hrdy sagt, der Mutterinstinkt sei weder instinktiv noch sei er allen Müttern eigen, und es gäbe kein Rezept für alle. Es sei ein Mythos, dass Mütter von der Natur dazu bestimmt seien, ein Kind nach dem anderen zur Welt zu bringen und dabei auf ihren Mutterinstinkt vertrauen zu können.[12]
Was bedeutet dies für die Vorbereitung auf die Mutterschaft? Dass sich schwangere Frauen damit auseinandersetzen sollten, möglicherweise nicht die riesigen und überwältigenden Gefühle bei und nach der Geburt zu haben, die von den Mutterinstinkt-Gläubigen immer und immer wieder als Messlatte einer guten Mama vorgegeben werden. Und werdende Mütter können sich auch vor Augen führen, dass Forschung und Praxis nur wenige Nachweise für den biologischen weiblichen Determinismus liefern. Selten liest man beispielsweise davon, dass auch andere Personen (beispielsweise Adoptiveltern) ohne Mutterschaftshormone zu intensiven Gefühlen fähig sind. Und nur zögerlich wird die gesicherte Erkenntnis aufgenommen, dass Väter genauso feinfühlig die Kinder betreuen können, sich aber in der Art und Weise, wie sie dies tun, von den Müttern unterscheiden[13]. Obwohl die Mutter aufgrund von Schwangerschaft und Stillfähigkeit eine größere biologische Nähe zum Kind hat, führt dies nicht automatisch zu einer besseren Fürsorgefähigkeit. Vielmehr müssen Fürsorge, Betreuung und Erziehung von beiden Partnern im Alltag erst einmal on the job gelernt werden.
Erstaunlicherweise haben solche Erkenntnisse die öffentliche Meinung bisher wenig beeinflusst. Dies hat maßgeblich mit dem Dogma der intensiven Mutterschaft zu tun. Werdende Mütter tun deshalb gut daran, sich einerseits von Ärztinnen und Ärzten und anderen Fachpersonen betreuen zu lassen, die eine realistischere Haltung gegenüber dem Mutterinstinkt vertreten, sich aber andererseits ebenso mit gleichgesinnten Müttern, Freundinnen und Freunden zusammenzutun, um eine gewisse Standhaftigkeit gegenüber der Mutterinstinkt-Ideologie entwickeln zu können.
Eigentlich müssten unsere Lebensbedingungen dazu führen, dass Männer und Frauen die traditionellen Rollenverteilungen ihrer Eltern immer mehr hinterfragen und neue Ideen entwickeln, wie sie Partnerschaft leben wollen. Dies dürfte insbesondere für Paare gelten, die zumindest teilweise in Richtung einer neuen Partnerschaft sozialisiert worden sind. Dem ist aber nur ansatzweise so. Mit der Geburt des ersten Kindes setzt bei vielen Paaren ein Traditionalisierungsprozess ein[14]. Die Hintergründe sind nachvollziehbar. Zum einen werden aufgrund erhöhter Investitionskosten wirtschaftliche Fragen entscheidend, sodass die Logik des Geldbeutels nun eine viel bedeutsamere Rolle spielt. Zum anderen verspüren viele Frauen verstärkt den Wunsch, mehr Zeit mit dem Nachwuchs und weniger Zeit in der Erwerbsarbeit zu verbringen. Gleichzeitig identifiziert sich ein Großteil der Männer mit der Haupternährerfunktion und versteht sie als Kennzeichen guter Vaterschaft, um der Familie eine möglichst hohe Lebensqualität bieten zu können. Interessanterweise vollzieht sich dieser Traditionalisierungsprozess mehrheitlich im gegenseitigen Einverständnis. Viele Studien – so auch unsere Tarzan-Untersuchung[15] – belegen, dass nicht wenige Frauen die Sicherung des Familieneinkommens als primäre Aufgabe des Partners verstehen und deshalb seine Berufskarriere unterstützen.
Manchmal sagen Frauen explizit, dass sie die Fürsorge für die Kinder als Privileg erleben und sie nicht an jemand anderen oder an eine Institution delegieren wollen. Die Traditionalisierung der Partnerschaft ist für sie kaum ein Problem, weil sie die neue Rollenverteilung als einen selbst gewählten, zeitlich oft begrenzten Lebensabschnitt und nicht als äußeren Zwang verstehen. Und nicht wenige Frauen sind schon in der Schwangerschaft überzeugt, alles besser als andere Paare zu machen, weil die eigene Partnerschaft sowieso glücklicher ist als diejenige der anderen.