Rolf Hosfeld
Heinrich Heine
Die Erfindung
des europäischen Intellektuellen
BIOGRAPHIE
Siedler
Rolf Hosfeld
Heinrich Heine
Die Erfindung
des europäischen Intellektuellen
BIOGRAPHIE
Siedler
Die Arbeit an diesem Buch wurde gefördert
durch ein Stipendium der
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Copyright © 2014 by Siedler Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: Rothfos + Gabler, Hamburg
Lektorat: Julia Kühn, Berlin
Satz: Ditta Ahmadi, Berlin
ISBN 978-3-641-11791-7
V002
www.siedler-verlag.de
Inhalt
Zeitgenosse Heine
Traumland und Realität
Die Welt der Konventionen
Politische Romantik
Der Geist der modernen Zeit
Die jüdische Besonderheit
Ich bin viele
Ungleichzeitigkeiten
Die Seele und das Meer
Erfolg
Das Ende der Kunstperiode
Glück und Resignation
Die neue Welt
Noch einmal:
Das Ende der Kunstperiode
Geschichtsschreibung der Gegenwart
Wohin treibt Deutschland?
Das Junge Deutschland
Mathilde oder der Venusberg
Tanz auf dem Vulkan
Deutschland,
ein Märchen, ein Traum
Dämmerung
Die Eule der Minerva
Mosis Anathemen
Enfant perdu
ANHANG
Zitierweise und Danksagung
Verwendete und zitierte Literatur
Personenregister
Zeitgenosse Heine
Heinrich Heine war, so Friedrich Nietzsche, kein ausschließlich deutsches, sondern ein europäisches Ereignis, und Alfred Kerr meinte, er habe die ersten Lieder des dritten Jahrtausends verfasst. Heinrich Mann hielt ihn für das vorweggenommene Beispiel des modernen Menschen, sachlich bei aller Phantasie, scharf und zärtlich, ein tapfrer Zweifler. Heine hatte ein fast absolutes Gehör für die Dissonanzen seiner Zeit. Er erkannte mit dem bereits auf Nietzsche verweisenden Gegensatzpaar des Nazareners und Hellenen sehr präzise und subtil den Repressionsgehalt biedermeierlich-christlicher Moral seiner Zeit. Die Restaurationsordnung des Wiener Kongresses hielt er mit seinem Lehrer Hegel für überlebt, bevor sie sich etablierte. In den Jahren der beginnenden Nationalbewegungen blieb er ein Europäer, der ein feines Sensorium für den gar nicht so feinen Unterschied zwischen republikanischem und altdeutschem Nationalismus entwickelte. Nicht zuletzt richtete er als Erster ein waches Auge auf die dunklen Energien eines in Ausnahmezuständen drohenden Populismus, und er sah, besonders in Frankreich, als Erster die Gefahren eines »aufgeklärten« Antisemitismus. Für uns, besonders in Zeiten der »Rückkehr des politischen Intellektuellen«1 nach einem etwas voreilig verkündeten Ende der Geschichte, ist er auf überraschende Weise wieder ein Zeitgenosse geworden.
Doch Heinrich Heines Wirkung in Deutschland ist bis heute in weiten Teilen die Geschichte einer Irritation geblieben. Ablehnung, Verkennung und einseitige Zustimmung, teils als Romantiker, teils als Fortschrittsgeist, prägten die verschlungenen Wege seiner Rezeption. Heinrich Heines Geschichte im deutschen Sprachraum war in weiten Teilen eine Geschichte von Missverständnissen, aber auch von kultureller Ausbürgerung. Nicht erst mit Karl Kraus begannen die Invektiven, wenngleich die Wirkung seines Pamphlets Heine und die Folgen kaum zu unterschätzen ist. »Ohne Heine kein Feuilleton«, diktierte 1910 der Wiener Wächter der Kultur: »Das ist die Franzosenkrankheit, die er uns eingeschleppt hat.«2 Schon Arnold Ruge hatte solche Akkorde angeschlagen. Heines Dichtung erinnerte den Hegel-Schüler 1838 allzu sehr an Grisettenwirtschaft, er entdeckte in ihr nichts als plattprosaischen französischen Esprit »statt der Tiefe des deutschen Geistes«.3 Bei dem deutschnationalen Historiker Heinrich von Treitschke war es schon das Echo auf mittlerweile geläufige Verdikte, das nachtönte: »Geistreich« nannte er Heines Poesie, aber eben »ohne Tiefe«; eine »Anmut des Lasters«. Heines schlimmste Anmaßung ist wahrscheinlich der elegant-ironische Umgang mit dem deutschen Tiefsinn gewesen, und Treitschke wusste auch schon die Quelle solchen Fehltritts zu benennen: den »jüdischen Verstand« des »Orientalen« Heine, dem aus gleichen Gründen die massive Kraft der Arier zur künstlerischen Komposition großen Stils völlig fehle. »Erst Heine«, so Treitschke, »zerstörte durch seinen Feuilletonstil gänzlich die Schranken, welche Poesie und Prosa ewig trennen werden.«4
Die Folgen sind bekannt. Je charakterloser die deutsche bürgerliche Gesellschaft wurde, meinte Hannah Arendt 1948, desto mehr fürchtete sie sich vor der Explosivkraft seiner Gedichte, und aus dieser Furcht stammte der Vorwurf der Charakterlosigkeit, durch den man mit ihm fertigzuwerden hoffte.5 Man kann es auch so formulieren: Die deutsche Leitkultur fühlte sich durch ihn beleidigt. Das sah schon Nietzsche so, der meinte, im Unterschied zum bloßen Deutschen zeige Heines Lyrik in ihrer Vollkommenheit, wie wenig man den Gott abgetrennt vom Satyr verstehen könne. Der Europäer Nietzsche verdankte ihm fast die gesamten Grundgedanken seiner Philosophie, darunter seine Kritik des Ressentiments, und vor allem seinen Stil.6 Gerade deshalb verwundert es, wenn ausgerechnet Theodor W. Adorno noch 1956 anlässlich Heines hundertstem Todestag ihn zu einem kraft- und ortlosen Zivilisationsliteraten herabzumendeln versuchte.
Er habe der deutschen Sprache das Mieder gelockert, wetterte Kraus, um im venerischen Bild der Franzosenkrankheit zu bleiben. Er habe die Lyrik hinabgezogen in die Sprache von Zeitung und Kommerz, so Adorno ganz treitschkisch und hielt ihm zur Rechten wie zur Linken zwei »tiefe« Antipoden entgegen, den katholischen Romantiker Joseph von Eichendorff und den verkappten Antisemiten Charles Baudelaire.7 Wahrlich eigenartige Allianzen. Seitens der politischen Linken stellte man solche Urteile gern vom Kopf auf die Füße und dekorierte das inkriminierte Feuilleton zum Markenzeichen eines im positiven Sinn politischen Dichters. War er das wirklich, selbst wenn er einmal verkündete, im heutigen Deutschland sei die Partei der Nachtigallen verbunden mit der Partei der Revolution? In den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, die eine gewisse Heine-Renaissance einleiteten, entdeckte man in ihm vor allem den engagierten Zeitgeist-Literaten, und dieses Bild hat sich als sehr beharrlich erwiesen. Auch das ist einer der Gründe, weshalb er auf eine merkwürdige Weise fremd geblieben ist.
In Bezug auf die Lebensführung hieß Heines Antwort auf das Drama der Illusionen, das seine Dichtung vorführt, Contenance. Er war schon krank, als er 1831 nach Paris übersiedelte, und die Zeit nach 1848 bedeutete für ihn eine endlose Periode langsamen Sterbens, bis ans Ende lebensbejahend. Das zeigte Größe, und atemberaubende Selbstironie. »Der erste moderne europäische Intellektuelle«8 meint nicht nur die besondere Weise seines kritischen und freigeistigen Engagements, sondern auch sein Leben als einer der ersten freien Schriftsteller, sein waches Auge für die widersprüchlichen und oft unfreiwillig ironischen Signaturen seiner Zeit und die daraus folgenden Konsequenzen für die überraschenden literarisch-experimentellen Sprach- und Formgebungen, denen sich sein europäischer und internationaler Ruhm verdankt.
Er hatte im Übrigen seine eigene Art, den Unterschied zwischen »Kultur« und »Zivilisation« zu sehen, den nicht nur seine Zeitgenossen kurzerhand mit dem Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich gleichsetzten. Besonders das Ressentiment und der Tiefsinn galten ihm als verhängnisvolle deutsche Krankheiten. Heine hatte nie die Absicht, sich mit Höhenflügen zu verrechnen. Er war ein moderner Skeptiker in der Tradition Michel de Montaignes. Wie sein großes Vorbild Baruch de Spinoza wollte er eine Welt ohne Chimären, ohne »Tiefe«. Und entsprechend eine Dichtung, die leichten Fußes daherkommt und sich in einer offenen und mit all ihren Ambivalenzen unbestimmten Gegenwart verortet sieht. Eigentlich ist die Beschäftigung mit dem Leben und Werk Heinrich Heines, Deutschlands ersten modern-postmodernen Dichters und größten Lyrikers nach Goethe, immer noch eine Entdeckungsreise voller unerwarteter Überraschungen.
1 Judt: Das vergessene 20. Jahrhundert. Die Rückkehr des politischen Intellektuellen
2 Karl Kraus: Heine und die Folgen. In: Kraus: Ausgewählte Werke, Bd. 1, S. 291
3 Arnold Ruge: Heinrich Heine, charakterisiert nach seinen Schriften (1838). In: Kleinknecht (Hg.): Heine in Deutschland, S. 42
4 Treitschke: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Vierter Theil, S. 414, S. 409ff.
5 Hannah Arendt: Heinrich Heine: Schlemihl und Traumweltherrscher. In: Arendt: Die verborgene Tradition, S. 54f.
6 »Man wird einmal sagen, dass Heine und ich bei weitem die ersten Artisten der deutschen Sprache gewesen sind – in einer unausrechenbaren Entfernung von allem, was bloße Deutsche mit ihr gemacht haben.«Friedrich Nietzsche: Ecce Homo. In: Nietzsche: Werke II (Schlechta), S. 1089
7 Theodor W. Adorno: Die Wunde Heine; ders.: Zum Gedächtnis Eichendorffs. In: Adorno: Noten zur Literatur I, S. 105ff., S. 146ff.
8 Gerhard Höhn: Heinrich Heine und die Genealogie des modernen Intellektuellen. In: Höhn (Hg.): Heinrich Heine. Ästhetisch-politische Profile, S. 70ff. Ausführlicher Höhn: Heinrich Heine. Un intellectuel moderne