Inhalt

  1. Cover
  2. Sternkreuzer Proxima – Die Serie
  3. Über diese Folge
  4. Über den Autor
  5. Titel
  6. Impressum
  7. 1
  8. 2
  9. 3
  10. 4
  11. 5
  12. 6
  13. 7
  14. 8
  15. 9
  16. 10
  17. 11
  18. 12
  19. Epilog
  20. Leseprobe

Sternkreuzer Proxima – Die Serie

Die Terranische Republik zerbricht. Ehemalige Kolonien erklären ihre Unabhängigkeit und stürzen die Galaxis ins Chaos. In einer katastrophalen Schlacht kann sich der terranische Sternkreuzer Proxima gerade noch aus der Kampfzone retten. Auf dem Rückzug kämpft die Proxima ums bloße Überleben und wird zum Spielball in einem unübersichtlichen Krieg. Doch Captain Zadiya Ark und ihre Crew ahnen nicht, dass das Schicksal noch weitaus härtere Schläge für sie bereithält …

Über diese Folge

Endlich erreicht die Proxima das Flottenhauptquartier bei Wega. Hier wird sich das Schicksal der Terranischen Republik entscheiden. Die Crew macht eine außergewöhnliche Entdeckung – eine, die den Ausgang der Schlacht beeinflussen könnte. Das sterbende Imperium greift nach dem letzten Strohhalm. Und Zadiya Ark trifft eine folgenreiche Entscheidung …

Über den Autor

Dirk van den Boom (geboren 1966) hat bereits über 100 Romane im Bereich der Science-Fiction und Fantasy veröffentlicht. 2017 erhielt er den Deutschen Science Fiction Preis für seinen Roman »Prinzipat«. Zu seinen wichtigen Werken gehören der »Kaiserkrieger-Zyklus« (Alternative History) und die Reihe »Tentakelkrieg« (Military SF). Dirk van den Boom ist darüber hinaus Berater für Entwicklungszusammenarbeit, Migrationspolitik und Sozialpolitik sowie Professor für Politikwissenschaft. Er lebt mit seiner Familie in Saarbrücken.

DIRK VAN DEN BOOM

DIE SCHLACHT VON WEGA

Folge 6

1

»Was machen Sie, wenn alles vorbei ist?«

»Alles?«

»All das hier. Einfach alles.«

Die Frage ihrer Patientin war nicht absurd, sondern eine, die sich viele stellten, obwohl Doktor Sandra von Kampen versuchte, sie weitgehend zu vermeiden. Sie hob das Diagnosegerät und betrachtete durch die Optik die Augen der Frau, die vor ihr saß und geduldig auf ein Ende der Untersuchung und eine Antwort wartete. Es hatte einen kleinen Unfall in der Recyclinganlage des Kreuzers gegeben, keine schlimme Sache, aber es waren Stoffe ausgetreten, die der Gesundheit nicht zuträglich waren. Die Proxima war auf ihrem letzten Hypersprung zum Flottenhauptquartier, der die hoffentlich abschließende Etappe einer langen Reise darstellte, auf der sich eine Ungewissheit an die nächste gereiht hatte.

Wie sollte man auf eine solche Frage antworten?

»Das kommt darauf an«, rang sich die Ärztin schließlich, die naheliegende, unverbindliche und letztlich aussagelose Erwiderung ab, die sie schon so oft geäußert hatte. »Ihre Pupillen sind absolut in Ordnung. Der Netzhaut geht es bestens. Sie haben Glück gehabt.«

Meist war die Reaktion auf »das kommt darauf an« ein wissendes Nicken und der Verzicht auf weiteres Nachbohren, aber diesmal wurde ihr diese Gnade nicht zuteil.

»Ich habe gehört, dass man Sie eingezogen und gegen Ihren Willen in den Dienst gezwungen hat«, sagte die Patientin und blieb ganz ruhig, als von Kampen eine Salbe auf eine verätzte Hautpartie direkt unter dem rechten Auge auftrug. Das hätte im wahrsten Sinne des Wortes ins Auge gehen können, und die Frau konnte sich glücklich schätzen.

»Ja, das stimmt«, erwiderte von Kampen und bemühte sich, den Zorn, den sie angesichts dieser Tatsache empfand, zu verbergen. Zornig war sie aber auch deswegen, weil sie nach so langer Zeit immer noch nicht darüber hinweg war. »Schon vor fünf Jahren, kurz nach Ausbruch des Krieges.«

»Das tut mir leid.« Es klang ehrlich. Die Frau wollte ihr nichts Böses. Von Kampen beherrschte den Zorn. Hier war im Grunde niemand, gegen den sie ihn richten konnte. Dieser Patientin konnte geholfen werden, weil von Kampen hier war. Sie war nicht für das verantwortlich, was die Flotte der Ärztin angetan hatte.

»Sobald der Krieg vorbei ist, verlasse ich den Dienst«, fuhr die Patientin fort. »Sie dann sicher auch, oder? Nur weg von dem ganzen Mist.«

»Das wird meine erste Amtshandlung sein«, bestätigte von Kampen. Ihre Patientin hatte noch einige Verätzungen im Gesicht und am Hals. Sie mussten übel brennen, aber die Frau auf ihrer Behandlungsliege war tapfer. Von Kampen trug mehr Salbe auf. Wenn alles gut verlief, würde nicht einmal eine Narbe zurückbleiben.

»Wollen Sie dann woanders praktizieren? In einem Krankenhaus?«

»Ich werde sehen, was sich ergibt. Und Sie?«

Die Ärztin war bestrebt, den Fokus des Gesprächs von sich wegzulenken. Ihre Patientin ging bereitwillig darauf ein. Viele sprachen gerne über ihre Träume, vor allem auf der Krankenstation, denn hier nahm man sie ernst und schrie sie nicht an. Die Ärztin war durchaus stolz auf ihr hohes Ansehen bei der Crew, ein Grund mehr, ihren Zorn auf keinen dieser Menschen zu richten. Sie saßen nicht nur sprichwörtlich alle im selben Boot.

»Ich will einen Mann.«

Von Kampen lachte unwillkürlich auf. Das hatte sehr nachdrücklich und entschlossen geklungen, also war es offenbar ein echtes Bedürfnis. Sie schüttelte den Kopf und zeigte auf einen der Krankenpfleger, der grinsend aufgeschaut hatte.

»Haben Sie hier keinen gefunden?«

»Ich will keinen Soldaten. Die sind alle … kaputt.« Die Frau sah die Ärztin unsicher an. »Verstehen Sie, was ich meine? Sie sind Söhne des Krieges. Davon trage ich selbst genug mit mir herum, das muss ich nicht doppelt haben. Das wäre zu viel Ballast. Ein Soldat täte mir nicht gut.«

»Ich verstehe. Das ist eine gesunde Einstellung. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg dabei. Denken Sie dran, wenn der Krieg vorbei ist und viele aus der Flotte entlassen werden, sieht man das nicht gleich auf den ersten Blick.«

Die Leute würden versuchen, vieles zu verbergen, manches davon möglichst für immer. Erfahrungsgemäß funktionierte das eher schlecht.

»Liebe auf den ersten Blick gibt es sowieso nicht.« Die Frau tippte sich mit dem Zeigefinger an einen Nasenflügel. »Außerdem rieche ich Veteranen. Ich weiß, wie sie reden, wie sie sich bewegen und welche Witze sie machen. Da brauche ich keine zehn Minuten und schon ist mir klar, ob ich aufstehen und wegrennen muss.«

»Das glaube ich Ihnen auf Anhieb. So, noch diese Stelle hier, auf die klebe ich lieber auch ein Pflaster, die sieht nämlich ziemlich böse aus. Da könnte eine kleine Narbe zurückbleiben. Wenn alles verheilt ist, bestünde die Möglichkeit …«

»Das macht mir nichts aus.«

»Eine Narbe verleiht dem Gesicht Charakter, was?«

»Irgendwie schon.«

Beide lächelten sich an. Die Patientin fragte: »Und bei Ihnen? Haben Sie einen Mann oder eine Frau am Start?«

»Das steht nicht sehr weit oben auf meiner Prioritätenliste«, erwiderte von Kampen schnell, vielleicht zu schnell. Ungebeten tauchte vor ihrem geistigen Auge das Bild von Ernesto Vara auf, der sie wie ein betrübter Hundewelpe ansah. Sie wollte dieses Bild nicht in ihrem Kopf haben, aber sie musste sich ernsthaft konzentrieren, um es zu verbannen.

»Männer sind ja oft auch Idioten«, sagte die Patientin mitfühlend, und damit wurde deutlich, dass sich die plötzliche Abwehrhaltung in von Kampens Gesichtsausdruck gespiegelt haben musste. »Man muss schon Glück haben, um einen zu finden, der nicht entweder ein Arschloch oder völlig verblödet ist.«

Die Ärztin lachte leise.

»Haben Sie schlechte Erfahrungen gemacht?«

»Welche Frau macht die nicht?«

Beide nickten sich in stummem Einverständnis zu. Dann war die Behandlung beendet.

»Kommen Sie übermorgen noch mal vorbei, dann setze ich Sie unter die Regenerationsbestrahlung. Ich gebe Ihnen noch ein leichtes Schmerzgel mit, das Sie auftragen können, wenn es zu sehr brennt.«

Die Frau nahm das Medikament dankend entgegen. Sie rutschte von der Behandlungsliege, auf der sie gesessen hatte, und zog ihr Hemd wieder an. Der Oberkörper war bei dem Unfall glücklicherweise ausreichend geschützt gewesen und deshalb unverletzt geblieben. Bevor sie sich abwandte, hielt sie noch einen Moment inne.

»Ehrlich, wenn das alles vorbei ist und Sie wieder normal praktizieren, machen Sie ordentlich Werbung für sich. Zu Ihnen gehe ich auch, wenn ich nicht mehr im Dienst bin.«

Von Kampen sah der Frau nach, als sie die Krankenstation verließ, und musste dann wegschauen, denn sie bemerkte, dass die anerkennenden Blicke der beiden anwesenden Krankenpfleger auf ihr ruhten. Mit dieser Art von Lob kam sie nicht besonders gut zurecht. Andererseits bestätigte es ihr, dass sie das Richtige tat, ob nun gezwungenermaßen oder nicht.

Vara, dachte sie. Sie würde mit ihm über das, was vorgefallen war, reden müssen, denn es einfach unausgesprochen zu lassen, widersprach ihrem Naturell. Wenn dieser Krieg nun ein Ende fand, so oder so, dann wollte sie keine Schulden und keine ungeklärten Situationen hinterlassen. Sie wollte allen gegenüber fair sein, was sich im Leben nur schwer durchhalten ließ.

Das bedeutete aber nicht, dass man es nicht zumindest versuchen konnte.